08.12.2012 Aufrufe

Haftbedingungen und die Behandlung Strafgefangener

Haftbedingungen und die Behandlung Strafgefangener

Haftbedingungen und die Behandlung Strafgefangener

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Informationsblatt zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für<br />

Menschenrechte (EGMR)<br />

Januar 2012<br />

Dieses Informationsblatt ist für den Gerichtshof nicht bindend <strong>und</strong> erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.<br />

<strong>Haftbedingungen</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> <strong>Behandlung</strong> <strong>Strafgefangener</strong><br />

(Siehe auch Informationsblatt Ges<strong>und</strong>heitsschutz im Gefängnis)<br />

Isolationshaft<br />

Ilascu u.a. gegen Republik Moldau <strong>und</strong> Russland (48787/99)<br />

08.07.2004 (Große Kammer)<br />

Ilie Ilaşcu war moldawischer Oppositionspolitiker. Er wurde acht Jahre lang in der<br />

moldawischen Region Transnistrien in strenger Isolationshaft gehalten, bevor seine<br />

Verurteilung zur Todesstrafe wegen terroristischer Straftaten de facto aufgehoben <strong>und</strong> er<br />

2001 freigelassen wurde. Während seiner Zeit in der Todeszelle hatte er keinen Kontakt<br />

zu anderen Gefangenen, erhielt keinerlei Nachrichten von der Außenwelt, da ihm das<br />

Versenden <strong>und</strong> Empfangen von E-Mails nicht erlaubt war, <strong>und</strong> war nicht berechtigt,<br />

seinen Anwalt zu kontaktieren oder regelmäßig Besuch von seiner Familie zu empfangen.<br />

Seine Zelle war nicht beheizt, er wurde mit Nahrungsentzug bestraft <strong>und</strong> durfte nur sehr<br />

selten duschen. Aufgr<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Bedingungen <strong>und</strong> des Mangels an medizinischer<br />

Versorgung verschlechterte sich sein Ges<strong>und</strong>heitszustand.<br />

Der Gerichtshof stellte fest, dass <strong>die</strong>se Bedingungen in ihrer Gesamtheit eine Folter<br />

darstellten <strong>und</strong> somit Artikel 3 der Menschenrechtskonvention (Verbot der Folter <strong>und</strong> der<br />

unmenschlichen oder erniedrigenden <strong>Behandlung</strong>) durch Russland verletzt worden sei.<br />

(Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass <strong>die</strong> moldawische Region Transnistrien zum<br />

damaligen Zeitpunkt unter der tatsächlichen Herrschaft oder zumindest maßgeblich<br />

unter dem Einfluss der russischen Regierung stand.)<br />

Ramirez Sanchez gegen Frankreich (59450/00)<br />

04.07.2006 (Große Kammer)<br />

Ilich Ramirez Sanchez, ein unter dem Namen “Carlos der Schakal” bekannter<br />

internationaler Terrorist, wurde acht Jahre lang in Frankreich in Isolationshaft gehalten,<br />

nachdem er wegen terroristischer Straftaten verurteilt worden war. Jeglicher Kontakt zu<br />

anderen Gefangenen wurde ihm untersagt, er verfügte jedoch über einen Fernseher,<br />

hatte Zugang zu Zeitungen <strong>und</strong> durfte Besuche von seiner Familie <strong>und</strong> seinen Anwälten<br />

empfangen.<br />

Der Gerichtshof stellte keine Verletzung von Artikel 3 fest. In Anbetracht des Charakters<br />

von Ramirez Sanchez <strong>und</strong> der Gefahr, <strong>die</strong> von ihm ausging, hatten <strong>die</strong> Bedingungen,<br />

unter denen er inhaftiert war, nicht jenen Schweregrad erreicht, der eine unmenschliche<br />

oder erniedrigende <strong>Behandlung</strong> darstellt. Der Gerichtshof nahm zur Kenntnis, dass<br />

Frankreich <strong>die</strong> Isolationshaft einige Monate vor dem von ihm gefällten Urteil beendet<br />

hatte.<br />

Gleichzeitig teilte der Gerichtshof <strong>die</strong> Bedenken des Europäischen Komitees zur<br />

