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Juni - experimenta.de

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einahe gespenstische Stille aus. Was war passiert? Die Umstehen<strong>de</strong>n versperrten Siegi die<br />

Sicht; im Näherkommen sah er das blutüberströmte Gesicht <strong>de</strong>s beinahe kahlköpfigen Alten.<br />

Siegi kämpfte sich durch die untätig gaffen<strong>de</strong> Meute hindurch, beugte sich zu <strong>de</strong>m<br />

Bezwungenen hinunter und fühlte seinen Puls. Nichts mehr, kein Schlag, gar nichts. Der<br />

Mann war tot. Fassungslos starrten die leeren Augen <strong>de</strong>s Toten ins Nichts. Siegi drückte sie<br />

schnell zu und murmelte ein kleines Gebet. Das war alles, was er noch für <strong>de</strong>n armen Teufel<br />

tun konnte. Der Heimschicker hatte sich, im Schutz <strong>de</strong>r allgemeinen Beklemmung, schnell<br />

dünne gemacht, ehe noch einer aus seiner Versteinerung erwachte.Plötzlich öffnete sich an<br />

<strong>de</strong>r Stirnseite <strong>de</strong>s Raumes eine schmale Tür. Der Herbergsvater rief etwas, doch keiner rührte<br />

sich vom Fleck. Durch das ungewöhnliche Verhalten seiner Klinkenklopper völlig verwirrt, trat<br />

er näher und sah die Bescherung. Sein Aben<strong>de</strong>ssen drängte nach oben; schnell hielt er sich<br />

ein Taschentuch vor <strong>de</strong>n Mund und rannte nach draußen. Dann ging alles ganz schnell: Der<br />

Landmann wur<strong>de</strong> gerufen, die Flebben überprüft und alle zur Vernehmung ins Ortsgefängnis<br />

überstellt. An die fünfzig Pennbrü<strong>de</strong>r wur<strong>de</strong>n in eine Zelle gepfercht. Dicht bei dicht lagen sie<br />

nun auf <strong>de</strong>m feuchten Zellenfußbo<strong>de</strong>n und einer rammte <strong>de</strong>m An<strong>de</strong>rn die Extremitäten in die<br />

Weichteile. Schließlich war alles eingeschlafen; die Hän<strong>de</strong>, die Arme, die Füße, alles kribbelte<br />

und je<strong>de</strong>r suchte verzweifelt, eine Haltung zu fin<strong>de</strong>n, sie wie<strong>de</strong>r aufzuwecken. Das<br />

Schlimmste jedoch war, dass <strong>de</strong>r Landmann Siegi die Klampfe abgenommen hatte; <strong>de</strong>r<br />

Schallerbru<strong>de</strong>r litt Höllenqualen. Wür<strong>de</strong> er seine Liebste wohl jemals wie<strong>de</strong>r bekommen?<br />

Eine Ewigkeit später öffnete sich die Zellentür und ein Teil von ihnen wur<strong>de</strong> schnell in eine<br />

an<strong>de</strong>re Zelle gescheucht, die noch etwa um die Hälfte kleiner war als die Vorige. Umfallen<br />

konnte in diesem Käfig je<strong>de</strong>nfalls niemand mehr, dazu war kein Platz. Immer wie<strong>de</strong>r öffnete<br />

sich die Zellentür und immer Zweie wur<strong>de</strong>n von einem schlurfen<strong>de</strong>n Gendarmen in einen<br />

Nebenraum geführt. Piete flüsterte Siegi ins Ohr: „Beim nächsten Drallewatsch versuchen<br />

wir mitzukommen; pass bloß auf, dass wir nicht getrennt wer<strong>de</strong>n!“ Siegi nickte und dachte<br />

wie<strong>de</strong>r sorgenvoll an seine Klampfe. Schubsend und drängelnd schoben sich die bei<strong>de</strong>n nach<br />

und nach vorwärts. „He, he, Vordrängeln gibt's nicht“, fauchte eine linke Speckjägertype mit<br />

Habichtskopf von hinten. Siegi hakte sich bei seinem Tippelfreund fest unter und dachte:<br />

„Versuch doch an uns vorbei zu kommen, oller Quinkuffer!“ Der Habichtskopf schob und<br />

drängelte weiter, in<strong>de</strong>m er Siegi <strong>de</strong>n Ellenbogen in die Rippen quetschte, dass er aufschrie.<br />

Erbost wandte Siegi sich um. Was er sah, gefiel ihm überhaupt nicht: Über einer markigen<br />

Hakennase verschwammen die trübblauen Augen im Sumpf durch und durch rot geä<strong>de</strong>rter<br />

Äpfel. Die frische Narbe unter <strong>de</strong>m rechten Wangenknochen seines Wi<strong>de</strong>rsachers leuchtete<br />

angriffslustig im fahlen Licht <strong>de</strong>r winzigen Fensterluke. „Mensch, die Fresse kenn ick doch“,<br />

bleckte <strong>de</strong>r Habichtskopf die schiefen Zähne, zwischen <strong>de</strong>nen ein Streichholz stak;<br />

www.eXperimenta.<strong>de</strong> 16<br />

<strong>Juni</strong> 2012

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