Mein/4 Juli-August 2017
Stadtteilmagazin Prenzlauer Berg
Stadtteilmagazin Prenzlauer Berg
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Fahrradtouristen auf Gehwegen vor (vermeintlich)<br />
Sehenswertem, da müssen sich dutzende einen<br />
Abstellplatz suchen, müssen Fahrradfahrer auf Autos<br />
genau so aufpassen wie auf Fußgänger, oft wird es<br />
eng, brenzlig und gefährlich. Mehr Radverkehr bringt<br />
auch neue Herausforderungen für die Verkehrswege<br />
und deren Planer.<br />
Nun müssen die Stadt beziehungsweise die Bezirksverwaltungen<br />
ja nicht allein für die oder wegen der<br />
Leihräder-Schwemme und radelnder Besuchergruppen<br />
ihre Radverkehrsplanungen erneuern oder anpassen.<br />
Radfahren boomt in Berlin schon länger, und so laufen<br />
verkehrspolitische Diskussionen bereits seit einigen<br />
Jahren. Der Druck wurde nicht zuletzt durch den breit<br />
unterstützen „Volksentscheid Fahrrad“ erhöht. Und<br />
die aktuelle Regierung aus SPD, Linken und Grünen<br />
(R2G) hat sich in ihrem Koalitionsvertrag explizit zu<br />
konkreten Maßnahmen verpflichtet, etwa die Infrastrukturen<br />
für den Radverkehr zu verbessern. Ob das<br />
häufig projizierte Vorbild Kopenhagen nun tatsächlich<br />
erreichbar ist oder ob die gern orakelten Dystopien<br />
mit Verkehrskollaps und noch mehr Fahrradtoten agitatorisch<br />
übertrieben sind, sei mal dahingestellt. Doch<br />
auch in Prenzlauer Berg ist noch einiges hinsichtlich<br />
Radwegen, Radstraßen, Radtrassen, Radstellplätzen<br />
oder Radservices zu verbessern.<br />
Leihräder werden dabei immer mehr als Teil eines<br />
neuen Mobilitätsverständnisses gesehen. Vielen ist<br />
klar, dass man insbesondere den innerstädtischen<br />
Verkehr von motorisierten Fahrzeugen entlasten und<br />
Umweltbelastungen verringern muss, um letztlich die<br />
Lebensqualität von allen zu verbessern. Dazu gehört<br />
unter anderem, den Verbrauchern das kombinieren<br />
von ÖPNV und Leihfahrzeugen zu vereinfachen,<br />
etwa durch integrierte digitale Services. Selbst als<br />
autofreundlich bekannte Behörden wie das Bundesverkehrsministerium<br />
drängen auf „deutschlandweit<br />
nutzbare Mobilitätsplattformen“ – etwa Services, mit<br />
denen man aus einer einzigen App heraus Fern- und<br />
Nahverkehrstickets ebenso buchen kann, wie Mietautos<br />
und -fahrräder, quer über öffentliche Verkehrsverbünde<br />
und privatwirtschaftliche Anbieter hinweg; der<br />
One-Stop-Mobilitäts-Shop.<br />
Leihräder als ein weiterer Service<br />
von Mobiltätsdienstleistern<br />
Fahrzeughersteller, etwa Daimler mit seiner Tochter<br />
Moovel, sind in dieser Richtung schon als Aggregator<br />
für Verkehrsverbünde aktiv. Sie verstehen sich mehr<br />
und mehr – wie auch Personentransportunternehmen<br />
– als Mobilitätsdienstleister, die ihre Kunden über<br />
viele, auch digitale Services angeln und binden wollen.<br />
Das haben scheinbar auch die bereits erwähnten<br />
chinesischen Leihrad-Newcomer Ofo, Mobike oder<br />
Bluegogo erkannt, die dank kapitalstarker Investoren<br />
wohl bald auf den Berliner Markt expandieren. Deren<br />
ungewöhnlich ausgestatteten Bikes – angeblich mit<br />
wahrhaft unplattbaren Vollgummireifen – sind wohl<br />
robuster und womöglich preiswerter zu mieten, bieten<br />
aber auch navigations- und servicetechnisch mehr. Da<br />
liegt die von amerikanischen Internetgiganten bekannte<br />
Strategie nahe, dass sie die Nutzer über Preis-Leistungs-attraktive<br />
Leihräder an sich binden, deren Daten<br />
aber an „Partner“ veräußern. Die Deutsche Bahn<br />
jedenfalls stellt sich nach eigenen Aussagen auf den<br />
Verdrängungswettbewerb um Leihräder-/Kunden ein.<br />
Doch mehr Wettbewerber heißt bei Leihrädern<br />
zunächst einmal: mehr Räder. Sind Senat und Bezirksverwaltungen<br />
auf die Leihradschwemme eigentlich<br />
vorbereitet? In China sollen mehrere Millionen Räder<br />
der genannten drei Anbieter bereits eine Plage in den<br />
Ballungsräumen sein, weil sie öffentliche Räume über<br />
Gebühr verstopfen. So etwas mag man sich für’s eh<br />
schon enge, dichte Prenzlberg gar nicht vorstellen.<br />
Wenn jetzt schon zu viele Autos die Wege für Fußgänger<br />
eng machen, wo sollen die Leihräder denn<br />
bitteschön noch stehen?<br />
Für mehr Fahrradabstell- und parkplätze sind clevere<br />
Konzepte gefragt. Hierbei sind auch Hausverwaltungen<br />
und Eigentümer, Einzelhandel und Gastronomen,<br />
öffentliche Einrichtungen und Unternehmen gefordert:<br />
um öffentliche wie eingezäunte Räume mit Blick<br />
auf die zunehmende Fahrradnutzung neu zu sehen,<br />
neu zu verplanen.<br />
Womöglich reguliert sich das Leihrad-Phänomen in<br />
Berlin auch ein wenig von selbst: die Stadt scheint ja<br />
eine Art Trainingslager für Diebstahl und Vandalismus<br />
zu sein. Sowohl Lidl/Deutsche Bahn als auch Nextbike<br />
berichten von zählbaren Schäden an ihren Rädern,<br />
die auf blanke Zerstörungswut hindeuten, die Diebstahlquote<br />
sei hingegen gering – noch. Die Anbieter<br />
sehen es als vorübergehendes Phänomen und versuchen<br />
gemeinsam mit der Polizei dagegen zu halten,<br />
indem sie reparieren, registrieren und informieren.<br />
<strong>Mein</strong> Viertel<br />
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