Zudem verfügt der Bioreaktor über eine lokale Bedieneinheit (auch engl. HMI, Human Machine Interface). Die Bedieneinheit ermöglicht dem Anwender - wie der Name schon andeutet – eine direkte Interaktion mit dem Bioreaktor. Heutzutage handelt es sich bei der Bedieneinheit moderner Bioreaktoren meistens um einen Touchscreen. An der Bedieneinheit kann der Anwender Prozessparameter <strong>für</strong> einen Batch (Bioprozess, siehe Glossar) anpassen <strong>und</strong> die Regler ein- <strong>und</strong> ausschalten oder anderweitig konfigurieren. Zudem kann die Schnittstelle <strong>für</strong> die Verbindung einer SCADA- Software konfiguriert werden. Die im Bioreaktor generierten Resultate sollen heutzutage möglichst zentral gesammelt <strong>und</strong> ausgewertet werden. Nur so lassen sich moderne, auf Big Data abzielende Algorithmen effektiv einsetzen, um ein Mehr an Informationen zu generieren <strong>und</strong> das Prozessverständnis zu verbessern. Diese Aufgabe wird von einer SCADA-Software wahrgenommen. Bei <strong>INFORS</strong> HT ist dies eve ® , die Plattform-Software <strong>für</strong> Bioprozesse. Über ein lokales oder globales Netzwerk nimmt sie auf Basis standardisierter Protokolle wie OPC UA Kontakt mit den Bioreaktoren auf. In einem ersten Schritt können so bereits ohne grössere Eingriffe des Anwenders alle Daten des Bioreaktors ausgelesen <strong>und</strong> zentral gespeichert werden, um sie entweder individuell oder zusammen mit Daten anderer Batches vergleichend auszuwerten. Dabei kommen schnell Ideen <strong>für</strong> neue Experimente auf, ggf. sogar komplexe Batch-<strong>Strategien</strong>. Diese können mühelos in eve ® geplant werden – sicher komfortabler mit Kaffee im Büro statt im Laborkittel am Bioreaktor – <strong>und</strong> später zur Steuerung des Bioreaktors verwendet werden, was im Idealfall sogar vollautomatisch erfolgt. Zudem können auch sämtliche den Batch begleitende Informationen in eve ® zentralisiert werden, was Informationen über die verwendeten Mikroorganismen, deren liebstes Kulturmedium oder die Messdaten zu den Proben, die aus dem Bioreaktor entnommen wurden (offline-Analytik), einschliesst. Ausserdem integriert eve ® auch viele Komponenten des sog. «Bioreaktor-Umgebung». Dazu gehören Werkzeuge zur Prozessoptimierung mittels Design of Experiment (DoE) oder leistungsstarke Soft(ware)-Sensoren, mit denen sich zeitgleich <strong>und</strong> ohne Umwege zusätzliche Informationen aus den Prozessparametern eines Batches errechnen <strong>und</strong> sogar zur Regelung heranziehen lassen. So kann zum Beispiel der respiratorische Quotient RQ verwendet werden, um eine Abschätzung der Stoffwechselaktivität mittels des Verhältnisses von ausgeschiedenem Kohlenstoffdioxid zu aufgenommenem Sauerstoff zu erhalten. Gerade wenn Bioreaktor <strong>und</strong> SCADA-Software perfekt aufeinander abgestimmt sind, bieten sich derart viele Möglichkeiten, dass deren Beschreibung den Rahmen dieses <strong>Kochbuch</strong>s sprengen würde. Falls Sie zu den glücklichen Besitzern der beiden Systeme gehören, haben Sie Mut, es einfach einmal auszuprobieren – Sie werden sehen, wie spielend leicht Sie von den vielfältigen Features profitieren können. Andernfalls sind Sie herzlich eingeladen durch unsere Webseite zu stöbern, einen Blick in die eve ® -Tutorials zu werfen oder eine Demo-Version anzufordern. 