Verhütung von Folter <strong>und</strong> unmenschlicher oder erniedrigender <strong>Behandlung</strong> oder Strafe<br />

(CPT) bezüglich der möglichen Langzeitfolgen von Ramirez Sanchez' Isolation <strong>und</strong><br />

betonte, dass Isolationshaft einem Gefangenen sogar in Fällen, in denen es sich lediglich<br />

um eingeschränkte Isolation handelt, nicht auf unbegrenzte Zeit zugemutet werden<br />

kann. Ein Staat muss <strong>die</strong> Isolationshaft eines Gefangenen in regelmäßigen Abständen<br />

erneut prüfen, Gründe für sämtliche Entscheidungen anführen, <strong>die</strong> Isolation<br />

fortzusetzen, <strong>und</strong> den körperlichen <strong>und</strong> geistigen Zustand der Gefangenen überwachen.


Informationsblatt – <strong>Haftbedingungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Behandlung</strong> <strong>Strafgefangener</strong><br />

Überbelegung von Zellen<br />

Mandic <strong>und</strong> Jovic gegen Slowenien (5774/10 <strong>und</strong> 5985/10) <strong>und</strong> Strucl u.a.<br />

gegen Slowenien (5903/10, 6003/10 <strong>und</strong> 6544/10)<br />

20.10.2011 (Kammer)<br />

Die Verfahren betrafen <strong>die</strong> Zustände in der Haftanstalt von Ljubljana in Slowenien.<br />

Während ihrer dortigen Haft wurden <strong>die</strong> Beschwerdeführer über einen Zeitraum von<br />

mehreren Monaten in Zellen gehalten, in denen ihnen ein persönlicher Bereich von 2,7<br />

m² zur Verfügung stand <strong>und</strong> in denen <strong>die</strong> Durchschnittstemperatur an Nachmittagen im<br />

August 28°C betrug. Darüber hinaus mussten sie einen Großteil ihrer Zeit in der Zelle<br />

verbringen.<br />

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 3 fest, da <strong>die</strong> schwierigen <strong>und</strong> harten<br />

Umstände, denen <strong>die</strong> Beschwerdeführer ausgesetzt waren, das Maß der Zumutbarkeit<br />

überstiegen <strong>und</strong> somit eine erniedrigende <strong>Behandlung</strong> darstellten.<br />

Zwangsernährung <strong>und</strong> medizinische Zwangsbehandlung<br />

Nevmerzhitsky gegen <strong>die</strong> Ukraine (54825/00)<br />

05.04.2005 (Kammer)<br />

Yevgen Nevmerzhitsky verbrachte im Zeitraum von 1997 bis 2000 zwei Jahre <strong>und</strong> zehn<br />

Monate in Untersuchungshaft. Er zog sich im Gefängnis mehrere Hautkrankheiten zu,<br />

<strong>und</strong> sein Ges<strong>und</strong>heitszustand verschlechterte sich deutlich. Seine Haft wurde fünf Mal<br />

verlängert <strong>und</strong> sein Antrag auf Entlassung wurde abgelehnt, obwohl <strong>die</strong> gesetzlich<br />

zugelassene Inhaftierungshöchstdauer für Strafgefangene in Untersuchungshaft<br />

überschritten war. Während seiner Haft trat Nevmerzhitsky mehrfach in einen<br />

Hungerstreik, woraufhin er zwangsernährt wurde.<br />

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 3 fest. Eine Maßnahme wie <strong>die</strong><br />

Zwangsernährung kann nicht als erniedrigend erachtet werden, wenn sie lebensrettend<br />

ist. In Nevmerzhitskys Fall hatte <strong>die</strong> Regierung jedoch nicht nachgewiesen, dass seine<br />

Zwangsernährung medizinisch notwendig war. Die Maßnahme war daher willkürlich;<br />

angesichts seiner bewussten Verweigerung der Nahrungsaufnahme waren<br />

Verfahrensgarantien nicht eingehalten worden. Darüber hinaus stelle <strong>die</strong> Art <strong>und</strong> Weise<br />

seiner Zwangsernährung, <strong>die</strong> mithilfe von Handschellen, einem M<strong>und</strong>spreizer <strong>und</strong> einem<br />

speziellen, in <strong>die</strong> Speiseröhre eingeführten Gummischlauch durchgeführt wurde, eine<br />

