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SO LEBT ES SICH IN DEUTSCHLAND - Kommt 'rein

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82<br />

F<strong>IN</strong>ALE<br />

SUBVERSIVE STIMULANZ<br />

Der amerikanische Bestsellerautor T. C. Boyle über den Rock’n’Roll in der Literatur<br />

Ich bin der Traum eines jeden Verlegers: Ich gebe Interviews,<br />

ich gehe auf Lesereisen, ich chatte live, und ich bin auch oft<br />

auf Buchmessen in Deutschland unterwegs: Leipzig, lit.Cologne<br />

und natürlich Frankfurt. Was für ein Wahnsinn, was für<br />

ein Spaß! Ich habe das Glück, dass ich nicht wie viele meiner anderen<br />

Kollegen in der eher ruhigen Halle mit den englischsprachigen<br />

Verlagen sitzen muss, sondern mitten im Trubel beim Hanser-Verlag.<br />

Bei den Buchmessen treffe ich auch gelegentlich deutsche<br />

Schriftsteller, vor allem aber treffe ich meine Leserinnen und Leser.<br />

Außerdem kann ich dort jede Menge richtige, gedruckte Bücher in<br />

den Händen halten. Meine Frau hat mich bislang noch nicht von<br />

einem E-Reader überzeugen können. Das<br />

könnte sich nur dann ändern, wenn ich<br />

mich entschlösse, entweder a) mehrere<br />

Monate lang durch die Appalachen zu<br />

wandern, b) zu einer Expedition in den<br />

Kongo aufzubrechen oder c) einen längeren<br />

Ausflug in den Weltraum zu unternehmen.<br />

In diesem Jahr habe ich allerdings den<br />

Frankfurter Auftrieb verpasst, denn ich<br />

bin im Herbst in Großbritannien und zu<br />

Hause in den USA mit meinem neuen Roman<br />

„San Miguel“ unterwegs. Statt zu<br />

schreiben, muss ich mich damit begnügen,<br />

die Dinge im Kopf durchzuspielen,<br />

während ich wieder einmal meine vom Reisen abgenutzten Taschen<br />

von einem Flughafen zum nächsten schleppe.<br />

Danach werde ich mich so ausgelaugt fühlen wie Dracula, wenn er<br />

von der Sonne erwischt wird. Gleichzeitig liebe ich es, vor Publikum<br />

zu lesen. Wobei der Begriff „Lesung“ es nicht wirklich trifft.<br />

Für mich ist es eine Performance. Ich bin Schriftsteller, ich geh‘<br />

raus auf die Bühne und gebe den Leuten, was sie brauchen. Nicht<br />

wenige meiner Kollegen leiden wie Hunde, wenn sie vor ein Publikum<br />

treten und aus ihren Texten vorlesen müssen. Ich bin da ganz<br />

anders gestrickt. Die Essenz von Literatur ist Sprache – und die will<br />

ich auf der Bühne zum Klingen bringen, ich will meinen Geschichten<br />

einen Rhythmus geben. Was vielleicht daran liegt, dass ich in<br />

meinem früheren Leben ein Rock’n’Roller war. Die Auftritte mit<br />

meiner Band haben Spuren hinterlassen. Und überhaupt stammen<br />

viele meiner Vorbilder aus der Welt des Rock’n’Roll: Springsteen<br />

oder Van Morrison – alles große Performer. Im Rock’n’Roll geht es<br />

darum, von der Bühne Besitz zu ergreifen. Und das gefällt mir. Man<br />

muss präsent sein, wie ein Schauspieler, der seine Geschichte in die<br />

Köpfe und Herzen der Zuschauer bringt. Dazu muss ich mich bewegen,<br />

muss gestikulieren können.<br />

Eine Performance kann man nicht vom Sofa aus halten. Das weiß<br />

inzwischen auch mein deutsches Publikum. Es schätzt, das spüre<br />

ich, dass Lesungen für mich keine intellektuelle Pflichtübung sind,<br />

die man ertragen muss. Sie sind subversive<br />

Stimulanz. Meine jüngste Tour durch<br />

Deutschland war eine ausverkaufte Freude:<br />

Hamburg, Berlin, München und Freiburg.<br />

Einer der Höhepunkte war das Wiedersehen<br />

mit meinem Freund, dem<br />

Schauspieler Jan Josef Liefers, der schon<br />

viele meiner Romane als Hörbücher eingelesen<br />

hat und auch schon mit mir aufgetreten<br />

ist. Ich habe schon so oft in<br />

Deutschland gelesen, dass ich es kaum<br />

zählen kann. Einmal in Frankfurt sogar<br />

in einer ehemaligen Kirche. Deswegen<br />

muss ich mir heute noch Witze anhören.<br />

picture alliance/GEORG HOCHMUTH/APA/picturedesk.com<br />

Und bei der lit.Cologne hatte ich mich dazu<br />

überreden lassen, zwei Shows an einem Tag zu machen. Das war<br />

selbst für einen Maßlosen wie mich ein bisschen zu anstrengend.<br />

Ich habe drei Stunden auf der Bühne gestanden und danach insgesamt<br />

fünf Stunden lang meine Bücher signiert. Ich habe in der Zeit<br />

literweise Diät-Cola in mich hineingekippt. Andere Drogen gab es<br />

nicht. Aber ich komme wieder. Davon kann mich auch das Tollhaus<br />

Buchmesse nicht abhalten. ▪<br />

Aufgezeichnet von Brigitte Spitz<br />

Von dem US-amerikanischen Schriftsteller T. C. Boyle ist zuletzt<br />

auf Deutsch der Roman „Wenn das Schlachten vorbei ist“<br />

im Hanser-Verlag erschienen. Gerade druckfrisch auf Englisch<br />

liegt sein jüngstes Werk „San Miguel“ von Viking vor.<br />

DE Magazin Deutschland 3/2012<br />

picture-alliance/dpa

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