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Neubadmagazin Juni 2017

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ERHOLEN, OHNE EINZUHOLEN<br />

Einen schönen Urlaub wünsche<br />

ich Ihnen!, Gute Erholung! Und<br />

Schalten Sie mal ab!<br />

All das sind gängige Urlaubswünsche,<br />

die man in Anbetracht des gerade<br />

zaghaft an die Tür klopfenden Sommers<br />

und der damit einhergehenden<br />

Urlaubszeit bald wieder öfter zu hören<br />

bekommen wird.<br />

Wen es ganz hart trifft, der hat es sogar<br />

im Arbeitsvertrag stehen: «Der Arbeitnehmer<br />

hat dafür Sorge zu tragen,<br />

den Urlaub zur Wiederherstellung seiner<br />

Arbeitsfähigkeit einzusetzen.»<br />

Ehrlich gesagt, weiss ich gar nicht,<br />

wie das gehen soll: einfach mal abschalten.<br />

Ich kann mich nicht einfach<br />

«abschalten» oder «ausschalten». Ich<br />

kann gar nichts auf Knopfdruck.<br />

Weder kann ich auf Knopfdruck lustig<br />

oder entfesselt sein, also bin ich kein<br />

Typ für Karneval. Noch vermag ich auf<br />

Knopfdruck ernst zu sein oder Dinge<br />

ernst zu nehmen, tauge also auch nicht<br />

für die Führungsetage.<br />

Ich habe Gedanken und Gefühle. Die<br />

sind immer da. Mal sehr präsent, mal<br />

im Hintergrund. Aber immer da. Stimmungen<br />

nennt man es, die einen dann<br />

und wann leiten oder die auch mal in<br />

die zweite Reihe gehören.<br />

Dennoch: Ich bin immer nur ich und<br />

immer gleich. Ob ich in Lützelflüh sitze,<br />

in einem Konferenzraum eines der vielgeschossigen<br />

Hotels in Berlin-Mitte,<br />

am Strand des Paradieses oder im Bett<br />

eines Grosswesirs. Letzteres nehme ich<br />

zumindest an.<br />

Aus diesem Grunde erscheint es mir<br />

nicht nur unmachbar, gefälligst in der<br />

Urlaubszeit höchstmögliche Regenera­<br />

Ulrike Gastmann,<br />

Satirikerin<br />

tion zu erzielen, sondern auch vollkommen<br />

unangemessen, dass der Mensch<br />

sich nur Erholung zu gönnen hat, auf<br />

dass er alsbald erneut das ordnungsgemäss<br />

rotierende Rädchen im Getriebe<br />

einer sehr unerholt aussehenden Gesellschaftsordnung<br />

sei.<br />

Auch andere haben bekanntlich mit<br />

der Erholung auf Startschuss so ihre<br />

Probleme.<br />

Besonders jene, die diesen Startschuss<br />

zu wörtlich nehmen und schon<br />

kurz nach dem Check-In bereits über<br />

die eigenen Ansprüche stolpern. Da<br />

werfen einen der zweitägige Wasserausfall<br />

in Bulgarien, drei ausgewachsene<br />

Geckos im Hotelzimmer in Kenia,<br />

Pilzbefall im mexikanischen Himmelbett,<br />

ein paar freilaufende Affen oder<br />

400 Russen in der türkischen Hotelanlage,<br />

also alles Dinge, die vor Ort durchaus<br />

als «landestypisch» gelten, schon<br />

mal um Längen auf der Erholungsauftrags-Skala<br />

zurück.<br />

Nein, vermutlich ist es nicht der vorrangige<br />

Zweck des Verreisens, Menschen<br />

wieder so aufzuladen, dass sie<br />

dem Duracell-Hasen gleich nach der<br />

Rückkehr wieder Monat für Monat den<br />

Sound des Utilitarismus trommeln.<br />

Es handelt sich viel mehr um Lebenslust,<br />

deren Stellenwert man vermutlich<br />

um einiges höher einstufen<br />

sollte, als es zurzeit Usus zu sein<br />

scheint. Auch in Nicht-Urlaubszeiten.<br />

Lebenslust aber ist mit Kraft verbunden.<br />

Und das Haushalten mit dieser<br />

braucht Zeit, keine Freizeit. Freizeit ist<br />

oft nur ein Tarnbegriff für leicht abgewandelte<br />

Arbeit. Wer jemals einem<br />

vollständig neongrün eingeschnürten<br />

Freizeitradler erst auf die Radlerhose<br />

und dann ins Gesicht geblickt hat, der<br />

weiss vielleicht, was ich meine. Das ist<br />

nicht nur ästhetisch fragwürdig, sondern<br />

auch durch den von vornherein definierten<br />

Zweck der (Frei-)Zeit befremdlich<br />

– womit sich die Katze der totalitären<br />

Arbeitsgesellschaft einmal mehr<br />

offenkundig in den Schwanz beisst.<br />

Nein, das Gegenteil von Arbeit heisst<br />

Musse, nicht Freizeit. Der Tyrann verhindert<br />

die Musse, sagt Aristoteles. Und<br />

wenn wir vor diesem Hintergrund zwar<br />

einen Arbeitsminister im Kabinett haben,<br />

aber keinen für zweckbefreite Tätigkeiten,<br />

dann müssen wir uns nicht<br />

wundern über uns. Nicht wundern über<br />

Burnout-Diagnosen, nicht wundern<br />

über aktuelle Studien, dass sich bereits<br />

eine gehörige Zahl von Schulkindern<br />

gestresst und überfordert fühlt.<br />

Und das, obwohl der griechische<br />

Begriff «scholae» ausgerechnet unserem<br />

deutschen Wort «Schule» zugrunde<br />

liegt. Scholae, Musse, ein Zustand also,<br />

in dem unsere Sinne wach und gelassen<br />

sind, und wir aufnahmebereit für<br />

sowohl SinnVOLLES, aber auch Sinn­<br />

FREIES, ist demnach ein regelmässig<br />

zu schaffender Zustand – in der Schule,<br />

im Job, im Leben überhaupt.<br />

Aus diesem Grund freue ich mich<br />

völlig ziellos auf den Sommer. Kein<br />

Ab- noch Aus- noch Gleichschalten. Ich<br />

fühle mich mit der Welt verbunden –<br />

immer. Aber auf ein bisschen Musse<br />

freue ich mich. Auf Zeiten von Erkenntnis<br />

ohne jede Zielorientierung. In solchen<br />

Momenten soll es zuweilen geschehen,<br />

dass das Göttliche den Menschen berührt.<br />

Schöne Ferien!<br />

28 Philosophie

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