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Erinnerungen ehemaliger Bewohner des Kreises Schlawe

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schien ein Greifkommando und holte die ganze Belegschaft mit Ausnahme <strong>des</strong> Buchhalters<br />

Pieper ab. Woher sie die Liste hatten, mögen die Götter wissen. Ich hatte gerade<br />

noch Zeit, das wertvollste, was ich besaß, meine beiden Ringe, der Tochter <strong>des</strong> Rohwurstmeisters<br />

Strauss zu geben. Die Ringe hatte ich kurz vorher aus ihrem Versteck im<br />

Hühnerstall <strong>des</strong> Schlachthofes geholt. (Nach ca. 15 Tagen erhielt ich sie von ihr zurück)<br />

Was konnte der Grund sein, das ganze Fachpersonal, auch Herrn Zypries, einzusperren?<br />

Wollte unser Kommandant seinem Nachfolger einen Streich spielen? Wir fanden uns in<br />

der Hindenburgstraße wieder, mir schon bekannt. Den Fabrikschornstein konnten wir<br />

vom Gefängnis aus sehen, er rauchte nicht. Das Haus war wieder ganz nett gefüllt, verhört<br />

wurde menschlich. Es ging alles sachlich zu. Strauss jr. wurde frei gelassen. Er<br />

steckte in seine Beinprothese Zettel für unsere Angehörigen, die aber ihr Ziel nicht erreichten.<br />

Am 2.Mai ging es wieder in einer großen Kolonne gen Osten. Diesmal marschierte ich<br />

nicht am Schluss, sondern in der Spitzengruppe, hinter den Frauen. Eine war grün und<br />

blau geschlagen im Gesicht. Ich hatte noch nicht erlebt, dass ein Russe eine Frau so geschlagen<br />

hatte, selbst in dem tragikomischen Fall nicht, den Mutti miterlebt hatte. Die<br />

Frau <strong>des</strong> absolut unbelasteten <strong>Schlawe</strong>r Amtsgerichtsrates Schmadalla hatte einen Männermantel<br />

an. Bei einer Körpervisitation fand ein Russe eine Hakenkreuzbinde in der<br />

Innentasche. Er soll fürchterlich geflucht haben, hat aber der Frau nichts getan. Von<br />

Stolp aus ging es wieder zurück nach <strong>Schlawe</strong> in ein wohlgefülltes Haus in der Hindenburgstraße.<br />

Unsere "Begleiter" leerten ein Zimmer für uns. Mit ca. 30 Mann in einer<br />

kleinen Stube war schon ganz komfortabel. Wir hätten auch bis zum Tagesanbruch geschlafen,<br />

wenn sich in der Unterhaltung mit den anderen Hausgenossen herausgestellt<br />

hätte, zu unserem Entsetzen, dass ca. 400 bis 500 Mann dieses Hauses am Morgen nach<br />

Stolp abmarschieren sollten. Bestimmt würde der Führer dieser Sammlung uns 30 als<br />

angenehme Bereicherung seines Transportes ansehen und wir wären wieder in Stolp<br />

gelandet. Darum berieten wir Stubengenossen lange und kamen einhellig zum Entschluss,<br />

am Morgen geschlossen im Zimmer zu bleiben und jede Drohung und Prügel<br />

hinzunehmen bis der Kommandant mit dem Dolmetscher käme. Es begann zu tagen. Der<br />

übliche Pfiff, das bekannte Geschrei. Raus, dawai, dawai, schnell, schnell. In den anderen<br />

Zimmern und auf den Gängen hastiges Sprechen, eiliges Schuhanziehen, schnelles<br />

Traben die Treppe hinunter. Dann schwere Schritte der Soldaten, die nachsahen, ob alle<br />

draußen waren. Sie brüllten uns an, von ihrem Standpunkt aus mit Recht, denn sie wussten<br />

ja nicht, dass wir erst vor 3 Std. von Stolp hier angekommen waren. Sie versuchten<br />

ohne Erfolg, uns mit Kolbenstößen hinaus zu treiben. Dann dämmerte es wohl bei ihnen,<br />

dass mit dieser Stube etwas Besonderes Los sein müsste, sie gingen. Nach wenigen<br />

Minuten war unser Bleiben beschlossen. Wir gingen an die Fenster und sahen die abmarschierende<br />

Menschenmenge. Tausende, hunderttausende sind wohl diesen Weg gegangen,<br />

von dem nur ein geringer Teil zurückkam und der noch krank. Die, die es verschuldet<br />

hatten, saßen zum größten Teil in Sicherheit. Wir blieben auf unserem Zimmer<br />

und beschlossen, es nicht zu verlassen. Gegen Mittag kam ein Soldat und sagte nichts,<br />

nur kurz "Dawai nach Hause". Wo hin? Nach Hause, wo wir wohnten und wir unsere<br />

Angehörigen vermuteten? Wo es passieren Konnte, wieder eingefangen zu werden? Die<br />

Greifkommandos waren immer unterwegs. Es ist schwer, dies heute zu erzählen, ohne<br />

über die oft komische Situation zu lachen. Aber damals war uns nicht zum Lachen zumute.<br />

Der Schornstein bei Zypries qualmte wieder, also wurde dort gearbeitet.<br />

Ich entschloss mich, wieder in die Fabrik zu gehen in der Überzeugung, dass ich den<br />

Meinen am besten helfen könnte, wenn ich Arbeit bei den Russen hätte. Es gelang mir,<br />

auf Umwegen dort hinzukommen. Der Posten vor der Fabrik wollte mich zuerst nicht<br />

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