jubiheft
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Startcartoon von Uli Stein<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 3
DAS TEST-ABO<br />
3x Schädelspalter zum Preis von 5 Euro<br />
Ihr spart 2,50 Euro und bekommt als Dankeschön<br />
die aktuelle Ausgabe unseres Gastro-Führers HANNOVER GEHT AUS! geschenkt.<br />
DAS TEST-ABO<br />
Ja, ich will das<br />
SCHÄDELSPALTER-Testabo.<br />
Ja, ich will das SCHÄDELSPALTER-<br />
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Ich erhalte 3 Ausgaben des SCHÄDELSPALTER<br />
zum Preis von 5 Euro. Nach Erhalt des dritten<br />
Heftes genügt ein schriftliche Mitteilung an den<br />
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Wenn ich mich nicht melde, verlängert sich das<br />
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aktuelle Ausgabe von HANNOVER GEHT AUS!<br />
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JUBIHEFT<br />
Bitte senden Sie Ihre Bestellung an: R&T Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH . Hallerstraße 27 . 30161 Hannover<br />
oder per email an abo@schaedelspalter.de . Bei Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung: Telefon 0511-340 24 16
Editorial<br />
Geschichte wird gemacht, es geht voran!<br />
Am Anfang war der Blitz:<br />
Die erste Ausghabe des Schädelspalter<br />
geizt nicht mit neuen Reizen<br />
„Auf keinem Aug blind, nie langweilig und weiterhin<br />
nicht gesellschaftsfähig“ stand vor 20 Jahren als modus<br />
operandi in unserem 20-Jahre-Schädelspalter-Jubiläumsheft.<br />
Nun sind schon wieder 20 Jahre vergangen und dem<br />
Motto von vor 20 Jahren fühle ich mich noch immer sehr<br />
verbunden. Als wir, Reinhard Mahl und ich, 1976<br />
beschlossen ein Stadtmagazin zu gründen, hatten wir<br />
nicht im Traum daran gedacht, auch nur zehn Jahre zu<br />
schaffen. Und nun? Ob die Geschichte des Schädelspalter<br />
auch ein wenig Stadtgeschichte geworden ist, sollen<br />
andere beurteilen. Ich jedenfalls blicke mit großem<br />
Staunen auf diese 40 Jahre zurück. Für wirtschaftliche<br />
Sicherheiten habe ich gesorgt, ein wenig an der<br />
Verpackung gefeilt, aber ansonsten keinen Einfluss<br />
auf Inhalte genommen. Der Spalter selbst hat sich<br />
seinen Weg gebahnt - durch die politisch bewegten<br />
Siebziger, hinein in die wilden Achtziger, wieder raus<br />
in die stylischen Neunziger und ab in’s digitale Jahrtausend.<br />
Manchmal flogen wir im Zickzack-Kurs,<br />
aber irgendwie war’s doch immer auf Schädelspalter-<br />
Linie. Wie bewegt diese Reise war, könnt ihr in<br />
diesem Heft nachlesen. Die Chefredakteure erinnern<br />
sich an ihre aufregendsten Geschichten, die Fotografen<br />
an ihre besten Schnappschüsse. Nebenbei<br />
erfahren alle, die es noch nicht wussten, dass heute<br />
bekannte Politiker mal als Spalter-Undercover-Agenten<br />
arbeiteten. Wie auch der Chefredakteur der Zeit einst auf<br />
der Spalter-Honorarliste stand. Heute aber wollen wir<br />
euch animieren, in diesem Heft wie in einem Geschichtsbuch<br />
oder Familienalbum zu blättern. Und in Erinnerungen<br />
zu schwelgen. Und einmal darüber nachzudenken,<br />
was sich in diesen 40 Jahren bedeutsames<br />
getan und verändert hat. Oder um mit den Fehlfarben<br />
zu sprechen: Keine Atempause. Geschichte wird<br />
gemacht. Es geht voran. Und: Pfirsiche sind lecker!<br />
Auch aus der Dose!<br />
Der Startcartoon<br />
Von Uli Stein .................................... 3<br />
Der Spalter lebe hoch!<br />
Die Grußworte ................................ 6<br />
Wenn Opa erzählt...<br />
Die Spalter-Chefredakteure ...... 10<br />
Bunte Stadtgeschichte<br />
Die Spalterchronik ...................... 20<br />
Das Auge liest mit<br />
Die Spalter-Fotografen .............. 28<br />
Thomas Steinhausen<br />
IMPRESSUM . HERAUSGEBER R&T Verlags- u. Vertriebsges.mbH, Geschäftsführer: Thomas Steinhausen, Michael Willems CHEFREDAKTION & GESTALTUNG<br />
Thomas Steinhausen REDAKTION Bernd Schwope ANZEIGEN Bernhard de Buhr (Leitung), Julia Bothe, Ulrike Hochbaum VERTRIEB Bernhard de Buhr DRUCK<br />
Frank Druck GmbH & Co. KG, Preetz/Holstein AUFLAGE 180.000 Exemplare VERLAG Die SCHÄDELSPALTER-Jubiläumsausabe ist eine Sonderveröffentlichung der<br />
R&T Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH und liegt als Beilage in der HAZ/NP-Gesamtausgabe vom 27.10.2016 sowie der November-Ausgabe des SCHÄDELSPALTER<br />
bei. © R&T Verlags- und Vertriebsgesellschaft mbH, Hallerstraße 27, 30161 Hannover, Tel.: 0511-340 240, Fax: 0511-340 24 64, eMail: redaktion@schaedelspalter.de<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 5
Grußworte aus aller Welt<br />
„40 Jahre Spalter - er lebe hoch!“<br />
hat die Eventszene mit seinen Veranstaltungskalendern,<br />
periodischen Spezialausgaben und Onlineaktivitäten<br />
transparent gemacht. Er spaltet<br />
nicht, sondern ist eine Institution geworden,<br />
trotz vielfacher Medienumbrüche und Werbemarktveränderungen.<br />
Es gibt ein treues Publikum,<br />
das den Erscheinungsterminen entgegenfiebert.<br />
Die Benennung des Objektes als „Schädelspalter“<br />
vor 40 Jahren war mutig, etwas verrückt,<br />
aber unter Marketinggesichtspunkten genial.<br />
Es hat die spätere Hinwendung zu einem<br />
veränderten Comedybegriff wie z.B. auch das<br />
„Frühstyxradio“ vorweggenommen.<br />
Ich wünsche dem Schädelspalter trotz oder gerade<br />
wegen der Entwicklung des mobile devices ein<br />
langes Leben als analoges Objekt.<br />
Uli Stein<br />
Spalter-Cartoonist der ersten Stunde,<br />
Bücher mit seinen Cartoons verkauften sich<br />
weltweit über 10 Millionen Mal, auch als<br />
Fotograf tätig.<br />
Das ist schon so lange her. Erinnere mich noch<br />
an ein Titelbild, das ich für eines der ersten Hefte<br />
fotografiert habe - was ich in den Siebzigern<br />
alles für den Schädelspalter gezeichnet habe,<br />
weiss ich nicht mehr so genau. War aber wohl einiges.<br />
Verdanken tue ich dem Schädelspalter eine<br />
wundervolle Freundschaft: In einem der ersten<br />
Hefte gab es eine winzige Abbildung eines Portraits<br />
von Ronnie Wood, das ich großartig fand.<br />
Die Redaktion hatte mir einen Kontakt zu dem<br />
Künstler hergestellt, den ich unbedingt kennenlernen<br />
wollte. Es war Sebastian Krüger, den ich<br />
damals besucht habe - mittlerweile der beste und<br />
erfolgreichste Porträtmaler der Welt. Er ist mir<br />
ein guter Freund geworden.<br />
Viele Jahre später habe ich dann (neben zahlreichen<br />
anderen phantastischen Gemälden, die ich<br />
im Laufe der Zeit von ihm erworben habe) auch<br />
dieses in meine Sammlung bekommen und freue<br />
mich heute immer noch genauso über das Bild,<br />
wie an dem Tag, als ich es vor 40 Jahren im<br />
Schädelspalter entdeckt hatte.<br />
Dr. Friedhelm Haak<br />
Geschäftsführender Gesellschafter<br />
Haak & Compagnie mbH,<br />
Gesellschaft für Beteiligungen.<br />
Ich gratuliere dem<br />
Schädelspalter als einer<br />
lebendigen Zeitschrift<br />
in der Medienlandschaft,<br />
seinen<br />
Gesellschaftern<br />
und allen Mitarbeitern<br />
zu 40 Jahren erfolgreichen<br />
Wirkens<br />
in der Kulturlandschaft<br />
der Region.<br />
Der Schädelspalter<br />
Giovanni di Lorenzo<br />
Chefredakteur Die Zeit,<br />
Mitherausgeber des Berliner Tagesspiegels,<br />
Moderator der Talkshow 3 nach 9<br />
bei Radio Bremen, Ex-Schädelspalter-Autor<br />
und Neue-Presse-Volontär.<br />
Ich freue mich so, dass es den Schädelspalter<br />
noch gibt! Aus meiner Jugend in Hannover ist er<br />
nicht wegzudenken. Er galt bei uns als cool, alternativ<br />
bis subversiv und – ja – jung.<br />
Ich weiß nicht, ob es die alten Kämpen vom<br />
Schädelspalter vielleicht noch in Erinnerung haben,<br />
aber diese Verehrung<br />
war in meinem<br />
Fall recht einseitig.<br />
Überhaupt bin ich in<br />
Hannover zwar zum<br />
Journalismus initiiert<br />
worden – vor allem<br />
durch einen fantastischen<br />
Ressortleiter der<br />
Hannoverschen Neuen<br />
Presse – aber insgesamt<br />
nicht gerade<br />
ermutigt worden. Nee, das ist jetzt schöngeredet:<br />
In Hannover wäre ich gescheitert, noch bevor es<br />
hätte losgehen können. Die Hannoversche Neue<br />
Presse wollte mich nicht als Redakteur übernehmen.<br />
Ein von uns allen damals sehr bewunderter<br />
Punk-Journalist namens Hollow Skai bescheinigte<br />
mir, ich sei ein netter Kerl, aber eben<br />
doch mehr so eine „Kaffeehaus-Gestalt“ – was<br />
mir nicht ganz eingeleuchtet hat, weil ich meine<br />
Jugend eben leider nicht in Kaffeehäusern oder<br />
Kneipen verbracht habe, das werfe ich mir heute<br />
noch vor. Und auch beim Schädelspalter fass-<br />
FOTOS: PRIVAT / JIM RAKETE FÜR DIE ZEIT“<br />
6 1976 - 2016
Grußworte aus aller Welt<br />
FOTOS: NDR/LAURENCE CHAPERON<br />
te man meine wenigen Versuche, dort etwas unterzubringen,<br />
eher mit spitzen Fingern an als sie<br />
mit Freude entgegenzunehmen.<br />
Ich meine, ein Interview mit Sergio Corbucci,<br />
dem Regisseur von „Leichen pflastern seinen<br />
Weg“ („Il grande silenzio“), unterbekommen zu<br />
haben, es war aber schon zuvor in der Zeitschrift<br />
Cult erschienen. Mir blieb also nichts als die<br />
Flucht.<br />
Aber ich freue mich, dass es das Heft noch gibt,<br />
für mich ist es jetzt, wenn ich nach Hannover<br />
zurückkomme, ein Anker. Möge uns der Schädelspalter<br />
überleben!<br />
Martin Jürgensmann<br />
auch bekannt als HannoveRaner,<br />
Comedian, Ex-Siggi&Raner.<br />
Mensch Du, 40 Jahre. Gibt’s doch nich. Wo is<br />
die Zeit geblieben? Ich wollte es nie sagen, aber<br />
jetze sage ich es: Könnte Siggi das noch erleben.<br />
Ja, weil wir hatten doch ne Zeit lang auch mitgemacht<br />
– Siggi und Raner beim Spalter. Kleine<br />
Kolumne. Coole Sache. Hatten se uns gefragt,<br />
ob wir Böcke hätten. Klar hatten wir. Schönes<br />
DIN A4 Heft in Farbe. Hochglanz. Edel. Dieses<br />
glatte Cover. Wenn du es waagerecht hältst,<br />
spiegeln sich die Kneipenlampen auf dem Papier.<br />
Und wenn du Herri drauf abstellst und das<br />
bisschen überschwappt – kannste ne Rinne<br />
draus formen und das zurück ins Glas laufen<br />
lassen. Absolut bierdicht das Blatt. Das is Qualli<br />
is das. Aber auch innerlich. Klar, ich meine,<br />
wenn einer inne 70er mit dem Titel „Schädelspalter“<br />
umme Ecke kommt, kann er kein Pussy-Heft<br />
bringen. Denn muss er konkret liefern.<br />
Immer schön über links und denn gib ihm.<br />
Schräge Perspektiven mit Fischauge.<br />
40 Jahre Spalter. Vier Fünftel von meine Lebenszeit.<br />
Erwachsen werden in Hannover. Erste<br />
Freundin, erste Band, Sturm und Drang, das<br />
Heft immer mit bei. Auf dem Weg zum Rockstar<br />
musstest du den Anzeigenschluss<br />
genau<br />
im Auge haben. Ohne<br />
Nennung im Kalender<br />
war zappenduster.<br />
Kam keiner. Mit<br />
auch nich viel mehr,<br />
aber ich glaube, das<br />
lag nich am Spalter.<br />
Wir hatten einfach<br />
nie Bock auf Üben.<br />
Egal. Der Kalender<br />
war das eine, aber der echte Ritterschlag war’n<br />
Artikel. Mit Foto und so. Der Spalter aufgeschlagen<br />
im Probenraum. „Alter, wie geil!“ Alle<br />
hannoverschen Musiker träumten denn vonne<br />
Titelseite. Aber da warn meistens schöne Frauen<br />
und wir weder das eine noch das andere. Die<br />
Latte hing eben immer hoch beim Spalter. Nix<br />
dagegen. Die Stadt kann stolz sein auf son Blatt.<br />
Ich erhebe meine Dose und sage: „Zum 40. einen<br />
herzhaften Glückwunsch!“<br />
Jürgen Trittin<br />
Bundestagsabgeordneter,<br />
Ex-Schädelspalter-Autor,<br />
Ex-Umweltminister,<br />
Ex-Vorsitzender der Grünen.<br />
Ein Pop-Kalauer<br />
zum Gähnen: Wer<br />
sich an die 80er erinnert,<br />
