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Zweitausendneun, Zweitausendzehn. - Kulturserver Hamburg

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PREMIEREN 40<br />

Marco Albrecht<br />

Minna von Barnhelm, oder das Soldatenglück<br />

Nachrichten aus der<br />

ideologischen Antike<br />

von Alexander Kluge<br />

In einer Bearbeitung von Kevin Rittberger<br />

Uraufführung<br />

1927 schreibt der russische<br />

Filmemacher Sergej Eisenstein<br />

in sein Arbeitsbuch:<br />

»Der Entschluss steht fest,<br />

›Das Kapital‹ nach dem Szenarium<br />

von Karl Marx zu<br />

verfilmen.« Als Ausgangspunkt<br />

und immer wiederkehrendes<br />

Motiv des Films legt<br />

er folgende Situation fest:<br />

Eine Frau kocht Suppe, während<br />

der Mann von der Arbeit<br />

heimkehrt.<br />

Doch welcher Mann<br />

kehrt heim? Ist es Odysseus,<br />

der von Penelope nach langer<br />

Irrfahrt nicht wiedererkannt<br />

wird (Homer)? Ist es der verarmte<br />

Rembrandt, das prominenteste<br />

Opfer des Kollapses<br />

der holländischen Tulpenbörse<br />

von 1637? Ist es Galy<br />

Gay, der, anstatt einen Fisch<br />

zu kaufen, von einem Soldatentrupp<br />

zur Maschine umgebaut<br />

wird und am Ende<br />

eine Grabrede auf sich selbst<br />

hält (Bertolt Brecht)? Und<br />

welches Kostüm wird »Das<br />

Kapital« für den Abenteurer<br />

des 21. Jahrhunderts bereithalten?<br />

Und die Frau? Hat sie ihr<br />

Vermögen in Anleihen für<br />

den Bau der transsibirischen<br />

Eisenbahn gesteckt und verliert<br />

nach 1917 alles? Welche<br />

Suppe kocht sie nun? Vermisst<br />

sie Zutaten und versucht<br />

am Ende »Das Kapital«<br />

selbst zuzubereiten? Wo<br />

wächst überhaupt der Pfeffer?<br />

Und wenn es einen Man-<br />

gel an Zutaten gibt – haben<br />

wir nicht Maschinen gebaut,<br />

die den Mangel abschaffen<br />

sollten? Sind die Maschinen<br />

festgefroren oder zu Naturwesen<br />

geworden, deren<br />

Früchte man nicht ernten<br />

kann (Dietmar Dath)?<br />

In Geschichten von Verwandlung<br />

und Wiederkehr<br />

geht es um den langen<br />

Marsch der Außenwelt in das<br />

Innere des Menschen. Alexander<br />

Kluges szenische Miniaturen<br />

– und darin folgt er<br />

Eisensteins Vorstellung einer<br />

kugelförmigen Dramaturgie<br />

– sind einzelnen Lebensläufen<br />

geschuldet, während<br />

gleichzeitig Assoziationsketten<br />

und Subtexte die gesamte<br />

Menschheitsgeschichte aufrufen.<br />

Der Mensch ist aus<br />

mehreren Menschen zusammengesetzt,<br />

die dieses geschichtliche<br />

Produkt hergestellt<br />

haben. Und auf die<br />

Frage, ob die Resultate ihrer<br />

Arbeit von der Realität auf<br />

andere Weise angeeignet<br />

worden sind als nach den<br />

Motiven, aus denen heraus<br />

sie produziert wurden, antworten<br />

die toten Geschlechter:<br />

So haben wir das alles<br />

nicht gewollt.<br />

Die Verfilmung des »Kapitals«<br />

hat Eisenstein nie verwirklichen<br />

können. Aber in<br />

den imaginären Steinbrüchen<br />

Alexander Kluges lebt das<br />

Vorhaben nun fort. »Nachrichten<br />

aus der ideologischen<br />

Antike«, ein zehnstündiger<br />

Film von Alexander Kluge, ist<br />

ein verspieltes Kommentarwerk<br />

auf das Hauptwerk von<br />

Karl Marx, das wir mit den<br />

Mitteln der Bühne nun fortsetzen<br />

werden – auch als Reverenz<br />

an jene Mitglieder unseres<br />

Ensembles, die in Kluges<br />

Film eingegangen sind. a<br />

Kevin Rittberger, geboren<br />

1977 in Stuttgart. Studium<br />

der Neueren Deutschen Literatur,<br />

Publizistik und Kommunikationswissenschaften<br />

in Berlin. 2004 Inszenierung<br />

am Staatstheater Stuttgart:<br />

»Hunger nach Sinn. Fünf<br />

Szenen nach Alexander<br />

Kluge.« Dort bearbeitete und<br />

inszenierte er auch 2006 den<br />

Roman »Ostend« von Manfred<br />

Esser. Am Schauspielhaus<br />

inszenierte er »Der<br />

Wunderheiler« von Brian<br />

Friel. Im Rahmen der von<br />

ihm kuratierten Veranstaltungsreihe»Entschleunigung!«<br />

(2007/2008)schrieb<br />

und inszenierte er »Beyond<br />

History« im Rangfoyer.<br />

Weitere Arbeiten am Schauspielhaus:<br />

»Hunger nach<br />

Sinn. Zweiter Teil« und »Fast<br />

Tracking« (2008). Mit seinem<br />

Stück »Dritte Natur« wurde<br />

er 2008 zu den Werkstatttagen<br />

am Burgtheater Wien<br />

eingeladen. Kevin Rittberger<br />

wird in dieser Saison auch in<br />

Berlin, Frankfurt und Wien<br />

arbeiten.<br />

Wenn einer mit einem<br />

Taschenmesser in eine<br />

Maschine hineinschneidet,<br />

fließt Blut heraus.<br />

Alexander Kluge/<br />

Oskar Negt<br />

Die Menschen müssen<br />

ihre Maschinen befreien,<br />

damit sie sich revanchieren<br />

können.<br />

Dietmar Dath<br />

REGIE<br />

Kevin Rittberger<br />

BÜHNE<br />

Christoph Ebener<br />

KOSTÜME<br />

Janina Brinkmann<br />

PREMIERE<br />

30. Januar 2010<br />

Malersaal<br />

PREMIEREN 41

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