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ProSpecieRara-Bulletin ‹Blüemlisalp› und ‹Eiger› in Bedrängnis

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3| 2010<br />

<strong>ProSpecieRara</strong>-<strong>Bullet<strong>in</strong></strong><br />

‹Blüemlisalp› <strong>und</strong> ‹Eiger›<br />

<strong>in</strong> Bedrängnis<br />

Wie <strong>ProSpecieRara</strong> gefährdete Sorten <strong>und</strong> Rassen wieder auf Kurs br<strong>in</strong>gt


<strong>ProSpecieRara</strong> | Weihnachtsbullet<strong>in</strong> 2010<br />

Editorial<br />

In diesem <strong>Bullet<strong>in</strong></strong> veröffentlichen wir<br />

unter anderem e<strong>in</strong> Interview mit Rudolf<br />

Roggli, e<strong>in</strong>em der letzten Zierpflanzenzüchter<br />

der Schweiz <strong>und</strong> Schöpfer der<br />

beiden Stiefmütterchensorten ‹Blüemlisalp›<br />

<strong>und</strong> ‹Eiger››. Dieses Gespräch (S. 6)<br />

zeigt die Auswirkungen e<strong>in</strong>es globalisierten<br />

Saatgutmarktes auf die regionale<br />

Sortenzüchtung deutlich: sie verschw<strong>in</strong>det!<br />

Zugegebenermassen ist dies ke<strong>in</strong> weihnachtliches<br />

Thema. Der Fall Roggli zeigt<br />

jedoch so drastisch, wie akut die Situation<br />

heute ist, dass es unsere Aufgabe<br />

se<strong>in</strong> muss, Sie mit den nötigen H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><strong>in</strong>formationen<br />

zu bedienen.<br />

Monopolisierung<br />

Der Konsolidierungs- <strong>und</strong> damit der Konzentrationsprozess,<br />

der <strong>in</strong> der Saatgut<strong>in</strong>dustrie<br />

<strong>in</strong> den vergangenen 40 Jahren<br />

stattgef<strong>und</strong>en hat, ist bee<strong>in</strong>druckend<br />

<strong>und</strong>, wie das Interview zeigt, noch bei<br />

weitem nicht abgeschlossen. Schon<br />

heute kontrollieren acht Grosskonzerne<br />

(Monsanto, Syngenta, BASF, DuPont,<br />

Dow, Bayer, Limagra<strong>in</strong>, Land O’Lakes)<br />

den Saatgutmarkt bei den für die Ernährung<br />

wichtigen Kulturen wie Reis<br />

oder Mais zu über 80 Prozent. Diese Firmen<br />

tauschen gegenseitig Patente aus,<br />

schliessen sich fallweise zu Jo<strong>in</strong>t Ventures<br />

zusammen <strong>und</strong> bauen ihre Marktmacht<br />

damit rasant aus.<br />

Patentierung<br />

Der beschriebene Konzentrations- <strong>und</strong><br />

Konsolidierungsprozess wurde <strong>in</strong> den<br />

vergangenen Jahren vor allem durch<br />

die Patentierung von Lebewesen stark<br />

beschleunigt. Heute können sogar Gensequenzen<br />

patentiert werden. So ist es<br />

durchaus möglich, dass e<strong>in</strong>e neue Sorte<br />

Träger<strong>in</strong> mehrerer, patentierter Gene ist,<br />

die verschiedenen Firmen gehören. Die<br />

Besitzer dieser Patente geben die Nutzung<br />

häufig nur dann frei, wenn die zukünftige<br />

Nutzerfirma ihnen im Gegenzug<br />

Zugang zu deren patentierten Genen gibt<br />

oder hohe Lizenzen zahlt. Wer also ke<strong>in</strong><br />

eigenes patentiertes Gen anzubieten hat<br />

oder die hohen Lizenzabgaben nicht zahlen<br />

kann, der ist sehr schnell weg vom<br />

Fenster.<br />

Gesetze<br />

Stossend wird die Situation, wenn Staatengeme<strong>in</strong>schaften<br />

zusätzlich gesetzliche<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen schaffen, die<br />

