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jubiheft

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Startcartoon von Uli Stein<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 3


DAS TEST-ABO<br />

3x Schädelspalter zum Preis von 5 Euro<br />

Ihr spart 2,50 Euro und bekommt als Dankeschön<br />

die aktuelle Ausgabe unseres Gastro-Führers HANNOVER GEHT AUS! geschenkt.<br />

DAS TEST-ABO<br />

Ja, ich will das<br />

SCHÄDELSPALTER-Testabo.<br />

Ja, ich will das SCHÄDELSPALTER-<br />

Testabo verschenken.<br />

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Ich erhalte 3 Ausgaben des SCHÄDELSPALTER<br />

zum Preis von 5 Euro. Nach Erhalt des dritten<br />

Heftes genügt ein schriftliche Mitteilung an den<br />

Verlag, wenn ich das Abo nicht fortsetzen will.<br />

Wenn ich mich nicht melde, verlängert sich das<br />

Abonnement um 12 Monate zum Preis von 25<br />

Euro. Das Jahres-Abonnement ist jeweils drei<br />

Monate vor Ende des Bezugsjahres kündbar.<br />

Als Dankeschön erhalte ich nach Zahlung die<br />

aktuelle Ausgabe von HANNOVER GEHT AUS!<br />

Die Lieferanschrift für das Geschenkabo:<br />

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Datum, 1. Unterschrift<br />

Widerrufsrecht. Mir ist bekannt, dass ich diesen Vertrag innerhalb von<br />

7 Tagen (Datum des Poststempels) durch eine schriftliche Mitteilung an den<br />

Verlag widerrufen kann. Ich bestätige dies mit meiner 2. Unterschrift<br />

Datum, 2. Unterschrift<br />

JUBIHEFT<br />

Bitte senden Sie Ihre Bestellung an: R&T Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH . Hallerstraße 27 . 30161 Hannover<br />

oder per email an abo@schaedelspalter.de . Bei Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung: Telefon 0511-340 24 16


Editorial<br />

Geschichte wird gemacht, es geht voran!<br />

Am Anfang war der Blitz:<br />

Die erste Ausghabe des Schädelspalter<br />

geizt nicht mit neuen Reizen<br />

„Auf keinem Aug blind, nie langweilig und weiterhin<br />

nicht gesellschaftsfähig“ stand vor 20 Jahren als modus<br />

operandi in unserem 20-Jahre-Schädelspalter-Jubiläumsheft.<br />

Nun sind schon wieder 20 Jahre vergangen und dem<br />

Motto von vor 20 Jahren fühle ich mich noch immer sehr<br />

verbunden. Als wir, Reinhard Mahl und ich, 1976<br />

beschlossen ein Stadtmagazin zu gründen, hatten wir<br />

nicht im Traum daran gedacht, auch nur zehn Jahre zu<br />

schaffen. Und nun? Ob die Geschichte des Schädelspalter<br />

auch ein wenig Stadtgeschichte geworden ist, sollen<br />

andere beurteilen. Ich jedenfalls blicke mit großem<br />

Staunen auf diese 40 Jahre zurück. Für wirtschaftliche<br />

Sicherheiten habe ich gesorgt, ein wenig an der<br />

Verpackung gefeilt, aber ansonsten keinen Einfluss<br />

auf Inhalte genommen. Der Spalter selbst hat sich<br />

seinen Weg gebahnt - durch die politisch bewegten<br />

Siebziger, hinein in die wilden Achtziger, wieder raus<br />

in die stylischen Neunziger und ab in’s digitale Jahrtausend.<br />

Manchmal flogen wir im Zickzack-Kurs,<br />

aber irgendwie war’s doch immer auf Schädelspalter-<br />

Linie. Wie bewegt diese Reise war, könnt ihr in<br />

diesem Heft nachlesen. Die Chefredakteure erinnern<br />

sich an ihre aufregendsten Geschichten, die Fotografen<br />

an ihre besten Schnappschüsse. Nebenbei<br />

erfahren alle, die es noch nicht wussten, dass heute<br />

bekannte Politiker mal als Spalter-Undercover-Agenten<br />

arbeiteten. Wie auch der Chefredakteur der Zeit einst auf<br />

der Spalter-Honorarliste stand. Heute aber wollen wir<br />

euch animieren, in diesem Heft wie in einem Geschichtsbuch<br />

oder Familienalbum zu blättern. Und in Erinnerungen<br />

zu schwelgen. Und einmal darüber nachzudenken,<br />

was sich in diesen 40 Jahren bedeutsames<br />

getan und verändert hat. Oder um mit den Fehlfarben<br />

zu sprechen: Keine Atempause. Geschichte wird<br />

gemacht. Es geht voran. Und: Pfirsiche sind lecker!<br />

Auch aus der Dose!<br />

Der Startcartoon<br />

Von Uli Stein .................................... 3<br />

Der Spalter lebe hoch!<br />

Die Grußworte ................................ 6<br />

Wenn Opa erzählt...<br />

Die Spalter-Chefredakteure ...... 10<br />

Bunte Stadtgeschichte<br />

Die Spalterchronik ...................... 20<br />

Das Auge liest mit<br />

Die Spalter-Fotografen .............. 28<br />

Thomas Steinhausen<br />

IMPRESSUM . HERAUSGEBER R&T Verlags- u. Vertriebsges.mbH, Geschäftsführer: Thomas Steinhausen, Michael Willems CHEFREDAKTION & GESTALTUNG<br />

Thomas Steinhausen REDAKTION Bernd Schwope ANZEIGEN Bernhard de Buhr (Leitung), Julia Bothe, Ulrike Hochbaum VERTRIEB Bernhard de Buhr DRUCK<br />

Frank Druck GmbH & Co. KG, Preetz/Holstein AUFLAGE 180.000 Exemplare VERLAG Die SCHÄDELSPALTER-Jubiläumsausabe ist eine Sonderveröffentlichung der<br />

R&T Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH und liegt als Beilage in der HAZ/NP-Gesamtausgabe vom 27.10.2016 sowie der November-Ausgabe des SCHÄDELSPALTER<br />

bei. © R&T Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH, Hallerstraße 27, 30161 Hannover, Tel.: 0511-340 240, Fax: 0511-340 24 64, eMail: redaktion@schaedelspalter.de<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 5


Grußworte aus aller Welt<br />

„40 Jahre Spalter - er lebe hoch!“<br />

hat die Eventszene mit seinen Veranstaltungskalendern,<br />

periodischen Spezialausgaben und Onlineaktivitäten<br />

transparent gemacht. Er spaltet<br />

nicht, sondern ist eine Institution geworden,<br />

trotz vielfacher Medienumbrüche und Werbemarktveränderungen.<br />

Es gibt ein treues Publikum,<br />

das den Erscheinungsterminen entgegenfiebert.<br />

Die Benennung des Objektes als „Schädelspalter“<br />

vor 40 Jahren war mutig, etwas verrückt,<br />

aber unter Marketinggesichtspunkten genial.<br />

Es hat die spätere Hinwendung zu einem<br />

veränderten Comedybegriff wie z.B. auch das<br />

„Frühstyxradio“ vorweggenommen.<br />

Ich wünsche dem Schädelspalter trotz oder gerade<br />

wegen der Entwicklung des mobile devices ein<br />

langes Leben als analoges Objekt.<br />

Uli Stein<br />

Spalter-Cartoonist der ersten Stunde,<br />

Bücher mit seinen Cartoons verkauften sich<br />

weltweit über 10 Millionen Mal, auch als<br />

Fotograf tätig.<br />

Das ist schon so lange her. Erinnere mich noch<br />

an ein Titelbild, das ich für eines der ersten Hefte<br />

fotografiert habe - was ich in den Siebzigern<br />

alles für den Schädelspalter gezeichnet habe,<br />

weiss ich nicht mehr so genau. War aber wohl einiges.<br />

Verdanken tue ich dem Schädelspalter eine<br />

wundervolle Freundschaft: In einem der ersten<br />

Hefte gab es eine winzige Abbildung eines Portraits<br />

von Ronnie Wood, das ich großartig fand.<br />

Die Redaktion hatte mir einen Kontakt zu dem<br />

Künstler hergestellt, den ich unbedingt kennenlernen<br />

wollte. Es war Sebastian Krüger, den ich<br />

damals besucht habe - mittlerweile der beste und<br />

erfolgreichste Porträtmaler der Welt. Er ist mir<br />

ein guter Freund geworden.<br />

Viele Jahre später habe ich dann (neben zahlreichen<br />

anderen phantastischen Gemälden, die ich<br />

im Laufe der Zeit von ihm erworben habe) auch<br />

dieses in meine Sammlung bekommen und freue<br />

mich heute immer noch genauso über das Bild,<br />

wie an dem Tag, als ich es vor 40 Jahren im<br />

Schädelspalter entdeckt hatte.<br />

Dr. Friedhelm Haak<br />

Geschäftsführender Gesellschafter<br />

Haak & Compagnie mbH,<br />

Gesellschaft für Beteiligungen.<br />

Ich gratuliere dem<br />

Schädelspalter als einer<br />

lebendigen Zeitschrift<br />

in der Medienlandschaft,<br />

seinen<br />

Gesellschaftern<br />

und allen Mitarbeitern<br />

zu 40 Jahren erfolgreichen<br />

Wirkens<br />

in der Kulturlandschaft<br />

der Region.<br />

Der Schädelspalter<br />

Giovanni di Lorenzo<br />

Chefredakteur Die Zeit,<br />

Mitherausgeber des Berliner Tagesspiegels,<br />

Moderator der Talkshow 3 nach 9<br />

bei Radio Bremen, Ex-Schädelspalter-Autor<br />

und Neue-Presse-Volontär.<br />

Ich freue mich so, dass es den Schädelspalter<br />

noch gibt! Aus meiner Jugend in Hannover ist er<br />

nicht wegzudenken. Er galt bei uns als cool, alternativ<br />

bis subversiv und – ja – jung.<br />

Ich weiß nicht, ob es die alten Kämpen vom<br />

Schädelspalter vielleicht noch in Erinnerung haben,<br />

aber diese Verehrung<br />

war in meinem<br />

Fall recht einseitig.<br />

Überhaupt bin ich in<br />

Hannover zwar zum<br />

Journalismus initiiert<br />

worden – vor allem<br />

durch einen fantastischen<br />

Ressortleiter der<br />

Hannoverschen Neuen<br />

Presse – aber insgesamt<br />

nicht gerade<br />

ermutigt worden. Nee, das ist jetzt schöngeredet:<br />

In Hannover wäre ich gescheitert, noch bevor es<br />

hätte losgehen können. Die Hannoversche Neue<br />

Presse wollte mich nicht als Redakteur übernehmen.<br />

Ein von uns allen damals sehr bewunderter<br />

Punk-Journalist namens Hollow Skai bescheinigte<br />

mir, ich sei ein netter Kerl, aber eben<br />

doch mehr so eine „Kaffeehaus-Gestalt“ – was<br />

mir nicht ganz eingeleuchtet hat, weil ich meine<br />

Jugend eben leider nicht in Kaffeehäusern oder<br />

Kneipen verbracht habe, das werfe ich mir heute<br />

noch vor. Und auch beim Schädelspalter fass-<br />

FOTOS: PRIVAT / JIM RAKETE FÜR DIE ZEIT“<br />

6 1976 - 2016


Grußworte aus aller Welt<br />

FOTOS: NDR/LAURENCE CHAPERON<br />

te man meine wenigen Versuche, dort etwas unterzubringen,<br />

eher mit spitzen Fingern an als sie<br />

mit Freude entgegenzunehmen.<br />

Ich meine, ein Interview mit Sergio Corbucci,<br />

dem Regisseur von „Leichen pflastern seinen<br />

Weg“ („Il grande silenzio“), unterbekommen zu<br />

haben, es war aber schon zuvor in der Zeitschrift<br />

Cult erschienen. Mir blieb also nichts als die<br />

Flucht.<br />

Aber ich freue mich, dass es das Heft noch gibt,<br />

für mich ist es jetzt, wenn ich nach Hannover<br />

zurückkomme, ein Anker. Möge uns der Schädelspalter<br />

überleben!<br />

Martin Jürgensmann<br />

auch bekannt als HannoveRaner,<br />

Comedian, Ex-Siggi&Raner.<br />

Mensch Du, 40 Jahre. Gibt’s doch nich. Wo is<br />

die Zeit geblieben? Ich wollte es nie sagen, aber<br />

jetze sage ich es: Könnte Siggi das noch erleben.<br />

Ja, weil wir hatten doch ne Zeit lang auch mitgemacht<br />

– Siggi und Raner beim Spalter. Kleine<br />

Kolumne. Coole Sache. Hatten se uns gefragt,<br />

ob wir Böcke hätten. Klar hatten wir. Schönes<br />

DIN A4 Heft in Farbe. Hochglanz. Edel. Dieses<br />

glatte Cover. Wenn du es waagerecht hältst,<br />

spiegeln sich die Kneipenlampen auf dem Papier.<br />

Und wenn du Herri drauf abstellst und das<br />

bisschen überschwappt – kannste ne Rinne<br />

draus formen und das zurück ins Glas laufen<br />

lassen. Absolut bierdicht das Blatt. Das is Qualli<br />

is das. Aber auch innerlich. Klar, ich meine,<br />

wenn einer inne 70er mit dem Titel „Schädelspalter“<br />

umme Ecke kommt, kann er kein Pussy-Heft<br />

bringen. Denn muss er konkret liefern.<br />

Immer schön über links und denn gib ihm.<br />

Schräge Perspektiven mit Fischauge.<br />

40 Jahre Spalter. Vier Fünftel von meine Lebenszeit.<br />

Erwachsen werden in Hannover. Erste<br />

Freundin, erste Band, Sturm und Drang, das<br />

Heft immer mit bei. Auf dem Weg zum Rockstar<br />

musstest du den Anzeigenschluss<br />

genau<br />

im Auge haben. Ohne<br />

Nennung im Kalender<br />

war zappenduster.<br />

Kam keiner. Mit<br />

auch nich viel mehr,<br />

aber ich glaube, das<br />

lag nich am Spalter.<br />

Wir hatten einfach<br />

nie Bock auf Üben.<br />

Egal. Der Kalender<br />

war das eine, aber der echte Ritterschlag war’n<br />

Artikel. Mit Foto und so. Der Spalter aufgeschlagen<br />

im Probenraum. „Alter, wie geil!“ Alle<br />

hannoverschen Musiker träumten denn vonne<br />

Titelseite. Aber da warn meistens schöne Frauen<br />

und wir weder das eine noch das andere. Die<br />

Latte hing eben immer hoch beim Spalter. Nix<br />

dagegen. Die Stadt kann stolz sein auf son Blatt.<br />

Ich erhebe meine Dose und sage: „Zum 40. einen<br />

herzhaften Glückwunsch!“<br />

Jürgen Trittin<br />

Bundestagsabgeordneter,<br />

Ex-Schädelspalter-Autor,<br />

Ex-Umweltminister,<br />

Ex-Vorsitzender der Grünen.<br />

Ein Pop-Kalauer<br />

zum Gähnen: Wer<br />

sich an die 80er erinnert,<br />

war nicht dabei.<br />

Die Wahrheit ist - die<br />

80er in Hannover<br />

konnte man im Spalter<br />

nachlesen. Musikalisch:<br />

„Ich kenne<br />

das Leben - ich bin<br />

im Kino gewesen“<br />

sangen Hans-A-Plast.<br />

Im Kino im Anzeigerhochhaus gab es am Wochenende<br />

„Stop Making Sense“ von den Talking<br />

Heads in Dolby-Stereo-Qualität. Es waren die<br />

Jahre, in denen Niedersachsen seinen Ruf als<br />

Skandalland zu erarbeiten begann - lange bevor<br />

Frank Hanebuths Hells Angels unter klandestiner<br />

Duldung der Polizei das Steintorviertel pazifierte.<br />

Die Landesregierung brachte es fertig,<br />

dass die Spielbank am Maschsee pleite ging -<br />

und deshalb der Innenminister Wilfried Hasselmann<br />

zurück treten musste. Am 25.07.1978<br />

gar hatte der damalige Ministerpräsident Ernst<br />

Albrecht seinen Verfassungsschutz beauftragt,<br />

ein Loch in die Mauer des Celler Knastes zu<br />

sprengen. Die Operation war nur der Auftakt<br />

einer Reihe von Geheimdienstoperationen, in<br />

denen niedersächsische Geheimdienstler<br />

Schwerkriminelle zu Taten anstifteten, und zusammen<br />

mit dem berüchtigten Privatdetektiv<br />

Werner Mauss Geheimdienstoperationen sogar<br />

in Algerien durchführten. Doch Albrecht blieb<br />

selbst nicht verschont. Zum Geburtstag des Sohnes<br />

verwüsteten Campinos Tote Hosen sein Haus<br />

in Beinhorn. Was sind heute dagegen Vrone Ferres<br />

und Carsten Maschmeyer? Albrechts Tochter<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 7


