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Erinnerungen ehemaliger Bewohner des Kreises Schlawe

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vors Haus und stellte einen Stuhl in den Vorgarten. Die beiden Fliederbäume trugen<br />

schon grüne Blätter. Es wurde von Tag zu Tag wärmer und Mamas Gesicht bekam langsam<br />

Farbe. Doch es dauerte noch Tage, bis sie allein vor die Haustüre gehen konnte.<br />

Unser erster Spaziergang ging in den Wald, um Kuckucksklee zu holen.<br />

"Das gibt eine warme Suppe. Wenn wir doch nur eine Ziege hätten und ein paar Hühner",<br />

sagte Mama. "Dann würde es schneller aufwärts mit mir gehen."<br />

Ab und zu schob der Bauer Traute ein paar Eier zu. So konnte Mama manchmal ein<br />

geschlagenes Eigelb essen.<br />

"Ja, da fehlt nun wieder der Rotwein zur Stärkung."<br />

Aber es ging auch so. Wenn ich mit ihr unterwegs war, setzte sie sich immer wieder hin,<br />

um Kraft zu sammeln.<br />

"Ich bin froh, das wir unser Haus wieder erreicht haben", sagte sie immer, wenn wir<br />

zurückkamen. Wir saßen wie immer auf der Ofenbank und warteten auf Traute und Ursula.<br />

Ihre Blicke gingen oft durch das Fenster zu Oma Möllerkes Haus.<br />

"Ach, war das eine schöne Zeit", sagte sie. "Als wir abends unsere Lieder im Dämmerstündchen<br />

sangen."<br />

Ursula kam als erste nach Hause und unterbrach unsere Gedanken. Sie weinte, weil ihr<br />

wieder die Kühe durchgegangen waren und sie kein Essen von den Polen bekam.<br />

"Wir haben eine Kuckuckskleesuppe gekocht. Wir wollen aber warten bis Traute<br />

kommt", tröstete sie Mama.<br />

Wir mussten noch einige Zeit warten, da ging die Türe auf und Traute betrat mit einem<br />

verweinten Gesicht das Zimmer.<br />

"Was ist passiert ?" fragte Mama.<br />

"Ich wollte Dir etwas Milch mitbringen, damit Du schneller gesund wirst. Als ich die<br />

Kanne mit der Milch im Gebüsch versteckt habe, hat mich die Polenfrau beobachtet und<br />

mich an den Haaren in die Küche gezogen und mir einen kochenden Wassertopf über<br />

den Kopf geschüttet. Sie hatte uns <strong>des</strong> öfteren erzählt, das die Polenfrau hysterisch sei<br />

und oft die Beherrschung verlor. Vielleicht, weil sie in einem deutschen Arbeitslager<br />

war. Vielleicht hatte man ihr das gleiche angetan, und das war die Reaktion. Die Polenfrau<br />

muss schreckliches im Lager erlebt haben, denn auch sie konnte nicht lachen. Man<br />

sah in ihren Augen, wenn sie einen ansah, das sie wohl alles hasste, was deutsch war. Ihr<br />

Mann war jedoch gut zu Traute. Er war entsetzt, was da geschehen war.<br />

"Jetzt haben wir wieder eine neue Sorge", sagte Mama.<br />

An diesem Abend aßen wir keine Suppe. Mama löste bei Traute die Zöpfe. Sie weinte<br />

und jammerte vor Schmerzen. Mama kühlte mit Wasser die Brandblasen.<br />

'Was sollen wir nur machen ? Kein Arzt mehr weit und breit."<br />

Traute jammerte die ganze Nacht. Am nächsten Morgen musste sie wieder zur Arbeit.<br />

Sie wollte nicht.<br />

"Geh nur, sonst bekommst Du noch Prügel."<br />

Mit Tränen überströmten Gesicht verließ Traute das Haus und ging zur Arbeit. Sie setzte<br />

ein weißes Tuch auf, damit kein Schmutz in die Wunde kommt. Als sie die Tür hinter<br />

sich zu machte, weinte Mama. Den ganzen Tag lief sie hin und her und wurde erst wieder<br />

ruhig, als Traute zur Tür hinein kam. Draußen wurde es wärmer und ich bat Mama in<br />

die Grabow zu gehen. Mein blauer Badeanzug passte gerade noch.<br />

"Du bist wieder ein Stück gewachsen", sagte Mama, als sie mich sah. "Paß auf, das<br />

nichts passiert. Vergeß' das Handtuch nicht."<br />

"Ich brauche keins. Wenn ich zu Hause bin, ist mein Badeanzug wieder trocken."<br />

Ich lief die Dorfstraße hinunter. Ich hatte die Grabow erreicht und bückte mich über sie.<br />

Mein Gesicht spiegelte sich und ich konnte den Grund sehen. Bevor ich zu baden be-<br />

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