war nicht dabei.<br />
Die Wahrheit ist - die<br />
80er in Hannover<br />
konnte man im Spalter<br />
nachlesen. Musikalisch:<br />
„Ich kenne<br />
das Leben - ich bin<br />
im Kino gewesen“<br />
sangen Hans-A-Plast.<br />
Im Kino im Anzeigerhochhaus gab es am Wochenende<br />
„Stop Making Sense“ von den Talking<br />
Heads in Dolby-Stereo-Qualität. Es waren die<br />
Jahre, in denen Niedersachsen seinen Ruf als<br />
Skandalland zu erarbeiten begann - lange bevor<br />
Frank Hanebuths Hells Angels unter klandestiner<br />
Duldung der Polizei das Steintorviertel pazifierte.<br />
Die Landesregierung brachte es fertig,<br />
dass die Spielbank am Maschsee pleite ging -<br />
und deshalb der Innenminister Wilfried Hasselmann<br />
zurück treten musste. Am 25.07.1978<br />
gar hatte der damalige Ministerpräsident Ernst<br />
Albrecht seinen Verfassungsschutz beauftragt,<br />
ein Loch in die Mauer des Celler Knastes zu<br />
sprengen. Die Operation war nur der Auftakt<br />
einer Reihe von Geheimdienstoperationen, in<br />
denen niedersächsische Geheimdienstler<br />
Schwerkriminelle zu Taten anstifteten, und zusammen<br />
mit dem berüchtigten Privatdetektiv<br />
Werner Mauss Geheimdienstoperationen sogar<br />
in Algerien durchführten. Doch Albrecht blieb<br />
selbst nicht verschont. Zum Geburtstag des Sohnes<br />
verwüsteten Campinos Tote Hosen sein Haus<br />
in Beinhorn. Was sind heute dagegen Vrone Ferres<br />
und Carsten Maschmeyer? Albrechts Tochter<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 7
Grußworte aus aller Welt<br />
40 Jahre Spalter - „der Hannover Spirit"<br />
Röschen heißt heute Ursula von der Leyen und<br />
Siegfried Kauder singt Hosen-Songs am Wahlabend.<br />
Doch solche Geschichten machten die<br />
Mischung des Spalter aus - und Menschen wie<br />
ich freuten sich, dafür schreiben zu dürfen. Umso<br />
herzlicher gratuliere ich zum 40sten.<br />
Frank Bsirske<br />
Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di,<br />
Ex-Spalter-Autor, Ex-Stadtrat.<br />
Vier Jahre nach Herbert<br />
Schmalstieg angetreten<br />
und schon<br />
zehn Jahre länger in<br />
Funktion: 40 Jahre<br />
sind kein Alter, Spalter,<br />
aber eine hannöversche<br />
Ewigkeit.<br />
Bleibt gewöhnungsbedürftig<br />
wie euer Name,<br />
glaubt immer an<br />
Hannover und lasst<br />
euch nie an die Leine nehmen. Gratulation und<br />
viel Fortune für die nächsten Jahrzehnte!<br />
Oliver Perau<br />
Sänger der Rock-Band Terry Hoax,<br />
auch erfolgreich als Swing-Sänger unter<br />
dem Künstlernamen Juliano Rossi,<br />
Ex-Hannover-geht-aus-Autor.<br />
Damals war der Schädelspalter DAS Stadtmagazin.<br />
Fest mit der alternativen Kulturszene<br />
Hannovers verbunden, unausweichlich lesenswert,<br />
meinungsbildend und wunderbar anders.<br />
Und für mich als Musiker war es das erste<br />
Magazin, das meinen Namen bzw. den von<br />
Terry Hoax erwähnte. Mit Foto. Ein Hochgefühl,<br />
das mich von heute auf morgen innerlich<br />
berühmt machte.<br />
Dann acht Jahre später<br />
mein erstes Konzert<br />
als Swingsänger<br />
in der Spalterhalle<br />
auf der Lister Meile<br />
bei der ersten Fotoausstellung<br />
von Olaf<br />
Heine und die Diskussion<br />
mit der Chefredakteurin<br />
Bibi<br />
Schmidt, wie ich<br />
mich nennen soll. Am Ende des fünfminütigen<br />
Telefonats hieß ich Juliano Rossi. Irgendwann<br />
zwischendurch schickte mich Herausgeber<br />
Thomas Steinhausen auch mal um die Häuser<br />
- Restaurants testen. Für „Hannover geht aus“<br />
schrieb ich zwei Jahre und verband das Angenehme<br />
mit dem noch Angenehmeren. Und ohne<br />
jede Eitelkeit glaube ich, die meisten Cover<br />
der letzten 40 Jahre mit meinem jeweiligen<br />
Aussehen geziert oder weniger geziert zu haben.<br />
Die Zeiten ändern sich, die Konkurrenz<br />
wächst, die Welt wird digital und den Schädelspalter<br />
gibt es noch. Alles Gute von mir!<br />
Doris Wolff<br />
21 Jahre lang die „Gute Seele“<br />
der Spalter-Anzeigenabteilung.<br />
Happy birthday, lieber Spalter. An meinen ersten<br />
Arbeitstag beim Spalter mag ich mich gerne<br />
erinnern. Es war der 3.April 1993. Es war<br />
ein Freitag. Und es war die erste „Fisch sucht<br />
Fahrrad“-Party, die ich organisieren durfte.<br />
Wir waren bereits um halb zehn restlos ausverkauft<br />
und die Schlange ging bis zur nächsten<br />
Ecke. Ich erinnere mich auch daran, weil ich<br />
am 4.April Geburtstag<br />
habe und Mitherausgeber<br />
Reinhard<br />
Mahl noch auf die<br />
Schnelle einen Strauss<br />
Blumen besorgte.<br />
Danach habe ich 13<br />
Jahre die „Fisch sucht<br />
Fahrrad“- und die<br />
„Fisch sucht Fisch“-<br />
Partys organisiert.<br />
Sogar Sarah Connor<br />
ist einmal umsonst bei uns aufgetreten; damals<br />
hieß sie noch Sarah Grey. Ich bin der Liebe wegen<br />
vom Spalter weg, sonst wäre ich noch da.<br />
Thomas Hestermann<br />
lehrt Journalismus an der Hochschule<br />
Macromedia in Hamburg und Berlin,<br />
Ex-Spalter-Schriftsetzer.<br />
Ich fing beim Schädelspalter ganz unten an, als<br />
Schriftsetzer während meines Studiums. Am<br />
Rechner wurden die Layouts damals mit endlosen<br />
Zahlen- und Buchstabenkolonnen programmiert<br />
– und es war immer eine Überraschung,<br />
was am Ende<br />
den Entwickler verließ.<br />
Herausgeber<br />
Thomas Steinhausen<br />
war so etwas wie<br />
mein Meister in Typologie<br />
und hat mich<br />
sehr inspiriert. Ich<br />
habe meinen Gesellenbrief<br />
als Schriftsetzer<br />
gemacht und<br />
mich seitdem mehr<br />
für den Journalismus interessiert.<br />
Ich erlebte den, nun ja, Schädelspalter-Skandal<br />
mit, als Pornoqueen Teresa Orlowski aufs Titelbild<br />
geriet – wohl weniger, um das Geschäft mit<br />
der Lust zu erhellen, als aus Vergnügen an schierer<br />
Provokation der links-alternativen Leserschaft.<br />
Unsere Wege trennten sich, ich gründete<br />
ein Journalistenbüro in der Königstraße gegenüber<br />
der Schädelspalter-Redaktion, moderierte<br />
im Radio, entwickelte Fernsehsendungen und<br />
wurde Professor für Journalismus. An die freche,<br />
leichte und bunte Zeit beim Schädelspalter<br />
denke ich gern zurück.“<br />
Jürgen Hogrefe<br />
Ex-SPIEGEL-Redakteur, schrieb unter dem<br />
Pseudonym J.H. Scharringhausen<br />
jahrelang die Schädelspalter-Kolumne<br />
„Metropolenkritik“.<br />
Noch immer rätselt die Republik, wie es kommen<br />
konnte, dass es Leute aus Hannover waren,<br />
die der Berliner Republik den Kurs vorgaben.<br />
Die Maschsee-Mafia hat Berlin – im<br />
Ernst - noch immer fest im Griff. Nun – wie<br />
kam es? Weil sie ihren Schliff in Hannover bekamen.<br />
Wie? Weil Gerd Schröder bei Plümmecke<br />
seinen Skat drosch? Nein. Weil Brigitte<br />
Zypries ihren Cocktail im Casa am Weißekreuz<br />
Platz nahm? Auch nicht. Weil Uwe-Karsten<br />
Heye in der Markthalle<br />
erstmals zu großer<br />
Form auflief?<br />
Vielleicht. Weil<br />
Christian Wulff sich<br />
im Landtag an Jürgen<br />
Trittin wund<br />
rieb? Ach was! Weil<br />
Frank Steinmeier<br />
Rhetorikkurse bei<br />
Herbert Schmalstieg<br />
nahm, der im Übri-<br />
FOTO: KAY HERSCHELMANN / PRIVAT<br />
8 1976 - 2016
Grußworte aus aller Welt<br />
Museen für<br />
Kulturgeschichte<br />
Hannover<br />
FOTO: DAVIDEIT / PRIVAT<br />
gen auch Frank Bsirske schulte? Nix da! Das<br />
Geheimnis lautet: Alle arbeiteten sich am<br />
Schädelspalter ab! Das ätzende Stadtmagazin<br />
aus der Oststadt schlug den Korken aus den<br />
Flaschen. Hinfort waberte der „Hanover Spirit“<br />
in die Welt! Glückwunsch!<br />
Ferry Ghods<br />
DJ, bekannt als Ferry Ultra,<br />
eigene CD-Veröffentlichungen, Mitinhaber<br />
des In-Clubs Palo Palo am Raschplatz.<br />
Ich weiß noch, wie<br />
ich das erste Mal<br />
beim Spalter war, um<br />
die erste Anzeige für<br />
das Palo Palo zu<br />
schalten. Ich wurde<br />
nach einem Entwurf<br />
gefragt, ich hatte aber<br />
keinen. Dann hat<br />
mich Thomas Steinhausen<br />
in sein Büro<br />
gebeten. Es schwebte<br />
ein besonderer Duft in der Luft. Wir haben also<br />
erstmal zusammen einen geraucht. Er hat dann<br />
am Computer eine Anzeige entworfen mit irre<br />
gemorphten Effekten. Ich war total begeistert.<br />
Als schließlich das Heft erschien rief mich mein<br />
Kompagnon Khasi an. Er war ganz entrüstet.<br />
Wo denn die Anzeige sei. Ich konnte sie auch<br />
nicht finden, obwohl sie eine halbe Seite groß<br />
war. Schließlich fanden wir etwas, wo im Hintergrund<br />
der Schriftzug Palo Palo zu erkennen<br />
war. Was heute die großen Marketingprofis anstreben,<br />
dass ein Produkt erst auf denn zweiten<br />
Blick zu erkennen ist, hatten die beim Spalter<br />
schon damals drauf!<br />
Karl Nagel<br />
Punk-Aktivist, Chaostage-Erfinder,<br />
Comic-Zeichner, Sänger und vieles mehr.<br />
Ok, ich kenne den Spalter nur 34 Jahre, aber<br />
das würde reichen, um einen völlig wahnsinnigen<br />
Comic irgendwo zwischen Asterix, Spider-<br />
Man und den Freak Brothers zu füllen. Thomas<br />
Steinhausen wäre der rasende Jonah Jameson,<br />
der im gallischen Dorf mit hochrotem Kopf patrouilliert.<br />
Und ständig gehen irgendwelche<br />
Durchgeknallten ein und aus, die obskuren<br />
Kram anbieten oder gleich auf den Chefredakteursessel<br />
wollen. Oder<br />
wenigstens als Fotograf<br />
oder Schreiber<br />
mitmachen. Ich selbst<br />
bin in diesem Szenario<br />
leider nicht Peter<br />
Parker, sondern nur<br />
die Klofrau des Spalters,<br />
und meine Klamotten<br />
und Hände<br />
stinken übelst nach<br />
Filmentwickler, wobei<br />
Filme ja mittlerweile so was von gestern sind, ej.<br />
Ich soll weniger Drogen nehmen, denkst du?<br />
Ach, geht auch ohne. Ich habe den Spalter seit<br />
Lady Da’s Zeit 1982 in Rollen als Leser, Musiker,<br />
Meister des Chaos, Mac-Supporter und<br />
Druckvorlagenhersteller kennengelernt. Das<br />
bringe ich nicht unter einen Hut. Und die härtesten<br />
Knaller kann man eh nicht erzählen.«<br />
Thomas Lasser<br />
Spalter-Autor, Gastro-Experte und Chef der<br />
Werbeagentur Look One.<br />
Seit 40 Jahren nerven mich Leute, die Hannover<br />
laaaaangweeeeeiiiiilig finden. Die, gern zugereist<br />
(Pattensen, Peine ... es ist so paradox),<br />
sich über Ecken aufregen, in denen sie selten<br />
(nüchtern) waren.<br />
Die von Leuten abfällig<br />
reden, die sie<br />
vielleicht mal (zufällig)<br />
getroffen haben.<br />
Die sich das Maul<br />
über Konzerte zerreißen,<br />
die ich nie besuchen<br />
würde, weil ich<br />
schon vorher ahne,<br />
dass das nichts werden<br />
kann. Die von<br />
Kneipen, Bars und Restaurants erzählen, die sie<br />
sicher kennen, aber eben nicht wie ich, also<br />
wirklich gut. Und die natürlich noch nie den<br />
Schädelspalter gelesen haben. Da kann ich nur<br />
sagen: selber schuld. Dann wüssten sie nämlich,<br />
was es sich hier lohnt zu erleben. Denn das Heft<br />
ist seit ewigen Zeiten DIE Illu der Stadt. Der<br />
Guide zum Genuss. Was Solides zum Lesen über<br />
das Leben an der Leine. Wer den Spalter kauft<br />
ist ... gut (auch informiert). Seit September<br />
1993 bin ich ziemlich stolz, mich hier (und da)<br />
immer wieder redaktionell einmischen zu dürfen.<br />
Danke, Thomas. Und ... ach ja ... Cheers!<br />
Historisches Museum Hannover<br />
Pferdestraße 6 (Eingang Burgstraße)<br />
Di. 10-19 Uhr / Mi.-Fr. 10-17 Uhr / Sa.-So. 10-18 Uhr<br />
Freitags freier Eintritt!<br />
Museum im Schloss Herrenhausen<br />
Herrenhäuser Straße 5<br />
1.4.-31.10. täglich 11-18 Uhr<br />
1.11.-31.3. Do.-So. 11-16 Uhr<br />
Museum August Kestner<br />
Trammplatz 3<br />
Di. & Do.-So. 11-18 Uhr / Mi. 11-20 Uhr<br />
Freitags freier Eintritt!<br />
Museen für<br />