Grußworte aus aller Welt<br />

40 Jahre Spalter - „der Hannover Spirit"<br />

Röschen heißt heute Ursula von der Leyen und<br />

Siegfried Kauder singt Hosen-Songs am Wahlabend.<br />

Doch solche Geschichten machten die<br />

Mischung des Spalter aus - und Menschen wie<br />

ich freuten sich, dafür schreiben zu dürfen. Umso<br />

herzlicher gratuliere ich zum 40sten.<br />

Frank Bsirske<br />

Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di,<br />

Ex-Spalter-Autor, Ex-Stadtrat.<br />

Vier Jahre nach Herbert<br />

Schmalstieg angetreten<br />

und schon<br />

zehn Jahre länger in<br />

Funktion: 40 Jahre<br />

sind kein Alter, Spalter,<br />

aber eine hannöversche<br />

Ewigkeit.<br />

Bleibt gewöhnungsbedürftig<br />

wie euer Name,<br />

glaubt immer an<br />

Hannover und lasst<br />

euch nie an die Leine nehmen. Gratulation und<br />

viel Fortune für die nächsten Jahrzehnte!<br />

Oliver Perau<br />

Sänger der Rock-Band Terry Hoax,<br />

auch erfolgreich als Swing-Sänger unter<br />

dem Künstlernamen Juliano Rossi,<br />

Ex-Hannover-geht-aus-Autor.<br />

Damals war der Schädelspalter DAS Stadtmagazin.<br />

Fest mit der alternativen Kulturszene<br />

Hannovers verbunden, unausweichlich lesenswert,<br />

meinungsbildend und wunderbar anders.<br />

Und für mich als Musiker war es das erste<br />

Magazin, das meinen Namen bzw. den von<br />

Terry Hoax erwähnte. Mit Foto. Ein Hochgefühl,<br />

das mich von heute auf morgen innerlich<br />

berühmt machte.<br />

Dann acht Jahre später<br />

mein erstes Konzert<br />

als Swingsänger<br />

in der Spalterhalle<br />

auf der Lister Meile<br />

bei der ersten Fotoausstellung<br />

von Olaf<br />

Heine und die Diskussion<br />

mit der Chefredakteurin<br />

Bibi<br />

Schmidt, wie ich<br />

mich nennen soll. Am Ende des fünfminütigen<br />

Telefonats hieß ich Juliano Rossi. Irgendwann<br />

zwischendurch schickte mich Herausgeber<br />

Thomas Steinhausen auch mal um die Häuser<br />

- Restaurants testen. Für „Hannover geht aus“<br />

schrieb ich zwei Jahre und verband das Angenehme<br />

mit dem noch Angenehmeren. Und ohne<br />

jede Eitelkeit glaube ich, die meisten Cover<br />

der letzten 40 Jahre mit meinem jeweiligen<br />

Aussehen geziert oder weniger geziert zu haben.<br />

Die Zeiten ändern sich, die Konkurrenz<br />

wächst, die Welt wird digital und den Schädelspalter<br />

gibt es noch. Alles Gute von mir!<br />

Doris Wolff<br />

21 Jahre lang die „Gute Seele“<br />

der Spalter-Anzeigenabteilung.<br />

Happy birthday, lieber Spalter. An meinen ersten<br />

Arbeitstag beim Spalter mag ich mich gerne<br />

erinnern. Es war der 3.April 1993. Es war<br />

ein Freitag. Und es war die erste „Fisch sucht<br />

Fahrrad“-Party, die ich organisieren durfte.<br />

Wir waren bereits um halb zehn restlos ausverkauft<br />

und die Schlange ging bis zur nächsten<br />

Ecke. Ich erinnere mich auch daran, weil ich<br />

am 4.April Geburtstag<br />

habe und Mitherausgeber<br />

Reinhard<br />

Mahl noch auf die<br />

Schnelle einen Strauss<br />

Blumen besorgte.<br />

Danach habe ich 13<br />

Jahre die „Fisch sucht<br />

Fahrrad“- und die<br />

„Fisch sucht Fisch“-<br />

Partys organisiert.<br />

Sogar Sarah Connor<br />

ist einmal umsonst bei uns aufgetreten; damals<br />

hieß sie noch Sarah Grey. Ich bin der Liebe wegen<br />

vom Spalter weg, sonst wäre ich noch da.<br />

Thomas Hestermann<br />

lehrt Journalismus an der Hochschule<br />

Macromedia in Hamburg und Berlin,<br />

Ex-Spalter-Schriftsetzer.<br />

Ich fing beim Schädelspalter ganz unten an, als<br />

Schriftsetzer während meines Studiums. Am<br />

Rechner wurden die Layouts damals mit endlosen<br />

Zahlen- und Buchstabenkolonnen programmiert<br />

– und es war immer eine Überraschung,<br />

was am Ende<br />

den Entwickler verließ.<br />

Herausgeber<br />

Thomas Steinhausen<br />

war so etwas wie<br />

mein Meister in Typologie<br />

und hat mich<br />

sehr inspiriert. Ich<br />

habe meinen Gesellenbrief<br />

als Schriftsetzer<br />

gemacht und<br />

mich seitdem mehr<br />

für den Journalismus interessiert.<br />

Ich erlebte den, nun ja, Schädelspalter-Skandal<br />

mit, als Pornoqueen Teresa Orlowski aufs Titelbild<br />

geriet – wohl weniger, um das Geschäft mit<br />

der Lust zu erhellen, als aus Vergnügen an schierer<br />

Provokation der links-alternativen Leserschaft.<br />

Unsere Wege trennten sich, ich gründete<br />

ein Journalistenbüro in der Königstraße gegenüber<br />

der Schädelspalter-Redaktion, moderierte<br />

im Radio, entwickelte Fernsehsendungen und<br />

wurde Professor für Journalismus. An die freche,<br />

leichte und bunte Zeit beim Schädelspalter<br />

denke ich gern zurück.“<br />

Jürgen Hogrefe<br />

Ex-SPIEGEL-Redakteur, schrieb unter dem<br />

Pseudonym J.H. Scharringhausen<br />

jahrelang die Schädelspalter-Kolumne<br />

„Metropolenkritik“.<br />

Noch immer rätselt die Republik, wie es kommen<br />

konnte, dass es Leute aus Hannover waren,<br />

die der Berliner Republik den Kurs vorgaben.<br />

Die Maschsee-Mafia hat Berlin – im<br />

Ernst - noch immer fest im Griff. Nun – wie<br />

kam es? Weil sie ihren Schliff in Hannover bekamen.<br />

Wie? Weil Gerd Schröder bei Plümmecke<br />

seinen Skat drosch? Nein. Weil Brigitte<br />

Zypries ihren Cocktail im Casa am Weißekreuz<br />

Platz nahm? Auch nicht. Weil Uwe-Karsten<br />

Heye in der Markthalle<br />

erstmals zu großer<br />

Form auflief?<br />

Vielleicht. Weil<br />

Christian Wulff sich<br />

im Landtag an Jürgen<br />

Trittin wund<br />

rieb? Ach was! Weil<br />

Frank Steinmeier<br />

Rhetorikkurse bei<br />

Herbert Schmalstieg<br />

nahm, der im Übri-<br />

FOTO: KAY HERSCHELMANN / PRIVAT<br />

8 1976 - 2016


Grußworte aus aller Welt<br />

Museen für<br />

Kulturgeschichte<br />

Hannover<br />

FOTO: DAVIDEIT / PRIVAT<br />

gen auch Frank Bsirske schulte? Nix da! Das<br />

Geheimnis lautet: Alle arbeiteten sich am<br />

Schädelspalter ab! Das ätzende Stadtmagazin<br />

aus der Oststadt schlug den Korken aus den<br />

Flaschen. Hinfort waberte der „Hanover Spirit“<br />

in die Welt! Glückwunsch!<br />

Ferry Ghods<br />

DJ, bekannt als Ferry Ultra,<br />

eigene CD-Veröffentlichungen, Mitinhaber<br />

des In-Clubs Palo Palo am Raschplatz.<br />

Ich weiß noch, wie<br />

ich das erste Mal<br />

beim Spalter war, um<br />

die erste Anzeige für<br />

das Palo Palo zu<br />

schalten. Ich wurde<br />

nach einem Entwurf<br />

gefragt, ich hatte aber<br />

keinen. Dann hat<br />

mich Thomas Steinhausen<br />

in sein Büro<br />

gebeten. Es schwebte<br />

ein besonderer Duft in der Luft. Wir haben also<br />

erstmal zusammen einen geraucht. Er hat dann<br />

am Computer eine Anzeige entworfen mit irre<br />

gemorphten Effekten. Ich war total begeistert.<br />

Als schließlich das Heft erschien rief mich mein<br />

Kompagnon Khasi an. Er war ganz entrüstet.<br />

Wo denn die Anzeige sei. Ich konnte sie auch<br />

nicht finden, obwohl sie eine halbe Seite groß<br />

war. Schließlich fanden wir etwas, wo im Hintergrund<br />

der Schriftzug Palo Palo zu erkennen<br />

war. Was heute die großen Marketingprofis anstreben,<br />

dass ein Produkt erst auf denn zweiten<br />

Blick zu erkennen ist, hatten die beim Spalter<br />

schon damals drauf!<br />

Karl Nagel<br />

Punk-Aktivist, Chaostage-Erfinder,<br />

Comic-Zeichner, Sänger und vieles mehr.<br />

Ok, ich kenne den Spalter nur 34 Jahre, aber<br />

das würde reichen, um einen völlig wahnsinnigen<br />

Comic irgendwo zwischen Asterix, Spider-<br />

Man und den Freak Brothers zu füllen. Thomas<br />

Steinhausen wäre der rasende Jonah Jameson,<br />

der im gallischen Dorf mit hochrotem Kopf patrouilliert.<br />

Und ständig gehen irgendwelche<br />

Durchgeknallten ein und aus, die obskuren<br />

Kram anbieten oder gleich auf den Chefredakteursessel<br />

wollen. Oder<br />

wenigstens als Fotograf<br />

oder Schreiber<br />

mitmachen. Ich selbst<br />

bin in diesem Szenario<br />

leider nicht Peter<br />

Parker, sondern nur<br />

die Klofrau des Spalters,<br />

und meine Klamotten<br />

und Hände<br />

stinken übelst nach<br />

Filmentwickler, wobei<br />

Filme ja mittlerweile so was von gestern sind, ej.<br />

Ich soll weniger Drogen nehmen, denkst du?<br />

Ach, geht auch ohne. Ich habe den Spalter seit<br />

Lady Da’s Zeit 1982 in Rollen als Leser, Musiker,<br />

Meister des Chaos, Mac-Supporter und<br />

Druckvorlagenhersteller kennengelernt. Das<br />

bringe ich nicht unter einen Hut. Und die härtesten<br />

Knaller kann man eh nicht erzählen.«<br />

Thomas Lasser<br />

Spalter-Autor, Gastro-Experte und Chef der<br />

Werbeagentur Look One.<br />

Seit 40 Jahren nerven mich Leute, die Hannover<br />

laaaaangweeeeeiiiiilig finden. Die, gern zugereist<br />

(Pattensen, Peine ... es ist so paradox),<br />

sich über Ecken aufregen, in denen sie selten<br />

(nüchtern) waren.<br />

Die von Leuten abfällig<br />

reden, die sie<br />

vielleicht mal (zufällig)<br />

getroffen haben.<br />

Die sich das Maul<br />

über Konzerte zerreißen,<br />

die ich nie besuchen<br />

würde, weil ich<br />

schon vorher ahne,<br />

dass das nichts werden<br />

kann. Die von<br />

Kneipen, Bars und Restaurants erzählen, die sie<br />

sicher kennen, aber eben nicht wie ich, also<br />

wirklich gut. Und die natürlich noch nie den<br />

Schädelspalter gelesen haben. Da kann ich nur<br />

sagen: selber schuld. Dann wüssten sie nämlich,<br />

was es sich hier lohnt zu erleben. Denn das Heft<br />

ist seit ewigen Zeiten DIE Illu der Stadt. Der<br />

Guide zum Genuss. Was Solides zum Lesen über<br />

das Leben an der Leine. Wer den Spalter kauft<br />

ist ... gut (auch informiert). Seit September<br />

1993 bin ich ziemlich stolz, mich hier (und da)<br />

immer wieder redaktionell einmischen zu dürfen.<br />

Danke, Thomas. Und ... ach ja ... Cheers!<br />

Historisches Museum Hannover<br />

Pferdestraße 6 (Eingang Burgstraße)<br />

Di. 10-19 Uhr / Mi.-Fr. 10-17 Uhr / Sa.-So. 10-18 Uhr<br />

Freitags freier Eintritt!<br />

Museum im Schloss Herrenhausen<br />

Herrenhäuser Straße 5<br />

1.4.-31.10. täglich 11-18 Uhr<br />

1.11.-31.3. Do.-So. 11-16 Uhr<br />

Museum August Kestner<br />

Trammplatz 3<br />

Di. & Do.-So. 11-18 Uhr / Mi. 11-20 Uhr<br />

Freitags freier Eintritt!<br />

Museen für<br />

Kulturgeschichte<br />

Hannover<br />

museen-kulturgeschichte@hannover-stadt.de<br />

www.hannover-museum.de<br />

www.museum-august-kestner.de<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 9


