MTD_DDG_2017_06
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22 Im Blickpunkt<br />
diabeteszeitung · 2. Jahrgang · Nr. 6 · 28. Juni <strong>2017</strong><br />
Medizin nach Budget<br />
Ökonomisierung ist ein Problem für Ärzte | Acht Thesen der Leopoldina<br />
BERLIN. Kostenabwägungen spielen im Gesundheitswesen<br />
eine immer größere Rolle. Verstärkt wird das in vielen Einrichtungen<br />
durch hohe Renditeerwartungen der Anteilseigner. Die<br />
Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat in ihren<br />
Thesen zur Ökonomisierung der Medizin das Problem beleuchtet.<br />
Wir befragten dazu Mitautor Professor Dr. Norbert Suttorp.<br />
?<br />
Professor Suttorp, vor einem Jahr<br />
wurden die Thesen von der Leopoldina<br />
veröffentlicht. Welche Absicht<br />
stand dahinter?<br />
Prof. Suttorp: Seit einiger Zeit beschäftigen<br />
sich verschiedene Akteure<br />
– etwa der Deutsche Ethikrat<br />
und die Deutsche Gesellschaft für<br />
Innere Medizin – in Veranstaltungen,<br />
Stellungnahmen und Analysen<br />
mit Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen,<br />
insbesondere mit den<br />
Ursachen, Symptomen und Folgen<br />
einer wahrgenommenen Ökonomisierung,<br />
die unter Umständen zu<br />
Therapieentscheidungen führt, die<br />
medizinisch nicht indiziert sind. Die<br />
Leopoldina als älteste wissenschaftliche<br />
Akademie der Welt sah es als<br />
wichtige Aufgabe an, zu diesem Thema<br />
Politik und Gesellschaft wissenschaftlich<br />
zu beraten.<br />
?<br />
Was sind die Hauptaussagen?<br />
Prof. Suttorp: Die acht Thesen<br />
zum Verhältnis von Medizin und<br />
Ökonomie im deutschen Gesundheitssystem<br />
stehen auf der Homepage<br />
der Leopoldina, sodass ich<br />
hier nicht alle wiederholen muss.<br />
Eingehen will ich aber auf die erste<br />
These. Sie lautet: „Ökonomisches<br />
Handeln im Gesundheitssystem<br />
ist geboten – aber ausschließlich<br />
zum Wohle des einzelnen Patienten<br />
und der Gesellschaft“. Die<br />
Gesundheitsökonomie hat somit<br />
die Aufgabe, die Ziele der Medizin<br />
und damit eine qualitative hochwertige<br />
Versorgung bei begrenzten<br />
Ressourcen zu erreichen. Damit<br />
dient die Ökonomie den Zielen der<br />
Medizin. Das Verhältnis darf nicht<br />
umgekehrt werden. Diese Aussagen<br />
sind einigermaßen trivial, aber für<br />
jemanden, der tagtäglich in der Klinik<br />
arbeitet, wirken sie bisweilen<br />
reduziert realitätsnahe.<br />
?<br />
Was heißt das?<br />
Prof. Suttorp: In der Regel erfährt<br />
ein Abteilungsleiter Mitte des<br />
Monats, wie die Einnahmen des<br />
Zukunftsthemen im Blick<br />
Die Akademie bearbeitet unabhängig<br />
von wirtschaftlichen oder<br />
politischen Interessen wichtige gesellschaftliche<br />
Zukunftsthemen aus<br />
wissenschaftlicher Sicht und vermittelt<br />
die Ergebnisse der Politik und der<br />
Öffentlichkeit.<br />
Bereichs im vergangenen Monat<br />
waren, gemessen insbesondere an<br />
den Casemix-Punkten. Zusätzlich<br />
erfährt er die Ausgaben für Personal,<br />
für medizinischen Sachbedarf<br />
sowie für innerbetriebliche Leistungsverrechnungen.<br />
Das wird alles<br />
durchbuchstabiert bis zur Rendite.<br />
Ist die Bilanz nicht so gut, drohen<br />
mögliche negative Konsequenzen für<br />
die Klinik, zum Beispiel ein Personaleinstellungsstopp.<br />
?<br />
Sie arbeiten in der Charité als Arzt<br />
am Krankenbett und sind Direktor<br />