Form von Folter dar.<br />

Jalloh gegen Deutschland (54810/00)<br />

11.07.2006 (Große Kammer)<br />

Abu Jalloh, einem mutmaßlichen Drogendealer, wurde in einem Krankenhaus gegen<br />

seinen Willen ein Brechmittel verabreicht, um das Ausscheiden von Säckchen mit Drogen<br />

zu erwirken, <strong>die</strong> er angeblich bei seiner Festnahme heruntergeschluckt hatte. Die Drogen<br />

wurden anschließend in dem gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren als Beweismittel<br />

verwendet.<br />

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 3 fest. Er erkannte zwar das<br />

öffentliche Interesse an der Bekämpfung des Drogenhandels an, hielt jedoch fest, dass<br />

Jalloh nicht im großen Stil mit Drogen gehandelt hatte <strong>und</strong> dass <strong>die</strong><br />

Strafverfolgungsbehörden hätten warten können, bis er <strong>die</strong> Drogen auf natürlichem Weg<br />

ausscheidet, da <strong>die</strong>se Methode auch von vielen anderen Mitgliedstaaten des Europarats<br />

bei der Untersuchung von Rauschgiftdelikten angewendet wird. Die zwangsweise<br />

Verabreichung eines Brechmittels stellt ein Ges<strong>und</strong>heitsrisiko dar, eine Methode, <strong>die</strong> in<br />

Deutschland bereits zwei Todesopfer gefordert hat. Darüber hinaus hatte <strong>die</strong> Art der<br />

Verabreichung, <strong>die</strong> in Jallohs Fall gewaltsam mithilfe eines Schlauches erfolgte, <strong>die</strong>sem<br />

höchstwahrscheinlich Schmerzen zugefügt <strong>und</strong> ihn verängstigt.<br />

2


Informationsblatt – <strong>Haftbedingungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Behandlung</strong> <strong>Strafgefangener</strong><br />

(Hygienische) Bedingungen in Gefängniszellen<br />

Kalashnikov gegen Russland (47095/99)<br />

15.07.2002 (Kammer)<br />

Valeriy Kalashnikov verbrachte wegen Veruntreuung fast fünf Jahre in<br />

Untersuchungshaft, bevor er im Jahr 2000 freigelassen wurde. Er beanstandete <strong>die</strong><br />

Zustände in den Zellen der Haftanstalt, in der er einsaß, <strong>und</strong> insbesondere, dass seine<br />

Zelle überbelegt sei. Auf 17 m² seien 24 Häftlinge untergebracht, <strong>und</strong> aufgr<strong>und</strong> der<br />

Tatsache, dass er von starken Rauchern umgeben war, sei er gezwungen gewesen,<br />

passiv zu rauchen. Darüber hinaus sei es unmöglich gewesen, richtig zu schlafen, da<br />

sowohl das Fernsehgerät als auch das Licht in der Zelle niemals ausgeschaltet worden<br />

<strong>und</strong> <strong>die</strong> Zelle voller Kakerlaken <strong>und</strong> Ameisen gewesen sei. Er habe sich verschiedene<br />

Hautkrankheiten <strong>und</strong> Pilzinfektionen zugezogen, infolge derer er seine Zehennägel <strong>und</strong><br />

einige seiner Fingernägel verloren habe.<br />

Obwohl der Gerichtshof anerkannte, dass es keinen Hinweis auf eine absichtliche<br />

Demütigung Kalashnikovs gab, kam er zu dem Schluss, dass <strong>die</strong> <strong>Haftbedingungen</strong> eine<br />

erniedrigende <strong>Behandlung</strong> <strong>und</strong> somit eine Verletzung von Artikel 3 darstellten. Zu <strong>die</strong>ser<br />

Schlussfolgerung trugen insbesondere <strong>die</strong> stark überbelegte Zelle <strong>und</strong> <strong>die</strong><br />

unhygienischen Verhältnisse sowie deren negative Auswirkungen auf <strong>die</strong> Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong><br />

das Wohlbefinden des Beschwerdeführers in Verbindung mit dem langen Zeitraum, in<br />

dem er unter solchen Bedingungen festgehalten wurde, bei. In Bezug auf <strong>die</strong><br />