Die Chefredakteure<br />

Achtung, wer nicht weiß,<br />

was diese Überschriften hier sollen:<br />

Es handelt sich allesamt um Songs<br />

hannoverscher Bands<br />

Jung, kaputt spart Altersheime!<br />

(Bärchen & Die Milchbubis)<br />

Jens Thomsen<br />

Schädelspalter-Chefredakteur<br />

von 80-81, vorher Schlosser,<br />

später mit Goetz Buchholz bei<br />

der politischen Wochenzeitung<br />

NaNa, Werbeleiter bei Brillen-<br />

Multi Fielmann und Marketing-<br />

Direktor für Joachim Flebbe,<br />

leitet seine eigene Werbeagentur<br />

JT Marketing.<br />

35 Jahre ist’s her. Damals gab es<br />

noch keine Business-Typen in teuren<br />

Anzügen, die mit Top-Hochschulabschlüssen<br />

alle Jobmöglichkeiten<br />

okkupierten. Damals konnte<br />

man noch von jetzt auf gleich<br />

vom Schlossergesellen zum Chefredakteur<br />

aufsteigen, wenn man<br />

nur über ausreichend selbsthypnotische<br />

Kräfte verfügte, um maßlos<br />

an die eigenen Fähigkeiten zu<br />

glauben. Und Glück. Mein Glück<br />

war, dass ich eines Morgens mit<br />

Goetz Buchholz in Dänemark am<br />

Frühstückstisch saß und er sagte,<br />

dass er eigentlich keine Lust mehr<br />

auf den Job des Chefredakteurs<br />

beim Schädelspalter hätte. Da setzte<br />

meine Selbsthypnose ein.<br />

Blut und Wasser habe ich geschwitzt<br />

danach, nächtelang in der<br />

leeren Redaktion, weil ich nun<br />

wirklich keine Ahnung hatte, wie<br />

man eine Stadt-Illu organisiert.<br />

Aber der nie aus der Ruhe zu bringende<br />

Kurt Borchfeldt, mit dem<br />

ich das Büro teilte, ein selten versiegender<br />

Pils-Bestand und langsam<br />

sich aufbauende Routinen bescherten<br />

mir eine wunderbare Zeit<br />

in einem Job, der sich dann irrsinnig<br />

spannend entwickelte. Sehr<br />

viele tolle Leute habe ich damals<br />

kennengelernt, alle auf besondere<br />

Art besessen von ihren ganz eigenen<br />

Aufbruchs-Ideen: Uwe Kalwar<br />

vom Pavillon, Hollow und die<br />

Crew vom No Fun Label, Emilio<br />

Winschetti, Giovanni di Lorenzo<br />

und viele andere Autoren und Leute<br />

über die wir berichten durften.<br />

Brösels Rötger Feldmann. Hartmut<br />

Klenke und Herve Touchard -<br />

wunderbare Fotografen und Jockel<br />

Finck als Praktikant, der später für<br />

AFP rund um den Globus in<br />

Kriegsgebieten fotografiert hat.<br />

Leider ist er schon verstorben. Wie<br />

Daggi, Kleinanzeigen-Queen mit<br />

großem Herzen und begnadeten<br />

Kommentaren im Kleingedruckten.<br />

Es gibt Stimmen, die behaupten,<br />

diese Kommentare hätten die<br />

höchste Lesedichte im ganzen Heft<br />

gehabt. Mag sein, in jedem Fall<br />

war sie die eigentliche Seele der Redaktion,<br />

kodderig, schrill, und in<br />

einzigartiger Weise liebenswürdig.<br />

Für eine andere Begegnung, die<br />

mir der Spalter beschert hat, bin<br />

ich bis heute unendlich dankbar:<br />

Brachte diesen Cartoon höchstpersönlich in der Redaktion vorbei:<br />

Rötger Feldmann alias Brösel, der Erfinder von Werner<br />

die mit Leo Heinemann, diesem<br />

kleinen, unbeugsamen Antifaschisten.<br />

Dem Hollocaust durch Zähigkeit<br />

und List entkommen, in<br />

der Adenauerzeit als Kommunist<br />

erneut verfolgt, gesundheitlich<br />

stark beeinträchtigt und dennoch<br />

voller Lebensfreude, tiefverwurzeltem<br />

Gerechtigkeitssinn und schlitzohrigem<br />

Humor. Ich hatte ihn auf<br />

einer Demo gesehen. In unbändigem<br />

Zorn hatte er mit seinem<br />

Knirps-Regenschirm auf einen<br />

zwei Köpfe größeren Nazi eingedroschen.<br />

Als ich ihn fragte, ob ich ihn interviewen<br />

dürfe, war Leos erste<br />

Antwort, es ginge nicht um ihn,<br />

sondern um die Sache. So wie es<br />

ihm offensichtlich nicht um Äußeres<br />

ging, sondern immer um<br />

Kundgebungen, Vorträge in Schulen,<br />

Unterstützung von Verfolgten.<br />

Im Chaos seiner winzigen Wohnung<br />

habe ich wunderbare Stunden<br />

verbracht, unglaubliche Geschichten<br />

gehört und eine Riesen-<br />

Portion an Lebensfreude und Mut<br />

getankt. Und natürlich habe ich<br />

auch einen Mann kennenlernen<br />

dürfen, der zu Recht stolz auf sein<br />

Leben war - das jedoch ohne jede<br />

Eitelkeit. Damit habe ich dann<br />

wohl auch Eure Frage beantwortet<br />

nach der für mich wichtigsten Geschichte,<br />

die ich für den Spalter geschrieben<br />

habe.<br />

Als ich mit mehreren anderen<br />

ausgestiegen bin, um die NaNa<br />

Wochenzeitung zu gründen, war es<br />

nicht unbedingt ein freundschaftlicher<br />

Abschied. Im Nachhinein bin<br />

ich aber sehr dankbar. Für die<br />

Chance, aus dem Nichts den Aufbruch<br />

in ein sehr spannendes Arbeitsfeld<br />

wagen zu können, dafür<br />

lernen zu müssen, dass bis zum<br />

Druckabgabetermin jedes Problem<br />

irgendwie zu lösen ist und für die<br />

vielen Begegnungen mit Menschen<br />

wie Leo Heinemann.<br />

Nachdem ich aus Hannover<br />

weggezogen bin, habe ich das Magazin<br />

nie wieder gelesen. Neulich<br />

habe ich aber Thomas Steinhausen<br />

für ein halbes Stündchen besucht.<br />

Und ich habe das gleiche, etwas besessene<br />

wagemutige Blitzen in seinen<br />

Augen entdeckt wie damals.<br />

Das ist beruhigend, denn es scheint<br />

mir der Garant zu sein, dass es immer<br />

wieder Querdenker und -einsteiger<br />

beim Spalter geben wird.<br />

Alles Gute für die nächsten 40 Jahre<br />

Spalter-Wahnsinn.<br />

FOTOS: PRIVAT / RÖTGER FELDMANN / ARCHIV R&T VERLAG<br />

10 1976 - 2016


Die Chefredakteure<br />

Es brennt! Was tun, wenn’s brennt?<br />

(Hans-A-PLast)<br />

FOTOS: NOVUM / PRIVAT<br />

Klaus Gürtler<br />

Schädelspalter-Chefredakteur<br />

von 81-85, Kunstkritiker,<br />

damals Mitglied der Grün-Alternativen<br />

Bürgerliste (GABL),<br />

gründete nach dem Spalter die<br />

Zeitschrift „Flex“, später u.a.<br />

Geschäftsführer CulturConsult,<br />

PR-Manager Freie Theater<br />

Hannover, Finanzvorstand<br />

Campus Institut AG.<br />

Liebe Leute, das ist jetzt 37 Jahre<br />

her. Und ich soll was dazu<br />

schreiben? Opa erzählt vom Krieg<br />

– hieß das damals, als es noch Opas<br />

gab, die vom Krieg erzählten.<br />

O.K., erzähle ich also vom<br />

Krieg. Zumindest im übertragenen<br />

Sinn. In grauer Vorzeit – es muss<br />

1979 gewesen sein – fragte mich<br />

Goetz Buchholz, ob ich was zu<br />

Kultur schreiben könnte. Da ich<br />

damals im Wilhelm-Busch-Museum<br />

arbeitete, schrieb ich also einen<br />

Artikel zur aktuellen Honoré-<br />

Daumier-Ausstellung. Man sieht:<br />

Unparteiischer Journalismus war<br />

damals nicht unbedingt das Thema.<br />

Bei uns nicht, aber beim Rest<br />

der Presse auch nicht.<br />

Jedenfalls war das der Anfang.<br />

Und wo war der Krieg? Der tobte<br />

innen und außen. Außen: Die<br />

GRÜNEN waren noch nicht gegründet,<br />

die ganze breite linksalternative<br />

und freie kulturelle Szene<br />

mit ihren Initiativen und Aktivitäten<br />

fand in der normalen Presse<br />

nicht oder nur als Karikatur<br />

statt. Gleiches galt für die Musik<br />

dieser Szene. Der Spalter wurde<br />

über etliche Jahre ihre einzige lokale<br />

publizistische Basis. Zur Erinnerung:<br />

Es gab damals nur Offline.<br />

Und innen: Das war nun<br />

nicht wirklich der Plan von R&T<br />

gewesen, so ein „Arbeiter- und<br />

Bauernblatt“ (Thomas Steinhausen).<br />

Und so hub denn ein fröhliches<br />

Hauen und Stechen an, wer<br />

denn die Macht habe im Königreich<br />

R&T. Unter Buchholz und<br />

Thomsen ging es erfolglos um ein<br />

Redaktionsstatut. Ich habe dann<br />

den ersten und wohl bundesweit<br />

einzigen Betriebsrat in einem<br />

Stadtmagazin initiiert. Das<br />

brachte ein für beide Seiten erträgliches<br />

Patt – und war die Basis für<br />

fünf sehr erfolgreiche Jahre. Wir<br />

übten Kompromiss: Historische<br />

Höchstauflage, weil Thomas in die<br />

Consumerecke zerrte und ich in<br />

Gabba gabba hey: Ulla Henscher, Luk List, Alexander Rudnick, Manuel Kiper protestieren gegen die „Punker-Kartei“<br />

die links-alternative. Streit kann<br />

also sehr produktiv sein. Und das<br />

trotz scharfer Konkurrenz: Buchholz<br />

und Thomsen hatten mit viel<br />

Engagement und Sympathie der<br />

Szene die NANA gegründet – aber<br />

dann leider eher den Spalter als<br />

die Madsack-Presse ins Visier genommen.<br />

Einzelne Sachen? Kramen<br />

wir in der grauen krausen<br />

Masse. Lemmy Kilmister war mal<br />

in der Redaktion. Und unsere supergeniale<br />

Lady Da schmolz dahin<br />

wie ein Schneemann im Mai.<br />

Es tat mir sehr weh, als sie später<br />

starb. Dieter Jaenicke konnte sich<br />

unserer Kritik am Wintertheater<br />

nur mit einem wütenden Flugblatt<br />

erwehren. Aber er ließ es dabei<br />

bewenden. Klagen und Prozesse<br />

liefen eigentlich permanent, oft<br />

mehrere zugleich. Die meisten haben<br />

wir gewonnen. Und einmal<br />

wollte ein (echter) Graf Yorck bei<br />

uns ein Elaborat veröffentlicht sehen,<br />

das auch weitherzigen Lesern<br />

unzumutbar war. Nie saß ich einsamer<br />

in der Redaktion, als er<br />

plötzlich an meinem Schreibtisch<br />

stand. Denn der außerordentlich<br />

kompakte Graf Yorck war bekannt<br />

für seine Neigung zur energisch<br />

verkürzten Meinungsbildung<br />

(weswegen er auch immer wieder<br />

mal einfuhr). Doch die Kraft des<br />

Wortes obsiegte auch hier. Von<br />

Graf Koks jedoch kein Wort. Zum<br />

Redaktionsschluss hin haben wir<br />

jedenfalls meist nur jede zweite<br />

Nacht geschlafen. Wohl aber von<br />

einer Revolution namens Scantext<br />

geträumt: Mit elektronischen Erfassungsgeräten<br />

(in denen ein<br />

braver Braunschweiger Commodore<br />

seine Pflicht tat) konnten<br />

Texte mit Tags erfasst und über ein<br />

einzeiliges Display auch nachträglich<br />

korrigiert werden. Wow! Jede<br />

dieser Kisten kostete damals<br />

12.000 DM und der passende<br />

Belichter das Fünffache. Thomas,<br />

du warst Avantgardist! Technisch<br />

jedenfalls. Der erste Mac kam<br />

dann erst 1984.<br />

Ja, es waren geile Jahre voller<br />

Energie. Je ne regrette rien!<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 11


Die Chefredakteure<br />

Policy Of Truth<br />

(Terry Hoax)<br />

Dirk Lehnhoff<br />

Schädelspalter-Chefredakteur<br />

1985, Volontariat bei der HNA<br />

in Kassel, initiierte das Stadtmagazin<br />

“Lehmann’s Zeitung“<br />

in Kassel, später Nord-Report,<br />

Neue Presse, „Horizont“, NDR,<br />

PR-Berater, Schreibschule.<br />

An welche Titelstory erinnerst<br />

du dich sofort?<br />

Wie sagte noch Joschka Fischer:<br />

Wer sich erinnert, war nicht dabei.<br />

Aber mal Spaß beiseite, natürlich<br />

erinnere ich mich an die „Renaissance<br />

der Reizwäsche“. Ich hatte<br />

wohl im Londoner „Time Out“-<br />

Magazin gelesen, Reizwäsche wäre<br />

wieder groß im Kommen. Zeitgleich<br />

hatte in der Knochenhauerstrasse<br />

ein neuer Dessous-Laden eröffnet.<br />

Darauf basierte die Story.<br />

Und das passte zum Zeitgeist?<br />

Es gab zu der Zeit spürbare Veränderungen<br />

im politischen Klima.<br />

Zusammen mit Hollow wollten<br />

wir das Image des linken Kampfblatts<br />

ablegen und den Spalter<br />

„magaziniger“ machen. Da passte<br />

die „Renaissance der Reizwäsche“<br />

als provokantes Kick-Off-Stück<br />

ganz gut. Ich hatte nach meinem<br />

Volontariat vier Jahre als landespolitischer<br />

Korrespondent gearbeitet.<br />

Ergo kam ich mit einem etwas moderateren<br />

- man kann auch sagen:<br />

professionelleren Journalismus-<br />

Verständnis als meine Vorgänger<br />

zum Spalter.<br />

Wie lange warst du beim<br />

Spalter?<br />

Ein knappes Jahr. Mir fiel die undankbare<br />

Rolle zu, eine Umstrukturierung<br />

beim Spalter durchzusetzen.<br />

Die Arbeit hat trotzdem<br />

viel Spaß gemacht. Steinhausen ist<br />

ja bis heute ein genialer Blattgestalter,<br />

ein sehr begabter Grafiker<br />

und gleichzeitig ein unglaublich<br />

disziplinierter Arbeiter. Und es<br />

waren einfach tolle Schreiber beim<br />

Spalter, einer von ihnen ist seit langem<br />

Regionspressesprecher, ein anderer<br />

- Wolfgang Timpe - wurde<br />

später Chefredakteur der großen<br />

Regionalzeitung Hessisch-Niedersächsische<br />

Allgemeine (HNA), in<br />

Kassel.<br />

Willkommen beim Schädelspalter: Programmredakteurin Renate Baumgart,<br />

Marius Müller-Westernhagen und Verlagsassistentin Marlies Weber<br />

Was ist dir als Anekdote hängen<br />

geblieben?<br />

Besonders war, dass wir als führendes<br />

Stadtmagazin oft Besuch von<br />

allen möglichen Showgrößen bekamen.<br />

Mit Marius Müller-Westernhagen<br />

beispielsweise hatten wir viel<br />

Spaß in der Redaktion. Und als ich<br />

mal ein Interview mit Otto Waalkes<br />

machen wollte, hat der nach<br />

kurzem Gespräch einfach gesagt:<br />

Schreib’ doch auf, was Dir einfällt,<br />

Du kennst ja das Programm. Das<br />

habe ich dann getan.<br />

Erklär uns, wo kommt der<br />

Name Schädelspalter her?<br />

Ich glaube, das war eine Anregung<br />

aus der Schweiz, aber genau weiß<br />

ich es nicht. Das müsste eventuell<br />

Uli Stein wissen, der in der frühen<br />

Spalter-Zeit oft illustre Stories beigetragen<br />

hat, ein Interview mit einem<br />

Pixi-Paßbild-Automaten<br />

zum Beispiel.<br />

FOTOS: PRIVAT / ARCHIV R&T VERLAG / GERD HEIDORN<br />

12 1976 - 2016


Die Chefredakteure<br />

Lebensfroh und Farbenfroh<br />

(Rotzkotz)<br />

FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG / PRIVAT / UTE SCHENK<br />

