Juni - experimenta.de
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hinweg, überallhin verfolgt, vom infernalische Gestank nach Blut und Verwesung. Nun hatte<br />
Siegi die Deutschen und die Franzosen zum Feind; sei's drum! Am Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>r kleinen Stadt<br />
Bevigny fand er Unterschlupf bei einer Bäuerin namens Nadine, die ihn über Monate hinweg<br />
versteckte. Sie wur<strong>de</strong> die Liebe seines Lebens. Auf ihrem Dachbo<strong>de</strong>n ent<strong>de</strong>ckte er schließlich<br />
die Klampfe. Die Frau kam ihm abhan<strong>de</strong>n; die Klampfe durfte er behalten. Als Nadines Mann<br />
auf Fronturlaub nach Hause zurückkehrte, war Siegi schon wie<strong>de</strong>r auf <strong>de</strong>r Flucht. Nach und<br />
nach wur<strong>de</strong> ihm die Landstrasse zur Heimat und die Klampfe zu seiner besten Freundin. Sein<br />
Weg führte ihn immer dorthin, wo es am ungefährlichsten für ihn war, und sah er in einem Dorf<br />
einmal keine Militärs, machte er Straßenmusik. Nadine hatte ihm einige Gitarrengriffe und<br />
mehrere französische Volkslie<strong>de</strong>r beigebracht. Diese sang er und begleitete sich dabei selbst<br />
auf seiner Klampfe. Doch immer nur so lange, dass er ja kein großes Aufsehen damit erregte.<br />
Er schlug sich so durch, hungerte, fror, doch nichts schmerzte ihn mehr, als <strong>de</strong>r Verlust seiner<br />
geliebten Nadine. Längst wusste er nicht mehr, wo er war und er fragte auch nieman<strong>de</strong>n<br />
danach, nur nicht auffallen! Dann und wann stahl er sich ein Huhn, sammelte Beeren im Wald,<br />
o<strong>de</strong>r Gemüse von verwaisten Äckern. Er litt Höllenqualen <strong>de</strong>r Sehnsucht und nachts liebkoste<br />
er seine Klampfe und hielt sie im Arm, wie er vor einigen Wochen noch Nadine in <strong>de</strong>n Armen<br />
gehalten hatte. Das war auch die Zeit gewesen, in <strong>de</strong>r er seine ersten Gedichte schrieb.<br />
Bei<strong>de</strong>s, die Klampfe und die Dichterei erhielten ihn am Leben, sonst, das war seine<br />
felsenfeste Überzeugung, hätte er sich vielleicht längst umgebracht. Vor <strong>de</strong>r Tür <strong>de</strong>s<br />
Wohlfahrtsamtes stand niemand, doch Menschen wie er, mussten warten, das wusste Siegi.<br />
Zaghaft klopfte er nochmals an, doch nichts rührte sich. Vielleicht war ja gar keiner drin.<br />
Sachte drückte Siegi die Klinke herunter, ließ sie aber sofort wie<strong>de</strong>r los, als er von drinnen ein<br />
grässliches Gebrüll vernahm: „Was fällt ihnen ein, warten Sie gefälligst, bis sie aufgerufen<br />
wer<strong>de</strong>n, verstan<strong>de</strong>n!“<br />
„Also gut, jetzt weiß <strong>de</strong>r Sack wenigstens, dass jemand vor <strong>de</strong>r Tür steht“, murmelte Siegi und<br />
setzte sich auf die Wohlfahrtsbank. Als er die obligatorische Stun<strong>de</strong> abgesessen hatte, wur<strong>de</strong><br />
er endlich herein gerufen. Ein dicker Mann mit Halbglatze, <strong>de</strong>ssen glatt rasiertes Kinn noch<br />
vom Fett <strong>de</strong>s Mittagbrots glänzte, zitierte ihn ganz hinten an <strong>de</strong>r Wand auf einen Stuhl. Noch in<br />
seine Zeitung vertieft, hatte er kaum aufgeblickt, als Siegi <strong>de</strong>n Raum betrat. In <strong>de</strong>r Luft stand<br />
eine Duftwolke aus Leberwurst mit Sauerkraut; das roch Siegi ganz genau und sein<br />
verwöhnter Magen ließ ein lautes Knurren vernehmen. „Ich hätte gerne einen Essenschein“,<br />
stimmte Siegis Stimme for<strong>de</strong>rnd in das Geknurre mit ein. „Sie warten gefälligst, bis ich sie<br />
frage, was sie wünschen, verstan<strong>de</strong>n!“ „Wie lange kann das dauern?“ Jetzt erst sah <strong>de</strong>r<br />
Wohlfahrtsbeamte von seiner Zeitung auf, fuhr seinen Arm aus und plärrte in<br />
Feldwebelmanier: „Raus!“ Siegi stand auf und ging. Er schaute zur Kirchturmuhr, sie zeigte<br />
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<strong>Juni</strong> 2012