diesen Konzentrationsprozess durch<br />

restriktive Saatgutverkehrs- oder Sortenschutzgesetze<br />

erst noch im S<strong>in</strong>ne der<br />

mächtigen Saatgutlobby fördern. Teure<br />

behördliche Zulassungsgebühren brechen<br />

den bereits am Limit produzierenden<br />

kle<strong>in</strong>en Züchterfirmen vollends das<br />

Genick.<br />

Die Vielfalt <strong>in</strong> den Hausgärten<br />

ist gefährdet<br />

Hausgärten s<strong>in</strong>d Horte grosser Biodiversität.<br />

Wie das Beispiel Roggli exemplarisch<br />

zeigt, s<strong>in</strong>d es gerade diese für den<br />

Kle<strong>in</strong>gebrauch bestimmten Sorten, die <strong>in</strong><br />

Zukunft noch schneller vom Markt verschw<strong>in</strong>den<br />

<strong>und</strong> durch Hightechsorten ersetzt<br />

werden, wenn man diesem Prozess<br />

nicht gegensteuert.<br />

<strong>ProSpecieRara</strong> hat <strong>in</strong> den vergangenen Jahren<br />

gezeigt, dass dies möglich ist. Besonders<br />

im Saatgutmarkt der Kle<strong>in</strong>bauern <strong>und</strong> Privatgärtner<strong>in</strong>nen<br />

lebt die Sortenvielfalt noch. Für<br />

diesen müssen Voraussetzungen geschaffen<br />

werden, die es erlauben, weitere Verluste zu<br />

verh<strong>in</strong>dern.<br />

Vielfalt für alle!<br />

Das Motto für die Arbeit von <strong>ProSpecieRara</strong><br />

wird auch im neuen Jahr «Vielfalt für alle» lauten!<br />

Damit Sie als Garten- oder Balkonsbesitzer<strong>in</strong><br />

weiterh<strong>in</strong> Zugang zu den Gartensorten<br />

haben <strong>und</strong> ihnen Alternativen zu den hoch<br />

gezüchteten Industriesorten zur Verfügung<br />

stehen. Dafür ist unser Engagement nicht<br />

nur im Inland sondern vermehrt auch im europäischen<br />

Umfeld nötig.<br />

Wir danken Ihnen ganz herzlich für Ihre grosse<br />

Unterstützung <strong>und</strong> wünschen Ihnen e<strong>in</strong>e<br />

w<strong>und</strong>erschöne Weihnachtszeit.<br />

Béla Bartha<br />

Geschäftsführer<br />

Weiterführende Informationen zum Thema:<br />

www.prospecierara.ch<br />

Danke für Ihre Unterstützung!<br />

<strong>ProSpecieRara</strong><br />

GönnerPlus: ab 100 CHF/Jahr<br />

Gönner: ab 50 CHF/Jahr<br />

Juniorgönner (bis 25 Jahre): ab 25 CHF/Jahr<br />

Tier-Patenschaft 150 CHF bis 450 CHF/Jahr<br />

Baum-Patenschaft 250 CHF/Jahr<br />

PC 90-1480-3, <strong>ProSpecieRara</strong>, 5000 Aarau<br />

IBAN CH 2909000000900014803<br />

BIC POFICHBEXXX<br />

Hauptsitz, Pfr<strong>und</strong>weg 14<br />

5000 Aarau, Schweiz<br />

Tel. 062 832 08 20, Fax 062 832 08 25<br />

<strong>in</strong>fo@prospecierara.ch<br />

www.prospecierara.ch<br />

2


<strong>ProSpecieRara</strong> | Weihnachtsbullet<strong>in</strong> 2010<br />

Weiss ist Trumpf<br />

Auf dem «Geissenhof Füberg» der Familie<br />

Hässig spielen Appenzellerziegen<br />

die Hauptrolle – dank e<strong>in</strong>em <strong>ProSpecieRara</strong>-Käse…<br />