Hollow Skai<br />

Schädelspalter-Chefredakteur<br />

von 86-89, vorher freier Mitarbeiter,<br />

Label-Chef (No Fun),<br />

später Redakteur beim Stern,<br />

Buchautor, lebt und arbeitet in<br />

Hamburg.<br />

Wie würdest du deinen<br />

Verdienst an der Entwicklung<br />

des Schädelspalters sehen?<br />

Zu meiner Zeit wurde das Themenspektrum<br />

gehörig erweitert<br />

und das Heft modernisiert. Weg<br />

vom strengen Politblatt, hin zu einem<br />

Kultur- und Lifestyle-Magazin.<br />

Die Arbeitsabläufe innerhalb<br />

des Verlages wurden professionalisiert.<br />

Auf dem Anzeigenmarkt<br />

boomte das Heft und der Verlag<br />

wurde konsolidiert. Trotzdem blieben<br />

wir kritisch und unbequem,<br />

frech und originell.<br />

Stimmt es, dass du deinen<br />

eigenen Schreibtisch in die<br />

Redaktion mitbringen musstest?<br />

Nun ja, wir hatten gerade das No-<br />

Fun-Büro (Punk-Plattenlabel von<br />

Hollow Skai, Anm. des Verfassers)<br />

aufgelöst. Und da dort ein Schreibtisch<br />

über war und im Schädelspalter-Büro<br />

keiner stand, hab ich<br />

ihn halt mitgebracht.<br />

Die Beteiligten der Spielbank-Affäre - Spielbankchef Marian Felsenstein (links) und<br />

Ministerialdirektor Gerhard Roemheld (stehend mit Sonnenbrille)<br />

Welche Titelstory ist dir in Erinnerung<br />

geblieben?<br />

Das Porno-Heft mit Teresa Orlowski<br />

auf dem Titel war sicherlich<br />

das meist diskutierteste. Das hat<br />

richtig rein geknallt. Die Empörung<br />

war riesengroß. Das alte, linke<br />

Klientel des Spalter ist fast<br />

Amok gelaufen, wie ihr Magazin<br />

unkommentiert jemanden wie<br />

Porno-Produzent Moser zu Wort<br />

kommen ließ. Das Heft verkaufte<br />

sich dennoch oder gerade deswegen<br />

enorm. Im Nachhinein gesehen<br />

war das eine gute Geschichte und<br />

die Aufregung Zeichen einer linken<br />

Prüderie. Wenig später wurde<br />

das Thema bundesweit von großen<br />

Magazinen wie dem Stern aufgegriffen.<br />

Dann gab es die Spielbank-Affäre,<br />

in der wir mit dem<br />

hannoverschen Spiegel-Korrespondenten<br />

Jürgen Hogrefe eng zusammengearbeitet<br />

haben. Oder die<br />

Story über das „Celler Loch“, über<br />

die uns der Fraktionsvorsitzende<br />

der Grünen im Landtag, Jürgen<br />

Trittin, undercover Geschichten<br />

schrieb, um die uns die Tageszeitungen<br />

beneideten. Und dann war<br />

ich wohl auch der HAZ und der<br />

NP mit einem Porträt der designierten<br />

Landesmutter Hiltrud<br />

Schröder zuvorgekommen.<br />

Du hast später für den Stern<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 13


