SO LEBT ES SICH IN DEUTSCHLAND - Kommt 'rein
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Ein echtes Umdenken von Quantität zu Qualität bräuchte allerdings mehr Sein als Schein<br />
dard nicht drastisch sinken. Aber welches Wissen und Können ge- Dafür wird die Erde ausgeplündert und die Gefahr eines Kollapses<br />
fördert werden soll und wie dies geschehen kann, ist umstritten. heraufbeschworen. Wirklichen Verzicht braucht auf absehbare<br />
Diejenigen, die vorrangig technischen Fortschritt als Allheilmittel Zeit kaum einer zu üben, vor allem, wenn der materielle Wohlstand<br />
ansehen, setzen auf technisches Wissen und Können. Für die ande- künftig gleichmäßiger verteilt wird als bisher. Für die meisten geht<br />
ren ist jedoch gerade diese Verengung eine wesentliche Ursache für es lediglich darum, Ballast abzuwerfen. Von dem allerdings gibt es<br />
die entstandenen Probleme. Sie fordern deshalb die Entfaltung aller<br />
menschlichen Fakultäten und Facetten, namentlich auch der<br />
reichlich.<br />
musischen, sozialen und emotionalen. Für sie bilden<br />
Ein einziges Beispiel mag genügen: die Ernährung.<br />
diese die eigentliche Grundlage von Kreativität, oh-<br />
Dass die Erzeugung und der Verbrauch von Nahne<br />
die auch der technische Bereich nicht florieren<br />
rungsmitteln Ressourcen und Umwelt beanspru-<br />
kann. Für diese Sichtweise spricht, dass alle Völker,<br />
chen, ist zum größten Teil unvermeidlich. Vermeid-<br />
deren wirtschaftlich expansive Phase endet, ihre<br />
lich ist hingegen, dass die privaten Haushalte in Euro-<br />
mentalen Kräfte wecken müssen, um die anstehenpa<br />
ein Viertel der gekauften Ware in Mülleimer werden<br />
Herausforderungen zu meistern. Denn diese hafen<br />
und viele Menschen weit mehr essen, als ihnen<br />
ben nur vordergründig materielle Dimensionen. Im<br />
guttut. Eine bewusstere Ernährung würde ihr Wohl-<br />
Kern geht es um Mentalitäten.<br />
befinden nachhaltig steigern. Sie würden auf nichts<br />
verzichten, und zugleich täten sie sich, ihren Mitmen-<br />
Konkret: Bei dem hohen materiellen Wohlstandsni- PROF. DR. ME<strong>IN</strong>HARD schen und ihrer Umwelt viel Gutes. Entsprechendes<br />
veau, das die früh industrialisierten Länder erreicht MIEGEL<br />
gilt für die meisten anderen Lebensbereiche.<br />
haben, muss auch dann keiner hungern und frieren,<br />
wenn dieses Niveau sinkt. Wirtschaftete beispiels-<br />
ist Vorstandsvorsitzender<br />
von „Denkwerk Zukunft, Stiftung<br />
kulturelle Erneuerung“.<br />
Bleibt die Frage, ob unter solchen Bedingungen der<br />
weise Deutschland heute innerhalb der Tragfähig- In seinem Buch „Exit“ fordert Mäßigung, der von fast allen gewollte gesellschaftlikeitsgrenzen<br />
der Erde, stünden pro Kopf der Bevöl- er einen Abschied vom che, wirtschaftliche, technische und kulturelle Fortkerung<br />
etwa 40 Prozent der derzeitigen Güter- und Wachstumsparadigma. Mieschritt möglich bleibt. Auch hierauf ist die Antwort<br />
Dienstemenge zur Verfügung. Der großen Mehrheit<br />
ist das ein Horrorszenario. Und es stimmt ja: Ein ergel<br />
ist Mitglied der Enquetekommission<br />
„Wachstum,<br />
Wohlstand, Lebensqualität“.<br />
einfach: Er bleibt nicht nur, sondern er wird überhaupt<br />
erst möglich. Denn der Fortschritt der zurückstrebenswertes<br />
Ziel ist dies nicht, weshalb auch alle<br />
liegenden 250 Jahre hat zwar den materiellen Wohl-<br />
Anstrengungen unternommen werden sollen, durch<br />
stand von Milliarden gemehrt. Zugleich hat er sie je-<br />
mehr Wissen und Können den Wohlstand zu steidoch<br />
– und hier schließt sich der Kreis – aus den<br />
gern. Nur, als Anfang der 1960er-Jahre just jene 40 Prozent erwirt- Tragfähigkeitsgrenzen der Erde katapultiert. Mit diesem Fortschaftet<br />
wurden, galt Deutschland als Wirtschaftswunderland. schritt wurden vor allem Pyrrhussiege errungen. Der Fortschritt<br />
der Zukunft muss darauf gerichtet sein, das materielle und imma-<br />
Seitdem haben sich lediglich die Einstellungen der Menschen verterielle Wohl der Menschen innerhalb der Tragfähigkeitsgrenzen<br />
ändert. Was eben noch genügte, genügt nicht länger. Dabei ist die der Erde zu schaffen und zu sichern. Von diesem Ziel sind wir heu-<br />
große Mehrheit einem echten Bedürfniskonsum längst entwachte weit entfernt. Das aber heißt: Der Fortschritt der Zukunft muss<br />
sen. Immer größere Teile ihres Verbrauchs dienen der Befriedi- ein anderer sein als der bisherige. Bedingungen der Mäßigung<br />
gung unhinterfragter Gewohnheiten und persönlicher Eitelkeiten. dürften diesen Kurswechsel erleichtern. ▪<br />
DE Magazin Deutschland 3/2012 45<br />
Frank Beer<br />
Mattiello/toonpool.com