75 langhaarige Schönheiten umgeben<br />

Andrea <strong>und</strong> Andreas Hässig, als ich sie<br />

im toggenburgischen Oberhelfenschwil<br />

besuche. Unser Gespräch f<strong>in</strong>det im neu<br />

ausgebauten Stall statt, umr<strong>in</strong>gt von der<br />

bee<strong>in</strong>druckenden Herde schneeweisser<br />

Appenzellerziegen, die uns vorwitzig an<br />

den Hosenbe<strong>in</strong>en zupfen <strong>und</strong> uns die<br />

Schuhbändel öffnen.<br />

Von der Kuh zur angepassten Ziege<br />

Vor zwei Jahren suchte die Familie Hässig<br />

nach e<strong>in</strong>em neuen Betriebszweig.<br />

«Unser alter Kuhstall war veraltet <strong>und</strong><br />

die Kälbermast machte uns ke<strong>in</strong>e Freude<br />

mehr,» erzählt Andreas. «Dazu kam, dass<br />

sich unsere hügeligen Weiden eigentlich<br />

viel besser für die Haltung von Schafen<br />

oder Ziegen eignen als für Grossvieh.»<br />

Dass bei der Neuorientierung die Ziegen<br />

das Rennen machten, ist auch der<br />

Leidenschaft von Andrea für die klugen<br />

Vierbe<strong>in</strong>er zuzuschreiben. «Ich hatte<br />

schon immer Ziegen,» sagt sie <strong>und</strong><br />

schwärmt vom sanftmütigen Wesen der<br />

Toggenburgerziegen, die den Hof Füberg<br />

schon vorher zum Geissenhof machten.<br />

An die Tatsache, dass im Zusammenhang<br />

mit der neuen Betriebsidee Appenzellerziegen<br />

e<strong>in</strong>zogen, musste sie sich<br />

erst gewöhnen. Deren ruhiger Charakter<br />

<strong>und</strong> deren Robustheit überzeugten sie<br />

jedoch bald. Und e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe der<br />

hellbraunen Toggenburger dürfen auch<br />

weiterh<strong>in</strong> mit ihren weissen Kolleg<strong>in</strong>nen<br />

mitlaufen.<br />

Mehr Ziegen dank erfolgreichem Käse<br />

Nach der Besichtigung des neuen Melkstandes<br />

<strong>in</strong>teressiert mich der gekühlte<br />

Tank-Anhänger. Mit ihm br<strong>in</strong>gt Andreas<br />

die Milch zweimal pro Woche <strong>in</strong> die Käserei<br />

von Matthias Koch im zwanzig M<strong>in</strong>uten<br />

entfernten appenzellischen Gonten,<br />

wo der weisse Rohstoff zu fe<strong>in</strong>em<br />

Frischkäse veredelt wird. Als <strong>in</strong>novativer<br />

Käser lancierte Matthias Koch zusammen<br />

mit <strong>ProSpecieRara</strong>, dem Schweizerischen<br />

Ziegenzuchtverband <strong>und</strong> mit<br />

Coop im Jahr 2007 e<strong>in</strong>en Ziegenkäse,<br />

der exklusiv aus Milch von Appenzellerziegen<br />

gewonnen wird. Der Absatz<br />

dieser Spezialität entwickelte sich so<br />

erfreulich, dass bald mehr Milch der seltenen<br />

Ziegen benötigt wurde. Andreas,<br />

der auf der Suche nach e<strong>in</strong>em Abnehmer<br />

war, kam diese Situation entgegen: «Für<br />

mich war es zuerst e<strong>in</strong> wenig seltsam,<br />

dass die Milch von Appenzellerziegen<br />

stammen muss. Heute b<strong>in</strong> ich aber sehr<br />

zufrieden mit me<strong>in</strong>em Entscheid für die<br />

weissen Geissen.»<br />

Dass für die Ziegenmilchproduktion im<br />

grösseren Stil mit e<strong>in</strong>er gefährdeten<br />

Rasse wie der Appenzellerziege gearbeitet<br />

wird, ist ungewohnt. Wenn Milchmenge<br />

gefragt ist, kommen meist leistungsstärkere<br />

Tiere wie z.B. die Saanenziegen<br />

zum E<strong>in</strong>satz. Für die Appenzeller<strong>in</strong>nen<br />

sprachen nebst der Abnahmegarantie<br />

<strong>in</strong>s <strong>ProSpecieRara</strong>-Käse-Projekt ihre Robustheit<br />