Die Chefredakteure<br />

Wind Of Change...<br />

(Scorpions)<br />

und andere große Publikationen<br />

geschrieben. Wo liegt für dich<br />

der Unterschied zum Spalter?<br />

Im Prinzip bestand da kein großer<br />

Unterschied, beim Stern war alles<br />

nur größer, ich hatte endlich mal<br />

Zeit, um einen Artikel ausführlich<br />

zu recherchieren und Leute zu interviewen.<br />

Der Spalter war dafür<br />

eine gute Schule gewesen, dort habe<br />

ich viel gelernt, was ich später<br />

beim Stern anwenden konnte.<br />

Und ich konnte viel ausprobieren.<br />

Thomas Steinhausen ließ mir alle<br />

Freiheiten, auch wenn es schon<br />

mal Zoff mit Anzeigenkunden<br />

gab. Die Nacht durchzuarbeiten<br />

war eine sehr intensive und schöne<br />

Erfahrung. Was ganz wesentlich<br />

war: der Spalter war schon damals<br />

sehr gut vernetzt, immer auf dem<br />

neusten technischen Stand. Es gab<br />

den „direkten Draht“ mit Hilfe<br />

von Kommandos vom Computer<br />

zum Satz, das sogenannte „Redaktron“-Satzgerät.<br />

Als ich später<br />

beim Stern anfing, musste ich zunächst<br />

wieder auf einer Schreibmaschine<br />

arbeiten. In dieser Beziehung<br />

war der Spalter der Zeit weit<br />

voraus.<br />

Eine Edelfeder wie Giovanni di<br />

Lorenzo hat mal beim Schädelspalter<br />

angefangen zu schreiben.<br />

Würdest du den Spalter als<br />

Talentschmiede des Journalismus<br />

sehen?<br />

Ich war zu meiner Zeit stolz auf<br />

meinen Mitarbeiterstamm. Alle<br />

Ressorts waren großartig besetzt.<br />

Ulrike Meyer arbeitete später für<br />

„Die Zeit“ und schrieb gute Ausstellungskritiken,<br />

Andreas Lueg,<br />

Ulrike Meyer: Vom Spalter zur „Zeit“<br />

der heute für ein Kulturmagazin<br />

der ARD arbeitet, Filmkritiken,<br />

Wolfgang Timpe, der heute das<br />

Magazin des Autoverleihers Sixt<br />

produziert, war für Theater zuständig,<br />

und die späteren „Spiegel“-Redakteure<br />

Thomas Hüetlin<br />

und Lothar Gorris, der ex-<br />

„Sounds“- und heutige „manager<br />

magazin“-Redakteur Michael<br />

Kröher, Horst Tomayer von „Konkret“,<br />

der Cartoonist Bernd Pohlenz<br />

und der Fotograf Günther<br />

Zint lieferten Beiträge. Überhaupt<br />

Fotografen: Jim Rakete fotografierte<br />

zwei Titelbilder für uns und es<br />

gab Kontakte in alle Welt, zum<br />

Beispiel zu der New Yorker Fotografin<br />

Marcia Resnick.<br />

Deine schönste Anekdote aus<br />

deiner Spalter-Zeit?<br />

Damals guckten Thomas Steinhausen<br />

und ich jeden Dienstag<br />

„Dallas“ und konzipierten das<br />

Heft. Am Tag, als Bobby Ewing<br />

starb, waren wir gerade mit allem<br />

durch, als das Atomkraftwerk in<br />

Tschernobyl explodierte. Daraufhin<br />

traten wir die Titelgeschichte<br />

in die Tonne und produzierten in<br />

kürzester Zeit eine neue.<br />

Und was war weniger schön?<br />

Dass die Titelbilder öfter mal<br />

„absoffen“. Katja Trittschanke,<br />

unsere Setzerin, die mal das Titelbild<br />

zierte, sah aus wie eine Currywurst.<br />

Und Rio Reiser als hätte er<br />

Gelbsucht.<br />

Udo Iwannek<br />

Chefredakteur 1989,<br />

heute Pressesprecher der Üstra<br />

Verkehrsbetriebe.<br />

Aus meiner Zeit als Chefredakteur<br />

des Schädelspalters erinnere<br />

ich mich vor allem an die exzellente<br />

Verpflegung, die wir beim Feinkosthändler<br />

„Backhaus“ besorgten,<br />

unserem Nachbarn in der Königstraße.<br />

Die war auch nötig, denn<br />

die Abende und Nächte, die ich<br />

mit meinem damaligen Kollegen<br />

Klaus Abelmann in der Redaktion<br />

verbrachte, wurden lang und länger,<br />

je näher der Redaktionsschluss<br />

rückte.<br />

Klaus und ich stachelten einander<br />

mit ausgefallenen Themenvorschlägen<br />

an. Besonders kühn fanden<br />

wir die Idee, einmal nicht die<br />

Vorzeigeseiten Hannovers, sondern<br />

seine hässlichen Rückseiten zu<br />

zeigen. So entstand die Fotoreportage:<br />

„Da geht Ihnen die Düse:<br />

Hannovers dunkle Ecken“, für die<br />

wir Jochen Lübke (damals noch<br />

ein junger Nachwuchsfotograf) engagierten.<br />

Er fotografierte Gegenden,<br />

die so gruselig waren, dass<br />

man schon am Tag einen weiten<br />

Bogen um sie machen würde, des<br />

Nachts und in Schwarzweiß. Leider<br />

bestand Jochen auf redaktionellem<br />

Personenschutz bei dieser<br />

Arbeit, und so mussten abwechselnd<br />

Klaus oder ich ihn zähneklappernd<br />

und mit schlotternden<br />

Knien bei seinen nächtlichen<br />

Streifzügen begleiten. Da ging mir<br />

selber die Düse, als ich nachts um<br />

zwei darauf warten musste, dass<br />

Jochen seine Langzeitbelichtung einer<br />

zugemüllten Straßenunterführung<br />

in einem verwilderten Park<br />

endlich fertig bekam…<br />

Die Bildunterschriften wurden<br />

in der allerletzten Kurve zum Redaktionsschluss<br />

mit der berühmten<br />

heißen Nadel genäht, und so setzte<br />

ich unter ein Foto eines Plattenbaus<br />

in einem als sozialer Brennpunkt<br />

bekannten Stadtteils kurzerhand<br />

einige knallharte Sätze<br />

über die Zustände in solchen Vierteln,<br />

die jedem Boulevardjournalisten<br />

zur Ehre gereicht hätten.<br />

Das nannte man damals im Journalistendeutsch<br />

‚dem Affen ordentlich<br />

Zucker geben‘. Leider<br />

war auch das Straßenschild abgelichtet<br />

worden, und hinter der<br />

trostlosen Hausfassade befanden<br />

sich keine schlichten Schlafstätten,<br />

wie von mir vermutet, sondern<br />

ausgerechnet unter dieser Adresse<br />

eine Anlage mit teuren Eigentumswohnungen.<br />

Deren Besitzer<br />

fanden unsere Reportage gar nicht<br />

lustig, sondern schrieben einen geharnischten<br />

Brief an den Verlag,<br />

worin sie sich darüber empörten,<br />

dass ich ihre Luxusapartments als<br />

„Brutstätte sinnloser Gewalt“ bezeichnet<br />

hatte.<br />

So war das damals: Wir waren<br />

jung, wir waren verwegen und<br />

trauten uns was. Manchmal ging<br />

das halt in die Hose. Aber die Verleger<br />

ließen uns ordentlich Leine,<br />

das Blatt hieß ja nicht umsonst<br />

„Schädelspalter“. Für diese Zeit<br />

bin ich heute noch dankbar und<br />

denke gern an alle zurück, mit denen<br />

ich damals zusammenarbeiten<br />

durfte.<br />

FOTOS: PRIVAT / JIM RAKETE / ARCHIV R&T VERLAG<br />

14 1976 - 2016


Die Chefredakteure<br />

Time To Wonder<br />

(Fury ITS)<br />

irre Idee nicht verfolgte. Ich habe<br />

viel von ihm gelernt. Er hat viel<br />

mit Typo und Fotos gespielt. Meine<br />

schönsten Erinnerungen an den<br />

Spalter sind die Momente, meist<br />

nachts, als ich mit Thomas am<br />

Grafikdesk zusammenarbeitete.<br />

Klaus Abelmann<br />

Schädelspalter-Chefredakteur<br />

von 89 bis 91, Punk-Aktivist,<br />

später Pressesprecher des<br />

Kommunalverbandes, heute<br />

Pressesprecher der Region<br />

Hannover.<br />

Viele deiner Kollegen loben den<br />

technischen Standard beim<br />

Spalter …<br />

Es war immer der allerhöchste<br />

Standard. In Satzmaschinen direkt<br />

eingeben zu können, war in<br />

den 1980ern das Nonplusultra.<br />

Warten auf den Karriereschub: Fury In The Slaughterhouse 1988<br />

FOTOS: BERND OPITZ / PRIVAT / JOCKEL FINCK<br />

Erinnerst du dich noch an<br />

deinen ersten Schädelspalter-<br />

Artikel?<br />

Das war im November 1980, eine<br />

Vorankündigung zur Veranstaltung<br />

„Tage der aggressiven Rockmusik“<br />

im UJZ Korn. Die Korn<br />

war damals eine Pflichtstation für<br />

US-Hardcore-Punkbands.<br />

Dein schönstes Titelblatt?<br />

Eine psychedelische Collage aus Fotos<br />

des frisch berufenen hannoverschen<br />

Oberstadtdirektors Jobst<br />

Fiedler, der im Heft porträtiert<br />

wurde, und der damals sehr angesagten<br />

Popgruppe Dee-Lite. Eine<br />

sehr schräge Idee. Aber Thomas<br />

Steinhausen war auch als Gestalter<br />

immer sehr experimentierfreudig<br />

und der letzte, der eine gute, aber<br />

In deiner Zeit bekam der Spalter<br />

Konkurrenz - durch die mit viel<br />

Geld aufgepeppte Stadtillu<br />

Prinz. Wie war Deine Reaktion?<br />

Wir waren alle sehr beunruhigt.<br />

Die hatten einfach ein ganz anderes,<br />

größeres Budget. Aber es war<br />

schnell erkennbar, dass die boulevardeske<br />

Ausrichtung des Prinz<br />

uns in die Karten spielte. Vor dem<br />

Prinz waren alle auf den Spalter<br />

sauer, weil zu bunt, nicht mehr<br />

links genug. Dann kam Prinz und<br />

polarisierte. Das hat uns eher geholfen.<br />

Auf welche journalistische Tat<br />

bist du am wenigsten stolz?<br />

Als ich rassistisch wurde. Unser Fotograf<br />

hatte die Aufgabe zwei farbige<br />

Ragga-Rapper, die in Hannover<br />

ein Album aufnahmen, zu fotografieren.<br />

Er kam auf die gran-<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 15


Die Chefredakteure<br />

Hyper, Hyper!<br />

(Scooter)<br />

diose Idee, das Duo im eh schon<br />

unterbelichteten Tunnel zum Volgersweg<br />

ohne Blitz aufzunehmen.<br />

Resultat: Man sah nur zwei rote<br />

Augen im Gesamtdunkel. Ich<br />

konnte einfach nicht anders und<br />

schrieb in der Bildunterschrift, was<br />

ich sah: „Neger im Tunnel“. Politisch<br />

korrekt war das nicht und,<br />

versprochen, liebe Initiative „Mit<br />

Ausländern verheiratete Deutsche“,<br />

ich mache es nie wieder!<br />

Worauf bist du am meisten<br />

stolz, wenn du auf deine Schädelspalter-Zeit<br />

zurückblickst?<br />

Darauf, dass wir uns gegenüber<br />

anderen Medien klar abgrenzen<br />

konnten, weil wir vor allem eine<br />

Stadtillustrierte sein wollten. Starke<br />

Fotos; Texte, die über den Tag<br />

Bestand haben und pointierte<br />

Meinungsäußerungen zwischen<br />

den journalistischen Pflichtübungen.<br />

Warum nicht vier oder mehr<br />

Kolumnen in einem Heft mit über<br />

200 Seiten?<br />

Und was hat dir am wenigsten<br />

Spaß bereitet?<br />

Ich musste als Teil eines größeren<br />

Teams zur großen Spalter-Porno-<br />

Story „Titten, Thesen, Temperamente“<br />

(1986) 70 bis 80 einschlägige<br />

Videos des lokalen Großproduzenten<br />

Hans Moser rezensieren.<br />

Das war harte Arbeit. Ich habe<br />

diese Aufgabe aber strikt aus cineastischer<br />

Sicht erledigt. Also den Plot<br />

nacherzählt und keinesfalls die<br />

Höhepunkte verschwiegen. Schöner<br />

Nebeneffekt: Ich hatte während<br />

der Sichtungszeit immer viel<br />

Besuch von Freunden....<br />

Wie siehst du…<br />

Oh, mir fällt da noch eine Geschichte<br />

ein. Als ein im Zweifel<br />

eher links zu verortendes Blatt waren<br />

wir anfangs auch auf der Expo-Gegnerseite.<br />

Damals war die<br />

Weltausstellung noch als Großmesse<br />

auf dem Kronsberg geplant. Ich<br />

habe also im Frühjahr 1990 einen<br />

Fotografen rausgeschickt mit dem<br />

Auftrag, er solle Fotos schießen, wie<br />

dort schon bald die unberührte<br />

Natur geschändet wird. Der Fotograf<br />

rief dann zurück. „Hier<br />

wächst aber gar nichts - außer<br />

Runkelrüben.“ Ich: „Dann fotografier<br />

die von unten, bis sie wie<br />

Bäume aussehen!“ Die Geschichte<br />

haben wir gebracht. Als es mit der<br />

Expo und ihrem Nachhaltigkeitsmotto<br />

langsam ernst wurde, sank<br />

die Skepsis deutlich.<br />

Warum hast du den Spalter<br />

damals verlassen?<br />

Anfang der Neunziger war mir<br />

schon klar, dass irgendwann ein<br />

All-In-One-Heft, das alle Angebote<br />

und politischen Diskurse dieser<br />

Stadt abdeckt, nicht mehr gebraucht<br />

wird. Auch „die Szene“<br />

differenzierte sich immer mehr.<br />

Das fing mit Techno an. Die Entwicklung<br />

auf dem Stadtillustriertenmarkt<br />

ist dennoch enttäuschend.<br />

Zu meiner Zeit waren wir<br />

die erste Adresse für junge Bands.<br />

Bands wie Terry Hoax oder Fury,<br />

die wurden auch durch uns aufgebaut.<br />

Wir haben Felder besetzt, die<br />

die anderen Medien ignorierten.<br />

Jetzt läuft die Party auf Facebook,<br />

Snapchat, Instagram und Co.; die<br />

Kleinanzeigen haben Ebay und<br />

parship gekillt. Mit dem auch<br />

schon in der 1990-er Jahren etablierten<br />

Spalter-Spin-off „Hannover<br />

geht aus“ ist aber zumindest die<br />

Kulinarik-Flanke noch unangreifbar.<br />

Aber geil, dass es den Spalter<br />

noch gibt!<br />

Anne Pohl<br />

Schädelspalter-Chefredakteurin<br />

von 92-95, später als Autorin<br />

u.a. für Focus, Deutschland<br />

Radio tätig. Lebt in der Nähe<br />

von Itzehoe.<br />

Wie würdest Du mit einem<br />

Wort die Heftsituation zu<br />

deiner Zeit beschreiben?<br />

Auflage! Als ich 1991 meinen Job<br />

beim Spalter antrat, schwächelte<br />

der Verkauf etwas, unter anderem.<br />

wegen unseres neuen Mitbewerbers<br />

Prinz. Ich habe es geschafft, die<br />

verkaufte Auflage kontinuierlich<br />

zu steigern. Darauf war ich damals<br />

sehr stolz. Und auch darauf,<br />

als erste Frau Chefredakteurin bei<br />

dieser Stadtillustrierten geworden<br />

zu sein.<br />

Dein Lieblingstitelbild?<br />

Das war das Sadomaso-Heft. Ich<br />

habe die Story über Hannovers<br />

SM-Szene gegen einige Widerstände<br />

durchgeboxt. Der allgemeine<br />

Tenor in der Redaktion war: Das<br />

kann man nicht machen, das ist<br />

unmöglich. Dabei war das im<br />

Grunde eine ziemlich harmlose<br />

Geschichte, mit einem tollen Titelbild<br />

von Nikolaj Georgiew. Es gab<br />

von Leserseite empörte Reaktionen,<br />

und einige Kioske drehten sogar<br />

Onkel Hotte will Spaß...<br />

das Heft um und zeigten nur die<br />

Rückseite. Das Heft verkaufte sich<br />

trotzdem wie geschnitten Brot.<br />

Deine Lieblingstory?<br />

Das war die Knastreportage, die<br />

Christian Wyrwa fotografiert hat.<br />

Eine enorme Herausforderung und<br />

in der Recherche nicht einfach,<br />

aber mit dem Ergebnis war ich<br />

sehr zufrieden.<br />

Welche unangenehme Situation<br />

ist dir in Erinnerung geblieben?<br />

Wir hatten einen bekannten Spiegel-Autor,<br />

der unter Pseudonym als<br />

Kolumnist für uns tätig war. In einer<br />

dieser Kolumnen hatte er zwischen<br />

den Zeilen durchblicken lassen,<br />

dass er die hannoversche<br />

Staatsanwaltschaft für bestechlich<br />

hielte. Natürlich dauerte es nicht<br />

lange, bis ich als Verantwortliche<br />

im Sinne des Presserechts von der<br />

Staatsanwaltschaft angerufen<br />

wurde. Ein Staatsanwalt lud mich<br />

ganz freundlich zu einem informellen<br />

Gespräch unter vier Augen<br />

ein. Als ich dann aber den Raum<br />

betrat, saßen dort sieben ziemlich<br />

verärgerte Staatsanwälte, die mich<br />

sofort ins Kreuzverhör nahmen<br />

und sogar mit Beugehaft drohten,<br />

sollte ich den Klarnamen des Autors<br />

nicht preisgeben. Ich habe was<br />

von Quellenschutz gestammelt und<br />

unseren damaligen Rechtsanwalt<br />

angerufen, der zum Glück sofort<br />

kam und mich aus dem Schlamassel<br />

befreite.<br />

FOTOS: PRIVAT / ARCHIV R&T VERLAG / NIKOLAJ GEORGIEW<br />

16 1976 - 2016


Die Chefredakteure<br />

Horny, horny, horny, horny<br />

(Mousse T.)<br />

FOTOS: PRIVAT / JÜRGEN STAHL<br />

Bibi Schmidt<br />

Spalter-Chefredakteurin von<br />

95-98, kam von der Konkurrenz<br />

Prinz. Bekannt auch als Trompeterin<br />

der Funk-Band Tom Oz<br />

& Wet, arbeitet heute als Realschullehrerin<br />

und heißt mittlerweile<br />

Beate Försterling.<br />

Deine schönste Spaltergeschichte?<br />

Ich finde selbst, dass ich eine kleine<br />

Macke habe. Insofern musste ich<br />

einfach diese Story anschieben. Titel:<br />

„Ich habe eine Macke“. Die<br />

Idee war, eine Fotostrecke, mit<br />

kleinen Geschichten angedockt, zu<br />

bringen. Natürlich von netten<br />

Menschen, die meinten eine<br />

Macke zu haben. Nina Tiesler<br />

tauchte als Feuerschluckerin auf,<br />

Claas, der Lister Szene-Friseur, als<br />

Schlumpfsammler und ein Typ in<br />

Ritterrüstung, der auf einem Pony<br />

durch die Eilenriede hoppelte. Dazu<br />

gab’s die Erstausgabe der Kolumne<br />

von Siggi & Raner, die gerade<br />

ihre erste Hochphase hatten.<br />

Die schönste Kolumne aber<br />

stammt vom verstorbenen Michael<br />

Quasthoff. Sein Kommentar zur<br />

Heirat von Ernst August und Karoline<br />

von Monaco war einfach<br />

großartig böse und herrlich zu lesen.<br />

Du hattest also Spaß?<br />

Genau, sehr schön war auch die<br />

Beachvolleyball-Geschichte mit<br />

den hübschen Ärschen auf dem Titelblatt.<br />

Das war Sexismus vom<br />

Feinsten! Da haben sich auch einige<br />

alte Spalter-Leser darüber beschwert.<br />

Ich erinnere mich noch an<br />

einen Leserbrief, der die Forderung<br />

aufstellte, die Herausgeber des<br />

Spalters sollten sich doch gleich in<br />

Schiesser-Doppelripp-Unterhosen<br />

Sind gern beim Spalter<br />

bei gegangen: Siggi & Raner<br />

ablichten lassen. Toll auch „Hannover<br />

hascht - die Foto-Love Story“<br />

Und wie stand es mit der<br />

politischen Ernsthaftigkeit?<br />

Nun, ich habe zur Kommunalwahl<br />

1996 das Spiel Hannopoly<br />

Der große Meister der bissigen<br />

Kolumne: Michael Quasthoff<br />

erfunden. Da bin ich richtig stolz<br />

darauf. Ich habe mir mit Susanne<br />

Kautz sämtliche Chaoskarten zu<br />

den OB-Kandidaten ausgedacht.<br />

Als Experte haben wir uns Enno<br />

Hagenah von den Grünen hinzugezogen.<br />

Der überprüfte, ob das<br />

nicht alles zu blödsinnig ist. Der<br />

hat sich totgelacht und es wird kolportiert,<br />

dass im hannoverschen<br />

Rat wochenlang nichts anderes gespielt<br />

wurde.<br />

Wie schätzt du die Situation des<br />

Schädelspalters zu der Zeit ein?<br />

Der Spalter war in seiner Hochzeit.<br />

Meine erste Ausgabe habe ich<br />

noch in den Redaktionsräumen in<br />

der Königstrasse produziert. Dann<br />

sind wir auf drei Etagen in die Lister<br />

Meile umgezogen – Redaktion<br />

oben, Spalterhalle unten, Frühstyxradio,<br />

das Management von<br />

Siggi & Raner, Onkel Hotte, Dietmar<br />

Wischmeyer’s Arschkrampen<br />

und Konsorten im Hinterhaus. Eine<br />

tolle Zeit. Legendär war die Lesung<br />

mit Herman Brood. Vor seinem<br />

Auftritt hat er einen Liter<br />

Milch und einen Liter Wodka verlangt.<br />

Und auch verklappt. In der<br />

Spalterhalle gab es einen Fahrstuhl,<br />

der eigentlich nicht benutzt<br />

werden durfte. Er bestand aber<br />

darauf, mit ihm zur Lesung zu<br />

fahren. Was nicht so schön war:<br />

Damals lieferten die Autoren noch<br />

ihre Texte auf Disketten ab. Wenn<br />

dort Viren drauf waren, hat das<br />

manchmal ein Wochenende gedauert,<br />

bis IT-Experten die alten Daten<br />

wiederherstellten.<br />

Und was ist dir in der Spalter-<br />

Zeit am nachhaltigsten in Erinnerung<br />

geblieben?<br />

Dass ich jetzt Försterling heisse.<br />

Von der Spalter-Feier zum 20.Jubiläum<br />

war ein halbes Jahr später<br />

noch das aus Nürnberg importierte<br />

Spalter-Bier über. Das war<br />

schon längst über dem Verfallsdatum,<br />

aber trotzdem noch lecker.<br />

Vor einem Konzert im Pavillon<br />

habe ich mit Wollitsch, meinem<br />

jetzigen Gatten, ein paar Fläschchen<br />

verköstigt. Das hat ziemlich<br />

lustig und locker gemacht. Und<br />

dann ist es passiert.