Kulturgeschichte<br />
Hannover<br />
museen-kulturgeschichte@hannover-stadt.de<br />
www.hannover-museum.de<br />
www.museum-august-kestner.de<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 9
Die Chefredakteure<br />
Achtung, wer nicht weiß,<br />
was diese Überschriften hier sollen:<br />
Es handelt sich allesamt um Songs<br />
hannoverscher Bands<br />
Jung, kaputt spart Altersheime!<br />
(Bärchen & Die Milchbubis)<br />
Jens Thomsen<br />
Schädelspalter-Chefredakteur<br />
von 80-81, vorher Schlosser,<br />
später mit Goetz Buchholz bei<br />
der politischen Wochenzeitung<br />
NaNa, Werbeleiter bei Brillen-<br />
Multi Fielmann und Marketing-<br />
Direktor für Joachim Flebbe,<br />
leitet seine eigene Werbeagentur<br />
JT Marketing.<br />
35 Jahre ist’s her. Damals gab es<br />
noch keine Business-Typen in teuren<br />
Anzügen, die mit Top-Hochschulabschlüssen<br />
alle Jobmöglichkeiten<br />
okkupierten. Damals konnte<br />
man noch von jetzt auf gleich<br />
vom Schlossergesellen zum Chefredakteur<br />
aufsteigen, wenn man<br />
nur über ausreichend selbsthypnotische<br />
Kräfte verfügte, um maßlos<br />
an die eigenen Fähigkeiten zu<br />
glauben. Und Glück. Mein Glück<br />
war, dass ich eines Morgens mit<br />
Goetz Buchholz in Dänemark am<br />
Frühstückstisch saß und er sagte,<br />
dass er eigentlich keine Lust mehr<br />
auf den Job des Chefredakteurs<br />
beim Schädelspalter hätte. Da setzte<br />
meine Selbsthypnose ein.<br />
Blut und Wasser habe ich geschwitzt<br />
danach, nächtelang in der<br />
leeren Redaktion, weil ich nun<br />
wirklich keine Ahnung hatte, wie<br />
man eine Stadt-Illu organisiert.<br />
Aber der nie aus der Ruhe zu bringende<br />
Kurt Borchfeldt, mit dem<br />
ich das Büro teilte, ein selten versiegender<br />
Pils-Bestand und langsam<br />
sich aufbauende Routinen bescherten<br />
mir eine wunderbare Zeit<br />
in einem Job, der sich dann irrsinnig<br />
spannend entwickelte. Sehr<br />
viele tolle Leute habe ich damals<br />
kennengelernt, alle auf besondere<br />
Art besessen von ihren ganz eigenen<br />
Aufbruchs-Ideen: Uwe Kalwar<br />
vom Pavillon, Hollow und die<br />
Crew vom No Fun Label, Emilio<br />
Winschetti, Giovanni di Lorenzo<br />
und viele andere Autoren und Leute<br />
über die wir berichten durften.<br />
Brösels Rötger Feldmann. Hartmut<br />
Klenke und Herve Touchard -<br />
wunderbare Fotografen und Jockel<br />
Finck als Praktikant, der später für<br />
AFP rund um den Globus in<br />
Kriegsgebieten fotografiert hat.<br />
Leider ist er schon verstorben. Wie<br />
Daggi, Kleinanzeigen-Queen mit<br />
großem Herzen und begnadeten<br />
Kommentaren im Kleingedruckten.<br />
Es gibt Stimmen, die behaupten,<br />
diese Kommentare hätten die<br />
höchste Lesedichte im ganzen Heft<br />
gehabt. Mag sein, in jedem Fall<br />
war sie die eigentliche Seele der Redaktion,<br />
kodderig, schrill, und in<br />
einzigartiger Weise liebenswürdig.<br />
Für eine andere Begegnung, die<br />
mir der Spalter beschert hat, bin<br />
ich bis heute unendlich dankbar:<br />
Brachte diesen Cartoon höchstpersönlich in der Redaktion vorbei:<br />
Rötger Feldmann alias Brösel, der Erfinder von Werner<br />
die mit Leo Heinemann, diesem<br />
kleinen, unbeugsamen Antifaschisten.<br />
Dem Hollocaust durch Zähigkeit<br />
und List entkommen, in<br />
der Adenauerzeit als Kommunist<br />
erneut verfolgt, gesundheitlich<br />
stark beeinträchtigt und dennoch<br />
voller Lebensfreude, tiefverwurzeltem<br />
Gerechtigkeitssinn und schlitzohrigem<br />
Humor. Ich hatte ihn auf<br />
einer Demo gesehen. In unbändigem<br />
Zorn hatte er mit seinem<br />
Knirps-Regenschirm auf einen<br />
zwei Köpfe größeren Nazi eingedroschen.<br />
Als ich ihn fragte, ob ich ihn interviewen<br />
dürfe, war Leos erste<br />
Antwort, es ginge nicht um ihn,<br />
sondern um die Sache. So wie es<br />
ihm offensichtlich nicht um Äußeres<br />
ging, sondern immer um<br />
Kundgebungen, Vorträge in Schulen,<br />
Unterstützung von Verfolgten.<br />
Im Chaos seiner winzigen Wohnung<br />
habe ich wunderbare Stunden<br />
verbracht, unglaubliche Geschichten<br />
gehört und eine Riesen-<br />
Portion an Lebensfreude und Mut<br />
getankt. Und natürlich habe ich<br />
auch einen Mann kennenlernen<br />
dürfen, der zu Recht stolz auf sein<br />
Leben war - das jedoch ohne jede<br />
Eitelkeit. Damit habe ich dann<br />
wohl auch Eure Frage beantwortet<br />
nach der für mich wichtigsten Geschichte,<br />
die ich für den Spalter geschrieben<br />
habe.<br />
Als ich mit mehreren anderen<br />
ausgestiegen bin, um die NaNa<br />
Wochenzeitung zu gründen, war es<br />
nicht unbedingt ein freundschaftlicher<br />
Abschied. Im Nachhinein bin<br />
ich aber sehr dankbar. Für die<br />
Chance, aus dem Nichts den Aufbruch<br />
in ein sehr spannendes Arbeitsfeld<br />
wagen zu können, dafür<br />
lernen zu müssen, dass bis zum<br />
Druckabgabetermin jedes Problem<br />
irgendwie zu lösen ist und für die<br />
vielen Begegnungen mit Menschen<br />
wie Leo Heinemann.<br />
Nachdem ich aus Hannover<br />
weggezogen bin, habe ich das Magazin<br />
nie wieder gelesen. Neulich<br />
habe ich aber Thomas Steinhausen<br />
für ein halbes Stündchen besucht.<br />
Und ich habe das gleiche, etwas besessene<br />
wagemutige Blitzen in seinen<br />
Augen entdeckt wie damals.<br />
Das ist beruhigend, denn es scheint<br />
mir der Garant zu sein, dass es immer<br />
wieder Querdenker und -einsteiger<br />
beim Spalter geben wird.<br />
Alles Gute für die nächsten 40 Jahre<br />
Spalter-Wahnsinn.<br />
FOTOS: PRIVAT / RÖTGER FELDMANN / ARCHIV R&T VERLAG<br />
10 1976 - 2016
Die Chefredakteure<br />
Es brennt! Was tun, wenn’s brennt?<br />
(Hans-A-PLast)<br />
FOTOS: NOVUM / PRIVAT<br />
Klaus Gürtler<br />
Schädelspalter-Chefredakteur<br />
von 81-85, Kunstkritiker,<br />
damals Mitglied der Grün-Alternativen<br />
Bürgerliste (GABL),<br />
gründete nach dem Spalter die<br />
Zeitschrift „Flex“, später u.a.<br />
Geschäftsführer CulturConsult,<br />
PR-Manager Freie Theater<br />
Hannover, Finanzvorstand<br />
Campus Institut AG.<br />
Liebe Leute, das ist jetzt 37 Jahre<br />
her. Und ich soll was dazu<br />
schreiben? Opa erzählt vom Krieg<br />
– hieß das damals, als es noch Opas<br />
gab, die vom Krieg erzählten.<br />
O.K., erzähle ich also vom<br />
Krieg. Zumindest im übertragenen<br />
Sinn. In grauer Vorzeit – es muss<br />
1979 gewesen sein – fragte mich<br />
Goetz Buchholz, ob ich was zu<br />
Kultur schreiben könnte. Da ich<br />
damals im Wilhelm-Busch-Museum<br />
arbeitete, schrieb ich also einen<br />
Artikel zur aktuellen Honoré-<br />
Daumier-Ausstellung. Man sieht:<br />
Unparteiischer Journalismus war<br />
damals nicht unbedingt das Thema.<br />
Bei uns nicht, aber beim Rest<br />
der Presse auch nicht.<br />
Jedenfalls war das der Anfang.<br />
Und wo war der Krieg? Der tobte<br />
innen und außen. Außen: Die<br />
GRÜNEN waren noch nicht gegründet,<br />
die ganze breite linksalternative<br />
und freie kulturelle Szene<br />
mit ihren Initiativen und Aktivitäten<br />
fand in der normalen Presse<br />
nicht oder nur als Karikatur<br />
statt. Gleiches galt für die Musik<br />
dieser Szene. Der Spalter wurde<br />
über etliche Jahre ihre einzige lokale<br />
publizistische Basis. Zur Erinnerung:<br />
Es gab damals nur Offline.<br />
Und innen: Das war nun<br />
nicht wirklich der Plan von R&T<br />
gewesen, so ein „Arbeiter- und<br />
Bauernblatt“ (Thomas Steinhausen).<br />
Und so hub denn ein fröhliches<br />
Hauen und Stechen an, wer<br />
denn die Macht habe im Königreich<br />
R&T. Unter Buchholz und<br />
Thomsen ging es erfolglos um ein<br />
Redaktionsstatut. Ich habe dann<br />
den ersten und wohl bundesweit<br />
einzigen Betriebsrat in einem<br />
Stadtmagazin initiiert. Das<br />
brachte ein für beide Seiten erträgliches<br />
Patt – und war die Basis für<br />
fünf sehr erfolgreiche Jahre. Wir<br />
übten Kompromiss: Historische<br />
Höchstauflage, weil Thomas in die<br />
Consumerecke zerrte und ich in<br />
Gabba gabba hey: Ulla Henscher, Luk List, Alexander Rudnick, Manuel Kiper protestieren gegen die „Punker-Kartei“<br />
die links-alternative. Streit kann<br />
also sehr produktiv sein. Und das<br />
trotz scharfer Konkurrenz: Buchholz<br />
und Thomsen hatten mit viel<br />
Engagement und Sympathie der<br />
Szene die NANA gegründet – aber<br />
dann leider eher den Spalter als<br />
die Madsack-Presse ins Visier genommen.<br />
Einzelne Sachen? Kramen<br />
wir in der grauen krausen<br />
Masse. Lemmy Kilmister war mal<br />
in der Redaktion. Und unsere supergeniale<br />
Lady Da schmolz dahin<br />
wie ein Schneemann im Mai.<br />
Es tat mir sehr weh, als sie später<br />
starb. Dieter Jaenicke konnte sich<br />
unserer Kritik am Wintertheater<br />
nur mit einem wütenden Flugblatt<br />
erwehren. Aber er ließ es dabei<br />
bewenden. Klagen und Prozesse<br />
liefen eigentlich permanent, oft<br />
mehrere zugleich. Die meisten haben<br />
wir gewonnen. Und einmal<br />
wollte ein (echter) Graf Yorck bei<br />
uns ein Elaborat veröffentlicht sehen,<br />
das auch weitherzigen Lesern<br />
unzumutbar war. Nie saß ich einsamer<br />
in der Redaktion, als er<br />
plötzlich an meinem Schreibtisch<br />
stand. Denn der außerordentlich<br />
kompakte Graf Yorck war bekannt<br />
für seine Neigung zur energisch<br />
verkürzten Meinungsbildung<br />
(weswegen er auch immer wieder<br />
mal einfuhr). Doch die Kraft des<br />
Wortes obsiegte auch hier. Von<br />
Graf Koks jedoch kein Wort. Zum<br />
Redaktionsschluss hin haben wir<br />
jedenfalls meist nur jede zweite<br />
Nacht geschlafen. Wohl aber von<br />
einer Revolution namens Scantext<br />
geträumt: Mit elektronischen Erfassungsgeräten<br />
(in denen ein<br />
braver Braunschweiger Commodore<br />
seine Pflicht tat) konnten<br />
Texte mit Tags erfasst und über ein<br />
einzeiliges Display auch nachträglich<br />
korrigiert werden. Wow! Jede<br />
dieser Kisten kostete damals<br />
12.000 DM und der passende<br />
Belichter das Fünffache. Thomas,<br />
du warst Avantgardist! Technisch<br />
jedenfalls. Der erste Mac kam<br />
dann erst 1984.<br />
Ja, es waren geile Jahre voller<br />
Energie. Je ne regrette rien!<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 11
Die Chefredakteure<br />
Policy Of Truth<br />
(Terry Hoax)<br />
Dirk Lehnhoff<br />
Schädelspalter-Chefredakteur<br />
1985, Volontariat bei der HNA<br />
in Kassel, initiierte das Stadtmagazin<br />
“Lehmann’s Zeitung“<br />
in Kassel, später Nord-Report,<br />
Neue Presse, „Horizont“, NDR,<br />
PR-Berater, Schreibschule.<br />
An welche Titelstory erinnerst<br />
du dich sofort?<br />
Wie sagte noch Joschka Fischer:<br />
Wer sich erinnert, war nicht dabei.<br />
Aber mal Spaß beiseite, natürlich<br />
erinnere ich mich an die „Renaissance<br />
der Reizwäsche“. Ich hatte<br />
wohl im Londoner „Time Out“-<br />
Magazin gelesen, Reizwäsche wäre<br />
wieder groß im Kommen. Zeitgleich<br />
hatte in der Knochenhauerstrasse<br />
ein neuer Dessous-Laden eröffnet.<br />
Darauf basierte die Story.<br />
Und das passte zum Zeitgeist?<br />
Es gab zu der Zeit spürbare Veränderungen<br />
im politischen Klima.<br />
Zusammen mit Hollow wollten<br />
wir das Image des linken Kampfblatts<br />
ablegen und den Spalter<br />
„magaziniger“ machen. Da passte<br />
die „Renaissance der Reizwäsche“<br />
als provokantes Kick-Off-Stück<br />
ganz gut. Ich hatte nach meinem<br />
Volontariat vier Jahre als landespolitischer<br />
Korrespondent gearbeitet.<br />
Ergo kam ich mit einem etwas moderateren<br />
- man kann auch sagen:<br />
professionelleren Journalismus-<br />
Verständnis als meine Vorgänger<br />