<strong>und</strong> ihr ausgeglichener Charakter<br />

als wichtiger Aspekt für e<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

Gruppenhaltung der Tiere.<br />

Als L<strong>in</strong>us, der 12-jährige Sohn auftaucht,<br />

werden die Tiere unruhig, denn der<br />

tägliche Gang zur Weide ist überfällig.<br />

Schnell bricht er e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Haselrute<br />

ab <strong>und</strong> schon läuft die Schar fl<strong>in</strong>k h<strong>in</strong>ter<br />

dem Jungen her über den Feldweg zur<br />

Weide. Fasz<strong>in</strong>iert sehe ich ihm zu <strong>und</strong><br />

freue mich darüber, wie e<strong>in</strong>e fast vergessene<br />

Ziegenrasse Renaissance feiert.<br />

Philippe Ammann, Bereichsleiter Tiere<br />

▲ Andreas <strong>und</strong> Andrea Hässig mit den Gitzi,<br />

die 2010 auf dem Füberg geboren wurden.<br />

▲ Die robusten <strong>und</strong> zutraulichen Appenzellerziegen<br />

s<strong>in</strong>d gute Milchproduzent<strong>in</strong>nen.<br />

▲ Sohn L<strong>in</strong>us führt die 75 Ziegen auf die<br />

herbstliche Weide.<br />

▲ Der Erfolg der Appenzellerziegen-Frischkäsli<br />

lässt die Ziegenherden wachsen.<br />

Weitere Informationen über den «Geissenhof<br />

Füberg»: www.geissenhof.ch<br />

Fotos ??<br />

Fotos ?? Fotos ??<br />

Fotos ??<br />

3


Von der Absicherung zur Nutzung – so k<br />

Geniessen<br />

Auf dem Land s<strong>in</strong>d private Vielfaltsgärten mit<br />

<strong>ProSpecieRara</strong>-Gemüse da <strong>und</strong> dort zu sehen.<br />

So mancher Stadtbewohner zieht se<strong>in</strong>e<br />

Liebl<strong>in</strong>gs sorten auf dem Balkon.<br />

E<strong>in</strong>e schmackhafte Toma<br />

tisch – welch e<strong>in</strong> Genus<br />

Vermarkten<br />

Im «Sortenf<strong>in</strong>der», dem Saat- <strong>und</strong> Pflanzgutkatalog<br />

bieten Sortenbetreuer <strong>und</strong> Partner den<br />

Gönnern ihr eigenes Saatgut an. R<strong>und</strong> 600<br />

Sorten f<strong>in</strong>den so den Weg <strong>in</strong> Privatgärten.<br />

Auf diversen Setzl<strong>in</strong>gsmärkten von <strong>ProSpecieRara</strong><br />