Die Chefredakteure<br />

Won’t Forget These Days!<br />

(Fury ITS)<br />

Den Kindern<br />

Susanne Kautz<br />

1994 bis 2000 Schädelspalter,<br />

ab 1998 Chefredakteurin,<br />

vorher freie Mitarbeit für Stadtanzeiger<br />

und Neue Presse, seit<br />

Ende 2000 Content Managerin<br />

Madsack Online.<br />

Deine liebste Titelgeschichte?<br />

„Männer sind Schweine“ von<br />

10/98 zur Einstimmung auf das<br />

Ärzte-Konzert im Capitol. Die<br />

witzige Kerle-Typologie von Miriam<br />

Rössig ist absolut zeitlos, ebenso<br />

wie die Statements der Mädels,<br />

eingeholt von Lars Pennigsdorf.<br />

Am schwierigsten war es, Männer<br />

davon zu überzeugen, für die Fotos<br />

zu posieren. Da mussten alle Bekannten<br />

aus dem Spalterteam aktiviert<br />

werden. Meine Kumpels haben<br />

die Frauenversteher gegeben.<br />

Noch so eine Story, und wir hätten<br />

alle keine Freunde mehr gehabt.<br />

Die interessanteste Story, an der<br />

du mitgearbeitet hast?<br />

Storys selbst recherchiert habe ich<br />

vor allem in meiner Zeit als<br />

Redakteurin. Wirklich bewegend<br />

fand ich die Begegnung mit einer<br />

Frau, die mit Ihren Kindern vor<br />

den Taliban aus Afghanistan geflüchtet<br />

war. Jemanden mit so einer<br />

krassen Lebensgeschichte hatte<br />

ich vorher noch nie getroffen. Der<br />

Artikel erschien in 9/97 im Hannover<br />

Magazin anlässlich einer<br />

Ausstellung des Hannoverschen Fotografen<br />

Wolf Böwig, der das Krisengebiet<br />

bereist hatte. Das Thema<br />

ist nach wie vor aktuell...<br />

Ein Leben für die Muckibude: Für den Schädelspalter<br />

warfen sich diese drei Herren mit Muskelgröße XXXL in Pose<br />

Deine generelle Einschätzung<br />

der Situation beim Schädelspalter<br />

zu deiner Zeit?<br />

Sehr lustig, aber auch sehr anstrengend.<br />

Damals waren die Hefte<br />

noch richtig dick, oft über 150 Seiten<br />

Lesestoff. Die vielen freien (und<br />

die wenigen festangestellten) Mitarbeiter<br />

konnten eine Menge Ideen<br />

für Fotos und Storys unterbringen,<br />

zum Beispiel die damalige Volontärin<br />

Ela Windels, die gern eine<br />

Domina treffen wollte. Bevor das<br />

Interview beginnen konnte, musste<br />

der Kunde nebenan erstmal in<br />

Latex geschnürt werden.<br />

In meinem letzten Jahr beim Schädelspalter<br />

war natürlich die Expo<br />

2000 ein großes Thema. Damals<br />

gab es noch keine Apps, sondern<br />

den Expo Pocket Guide im Handy-<br />

Format, der vorn auf dem Titelbild<br />

klebte. Und die Cover waren<br />

fast alle von Fotografen aus Hannover.<br />

Erinnerst du dich noch an deine<br />

ersten Schädelspalter-Artikel?<br />

Oh, lieber nicht. Der erste war ohne<br />

Fotos. Dass man bei einem Magazin<br />

für eine Story mindestens ein<br />

Foto braucht, war mir irgendwie<br />

entgangen. Eine Herausforderung<br />

für den Layouter war auch „Hannover<br />

im Cyberspace“ (1/97), eine<br />

Titelgeschichte, die ich zusammen<br />

mit einem meiner Mathematikerfreunde<br />

recherchierte. Das Design<br />

der hannoverschen Websites reichte<br />

von schnarchig bis übersichtlich,<br />

und die lokalen Nerds sahen leider<br />

völlig uncool aus. Trotzdem war<br />

meine Neugier für die Neuen Medien<br />

geweckt. Die Internet-Steinzeit<br />

haben wird heute glücklicherweise<br />

auch in Hannover hinter uns<br />

gelassen.<br />

Was würdest du aus heutiger<br />

Sicht anders machen?<br />

Wie man die Stadtmagazine ins<br />

Internet-Zeitalter hinüber rettet,<br />

dazu hätte man schon früher ein<br />

paar Ideen haben können. Da<br />

fehlten die Kontakte zum Nerd-<br />

Nachwuchs.<br />

André Buron<br />

Er kam im September 2000<br />

vom Schauspielhaus zum<br />

SCHÄDELSPALTER, weil er eine<br />

Pause vom Theater machen<br />

wollte. Er ist bis heute<br />

geblieben.<br />

Erinnerst du dich noch an<br />

deinen ersten SCHÄDEL-<br />

SPALTER-Artikel?<br />

Als Anfänger habe ich einen Bericht<br />

über die NPD geschrieben,<br />

inklusive etlicher zeitintensiver<br />

Treffen mit der Antifa – da landete<br />

ich am Ende bei einem fürstlichen<br />

Stundenlohn von 1,30 Mark,<br />

bekam dafür aber auch ein paar<br />

freundliche Anrufe von den braunen<br />

Kameraden…<br />

Welches sind die wichtigsten<br />

Themen in deiner Zeit gewesen?<br />

Natürlich ging es sofort nach dem<br />

Ende der Expo bei uns häufig um<br />

die Nachnutzung des Kronsberg-<br />

Geländes. Da sind wir von der Expo-Liebe<br />

zur Expo-Kritik in düsteren<br />

Farben zurückgekehrt. Später<br />

haben wir dann aber wieder die<br />

Ikea-Eröffnung mit einer lustigen<br />

Homestory bejubelt… Auch die<br />

großen Bausünden der 70er haben<br />

es oft ins Heft geschafft. Eine Geschichte<br />

über das Ihme-Zentrum<br />

aus dem Jahr 2002 könnte man<br />

leicht aktualisieren, die Namen<br />

der Investoren austauschen und<br />

heute noch mal abdrucken…<br />

Das bewegendste Ereignis in<br />

deiner Zeit?<br />

Ganz klar, der Angriff auf das<br />

WorldTrade Center. Die gesamte<br />

Redaktion verfolgte live bei CNN<br />

im Arbeitszimmer von Thomas<br />

FOTOS: STEFAN NEUNEHAUSEN / PRIVAT / CHRISTIAN WYRWA<br />

18 1976 - 2016


Die Chefredakteure<br />

geht es gut...<br />

(Terry Hoax)<br />

Steinhausen, wie das zweite Flugzeug<br />

in den Turm flog. Zwei Tage<br />

später brachte mein damals siebenjähriger<br />

Sohn aus der Schule<br />

Zeichnungen dieser Szene mit<br />

nach Hause.<br />

Wie habt ihr euch als lokales<br />

Monatsmagazin damals<br />

verhalten?<br />

Das war nicht so leicht. Alles wurde<br />

von dem Thema in den Hintergrund<br />

gedrängt. Wir entschieden<br />

uns dafür, die Ausgabe im Wesentlichen<br />

wie geplant durchzuziehen,<br />

allerdings mit einer schwarzen Seite<br />

anstelle des ganzseitigen Startcartoons.<br />

In den kommenden Ausgaben<br />

beeinflusste das Ereignis<br />

aber natürlich die Heftplanung<br />

immer wieder. Besonders gut hat<br />

mir eine Titelgeschichte mit großformatigen<br />

Porträts von Muslimen<br />

aus Hannover gefallen – ein Statement<br />

gegen Fremdenfeindlichkeit.<br />

Titelblatt von Cartoonistin Ulli Lust<br />

Wie habt ihr auf das Attentat<br />

auf die Redaktion von „Charlie<br />

Hebdo“ reagiert?<br />

Wir hatten für die Februarausgabe<br />

im Jahr 2015 eine Geschichte über<br />

Comiczeichner geplant, die eigentlich<br />

schon fertig war. Nach dem<br />

Attentat musste dann natürlich ein<br />

neues Konzept her. Wir fragten die<br />

renommierte Zeichnerin Ulli Lust,<br />

ob sie bereit wäre, für uns ein Titelblatt<br />

zu entwerfen. Sie entschied<br />

sich für einen Wilhelm-Busch-<br />

Cartoon mit Lehrer Lämpel als Attentäter,<br />

dem von Moritz ans Bein<br />

gepinkelt wird. Für mich das beste<br />

Titelblatt während meiner Zeit.<br />

Humor war ja schon immer ein<br />

wichtiges Standbein für den<br />

SPALTER.<br />

Das stimmt, und zwar in jeder<br />

Form. Viele der Cartoonisten, die<br />

bei uns als relativ unbekannte Namen<br />

im Heft waren, haben schnell<br />

Karriere gemacht. Angefangen natürlich<br />

bei Uli Stein über Ol bis<br />

hin zu unserer derzeitigen Startcartoonistin<br />

Kittihawk. Unsere<br />

fiktive „letzte Meldung“, die in jeder<br />

SPALTER-Ausgabe auf der<br />

letzten Seite erscheint, stiftet regelmäßig<br />

Verwirrung. Besonders viel<br />

Spaß hat uns mal eine fast vollständig<br />

ausgedachte Titelstory gemacht.<br />

Dafür ließen wir die Stones<br />

im Chéz Heinz auftreten und eröffneten<br />

im Telemoritz hinterm<br />

Hauptbahnhof einen exklusiven<br />

Club – jeweils mit freundlicher<br />

Unterstützung von prominenten<br />

Veranstaltern. Die Geschichte erschien<br />

im April 2006.<br />

Was wünschst du dir für die<br />

Zukunft?<br />

Noch mehr neugierige Leser, die<br />

uns in der Redaktion besuchen,<br />

außerdem junge Autoren mit vielen<br />

unkonventionellen Ideen und<br />

der Bereitschaft für eine gute Geschichte<br />

unvernünftig lange zu recherchieren.<br />

FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG / JAN DOMMEL<br />

Aufbruchsstimmung: Das Spalter-Team im Kaufrausch bei IKEA<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER


Die Chronik<br />

Grüne Afghanen und rote Redakteure<br />

1976- 1986<br />

Eine Dekade voller Umwälzungen.<br />

Der Spalter wächst<br />

vom kreativen Versuchsobjekt<br />

zur Stadtillustrierten mit<br />

großen Ambitionen.<br />

Eine Gegenbewegung formiert sich.<br />

Die Anti-AKW-Bewegung findet im Schädelspalter ihr "schwarzes Brett"<br />

Start-Up am Leineufer:<br />

Thomas Steinhausen und Reinhard Mahl<br />

Vielleicht war es gar nicht so?<br />

Vielleicht roch es gar nicht nach<br />

grünem Afghanen? Vielleicht<br />

trugen die Männer nicht Latzhosen,<br />

lange Bärte und Arafatschals?<br />

Oder halt Röhrenjeans,<br />

Iro und Lederjacke mit Ratte auf<br />

der Schulter? Vielleicht interessierten<br />

sie sich gar nicht für revolutionäre<br />

Theorien? Vielleicht<br />

wollten sie einfach nur ihr Ding<br />

machen. Und im Idealfall ein<br />

wenig Geld damit verdienen?<br />

Auf jeden Fall hieß das Ding<br />

irgendwann Schädelspalter. Warum<br />

weiss keiner so genau. Angeblich<br />

soll ein Obstwein, ausgeschenkt<br />

in der Pinte “An der Andertenschen<br />

Wiese“ Namensgeber<br />

sein. Egal, es passiert im November<br />

1976. Der Outdoor-<br />

Künstler Reinhard Mahl lernt<br />

den Grafikdesigner und gelegentlichen<br />

Cartoonisten Thomas<br />

Steinhausen an der Werkkunstschule<br />

kennen.<br />

Gemeinsam<br />

gründen sie die<br />

Werbeagentur<br />

SM Grafik Design<br />

und nebenbei<br />

dieses Blatt,<br />

das „über das<br />

Jagdszenen in der Nordstadt:<br />

Die Chaostage rücken Hannover in den Mittelpunkt<br />

kulturelle und politische Leben<br />

unserer Stadt informieren, mit<br />

engagierten Beiträgen zum<br />

Nachdenken anregen und mit<br />

Witz und Satire unterhalten<br />

soll“. Und um sich von der Presselandschaft<br />

abzuheben: ohne<br />

Titel! Nur ein Foto und der Blitz<br />

als Logo. Erst auf Seite drei -<br />

Schädelspalter. Und auch wenn<br />

das Fernsehprogramm nur aus<br />

ARD und NDR III besteht und<br />

das Lesen der Zeilen schädelspaltrige<br />

Züge annimmt - das damals<br />

noch kostenlose Heft findet<br />

reißend Absatz. Im Januar 1978<br />

liegt das Heft - für 1 DM und 80<br />

Seiten stark - am Kiosk aus. Und<br />

Mann der ersten Stunde:<br />

Chefredakteur No.1, Goetz Buchholz<br />

es wird immer professioneller.<br />

Neue Leute prägen nun die Inhalte.<br />

Als erster Chefredakteur<br />

tritt Goetz Buchholz, damals<br />

Pressesprecher des Ermittlungsausschusses<br />

der Bürgerinitiativen,<br />

beim „Spalter“ an. In seine<br />

einjährige Amtszeit fällt die Umstellung<br />

vom DIN-A-5 auf das<br />

FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG, NOVUM<br />

20 1976 - 2016


Die Chronik<br />

Nix Hippie: Der Spalter entdeckt die<br />

neue Deutsche Welle<br />

DIN-A-4-Format, intensive Reportagen<br />

über „Arme und Geknechtete“<br />

und ein Auflagen-<br />

Boom, der den Spalter als ernst<br />

zunehmendes Magazin in Hannover<br />

etabliert. Er selbst allerdings<br />

sieht den Erfolg des Spalters<br />

weniger bei Personen, als viel<br />

In diesem Klima war der Spalter<br />

zur richtigen Zeit am richtigen<br />

Ort - eine Alternative zur bürgerlichen<br />

Zeitung, ein Medium<br />

der Gegenöffentlichkeit. Der<br />

Schädelspalter war das schwarze<br />

Brett dieser Szene. Aber diese<br />

Szene veränderte sich in rapidem<br />

Tempo. Punks trugen auf<br />

einmal Anzüge, radikalisierten<br />

das System von innen, wurden<br />

Unternehmer und auf einmal<br />

war alles - frei nach Nina Hagen<br />

- so schön bunt hier. Der Spalter<br />

ebenso. Was natürlich das Altklientel<br />

verschreckte. Statt über<br />

Anti-Akw-Demos wurde nun<br />

über die Renaissance der Reizwäsche<br />

berichtet. Und es war<br />

nur die Götterdämmerung. Wenig<br />

später wurde es sogar pornographisch<br />

(der legendäre<br />

Theresa-Orlowski-Porno-Report).<br />

Aber so war die Zeit. Die<br />

NDW-Bewegung wollte Spaß,<br />

wer einst politisch korrekt war,<br />

FOTOS: PRIVAT / ARCHIV R&T VERLAG<br />

Keith rocks: 82 spielten die Stones das<br />

erste Mal in Hannover<br />

mehr in der politischen Konstellation<br />

dieser Zeit.<br />

Die große Epoche der Studentenbewegung<br />

war zehn Jahre<br />

her. Nun begannen sich in der<br />

zweiten Welle die einzelnen Szenen<br />

zu vernetzen. Die Abgrenzung<br />

von Politik und Kultur löste<br />

sich auf. Labels, Zeitschriften,<br />

Clubs und Bürgerinitiativen<br />

gründeten sich. Häuser<br />

wurden besetzt. Im ehemaligen<br />

DeFaKa-Kaufhaus entstand der<br />

Pavillon. Gereift ist dabei auch<br />

ein neuer, alternativer Lokalpatriotismus,<br />

der mit Bands wie<br />

Hans-A-Plast, Rotzkotz oder<br />

den 39 Clocks prahlen durfte.<br />

Fast so alt wie der Spalter:<br />

Der Pavillon<br />

fand nun Hedonismus ist auch<br />

ein schönes Wort. Statt in die<br />

rote Kuh ging man in Clubs wie<br />

dem Orly oder dem Spliff. Im<br />

Rückblick ist dieses erste Schädelspalter-Jahrzehnt<br />

einfach eine<br />

aufregende Zeit. Hannover<br />

96 stieg 1976 das zweite Mal aus<br />

der Bundesliga ab und 85 wieder<br />

auf (wenn auch nur kurz),<br />

die Underground-Musikszene<br />

Hannovers war auf ihrem Höhepunkt,<br />

in der bildenden<br />

Kunst wie am Theater passierten<br />

spannende Experimente -<br />

eine kreative Explosion, die im<br />

Spalter ihre Geschichtsschreiber<br />

fand.<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 21


Die Chronik<br />

Celler Loch und der Wind des Wechsels<br />

1986-1996<br />

„Bunter, greller, brisanter“:<br />

Der Spalter wächst an seinen<br />

Aufgaben und erfährt einen<br />

enormen Boom.<br />

Die Scorpions bei Gorbi im Kreml:<br />

Ihr "Wind Of Change" veränderte die Welt. Mindestens!<br />

Popstars für einen Sommer: Hannovers<br />

Extrastarkes Titelfoto von<br />

Marcia Resnick aus New York<br />

Als Anfang 1986 Dirk Lehnhoff<br />

und Hollow Skai den Spalter<br />

als Doppelspitze übernehmen,<br />

steckt der Spalter in einem<br />

tiefen Loch. Die linke Szene der<br />

Spätsiebziger hat sich abgewendet,<br />

neue, junge Blätter wie Tempo<br />

und Wiener fluten den<br />

Markt. Dazwischen will der<br />

Spalter seinen eigenen Weg finden<br />

und „bunter, greller und brisanter“<br />

werden. Aber auch die<br />

Tradition des kritischen Lokaljournalismus<br />

beibehalten. Ein<br />

Kampf gegen Windmühlen.<br />

Aber er wird gewonnen. „Den<br />

Leser nicht bestätigen, sondern<br />

irritieren“ heißt das Leitmotiv.<br />

Der Spalter wird zum Sprungbrett<br />

junger Fotografen, die hier<br />

ihre Ideen verwirklichen können.<br />

Er ist an vorderster Front,<br />

wenn es darum geht investigativ<br />

politische Skandale offen zulegen,<br />

wie etwa das „Celler Loch“<br />

oder ein Dossier über die Verwicklung<br />

von V-Männern in<br />

Straftaten neofaschistischer Parteifunktionäre.<br />

Drei Jahre prägt<br />

Hollow Skai die Ausrichtung des<br />

Spalters – weg vom Image des<br />

linken Sektiererblatts, hin zur<br />

Kühle Optik, heiße Inszenierungen - Hannovers neues Schauspielhaus<br />

Bunt statt braun: Neuer Anstrich<br />

für das Sprengel-Gelände<br />

Bodo Linnemann als Hellseher:<br />

Die Anzeige ist von 1993<br />

modernen Kultur- und Lifestyle-<br />

Illustrierten. Auf Hollow Skai,<br />

der zum Stern geht, folgt Udo<br />

Iwannek, der nur kurz bleibt,<br />

aber die dunklen Ecken Hannovers<br />

entdeckt und heute Pressesprecher<br />

der Üstra ist. Ebenfalls<br />

Pressesprecher (der Region Hannover)<br />

ist heute Klaus Abelmann.<br />

Er bringt dem Spalter<br />

journalistische Tiefe und eine<br />

pointierte wie meinungsbetonte<br />

Ausrichtung. Gossip am Rande:<br />

Abelmann verliebt sich bei einem<br />

Pressefrühstück in die Chefredakteurin<br />

der seit 1990 existierenden<br />

Konkurrenz Prinz, Sabine<br />

Haack. Um den Interessenkonflikt<br />

zu lösen, werden beide<br />

Pressesprecher - er beim Kommunalverband,<br />

sie bei Ministerpräsident<br />

Gerhard Schröder. Es<br />

ist eine Zeit des Aufbruchs. Die<br />

Mauer fällt, Deutschland wird<br />

Fußball-Weltmeister. Zwei Jahre<br />

später wird Hannover 96 in Berlin<br />

DFB Pokalsieger. Die Jahre<br />

davor und danach aber dümpeln<br />

die Roten im Mittelfeld der 2.Liga<br />

herum, im Jubiläumsjahr<br />

1996 steigen sie sogar in die Regionalliga<br />

ab.<br />

FOTOS: BERND OPITZ / MARCIA RESNICK / ARCHIV R&T VERLAG<br />

22 1976 - 2016


Die Chronik<br />

Fun-Punk-Prediger, die Gay City Rollers, zu Gast in der Lindenstraße bei Mutter Beimer<br />

FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG<br />

Kulturell herrscht in Hannover<br />

Anfang der 90er-Jahre Aufbruchstimmung.<br />

Die Kunstszene<br />

rund um die Kestnergesellschaft<br />

entwickelt sich zu einer<br />

der führenden in Deutschland,<br />

am Schauspielhaus, das 1992<br />

mit der „Dreigroschenoper“ eröffnet,<br />

sorgen die Intendanten<br />

Witt und Khuon für neuen<br />

Wind. Im selben Jahr eröffnet<br />

auch das neue Varietétheater<br />

GOP. Musikalisch reifen in<br />

Übungsräumen Bands, deren<br />

Karriere der Schädelspalter auf<br />

Sommer 92:<br />

Hannover 96 gewinnt den DFB-Pokal<br />

seinen Titeln nachhaltig befördert.<br />

Fury In The Slaughterhouse<br />

starten groß durch, die ersten<br />

Ein Titelblatt,<br />

das keine Bildunterschrift braucht<br />

goldenen Schallplatten stehen<br />

Anfang der Neunziger in den<br />

Vitrinen. Ganz so weit schaffen<br />

es Terry Hoax nicht. Aber ihr<br />

Depeche-Mode-Cover „Policy<br />

Of Truth“ rotiert mächtig bei<br />

MTV. Sänger Oliver Perau verlässt<br />

die Band 1996 und startet<br />

in der neuen Spalter-Halle seine<br />

Karriere als Swing-Sänger Juliano<br />

Rossi. Die goldene Ära des<br />

Hannover-Pop bereichern viele<br />

erfolgreiche Bands. Die Funker<br />

Spice, die Crossover-Hip-<br />

Hopper be, der Rapper Spax<br />

oder die Alternative-Rocker<br />

Mellow Sirens. Die Scorpions<br />

landen den Hit ihres Lebens -<br />

„Wind Of Change“. Discos wie<br />

Rote Kuh, Rotation oder Röhre<br />

sind Geschichte. Capitol, Palo<br />

Palo und Sub sind die neuen<br />

Hot Spots. Aber auch Großraumdiscos<br />

(etwa das Rainbow<br />

in Altwarmbüchen) erleben ihren<br />

Zenit. Und: Techno beginnt<br />

in den Weltspielen und der Hanomag<br />

seinen Siegeszug. Zuerst<br />

zu hören ist der neue Sound in<br />

der Men’s Factory. Und noch eine<br />

Premiere: Achim Flebbe eröffnet<br />

1991 in der Nikolaistraße<br />

das erste deutsche Multiplex-Kino<br />

- den CinemaxX-Filmpalast.<br />

In der Spalter-Chefetage wird<br />

munter gewechselt. Auf Klaus<br />

Abelmann folgt Anne Pohl, die<br />

eine neue Richtung vorgibt. Das<br />

Heft wird (noch) bunter, serviceorientierter<br />

und gewinnt an<br />

Auch das waren die Neunziger:<br />

Die Bad-Taste-Welle erlaubt alles<br />

Auflage. Mit ihr hält das Matriarchat<br />

Einzug in die Chefetage<br />

des Spalters. Auf Pohl folgen<br />

Bibi Schmidt und Susanne<br />

Kautz. Womit wir bereits in der<br />

nächsten Dekade sind.<br />

Preiswert und Leistungsstark!<br />

Wir zahlen zwei professionelle<br />

Zahnreinigungen*<br />

* Die AOK Niedersachsen erstattet 80% je Originalrechnung,<br />

max. 250 Euro je Kalenderjahr und Versicherten.<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 23


Die Chronik<br />

Die Welt schaut auf Hannover<br />

1996 bis 2006<br />

Die Expo-Dekade. In keinem<br />

Jahrzehnt wurde so ausgiebig<br />

gefeiert und Party gemacht.<br />

Mittendrin: der Schädelspalter.<br />

Wer mit Aufmerksamkeit die<br />

beiden vorherigen Dekaden gelesen<br />

hat, sei vorgewarnt: Diese<br />

Ereignisdichte soll in den nächsten<br />

20 Jahren nicht erreicht<br />

werden - trotz Expo, 96-Aufstieg<br />

und der Ernennung zur Unesco<br />

City Of Music (die im Wesentlichen<br />

mit den Errungenschaften<br />

der 70er-90er zu tun hat). Aber<br />

es ist mächtig viel los in der<br />

Stadt, die sich durch „Siggi &<br />

Raner“ ihrer sprachlichen Wurzeln<br />

bewusst wird. Am meisten<br />

los ist im Jahr 2000. Stichwort:<br />

Expo. Toll finden die Medien es<br />

Hannover ist für ein halbes Jahr der Nabel der Welt:<br />

Die Expo beschert unsere Metropole mehr als nur ein gut funktionierendes S-Bahn-Netz<br />

Abschied von Mr. Jazz:<br />

Mike Gehrke stirbt 2004<br />

Runter vom Sofa, rein in die Charts:<br />

Housemeister Mousse T.<br />

Rekordhalter: Kein OB hielt länger<br />

durch als Herbert Schmalstieg<br />

Da war doch was? Gerhard Schröder<br />

wird 1998 Bundeskanzler<br />

nicht, dass in der „Provinz“ eine<br />

Weltausstellung stattfindet. Also<br />

schicken sie ihre Kamerateams<br />

in die Ecken des Geländes, wo<br />

wirklich kein Mensch ist. Die<br />

Realität sieht anders aus. Und<br />

die Hannoveraner lassen sich ihre<br />

Expo nicht vermiesen – sie feiern,<br />

als wäre Hannover tatsächlich<br />

Mittelpunkt der Welt. Schöner<br />

Nebeneffekt: Das Selbstbewusstsein<br />

der als Provinzler Gescholtenen<br />

steigt, je mehr die<br />

Außenwelt auf die Stadt und die<br />

angeblich verwaiste Expo eindrosch.<br />

Aber nicht nur die Einstellung<br />

der Bewohner zu ihrer<br />

Stadt, auch das äußere Erscheinungsbild<br />

Hannovers änderte<br />

sich in vielen Punkten: Am<br />

Kronsberg entsteht ein komplett<br />

neuer Stadtteil, mit der Preussag<br />

(heute TUI) Arena hat man bereits<br />

lange vor Berlin und Hamburg<br />

eine riesige Multifunktionshalle.<br />

Und der Zoo entwikkelt<br />

sich mit Gorillaberg, Sambesi<br />

und Dschungelpalast als<br />

„Erlebniszoo“ zum „spektakulärsten<br />

Zoo Europas („Stern“).<br />

Neben dem damals modernsten<br />

Bahnhof des Landes bekommen<br />

die Hannoveraner ein S-Bahnsystem,<br />

von dem sie noch heute<br />

immens profitieren. Auch der<br />

Spalter, anfänglich einer der<br />

schärfsten Expo-Kritiker, feiert<br />

die Weltausstellung in Bild und<br />

Wort. Apropos feiern. Viele<br />

Clubs entstehen, das Bauordnungsamt<br />

schaut noch nicht so<br />

genau hin. In der Partyszene<br />

geht in dieser goldenen Epoche<br />

der Trend in Richtung Mikroclubbing.<br />

Mit Gig, Calamari<br />

Moon, Bronco’s oder Wohnraumatelier<br />

entstehen kleine,<br />

wie feine Magnete für subkultu-<br />

FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG<br />

24 1976 - 2016


Die Chronik<br />

relle Musikformen. Großvater<br />

des Trends ist natürlich Bodo<br />

Linnemann mit seinem Casa<br />

Blanca. Eine Mini-Disco, in der<br />

ein junger Deutschtürke das erste<br />

Mal als DJ auflegen durfte.<br />

1998 landet der Mann, der seine<br />

Partyankündigungen immer<br />

persönlich in der Spalter-Redaktion<br />

abgegeben hat, einen<br />

Welt-Hit. „Horny“ heißt der<br />

Hit, Mustafa Gündogdu, besser<br />

bekannt als Mousse T., der Interpret.<br />

Der geile Hit schmeißt<br />

ebenso wie die folgende Kollabo<br />

mit Tom Jones „Sex Bomb“<br />

noch immer ordentlich Tantiemen<br />

für Mousse T. ab, der seit<br />

2001 im ehemaligen Schweizer<br />

Pavillon auf dem Expo-Gelände<br />

mit seiner Firma Peppermint<br />

Jam residiert. Für den Grammy<br />

wird Mousse T. einmal vorge-<br />

Der Spalter:<br />

Ein Magazin fasst heiße Eisen an<br />

publik. Das neu gewonnene<br />

Selbstbewusstsein der Hannoveraner<br />

macht sich auch sportlich<br />

bemerkbar. 2002 steigt 96 endlich<br />

wieder in die Bundesliga<br />

Der Zoo rüstet auf: Mit Sambesi, Gorillaberg und Dschungelpalast<br />

entsteht der "spektakulärste Zoo Europas" (Stern)<br />

FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG<br />

schlagen, gewonnen hat ihn<br />

zwischen 2000 und 2008 ein<br />

Hannoveraner gleich viermal –<br />

der Bruder des verstorbenen<br />

Spalter-Autoren Michael Quasthoff,<br />

der Baritonsänger Thomas<br />

Quasthoff. 2004 verliert Hannover<br />

eine seiner ganz großen<br />

Lichtgestalten: Mike Gehrke.<br />

Der Stadtimagepfleger, Erfinder<br />

des Flohmarkts und Jazz-<br />

Club-Vorsteher stirbt unerwartet.<br />

Nicht zu vergessen: Bis<br />

2005 durften wir uns Kanzlerstadt<br />

nennen, sieben Jahre regierte<br />

Gerhard Schröder die Re-<br />

auf. Die Hannover Scorpions,<br />

ehemals Wedemark, spielen in<br />

der ersten deutschen Eishockey-<br />

Liga, der DEL. Diese Dekade<br />

begleiten beim Spalter im Chefredakteursessel<br />

Bibi Schmidt,<br />

die dem Magazin eine nie zuvor<br />

geahnte Leichtigkeit verleiht<br />

und Susanne Kautz, die ernste<br />

Themen und die Spaß-Kultur<br />

wieder in aufrechte Balance<br />

bringt. Seit Oktober 2000 regiert<br />

wieder ein Mann den Spalter.<br />

André Buron heißt er. Mit<br />

ihm schifft der Spalter im ruhigen<br />

Fahrwasser.<br />

Adventszauber 2016<br />

Kunsthandwerkermarkt in der<br />

Handwerkskammer Hannover<br />

Termine 2016:<br />

03. + 04. Dezember, 11-18 Uhr<br />

10. + 11. Dezember, 11-18 Uhr<br />

Eintritt kostenfrei<br />

Handwerkskammer Hannover<br />

Berliner Allee 17<br />

30175 Hannover<br />

Tel. 0511 3 48 59 – 21/-36<br />

www.hwk-hannover.de<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 25


Die Chronik<br />

Satellitenstars und Clubsterben<br />

2006-2016<br />

40 Schädelspalter-Jahre<br />

und kein bisschen weiser. Was<br />

in den letzten zehn Jahren<br />

wirklich passierte.<br />

Wo liegt der Arsch der Welt?<br />

Nicht in Hannover. Aber von<br />

dort aus könne man ihn gut sehen.<br />

Das hat Harald Schmidt<br />

mal gesagt. Und damit eine Mittelmäßigkeitsdiskussion<br />

losgetreten,<br />

die noch immer anhält.<br />

Selbstbewusste Hannoveraner<br />

kontern mit dem Zitat des Dichterfürsten<br />

Arno Schmidt: „Und<br />

was heißt schon New York?<br />

Großstadt ist Großstadt; ich war<br />

Augen auf:<br />

Als der Schädelspalter 33 wurde<br />

2006 ist Schluss mit lustig:<br />

Die Reincarnation Techno Parade findet ein letztes Mal statt …<br />

oft genug in Hannover.“ Aber<br />

mal ehrlich, ist die hier zu behandelnde<br />

Dekade nicht der beste<br />

Beweis, um diese Diskussion ein<br />

für allemal zu beenden? Dazu<br />

später mehr. 2006 jedenfalls passiert<br />

ganz viel. Der Schädelspalter<br />

wird 30. Hannover ist als<br />

Fussball-WM-Standort Teil des<br />

Sommermärchens. Hannover<br />

wird attraktiv für Touristen, auch<br />

wenn das Image der Event-Stadt<br />

im Post-Expo-Zeitalter bröckelt<br />

2006 findet ein letztes Mal die<br />

Techno-Parade Reincarnation in<br />

Hannover statt. Die Clubszene<br />

kriselt. Gegen die rückläufigen<br />

Zahlen kämpfen die Wirte mit<br />

Flatrate-Sauf-Angeboten und<br />

Drei-Diskos-in-einer-Konzepten<br />

an. Die lange Nacht der Clubs<br />

hat ausgedient, dafür gibt es jetzt<br />

lange Nächte für Theater,<br />

Schwimmbäder, Museen und sogar<br />

Kirchen. Im Jahr 2006 endet<br />

auch die längste Karriere eines<br />

Stadtoberhauptes in Deutschland<br />

- Herbert Schmalstieg gibt<br />

nach 35 Jahren sein Amt als<br />

Oberbürgermeister ab und beim<br />

Schädelspalter ist mit André Buron<br />

ein Chefredakteur so lange<br />

im Amt wie keiner seiner Vorgänger.<br />

Womit wir bei einem der<br />

Vorzüge von Hannover sind:<br />

Qualität statt Schnelllebigkeit.<br />

Trends brauchen erfahrungsgemäß<br />

ein wenig länger in Hanno-<br />

…dafür entdeckt Hannover den Reiz von "Public Viewing" -<br />

das Sommermärchen 2006 steigt auf dem Waterlooplatz<br />

FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG<br />

26 1976 - 2016


Die Chronik<br />

FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG / PRIVAT / SCHAUSPIEL HANNOVER<br />

