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<strong>Predigt</strong> <strong>Weihnachten</strong> <strong>2013</strong> <strong>erster</strong> <strong>Feiertag</strong> – Galaterbrief „Der Tag danach“<br />
Gnade sei mit euch und Friede, von Gott unserem Vater und seinem Sohn Jesus Christus.<br />
Liebe Gemeinde,<br />
die Geschichte ist ja bekannt und deshalb brauche ich heute gar nicht so viel zu erzählen. Gestern<br />
haben wir es ausführlich gehört wie das war, als Jesus geboren wurde. Angefangen vom Gebot von<br />
Kaiser Augustus, der Wanderung von Josef und Maria nach Bethlehem. Die Engel die den Hirten auf<br />
dem Feld erscheinen. Die Krippe beleuchtet vom göttlichen Kerzenlicht.<br />
Und auch die Botschaft die dahintersteckt ist bekannt. Die Ärmsten der Armen sind von Gott nicht<br />
verlassen, sondern in ganz besonderer Weise erwählt.<br />
Die unverheiratete junge Frau, die ein Kind bekommt.<br />
Die fast asozialen Hirten, dürfen als Erste zum Gratulieren kommen.<br />
Ochs und Esel erkennen ihren Herrn – den Schriftgelehrten bleibt er bis zum Schluss verborgen.<br />
Das Weihnachtswunder im sanften Kerzenlicht – eine Botschaft mitten in der Nacht, wenn der Kopf<br />
nicht mehr so ganz klar ist – dafür aber der Herz umso mehr sich nach Liebe sehnt.<br />
Das alles ist bekannt – das alles haben wir gestern Abend gefeiert.<br />
Was nicht so sehr bekannt ist:<br />
Es gab einen Hirten, nennen wir ihn einfach mal Simon, der hat das alles miterlebt und es hat ihn<br />
ganz tief berührt. Aber als er wieder heimgekommen ist zu seinen Schafen, hat er irgendwie keine<br />
Ruhe gefunden. Die restliche kurze Nacht hat er sich vor dem Lagerfeuer hin und hergewälzt und als<br />
endlich die Sonne aufgeht steht sein Entschluss fest: Er muss noch einmal zurück zum Stall.<br />
Er muss sich noch einmal bei Tageslicht anschauen, was da wirklich passiert ist. Viel zu unglaublich<br />
sind die Erlebnisse in der Nacht. Er ist sich nicht sicher, ob er das alles vielleicht nur geträumt hat.<br />
Also macht er sich auf und geht noch einmal den Weg, den er schon letzte Nacht gegangen ist. Jetzt<br />
in der frühen Morgensonne, erscheint ihm der Weg viel länger. Gestern, im Fackelschein, begleitet<br />
von Engeln, da ist die Zeit verflogen wie im Nu – aber jetzt ist es irgendwie mühsam voranzukommen.<br />
Er sieht den ganzen Weg vor sich liegen – nicht wie gestern in der Nacht, als nur immer die nächsten<br />
paar Schritte beleuchtet waren. Gut, dafür sieht er jetzt die Steine besser, über die er gestern Nacht<br />
ein paarmal gestolpert ist. Schon von weitem kann Simon den Stall sehen und spätestens jetzt macht<br />
sich <strong>Ernüchterung</strong> breit. Eine Bruchbude.<br />
Da ist es ja draußen auf dem Feld am Lagerfeuer gemütlicher.<br />
Gestern Abend, im Sternenlicht, da hat er irgendwie romantisch ausgesehen – fast gemütlich. Heute<br />
sieht man Lücken, durch die der Wind pfeift und auch der Geruch ist heute irgendwie intensiver.<br />
Simon will eigentlich schon enttäuscht umdrehen, da hört er drin ein Baby schreien und das macht<br />
ihn doch noch einmal neugierig. Das Jesuskind, das muss doch zumindest irgendwie was Besonderes<br />
sein. So wie es gestern Abend im Kerzenlicht in der Krippe gelegen hat. Da hat es fast ausgesehen, als<br />
ob es selbst leuchtet und strahlt. Und als die Engel gesungen haben, da hat es ganz vorsichtig<br />
gelächelt.<br />
Das laute Schreien jetzt am Tag will so gar nicht zu der Stimmung gestern Abend passen. Simon tritt<br />