zum Spalter.<br />
Wie lange warst du beim<br />
Spalter?<br />
Ein knappes Jahr. Mir fiel die undankbare<br />
Rolle zu, eine Umstrukturierung<br />
beim Spalter durchzusetzen.<br />
Die Arbeit hat trotzdem<br />
viel Spaß gemacht. Steinhausen ist<br />
ja bis heute ein genialer Blattgestalter,<br />
ein sehr begabter Grafiker<br />
und gleichzeitig ein unglaublich<br />
disziplinierter Arbeiter. Und es<br />
waren einfach tolle Schreiber beim<br />
Spalter, einer von ihnen ist seit langem<br />
Regionspressesprecher, ein anderer<br />
- Wolfgang Timpe - wurde<br />
später Chefredakteur der großen<br />
Regionalzeitung Hessisch-Niedersächsische<br />
Allgemeine (HNA), in<br />
Kassel.<br />
Willkommen beim Schädelspalter: Programmredakteurin Renate Baumgart,<br />
Marius Müller-Westernhagen und Verlagsassistentin Marlies Weber<br />
Was ist dir als Anekdote hängen<br />
geblieben?<br />
Besonders war, dass wir als führendes<br />
Stadtmagazin oft Besuch von<br />
allen möglichen Showgrößen bekamen.<br />
Mit Marius Müller-Westernhagen<br />
beispielsweise hatten wir viel<br />
Spaß in der Redaktion. Und als ich<br />
mal ein Interview mit Otto Waalkes<br />
machen wollte, hat der nach<br />
kurzem Gespräch einfach gesagt:<br />
Schreib’ doch auf, was Dir einfällt,<br />
Du kennst ja das Programm. Das<br />
habe ich dann getan.<br />
Erklär uns, wo kommt der<br />
Name Schädelspalter her?<br />
Ich glaube, das war eine Anregung<br />
aus der Schweiz, aber genau weiß<br />
ich es nicht. Das müsste eventuell<br />
Uli Stein wissen, der in der frühen<br />
Spalter-Zeit oft illustre Stories beigetragen<br />
hat, ein Interview mit einem<br />
Pixi-Paßbild-Automaten<br />
zum Beispiel.<br />
FOTOS: PRIVAT / ARCHIV R&T VERLAG / GERD HEIDORN<br />
12 1976 - 2016
Die Chefredakteure<br />
Lebensfroh und Farbenfroh<br />
(Rotzkotz)<br />
FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG / PRIVAT / UTE SCHENK<br />
Hollow Skai<br />
Schädelspalter-Chefredakteur<br />
von 86-89, vorher freier Mitarbeiter,<br />
Label-Chef (No Fun),<br />
später Redakteur beim Stern,<br />
Buchautor, lebt und arbeitet in<br />
Hamburg.<br />
Wie würdest du deinen<br />
Verdienst an der Entwicklung<br />
des Schädelspalters sehen?<br />
Zu meiner Zeit wurde das Themenspektrum<br />
gehörig erweitert<br />
und das Heft modernisiert. Weg<br />
vom strengen Politblatt, hin zu einem<br />
Kultur- und Lifestyle-Magazin.<br />
Die Arbeitsabläufe innerhalb<br />
des Verlages wurden professionalisiert.<br />
Auf dem Anzeigenmarkt<br />
boomte das Heft und der Verlag<br />
wurde konsolidiert. Trotzdem blieben<br />
wir kritisch und unbequem,<br />
frech und originell.<br />
Stimmt es, dass du deinen<br />
eigenen Schreibtisch in die<br />
Redaktion mitbringen musstest?<br />
Nun ja, wir hatten gerade das No-<br />
Fun-Büro (Punk-Plattenlabel von<br />
Hollow Skai, Anm. des Verfassers)<br />
aufgelöst. Und da dort ein Schreibtisch<br />
über war und im Schädelspalter-Büro<br />
keiner stand, hab ich<br />
ihn halt mitgebracht.<br />
Die Beteiligten der Spielbank-Affäre - Spielbankchef Marian Felsenstein (links) und<br />
Ministerialdirektor Gerhard Roemheld (stehend mit Sonnenbrille)<br />
Welche Titelstory ist dir in Erinnerung<br />
geblieben?<br />
Das Porno-Heft mit Teresa Orlowski<br />
auf dem Titel war sicherlich<br />
das meist diskutierteste. Das hat<br />
richtig rein geknallt. Die Empörung<br />
war riesengroß. Das alte, linke<br />
Klientel des Spalter ist fast<br />
Amok gelaufen, wie ihr Magazin<br />
unkommentiert jemanden wie<br />
Porno-Produzent Moser zu Wort<br />
kommen ließ. Das Heft verkaufte<br />
sich dennoch oder gerade deswegen<br />
enorm. Im Nachhinein gesehen<br />
war das eine gute Geschichte und<br />
die Aufregung Zeichen einer linken<br />
Prüderie. Wenig später wurde<br />
das Thema bundesweit von großen<br />
Magazinen wie dem Stern aufgegriffen.<br />
Dann gab es die Spielbank-Affäre,<br />
in der wir mit dem<br />
hannoverschen Spiegel-Korrespondenten<br />
Jürgen Hogrefe eng zusammengearbeitet<br />
haben. Oder die<br />
Story über das „Celler Loch“, über<br />
die uns der Fraktionsvorsitzende<br />
der Grünen im Landtag, Jürgen<br />
Trittin, undercover Geschichten<br />
schrieb, um die uns die Tageszeitungen<br />
beneideten. Und dann war<br />
ich wohl auch der HAZ und der<br />
NP mit einem Porträt der designierten<br />
Landesmutter Hiltrud<br />
Schröder zuvorgekommen.<br />
Du hast später für den Stern<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 13
Die Chefredakteure<br />
Wind Of Change...<br />
(Scorpions)<br />
und andere große Publikationen<br />
geschrieben. Wo liegt für dich<br />
der Unterschied zum Spalter?<br />
Im Prinzip bestand da kein großer<br />
Unterschied, beim Stern war alles<br />
nur größer, ich hatte endlich mal<br />
Zeit, um einen Artikel ausführlich<br />
zu recherchieren und Leute zu interviewen.<br />
Der Spalter war dafür<br />
eine gute Schule gewesen, dort habe<br />
ich viel gelernt, was ich später<br />
beim Stern anwenden konnte.<br />
Und ich konnte viel ausprobieren.<br />
Thomas Steinhausen ließ mir alle<br />
Freiheiten, auch wenn es schon<br />
mal Zoff mit Anzeigenkunden<br />
gab. Die Nacht durchzuarbeiten<br />
war eine sehr intensive und schöne<br />
Erfahrung. Was ganz wesentlich<br />
war: der Spalter war schon damals<br />
sehr gut vernetzt, immer auf dem<br />
neusten technischen Stand. Es gab<br />
den „direkten Draht“ mit Hilfe<br />
von Kommandos vom Computer<br />
zum Satz, das sogenannte „Redaktron“-Satzgerät.<br />
Als ich später<br />
beim Stern anfing, musste ich zunächst<br />
wieder auf einer Schreibmaschine<br />
arbeiten. In dieser Beziehung<br />
war der Spalter der Zeit weit<br />
voraus.<br />
Eine Edelfeder wie Giovanni di<br />
Lorenzo hat mal beim Schädelspalter<br />
angefangen zu schreiben.<br />
Würdest du den Spalter als<br />
Talentschmiede des Journalismus<br />
sehen?<br />
Ich war zu meiner Zeit stolz auf<br />
meinen Mitarbeiterstamm. Alle<br />
Ressorts waren großartig besetzt.<br />
Ulrike Meyer arbeitete später für<br />
„Die Zeit“ und schrieb gute Ausstellungskritiken,<br />
Andreas Lueg,<br />
Ulrike Meyer: Vom Spalter zur „Zeit“<br />
der heute für ein Kulturmagazin<br />
der ARD arbeitet, Filmkritiken,<br />
Wolfgang Timpe, der heute das<br />
Magazin des Autoverleihers Sixt<br />
produziert, war für Theater zuständig,<br />
und die späteren „Spiegel“-Redakteure<br />
Thomas Hüetlin<br />
und Lothar Gorris, der ex-<br />
„Sounds“- und heutige „manager<br />
magazin“-Redakteur Michael<br />
Kröher, Horst Tomayer von „Konkret“,<br />
der Cartoonist Bernd Pohlenz<br />
und der Fotograf Günther<br />
Zint lieferten Beiträge. Überhaupt<br />
Fotografen: Jim Rakete fotografierte<br />
zwei Titelbilder für uns und es<br />
gab Kontakte in alle Welt, zum<br />
Beispiel zu der New Yorker Fotografin<br />
Marcia Resnick.<br />
Deine schönste Anekdote aus<br />
deiner Spalter-Zeit?<br />
Damals guckten Thomas Steinhausen<br />
und ich jeden Dienstag<br />
„Dallas“ und konzipierten das<br />
Heft. Am Tag, als Bobby Ewing<br />
starb, waren wir gerade mit allem<br />
durch, als das Atomkraftwerk in<br />
Tschernobyl explodierte. Daraufhin<br />
traten wir die Titelgeschichte<br />
in die Tonne und produzierten in<br />
kürzester Zeit eine neue.<br />
Und was war weniger schön?<br />
Dass die Titelbilder öfter mal<br />
„absoffen“. Katja Trittschanke,<br />
unsere Setzerin, die mal das Titelbild<br />
zierte, sah aus wie eine Currywurst.<br />
Und Rio Reiser als hätte er<br />
Gelbsucht.<br />
Udo Iwannek<br />
Chefredakteur 1989,<br />
heute Pressesprecher der Üstra<br />
Verkehrsbetriebe.<br />
Aus meiner Zeit als Chefredakteur<br />
des Schädelspalters erinnere<br />
ich mich vor allem an die exzellente<br />
Verpflegung, die wir beim Feinkosthändler<br />
„Backhaus“ besorgten,<br />
unserem Nachbarn in der Königstraße.<br />
Die war auch nötig, denn<br />
die Abende und Nächte, die ich<br />
mit meinem damaligen Kollegen<br />
Klaus Abelmann in der Redaktion<br />
verbrachte, wurden lang und länger,<br />
je näher der Redaktionsschluss<br />
rückte.<br />
Klaus und ich stachelten einander<br />
mit ausgefallenen Themenvorschlägen<br />
an. Besonders kühn fanden<br />
wir die Idee, einmal nicht die<br />
Vorzeigeseiten Hannovers, sondern<br />
seine hässlichen Rückseiten zu<br />
zeigen. So entstand die Fotoreportage:<br />
„Da geht Ihnen die Düse:<br />
Hannovers dunkle Ecken“, für die<br />
wir Jochen Lübke (damals noch<br />
ein junger Nachwuchsfotograf) engagierten.<br />
Er fotografierte Gegenden,<br />
die so gruselig waren, dass<br />
man schon am Tag einen weiten<br />
Bogen um sie machen würde, des<br />
Nachts und in Schwarzweiß. Leider<br />
bestand Jochen auf redaktionellem<br />
Personenschutz bei dieser<br />
Arbeit, und so mussten abwechselnd<br />
Klaus oder ich ihn zähneklappernd<br />
und mit schlotternden<br />
Knien bei seinen nächtlichen<br />
Streifzügen begleiten. Da ging mir<br />
selber die Düse, als ich nachts um<br />
zwei darauf warten musste, dass<br />
Jochen seine Langzeitbelichtung einer<br />
zugemüllten Straßenunterführung<br />
in einem verwilderten Park<br />
endlich fertig bekam…<br />
Die Bildunterschriften wurden<br />
in der allerletzten Kurve zum Redaktionsschluss<br />
mit der berühmten<br />
heißen Nadel genäht, und so setzte<br />
ich unter ein Foto eines Plattenbaus<br />
in einem als sozialer Brennpunkt<br />
bekannten Stadtteils kurzerhand<br />
einige knallharte Sätze<br />
über die Zustände in solchen Vierteln,<br />
die jedem Boulevardjournalisten<br />
zur Ehre gereicht hätten.<br />
Das nannte man damals im Journalistendeutsch<br />
‚dem Affen ordentlich<br />
Zucker geben‘. Leider<br />
war auch das Straßenschild abgelichtet<br />
worden, und hinter der<br />
trostlosen Hausfassade befanden<br />
sich keine schlichten Schlafstätten,<br />
wie von mir vermutet, sondern<br />
ausgerechnet unter dieser Adresse<br />
eine Anlage mit teuren Eigentumswohnungen.<br />
Deren Besitzer<br />
fanden unsere Reportage gar nicht<br />
lustig, sondern schrieben einen geharnischten<br />
Brief an den Verlag,<br />
worin sie sich darüber empörten,<br />
dass ich ihre Luxusapartments als<br />
„Brutstätte sinnloser Gewalt“ bezeichnet<br />
hatte.<br />
So war das damals: Wir waren<br />
jung, wir waren verwegen und<br />
trauten uns was. Manchmal ging<br />
das halt in die Hose. Aber die Verleger<br />
ließen uns ordentlich Leine,<br />
das Blatt hieß ja nicht umsonst<br />
„Schädelspalter“. Für diese Zeit<br />
bin ich heute noch dankbar und<br />
denke gern an alle zurück, mit denen<br />
ich damals zusammenarbeiten<br />
durfte.<br />
FOTOS: PRIVAT / JIM RAKETE / ARCHIV R&T VERLAG<br />
14 1976 - 2016
Die Chefredakteure<br />
Time To Wonder<br />
(Fury ITS)<br />
irre Idee nicht verfolgte. Ich habe<br />
viel von ihm gelernt. Er hat viel<br />
mit Typo und Fotos gespielt. Meine<br />
schönsten Erinnerungen an den<br />
Spalter sind die Momente, meist<br />
nachts, als ich mit Thomas am<br />
Grafikdesk zusammenarbeitete.<br />
Klaus Abelmann<br />
Schädelspalter-Chefredakteur<br />
von 89 bis 91, Punk-Aktivist,<br />
später Pressesprecher des<br />
Kommunalverbandes, heute<br />
Pressesprecher der Region<br />
Hannover.<br />
Viele deiner Kollegen loben den<br />
technischen Standard beim<br />
Spalter …<br />
Es war immer der allerhöchste<br />
Standard. In Satzmaschinen direkt<br />
eingeben zu können, war in<br />
den 1980ern das Nonplusultra.<br />
Warten auf den Karriereschub: Fury In The Slaughterhouse 1988<br />
FOTOS: BERND OPITZ / PRIVAT / JOCKEL FINCK<br />
Erinnerst du dich noch an<br />
deinen ersten Schädelspalter-<br />
Artikel?<br />