einer Klinik. Wie spüren Sie selbst die<br />
ökonomischen Zwänge?<br />
Prof. Suttorp: Ein Leiter einer Klinik<br />
kennt die wirtschaftlichen Zahlen<br />
in seinem Bereich. Wenn die Zahlen<br />
nicht günstig sind, kann man Abläufe<br />
verbessern und beispielsweise<br />
Ambulanzen zusammenführen oder<br />
das Aufnahme- oder Entlassungsmanagement<br />
optimieren. Diese Runden<br />
wird man ein- oder zweimal wiederholen.<br />
Bleibt eine Klinik defizitär,<br />
ist die Krankenhausleitung gefragt,<br />
InEK-gerechte Bedingungen zu ermöglichen.<br />
Auch wenn man die wirtschaftlichen<br />
Zahlen genau kennt, muss man als<br />
Klinikleiter den Mitarbeitern immer<br />
wieder verdeutlichen, dass bei der<br />
täglichen Arbeit mit dem Patienten<br />
keine außermedizinischen Überlegungen<br />
in die Indikationsstellungen<br />
eingehen dürfen, denn dies wäre<br />
unethisch. Der Patient ist kein Kunde,<br />
sein Wohl muss im Mittelpunkt<br />
stehen. Ökonomisch orientierte<br />
Zielvereinbarungen sollte man nicht<br />
unterschreiben.<br />
?<br />
Ein Leopoldina-Kritikpunkt ist,<br />
dass das Fallpauschalensystem<br />
die sprechende Medizin benachteiligt.<br />
Muss das DRG-System reformiert<br />
werden?<br />
Prof. Suttorp: Als Kliniker und Internist<br />
muss ich zur Benachteiligung<br />
der sprechenden Medizin sagen: Das<br />
stimmt zu 100 %. Das DRG-System<br />
setzt offenbar Fehlanreize, die man<br />
auch an Fallzahlsteigerungen, die<br />
nicht allein medizinisch begründet<br />
sind, festmachen kann. Diese auch<br />
durch die Epidemiologie nicht erklärbaren<br />
Fallzahlsteigerungen sind<br />
bei sehr lukrativen DRG-Ziffern<br />
nachzuweisen. Ein anderes Beispiel<br />
ist, dass viele Neonaten mit einem<br />
Geburtsgewicht von 990 Gramm,<br />
aber kaum mit 1010 Gramm geboren<br />
werden.<br />
Casemix<br />
IneK<br />
Prozeduren<br />
Fallzahlen<br />
?<br />
Umfragen zeigen, dass Ärzte sich<br />
durch ökonomische Zwänge unter<br />
Druck gesetzt fühlen und dass<br />
dies bei der Therapieentscheidung<br />
eine Rolle spielt. Würden Handlungsempfehlungen<br />
von ärztlichen Institutionen<br />
in solchen Fällen helfen?<br />
Prof. Suttorp: Die Handlungsempfehlungen<br />
werden sich sicherlich auf<br />
Qualitätsziele beziehen. Doch Qualität<br />
ist nicht gleich Qualität. Man<br />
kann richtige und falsche Operationen<br />
richtig machen und nur den<br />
Outcome zu messen, was die Politik<br />
will, wäre viel zu kurz gesprungen.<br />
Wir brauchen eine Qualitätskontrolle<br />
bei der Indikationsstellung. Das ist<br />
viel schwieriger zu organisieren, aber<br />
das ist der Weg, Qualität in der Medizin<br />
zu erhöhen.<br />
?<br />
Die <strong>DDG</strong> sieht kritisch, dass in den<br />
Kliniken die Nebendiagnose Diabetes<br />
oft nicht qualifiziert behandelt<br />
wird. Diabetes-Abteilungen werden<br />
aus Kostengründen geschlossen oder<br />
verkleinert. Was sagen Sie dazu?<br />
Prof. Suttorp: Diabetes mellitus ist<br />
eine weiter zunehmende Volkskrankheit,<br />
die natürlich immer und<br />
überall qualifiziert behandelt werden<br />
muss. Bei den Abrechnungsfragen zu<br />
Diabetes mellitus kenne ich mich<br />
nicht besonders gut aus. Richtig ist,<br />
dass man in der Diabetes-Medizin<br />
viel reden muss, etwa über Diätetik<br />
und Gewichtabnehmen, und<br />
dass Diabetes eine Krankheit ist, die<br />
nicht viele Prozeduren aufzuweisen<br />
hat. Wichtig ist, dass die Fachgesellschaft<br />
