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Predigt Ewigkeitssonntag 2012 Frau Elend und der Tod

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<strong>Predigt</strong> <strong>Ewigkeitssonntag</strong> <strong>2012</strong> <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Tod</strong><br />

Gnade sei mit euch <strong>und</strong> Friede, von Gott unserem Vater <strong>und</strong> seinem Sohn Jesus Christus.<br />

Liebe Gemeinde,<br />

Es war einmal eine <strong>Frau</strong>, die wurde <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> genannt. Sie lebte in einer kleinen Hütte <strong>und</strong><br />

besaß nichts als eine Ziege, einen Garten <strong>und</strong> einen Birnbaum. Die Arme ernährte sich nur<br />

von <strong>der</strong> Milch ihrer Ziege. Die Birnen aßen die Dorfbuben alle auf, <strong>und</strong> darüber war sie sehr<br />

böse <strong>und</strong> brachte deswegen das ganze Dorf in Bewegung.<br />

Eines Tages kam ein Alter an ihre Hütte <strong>und</strong> bat um Unterkunft, <strong>und</strong> <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> sagte zu ihm:<br />

"Wie kann ich sie dir geben, wo ich nichts als ein schlechtes Bett <strong>und</strong> ein wenig Milch<br />

besitze?" Und <strong>der</strong> Alte sagte: "Um <strong>der</strong> Barmherzigkeit willen, gebt mir Unterkunft." Und <strong>Frau</strong><br />

<strong>Elend</strong> sagte: "Tritt ein. Armer, tritt ein; ich will dir die Hälfte von <strong>der</strong> Milch meiner Ziege<br />

geben; ich will dir die Hälfte meines Bettes geben, <strong>und</strong> ich will dir eine meiner Decken<br />

geben." <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> tat so, <strong>und</strong> am nächsten Morgen sagte <strong>der</strong> Alte: "Gott möge es dir lohnen;<br />

<strong>und</strong> für das, was du an mir tatest, kannst du einen Wunsch äußern." Und <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> sagte zu<br />

ihm: "Ich brauche nichts, noch wünsche ich mir mehr als das, was ich habe. Ich möchte nur,<br />

dass die Buben, wenn sie mir wie<strong>der</strong> meine Birnen wegessen, nicht eher von dem Birnbaum<br />

hinuntersteigen können, als bis ich es will." Der Alte - es war <strong>der</strong> heilige Antonius von Padua<br />

- sagte: "Es sei dir gewährt. Leb wohl!"<br />

Am folgenden Tag stiegen die Buben auf den Birnbaum <strong>und</strong> mussten dort oben regungslos<br />

verharren, bis ihre Eltern kamen <strong>und</strong> <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> auf den Knien baten, die Buben wie<strong>der</strong><br />

hinunterzulassen. Von dem Tag an kamen sie nicht mehr, um die Birnen wegzuessen.<br />

Und <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> verbrachte die Jahre froh <strong>und</strong> zufrieden, bis eines Tages <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> an ihre<br />

Hütte klopfte <strong>und</strong> zu ihr sagte: "Ich will dich holen." Und <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> sagte: "Es ist gut; ich<br />

bin schon alt <strong>und</strong> störe in <strong>der</strong> Welt. Ich will die Wegzehrung für uns zurechtmachen, <strong>und</strong><br />

während ich sie zurechtmache, steige du auf diesen Birnbaum <strong>und</strong> iß dich an den Birnen satt."<br />

Der <strong>Tod</strong> stieg hinauf <strong>und</strong> konnte nicht wie<strong>der</strong> herunterkommen, denn <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> ließ ihn<br />

nicht frei. Es verstrichen einige Jahre, <strong>und</strong> da <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> auf dem Birnbaum war, starb niemand.<br />

Und es versammelten sich alle die Alten <strong>und</strong> alle die, die sterben sollten, <strong>und</strong> gingen zu <strong>Frau</strong><br />

<strong>Elend</strong> <strong>und</strong> baten sie, sie möchte doch den <strong>Tod</strong> von dem Birnbaum herunterlassen.<br />

<strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> sagte: "Wenn <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> mir schriftlich gibt, dass er mich immer übergeht, dann lass<br />

ich ihn vom Birnbaum heruntersteigen." Der <strong>Tod</strong> gab es ihr schriftlich <strong>und</strong> ließ von nun an<br />

<strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> in Ruhe. Und so lebt <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> noch heute.<br />