entdecken neugierige Gärtner<strong>in</strong>nen im<br />

Frühl<strong>in</strong>g ihre geliebten Raritäten.<br />

Erhalten<br />

In der Schweiz engagieren sich über 300 Hobbygärtner<br />

freiwillig <strong>und</strong> unentgeltlich für die Erhaltung<br />

der Sorten. Sie s<strong>in</strong>d die Sortenbetreuer<br />

von <strong>ProSpecieRara</strong>.<br />

Als professionelle biolog<br />

Sativa Rhe<strong>in</strong>au über 140<br />

<strong>in</strong> ihrem Sortiment.<br />

Absichern<br />

In der Samenbibliothek, im Zentrum des Erhaltungs<br />

über 1000 Garten-, Acker- <strong>und</strong> Zierpflanzen. Dieses


ommen <strong>ProSpecieRara</strong>-Sorten zu Ihnen!<br />

te auf dem Familiens!<br />

Privaten Festen geben seltene Köstlichkeiten<br />

e<strong>in</strong>e besondere Note.<br />

Geniessen<br />

Innovative Gastronomen zaubern für ihre<br />

Gäste ausgeklügelte Menus <strong>und</strong> besondere<br />

Geschmacks nuancen auf die Teller.<br />

Im Coop s<strong>in</strong>d Baselbieter Röteli, Gezahnte<br />

Tomate, Küttiger Rüebli <strong>und</strong> e<strong>in</strong>ige weitere fast<br />

ausgestorbene Sorten wieder erhältlich.<br />

Bioläden, Gemüsebauern, Hofläden <strong>und</strong><br />

Wochen marktfahrer stellen als <strong>ProSpecieRara</strong>-<br />

Gütesiegelbetriebe den K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong> reichhaltiges<br />

Angebot seltener Sorten zur Verfügung.<br />

Vermarkten<br />

ische Saatgutfirma führt<br />

<strong>ProSpecieRara</strong>-Sorten<br />

Öffentlich zugängliche Gärten, wie der Schossgarten<br />

Wildegg, ernten Saatgut von bedrohten<br />

Sorten.<br />

Erhalten<br />

netzwerkes von <strong>ProSpecieRara</strong>, lagert Saatgut von<br />

wird für Vermehrungen ausgeliehen.<br />

Absichern


<strong>ProSpecieRara</strong> | Weihnachtsbullet<strong>in</strong> 2010<br />

E<strong>in</strong> Züchter gibt auf<br />

▲<br />

▲<br />

▲<br />

▲<br />

Rudolf Roggli mit den Züchtungen se<strong>in</strong>er<br />

Vorfahren – ‹Eiger› (gelb) <strong>und</strong> ‹Kander›<br />

(blau)<br />

Heute nur noch selten <strong>in</strong> den Gärten – das<br />

Roggli-Stiefmütterchen ‹Blüemlisalp›<br />

Ke<strong>in</strong> Sortenbewusstse<strong>in</strong> mehr – heute<br />

gibt’s die Hybridsorte ‹Viola F1› als billige<br />

Massenware<br />

Die Kohlrabisorte ‹Blaro› ist nun <strong>in</strong> der Obhut<br />

von Sativa Rhe<strong>in</strong>au <strong>und</strong> <strong>ProSpecieRara</strong><br />