Das war im November 1980, eine<br />
Vorankündigung zur Veranstaltung<br />
„Tage der aggressiven Rockmusik“<br />
im UJZ Korn. Die Korn<br />
war damals eine Pflichtstation für<br />
US-Hardcore-Punkbands.<br />
Dein schönstes Titelblatt?<br />
Eine psychedelische Collage aus Fotos<br />
des frisch berufenen hannoverschen<br />
Oberstadtdirektors Jobst<br />
Fiedler, der im Heft porträtiert<br />
wurde, und der damals sehr angesagten<br />
Popgruppe Dee-Lite. Eine<br />
sehr schräge Idee. Aber Thomas<br />
Steinhausen war auch als Gestalter<br />
immer sehr experimentierfreudig<br />
und der letzte, der eine gute, aber<br />
In deiner Zeit bekam der Spalter<br />
Konkurrenz - durch die mit viel<br />
Geld aufgepeppte Stadtillu<br />
Prinz. Wie war Deine Reaktion?<br />
Wir waren alle sehr beunruhigt.<br />
Die hatten einfach ein ganz anderes,<br />
größeres Budget. Aber es war<br />
schnell erkennbar, dass die boulevardeske<br />
Ausrichtung des Prinz<br />
uns in die Karten spielte. Vor dem<br />
Prinz waren alle auf den Spalter<br />
sauer, weil zu bunt, nicht mehr<br />
links genug. Dann kam Prinz und<br />
polarisierte. Das hat uns eher geholfen.<br />
Auf welche journalistische Tat<br />
bist du am wenigsten stolz?<br />
Als ich rassistisch wurde. Unser Fotograf<br />
hatte die Aufgabe zwei farbige<br />
Ragga-Rapper, die in Hannover<br />
ein Album aufnahmen, zu fotografieren.<br />
Er kam auf die gran-<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 15
Die Chefredakteure<br />
Hyper, Hyper!<br />
(Scooter)<br />
diose Idee, das Duo im eh schon<br />
unterbelichteten Tunnel zum Volgersweg<br />
ohne Blitz aufzunehmen.<br />
Resultat: Man sah nur zwei rote<br />
Augen im Gesamtdunkel. Ich<br />
konnte einfach nicht anders und<br />
schrieb in der Bildunterschrift, was<br />
ich sah: „Neger im Tunnel“. Politisch<br />
korrekt war das nicht und,<br />
versprochen, liebe Initiative „Mit<br />
Ausländern verheiratete Deutsche“,<br />
ich mache es nie wieder!<br />
Worauf bist du am meisten<br />
stolz, wenn du auf deine Schädelspalter-Zeit<br />
zurückblickst?<br />
Darauf, dass wir uns gegenüber<br />
anderen Medien klar abgrenzen<br />
konnten, weil wir vor allem eine<br />
Stadtillustrierte sein wollten. Starke<br />
Fotos; Texte, die über den Tag<br />
Bestand haben und pointierte<br />
Meinungsäußerungen zwischen<br />
den journalistischen Pflichtübungen.<br />
Warum nicht vier oder mehr<br />
Kolumnen in einem Heft mit über<br />
200 Seiten?<br />
Und was hat dir am wenigsten<br />
Spaß bereitet?<br />
Ich musste als Teil eines größeren<br />
Teams zur großen Spalter-Porno-<br />
Story „Titten, Thesen, Temperamente“<br />
(1986) 70 bis 80 einschlägige<br />
Videos des lokalen Großproduzenten<br />
Hans Moser rezensieren.<br />
Das war harte Arbeit. Ich habe<br />
diese Aufgabe aber strikt aus cineastischer<br />
Sicht erledigt. Also den Plot<br />
nacherzählt und keinesfalls die<br />
Höhepunkte verschwiegen. Schöner<br />
Nebeneffekt: Ich hatte während<br />
der Sichtungszeit immer viel<br />
Besuch von Freunden....<br />
Wie siehst du…<br />
Oh, mir fällt da noch eine Geschichte<br />
ein. Als ein im Zweifel<br />
eher links zu verortendes Blatt waren<br />
wir anfangs auch auf der Expo-Gegnerseite.<br />
Damals war die<br />
Weltausstellung noch als Großmesse<br />
auf dem Kronsberg geplant. Ich<br />
habe also im Frühjahr 1990 einen<br />
Fotografen rausgeschickt mit dem<br />
Auftrag, er solle Fotos schießen, wie<br />
dort schon bald die unberührte<br />
Natur geschändet wird. Der Fotograf<br />
rief dann zurück. „Hier<br />
wächst aber gar nichts - außer<br />
Runkelrüben.“ Ich: „Dann fotografier<br />
die von unten, bis sie wie<br />
Bäume aussehen!“ Die Geschichte<br />
haben wir gebracht. Als es mit der<br />
Expo und ihrem Nachhaltigkeitsmotto<br />
langsam ernst wurde, sank<br />
die Skepsis deutlich.<br />
Warum hast du den Spalter<br />
damals verlassen?<br />
Anfang der Neunziger war mir<br />
schon klar, dass irgendwann ein<br />
All-In-One-Heft, das alle Angebote<br />
und politischen Diskurse dieser<br />
Stadt abdeckt, nicht mehr gebraucht<br />
wird. Auch „die Szene“<br />
differenzierte sich immer mehr.<br />
Das fing mit Techno an. Die Entwicklung<br />
auf dem Stadtillustriertenmarkt<br />
ist dennoch enttäuschend.<br />
Zu meiner Zeit waren wir<br />
die erste Adresse für junge Bands.<br />
Bands wie Terry Hoax oder Fury,<br />
die wurden auch durch uns aufgebaut.<br />
Wir haben Felder besetzt, die<br />
die anderen Medien ignorierten.<br />
Jetzt läuft die Party auf Facebook,<br />
Snapchat, Instagram und Co.; die<br />
Kleinanzeigen haben Ebay und<br />
parship gekillt. Mit dem auch<br />
schon in der 1990-er Jahren etablierten<br />
Spalter-Spin-off „Hannover<br />
geht aus“ ist aber zumindest die<br />
Kulinarik-Flanke noch unangreifbar.<br />
Aber geil, dass es den Spalter<br />
noch gibt!<br />
Anne Pohl<br />
Schädelspalter-Chefredakteurin<br />
von 92-95, später als Autorin<br />
u.a. für Focus, Deutschland<br />
Radio tätig. Lebt in der Nähe<br />
von Itzehoe.<br />
Wie würdest Du mit einem<br />
Wort die Heftsituation zu<br />
deiner Zeit beschreiben?<br />
Auflage! Als ich 1991 meinen Job<br />
beim Spalter antrat, schwächelte<br />
der Verkauf etwas, unter anderem.<br />
wegen unseres neuen Mitbewerbers<br />
Prinz. Ich habe es geschafft, die<br />
verkaufte Auflage kontinuierlich<br />
zu steigern. Darauf war ich damals<br />
sehr stolz. Und auch darauf,<br />
als erste Frau Chefredakteurin bei<br />
dieser Stadtillustrierten geworden<br />
zu sein.<br />
Dein Lieblingstitelbild?<br />
Das war das Sadomaso-Heft. Ich<br />
habe die Story über Hannovers<br />
SM-Szene gegen einige Widerstände<br />
durchgeboxt. Der allgemeine<br />
Tenor in der Redaktion war: Das<br />
kann man nicht machen, das ist<br />
unmöglich. Dabei war das im<br />
Grunde eine ziemlich harmlose<br />
Geschichte, mit einem tollen Titelbild<br />
von Nikolaj Georgiew. Es gab<br />
von Leserseite empörte Reaktionen,<br />
und einige Kioske drehten sogar<br />
Onkel Hotte will Spaß...<br />
das Heft um und zeigten nur die<br />
Rückseite. Das Heft verkaufte sich<br />
trotzdem wie geschnitten Brot.<br />
Deine Lieblingstory?<br />
Das war die Knastreportage, die<br />
Christian Wyrwa fotografiert hat.<br />
Eine enorme Herausforderung und<br />
in der Recherche nicht einfach,<br />
aber mit dem Ergebnis war ich<br />
sehr zufrieden.<br />
Welche unangenehme Situation<br />
ist dir in Erinnerung geblieben?<br />
Wir hatten einen bekannten Spiegel-Autor,<br />
der unter Pseudonym als<br />
Kolumnist für uns tätig war. In einer<br />
dieser Kolumnen hatte er zwischen<br />
den Zeilen durchblicken lassen,<br />
dass er die hannoversche<br />
Staatsanwaltschaft für bestechlich<br />
hielte. Natürlich dauerte es nicht<br />
lange, bis ich als Verantwortliche<br />
im Sinne des Presserechts von der<br />
Staatsanwaltschaft angerufen<br />
wurde. Ein Staatsanwalt lud mich<br />
ganz freundlich zu einem informellen<br />
Gespräch unter vier Augen<br />
ein. Als ich dann aber den Raum<br />
betrat, saßen dort sieben ziemlich<br />
verärgerte Staatsanwälte, die mich<br />
sofort ins Kreuzverhör nahmen<br />
und sogar mit Beugehaft drohten,<br />
sollte ich den Klarnamen des Autors<br />
nicht preisgeben. Ich habe was<br />
von Quellenschutz gestammelt und<br />
unseren damaligen Rechtsanwalt<br />
angerufen, der zum Glück sofort<br />
kam und mich aus dem Schlamassel<br />
befreite.<br />
FOTOS: PRIVAT / ARCHIV R&T VERLAG / NIKOLAJ GEORGIEW<br />
16 1976 - 2016
Die Chefredakteure<br />
Horny, horny, horny, horny<br />
(Mousse T.)<br />
FOTOS: PRIVAT / JÜRGEN STAHL<br />
Bibi Schmidt<br />
Spalter-Chefredakteurin von<br />
95-98, kam von der Konkurrenz<br />
Prinz. Bekannt auch als Trompeterin<br />
der Funk-Band Tom Oz<br />
& Wet, arbeitet heute als Realschullehrerin<br />
und heißt mittlerweile<br />
Beate Försterling.<br />
Deine schönste Spaltergeschichte?<br />
Ich finde selbst, dass ich eine kleine<br />
Macke habe. Insofern musste ich<br />
einfach diese Story anschieben. Titel:<br />
„Ich habe eine Macke“. Die<br />
Idee war, eine Fotostrecke, mit<br />
kleinen Geschichten angedockt, zu<br />
bringen. Natürlich von netten<br />
Menschen, die meinten eine<br />
Macke zu haben. Nina Tiesler<br />
tauchte als Feuerschluckerin auf,<br />
Claas, der Lister Szene-Friseur, als<br />
Schlumpfsammler und ein Typ in<br />
Ritterrüstung, der auf einem Pony<br />
durch die Eilenriede hoppelte. Dazu<br />
gab’s die Erstausgabe der Kolumne<br />
von Siggi & Raner, die gerade<br />
ihre erste Hochphase hatten.<br />
Die schönste Kolumne aber<br />
stammt vom verstorbenen Michael<br />
Quasthoff. Sein Kommentar zur<br />
Heirat von Ernst August und Karoline<br />
von Monaco war einfach<br />
großartig böse und herrlich zu lesen.<br />
Du hattest also Spaß?<br />
Genau, sehr schön war auch die<br />
Beachvolleyball-Geschichte mit<br />
den hübschen Ärschen auf dem Titelblatt.<br />
Das war Sexismus vom<br />
Feinsten! Da haben sich auch einige<br />
alte Spalter-Leser darüber beschwert.<br />
Ich erinnere mich noch an<br />
einen Leserbrief, der die Forderung<br />
aufstellte, die Herausgeber des<br />
Spalters sollten sich doch gleich in<br />
Schiesser-Doppelripp-Unterhosen<br />
Sind gern beim Spalter<br />
bei gegangen: Siggi & Raner<br />
ablichten lassen. Toll auch „Hannover<br />
hascht - die Foto-Love Story“<br />
Und wie stand es mit der<br />
politischen Ernsthaftigkeit?<br />
Nun, ich habe zur Kommunalwahl<br />
1996 das Spiel Hannopoly<br />
Der große Meister der bissigen<br />
Kolumne: Michael Quasthoff<br />
erfunden. Da bin ich richtig stolz<br />
darauf. Ich habe mir mit Susanne<br />
Kautz sämtliche Chaoskarten zu<br />
den OB-Kandidaten ausgedacht.<br />
Als Experte haben wir uns Enno<br />
Hagenah von den Grünen hinzugezogen.<br />
Der überprüfte, ob das<br />
nicht alles zu blödsinnig ist. Der<br />
hat sich totgelacht und es wird kolportiert,<br />
dass im hannoverschen<br />
Rat wochenlang nichts anderes gespielt<br />
wurde.<br />
Wie schätzt du die Situation des<br />
Schädelspalters zu der Zeit ein?<br />
Der Spalter war in seiner Hochzeit.<br />
Meine erste Ausgabe habe ich<br />
noch in den Redaktionsräumen in<br />
der Königstrasse produziert. Dann<br />
sind wir auf drei Etagen in die Lister<br />
Meile umgezogen – Redaktion<br />
oben, Spalterhalle unten, Frühstyxradio,<br />
das Management von<br />
Siggi & Raner, Onkel Hotte, Dietmar<br />
Wischmeyer’s Arschkrampen<br />
und Konsorten im Hinterhaus. Eine<br />
tolle Zeit. Legendär war die Lesung<br />
mit Herman Brood. Vor seinem<br />
Auftritt hat er einen Liter<br />
Milch und einen Liter Wodka verlangt.<br />
Und auch verklappt. In der<br />
Spalterhalle gab es einen Fahrstuhl,<br />
der eigentlich nicht benutzt<br />
werden durfte. Er bestand aber<br />
darauf, mit ihm zur Lesung zu<br />
fahren. Was nicht so schön war:<br />
Damals lieferten die Autoren noch<br />
ihre Texte auf Disketten ab. Wenn<br />
dort Viren drauf waren, hat das<br />
manchmal ein Wochenende gedauert,<br />
bis IT-Experten die alten Daten<br />
wiederherstellten.<br />
Und was ist dir in der Spalter-<br />
Zeit am nachhaltigsten in Erinnerung<br />
geblieben?<br />
Dass ich jetzt Försterling heisse.<br />
Von der Spalter-Feier zum 20.Jubiläum<br />
war ein halbes Jahr später<br />
noch das aus Nürnberg importierte<br />
Spalter-Bier über. Das war<br />
schon längst über dem Verfallsdatum,<br />
aber trotzdem noch lecker.<br />
Vor einem Konzert im Pavillon<br />
habe ich mit Wollitsch, meinem<br />
jetzigen Gatten, ein paar Fläschchen<br />
verköstigt. Das hat ziemlich<br />
lustig und locker gemacht. Und<br />
dann ist es passiert.