Überbelegung der Zelle betonte der Gerichtshof, dass das CPT 7 m² pro Gefangenem als<br />

anzustrebenden Richtwert für eine Haftzelle festgelegt hatte.<br />

Modârcă gegen Moldau (14437/05)<br />

10.05.2007 (Kammer)<br />

Im Jahr 2005 verbrachte Vladimir Modârcă, der an Osteoporose leidet, neun Monate<br />

seiner Untersuchungshaft in einer 10 m² großen Zelle, <strong>die</strong> er sich mit 3 anderen<br />

Insassen teilte. In der Zelle gab es nur sehr wenig Tageslicht, sie war weder beheizt<br />

noch belüftet, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Strom- <strong>und</strong> Wasserversorgung wurde regelmäßig abgestellt.<br />

Modârcă erhielt weder Bettwäsche noch Gefängnisbekleidung, der Esstisch befand sich in<br />

unmittelbarer Nähe zur Toilette, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Ausgaben für Nahrung waren auf 0,28 € am Tag<br />

pro Gefangenem beschränkt. Nach einem Besuch des Gefängnisses im September 2004<br />

bezeichnete das CTP das Essen in einem Bericht als „ekelerregend <strong>und</strong> praktisch nicht<br />

essbar“.<br />

Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass <strong>die</strong> kumulative Wirkung von Modârcăs<br />

<strong>Haftbedingungen</strong> sowie der Zeitraum, über den er <strong>die</strong>sen ausgesetzt war, zu einer<br />

Verletzung von Artikel 3 führten.<br />

Florea gegen Rumänien (37186/03)<br />

14.09.2010 (Kammer)<br />

Gheorghe Florea, der an chronischer Hepatitis <strong>und</strong> Bluthochdruck leidet, war von 2002<br />

bis 2005 im Gefängnis von Botasani in Rumänien inhaftiert. Etwa neun Monate lang war<br />

er gezwungen, sich eine Zelle mit lediglich 35 Betten mit 110 bis 120 anderen<br />

Strafgefangenen zu teilen. Während der gesamten Dauer seiner Inhaftierung musste er<br />

sich <strong>die</strong> Zelle mit Rauchern teilen.<br />

Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass Floreas <strong>Haftbedingungen</strong> eine Verletzung von<br />

Artikel 3 darstellten. Der Staat hat sicherzustellen, dass Strafgefangene keinem<br />

unzumutbaren Maß an Schmerzen oder Leid ausgesetzt sind <strong>und</strong> dass ihre Ges<strong>und</strong>heit<br />

nicht gefährdet wird.<br />

Pavalache gegen Rumänien (38746/03)<br />

18.10.2011 (Kammer)<br />

Der Beschwerdeführer beanstandete nach Artikel 3 insbesondere, dass man ihn im<br />

Gefängnis unter unangemessenen Bedingungen festgehalten habe, da er Tabakrauch<br />

ausgesetzt gewesen <strong>und</strong> nicht rechtzeitig ärztlich behandelt worden sei.<br />

3


Informationsblatt – <strong>Haftbedingungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Behandlung</strong> <strong>Strafgefangener</strong><br />

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 3 fest (Verbot der unmenschlichen<br />

oder erniedrigenden <strong>Behandlung</strong>).<br />

Leibesvisitationen von Strafgefangenen<br />

Iwańczuk gegen Polen (25196/94)<br />

15.11.2001 (Kammer)<br />

Während seiner Untersuchungshaft beantragte Krysztof Iwánczuk 1993 eine<br />

Wahlgenehmigung für <strong>die</strong> Parlamentswahlen. Eine Gruppe von Gefängniswärtern teilte<br />

ihm daraufhin mit, dass er sich, um wählen zu dürfen, entkleiden <strong>und</strong> einer<br />

Leibesvisitation unterziehen müsse. Er entkleidete sich bis auf <strong>die</strong> Unterwäsche,<br />

woraufhin <strong>die</strong> Wärter ihn verspotteten, erniedrigende Bemerkungen über seinen Körper<br />

machten <strong>und</strong> ihn verbal attackierten. Er wurde angewiesen, sich nackt auszuziehen, was<br />

er jedoch verweigerte. Daraufhin wurde er in seine Zelle zurückgebracht, ohne eine<br />