Foto Markus Zuber, 5024 Küttigen<br />

Foto ?????<br />

Foto ?????<br />

Foto ?????<br />

Ob ‹Dänkeli›, ‹Stiefmüeterli› oder ‹Pensée›<br />

– die Rede ist immer von der Viola<br />

wittrockiana, dem Garten-Stiefmütterchen,<br />

das es heute <strong>in</strong> unzähligen Farben,<br />

Formen <strong>und</strong> Grössen zu kaufen<br />

gibt. Bis <strong>in</strong> die 1990er Jahre gehörten<br />

die Roggli-Stiefmütterchen mit ihren<br />

heimatverb<strong>und</strong>enen Namen wie ‹Blüemlisalp›<br />

oder ‹Eiger› zu den begehrtesten<br />

Sorten. Im Frühl<strong>in</strong>g 2010 musste Rudolf<br />

Roggli, der die Firma Rudolf Roggli AG<br />

<strong>in</strong> dritter Generation leitet, die Saatgutvermehrung<br />

<strong>und</strong> Zucht aus wirtschaftlichen<br />

Gründen aufgeben. Das betrifft<br />

auch die beiden Roggli-Kohlrabi-Sorten<br />

‹Lanro› <strong>und</strong> ‹Blaro›.<br />

<strong>ProSpecieRara</strong>: Weshalb rentiert sich<br />

die Stiefmütterchenzucht nicht mehr?<br />

Rudolf Roggli: Die Nachfrage nach alten<br />

Sorten ist <strong>in</strong> den letzten Jahren extrem<br />

e<strong>in</strong>gebrochen. Früher haben die Gärtnereien<br />

ihre eigenen Setzl<strong>in</strong>ge angezogen,<br />

<strong>und</strong> das Bewusstse<strong>in</strong> für spezielle Sorten<br />

war sowohl beim Gärtner als auch beim<br />

Konsumenten ausgeprägt. Heute wird nur<br />

noch nach Farbe gekauft. Zudem werden<br />

Stiefmütterchen heute im Frühl<strong>in</strong>g gekauft;<br />

früher setzte man sie im Herbst,<br />

damit sie dann im Frühl<strong>in</strong>g blühen. Die<br />

heutigen F1-Hybriden, Sorten also, die<br />

schneller <strong>und</strong> e<strong>in</strong>heitlicher wachsen, die<br />

aber nicht mit herkömmlichen Methoden<br />

vermehrt <strong>und</strong> gezüchtet werden können,<br />

erfüllen diese modernen Ansprüche. Aber<br />

den Züchtungsaufwand können sich nur<br />

noch Grossfirmen leisten.<br />

Wie zeigt sich dieser Niedergang?<br />

In den 1960er <strong>und</strong> 70er Jahren verkauften<br />

wir r<strong>und</strong> 350 Kilo Stiefmütterchen-<br />

Saatgut pro Jahr, was für 140 Millionen<br />

Pflanzen reichte. Wir mussten <strong>in</strong> der Folge<br />

die Produktion sogar nach Griechenland<br />

ausweiten, weil wir mit der Schweizer Produktion<br />

die Nachfrage nicht decken konnten.<br />

Heute verkaufen wir noch r<strong>und</strong> vier<br />

Kilo. Dieser Rückgang kam sehr schnell –<br />

2006 haben wir noch r<strong>und</strong> 20 Kilo verkauft.<br />

Zur Glanzzeit war das Geschäft<br />

auch wirtschaftlich <strong>in</strong>teressant; seit e<strong>in</strong>igen<br />

Jahren verdienen wir unser Geld aber<br />

fast ausschliesslich mit der Setzl<strong>in</strong>gsanzucht<br />

für Gärtnereien – zur Hauptsache<br />

aus e<strong>in</strong>gekauftem Saatgut.<br />

Wie geht es weiter<br />

mit den Roggli-Sorten?<br />

So wie es momentan aussieht nehmen<br />

sich die Gartenbauschule Hünibach <strong>und</strong><br />

<strong>ProSpecieRara</strong> den Roggli-Stiefmütterchen<br />

an. Ich werde diese Vermehrung<br />

auch gerne mit Rat <strong>und</strong> Tat unterstützen,<br />

möchte mich dann aber auch mal<br />

zurückziehen können. Das «Problem» bei<br />

den Stiefmütterchen ist, dass sie nicht so<br />

e<strong>in</strong>fach selber vermehrt werden können.<br />

Die Sorten verkreuzen leicht mit anderen<br />

<strong>und</strong> «verwässern» so. Deshalb muss man<br />

als Züchter am Ball bleiben, <strong>und</strong> immer<br />

wieder ganz gezielt Auslese betreiben.<br />

Jede e<strong>in</strong>zelne Farbe muss auch räumlich<br />

getrennt produziert werden, damit ke<strong>in</strong>e<br />

falschen Farbkreuzungen entstehen. Deshalb<br />

b<strong>in</strong> ich froh, dass <strong>ProSpecieRara</strong> mit<br />

der Gartenbauschule e<strong>in</strong>e Partner<strong>in</strong> gef<strong>und</strong>en<br />

hat, die wirtschaftlich nicht von<br />

den Stiefmütterchen abhängig ist, die<br />

aber dank dieser Arbeit auch ihren Schülern<br />

e<strong>in</strong>en spannenden E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die<br />

