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NPHM_Frühjahr 2014

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WERKEINFÜHRUNG<br />

Dann aber wechselt die Musik von Moll nach Dur, und der Chor singt die<br />

Antwort Ich hoffe auf dich, erst leise, dann in immer größerer Steigerung und<br />

Zuversicht. Die anschließende große Fuge Der Gerechten Seelen sind in Gottes<br />

Hand, und keine Qual rühret sie an ruht auf einem durchgängigen Orgelpunkt<br />

auf D, gespielt von Posaune, Tuba, Kontrabass und Pauke. Da sich die übrigen<br />

Stimmen modulierend weit von der Grundtonart entfernen, entstehen<br />

scharfe Dissonanzen, doch die tiefen Instrumente halten unbeirrt an ihrem<br />

D fest, bis zuletzt alle Stimmen im strahlenden D-Dur zusammenfinden. Die<br />

musikalische Symbolik ist überaus sinnfällig: das durchlaufende D steht für<br />

Gottes Hand, in der sich der Gerechten Seelen befinden, und keine Qual (= keine<br />

Modulation in entfernte Tonarten) kann sie dieses Fundaments berauben.<br />

Der vierte Satz Wie lieblich sind deine Wohnungen ist der kürzeste, zugleich<br />

der geschlossenste des Werks. Der Text entstammt zur Gänze dem 84. Psalm,<br />

einem Pilgerlied. Die kirchliche Tradition hat diesen Psalm seit jeher auf die<br />

Pilgerschaft des Menschen zu seiner himmlischen Heimat bezogen, und so<br />

versteht ihn auch Brahms. Die Musik ist von einer ruhigen, gelösten Heiterkeit<br />

geprägt. Im Orchester schweigen die Trompeten, die Posaunen, die Tuba, zwei<br />

der vier Hörner sowie das Schlagzeug, also alle „lauten“ Instrumente. Daher ist<br />

der Satz über weite Strecken im Piano gehalten und strahlt einen freundlichen<br />

Optimismus aus, als notwendigen Ruhepunkt nach den vorangegangenen<br />

Kämpfen. Dann folgt mit Ihr habt nun Traurigkeit der nachkomponierte<br />

Satz, den Brahms erst nach der Bremer Uraufführung eingefügt hat. Die Orchestrierung<br />

verzichtet wie beim vorangegangenen Satz auf laute Instrumente.<br />

Die Sopransolistin singt Worte aus dem Johannes-Evangelium sowie Sehet<br />

mich an aus dem Buch Jesus Sirach. Der Chor kontrastiert mit dem Jesaja-Wort<br />

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Doch obwohl Solistin und<br />

Chor unterschiedliche Texte deklamieren, verwenden sie doch gleiches musikalisches<br />

Material. Berühmt ist die Stelle, wo die Sopransolistin eine Melodie<br />

in Achteln singt, begleitet vom Chortenor mit der gleichen Melodie, jedoch<br />

in Vierteln, also im halben Tempo. Dieses kontrapunktische Kunststück ist<br />

völlig organisch in den musikalischen Gesamtverlauf integriert und zeigt,<br />

wie gründlich Brahms die barocken Kompositionstechniken studiert hat.<br />

Gerade dieser Satz wird immer wieder mit der Erinnerung an Brahms‘ Mutter<br />

in Verbindung gebracht, die drei Jahre vor der Komposition verstorben war.<br />

Nach diesen beiden ruhigen, tröstlichen Dur-Sätzen könnte der Gegensatz<br />

zum nachfolgenden Denn wir haben hie keine bleibende Statt nicht<br />

größer sein. Der Chor singt diese Worte aus dem Hebräerbrief ohne klar<br />

bestimmte Tonart; vielmehr schweift die Musik modulierend umher und<br />

illustriert die Suche nach der zukünftigen Statt. Dann setzt der Bariton-Solist<br />

ein mit den Worten des Paulus aus dem ersten Korintherbrief: Siehe, ich sage<br />

euch ein Geheimnis. Paulus spricht von der Auferstehung und Verwandlung<br />

der Toten und der Lebenden, die Musik steigert sich mehr und mehr, und

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