1.3 Funktionsweise Bei einem Rezept weiss der geübte Hobbykoch, welche Behältnisse <strong>und</strong> Geräte er verwenden muss, um mit den angegebenen Zutaten zu dem erwünschten Ergebnis zu kommen. Ähnlich verhält es sich bei den Bioreaktoren. Der geübte Anwender stellt sich den Reaktor mit den benötigten Komponenten so zusammen, dass die im Rezept angegebenen Bedingungen <strong>für</strong> die Mikroorganismen möglichst dauerhaft erreicht werden. Doch um welche Bedingungen handelt es sich hier? Und wie erreicht man deren präzise Einhaltung? Genau diese Fragen werden im nächsten Abschnitt geklärt. Gerührt oder geschüttelt? Die permanente Durchmischung ist wichtig <strong>für</strong> alle Bioprozesse. Wenn die Nährstoffe im Bioreaktor nicht ausreichend verteilt werden, kommt es im Bioreaktor lokal zu deutlichen Abweichungen von den Idealbedingungen. So könnte der pH zu sauer oder die Mikroorganismen nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt sein. Solche Abweichungen mindern nicht nur die Effizienz des geplanten Bioprozesses, sondern können durch den auf die Mikroorganismen einwirkenden Selektionsstress auch genetische Modifikationen fördern, die damit zu einem dauerhaft veränderten <strong>und</strong> im Regelfall unerwünschten Verhalten der Mikroorganismen führen. Ein weiterer Aspekt ist die Temperaturverteilung. Ohne gleichmässiges Rühren werden die Mikroorganismen am Kesselrand regelrecht gekocht, während diejenigen in der Mitte kalte Füsse bekommen. Wer sich schon einmal Suppe in der Mikrowelle aufgewärmt hat <strong>und</strong> sie vor lauter Vorfreude ohne umzurühren gleich verzehrt hat, wird eine ähnliche Erfahrung gemacht haben. Die typische Rührgeschwindigkeit variiert je nach kultiviertem Organismus. Bei Bakterien, Hefen <strong>und</strong> Pilzen sind dies in der Regel 500 min –1 bis 1500 min –1 , bei Tier-, Pflanzen- <strong>und</strong> Insektenzellen – die nachfolgend nicht weiter im Detail erläutert werden – 30 min –1 bis 300 min –1 . Die Anpassung der Rührgeschwindigkeit ist in Abhängigkeit von den zu kultivierenden Zellen zu wählen, da diese unterschiedlich auf Scherstress, also die mechanische Beanspruchung, welche durch das Rühren verursacht wird, reagieren. Durch die Veränderung der Rührgeschwindigkeit kann auch während des Bioprozesses die Verfügbarkeit von Sauerstoff variiert werden <strong>und</strong> so ein optimales Wachstum der Zellen zu gewährleisten. Temperaturmessung <strong>und</strong> -regelung Alle Mikroorganismen haben Enzyme, die sich in einem bestimmten Temperatur- <strong>und</strong> pH-Bereich am wohlsten fühlen. Wird dieser über- oder unterschritten, wachsen die Zellen nicht so gut, da die Stoffwechselleistungen <strong>und</strong> das Wachstum zu einem beträchtlichen Teil von Enzymen, also katalytisch aktiven Proteinen, abhängt. Im schlimmsten Fall werden diese gar durch die Umgebungsbedingungen zerstört. Zur Bestimmung der Temperatur wird im Bioreaktor ein Platin-Messwiderstand, ein sogenannter Pt100-Sensor eingesetzt. Dieser hat bei 0 °C einen Widerstand von 100 Ω <strong>und</strong> kann bei entsprechender Kalibrierung den erwarteten, biologisch relevanten Messbereich gut abdecken. Der Regelbereich liegt zumeist zwischen +5 °C bis +50 °C über der Raumtemperatur, während die typischen Temperaturen, bei denen Bioprozesse betrieben werden, zwischen 20 °C <strong>und</strong> 50 °C liegen. Soll bei Temperaturen nahe oder unterhalb der Raumtemperatur gearbeitet werden, ist eine aktive Kühlung, z.B. über einen Umlaufkühler, erforderlich. Für