ein in den Stall und sieht als erstes Josef. Ein bisschen erschrickt Simon, denn auch Josef sieht aus, als<br />
hätte er die ganze Nacht nicht geschlafen. Ringe unter den Augen und ein besorgter Blick. Als er<br />
Simon bemerkt dreht er sich schnell weg und stopft noch irgendwas in eine Tasche. Will der jetzt<br />
schon weiterreisen, denkt Simon, jetzt gleich, mit dem Neugeborenen?<br />
Sein Blick fällt auf Maria, die gerade dabei ist das Kind zu beruhigen. Auch sie gebeugt und gezeichnet<br />
von den Strapazen der Nacht. Aber da ist noch etwas anderes in ihrem Blick: Sorge und Verzweiflung<br />
meint Simon zu erkennen. Und das macht ihn traurig.<br />
Wo ist der Glanz hin von gestern Abend. Die Hoffnung und Freude. Die feste Überzeugung: Jetzt wird
alles Gut. Gott hat uns nicht verlassen er ist hier mit seinen Engeln er selbst besucht alle Menschen<br />
und bringt Frieden und Freude.<br />
Bei Tageslicht ganz nüchtern betrachtet bleibt nicht viel von der Weihnachtsstimmung. Dort in der<br />
Ecke stehen noch ein paar Geschenke aber direkt daneben schon Spinnenweben und Staub.<br />
Zum zweiten Mal will Simon enttäuscht umdrehen, da entdeckt ihn Maria und ruft ihn zu sich.<br />
Sie drückt ihn das Jesuskind in den Arm und macht sich daran ein bisschen aufzuräumen – so gut das<br />
halt in einem Stall geht.<br />
Und so steht Simon da – mitten in den Resten der Feier von Gestern – übernächtigt und deprimiert.<br />
Das ist also die Wahrheit von <strong>Weihnachten</strong>.<br />
Ein kurzer Moment der Freude und dann geht es weiter wie immer. Die Engel sind wieder im<br />
Himmel, die Hirten wieder bei ihrer Arbeit und an Maria und Josef bleibt die Arbeit hängen.<br />
Simon will zum dritten Mal enttäuscht umdrehen. Aber er hat ja immer noch Jesus auf dem Arm.<br />
Maria ist offensichtlich froh, den Kleinen mal ein paar Minuten los zu sein und denkt gar nicht daran<br />
ihn wieder zu nehmen. Simon überlegt gerade, ob er den Kleinen einfach wieder in die Krippe legen<br />
soll, da schaut ihn der Kleine an. Ganz fest, ohne zu Blinzeln sieht er ihm in die Augen. Und plötzlich<br />
ist der verloren geglaubte Zauber der Nacht wieder da.<br />
Simon wird plötzlich klar. Etwas hat sich doch verändert in der Nacht. In unsere oft so harte und<br />
unbarmherzige Welt ist ein kleines verletzliches Kind gekommen. Dorthin wo Menschen scheinbar<br />
nur an sich denken können und ums eigene Überleben kämpfen müssen, mitten dort hinein kommt<br />
ein kleines Kind. Und das Wunder geschieht: Es überlebt.<br />
Mitten dort, wo das Leben nur aus Kampf zu bestehen scheint. Wo das Gesetzt des Stärkeren gilt, der<br />
unbarmherzig den Schwächeren unterdrückt. Wo Menschen hart werden müssen aus Angst zu kurz<br />
zu kommen. Dort überlebt ein schutzloses feinfühliges Neugeborenes.<br />
Simon spürt das kleine Herz schlagen und er merkt die Wärme, die von diesem Kind ausgeht.<br />
Unglaublich wenig aber er kann sie doch spüren.<br />
Und in seine Verzweiflung und seine Niedergeschlagenheit mischt sich noch ein anderes Gefühl.<br />
Simon weiß erst gar nicht so genau was das für ein Gefühl ist. Er hat es schon lange nicht mehr<br />
gespürt. Eine Mischung aus Mut und Stolz aber auch Geduld und Zufriedenheit.<br />
Simon sieht das kleine Kind auf seinem Arm und er spürt – ich selbst war so ein kleines Kind.<br />
Verletzlich und ausgeliefert. Aber es gab da immer einen, der an mich geglaubt hat – sonst wäre ich<br />