Wahlerlaubnis erhalten zu haben.<br />

Der Gerichtshof kam zu dem Schluss, dass <strong>die</strong>ses Verhalten eine erniedrigende<br />

<strong>Behandlung</strong> darstellte <strong>und</strong> somit eine Verletzung von Artikel 3 vorlag. Es lagen keine<br />

zwingenden Gründe für eine Leibesvisitation durch <strong>die</strong> Gefängniswärter vor. Diese ließ<br />

sich auch nicht durch Sicherheitsgründe rechtfertigen, da Iwánczuk sich während seiner<br />

Inhaftierung immer friedlich verhalten hatte, er nicht wegen eines Gewaltverbrechens<br />

verurteilt worden war, keine Vorstrafen hatte <strong>und</strong> nicht nachgewiesen werden konnte,<br />

dass ein gewalttätiges Verhalten seinerseits zu befürchten war.<br />

Leibesvisitationen können zwar in bestimmten Fällen notwendig sein, um <strong>die</strong> Sicherheit<br />

innerhalb eines Gefängnisses zu gewährleisten oder Unruhen zu vermeiden, sie müssen<br />

jedoch in angemessener Weise durchgeführt werden. Verhaltensweisen, <strong>die</strong>, wie in<br />

<strong>die</strong>sem Fall, darauf abzielen, Gefühle von Erniedrigung oder Minderwertigkeit<br />

auszulösen, zeugen von einem Mangel an Respekt für <strong>die</strong> Menschenwürde von<br />

Strafgefangenen.<br />

Valašinas gegen Litauen (44558/98)<br />

24.07.2001 (Kammer)<br />

Während er eine Gefängnisstrafe wegen Diebstahls, Besitzes <strong>und</strong> Verkaufs von<br />

Schusswaffen verbüßte, wurde Juozas Valašinas, nachdem ihn ein Verwandter besucht<br />

hatte, dazu aufgefordert, sich in Anwesenheit einer weiblichen Vollzugsbeamtin nackt<br />

auszuziehen, was seiner Meinung nach dazu <strong>die</strong>nen sollte, ihn zu demütigen. Danach<br />

wurde er angewiesen, in <strong>die</strong> Hocke zu gehen, woraufhin seine Geschlechtsorgane <strong>und</strong><br />

das Essen, das er von seinem Besucher erhalten hatte, von den Wärtern untersucht<br />

wurden, ohne dass <strong>die</strong>se Handschuhe trugen.<br />

Der Gerichtshof stellte fest, dass <strong>die</strong> Art <strong>und</strong> Weise, in der <strong>die</strong> Durchsuchung<br />

durchgeführt worden war, einen klaren Mangel an Respekt für Valašinas erkennen ließ<br />

<strong>und</strong> seine Menschenwürde dadurch angegriffen wurde. Der Gerichtshof kam zu dem<br />

Schluss, dass eine erniedrigende <strong>Behandlung</strong> nach Artikel 3 der Konvention vorlag.<br />

Frérot gegen Frankreich (70204/01)<br />

12.06.2007 (Kammer)<br />

Maxime Frérot, ehemaliges Mitglied einer linksextremen, bewaffneten Bewegung,<br />

verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen einer Reihe von Straftaten, darunter<br />

Mord <strong>und</strong> bewaffneter Raubüberfall. Von 1994 bis 1996 war er im Gefängnis von Fresnes<br />

inhaftiert <strong>und</strong> musste sich regelmäßig einer Leibesvisitation unterziehen, wenn er den<br />

Besucherraum des Gefängnisses verließ. Wenn er sich weigerte, wurde er in eine<br />

Strafzelle gebracht.<br />

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 3 fest. Zwar erkannte er an, dass <strong>die</strong><br />

Leibesvisitationen von Frérot der Sicherheit <strong>und</strong> der Verhinderung von Straftaten<br />

<strong>die</strong>nten, der Gerichtshof zeigte sich jedoch erstaunt darüber, dass das Vorgehen bei der<br />

