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Zweitausendneun, Zweitausendzehn. - Kulturserver Hamburg

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66<br />

ausendzehn.<br />

Meo Wulf American Youth<br />

Ein Mensch sein oder nicht<br />

Wenn wir ganz Menschen sind und uns selbst erkennen, werden<br />

wir Hamlet ähnlich.<br />

Harold Bloom<br />

Vielleicht liegt der Grund dafür, dass wir am Jungen<br />

Schauspielhaus so gerne für junges Publikum arbeiten,<br />

darin verborgen, dass wir hier – wie nirgends sonst – vieles<br />

wie zum ersten Mal angehen dürfen. Mit diesem und für<br />

dieses Publikum bekommt vieles eine neue Gültigkeit. Die<br />

Fragen, die sich stellen, sind genauso wenig abgenutzt wie<br />

die Figuren, die Erfindungen oder neuen Perspektiven.<br />

Weil niemand Shakespeare als Menschenbildner ersetzen<br />

kann und das Theater in mehrfacher Hinsicht der Ort<br />

der Menschenbildung und -erfindung ist, besonders das<br />

Theater für junges Publikum, möchten wir unsere Spielzeit<br />

mit der vielleicht komplexesten literarischen Gestalt aller<br />

Zeiten beginnen, die wie keine andere einem echten Menschen<br />

nahe kommt: »Hamlet«. Die Tragödie von William<br />

Shakespeare erzählt die Geschichte eines jugendlichen Helden<br />

auf der Suche nach Wahrheit und Menschlichkeit – der<br />

aber eine korrupte und von Gewalt geprägte Welt vorfindet.<br />

Zahlreiche Geschichten lehren uns, dass wir erst anhand<br />

unseres Verhaltens gegenüber einem Tier, dem schwächeren<br />

Glied in der Kette, unsere Menschlichkeit erweisen<br />

können. Deshalb zeigen wir mit John Steinbecks meisterhafter<br />

Erzählung »Von Mäusen und Menschen« eine Geschichte,<br />

die radikal die Frage nach Humanität angesichts<br />

aussichtsloser gesellschaftlicher Verhältnisse stellt – und<br />

dabei die Grenze zwischen »Mäusen« und »Menschen« aufhebt.<br />

Gleichzeitig ist es eine Geschichte, die das Menschliche<br />

als das definiert, was uns das Überleben überhaupt erst<br />

möglich macht: Die größte Stärke des Menschen sei, so<br />

Steinbeck, dass wir uns eine bessere Welt vorstellen und uns<br />

davon erzählen können, denn in dieser Fähigkeit liege das<br />

Menschliche verborgen.<br />

Mit Simon Stephens »Punk Rock« lassen wir einen präzisen<br />

Menschenbeschreiber von einem Amoklauf in der<br />

Schule erzählen. Dieses Thema ist zwar häufig, aber selten<br />

gut bearbeitet worden: Stephens’ scharfe Beobachtungsgabe<br />

garantiert hingegen eine so umfassende Menschenerfindung,<br />

die kleinste seelische Regungen sichtbar und begreifbar<br />

machen kann, was einen jungen Mann zu einer so unmenschlichen<br />

Tat treibt. Simon Stephens unternimmt<br />

nichts Geringeres, als in einen seelischen Abgrund hineinzuleuchten,<br />

der die Überlebenden stets ratlos zurücklässt.<br />

In Erfurt, in Winnenden und anderswo.<br />

Trotz aller Abgründe begeben wir uns auf unserer Suche<br />

nach der Erfindung des Menschlichen auch an einen<br />

»himmlischen Platz«: Der gleichnamige Roman von Guus<br />

Kuijer erzählt die ganz alltägliche Geschichte eines kleinen<br />

Jungen, der sich um eine alte und sehr einsame Frau kümmert.<br />

Wir erkennen: Dieser Junge ist gewöhnlich und außergewöhnlich<br />

zugleich, denn auf seinem Kopf landet ein<br />

Spatz und in seinem Bauch wachsen große rosa Elefanten,<br />

wenn er einem Mädchen, das er mag, nahe ist. In dieser Geschichte<br />

einer generationenübergreifenden Hilfsbereitschaft<br />

liegt das Menschliche nicht im großen Drama, sondern in<br />

den kleinen Gesten des Alltags verborgen. Vom gewöhnlichen<br />

Alltag einer allzu menschlichen Katze erzählt »Die<br />

faulste Katze der Welt«. Auf sehr humorvolle Weise erleben<br />

wir, wie diese Katze dem allzu menschlichen Laster der<br />

Faulheit entsagt, sich von ihrer bisherigen Couchexistenz<br />

trennt und sich in Begegnungen mit Hunden, Menschen<br />

und anderen Flöhen regelrecht neu erfindet!<br />

Wir wünschen uns für die nächste Spielzeit am Jungen<br />

Schauspielhaus, dass Sie lauter kleinen und großen, dicken<br />

und dünnen, tragischen und komischen, skurrilen und gewöhnlichen,<br />

menschlichen und tierischen Ichs begegnen.<br />

Auf der Suche nach dem neuen oder verloren geglaubten<br />

Ich hoffen wir auch ganz nebenbei der Menschlichkeit zu<br />

begegnen. Und wenn wir sie nicht finden, so können wir sie<br />

doch erfinden! Und Erfindungen sind ja nicht bloß erfunden,<br />

wie wir wissen, lässt sich auf Erfindungen auch bauen!<br />

Klaus Schumacher<br />

Künstlerischer Leiter<br />

Junges Schauspielhaus<br />

JUNGES SCHAUSPIELHAUS 67

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