den Grossteil der Bioprozesse soll die Temperatur während der gesamten Kultivierung konstant bleiben. Jedoch gilt <strong>für</strong> einige Produkte wie etwa Penicillin oder rekombinante Proteine (d.h. biotechnologisch hergestellte Proteine mit Hilfe von gentechnisch veränderten Organismen), dass ein Temperaturwechsel am Ende der Wachstumsphase wichtige Gene zur Produktbildung aktiviert <strong>und</strong> daher förderlich ist. Für die Temperaturregelung mittels eines Wärme- <strong>und</strong>/oder Kühlkreislaufes gibt es verschiedene Wege: • Elektrischer Heizblock mit eingebauter Kühlspirale (Minifors 2 <strong>und</strong> Multifors 2) • Heizpolster aus Silikon, das nach der Sterilisation um das Kulturgefäss gewickelt wird (Labfors 5) • Doppelmantel, in dem Wasser zirkuliert wird. Die Temperatur wird über eine elektrische Heizung oder Dampf <strong>und</strong> ein magnetisches Ventil zum Einlass von Kühlwasser eingestellt (Labfors 5, Techfors-S <strong>und</strong> Techfors). pH-Messung <strong>und</strong> -Regelung Die Messung <strong>und</strong> Kontrolle des pH ist bei den meisten Bioprozessen sehr wichtig, da die Mikroorganismen selbst oft zu einer Änderung dessen beitragen. Kulturmedien <strong>für</strong> Mikroorganismen beinhalten üblicherweise auch Puffersubstanzen, d.h. Stoffe, die bei Zugabe von Säure oder Base einen allzu drastischen Umschlag des pH abschwächen. Ist dies nicht der Fall, ändert sich der pH oftmals schlagartig, womit sich die Wachstumsbedingungen <strong>für</strong> die Mikroorganismen massgeblich verändern – mit meist fatalen Folgen. Liegt der pH-Wert ausserhalb des Präferenzbereiches, vermehren sich die Mikroorganismen nicht weiter oder sterben gar ab. Eine starke Änderung des pH kann zudem weitere unerwünschte Stoffwechselprozesse hervorrufen <strong>und</strong> zu einer Hemmung der entsprechenden Mikroben führen. Ein Beispiel da<strong>für</strong> ist die Milchsäuregärung, die schon seit der Jungsteinzeit vom Mensch zur Haltbarmachung von Lebensmitteln eingesetzt wird. Damit werden Sauermilchprodukte, Sauergemüse <strong>und</strong> Sauerteigbrote produziert, welche durch die Milchsäure-Ausscheidung der entsprechenden Bakterien angesäuert werden. Dies führt im Gegenzug zu einer Wachstumshemmung anderer Mikroorganismen ab pH 4,5 <strong>und</strong> bei weiterem Abfallen des pH zu einer Hemmung der Milchsäurebakterien an sich. Bakterien, Hefen <strong>und</strong> Pilze benötigen beim Bioprozess in der Regel einen pH zwischen 4,5 <strong>und</strong> 7,0, Tierzellen um 7,0. Zur Messung des pH während des Bioprozesses ist jeder Bioreaktor mit einem pH-Sensor, einer sogenannten pH-Einstabmesskette, ausgerüstet. Damit der Bioreaktor etwaige Abweichungen des pH auch korrigieren kann, werden ihm zudem eine Säure <strong>und</strong> oder eine Lauge bereitgestellt <strong>und</strong> über Schläuche <strong>und</strong> Pumpen mit dem Kulturgefäss verb<strong>und</strong>en. Je nach Bedarf führen die Pumpen beispielsweise Phosphorsäure, Natronlauge oder Ammoniakwasser zu. Die Konzentration der Säure <strong>und</strong> der Lauge muss hierbei geschickt gewählt werden: ist sie zu hoch, so können die konzentrierten Säuren- oder Laugentropfen die Mikroorganismen schädigen, bevor sie im Bioreaktor verteilt werden. Ist die Konzentration hingegen zu niedrig, muss mehr Volumen der Säure oder Lauge zugegeben werden <strong>und</strong> das Kulturmedium wird unnötig verdünnt. 6 7