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Kritik zu "Muskelmann" in Lippstadt

erschienen in "Der Patriot" am 3. September 2016

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Dop<strong>in</strong>g im Kopf<br />

„Muskelmann“ widmete sich im Energeticum Körperkult und Körperwahn<br />

■<br />

LIPPSTADT „Wir haben<br />

diesmal komplett aufs Bühnenbild<br />

verzichtet und e<strong>in</strong>iges<br />

am Ablauf geändert“,<br />

verrät Regisseur Reimar de<br />

la Chevallerie dem Publikum.<br />

Aber se<strong>in</strong> Kollege, der<br />

gleich käme, der wisse noch<br />

gar nichts davon. Der „Kollege“,<br />

Schauspieler Matthias<br />

Damberg, ist dann <strong>zu</strong>nächst<br />

auch ziemlich konsterniert<br />

und schimpft erst<br />

mal drauf los: „Was soll das<br />

denn?“<br />

Spätestens jetzt erkennen<br />

die Zuschauer, <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie<br />

Schüler des Ini-Berufskollegs,<br />

dass die Aufführung<br />

längst begonnen hat.<br />

„Muskelmann“ heißt das<br />

Zwei-Personen-Stück aus<br />

der Feder von Erpho Bell,<br />

das Ende Mai <strong>in</strong> Hamm Premiere<br />

feierte. Jetzt wurde es<br />

im Lippstädter Energeticum<br />

aufgeführt. Im Mittelpunkt<br />

stehen zwei Männer, die<br />

sich auf Sp<strong>in</strong>n<strong>in</strong>g Bikes e<strong>in</strong>e<br />

Stunde lang unentwegt abstrampeln<br />

und dabei mite<strong>in</strong>ander<br />

reden.<br />

Kl<strong>in</strong>gt erst mal nicht<br />

spannend, ist es aber. Das<br />

Stück, bewusst so angelegt,<br />

dass es <strong>in</strong> Fitness-Studios<br />

aufgeführt wird, beschäftigt<br />

sich mit Körperkult und<br />

Körperwahn. Mit der Lust<br />

am schön geformten Body,<br />

mit den Glücksgefühlen, die<br />

beim Tra<strong>in</strong>ieren entstehen,<br />

Der Regisseur Reimar de la Chevallerie (r.) und se<strong>in</strong> Schauspieler<br />

Matthias Damberg strampeln sich ab. ■ Foto: Wiss<strong>in</strong>g<br />

mit den gesundheitlichen<br />

Vorteilen, aber auch mit der<br />

Kehrseite, wie gefährliche<br />

Pillen und Pülverchen oder<br />

Verluste von gesellschaftlichen<br />

Kontakten, weil die<br />

narzisstische Eigenwahrnehmung<br />

irgendwann gar<br />

ke<strong>in</strong> richtiges Leben mehr<br />

<strong>zu</strong>lässt. Da sieht der Überehrgeizige<br />

nur noch die<br />

„trügerische Schönheit“ im<br />

Spiegel, „und geht an se<strong>in</strong>en<br />

eigenen Augen <strong>zu</strong>grunde“,<br />

wie es im Stück heißt.<br />

Denn es geht auch um Dop<strong>in</strong>g<br />

im Kopf. Matthias ist<br />

der ehrgeizige Sportler mit<br />

drahtigem Körper, Reimar<br />

der Intellektuelle mit kle<strong>in</strong>em<br />

Bauchansatz, der unbe-<br />

queme Fragen stellt, aber<br />

se<strong>in</strong>em „Fitness-Partner“<br />

auch immer wieder Energydr<strong>in</strong>ks<br />

und Aufbaupillen<br />

rüberreicht.<br />

Ab und <strong>zu</strong> s<strong>in</strong>d auf e<strong>in</strong>er<br />

Le<strong>in</strong>wand h<strong>in</strong>ter den beiden<br />

Bilder <strong>zu</strong> sehen, <strong>zu</strong>m Beispiel<br />

von Radrennfahrern.<br />

Als die Technik e<strong>in</strong>mal ausfällt,<br />

ist nicht klar, ob’s <strong>zu</strong>m<br />

Programm gehört oder Zufall<br />

ist, so authentisch kommen<br />

die beiden rüber. „Auf<br />

Apple ist auch ke<strong>in</strong> Verlass<br />

mehr“, konstatiert Reimar<br />

de la Chevallerie trocken.<br />

Die Darsteller plaudern,<br />

als seien sie alle<strong>in</strong>. „Hast du<br />

eigentlich nie Probleme bekommen,<br />

e<strong>in</strong>e bestimmte<br />

Rolle <strong>zu</strong> kriegen, spricht<br />

Reimar den Schauspieler<br />

auf mehrere fehlende F<strong>in</strong>ger<br />

an se<strong>in</strong>er rechten Hand<br />

an. Die Schweißtropfen fließen,<br />

die Be<strong>in</strong>e treten im steten<br />

Rhythmus.<br />

„Zufriedenheit ist Stillstand“,<br />

gibt Matthias mehrmals<br />

atemlos von sich.<br />

„Wann hast du das letzte<br />

Mal de<strong>in</strong>e Eltern angerufen<br />

oder acht Stunden am Stück<br />

geschlafen, wann hast du<br />

das letzte Mal Sex gehabt<br />

oder mit den K<strong>in</strong>dern Gespräche<br />

geführt, so richtige<br />

Gespräche?“, fragt Reimar,<br />

der Vertreter des richtigen<br />

Maßes.<br />

Und dann kommt auch<br />

noch Gott <strong>in</strong>s Spiel. Se<strong>in</strong> Gesicht,<br />

besser gesagt, das von<br />

Autor Erpho Bell, nimmt die<br />

gesamte Le<strong>in</strong>wand e<strong>in</strong>. Und<br />

Gott hat offensichtlich die<br />

Schnauze voll von se<strong>in</strong>er<br />

Schöpfung, der er doch nur<br />

e<strong>in</strong>es verboten hatte, nämlich<br />

den Apfel <strong>zu</strong> essen. Se<strong>in</strong><br />

zorniger Appell mit rollenden<br />

Augen: „Ruft mich<br />

nicht mehr an!“<br />

Am Ende der im S<strong>in</strong>ne des<br />

Wortes atemlosen und äußerst<br />

bee<strong>in</strong>druckenden Darstellung<br />

verteilt Matthias<br />

Dop<strong>in</strong>gmittel <strong>in</strong> Form von<br />

Pfefferm<strong>in</strong>zpillen und die<br />

beiden Akteure stellen sich<br />

den Fragen des begeisterten<br />

Publikums. ■ hewi

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