Die Chefredakteure<br />
Won’t Forget These Days!<br />
(Fury ITS)<br />
Den Kindern<br />
Susanne Kautz<br />
1994 bis 2000 Schädelspalter,<br />
ab 1998 Chefredakteurin,<br />
vorher freie Mitarbeit für Stadtanzeiger<br />
und Neue Presse, seit<br />
Ende 2000 Content Managerin<br />
Madsack Online.<br />
Deine liebste Titelgeschichte?<br />
„Männer sind Schweine“ von<br />
10/98 zur Einstimmung auf das<br />
Ärzte-Konzert im Capitol. Die<br />
witzige Kerle-Typologie von Miriam<br />
Rössig ist absolut zeitlos, ebenso<br />
wie die Statements der Mädels,<br />
eingeholt von Lars Pennigsdorf.<br />
Am schwierigsten war es, Männer<br />
davon zu überzeugen, für die Fotos<br />
zu posieren. Da mussten alle Bekannten<br />
aus dem Spalterteam aktiviert<br />
werden. Meine Kumpels haben<br />
die Frauenversteher gegeben.<br />
Noch so eine Story, und wir hätten<br />
alle keine Freunde mehr gehabt.<br />
Die interessanteste Story, an der<br />
du mitgearbeitet hast?<br />
Storys selbst recherchiert habe ich<br />
vor allem in meiner Zeit als<br />
Redakteurin. Wirklich bewegend<br />
fand ich die Begegnung mit einer<br />
Frau, die mit Ihren Kindern vor<br />
den Taliban aus Afghanistan geflüchtet<br />
war. Jemanden mit so einer<br />
krassen Lebensgeschichte hatte<br />
ich vorher noch nie getroffen. Der<br />
Artikel erschien in 9/97 im Hannover<br />
Magazin anlässlich einer<br />
Ausstellung des Hannoverschen Fotografen<br />
Wolf Böwig, der das Krisengebiet<br />
bereist hatte. Das Thema<br />
ist nach wie vor aktuell...<br />
Ein Leben für die Muckibude: Für den Schädelspalter<br />
warfen sich diese drei Herren mit Muskelgröße XXXL in Pose<br />
Deine generelle Einschätzung<br />
der Situation beim Schädelspalter<br />
zu deiner Zeit?<br />
Sehr lustig, aber auch sehr anstrengend.<br />
Damals waren die Hefte<br />
noch richtig dick, oft über 150 Seiten<br />
Lesestoff. Die vielen freien (und<br />
die wenigen festangestellten) Mitarbeiter<br />
konnten eine Menge Ideen<br />
für Fotos und Storys unterbringen,<br />
zum Beispiel die damalige Volontärin<br />
Ela Windels, die gern eine<br />
Domina treffen wollte. Bevor das<br />
Interview beginnen konnte, musste<br />
der Kunde nebenan erstmal in<br />
Latex geschnürt werden.<br />
In meinem letzten Jahr beim Schädelspalter<br />
war natürlich die Expo<br />
2000 ein großes Thema. Damals<br />
gab es noch keine Apps, sondern<br />
den Expo Pocket Guide im Handy-<br />
Format, der vorn auf dem Titelbild<br />
klebte. Und die Cover waren<br />
fast alle von Fotografen aus Hannover.<br />
Erinnerst du dich noch an deine<br />
ersten Schädelspalter-Artikel?<br />
Oh, lieber nicht. Der erste war ohne<br />
Fotos. Dass man bei einem Magazin<br />
für eine Story mindestens ein<br />
Foto braucht, war mir irgendwie<br />
entgangen. Eine Herausforderung<br />
für den Layouter war auch „Hannover<br />
im Cyberspace“ (1/97), eine<br />
Titelgeschichte, die ich zusammen<br />
mit einem meiner Mathematikerfreunde<br />
recherchierte. Das Design<br />
der hannoverschen Websites reichte<br />
von schnarchig bis übersichtlich,<br />
und die lokalen Nerds sahen leider<br />
völlig uncool aus. Trotzdem war<br />
meine Neugier für die Neuen Medien<br />
geweckt. Die Internet-Steinzeit<br />
haben wird heute glücklicherweise<br />
auch in Hannover hinter uns<br />
gelassen.<br />
Was würdest du aus heutiger<br />
Sicht anders machen?<br />
Wie man die Stadtmagazine ins<br />
Internet-Zeitalter hinüber rettet,<br />
dazu hätte man schon früher ein<br />
paar Ideen haben können. Da<br />
fehlten die Kontakte zum Nerd-<br />
Nachwuchs.<br />
André Buron<br />
Er kam im September 2000<br />
vom Schauspielhaus zum<br />
SCHÄDELSPALTER, weil er eine<br />
Pause vom Theater machen<br />
wollte. Er ist bis heute<br />
geblieben.<br />
Erinnerst du dich noch an<br />
deinen ersten SCHÄDEL-<br />
SPALTER-Artikel?<br />
Als Anfänger habe ich einen Bericht<br />
über die NPD geschrieben,<br />
inklusive etlicher zeitintensiver<br />
Treffen mit der Antifa – da landete<br />
ich am Ende bei einem fürstlichen<br />
Stundenlohn von 1,30 Mark,<br />
bekam dafür aber auch ein paar<br />
freundliche Anrufe von den braunen<br />
Kameraden…<br />
Welches sind die wichtigsten<br />
Themen in deiner Zeit gewesen?<br />
Natürlich ging es sofort nach dem<br />
Ende der Expo bei uns häufig um<br />
die Nachnutzung des Kronsberg-<br />
Geländes. Da sind wir von der Expo-Liebe<br />
zur Expo-Kritik in düsteren<br />
Farben zurückgekehrt. Später<br />
haben wir dann aber wieder die<br />
Ikea-Eröffnung mit einer lustigen<br />
Homestory bejubelt… Auch die<br />
großen Bausünden der 70er haben<br />
es oft ins Heft geschafft. Eine Geschichte<br />
über das Ihme-Zentrum<br />
aus dem Jahr 2002 könnte man<br />
leicht aktualisieren, die Namen<br />
der Investoren austauschen und<br />
heute noch mal abdrucken…<br />
Das bewegendste Ereignis in<br />
deiner Zeit?<br />
Ganz klar, der Angriff auf das<br />
WorldTrade Center. Die gesamte<br />
Redaktion verfolgte live bei CNN<br />
im Arbeitszimmer von Thomas<br />
FOTOS: STEFAN NEUNEHAUSEN / PRIVAT / CHRISTIAN WYRWA<br />
18 1976 - 2016
Die Chefredakteure<br />
geht es gut...<br />
(Terry Hoax)<br />
Steinhausen, wie das zweite Flugzeug<br />
in den Turm flog. Zwei Tage<br />
später brachte mein damals siebenjähriger<br />
Sohn aus der Schule<br />
Zeichnungen dieser Szene mit<br />
nach Hause.<br />
Wie habt ihr euch als lokales<br />
Monatsmagazin damals<br />
verhalten?<br />
Das war nicht so leicht. Alles wurde<br />
von dem Thema in den Hintergrund<br />
gedrängt. Wir entschieden<br />
uns dafür, die Ausgabe im Wesentlichen<br />
wie geplant durchzuziehen,<br />
allerdings mit einer schwarzen Seite<br />
anstelle des ganzseitigen Startcartoons.<br />
In den kommenden Ausgaben<br />
beeinflusste das Ereignis<br />
aber natürlich die Heftplanung<br />
immer wieder. Besonders gut hat<br />
mir eine Titelgeschichte mit großformatigen<br />
Porträts von Muslimen<br />
aus Hannover gefallen – ein Statement<br />
gegen Fremdenfeindlichkeit.<br />
Titelblatt von Cartoonistin Ulli Lust<br />
Wie habt ihr auf das Attentat<br />
auf die Redaktion von „Charlie<br />
Hebdo“ reagiert?<br />
Wir hatten für die Februarausgabe<br />
im Jahr 2015 eine Geschichte über<br />
Comiczeichner geplant, die eigentlich<br />
schon fertig war. Nach dem<br />
Attentat musste dann natürlich ein<br />
neues Konzept her. Wir fragten die<br />
renommierte Zeichnerin Ulli Lust,<br />
ob sie bereit wäre, für uns ein Titelblatt<br />
zu entwerfen. Sie entschied<br />
sich für einen Wilhelm-Busch-<br />
Cartoon mit Lehrer Lämpel als Attentäter,<br />
dem von Moritz ans Bein<br />
gepinkelt wird. Für mich das beste<br />
Titelblatt während meiner Zeit.<br />
Humor war ja schon immer ein<br />
wichtiges Standbein für den<br />
SPALTER.<br />
Das stimmt, und zwar in jeder<br />
Form. Viele der Cartoonisten, die<br />
bei uns als relativ unbekannte Namen<br />
im Heft waren, haben schnell<br />
Karriere gemacht. Angefangen natürlich<br />
bei Uli Stein über Ol bis<br />
hin zu unserer derzeitigen Startcartoonistin<br />
Kittihawk. Unsere<br />
fiktive „letzte Meldung“, die in jeder<br />
SPALTER-Ausgabe auf der<br />
letzten Seite erscheint, stiftet regelmäßig<br />
Verwirrung. Besonders viel<br />
Spaß hat uns mal eine fast vollständig<br />
ausgedachte Titelstory gemacht.<br />
Dafür ließen wir die Stones<br />
im Chéz Heinz auftreten und eröffneten<br />
im Telemoritz hinterm<br />
Hauptbahnhof einen exklusiven<br />
Club – jeweils mit freundlicher<br />
Unterstützung von prominenten<br />
Veranstaltern. Die Geschichte erschien<br />
im April 2006.<br />
Was wünschst du dir für die<br />
Zukunft?<br />
Noch mehr neugierige Leser, die<br />
uns in der Redaktion besuchen,<br />
außerdem junge Autoren mit vielen<br />
unkonventionellen Ideen und<br />
der Bereitschaft für eine gute Geschichte<br />
unvernünftig lange zu recherchieren.<br />
FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG / JAN DOMMEL<br />
Aufbruchsstimmung: Das Spalter-Team im Kaufrausch bei IKEA<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER
Die Chronik<br />
Grüne Afghanen und rote Redakteure<br />
1976- 1986<br />
Eine Dekade voller Umwälzungen.<br />
Der Spalter wächst<br />
vom kreativen Versuchsobjekt<br />
zur Stadtillustrierten mit<br />
großen Ambitionen.<br />
Eine Gegenbewegung formiert sich.<br />
Die Anti-AKW-Bewegung findet im Schädelspalter ihr "schwarzes Brett"<br />
Start-Up am Leineufer:<br />
Thomas Steinhausen und Reinhard Mahl<br />
Vielleicht war es gar nicht so?<br />
Vielleicht roch es gar nicht nach<br />
grünem Afghanen? Vielleicht<br />
trugen die Männer nicht Latzhosen,<br />
lange Bärte und Arafatschals?<br />
Oder halt Röhrenjeans,<br />
Iro und Lederjacke mit Ratte auf<br />
der Schulter? Vielleicht interessierten<br />
sie sich gar nicht für revolutionäre<br />
Theorien? Vielleicht<br />
wollten sie einfach nur ihr Ding<br />
machen. Und im Idealfall ein<br />
wenig Geld damit verdienen?<br />
Auf jeden Fall hieß das Ding<br />
irgendwann Schädelspalter. Warum<br />
weiss keiner so genau. Angeblich<br />
soll ein Obstwein, ausgeschenkt<br />
in der Pinte “An der Andertenschen<br />
Wiese“ Namensgeber<br />
sein. Egal, es passiert im November<br />
1976. Der Outdoor-<br />
Künstler Reinhard Mahl lernt<br />
den Grafikdesigner und gelegentlichen<br />
Cartoonisten Thomas<br />
Steinhausen an der Werkkunstschule<br />
kennen.<br />
Gemeinsam<br />
gründen sie die<br />
Werbeagentur<br />
SM Grafik Design<br />
und nebenbei<br />
dieses Blatt,<br />
das „über das<br />
Jagdszenen in der Nordstadt:<br />
Die Chaostage rücken Hannover in den Mittelpunkt<br />
kulturelle und politische Leben<br />
unserer Stadt informieren, mit<br />
engagierten Beiträgen zum<br />
Nachdenken anregen und mit<br />
Witz und Satire unterhalten<br />
soll“. Und um sich von der Presselandschaft<br />
abzuheben: ohne<br />
Titel! Nur ein Foto und der Blitz<br />
als Logo. Erst auf Seite drei -<br />
Schädelspalter. Und auch wenn<br />
das Fernsehprogramm nur aus<br />
ARD und NDR III besteht und<br />
das Lesen der Zeilen schädelspaltrige<br />
Züge annimmt - das damals<br />
noch kostenlose Heft findet<br />
reißend Absatz. Im Januar 1978<br />
liegt das Heft - für 1 DM und 80<br />
Seiten stark - am Kiosk aus. Und<br />
Mann der ersten Stunde:<br />
Chefredakteur No.1, Goetz Buchholz<br />
es wird immer professioneller.<br />
Neue Leute prägen nun die Inhalte.<br />
Als erster Chefredakteur<br />
tritt Goetz Buchholz, damals<br />
Pressesprecher des Ermittlungsausschusses<br />
der Bürgerinitiativen,<br />
beim „Spalter“ an. In seine<br />
einjährige Amtszeit fällt die Umstellung<br />
vom DIN-A-5 auf das<br />
FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG, NOVUM<br />
20 1976 - 2016
Die Chronik<br />
Nix Hippie: Der Spalter entdeckt die<br />
neue Deutsche Welle<br />
DIN-A-4-Format, intensive Reportagen<br />
über „Arme und Geknechtete“<br />
und ein Auflagen-<br />
Boom, der den Spalter als ernst<br />
zunehmendes Magazin in Hannover<br />
etabliert. Er selbst allerdings<br />
sieht den Erfolg des Spalters<br />
weniger bei Personen, als viel<br />
In diesem Klima war der Spalter<br />
zur richtigen Zeit am richtigen<br />
Ort - eine Alternative zur bürgerlichen<br />
Zeitung, ein Medium<br />
der Gegenöffentlichkeit. Der<br />
Schädelspalter war das schwarze<br />
Brett dieser Szene. Aber diese<br />
Szene veränderte sich in rapidem<br />
Tempo. Punks trugen auf<br />
einmal Anzüge, radikalisierten<br />
das System von innen, wurden<br />
Unternehmer und auf einmal<br />
war alles - frei nach Nina Hagen<br />
- so schön bunt hier. Der Spalter<br />
ebenso. Was natürlich das Altklientel<br />
verschreckte. Statt über<br />
Anti-Akw-Demos wurde nun<br />
über die Renaissance der Reizwäsche<br />
berichtet. Und es war<br />
nur die Götterdämmerung. Wenig<br />
später wurde es sogar pornographisch<br />
(der legendäre<br />
Theresa-Orlowski-Porno-Report).<br />
Aber so war die Zeit. Die<br />
NDW-Bewegung wollte Spaß,<br />
wer einst politisch korrekt war,<br />
FOTOS: PRIVAT / ARCHIV R&T VERLAG<br />
Keith rocks: 82 spielten die Stones das<br />
erste Mal in Hannover<br />
mehr in der politischen Konstellation<br />
dieser Zeit.<br />
Die große Epoche der Studentenbewegung<br />
war zehn Jahre<br />
her. Nun begannen sich in der<br />
zweiten Welle die einzelnen Szenen<br />
zu vernetzen. Die Abgrenzung<br />
von Politik und Kultur löste<br />
sich auf. Labels, Zeitschriften,<br />
Clubs und Bürgerinitiativen<br />
gründeten sich. Häuser<br />
wurden besetzt. Im ehemaligen<br />
DeFaKa-Kaufhaus entstand der<br />
Pavillon. Gereift ist dabei auch<br />
