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Copyright © 2016<br />
Berenkamp Buch- und Kunstverlag<br />
www.berenkamp-verlag.at<br />
ISBN 978-3-85093-357-5<br />
Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek<br />
Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />
Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet<br />
über http://dnb.ddb.de abrufbar.<br />
Der Inhalt dieses Buchs ist reine Fantasie. Namen von Personen, Institutionen,<br />
Kliniken, Unternehmen, Kirchen und Orten, die tatsächlich existiert haben<br />
oder noch existieren, beziehen sich nicht auf reale Begebenheiten. Sämtliche<br />
Ereignisse und Zusammenhänge sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit<br />
lebenden oder toten Personen ist reiner Zufall.<br />
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Clemens <strong>Lindner</strong><br />
WaltHer<br />
park<br />
Schlussapplaus<br />
Ein Innsbruck-Krimi<br />
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Inhalt<br />
I. Picknick im Schlosspark 9<br />
II. King Lear Probe 15<br />
III. In der Theaterkantine 25<br />
IV. Das Attentat 35<br />
V. Die Nase 45<br />
VI. Gekündigt! 55<br />
VII. Der Herr Vater 65<br />
VIII. Verwandlung 75<br />
IX. Das graue Heft 85<br />
X. Das blaue Kleid 95<br />
XI. Piccolo Bar 105<br />
XII. Familienbande 115<br />
XIII. Selbstgespräche 125<br />
XIV. Wilde Hoffnungen 135<br />
XV. Die schöne Wally 145<br />
XVI. Ein Mörder 155<br />
XVII. Die Untersuchung 165<br />
XVIII. Mariahilf 175<br />
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daz sach ich unde sage iu daz:<br />
der keinez lebet âne haz.<br />
[Das sah ich und sage Euch folgendes:<br />
Keines von ihnen lebt ohne Feindschaft.]<br />
Walther von der Vogelweide<br />
(um 1170–um 1230)<br />
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8
I<br />
Picknick im Schlosspark<br />
Sie saßen am Teich unter einem Baum mit ausladenden, dicken<br />
Ästen. Der Mond schien auf sie herab. Ein kühler Wind wehte<br />
ihnen um die Ohren. Er reichte ihr die Weinflasche, die er kurz<br />
zuvor entkorkt hatte. Sie trank gierig daraus. Dann gab sie ihm<br />
zärtlich lächelnd die Flasche zurück. Er tat ebenfalls einen kräftigen<br />
Schluck. Der Wein schmeckte bitter.<br />
In der Nähe bellte ein Hund.<br />
Erschrocken schauten beide über den Schlossteich und witterten<br />
die Gefahr. Das Nächste, an das sich Kezman später erinnerte,<br />
war, dass sie sich rasch anzogen und entschieden abzuhauen.<br />
Bestimmt war ein Parkwächter auf seinem Rundgang.<br />
Wie schade, dieses Plätzchen verlassen zu müssen, dachte er<br />
noch – von der Ausgelassenheit auf dem Gras davonzurennen<br />
in die Nacht hinaus.<br />
Wieder hörten sie das bedrohliche Bellen, gefolgt von den Beruhigungsworten<br />
einer männlichen Stimme.<br />
Sie rannten schneller. Er zog Wally mit, die nicht mithalten konnte<br />
und sofort außer Atem war. Ihre Schuhe trug sie in der Hand.<br />
Und da – er sah es genau – tauchte auf der anderen Seite ein<br />
Mann mit einer Taschenlampe auf, der wie sie rannte.<br />
Er sah sie rennen, und da schrie Kezman seine Freundin an,<br />
dass sie von hier fortkommen müssen, egal, was es koste.<br />
„Komm, beeil dich!“<br />
Und die beiden liefen, so schnell sie konnten.<br />
Der Mann mit der Taschenlampe schrie. Sie verstanden ihn<br />
?<br />
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nicht. Es ging ihnen trotzdem durch Mark und Bein. Er kam<br />
bedrohlich näher, den zornigen Schäferhund an der Leine, den<br />
Wind im Rücken. Der Hund lief an seiner Seite, zerrte an der<br />
Leine, die der Mann nicht losließ – noch nicht. Er war noch<br />
ungefähr hundert Meter von den beiden entfernt. In derselben<br />
Entfernung kam ihnen ein zweiter Mann entgegen. Er sprang<br />
über die Büsche.<br />
Sie hatten ihn zuerst nicht gesehen. Ihre Aufmerksamkeit galt<br />
dem anderen Mann mit dem Hund. Die beiden, so schien es,<br />
wollten ihnen den Weg abschneiden.<br />
Kezman hustete.<br />
„Sie schafft es nicht“, denkt er.<br />
„Ich habe Angst, dass der Hund über uns herfällt. Hörst du ihn<br />
bellen?“<br />
Er antwortete: „Keine Angst. Ich passe schon auf dich auf.“<br />
Ihren Pullover hatte sie drüben vergessen, das teure Stück.<br />
„Gleich werden wir dem zweiten in die Arme laufen“, schießt<br />
es ihr durch den Kopf.<br />
Was machte der Mann da?<br />
Er sah nicht wie ein Arbeiter der Parkverwaltung aus. Irgendwie<br />
kam er ihr bekannt vor.<br />
Dann konnte sie nicht mehr weiter. Sie machte sich von ihrem<br />
Begleiter los und blieb stehen. Es wird schon nicht so schlimm<br />
