Retrospektive 1
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ein besseres Morgen oder um dem Morgen zu entfliehen.<br />
Ich sehe eine Wohnung, ein weißer Seidenvorhang<br />
tanzt im Wind, der sanft zum offenen Fenster<br />
hereinweht. Aus einem Zimmer singt leise Ray<br />
Charles begleitet von dem Knacken der Platte. Das<br />
Licht ist warm und gelb, nahezu verrucht. Kerzen werfen<br />
flackernde Schatten auf die Wände. Eine leere<br />
Rotweinflasche steht neben der Matratze auf dem<br />
Boden neben zwei leeren Gläsern, in denen der Rotwein<br />
sich gefestigt hat. Es riecht nach Zigarette und<br />
Espresso. Eine Frau steht mit dem Rücken zu mir in<br />
der Badtür mit dicken Wollsocken an den Füßen und<br />
einem schwarzen Sex Pistol Shirt. Er ist nur shilluettenhaft<br />
zu erkennen, ein Schattenspiel der Kerzen<br />
mit dem Duschvorhang. Sie ascht ihre Zigarette ins<br />
Waschbecken, während sie ihm beim duschen zusieht.<br />
Der Spiegel ist beschlagen, die Dusche heiß.<br />
Dampf hüllt langsam das ganze Zimmer, ich kann die<br />
Frau nicht mehr sehen. Sie verschwimmt im Dunst,<br />
wird geschluckt. Das Bild trübt und klack–klack, die<br />
Platte ist zu Ende gespielt. Da wären wir wieder bei<br />
dem Jetzt und Hier. So kann es einem nämlich doch<br />
gelingen, das Jetzt zu überdenken. Letztens habe ich<br />
einen Film gesehen, in dem der Protagonist ganzkörperlich<br />
gelähmt war. Er sagte:<br />
„Vielleicht ist alles starr<br />
und ich kann nichgs machen,<br />
bin gefangen in meinem eigenen Körper.<br />
Aber zwei Dinge sind ewig frei,<br />
zwei Dinge lasse ich mir nicht nehmen.<br />
Das ist die Vorstellungskraft:<br />
die Gedanken und die Phantasie.“<br />
Schmetterling und Taucherglocke