Wie wäre das eigentlich, wenn es den <strong>Tod</strong> nicht gäbe auf <strong>der</strong> Welt. Der erste Gedanke ist<br />

vermutlich: das wäre Prima – dann müsste niemand mehr sterben. Friedhöfe wären<br />

überflüssig – Trauer, <strong>und</strong> Abschiedsschmerz wären weit weg.<br />

Die Geschichte von <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong> erinnert uns an die an<strong>der</strong>e Seite des <strong>Tod</strong>es – die Seite, die wir<br />

oft vergessen, weil sie uns nicht so nahe ist. Aber es gibt Situationen, in denen kommt <strong>der</strong><br />

<strong>Tod</strong> nicht als Feind, son<strong>der</strong>n als Fre<strong>und</strong>.<br />

Wenn das Leben zu mühsam geworden ist – die Angst o<strong>der</strong> Erschöpfung zu groß, dann reden<br />

wir davon, dass <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> eine Erlösung ist.<br />

Nicht umsonst ist <strong>der</strong> Name <strong>der</strong> <strong>Frau</strong> <strong>Frau</strong> <strong>Elend</strong>. Denn ohne den <strong>Tod</strong> würde sich auch das<br />

Leiden bis in alle Ewigkeit in die Länge ziehen. Und wir müssten angesichts des <strong>Elend</strong>s wie<br />

die Dorfbewohner bitten, dass doch endlich <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> kommen soll.<br />

Wenn wir als Christen heute von <strong>der</strong> Ewigkeit reden, auf die wir uns freuen sollen <strong>und</strong><br />

können, dann muss diese Ewigkeit ein paar Bedingungen erfüllen, die sie unterscheidet von<br />

unserer gegenwärtigen Welt - sonst wäre sogar das Nichts <strong>und</strong> <strong>der</strong> endgültige <strong>Tod</strong> besser als<br />

ein Weiterleben im Jenseits.


Schauen wir uns einmal an wie die Bibel von diesem Jenseits spricht, dann wird schnell klar,<br />

dass es da keine festen Definitionen gibt – kein: so ist es dort <strong>und</strong> nicht an<strong>der</strong>s. Nein, eher ein<br />

vorsichtiges Herantasten mit Bil<strong>der</strong>n <strong>und</strong> Gleichnissen. Immer aber sensibel dafür, dass es<br />

auch ganz an<strong>der</strong>s sein könnte.<br />

Sensibel auch für allen menschlichen Schmerz <strong>und</strong> alles Leid.<br />

Offen dafür, dass Menschen nicht nur unter dem <strong>Tod</strong>, son<strong>der</strong>n auch unter dem Leben leiden<br />

können.<br />

Kirkegaard hat dieses Leiden einmal die Krankheit zum <strong>Tod</strong>e genannt.<br />

Diese Krankheit zum <strong>Tod</strong>e ist ein doppeltes Leiden. Die Angst nicht richtig leben zu können<br />

<strong>und</strong> gleichzeitig die Angst nicht sterben zu können. Also die Vorstellung das gegenwärtige<br />

Leiden geht immer so weiter ohne eine Aussicht auf Besserung. Das ist pure Verzweiflung.<br />

Und gegen diese pure Verzweiflung – die schlimmste Krankheit an <strong>der</strong> Menschen leiden<br />

können – haben über Jahrtausende schon Biblische Autoren angeschrieben.<br />

Hoffnungstexte nicht gegen den <strong>Tod</strong> – aber gegen die Angst vor dem <strong>Tod</strong>.<br />

Einer dieser großartigen Hoffnungstexte ist <strong>der</strong> <strong>Predigt</strong>text für den Sonntag heute. Ein Traum,<br />

eine Vision gegen die Verzweiflung.<br />

Wir hören die Worte aus dem 65. Kapitel des Jesajabuches:<br />

So spricht <strong>der</strong> Herr:<br />

Siehe, ich will einen neuen Himmel <strong>und</strong> eine neue Erde schaffen, dass man <strong>der</strong> vorigen nicht<br />

mehr gedenken <strong>und</strong> sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.<br />

Freuet euch <strong>und</strong> seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe.<br />

Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen <strong>und</strong> sein Volk zur Freude, <strong>und</strong> ich will<br />

fröhlich sein über Jerusalem <strong>und</strong> mich freuen über mein Volk.<br />

Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.<br />

Es sollen keine Kin<strong>der</strong> mehr da sein, die nur einige Tage leben,<br />

o<strong>der</strong> Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen,<br />

son<strong>der</strong>n als Knabe gilt, wer h<strong>und</strong>ert Jahre alt stirbt,<br />

<strong>und</strong> wer die h<strong>und</strong>ert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.<br />

Sie werden Häuser bauen <strong>und</strong> bewohnen,<br />

sie werden Weinberge pflanzen <strong>und</strong> ihre Früchte essen.<br />

Sie sollen nicht bauen, was ein an<strong>der</strong>er bewohne,<br />

<strong>und</strong> nicht pflanzen, was ein an<strong>der</strong>er esse.<br />

Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes,<br />

<strong>und</strong> ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen.<br />

Sie sollen nicht umsonst arbeiten <strong>und</strong> keine Kin<strong>der</strong> für einen frühen <strong>Tod</strong> zeugen; denn sie sind<br />

das Geschlecht <strong>der</strong> Gesegneten des Herrn, <strong>und</strong> ihre Nachkommen sind bei ihnen.<br />

Und es soll geschehen: ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.<br />

Wolf <strong>und</strong> Schaf sollen beieinan<strong>der</strong> weiden; <strong>der</strong> Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber<br />

die Schlange muss Erde fressen. Sie werden we<strong>der</strong> Bosheit noch Schaden tun auf meinem<br />

ganzen heiligen Berge, spricht <strong>der</strong> Herr.<br />

Was für ein großartiger Traum dieses dritten Jesaja. Ein volles erfülltes Leben wird da<br />

beschrieben, ein Leben wie es sein sollte: Die Arbeit ist nicht vergeblich son<strong>der</strong>n sinnvoll. Ein<br />

Haus wird gebaut um darin zu wohnen – ein Weinberg gepflanzt um man kann selbst die<br />

Früchte genießen. Das ist kein leichtes müheloses Leben. Aber jede Anstrengung lohnt sich.<br />

Kin<strong>der</strong> werden in die Welt gesetzt <strong>und</strong> man darf erleben wie sie wachsen <strong>und</strong> groß werden.<br />

Alle Fragen des Lebens werden wie selbstverständlich von Gott selbst beantwortet. Ein Leben<br />

in Fülle. Was mir auffällt. Es ist nicht <strong>der</strong> <strong>Tod</strong>, <strong>der</strong> diesen Traum bedroht, nein, <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> ist<br />

ganz selbstverständlich da – er wird zwar weit nach hinten gerückt aber am Ende gibt es ihn


doch noch. Was in diesem Traum fehlt ist etwas an<strong>der</strong>es: Weinen <strong>und</strong> Klagen, Bosheit <strong>und</strong><br />

Schaden.<br />

Im Mai dieses Jahres stirbt die Fernseh-Legende Kurt Felix. Und es wurde ein Satz von ihm<br />

in den Medien verbreitet, <strong>der</strong> mich tief beeindruckt hat. Im Rückblick auf sein Leben <strong>und</strong> im<br />

Ausblick auf seinen nahen <strong>Tod</strong> hat Kurt Felix gesagt: Wenn ich einmal gehen muss, geht ein<br />

glücklicher Mensch.<br />

Das klingt wie aus dem Traum des Jesaja. Am Ende eines erfüllten Lebens kommt <strong>der</strong> <strong>Tod</strong> als<br />

Fre<strong>und</strong> – vielleicht zu bald, vielleicht unerwartet, aber doch als Fre<strong>und</strong>, <strong>der</strong> uns begleitet <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> uns heimbringt. So dass wir am Ende sagen können: Es war gut.<br />

Der <strong>Tod</strong> ist keine Bedrohung für den, <strong>der</strong> das Leben ausgekostet hat.<br />

Es gibt Menschen bis heute, die aus <strong>der</strong> Kraft dieses Traumes leben. Die das Leben auskosten,<br />

dem Leid <strong>und</strong> dem Schmerz zum Trotz. Diesen Trotz: Nicht gegen den <strong>Tod</strong> son<strong>der</strong>n gegen<br />

die Verzweiflung am Leben <strong>und</strong> Sterben, diesen Trotz wünsche ich uns allen. Amen.<br />

Und <strong>der</strong> Friede Gottes, <strong>der</strong> höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen <strong>und</strong> Sinne, in<br />

Christus Jesus.<br />

516 Christus <strong>der</strong> ist mein Leben, Sterben ist mein Gewinn 1-3.7

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