Pflanzenzucht geben kann.<br />

Und die Kohlrabi?<br />

Auch diese werden wir nicht weiter züchten<br />

<strong>und</strong> vermehren, da die Nachfrage zu<br />

ger<strong>in</strong>g ist. Zwar wären unsere beiden Sorten<br />

für den Hausgarten perfekt – sie s<strong>in</strong>d,<br />

auch wenn sie grösser geerntet werden,<br />

sehr zart, tolerant gegenüber Spätfrösten<br />

<strong>und</strong> sie reifen nicht alle auf e<strong>in</strong>mal. Dieser<br />

letzte Punkt ist sicher e<strong>in</strong>er, der gegen<br />

die <strong>in</strong>dustrielle Vermarktung spricht,<br />

denn dort soll alles mite<strong>in</strong>ander geerntet<br />

werden können. Da die Hobby-Gärtner<br />

beim Gemüse nur e<strong>in</strong>en kle<strong>in</strong>en Marktanteil<br />

haben, lohnt es sich nicht, extra für<br />

sie zu produzieren. Die Sativa Rhe<strong>in</strong>au AG<br />

wird sich zusammen mit ProSpecie Rara<br />

um die Erhaltung der Kohlrabisorten<br />

kümmern. So gehen sie nicht ganz ver-<br />

6


<strong>ProSpecieRara</strong> | Weihnachtsbullet<strong>in</strong> 2010<br />

loren <strong>und</strong> bleiben gerade auch für den<br />

Hobby-Gärtner erhalten.<br />

Was bedeutet es für Sie, dass diese<br />

Roggli-Sorten praktisch verschw<strong>in</strong>den?<br />

Es ist wohl der Lauf der Zeit, da kann man<br />

nichts machen. Es geht ja nicht nur mir<br />

so, sondern auch den meisten anderen<br />

Züchtern. Heute gibt es praktisch ke<strong>in</strong>e<br />

privaten Züchter mehr <strong>in</strong> der Schweiz –<br />

weder bei den Zierpflanzen noch beim<br />

Gemüse.<br />

Stolz b<strong>in</strong> ich darauf, dass sich die Hauptsorten<br />

‹Eiger›, ‹Thunersee› <strong>und</strong> ‹Elite Mischung›<br />

während r<strong>und</strong> 80 Jahren erfolgreich<br />

im Markt behaupten konnten – mir<br />

s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e anderen Stiefmütterchensorten<br />

bekannt, die so erfolgreich waren. Für<br />

viele neuen Sorten haben die Züchter auf<br />

Roggli-Sorten zurückgegriffen, denn über<br />

lange Zeiten führte ke<strong>in</strong> Weg an ihnen<br />

vorbei. Insofern leben sie so <strong>in</strong> neuer<br />

Form noch weiter.<br />

Interview: Nicole Egloff, Medienverantworliche<br />

Impressum Das <strong>Bullet<strong>in</strong></strong> ersche<strong>in</strong>t drei Mal jährlich<br />

<strong>in</strong> deutscher, französischer <strong>und</strong> italienischer<br />

Sprache | Herausgeber<strong>in</strong> Stiftung ProSpecie Rara,<br />

Aarau, Schweiz | Texte Béla Bartha, Philippe Ammann,<br />

Nicole Egloff, Marianna Serena | Redaktion<br />

Anna Kornicker | Layout <strong>und</strong> Satz Esther Schreier,<br />

Basel; Gestaltung Titelseite: Reaktor AG, Lenzburg<br />

| Druck Pr<strong>in</strong>t Media Works, Schopfheim | Papier<br />

M<strong>und</strong>oPlus, 100% Recycl<strong>in</strong>g, 120g/m 2 | Auflage<br />

