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Bonamea - Ausgabe 2 / 2016

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onamea Architektur<br />

Micro House (INT)<br />

Diogene, 7,5 m 2 : Pionierprojekt von<br />

Renzo Piano Building Workshop, das sich<br />

mit dem absoluten Minimum auseinandersetzt.<br />

Der Prototyp steht auf dem<br />

Vitra-Campus in Weil am Rhein (o. l.).<br />

Pod Home, 14 m 2 : Früher Prototyp<br />

eines energieautarken Mikro-Hauses<br />

von Lisa Tilder und Stephen Turk an<br />

der Ohio State University, USA (o. r.).<br />

Sovhus 4:12, 12 m 2 : Joakim Leufstadius<br />

vom Büro Imanna schafft mittels<br />

einer einfachen kubischen Form und<br />

raffinierten, aufklappbaren Fassadeteilen<br />

komplexe Wohnerfahrungen (u.).<br />

Friede den Hütten! Krieg den Palästen“<br />

lautete die berühmt gewordene Aufforderung<br />

des „Hessischen Landboten“.<br />

Das ursprünglich vom deutschen Dichter<br />

Georg Büchner verfasste Pamphlet aus<br />

dem Jahr 1834 wandte sich gegen die sozialen<br />

Missstände seiner Zeit. Mit den ärmlichen Behausungen<br />

der ausgebeuteten Arbeiterschaft<br />

im Zeitalter der Industrialisierung haben die<br />

hier vorgestellten Design-Minihäuser zwar<br />

wenig zu tun. Dem italienischen Stardesigner<br />

Renzo Piano etwa, der für seine technisch ausgefeilten,<br />

alles andere als bescheidenen Entwürfe<br />

bekannt ist, ging es bei seinem Projekt<br />

„Diogene“ um architektonische Studien zum<br />

Thema Mindestanforderungen des Wohnens.<br />

Er bezieht sich dabei auf Le Corbusiers „Cabanon“<br />

an der Küste von Roquebrune-Cap-<br />

Martin, die einer Mönchszelle gleicht, für Le<br />

Corbusier aber war es „ein Schloss, ein freundlicher<br />

Ort von allergrößtem Komfort.“ Es ist<br />

die Befreiung von unnötigem Ballast und den<br />

Zwängen der Zivilisation, die den subversiven<br />

Charakter dieser Mikroarchitekturen ausmachen.<br />

Energieautark, unabhängig. Von wegen<br />

harmlose Grundriss-Spielchen!<br />

DAS WEINFASS DES DIOGENES<br />

Nicht ohne Grund nennt Renzo Piano sein<br />

Mikro-Haus „Diogene“ und nimmt damit Bezug<br />

auf den berühmten Philosophen der griechischen<br />

Antike Diogenes von Sinope, der von<br />

404 bis 323 vor Christus lebte und sich aus Abscheu<br />

vor der dekadenten Lebensweise seiner<br />

Zeitgenossen aus der Gesellschaft zurückzog,<br />

um in einem Weinfass ein einfaches Leben zu<br />

führen und um seine Zeit ausschließlich dem<br />

Denken zu widmen. Die Idee einer minimalen<br />

Behausung habe ihn seit seinen Studientagen<br />

beschäftigt, sagt Renzo Piano. Ende der Sechzigerjahre<br />

baute er mit seinen Studierenden<br />

an der Architectural Association in London,<br />

an der er Architektur unterrichtete, Minihäuser<br />

auf dem Bedford Square. In Genua begann<br />

er, diverse Prototypen zu bauen – aus Sperrholz,<br />

aus Beton und schließlich aus Holz. Die<br />

letzte Variante des als „Diogene“ bezeichneten<br />

Projekts wurde im Herbst 2009 in der italienischen<br />

Zeitschrift „Abitare“ publiziert: ein<br />

hölzernes Satteldachhaus von 2,4 x 2,4 Metern<br />

Grundfläche. Mit dem Kommentar Renzo<br />

Pianos, es bedürfte eines Auftraggebers, um<br />

„Diogene“ weiterzuentwickeln. Diesen fand<br />

der italienische Architekt in Rolf Fehlbaum,<br />

dem Chairman von Vitra. Fehlbaum, der für<br />

sein Faible für zeitgenössische Architektur<br />

bekannt ist und der auf dem Betriebsgelände<br />

des Möbelherstellers in Weil am Rhein bereits<br />

ein Potpourri an Architekturikonen – vom<br />

berühmten Feuerwehrhaus der kürzlich verstorbenen<br />

Stararchitektin Zaha Hadid bis zum<br />

Konferenzzentrum des japanischen Meisters<br />

Tadao Ando – versammelt hat, las den Artikel<br />

und war sofort von Renzo Pianos Mikrohaus<br />

begeistert. 2010, als Piano und Fehlbaum beide<br />

in der Pritzkerpreis-Jury saßen, beschlossen<br />

sie, das ehrgeizige Projekt gemeinsam<br />

umzusetzen. Lustiges Detail am Rande: Ausgerechnet<br />

im Jahr 2013, in dem das Büro des<br />

italienischen Architekten Renzo Piano Building<br />

Workshop das höchste Hochhaus Europas,<br />

„The Shard“ in London einweihte, bezog<br />

auch der Prototyp des „Diogene“ seinen Platz<br />

auf dem Vitra-Campus.<br />

DIE VITRUVIANISCHE URHÜTTE<br />

Zurück zum Wesentlichen – das ist die Devise,<br />

wenn es um die Gestaltung der Mikrohäuser<br />

geht. In der Architekturgeschichte<br />

war es Vitruv, der das einfache archaische<br />

Haus in der Natur im ersten Jahrhundert vor<br />

Christus erstmals thematisierte. Das Konzept<br />

des antiken Architekturtheoretikers stieß im<br />

18. Jahrhundert erneut auf großes Interesse,<br />

wie etwa die Abbildung der vitruvianischen<br />

Ur-Hütte in Marc-Antoine Laugiers „Essai<br />

sur l’Architecture“ belegt. Sie traf genau den<br />

Zeitgeist jener Epoche, in der Jean-Jacques<br />

Rousseau eine Rückbesinnung zur Natur proklamierte.<br />

Der aus Genf stammende Schriftsteller,<br />

Philosoph und Pädagoge argumentierte,<br />

dass die Gesellschaft den an sich guten<br />

Menschen moralisch verderbe. In der Abgeschiedenheit<br />

würde das Gute im Menschen<br />

sich wieder entfalten können.<br />

„Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch<br />

hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen,<br />

wirklichen Leben näherzutreten“ erklärte<br />

der amerikanische Schriftsteller Henry<br />

David Thoreau in seinem 1854 erschienenen<br />

Foto: www.vitra.com<br />

Foto: PodHome Bradley Feinknopf<br />

Foto: Imanna J Fowelin<br />

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