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Erinnerungen ehemaliger Bewohner des Kreises Schlawe

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Posten hatten mit Bajonetten ins Stroh gestochen, Gott sei Dank kamen sie nicht bis zu<br />

uns hoch ins Heu. Dann war endlich Ruhe. Doch die Angst blieb.<br />

Flucht mit Pellkartoffeln und Blutblasen<br />

Im Morgengrauen hatten ein paar Vorwitzige mal aus der Scheune geguckt. Ihre Nachricht<br />

ging um wie ein Lauffeuer: „Die Posten sind weg!“ Wir konnten es kaum glauben.<br />

Aber dann liefen wir und liefen, soweit die Kräfte reichten und bis wir keine Puste mehr<br />

hatten, bis es wirklich nicht mehr weiterging. Dabei hatte sich schon alt und jung getrennt,<br />

das war ganz natürlich, denn die älteren Frauen konnten mit unserem Tempo<br />

nicht mithalten. Es war ja auch sicher besser, in kleineren Gruppen zu gehen. Wir waren<br />

etwa 15 junge Frauen, die sich zusammenfanden, darunter auch Marianne.<br />

Nach einer kurzen Verschnaufpause sind wir dann weitermarschiert. Die Sonne und die<br />

Wetterseite der Bäume dienten uns zur Orientierung, denn alle Schilder auf der Straße<br />

waren polnisch beschriftet. Wir sind von der Straße weg, immer auf Land- und Waldwegen<br />

weitergezogen, möglichst nicht durch Ortschaften. Schließlich wusste man nicht,<br />

wem man begegnet, und wir hatten Angst, wieder aufgegriffen zu werden. Trafen wir<br />

auf eine Kartoffelmiete im Feld, wurden dürre Zweige gesammelt, und damit durch Aneinanderreiben<br />

in einer Bodenvertiefung Feuer gemacht, um die Kartoffeln zu braten.<br />

Die wurden dann redlich geteilt und bildeten unsere Marschverpflegung.<br />

Mal wagten wir uns auch auf ein einzelnes abgelegenes Gehöft. Da erfuhren wir dann<br />

von den dort wohnenden Deutsch-Polen, dass wir auf der Hut sein müssten, denn die<br />

polnische Miliz wäre unterwegs, um die Deutschen wieder zur Zwangsarbeit einzufangen.<br />

Damit bestätigte sich unsere Befürchtung. Es hieß also, weiterhin sehr vorsichtig zu<br />

sein. Die Deutsch-Polen hatten selber viel Angst, aber wir bekamen als Proviant wenigstens<br />

eine Handvoll gekochte Pellkartoffeln mit auf den Weg. Die konnte man gut unterwegs<br />

nach und nach essen.<br />

Wir hatten auch mal Pech, als wir bei einem Polen anklopften, der ein Deutschenhasser<br />

war. Er hatte sicher hierfür seine Gründe. Der Mann hetzte seine Hunde auf uns. Vor<br />

lauter Angst, gebissen zu werden, liefen wir so schnell wir konnten, obwohl unsere Füße<br />

furchtbar schmerzten und mit Blutblasen übersät waren.<br />

Ein anderes Mal hatten wir auch Glück. Menschen, die offensichtlich Mitleid<br />

mit uns hatten, gaben jeder von uns eine Scheibe Kartoffelbrot und<br />

einen Topf Malzkaffee, und wir durften in der Scheune schlafen.<br />

Wir richteten es so ein, dass wir min<strong>des</strong>tens 30 Kilometer am Tag schafften. Neben dem<br />

Hunger machten uns die kaputten Fußsohlen die meisten Probleme. Doch wir wollten<br />

nach Hause, das trieb uns voran.<br />

Einmal kamen wir bis an die Tucheler Heide (polnisch: Bory Tucholskie), ein großes<br />

Heidegebiet in der Nähe von Tuchel (polnisch: Tuchola), nördlich von Bromberg. Von<br />

dort her konnten wir in der ersten Zeit in Graudenz immer noch Geschützdonner hören.<br />

Die toten deutschen Soldaten lagen hier in der Heide wie gesät, die Soldbücher flatterten<br />

auf und zu im Wind. Sicher hatten vor uns schon Leute die Soldbücher aus den Uniformen<br />

hervorgezogen und nachgesehen, wer erschossen wurde. Aber ob die Angehörigen<br />

jemals Nachricht bekommen haben? Ich glaube eher nicht. Wir wagten es jedenfalls<br />

nicht, irgend ein Soldbuch an uns zu nehmen. Denn wir hatten Angst, falls wir aufgegriffen<br />

würden, solche Dokumente bei uns zu haben. Was hätten wir erklären sollen. Wir<br />

wussten ja auch nicht, ob es uns gelingen würde, überhaupt nach Hause zu kommen.<br />

Wir hielten uns also weiter nördlich, um das Schlachtfeld zu umgehen. Ein ganzes Stück<br />

liefen wir auf einer Bahnstrecke, auf den Schwellen kam man gut voran. Aber wir waren<br />

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