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ulmerleben

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10 · Obdachlos<br />

Auf Platte<br />

Ein Obdachloser schläft vor dem Ulmer Theater.<br />

Foto: Matthias Kessler<br />

Fast einen Monat lang lebte Benni<br />

Koch in Ulm auf der Straße. Das<br />

Schlimmste war nicht die Kälte,<br />

sondern die Einsamkeit.<br />

<br />

David Nau<br />

Benni Koch sitzt auf einem abgewetzten<br />

Sofa im Aufnahmehaus der Caritas<br />

in der Ulmer Michelsbergstraße. Hier ist<br />

es zumindest warm und trocken, es gibt<br />

zwei Mahlzeiten am Tag und ein Bett.<br />

Wenn er von seinen Erlebnissen im Januar<br />

erzählt, dann nestelt er nervös an<br />

seinen Fingern, dreht sich eine Zigarette<br />

nach der anderen. Benni heißt eigentlich<br />

anders und möchte seinen Namen nicht<br />

gedruckt sehen. Von seiner Zeit auf der<br />

Straße möchte er aber trotzdem erzählen.<br />

Im Januar nämlich hatte Benni keine<br />

Wohnung, keinen trockenen und warmen<br />

Platz zum Schlafen. „Ich hab‘ Platte gemacht“,<br />

sagt Benni und muss lachen.<br />

Das sage man so, wenn man auf der Straße<br />

lebe. Mitten in Ulm, da wo tagsüber<br />

die Spaziergänger entlang schlendern,<br />

schlief Benni: Im Alten Friedhof, der<br />

heute ein Park ist. Sein Lager schlug er<br />

neben dem Seniorenstift Curanum auf.<br />

Aus im Boden eingelassenen Gittern<br />

strömte die warme Abluft der Heizungsanlage<br />

und sorgte für wenigstens ein<br />

bisschen Wärme. In der kältesten Nacht<br />

sei die Temperatur auf minus zehn Grad<br />

gefallen. Mit Winterjacke, Jeans und<br />

mehreren Pullovern lag Benni in zwei<br />

Schlafsäcken. „Es war trotzdem arschkalt.“<br />

Warum er auf der Straße gelandet ist,<br />

weiß Benni nicht so genau. Mehrere Umstände<br />

kamen zusammen. Er berichtet<br />

von den Wendepunkten seines Lebens.<br />

Aufgewachsen ist der heute 32-Jährige in<br />

Neu-Ulm, nach Grund- und Hauptschule<br />

begann er eine Ausbildung zum Maler.<br />

Immer wieder schmiss er die Lehre hin.<br />

Mit 17 zog er mit seiner Freundin zusammen,<br />

vier Jahre später wurde sie schwanger.<br />

„Gewollt“, wie er sagt.<br />

„Manche Vermieter haben<br />

gesagt, sie wollen lieber<br />

einen Hartz-IV-Empfänger.“<br />

Zehn Monate nach der Geburt seines<br />

Sohnes dann der Schicksalsschlag: Seine<br />

Freundin stirbt bei einem Autounfall.<br />

„Plötzlich war ich mit 21 Jahren alleinerziehender<br />

Vater“, sagt Benni. Die ehemalige<br />

gemeinsame Wohnung konnte er<br />

sich nicht mehr leisten, mit seinem Sohn<br />

zog er zurück zu seiner Mutter. Mit einem<br />

Gehalt von rund 1000 Euro netto<br />

fand er keine neue Wohnung. „Manche<br />

Vermieter haben mir gesagt, sie wollen<br />

lieber einen Hartz-IV-Empfänger, da sei<br />

die Miete durch das Amt gesichert“, sagt<br />

er empört. Er rutschte auf die schiefe<br />

Bahn, landete im Gefängnis, sein Sohn<br />

blieb bei der Oma. Nach seiner Entlassung<br />

nahm ihn ein Freund auf, nach einigen<br />

Monaten hatten beide die Schnauze<br />

voll – und Benni landete auf der Straße.<br />

Die Kälte, sagt er, sei dort nicht das<br />

Schlimmste gewesen. „Am meisten hat<br />

mir die Einsamkeit zu schaffen gemacht.“<br />

Nirgends habe er so viel nachgedacht wie<br />

in seinen Nächten auf den Ulmer Straßen.<br />

„Mehr als im Gefängnis“, sagt Benni.<br />

Wegen Horrorgeschichten über Obdachlose,<br />

die nachts angepinkelt oder sogar<br />

angezündet wurden, kaufte er sich ein<br />

Pfefferspray. „Ich hatte riesig Schiss.“<br />

Gebraucht hat er es nicht. Er erlebte<br />

manchmal sogar schöne Momente. „Man<br />

freut sich über Kleinigkeiten: Einen Hinweis<br />

auf eine Anlaufstelle, einen Euro<br />

oder einen Kaffee.“<br />

Jörg Riehemann, Leiter der Wohnungslosenhilfe<br />

der Caritas, bot ihm einen der<br />

zwölf Plätze im Aufnahmehaus an und<br />

holte Benni nach wenigen Wochen von<br />

der Straße. So viel Glück hat längst nicht<br />

jeder. „Wir haben im Moment zu wenige<br />

Plätze“, sagt Riehemann. Die Warteliste<br />

ist lang. Riehemann geht im Moment<br />

von etwa 250 Wohnungslosen in Ulm<br />

aus. Das Hauptproblem sei der Mangel<br />

an günstigem Wohnraum. „20 Jahre lang<br />

gab es keinen echten sozialen Wohnungsbau<br />

mehr“, sagt er. Er hofft, dass bei der<br />

geplanten Wohnungsbauoffensive auch<br />

Sozialwohnungen herausspringen.<br />

Benni kann sich im Aufnahmehaus nun<br />

seiner weiteren Lebensplanung widmen.<br />

Gemeinsam mit den Sozialarbeitern ist er<br />

momentan auf der Suche nach einer Arbeitsstelle,<br />

danach möchte er eine Wohnung<br />

finden. „Damit ich endlich wieder<br />

mit meinem Sohn zusammenleben<br />

kann“, sagt Benni.<br />

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