Durchsuchung von einem Gefängnis zum anderen variierte. Nur in Fresnes, wo davon<br />

ausgegangen wurde, dass jeder Gefangene, der vom Besucherraum zurückkehrt,<br />

4


Informationsblatt – <strong>Haftbedingungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Behandlung</strong> <strong>Strafgefangener</strong><br />

Gegenstände oder Substanzen an den intimsten Körperstellen versteckt, wurde von<br />

Frérot erwartet, dass er sich Rektaluntersuchungen unterzieht. Aus <strong>die</strong>sem Gr<strong>und</strong> zeigte<br />

der Gerichtshof Verständnis dafür, dass sich <strong>die</strong> betroffenen Gefangenen als Opfer<br />

willkürlicher Maßnahmen ansahen, insbesondere, da <strong>die</strong> Durchsuchungsprozedur in<br />

einem R<strong>und</strong>schreiben geregelt war <strong>und</strong> jedem Gefängnisdirektor einen großen<br />

Ermessensspielraum einräumte.<br />

El Shennawy gegen Frankreich (51246/08)<br />

20.01.2011 (Kammer)<br />

El Shennawy, der eine Freiheitsstrafe wegen einer Reihe von Straftaten verbüßte,<br />

beanstandete insbesondere <strong>die</strong> Leibesvisitationen, denen er sich während des gegen ihn<br />

laufenden Strafverfahrens unterziehen musste.<br />

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 3 fest. Die Untersuchungen waren<br />

nicht durch dringende Sicherheitsbedürfnisse gerechtfertigt. Obwohl sie nur innerhalb<br />

eines kurzen Zeitraums stattfanden, hatten sie in El Shennawy Gefühle des<br />

Schikaniertwerdens, der Minderwertigkeit <strong>und</strong> der Angst ausgelöst, <strong>die</strong> den Grad an<br />

Erniedrigung, der mit Leibesvisitationen von Strafgefangenen zwangsläufig einhergeht,<br />

überschritten.<br />

Mehrfache Gefangenentransfers<br />

Khider gegen Frankreich (39364/05)<br />

09.07.2009 (Kammer)<br />

Cyril Khider, der aufgr<strong>und</strong> gegen ihn laufender Verfahren, u.a. wegen bewaffneten<br />

Raubüberfalls als Mitglied einer Bande, inhaftiert war, beanstandete seine<br />

<strong>Haftbedingungen</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Sicherheitsmaßnahmen, <strong>die</strong> ihm als “Gefangenem mit<br />

besonderem Aufsichtsbedarf” auferlegt worden waren, insbesondere <strong>die</strong> wiederholten<br />

Überführungen in andere Gefängnisse, lange Zeiten der Isolationshaft sowie ständige<br />

Leibesvisitationen.<br />

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 3 fest.<br />

Payet gegen Frankreich (19606/08)<br />

20.01.2011 (Kammer)<br />

Payet, der eine Haftstrafe wegen Mordes verbüßt, beanstandete seine <strong>Haftbedingungen</strong><br />

<strong>und</strong> seine aus Sicherheitsgründen erfolgende häufige Verlegung in andere Zellen <strong>und</strong><br />

Gefängnisgebäude sowie <strong>die</strong> Disziplinarmaßnahme, <strong>die</strong> ihm auferlegt worden war. Diese<br />

beinhaltete <strong>die</strong> Unterbringung in Zellen ohne Tageslicht oder angemessene hygienische<br />

Bedingungen.<br />

In Bezug auf <strong>die</strong> schlechten <strong>Haftbedingungen</strong> in dem Gefängnisflügel, in dem Payet<br />

inhaftiert war (schmutzige <strong>und</strong> verwahrloste Räumlichkeiten, Rohrbrüche, kein<br />

ausreichendes Licht zum Lesen <strong>und</strong> Schreiben), stellte der Gerichtshof eine Verletzung<br />

von Artikel 3 fest. Hinsichtlich der sicherheitsbedingten Rotation stellte er jedoch keine<br />

Verletzung von Artikel 3 fest.<br />

Misshandlung<br />

Premininy gegen Russland (44973/04)<br />

10.02.2011 (Kammer)<br />

Das Verfahren betraf <strong>die</strong> angebliche Misshandlung eines Strafgefangenen, der unter<br />