ein neuer, alternativer Lokalpatriotismus,<br />
der mit Bands wie<br />
Hans-A-Plast, Rotzkotz oder<br />
den 39 Clocks prahlen durfte.<br />
Fast so alt wie der Spalter:<br />
Der Pavillon<br />
fand nun Hedonismus ist auch<br />
ein schönes Wort. Statt in die<br />
rote Kuh ging man in Clubs wie<br />
dem Orly oder dem Spliff. Im<br />
Rückblick ist dieses erste Schädelspalter-Jahrzehnt<br />
einfach eine<br />
aufregende Zeit. Hannover<br />
96 stieg 1976 das zweite Mal aus<br />
der Bundesliga ab und 85 wieder<br />
auf (wenn auch nur kurz),<br />
die Underground-Musikszene<br />
Hannovers war auf ihrem Höhepunkt,<br />
in der bildenden<br />
Kunst wie am Theater passierten<br />
spannende Experimente -<br />
eine kreative Explosion, die im<br />
Spalter ihre Geschichtsschreiber<br />
fand.<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 21
Die Chronik<br />
Celler Loch und der Wind des Wechsels<br />
1986-1996<br />
„Bunter, greller, brisanter“:<br />
Der Spalter wächst an seinen<br />
Aufgaben und erfährt einen<br />
enormen Boom.<br />
Die Scorpions bei Gorbi im Kreml:<br />
Ihr "Wind Of Change" veränderte die Welt. Mindestens!<br />
Popstars für einen Sommer: Hannovers<br />
Extrastarkes Titelfoto von<br />
Marcia Resnick aus New York<br />
Als Anfang 1986 Dirk Lehnhoff<br />
und Hollow Skai den Spalter<br />
als Doppelspitze übernehmen,<br />
steckt der Spalter in einem<br />
tiefen Loch. Die linke Szene der<br />
Spätsiebziger hat sich abgewendet,<br />
neue, junge Blätter wie Tempo<br />
und Wiener fluten den<br />
Markt. Dazwischen will der<br />
Spalter seinen eigenen Weg finden<br />
und „bunter, greller und brisanter“<br />
werden. Aber auch die<br />
Tradition des kritischen Lokaljournalismus<br />
beibehalten. Ein<br />
Kampf gegen Windmühlen.<br />
Aber er wird gewonnen. „Den<br />
Leser nicht bestätigen, sondern<br />
irritieren“ heißt das Leitmotiv.<br />
Der Spalter wird zum Sprungbrett<br />
junger Fotografen, die hier<br />
ihre Ideen verwirklichen können.<br />
Er ist an vorderster Front,<br />
wenn es darum geht investigativ<br />
politische Skandale offen zulegen,<br />
wie etwa das „Celler Loch“<br />
oder ein Dossier über die Verwicklung<br />
von V-Männern in<br />
Straftaten neofaschistischer Parteifunktionäre.<br />
Drei Jahre prägt<br />
Hollow Skai die Ausrichtung des<br />
Spalters – weg vom Image des<br />
linken Sektiererblatts, hin zur<br />
Kühle Optik, heiße Inszenierungen - Hannovers neues Schauspielhaus<br />
Bunt statt braun: Neuer Anstrich<br />
für das Sprengel-Gelände<br />
Bodo Linnemann als Hellseher:<br />
Die Anzeige ist von 1993<br />
modernen Kultur- und Lifestyle-<br />
Illustrierten. Auf Hollow Skai,<br />
der zum Stern geht, folgt Udo<br />
Iwannek, der nur kurz bleibt,<br />
aber die dunklen Ecken Hannovers<br />
entdeckt und heute Pressesprecher<br />
der Üstra ist. Ebenfalls<br />
Pressesprecher (der Region Hannover)<br />
ist heute Klaus Abelmann.<br />
Er bringt dem Spalter<br />
journalistische Tiefe und eine<br />
pointierte wie meinungsbetonte<br />
Ausrichtung. Gossip am Rande:<br />
Abelmann verliebt sich bei einem<br />
Pressefrühstück in die Chefredakteurin<br />
der seit 1990 existierenden<br />
Konkurrenz Prinz, Sabine<br />
Haack. Um den Interessenkonflikt<br />
zu lösen, werden beide<br />
Pressesprecher - er beim Kommunalverband,<br />
sie bei Ministerpräsident<br />
Gerhard Schröder. Es<br />
ist eine Zeit des Aufbruchs. Die<br />
Mauer fällt, Deutschland wird<br />
Fußball-Weltmeister. Zwei Jahre<br />
später wird Hannover 96 in Berlin<br />
DFB Pokalsieger. Die Jahre<br />
davor und danach aber dümpeln<br />
die Roten im Mittelfeld der 2.Liga<br />
herum, im Jubiläumsjahr<br />
1996 steigen sie sogar in die Regionalliga<br />
ab.<br />
FOTOS: BERND OPITZ / MARCIA RESNICK / ARCHIV R&T VERLAG<br />
22 1976 - 2016
Die Chronik<br />
Fun-Punk-Prediger, die Gay City Rollers, zu Gast in der Lindenstraße bei Mutter Beimer<br />
FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG<br />
Kulturell herrscht in Hannover<br />
Anfang der 90er-Jahre Aufbruchstimmung.<br />
Die Kunstszene<br />
rund um die Kestnergesellschaft<br />
entwickelt sich zu einer<br />
der führenden in Deutschland,<br />
am Schauspielhaus, das 1992<br />
mit der „Dreigroschenoper“ eröffnet,<br />
sorgen die Intendanten<br />
Witt und Khuon für neuen<br />
Wind. Im selben Jahr eröffnet<br />
auch das neue Varietétheater<br />
GOP. Musikalisch reifen in<br />
Übungsräumen Bands, deren<br />
Karriere der Schädelspalter auf<br />
Sommer 92:<br />
Hannover 96 gewinnt den DFB-Pokal<br />
seinen Titeln nachhaltig befördert.<br />
Fury In The Slaughterhouse<br />
starten groß durch, die ersten<br />
Ein Titelblatt,<br />
das keine Bildunterschrift braucht<br />
goldenen Schallplatten stehen<br />
Anfang der Neunziger in den<br />
Vitrinen. Ganz so weit schaffen<br />
es Terry Hoax nicht. Aber ihr<br />
Depeche-Mode-Cover „Policy<br />
Of Truth“ rotiert mächtig bei<br />
MTV. Sänger Oliver Perau verlässt<br />
die Band 1996 und startet<br />
in der neuen Spalter-Halle seine<br />
Karriere als Swing-Sänger Juliano<br />
Rossi. Die goldene Ära des<br />
Hannover-Pop bereichern viele<br />
erfolgreiche Bands. Die Funker<br />
Spice, die Crossover-Hip-<br />
Hopper be, der Rapper Spax<br />
oder die Alternative-Rocker<br />
Mellow Sirens. Die Scorpions<br />
landen den Hit ihres Lebens -<br />
„Wind Of Change“. Discos wie<br />
Rote Kuh, Rotation oder Röhre<br />
sind Geschichte. Capitol, Palo<br />
Palo und Sub sind die neuen<br />
Hot Spots. Aber auch Großraumdiscos<br />
(etwa das Rainbow<br />
in Altwarmbüchen) erleben ihren<br />
Zenit. Und: Techno beginnt<br />
in den Weltspielen und der Hanomag<br />
seinen Siegeszug. Zuerst<br />
zu hören ist der neue Sound in<br />
der Men’s Factory. Und noch eine<br />
Premiere: Achim Flebbe eröffnet<br />
1991 in der Nikolaistraße<br />
das erste deutsche Multiplex-Kino<br />
- den CinemaxX-Filmpalast.<br />
In der Spalter-Chefetage wird<br />
munter gewechselt. Auf Klaus<br />
Abelmann folgt Anne Pohl, die<br />
eine neue Richtung vorgibt. Das<br />
Heft wird (noch) bunter, serviceorientierter<br />
und gewinnt an<br />
Auch das waren die Neunziger:<br />
Die Bad-Taste-Welle erlaubt alles<br />
Auflage. Mit ihr hält das Matriarchat<br />
Einzug in die Chefetage<br />
des Spalters. Auf Pohl folgen<br />
Bibi Schmidt und Susanne<br />
Kautz. Womit wir bereits in der<br />
nächsten Dekade sind.<br />
Preiswert und Leistungsstark!<br />
Wir zahlen zwei professionelle<br />
Zahnreinigungen*<br />
* Die AOK Niedersachsen erstattet 80% je Originalrechnung,<br />
max. 250 Euro je Kalenderjahr und Versicherten.<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 23
Die Chronik<br />
Die Welt schaut auf Hannover<br />
1996 bis 2006<br />
Die Expo-Dekade. In keinem<br />
Jahrzehnt wurde so ausgiebig<br />
gefeiert und Party gemacht.<br />
Mittendrin: der Schädelspalter.<br />
Wer mit Aufmerksamkeit die<br />
beiden vorherigen Dekaden gelesen<br />
hat, sei vorgewarnt: Diese<br />
Ereignisdichte soll in den nächsten<br />
20 Jahren nicht erreicht<br />
werden - trotz Expo, 96-Aufstieg<br />
und der Ernennung zur Unesco<br />
City Of Music (die im Wesentlichen<br />
mit den Errungenschaften<br />
der 70er-90er zu tun hat). Aber<br />
es ist mächtig viel los in der<br />
Stadt, die sich durch „Siggi &<br />
Raner“ ihrer sprachlichen Wurzeln<br />
bewusst wird. Am meisten<br />
los ist im Jahr 2000. Stichwort:<br />
Expo. Toll finden die Medien es<br />
Hannover ist für ein halbes Jahr der Nabel der Welt:<br />
Die Expo beschert unsere Metropole mehr als nur ein gut funktionierendes S-Bahn-Netz<br />
Abschied von Mr. Jazz:<br />
Mike Gehrke stirbt 2004<br />
Runter vom Sofa, rein in die Charts:<br />
Housemeister Mousse T.<br />
Rekordhalter: Kein OB hielt länger<br />
durch als Herbert Schmalstieg<br />
Da war doch was? Gerhard Schröder<br />
wird 1998 Bundeskanzler<br />
nicht, dass in der „Provinz“ eine<br />
Weltausstellung stattfindet. Also<br />
schicken sie ihre Kamerateams<br />
in die Ecken des Geländes, wo<br />
wirklich kein Mensch ist. Die<br />
Realität sieht anders aus. Und<br />
die Hannoveraner lassen sich ihre<br />
Expo nicht vermiesen – sie feiern,<br />
als wäre Hannover tatsächlich<br />
Mittelpunkt der Welt. Schöner<br />
Nebeneffekt: Das Selbstbewusstsein<br />
der als Provinzler Gescholtenen<br />
steigt, je mehr die<br />
Außenwelt auf die Stadt und die<br />
angeblich verwaiste Expo eindrosch.<br />
Aber nicht nur die Einstellung<br />
der Bewohner zu ihrer<br />
Stadt, auch das äußere Erscheinungsbild<br />
Hannovers änderte<br />
sich in vielen Punkten: Am<br />
Kronsberg entsteht ein komplett<br />
neuer Stadtteil, mit der Preussag<br />
(heute TUI) Arena hat man bereits<br />
lange vor Berlin und Hamburg<br />
eine riesige Multifunktionshalle.<br />
Und der Zoo entwikkelt<br />
sich mit Gorillaberg, Sambesi<br />
und Dschungelpalast als<br />
„Erlebniszoo“ zum „spektakulärsten<br />
Zoo Europas („Stern“).<br />
Neben dem damals modernsten<br />
Bahnhof des Landes bekommen<br />
die Hannoveraner ein S-Bahnsystem,<br />
von dem sie noch heute<br />
immens profitieren. Auch der<br />
Spalter, anfänglich einer der<br />
schärfsten Expo-Kritiker, feiert<br />
die Weltausstellung in Bild und<br />
Wort. Apropos feiern. Viele<br />
Clubs entstehen, das Bauordnungsamt<br />
schaut noch nicht so<br />
genau hin. In der Partyszene<br />
geht in dieser goldenen Epoche<br />
der Trend in Richtung Mikroclubbing.<br />
Mit Gig, Calamari<br />
Moon, Bronco’s oder Wohnraumatelier<br />
entstehen kleine,<br />
wie feine Magnete für subkultu-<br />
FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG<br />
24 1976 - 2016
Die Chronik<br />
relle Musikformen. Großvater<br />
des Trends ist natürlich Bodo<br />
Linnemann mit seinem Casa<br />
Blanca. Eine Mini-Disco, in der<br />
ein junger Deutschtürke das erste<br />
Mal als DJ auflegen durfte.<br />
1998 landet der Mann, der seine<br />
Partyankündigungen immer<br />
persönlich in der Spalter-Redaktion<br />
abgegeben hat, einen<br />
Welt-Hit. „Horny“ heißt der<br />
Hit, Mustafa Gündogdu, besser<br />
bekannt als Mousse T., der Interpret.<br />
Der geile Hit schmeißt<br />
ebenso wie die folgende Kollabo<br />
mit Tom Jones „Sex Bomb“<br />
noch immer ordentlich Tantiemen<br />
für Mousse T. ab, der seit<br />
2001 im ehemaligen Schweizer<br />
Pavillon auf dem Expo-Gelände<br />
mit seiner Firma Peppermint<br />
Jam residiert. Für den Grammy<br />
wird Mousse T. einmal vorge-<br />
Der Spalter:<br />
Ein Magazin fasst heiße Eisen an<br />
publik. Das neu gewonnene<br />
Selbstbewusstsein der Hannoveraner<br />
macht sich auch sportlich<br />
bemerkbar. 2002 steigt 96 endlich<br />
wieder in die Bundesliga<br />
Der Zoo rüstet auf: Mit Sambesi, Gorillaberg und Dschungelpalast<br />
entsteht der "spektakulärste Zoo Europas" (Stern)<br />
FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG<br />
schlagen, gewonnen hat ihn<br />
zwischen 2000 und 2008 ein<br />
Hannoveraner gleich viermal –<br />
der Bruder des verstorbenen<br />
Spalter-Autoren Michael Quasthoff,<br />
der Baritonsänger Thomas<br />
Quasthoff. 2004 verliert Hannover<br />
eine seiner ganz großen<br />
Lichtgestalten: Mike Gehrke.<br />
Der Stadtimagepfleger, Erfinder<br />
des Flohmarkts und Jazz-<br />
Club-Vorsteher stirbt unerwartet.<br />
Nicht zu vergessen: Bis<br />
2005 durften wir uns Kanzlerstadt<br />
nennen, sieben Jahre regierte<br />
Gerhard Schröder die Re-<br />
auf. Die Hannover Scorpions,<br />
ehemals Wedemark, spielen in<br />
der ersten deutschen Eishockey-<br />
Liga, der DEL. Diese Dekade<br />
begleiten beim Spalter im Chefredakteursessel<br />
Bibi Schmidt,<br />
die dem Magazin eine nie zuvor<br />
geahnte Leichtigkeit verleiht<br />
und Susanne Kautz, die ernste<br />
Themen und die Spaß-Kultur<br />
wieder in aufrechte Balance<br />
bringt. Seit Oktober 2000 regiert<br />
wieder ein Mann den Spalter.<br />
André Buron heißt er. Mit<br />
ihm schifft der Spalter im ruhigen<br />
Fahrwasser.<br />
Adventszauber 2016<br />
Kunsthandwerkermarkt in der<br />
Handwerkskammer Hannover<br />
Termine 2016:<br />
03. + 04. Dezember, 11-18 Uhr<br />
10. + 11. Dezember, 11-18 Uhr<br />
Eintritt kostenfrei<br />
Handwerkskammer Hannover<br />
Berliner Allee 17<br />
30175 Hannover<br />
Tel. 0511 3 48 59 – 21/-36<br />
www.hwk-hannover.de<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 25
Die Chronik<br />
Satellitenstars und Clubsterben<br />
2006-2016<br />
40 Schädelspalter-Jahre<br />
und kein bisschen weiser. Was<br />
in den letzten zehn Jahren<br />
wirklich passierte.<br />
Wo liegt der Arsch der Welt?<br />
