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NPHM_Frühjahr 2014

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und fieberten mit. Die Aufführung geriet zu einem überragenden Erfolg, wie<br />

ihn der fünfunddreißigjährige Komponist bis dahin noch nicht erlebt hatte.<br />

Dennoch entschloss sich Brahms auf Anregung des Domkapellmeisters Carl<br />

Martin Reinthaler, das Werk noch um einen siebten Satz zu erweitern und<br />

dem Bariton-Solo ein Sopran-Solo gegenüberzustellen. Die Erinnerung an<br />

die wenige Jahre zuvor verstorbene Mutter des Komponisten mag dabei eine<br />

Rolle gespielt haben. Die siebensätzige Fassung erlebte ihre Uraufführung<br />

am 18. Februar 1869 in Leipzig unter Karl Reinecke. In dieser Form hat das<br />

Deutsche Requiem seinen Siegeszug um die Welt angetreten.<br />

Der erste Satz Selig sind, die da Leid tragen beginnt mit einer der Seligpreisungen<br />

aus der Bergpredigt. Brahms erreicht eine dunkle Klangfarbe<br />

des Orchesters, indem er auf Violinen verzichtet. Ein großes Orchesterwerk,<br />

bei dem die Violinen einen ganzen Satz lang schweigen, hatte es bis dahin<br />

nicht gegeben; später sollte Gabriel Fauré in einigen Teilen seines Requiems<br />

ähnlich verfahren. Der Satz beginnt ruhig und verhalten in der tiefen Lage<br />

des Orchesters. Dann setzt der Chor ein, der eine kurze a-cappella-Stelle zu<br />

bestreiten hat. Im Mittelteil fügt Brahms einen Text aus dem 126. Psalm ein:<br />

Die mit Tränen säen. Schon hier zeigt sich die Tendenz des Gesamtwerks:<br />

Seligpreisung und Tröstung. Zuletzt kehrt der Satz zu den Anfangsworten<br />

zurück und klingt nach einer kurzen Steigerung im Pianissimo aus.<br />

Der zweite Satz Denn alles Fleisch, es ist wie Gras greift musikalisch auf<br />

ein älteres Werk zurück. Brahms hatte 1855 eine viersätzige Sonate für zwei<br />

Klaviere geschrieben. Drei der Sätze gestaltete er später zu seinem ersten<br />

Klavierkonzert um; das ursprüngliche Scherzo griff er hier, im Deutschen Requiem,<br />

wieder auf. Und trotz des Dreiertakts drängt sich der Eindruck eines<br />

Trauermarsches oder einer Prozession auf. Zu den lastenden Schreitrhythmen<br />

des Orchesters setzt der Chor im Unisono ein und singt einen Text aus dem<br />

ersten Petrusbrief. Im tröstlichen Mittelteil, dem Trio des ursprünglichen<br />

Scherzo, hören wir Worte aus dem Jakobusbrief So seid nun geduldig, lieben<br />

Brüder. Dann kehrt der Trauermarsch wieder, und der erste Teil wird notengetreu<br />

wiederholt. Der unvorbereitete Hörer erwartet, dass der Satz mit dem<br />

da capo schließt. Aber die Stimmung schlägt unvermittelt nach Dur um, und<br />

der Chor singt einen weiteren Vers aus dem ersten Petrusbrief: Aber des Herrn<br />

Wort bleibet in Ewigkeit. Mit dieser Gewissheit ist die Resignation des Beginns<br />

überwunden, und wir hören ein freies Fugato über das Prophetenwort Die<br />

Erlöseten des Herrn werden wiederkommen. Überaus plastisch schildert der Komponist<br />

Freude und Wonne einerseits, Schmerz und Seufzen andererseits, doch<br />

der Satz geht nicht im auftrumpfenden Jubel, sondern im Pianissimo zu Ende.<br />

Im dritten Satz Herr, lehre doch mich tritt erstmalig der Bariton-Solist in<br />

Erscheinung. Er singt, im Wechsel mit dem Chor, Verse aus dem 39. Psalm, die<br />

von der Vergänglichkeit, ja Nichtigkeit des Menschen handeln. Die Verzweiflung<br />

kulminiert in der rhetorischen Frage Nun Herr, wes soll ich mich trösten?

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