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Literatur und Kultur

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Wie viele wurmstichige moralisch-saure Äpfel muss<br />

der Dichter noch fressen, dessen Verdauungssystem<br />

nicht auf Haufen nach Essig schmeckendem Obst angelegt<br />

ist? Wie viele in Dreck gebackene unreife oder<br />

bereits faulende Früchte muss der Dichter weiter in<br />

sich hinein stopfen, gelb vor moralischem Gedöns<br />

aus seinen Gedärmen, das ihm so sehr zuwider ist!<br />

Auszug aus: Polnische Reise.<br />

© Tom Schulz 2010<br />

Künstlerstipendien in der Villa Decius Krakau<br />

Im Deutschen wird manchmal der despektierliche<br />

Ausdruck „Stipendiatenliteratur“ bemüht. Ein Etikett<br />

für blutleere <strong>Literatur</strong>, die vermeintlich an Orten wie<br />

dem Künstlerdorf Schöppingen, Schloss Wiepersdorf<br />

<strong>und</strong> Künstlerhäusern in Arenshoop <strong>und</strong> anderswo<br />

entstehe. Doch die Kritik zielt allgemeiner, richtet<br />

sich gegen das Phänomen des deutschsprachigen<br />

<strong>Literatur</strong>betriebs, dem seine Gegner vorwerfen,<br />

er verhätschle die Autoren mit seiner Überfülle an<br />

Preisen <strong>und</strong> Stipendien, töte mit seiner Heimeligkeit<br />

Kreativität <strong>und</strong> Kritikfähigkeit ab <strong>und</strong> subventioniere<br />

mehr als alles andere das Mittelmaß.<br />

Ganz anders sieht die <strong>Literatur</strong>förderung aus polnischer<br />

oder ukrainischer Perspektive aus. Von einem<br />

Zuviel kann hier beim besten Willen keine Rede sein.<br />

Der Autor in diesen Ländern muss in der Regel nicht<br />

befürchten, in den Genuss eines Stipendiums zu<br />

kommen. Denn das polnische Stipendiatenkarussell<br />

dreht sich einsam <strong>und</strong> allein um die Villa Decius in<br />

Krakau – in ukrainischen Autorenkreisen auch liebevoll<br />

„Die Villa“ genannt. Andere Aufenthaltsstipendien:<br />

Fehlanzeige. Mangels Stipendiatenmasse erübrigt<br />

sich damit auch die Frage nach einer ukrainischen<br />

oder polnischen Stipendiatenliteratur.<br />

In Krakau begegnen sich seit nunmehr schon dreizehn<br />

Jahren (!) der privilegierte deutsche Jungautor<br />

<strong>und</strong> sein Widerpart, der stipendienhungrige Ostautor.<br />

Zwei Welten, die in der Küche des Laski-Hauses<br />

aufeinanderprallen. Für den deutschen Autor ist der<br />

58<br />

Aufenthalt in Krakau häufig die erste Begegnung<br />

mit dem „fernen“ Osten, für den polnischen Autor<br />

ist es etwas Neues, einmal nicht (geduldeter) Gast<br />

im Ausland, sondern Gastgeber für das Ausland zu<br />

sein. Das Unternehmen firmiert unter dem Stichwort<br />

„gelebtes Mitteleuropa“, <strong>und</strong> diese Formel hat sich<br />

auch mit den Jahren nicht abgenutzt. Im Gegenteil,<br />

2010 wurden die Norweger mit ins Boot geholt, <strong>und</strong><br />

das Stipendiatenprogramm heißt jetzt DAGNY.<br />

DAGNY benannt nach der Norwegerin Dagny Juel,<br />

der Frau des polnischen Autors Stanisław Przybyszewski<br />

(der zu Beginn seiner literarischen Karriere<br />

auf Deutsch schrieb) <strong>und</strong> Muse von Strindberg,<br />

Munch <strong>und</strong> der Berliner Bohème des ausgehenden<br />

neunzehnten Jahrh<strong>und</strong>erts. Der Name der Patronin<br />

ist Programm. DAGNY das sind 2010 sechzehn leidenschaftliche<br />

Autoren <strong>und</strong> Übersetzer aus Deutschland,<br />

Polen, der Ukraine <strong>und</strong> Norwegen (die Namen<br />

tun hier nichts zur Sache), die in zwei Turnussen<br />

jeweils drei Monate einander ausgesetzt gewesen<br />

sind. Gemeinsam bestritten sie in vier Ländern sechs<br />

Veranstaltungen, in denen sie ihr literarisches Können<br />

präsentierten. Ein Programm, dem alles andere<br />

als Blutleere bescheinigt werden kann.<br />

Oksana Zabushko, die sicherlich als eine Autorität in<br />

Sachen Stipendien gelten darf – ihren letzten Roman<br />

Das Museum der vergessenen Geheimnisse schrieb<br />

sie nicht nur über fünf Jahre hinweg, sondern auch<br />

in einem knappen Dutzend über Europa verstreuten<br />

Schriftstellerrefugien – setzte den Schlusssatz unter<br />

ihren Roman ausgerechnet in der Villa Decius in Krakau,<br />

was sicherlich kein Zufall ist. „Streitbar, fiebrig,<br />

fulminant“, so eine Rezensentin des Romans. Vor<br />

einer solchen „Stipendiatenliteratur“ brauchen wir<br />

uns nun wirklich nicht zu fürchten..<br />

Andreas Volk (<strong>Literatur</strong>übersetzer, Stipendiat der SdpZ in der<br />

Villa Decius im Jahre 2009)

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