20 000 Expl.<br />

Fotos Pro SpecieRara | Fotos Titelseite (v.l.n.r.)<br />

Tête de Mo<strong>in</strong>e vom Rätischen Grauvieh, siehe<br />

www.fermelafleur.ch; Roggli-Stiefmütterchen ‹Eiger›<br />

(Foto Markus Zuber, 5024 Kütt<strong>in</strong>gen); Haferwurz-<br />

Wähe; Pressen des ‹Rüütemoscht› im Obstsortengarten<br />

Zof<strong>in</strong>gen<br />

Legat für die Vielfalt<br />

Obstgärten, Sammlungen verschiedener Kulturpflanzen,<br />

erhaltenswerte Nutztierrassen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> ihrer Vielfalt Garanten<br />

unserer Nahrungssicherheit <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e würdige Investition<br />

<strong>in</strong> die Zukunft. Herzlichen Dank, dass Sie an sie<br />

denken.<br />

Foto Markus Zuber, 5024 Küttigen<br />

Mit e<strong>in</strong>em Legat können Sie e<strong>in</strong> Zeichen setzen<br />

Vergleichbar mit dem Pflanzen e<strong>in</strong>es Hochstammbaumes<br />

oder dem Anlegen e<strong>in</strong>es englischen Gartens. Menschen,<br />

die Pflanzen gesetzt oder Gärten gestaltet haben, werden<br />

ihr Werk niemals <strong>in</strong> voller Ausprägung zu Gesicht bekommen<br />

<strong>und</strong> dennoch wissen sie mit Sicherheit, dass dank<br />

ihnen etwas Wertvolles über den Tod h<strong>in</strong>aus Bestand<br />

haben wird. Die Stiftung <strong>ProSpecieRara</strong> bietet viele Möglichkeiten,<br />

zukünftige Generationen zu beschenken.<br />

Unser Geschäftsführer Béla Bartha steht Ihnen für<br />

weitere Auskünfte gerne zur Verfügung.<br />

Telefon +41 62 832 08 21<br />

Weihnachtsangebot<br />

Osterfee <strong>und</strong> Amazone<br />

Das reich bebilderte Buch präsentiert<br />

r<strong>und</strong> e<strong>in</strong>h<strong>und</strong>ert alte Beerensorten. Es<br />

schildert ausführlich, wie Beerenobst e<strong>in</strong><br />

Teil unserer häuslichen Kultur wurde, gibt<br />

praktische H<strong>in</strong>weise zu Anbau <strong>und</strong> Pflege<br />

im Hausgarten sowie Ideen für die Verarbeitung.<br />

Die Deutsche Gartenbaugesellschaft hat<br />

«Osterfee <strong>und</strong> Amazone» unter die Top 5 der Gartenbücher<br />

2007 gewählt.<br />

Sortengärten <strong>und</strong> Arche-Höfe<br />

Der Ausflugsführer zu Sortengärten <strong>und</strong><br />

Arche-Höfen br<strong>in</strong>gt Ihnen die Vielfalt unserer<br />

bedrohten Nutzpflanzen <strong>und</strong> Nutztiere<br />

näher <strong>und</strong> stellt e<strong>in</strong> Schaunetz mit 52 Orten<br />

<strong>in</strong> der ganzen Schweiz vor, <strong>in</strong> denen die traditionellen<br />

Sorten <strong>und</strong> Rassen hautnah erlebt<br />

werden können. Besuchen Sie unsere<br />

Sortengärten mit Gemüse, Kartoffeln <strong>und</strong><br />

Zierpflanzen, Obstgärten, Rebberge <strong>und</strong> Nusssammlungen<br />

sowie Arche-Höfe mit seltenen Bauernhoftieren.<br />

Fotos Beat Ernst, Basel<br />

Sonderpreis: 25 CHF anstatt CHF 39.90<br />

Sonderpreis: 10 CHF anstatt 18 CHF<br />

Bestellungen an:<br />

<strong>in</strong>fo@prospecierara.ch, Tel. +41 62 832 08 20 (vormittags) oder <strong>ProSpecieRara</strong>, Pfr<strong>und</strong>weg 14, 5000 Aarau.<br />

Die Bücher schicken wir Ihnen portofrei zu.<br />

7


Mütze<br />

39. 90<br />

Coop-Inserat fehlt.....<br />

FÜR FASHION & FAIRNESS

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