Verdacht stand, in das Online-Sicherheitssystem einer Bank eingedrungen zu sein, durch<br />

seine Mithäftlinge <strong>und</strong> Gefängniswärter sowie seine Beschwerde, dass sein Antrag auf<br />

Entlassung nicht zügig geprüft worden sei.<br />

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 3 fest (Verbot der unmenschlichen<br />

oder erniedrigenden <strong>Behandlung</strong>), zwei weitere Verletzungen von Artikel 3 (Verbot der<br />

unmenschlichen oder erniedrigenden <strong>Behandlung</strong>: Fehlen einer wirksamen<br />

5


Informationsblatt – <strong>Haftbedingungen</strong> <strong>und</strong> <strong>Behandlung</strong> <strong>Strafgefangener</strong><br />

Untersuchung) sowie eine Verletzung von Artikel 5 § 4 (Recht auf Freiheit <strong>und</strong><br />

Sicherheit).<br />

Pilotverfahren<br />

Ananyev u.a. gegen Russland (42525/07 <strong>und</strong> 60800/08)<br />

10.01.12 (Kammerurteil)<br />

Der Fall betraf <strong>die</strong> Beschwerden dreier russischer Staatsangehöriger darüber, dass sie in<br />

Untersuchungsgefängnissen unter unmenschlichen <strong>und</strong> erniedrigenden Bedingungen auf<br />

ihr Strafverfahren warten mussten.<br />

Der Gerichtshof stellte eine Verletzung von Artikel 3 (Verbot unmenschlicher oder<br />

erniedrigender <strong>Behandlung</strong> oder Strafe) <strong>und</strong> eine Verletzung von Artikel 13 (Recht auf<br />

wirksame Beschwerde) fest.<br />

Weiter wies der Gerichtshof <strong>die</strong> russische Regierung nach Artikel 46 (Verbindlichkeit <strong>und</strong><br />

Vollzug der Urteile des Gerichtshofs) an:<br />

- <strong>die</strong> <strong>Haftbedingungen</strong> durch Abtrennung der Toiletten, Entfernung des dicken<br />

Netzes vor den Zellenfenstern <strong>und</strong> durch <strong>die</strong> Möglichkeit der häufigeren Nutzung<br />

von Duschen zu verbessern;<br />

- den anwendbaren Rechtsrahmen zu ändern, ebenso wie <strong>die</strong> Haftpraxis;<br />

- sicherzustellen, dass eine Untersuchungshaft nur in absolut notwendigen Fällen<br />

angeordnet wird;<br />

- für jedes Untersuchungsgefängnis eine maximale Kapazität festzulegen;<br />

- sicherzustellen, dass jedes Opfer unangemessener <strong>Haftbedingungen</strong> eine<br />

entsprechende Beschwerde hierüber abgeben kann <strong>und</strong> ihm <strong>die</strong>sbezüglich<br />

Schadensersatz gewährt wird.<br />

Die russischen Behörden sind verpflichtet, in Zusammenarbeit mit dem Ministerkomitee<br />

des Europarates <strong>und</strong> innerhalb einer Sechsmonatsfrist ab dem Datum, an dem das Urteil<br />

rechtskräftig wird, einen verbindlichen Zeitrahmen für <strong>die</strong> Lösung der angeführten<br />

Probleme anzubieten. Weiter sind sie verpflichtet, Wiedergutmachung zu leisten, unter<br />

anderem durch eine beschleunigte Abwicklung aller Fälle, <strong>die</strong> von Opfern der<br />

unmenschlichen oder erniedrigenden <strong>Haftbedingungen</strong> in russischen Gefängnissen vor<br />

dem EGMR anhängig gemacht werden. Dies muss innerhalb einer Frist von 12 Monaten<br />

ab dem Datum, an dem das Urteil rechtskräftig wird (für bereits zugestellte Fälle) bzw.<br />

ab dem Zeitpunkt der Zustellung (neue Fälle) erfolgen.<br />

Pressekontakt: echrpress@echr.coe.int Tel: +33 3 90 21 42 08<br />

6

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!