heute nicht hier. Jemand der mich versorgt hat, mit allem was ich zum Überleben gebraucht habe.<br />
Schutz und Wärme, Liebe und Geborgenheit.<br />
Und für einen Moment tauschen die beiden die Rollen. Simon wird selbst wieder ein kleines Kind,<br />
verletzlich und sensibel. Simon begreift, dass er diesen Teil seiner Persönlichkeit nicht länger<br />
verdrängen und verleugnen muss – nicht einmal in einer bedrohlichen Welt. Nein, gerade dieser Teil<br />
macht ihn stark. Weil es dieser Teil ist, der Liebe empfangen und Liebe geben kann. Und plötzlich<br />
weiß er, was das für ein Gefühl ist, das er so lange vermisst hat: Das Gefühl der Freiheit.<br />
Die Angst, dass sich nichts verändert hat mit <strong>Weihnachten</strong> ist wie weggeblasen. Sicher – außen hat<br />
sich kaum etwas verändert. Der Stall, die Armut, die Schwierigkeiten – alles noch da. Aber innen hat<br />
sich buchstäblich alles verändert. Simon kann es deutlich spüren: Da wo ich schwach bin, da wo ich<br />
hilflos bin, da wo ich sensibel bin – da ist eigentlich meine starke Seite. Zu dieser Seite zu stehen<br />
braucht Mut – aber sie eigentlich macht uns erst zu Menschen. Diese verletzliche Seite unserer Seele<br />
ist die stärkste Seite, weil in ihr das Leben selbst wohnt. Wo Menschen hart, verbittert und ängstlich<br />
werden, da geht diese kindliche Seite verloren und das Leben selbst verkümmert.
Simon ist froh, dass er noch einmal zurückgekommen ist an diesem Morgen – denn sonst hätte er das<br />
ganze Erlebnis als eine Kindergeschichte abgetan, die mit der harten Realität seiner Welt nichts aber<br />
auch gar nichts zu tun hat.<br />
Jetzt weiß er: Ich bin nicht gefangen in meiner Angst. Ich bin nicht gefangen in einem scheinbar<br />
erbarmungslosen Schicksal. Ich bin nicht einmal gefangen in meinem Denken und Fühlen. Neues ist<br />
möglich, wo ich geliebt werde, wo ich noch einmal Kind sein darf, wo ich selbst frei werde andere<br />
und mich selbst zu lieben.<br />
Simon spürt – die Welt hat sich nicht verändert – noch nicht. Aber sein Verhältnis zu Gott und zum<br />
Leben hat sich verändert.<br />
Vorsichtig nimmt er das Jesuskind und drückt es Josef seinem Vater in den Arm – denn er hat das<br />
Gefühl – er hat auch etwas Liebe nötig.<br />
Als er sich auf der Türschwelle noch einmal umdreht, sieht er eine Träne über die Wange von Josef<br />
laufen - und er weiß: Jetzt wird er zu seinem Kind stehen – weil er sich selbst in diesem Kind<br />
entdeckt hat. Geliebt und geachtet. Sensibel und voller Vertrauen ins Leben.<br />
Und Simon ist klar – diese Botschaft muss weitergegeben werden. Amen.<br />
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne, in Christus<br />
Jesus.<br />
Ach ja, der Apostel Paulus hat das Wesentliche dieser Geschichte im Galaterbrief festgehalten – ohne<br />
allerdings Simon beim Namen zu nennen. Das ist der <strong>Predigt</strong>text für den ersten Weihnachtstag heute<br />
– und den möchte ich ihnen natürlich auch nicht vorenthalten.<br />
Im Galaterbrief Kapitel 4 schreibt er:<br />
Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn,<br />
geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan,<br />
damit er die, die unter dem Gesetz waren, erlöste,<br />
damit wir die Kindschaft empfingen.<br />
Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba,<br />
lieber Vater!<br />
So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind;<br />
wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.<br />
Amen