Nicht in Hannover. Aber von<br />
dort aus könne man ihn gut sehen.<br />
Das hat Harald Schmidt<br />
mal gesagt. Und damit eine Mittelmäßigkeitsdiskussion<br />
losgetreten,<br />
die noch immer anhält.<br />
Selbstbewusste Hannoveraner<br />
kontern mit dem Zitat des Dichterfürsten<br />
Arno Schmidt: „Und<br />
was heißt schon New York?<br />
Großstadt ist Großstadt; ich war<br />
Augen auf:<br />
Als der Schädelspalter 33 wurde<br />
2006 ist Schluss mit lustig:<br />
Die Reincarnation Techno Parade findet ein letztes Mal statt …<br />
oft genug in Hannover.“ Aber<br />
mal ehrlich, ist die hier zu behandelnde<br />
Dekade nicht der beste<br />
Beweis, um diese Diskussion ein<br />
für allemal zu beenden? Dazu<br />
später mehr. 2006 jedenfalls passiert<br />
ganz viel. Der Schädelspalter<br />
wird 30. Hannover ist als<br />
Fussball-WM-Standort Teil des<br />
Sommermärchens. Hannover<br />
wird attraktiv für Touristen, auch<br />
wenn das Image der Event-Stadt<br />
im Post-Expo-Zeitalter bröckelt<br />
2006 findet ein letztes Mal die<br />
Techno-Parade Reincarnation in<br />
Hannover statt. Die Clubszene<br />
kriselt. Gegen die rückläufigen<br />
Zahlen kämpfen die Wirte mit<br />
Flatrate-Sauf-Angeboten und<br />
Drei-Diskos-in-einer-Konzepten<br />
an. Die lange Nacht der Clubs<br />
hat ausgedient, dafür gibt es jetzt<br />
lange Nächte für Theater,<br />
Schwimmbäder, Museen und sogar<br />
Kirchen. Im Jahr 2006 endet<br />
auch die längste Karriere eines<br />
Stadtoberhauptes in Deutschland<br />
- Herbert Schmalstieg gibt<br />
nach 35 Jahren sein Amt als<br />
Oberbürgermeister ab und beim<br />
Schädelspalter ist mit André Buron<br />
ein Chefredakteur so lange<br />
im Amt wie keiner seiner Vorgänger.<br />
Womit wir bei einem der<br />
Vorzüge von Hannover sind:<br />
Qualität statt Schnelllebigkeit.<br />
Trends brauchen erfahrungsgemäß<br />
ein wenig länger in Hanno-<br />
…dafür entdeckt Hannover den Reiz von "Public Viewing" -<br />
das Sommermärchen 2006 steigt auf dem Waterlooplatz<br />
FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG<br />
26 1976 - 2016
Die Chronik<br />
FOTOS: ARCHIV R&T VERLAG / PRIVAT / SCHAUSPIEL HANNOVER<br />
Clubs gehen, Clubs kommen -<br />
das Faust in Linden aber bleibt<br />
ver. Ende des Jahrzehnts wird es<br />
schick, in Anti-Mainstream-<br />
Clubs wie dem 3Raum am Ballhof<br />
oder dem Monkeys zu gehen.<br />
Ersterer bekommt schließlich<br />
das Problem vieler Clubs der<br />
Dekade: Bürokratismus und Ärger<br />
mit ruheliebenden Nachbarn.<br />
3Raum, Fösseclub, Philharmonie,<br />
Wohnraumatelier<br />
schließen, Bad und Béi Chéz<br />
Heinz kämpfen um’s Überleben.<br />
Das BootBooHook-Festival<br />
muss aufgeben. Dennoch forcieren<br />
einige kreative Geister die<br />
Bewerbung der Stadt Hannover<br />
zur Unesco City Of Music. Anfänglich<br />
will die Stadt gar nicht<br />
Musikstadt werden. Wichtiger<br />
Eine Hannoveranerin erobert Europa:<br />
Lena Meyer-Landrut<br />
ist 2013 der Neubau des Schlosses<br />
Herrenhausen. Schließlich<br />
gibt die Stadt nach, unterstützt<br />
die Bewerbung. Und 2014 ernennt<br />
die Unesco Hannover zur<br />
City Of Music. Allerdings: Große<br />
Bands wie die Fury’s bringt<br />
Hannover schon länger nicht<br />
mehr hervor. Aber 2007 vertritt<br />
ein Berliner Swing-Sänger<br />
Deutschland beim Eurovision<br />
Song Contest. Die Band, die Roger<br />
Cicero dabei unterstützt,<br />
stammt ausnahmslos aus Hannover.<br />
Darunter der Saxophonist<br />
Stephan Abel, der dem Spalter<br />
schon 1988 eine Titelstory wert<br />
war. Drei Jahre später ist es<br />
schließlich soweit. Die vollkommen<br />
unbekannte IGS-Roderbruch-Schülerin<br />
Lena Meyer-<br />
Landrut erobert alle Herzen -<br />
und gewinnt den Contest in Oslo.<br />
2016 darf es Jamie-Lee aus<br />
Bennigsen erneut versuchen.<br />
Auch wenn sie nur Letzte wird,<br />
beweist sie: An Talenten mangelt<br />
es nicht in Hannover. Talente<br />
reifen auch in der örtlichen Poetry<br />
Slam Szene. Aus dem<br />
Nischenereignis wird bald ein<br />
Trend. Der Poetry Slam „Macht<br />
Worte“ findet im ausverkauften<br />
Opernhaus statt. Womit wir<br />
beim Staatstheater sind. Die Erfolgsjahre<br />
von Intendant Wilfried<br />
Schulz enden 2009. Er geht<br />
nach Leipzig. Aus Basel kommt<br />
Lars-Ole Walburg, der schwierige<br />
Anfangsjahre zu überstehen<br />
hat, aber um in der Fußballersprache<br />
zu sprechen, sich fest gespielt<br />
hat. Fußball? Da war doch<br />
was? Die Roten bescheren uns<br />
zwei goldene Jahre in der Europa<br />
Liga, von der jeder Fußballfan<br />
noch heute träumt. Die Erinnerung<br />
hilft ein wenig darüber<br />
hinweg, dass 96 dieses Jahr nach<br />
14 Jahren Erstklassigkeit in die<br />
2.Liga abgestiegen ist. Und 2010<br />
wurden die Hannover Scorpions<br />
deutscher Eishockeymeister.<br />
Aber wir blicken nach vorne.<br />
Keine Atempause. Geschichte<br />
Neue Akzente am Staatsschauspiel:<br />
Intendant Lars-Ole Walburg<br />
wird gemacht. Wir lesen uns in<br />
zehn Jahren wieder. Dann wird<br />
der Schädelspalter 50. Kein<br />
Scheiß!<br />
Der Jazz Club Hannover<br />
wünscht dem<br />
SCHÄDELSPALTER<br />
alles Gute zum<br />
40-jährigen Jubiläum!<br />
Telefonische Programmansage:<br />
0511 - 4544 55<br />
Vorverkauf: Laporte, Kartenshop<br />
im Kaufhof, Hannover Tourismus<br />
Einlass 19.30 Uhr<br />
Konzertbeginn 20.30 Uhr<br />
Eintritt: 15,- € / erm. 10,- €<br />
Online-Reservierungen:<br />
www.jazz-club.de<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 27
Fotografen<br />
Freundin mit Schlange: Nikolaj Georgiew<br />
Nordstadt-Ikone Liebfried Loch: Jochen Lübke<br />
Funk-Prediger Tom Oz: Bernd Opitz<br />
Rio Reiser im Herrenhäuser Garten: Eberhard Franke<br />
28 1976 - 2016
Fotografen<br />
Auf die Linse - Das Auge liest mit<br />
Nikolaj Georgiew<br />
Fotograf legendärer Spalter-<br />
Titelbilder. In der Popbranche<br />
ein viel gebuchter Musikvideospezialist<br />
(Peter Maffay,<br />
Yvonne Catterfeld, Melanie C.).<br />
Es war das erste meiner 21 Titelbilder,<br />
die ich für den Spalter<br />
fotografiert habe. Auf dem Bild ist<br />
meine Ex-Freundin zu sehen. Ich<br />
habe sie vor einer Fußmatte fotografiert.<br />
Die Schlange haben wir<br />
in einer Zoohandlung organisiert.<br />
Ich wollte ein wenig herum experimentieren<br />
und badete meinen<br />
Dia-Film im Negativentwickler<br />
bis psychedelische Effekte und<br />
krasse Farben entstanden. Man<br />
hat es später das „Crossentwicklungsverfahren“<br />
genannt.<br />
Jochen Lübke<br />
Mittlerweile Fotochef<br />
der deutschen Presse Agentur<br />
für Niedersachsen.<br />
An zwei meiner vielen Fotoshootings<br />
für den Spalter kann ich<br />
mich noch gut und gerne erinnern.<br />
Eine schöne Idee (nicht von<br />
mir) war, Leute aus Hannover zu<br />
bitten, uns einen Blick in ihren<br />
Kühlschrank zu geben. Das andere<br />
ist das Porträt von dem Londoner<br />
Maler Patrick Gibbs, der im<br />
Werkhof in der Nordstadt Akte<br />
malte und sich für das Foto ausund<br />
das Model sich anzog.<br />
Bernd Opitz<br />
Spezialisiert auf Produkt- und<br />
Lifestyle-Fotografie. Für „Blickfang“<br />
zählt er zu Deutschlands<br />
besten Fotografen. Zu seinen<br />
Kunden zählen die TUI und<br />
Toyota ebenso wie die „Elle“<br />
oder „Die Zeit“.<br />
Der schönste Spalter-Auftrag<br />
war, das Tom Oz-Konzert in der<br />
Eisfabrik zu fotografieren - irgendwann<br />
87/88. Das Konzert<br />
fing so gegen 21 Uhr an. Und<br />
Champion Jack Dupree: Karsten Davideit<br />
ging von der ersten Minute an ab.<br />
Die Eisfabrik war knackevoll, alle<br />
am Tanzen, und das Konzert<br />
dauerte vier bis fünf Stunden.<br />
Ein nicht enden wollender<br />
Strom des P-Funk, ein Stück nach<br />
dem anderen, jedes 20 Minuten<br />
lang, immer nur tanzen… Tom<br />
Oz war der preacher himself. In<br />
den Pausen Tiga auf der Bühne,<br />
mit Baseballjacke. Er machte mit<br />
uns Publikum wilde Choreografien<br />
und aus uns allen die „wet family“.<br />
Ich bin dann völlig erschöpft, mit<br />
lautem Pfeifen in den Ohren morgens<br />
um drei, mit einem Grinsen<br />
von hier bis zum Horizont im Gesicht,<br />
nach Hause gefahren.<br />
So etwas hatte ich noch nie<br />
erlebt.<br />
Eberhard Franke<br />
Fotografierte in Hannover<br />
für den Spalter und die HAZ.<br />
Unter anderem Vorstandsmitglied<br />
von Freelens, Verband<br />
der Fotografen. Mittlerweile<br />
mit eigener Agentur in<br />
München tätig.<br />
Anlass für das Foto war ein umfangreiches<br />
Interview von Rio Reiser<br />
durch Hollow Skai. Der „König<br />
von Deutschland” musste ja in<br />
einem passenden Ambiente inszeniert<br />
werden. So kam es zu dem<br />
Shooting in den Herrenhäuser<br />
Gärten. Nach Aufnahmen an verschiedenen<br />
Locations erreichten<br />
wir schließlich zur Skulptur von<br />
Sophie Kurfürstin von Hannover.<br />
Und ich auf die Idee der ungeziemten<br />
Berührung von Sophies<br />
Brust durch den „König“...wir haben<br />
uns köstlich amüsiert...<br />
Karsten Davideit<br />
Seit Oktober 1990 Gastround<br />
Nightlifefotograf für den<br />
Schädelspalter. Außerdem<br />
Foodstill-Spezialist für<br />
Hannover geht aus!<br />
Das eindeutig emotionalste<br />
Spalter-Erlebnis war für mich der<br />
Nachruf auf den am 21.Januar<br />
1992 verstorbenen Champion<br />
40 JAHRE SCHÄDELSPALTER 29
Fotografen<br />
Jack Dupree. Ein Konzertfoto<br />
von Jack (April 1987, Pupille)<br />
war mein allererstes verkauftes<br />
und auch abgedrucktes Bild. Ab<br />
der Zeit trafen wir uns häufiger,<br />
wenn er mal in der Stadt war<br />
und nicht auf Tournee wie meist.<br />
Im Milano zum Essen oder bei<br />
ihm zu Hause im 22. Stock des<br />
Bredero. Ich hab nie wieder einen<br />
Menschen kennen gelernt, der so<br />
viele Geschichten erlebt hat und<br />
zu erzählen wusste. Seine Mutter<br />
war Cherokee, sein Vater stammte<br />
von Plantagenarbeitern ab.<br />
Mit zwei kam er in New Orleans<br />
in’s Waisenhaus, mit fünf fing er<br />
an in den Barrelhouses Gläser<br />
einzusammeln und sich das<br />
Klavierspiel abzuschauen. Er hat<br />
mit allen Großen des Jazz gespielt<br />
und viele Platten gemacht. Er erzählte<br />
von erlebter Diskriminierung<br />
in Amerika, aber auch verrückte<br />
Geschichten: „Als ich bei<br />
einem Filmdreh in Marokko mit<br />
Miss World war und Männer,<br />
Macheten schwingend, in die<br />
Kneipe kamen...“.<br />
Zwischendurch bei einem langen<br />
Konzert kamen von ihm unweigerlich<br />
großartige Aussagen<br />
wie „Shakespeare says: No Beer,<br />
no Music!“<br />
Mit Jack ist der letzte echte<br />
Barrelhouse-Musiker des Jazz gestorben.<br />
Ein außergewöhnlicher<br />
Mensch und Musiker. Jack, du<br />
fehlst!<br />
Olaf Hauschulz<br />
Aktivposten in den frühen<br />
Neunzigern beim Schädelspalter.<br />
Hauschulz ging 95<br />
nach Hamburg, arbeitete für<br />
die beiden größten Werbeagenturen<br />
Jung von Matt und<br />
Springer und Jacoby. Weltweit<br />
Beachtung fanden 2004 seine<br />
Fotos zur Launch-Kampagne<br />
zum Mercedes CLS. Betreibt in<br />
Hannover den Helmkehof.<br />
Es war super schwierig ein<br />
Titelbild auszusuchen, da es<br />
soooo viele waren (Ich glaube um<br />
40). Das hatte ich fast vergessen.<br />
Ich wusste gar nicht mehr, dass<br />
ich Bettina Zimmermann für<br />
ein Schädelspalter-Cover fotografiert<br />
hatte. Mein Helge<br />
Schneider Shooting war das coolste,<br />
aber leider ist es kein Cover<br />
geworden. Mit über 25 Jahren<br />
Abstand war es toll, die Bilder<br />
wieder zu sehen. Obwohl es<br />
„Frühwerke“ sind, habe ich<br />
nicht das Gefühl, dass man sie<br />
nicht mehr zeigen kann oder<br />
sollte - was sich gut anfühlt.<br />
Die Bilder zu fotografieren hat<br />
super viel Spaß gemacht und ich<br />
habe viel ausprobieren können!<br />
Mussten wir auch, da das Budget<br />
überschaubar war. Trotzdem eine<br />
tolle Zeit!<br />
Beispielhaft für diese Zeit war<br />
das Titelbild aus dem August<br />
1991. Das Modell Tim machte<br />
zu der Zeit ein Schulpraktikum<br />
bei mir. Ich überlegte, wie ein<br />
Sommerbild aussehen könnte?<br />
Gelbe Farbfolie für den Hintergrund,<br />
kein Hemd und Tims<br />
Sonnenbrille. Kein Styling, kein<br />
Make-Up, kein Set.<br />
Foto-Praktikant Tim: Olaf Hauschulz<br />
Dann haben wir Spaß gehabt<br />
und lediglich zwei oder drei Rollen<br />
fotografiert (Film war ja teuer)!<br />
Das Bild war eines der ersten<br />
Titelbilder, die ich für den Spalter<br />
fotografiert habe und ich denke,<br />
dass es für meine Karriere sehr<br />
wichtig war.<br />
30 1976 - 2016