Clubs gehen, Clubs kommen -<br />

das Faust in Linden aber bleibt<br />

ver. Ende des Jahrzehnts wird es<br />

schick, in Anti-Mainstream-<br />

Clubs wie dem 3Raum am Ballhof<br />

oder dem Monkeys zu gehen.<br />

Ersterer bekommt schließlich<br />

das Problem vieler Clubs der<br />

Dekade: Bürokratismus und Ärger<br />

mit ruheliebenden Nachbarn.<br />

3Raum, Fösseclub, Philharmonie,<br />

Wohnraumatelier<br />

schließen, Bad und Béi Chéz<br />

Heinz kämpfen um’s Überleben.<br />

Das BootBooHook-Festival<br />

muss aufgeben. Dennoch forcieren<br />

einige kreative Geister die<br />

Bewerbung der Stadt Hannover<br />

zur Unesco City Of Music. Anfänglich<br />

will die Stadt gar nicht<br />

Musikstadt werden. Wichtiger<br />

Eine Hannoveranerin erobert Europa:<br />

Lena Meyer-Landrut<br />

ist 2013 der Neubau des Schlosses<br />

Herrenhausen. Schließlich<br />

gibt die Stadt nach, unterstützt<br />

die Bewerbung. Und 2014 ernennt<br />

die Unesco Hannover zur<br />

City Of Music. Allerdings: Große<br />

Bands wie die Fury’s bringt<br />

Hannover schon länger nicht<br />

mehr hervor. Aber 2007 vertritt<br />

ein Berliner Swing-Sänger<br />

Deutschland beim Eurovision<br />

Song Contest. Die Band, die Roger<br />

Cicero dabei unterstützt,<br />

stammt ausnahmslos aus Hannover.<br />

Darunter der Saxophonist<br />

Stephan Abel, der dem Spalter<br />

schon 1988 eine Titelstory wert<br />

war. Drei Jahre später ist es<br />

schließlich soweit. Die vollkommen<br />

unbekannte IGS-Roderbruch-Schülerin<br />

Lena Meyer-<br />

Landrut erobert alle Herzen -<br />

und gewinnt den Contest in Oslo.<br />

2016 darf es Jamie-Lee aus<br />

Bennigsen erneut versuchen.<br />

Auch wenn sie nur Letzte wird,<br />

beweist sie: An Talenten mangelt<br />

es nicht in Hannover. Talente<br />

reifen auch in der örtlichen Poetry<br />

Slam Szene. Aus dem<br />

Nischenereignis wird bald ein<br />

Trend. Der Poetry Slam „Macht<br />

Worte“ findet im ausverkauften<br />

Opernhaus statt. Womit wir<br />

beim Staatstheater sind. Die Erfolgsjahre<br />

von Intendant Wilfried<br />

Schulz enden 2009. Er geht<br />

nach Leipzig. Aus Basel kommt<br />

Lars-Ole Walburg, der schwierige<br />

Anfangsjahre zu überstehen<br />

hat, aber um in der Fußballersprache<br />

zu sprechen, sich fest gespielt<br />

hat. Fußball? Da war doch<br />

was? Die Roten bescheren uns<br />

zwei goldene Jahre in der Europa<br />

Liga, von der jeder Fußballfan<br />

noch heute träumt. Die Erinnerung<br />

hilft ein wenig darüber<br />

hinweg, dass 96 dieses Jahr nach<br />

14 Jahren Erstklassigkeit in die<br />

2.Liga abgestiegen ist. Und 2010<br />

wurden die Hannover Scorpions<br />

deutscher Eishockeymeister.<br />

Aber wir blicken nach vorne.<br />

Keine Atempause. Geschichte<br />

Neue Akzente am Staatsschauspiel:<br />

Intendant Lars-Ole Walburg<br />

wird gemacht. Wir lesen uns in<br />

zehn Jahren wieder. Dann wird<br />

der Schädelspalter 50. Kein<br />

Scheiß!<br />

Der Jazz Club Hannover<br />

wünscht dem<br />

SCHÄDELSPALTER<br />

alles Gute zum<br />

40-jährigen Jubiläum!<br />

Telefonische Programmansage:<br />

0511 - 4544 55<br />

Vorverkauf: Laporte, Kartenshop<br />

im Kaufhof, Hannover Tourismus<br />

Einlass 19.30 Uhr<br />

Konzertbeginn 20.30 Uhr<br />

Eintritt: 15,- € / erm. 10,- €<br />

Online-Reservierungen:<br />

www.jazz-club.de<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 27


Fotografen<br />

Freundin mit Schlange: Nikolaj Georgiew<br />

Nordstadt-Ikone Liebfried Loch: Jochen Lübke<br />

Funk-Prediger Tom Oz: Bernd Opitz<br />

Rio Reiser im Herrenhäuser Garten: Eberhard Franke<br />

28 1976 - 2016


Fotografen<br />

Auf die Linse - Das Auge liest mit<br />

Nikolaj Georgiew<br />

Fotograf legendärer Spalter-<br />

Titelbilder. In der Popbranche<br />

ein viel gebuchter Musikvideospezialist<br />

(Peter Maffay,<br />

Yvonne Catterfeld, Melanie C.).<br />

Es war das erste meiner 21 Titelbilder,<br />

die ich für den Spalter<br />

fotografiert habe. Auf dem Bild ist<br />

meine Ex-Freundin zu sehen. Ich<br />

habe sie vor einer Fußmatte fotografiert.<br />

Die Schlange haben wir<br />

in einer Zoohandlung organisiert.<br />

Ich wollte ein wenig herum experimentieren<br />

und badete meinen<br />

Dia-Film im Negativentwickler<br />

bis psychedelische Effekte und<br />

krasse Farben entstanden. Man<br />

hat es später das „Crossentwicklungsverfahren“<br />

genannt.<br />

Jochen Lübke<br />

Mittlerweile Fotochef<br />

der deutschen Presse Agentur<br />

für Niedersachsen.<br />

An zwei meiner vielen Fotoshootings<br />

für den Spalter kann ich<br />

mich noch gut und gerne erinnern.<br />

Eine schöne Idee (nicht von<br />

mir) war, Leute aus Hannover zu<br />

bitten, uns einen Blick in ihren<br />

Kühlschrank zu geben. Das andere<br />

ist das Porträt von dem Londoner<br />

Maler Patrick Gibbs, der im<br />

Werkhof in der Nordstadt Akte<br />

malte und sich für das Foto ausund<br />

das Model sich anzog.<br />

Bernd Opitz<br />

Spezialisiert auf Produkt- und<br />

Lifestyle-Fotografie. Für „Blickfang“<br />

zählt er zu Deutschlands<br />

besten Fotografen. Zu seinen<br />

Kunden zählen die TUI und<br />

Toyota ebenso wie die „Elle“<br />

oder „Die Zeit“.<br />

Der schönste Spalter-Auftrag<br />

war, das Tom Oz-Konzert in der<br />

Eisfabrik zu fotografieren - irgendwann<br />

87/88. Das Konzert<br />

fing so gegen 21 Uhr an. Und<br />

Champion Jack Dupree: Karsten Davideit<br />

ging von der ersten Minute an ab.<br />

Die Eisfabrik war knackevoll, alle<br />

am Tanzen, und das Konzert<br />

dauerte vier bis fünf Stunden.<br />

Ein nicht enden wollender<br />

Strom des P-Funk, ein Stück nach<br />

dem anderen, jedes 20 Minuten<br />

lang, immer nur tanzen… Tom<br />

Oz war der preacher himself. In<br />

den Pausen Tiga auf der Bühne,<br />

mit Baseballjacke. Er machte mit<br />

uns Publikum wilde Choreografien<br />

und aus uns allen die „wet family“.<br />

Ich bin dann völlig erschöpft, mit<br />

lautem Pfeifen in den Ohren morgens<br />

um drei, mit einem Grinsen<br />

von hier bis zum Horizont im Gesicht,<br />

nach Hause gefahren.<br />

So etwas hatte ich noch nie<br />

erlebt.<br />

Eberhard Franke<br />

Fotografierte in Hannover<br />

für den Spalter und die HAZ.<br />

Unter anderem Vorstandsmitglied<br />

von Freelens, Verband<br />

der Fotografen. Mittlerweile<br />

mit eigener Agentur in<br />

München tätig.<br />

Anlass für das Foto war ein umfangreiches<br />

Interview von Rio Reiser<br />

durch Hollow Skai. Der „König<br />

von Deutschland” musste ja in<br />

einem passenden Ambiente inszeniert<br />

werden. So kam es zu dem<br />

Shooting in den Herrenhäuser<br />

Gärten. Nach Aufnahmen an verschiedenen<br />

Locations erreichten<br />

wir schließlich zur Skulptur von<br />

Sophie Kurfürstin von Hannover.<br />

Und ich auf die Idee der ungeziemten<br />

Berührung von Sophies<br />

Brust durch den „König“...wir haben<br />

uns köstlich amüsiert...<br />

Karsten Davideit<br />

Seit Oktober 1990 Gastround<br />

Nightlifefotograf für den<br />

Schädelspalter. Außerdem<br />

Foodstill-Spezialist für<br />

Hannover geht aus!<br />

Das eindeutig emotionalste<br />

Spalter-Erlebnis war für mich der<br />

Nachruf auf den am 21.Januar<br />

1992 verstorbenen Champion<br />

40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 29


Fotografen<br />

Jack Dupree. Ein Konzertfoto<br />

von Jack (April 1987, Pupille)<br />

war mein allererstes verkauftes<br />

und auch abgedrucktes Bild. Ab<br />

der Zeit trafen wir uns häufiger,<br />

wenn er mal in der Stadt war<br />

und nicht auf Tournee wie meist.<br />

Im Milano zum Essen oder bei<br />

ihm zu Hause im 22. Stock des<br />

Bredero. Ich hab nie wieder einen<br />

Menschen kennen gelernt, der so<br />

viele Geschichten erlebt hat und<br />

zu erzählen wusste. Seine Mutter<br />

war Cherokee, sein Vater stammte<br />

von Plantagenarbeitern ab.<br />

Mit zwei kam er in New Orleans<br />

in’s Waisenhaus, mit fünf fing er<br />

an in den Barrelhouses Gläser<br />

einzusammeln und sich das<br />

Klavierspiel abzuschauen. Er hat<br />

mit allen Großen des Jazz gespielt<br />

und viele Platten gemacht. Er erzählte<br />

von erlebter Diskriminierung<br />

in Amerika, aber auch verrückte<br />

Geschichten: „Als ich bei<br />

einem Filmdreh in Marokko mit<br />

Miss World war und Männer,<br />

Macheten schwingend, in die<br />

Kneipe kamen...“.<br />

Zwischendurch bei einem langen<br />

Konzert kamen von ihm unweigerlich<br />

großartige Aussagen<br />

wie „Shakespeare says: No Beer,<br />

no Music!“<br />

Mit Jack ist der letzte echte<br />

Barrelhouse-Musiker des Jazz gestorben.<br />

Ein außergewöhnlicher<br />

Mensch und Musiker. Jack, du<br />

fehlst!<br />

Olaf Hauschulz<br />

Aktivposten in den frühen<br />

Neunzigern beim Schädelspalter.<br />

Hauschulz ging 95<br />

nach Hamburg, arbeitete für<br />

die beiden größten Werbeagenturen<br />

Jung von Matt und<br />

Springer und Jacoby. Weltweit<br />

Beachtung fanden 2004 seine<br />

Fotos zur Launch-Kampagne<br />

zum Mercedes CLS. Betreibt in<br />

Hannover den Helmkehof.<br />

Es war super schwierig ein<br />

Titelbild auszusuchen, da es<br />

soooo viele waren (Ich glaube um<br />

40). Das hatte ich fast vergessen.<br />

Ich wusste gar nicht mehr, dass<br />

ich Bettina Zimmermann für<br />

ein Schädelspalter-Cover fotografiert<br />

hatte. Mein Helge<br />

Schneider Shooting war das coolste,<br />

aber leider ist es kein Cover<br />

geworden. Mit über 25 Jahren<br />

Abstand war es toll, die Bilder<br />

wieder zu sehen. Obwohl es<br />

„Frühwerke“ sind, habe ich<br />

nicht das Gefühl, dass man sie<br />

nicht mehr zeigen kann oder<br />

sollte - was sich gut anfühlt.<br />

Die Bilder zu fotografieren hat<br />

super viel Spaß gemacht und ich<br />

habe viel ausprobieren können!<br />

Mussten wir auch, da das Budget<br />

überschaubar war. Trotzdem eine<br />

tolle Zeit!<br />

Beispielhaft für diese Zeit war<br />

das Titelbild aus dem August<br />

1991. Das Modell Tim machte<br />

zu der Zeit ein Schulpraktikum<br />

bei mir. Ich überlegte, wie ein<br />

Sommerbild aussehen könnte?<br />

Gelbe Farbfolie für den Hintergrund,<br />

kein Hemd und Tims<br />

Sonnenbrille. Kein Styling, kein<br />

Make-Up, kein Set.<br />

Foto-Praktikant Tim: Olaf Hauschulz<br />

Dann haben wir Spaß gehabt<br />

und lediglich zwei oder drei Rollen<br />

fotografiert (Film war ja teuer)!<br />

Das Bild war eines der ersten<br />

Titelbilder, die ich für den Spalter<br />

fotografiert habe und ich denke,<br />

dass es für meine Karriere sehr<br />

wichtig war.<br />

30 1976 - 2016

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