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„Ich weiß nur dies, dass ich kein Marxist bin…“ - Michael Schmidt ...

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Vergangenheit zu übertrumpfen: Er schaffte<br />

die Geldwirtschaft ab und führte innerhalb<br />

von weniger als zwei Jahren eine vollständige<br />

Kollektivierung durch. Er versuchte<br />

den Jahrtausende alten Gegensatz<br />

zwischen Stadt und Land aufzulösen, indem<br />

er die Städter zu Bauern machte, und<br />

die gesellschaftl<strong>ich</strong>en Unterschiede aufzugeben,<br />

indem er die besitzenden, intellektuellen<br />

und Handel treibenden Sch<strong>ich</strong>ten<br />

liquidierte.<br />

Die Forschung fahndet bis heute nach den<br />

genauen Ursachen für die ungeheure Grausamkeit<br />

<strong>dies</strong>es Terrorregimes. Der marxistisch-leninistischen<br />

Doktrin ist eine Mitverantwortung<br />

hierfür kaum abzusprechen,<br />

auch wenn man natürl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t übersehen<br />

darf, <strong>dass</strong> der grausame Gle<strong>ich</strong>heitswahn<br />

der Roten Khmer auch andere<br />

Wurzeln hatte, beispielsweise die Individualismusfeindl<strong>ich</strong>keit<br />

und Sittenstrenge<br />

des Buddhismus, der die Kultur Kambodschas<br />

maßgebl<strong>ich</strong> bestimmte.<br />

Wahrscheinl<strong>ich</strong> sind es auch <strong>dies</strong>e uns<br />

fremden kulturellen Hintergründe (Konfuzianismus<br />

in China, Buddhismus in Kambodscha),<br />

die es der westl<strong>ich</strong>en Linken<br />

schwer machten, an den asiatischen Kommunismus<br />

theoretisch anzuknüpfen. Zwar<br />

wurden Mao und Ho Chi Minh (Vietnam)<br />

als Aushängeschilder für den antiimperialistischen<br />

Kampf in der 68er-Zeit positiv<br />

bewertet, eine wirkl<strong>ich</strong> Auseinandersetzung<br />

mit ihnen fand aber n<strong>ich</strong>t statt.<br />

Anders verhält es s<strong>ich</strong> im Falle der marxistischen<br />

Bewegungen in Lateinamerika, die<br />

von ihrem kulturellen Hintergrund für die<br />

westeuropäische Linke weit eher nachvollziehbar<br />

war. Von besonderer Bedeutung<br />

waren dabei die Entwicklungen in Kuba,<br />

Chile und Nicaragua.<br />

Die Kubanische Revolution wurde von<br />

vielen zunächst als Musterbeispiel einer<br />

62<br />

gelungenen sozialistischen Machtübernahme<br />

gefeiert. Dabei war Fidel Castro – im<br />

Unterschied zu Ernesto Che Guevara –<br />

ursprüngl<strong>ich</strong> alles andere als ein <strong>Marxist</strong><br />

oder Sozialist. Als Machtpolitiker erkannte<br />

er aber schnell, <strong>dass</strong> er seiner Revolution<br />

einen marxistisch-sozialistischen Anstr<strong>ich</strong><br />

geben musste, wenn er in der Konfrontation<br />

mit dem übermächtigen Amerika auf<br />

die Hilfe der Sowjetunion zählen wollte.<br />

Che Guevara hingegen war ein marxistischutopistischer<br />

Überzeugungstäter. Dem<br />

bürokratisch verwalteten Sowjetregime<br />

brachte er allerdings wenig Sympathie entgegen.<br />

Sein Ziel war eine marxistisch-kommunitäre<br />

Gesellschaft, die von der Idee<br />

der Selbstverwaltung bestimmt war und<br />

den „neuen Menschen auf Kuba“ hervorbringen<br />

sollte. Realpolitisch konnte s<strong>ich</strong><br />

Guevara jedoch kaum durchsetzen und so<br />

suchte er sein Glück im revolutionären<br />

Abenteuertum, das am Ende zu seinem<br />

gewaltsamen Tod in Bolivien führte. Als<br />

Identifikationsfigur bot s<strong>ich</strong> Guevara in<br />

vielfacher Hins<strong>ich</strong>t an, erstens als Vertreter<br />

eines alternativen, bürokratiekritischen<br />

Sozialismus, zweitens als Mann der Praxis,<br />

der die Welt n<strong>ich</strong>t <strong>nur</strong> neu interpretieren,<br />

sondern auch verändern wollte, drittens<br />

als Märtyrer der Revolution, der n<strong>ich</strong>t<br />

<strong>nur</strong> für seine Überzeugungen gelebt hatte,<br />

sondern auch für sie gestorben war. Last<br />

but not least sah der revolutionäre Che<br />

auch noch blendend aus, so konnte man<br />

ihn auch aus rein ästhetischer Perspektive<br />

wunderbar als Aushängeschild der Revolution<br />

vermarkten, was s<strong>ich</strong> bis heute n<strong>ich</strong>t<br />

groß verändert hat. Allerdings wirbt der<br />

tote Che heute weniger für den Sozialismus<br />

als für als revolutionär angepriesene<br />

Produkte der Wintersport- oder Telekommunikationsbranche.<br />

Selbst innerhalb der<br />

Linken hat Che heute <strong>nur</strong> noch ästheti-<br />

Aufklärung und Kritik, Sonderheft 10/2005

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