12.05.2017 Aufrufe

NPHM_Frühjahr 2014

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

WERKEINFÜHRUNG<br />

Auswahl sein konnte und wollte, sondern nur eine von vielen Möglichkeiten.<br />

Wie ernst es dem Komponisten mit seiner Textwahl war, zeigt sich daran, dass<br />

er lange um die endgültige Fassung gerungen hat. Brahms verstand sich zwar<br />

nicht als orthodox gläubiger Christ, aber er blieb der evangelisch-lutherischen<br />

Kirche, in der er getauft und erzogen worden war, sein Leben lang treu.<br />

Durch den Rückgriff auf den Bibeltext wurde das Deutsche Requiem zu einem<br />

zutiefst protestantischen Werk, getreu der reformatorischen Devise „sola<br />

scriptura“. Dennoch wendet es sich an alle gläubigen Menschen, unabhängig<br />

von ihrer Konfession. Der Komponist hatte ursprünglich sogar den Titel „Ein<br />

menschliches Requiem“ in Erwägung gezogen; das Beiwort deutsch, für das<br />

er sich letztlich entschied, bedeutet nur, dass die Texte der deutschsprachigen<br />

Lutherbibel entnommen sind. Deutschnationale Empfindungen waren<br />

Brahms in den 1860er Jahren noch fremd; später, mit der Reichsgründung<br />

1871, sollte sich das ändern.<br />

Im Gegensatz zu Beethoven hat Brahms alle Kompositionsskizzen sorgfältig<br />

vernichtet, da er der Meinung war, nur das fertige Werk, nicht aber der<br />

Entstehungsprozess gehe die Mit- und Nachwelt etwas an. Deshalb sind<br />

wir über den Fortgang der Arbeit am Deutschen Requiem nur unzureichend<br />

unterrichtet. Als sicher kann gelten, dass das Werk ursprünglich vierteilig angelegt<br />

war und die Länge einer Bach-Kantate nicht wesentlich überschreiten<br />

sollte. 1861 ließ Brahms das begonnene Requiem zunächst liegen, um erst<br />

1865 die Arbeit daran wieder aufzunehmen. In der Zwischenzeit hatte der<br />

Komponist weitere geeignete Bibelstellen ausgewählt, die er in den Text mit<br />

einbezog, so dass das Werk auf sechs Sätze anwuchs. Noch fehlte der fünfte<br />

Satz Ihr habt nun Traurigkeit mit dem Sopran-Solo. Die ersten drei Sätze des<br />

Deutschen Requiem erklangen erstmals am 1. Dezember 1867 in einem Konzert<br />

der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien unter der Leitung des Dirigenten<br />

Johann von Herbeck. Mehr als drei Sätze eines so düsteren Werks glaubte man<br />

dem Wiener Publikum in der Vorweihnachtszeit nicht zumuten zu können.<br />

Die Aufführung wurde ein eklatanter Misserfolg, und es gab sogar Pfiffe. Das<br />

lag nicht zuletzt daran, dass bei der Schlussfuge Der Gerechten Seelen sind in<br />

Gottes Hand der Paukenspieler sein Instrument dermaßen malträtierte, dass<br />

vom übrigen Orchester und vom Chor kaum etwas zu hören war. Gewiss ist<br />

dieser Fehlschlag hauptsächlich dem Instrumentalisten zuzuschreiben, doch<br />

auch Brahms’ mangelnde Erfahrung in der Orchesterbehandlung spielte eine<br />

Rolle. Daher überarbeitete der Komponist die Partitur nochmals sorgfältig und<br />

ergänzte insbesondere die dynamischen Anweisungen, um solche Pannen<br />

künftig auszuschließen.<br />

Die Erstaufführung am 10. April 1868, einem Karfreitag, im Bremer Dom kam<br />

einer Uraufführung gleich. Der Komponist selber dirigierte, und das Bariton-Solo<br />

war dem großen Sänger Julius Stockhausen anvertraut. Der Dom war<br />

brechend voll, und nahezu alle Freunde des Komponisten waren anwesend

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!