maximale Anstrengungen unternimmt,<br />
Diabetes im DRG-System<br />
über das Institut für das Entgeltsystem<br />
im Krankenhaus (InEK) optimal<br />
zu positionieren. Da in Zukunft<br />
»Sprechende<br />
Medizin ist<br />
benachteiligt«<br />
Patienten<br />
Budgets<br />
KURZBIOGRAPHIE<br />
PROF. DR. SUTTORP<br />
gute<br />
Behandlung<br />
Prof. Norbert Suttorp ist Direktor der<br />
Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt<br />
Infektiologie und Pneumologie<br />
an der Berliner Charité. Er ist<br />
zugleich Inhaber des C4-Lehrstuhls<br />
Infektiologie. Der Facharzt für Innere<br />
Medizin hat zahlreiche Funktionen<br />
in wissenschaftlichen Gesellschaften<br />
und Gremien inne. Seit 2000 ist er<br />
Mitglied der Leopoldina.<br />
Foto: privat<br />
das Entgelt in der Medizin verstärkt<br />
über Qualitätskennzahlen geregelt<br />
wird, muss die Fachgesellschaft ihre<br />
Qualitätsziele definieren und im<br />
Qualitätsbericht so markant platzieren,<br />
dass Kliniken, die Diabetes nicht<br />
qualifiziert behandeln, als auffällig<br />
erkannt werden.<br />
?<br />
Die Leopoldina schreibt, dass<br />
Deutschland 2023 rund 320 000<br />
Betten weniger hätte, läge das Verhältnis<br />
Bett zu Einwohner im europäischen<br />
Durchschnitt. Kämen wir mit<br />
einem Drittel weniger Betten aus?<br />
Prof. Suttorp: Deutschland hat 1950<br />
Krankenhäuser und 500 000 Klinikbetten.<br />
1400 sind Plan-Krankenhäuser,<br />
von denen 26 % kein CT und<br />
19 % kein Intensivbett haben. Eine<br />
Kosten<br />
Fotos: fotolia/sudok1, fotolia/pico, thinkstock<br />
Reduktion der Anzahl von Krankenhäusern<br />
und -betten, vor allem in<br />
den Ballungsgebieten, erscheint gerechtfertigt.<br />
Dänemark, wo die Versorgungsqualität<br />
nicht erkennbar<br />
schlechter ist, hat ein Krankenhaus<br />
pro 250 000 Einwohner – Deutschland<br />
hätte dementsprechend nur 330.<br />
Die Krankenhauslandschaft hat<br />
mindestens zwei Probleme:<br />
a) Es besteht eine Unterfinanzierung<br />
in Milliardenhöhe bei Investitionen<br />
durch die Länder. Die Krankenhäuser<br />
erwirtschaften DRG-Gewinne,<br />
um Investitionen zu tätigen oder gar<br />
die Existenz zu sichern. Dafür wurden<br />
die DRG aber nicht gemacht.<br />
b) Auch bei Optimierung der DRG<br />
werden ineffiziente Krankenhäuser<br />
nicht ausscheiden. Viele retten sich<br />
über Fallzahlsteigerungen und Leistungsausweitung.<br />
Das Zuviel kann<br />
dann die Qualität beeinträchtigen.<br />
Wenn ein Krankenhaus zehnmal pro<br />
Jahr Bronchialkarzinome abrechnet,<br />
wird die Qualität nie und nimmer so<br />
gut sein wie in einem zertifizierten<br />
Lungentumorzentrum, das jährlich<br />
300 Primärfälle behandelt.<br />
Letztlich müssen die Gesetze besser<br />
werden. Weniger Krankenhäuser<br />
und Betten bei gleichbleibenden<br />
Rahmenbedingungen (Personal,<br />
Investitionen) würden die verbleibenden<br />
Häuser in eine weniger irrationale<br />
Lage versetzen.<br />
?<br />
Glauben Sie, dass sich die Ökonomisierung<br />
zurückdrehen lässt?<br />
Prof. Suttorp: Ich antworte hierauf<br />
mit der achten These: „Die Gesundheitsversorgung<br />
braucht klare und<br />
verlässliche politische Rahmensetzungen,<br />
innerhalb derer ein Qualitätswettbewerb<br />
stattfinden kann. Es<br />
braucht zusätzlich politischen Mut,<br />
die notwendigen Strukturveränderungen<br />
anzugehen.“<br />
Interview: Cornelia Kolbeck