werden, dachte sie. Sie hatten schließlich nichts verbrochen,<br />
waren nur nach der Besuchszeit in den Schlosspark eingedrungen<br />
– ein geringes Vergehen.<br />
Wally beobachtete die Männer, die sie unbehelligt ließen und<br />
sich weiter auf die Fersen ihres Freundes hefteten. Sollen sie einander<br />
doch an den Kragen. Sie war nur müde. Wally erreichte<br />
die Mauer und kletterte darüber.<br />
So entkam sie ins Dunkel der Nacht, weil die zwei Männer sie<br />
nicht verfolgten.<br />
Auch ihr Freund konnte sich in Sicherheit bringen. Er kletterte<br />
an einer anderen Stelle über die Mauer.<br />
Später mussten beide herzlich darüber lachen.<br />
•<br />
Auch ohne diesen Vorfall wäre ihnen jener Tag in Erinnerung<br />
geblieben, weil es ihr erstes Treffen außerhalb des Cafés gewe-<br />
10
sen war. Wallys Mann hatte zum Glück auswärts zu tun gehabt,<br />
und sie hatte Kezman in ihrem Übermut vorgeschlagen, sich im<br />
Schlosspark auf ein Picknick im Mondschein zu treffen. Er hatte<br />
diese Idee ausgezeichnet gefunden.<br />
„Du bist romantisch, Wally!“ Noch nie war er mit einer seiner<br />
Freundinnen bei Nacht dort gewesen. Er hatte Brot besorgt,<br />
Speck und Wein und eine Dose spanische Oliven. Die leere Flasche<br />
und einige Reste vom Fest ließen sie auf ihrer Flucht zurück.<br />
Sie hatten sich bei der Straßenbahn getroffen und waren in<br />
Richtung Schloss gefahren.<br />
Er hatte bei der Station über eine halbe Stunde auf sie gewartet.<br />
Als er sie deswegen zur Rede gestellt hatte, war sie ihm die<br />
Antwort schuldig geblieben.<br />
Sie hatte ihn nur angelächelt.<br />
Wie hätte er ihr da böse sein können? Er war froh gewesen, sie<br />
nach so langer Zeit wiederzusehen. Sie hatte es genau gewusst,<br />
obwohl eigentlich sie es war, die mehr an ihm hing. Eigentlich<br />
machte er sich nichts aus ihr, spielte ihr nur etwas vor. Sie war<br />
eine Frau mehr in seinem Leben, in seiner Sammlung. Sobald es<br />
ernst wurde, würde er verschwinden.<br />
Ehe oder Trinkeranstalt?<br />
Dann schon lieber Trinkeranstalt.<br />
•<br />
In der Straßenbahn saßen sie auf einem der hinteren Plätze. Sie<br />
küssten sich lange, während die Landschaft an ihnen vorüberzog.<br />
Kezmann schob ihr seine rechte Hand unter den Rock. Eine<br />
Frau schaute sie die ganze Zeit mit bösen Blicken an. Ein Kind<br />
heulte in der Nähe. Seine Mutter machte keine Anstalten, es zu<br />
beruhigen.<br />
Kezman war glücklich. Er wiederholte immer wieder ihren Namen.<br />
„Wally, du bist wunderbar! Weiß dein Mann überhaupt,<br />
was er an dir hat?“<br />
Die Straßenbahn rumpelte in Richtung Stadt zurück. Eine halbe<br />
Stunde später saßen beide im Schlosspark beim Ententeich.<br />
Wally zog ihre Schuhe aus. Kezman entkorkte die Flasche und<br />
reichte sie ihr. Er dachte, was er doch für ein Glückspilz war. Er<br />
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spürte die Wärme ihres Körpers und erinnerte sich an ihr erstes<br />
Treffen im verrauchten Café.<br />
Es musste immer alles schnell gehen.<br />
Vielleicht blieb deshalb alles noch tiefer in ihm haften.<br />
Ihr Geruch, die zarte braungebrannte Haut, ihre ruhige, tiefe<br />
Stimme und die blauen Augen, in die er eintauchte wie in einen<br />
wunderbaren Traum.<br />
Sie redeten über die Schönheit des Schlosses und die Barockkonzerte,<br />
die im Sommer hier veranstaltet wurden.<br />
„Warst du schon einmal dort?“<br />
„Nein, eine Freundin hat es mir erzählt“, sagte sie.<br />
Im Abendwind wurde es bald empfindlich kalt.<br />
Der Wein wärmte sie nicht auf.<br />
Trotzdem war das hier einer der schönsten Plätze, den man in<br />
der Stadt finden konnte.<br />
Kezman liebte die zurechtgestutzten Büsche, die Kastanienbäume<br />
und die Steinskulpturen, die im Park verstreut aufgestellt<br />
waren.<br />
Es war hier auch unheimlich. Er erinnerte sich an die Geschichte,<br />
wie ein junger Mann sein Kind im Schlosspark ermordet und<br />
der Polizei bei der Suche nach dem angeblich vermissten Kind<br />
geholfen hatte.<br />
Als Kind hatte er hier oft mit seiner Mutter gespielt.<br />
Wie sie so dasaßen, erzählte er Wally von den Proben im Theater,<br />
seinen Erfolgen und vom unerschöpflichen Genie Shakespeares.<br />
Davon verstand er schließlich etwas.<br />
Wally kannte die Stücke nicht. Sie hatte nur den Film „Shakespeare<br />
in Love“ mit Gwyneth Paltrow gesehen. Nach dem Film<br />
hatte sie geheult.<br />
War es möglich, dass sie mehr empfand als er?<br />
Sie war Wirtin und ging nie ins Theater.<br />
Kezman erzählte ihr den Inhalt der Stücke.<br />
Sie hörte ihm dann aufmerksam zu.<br />
„Wir proben gerade King Lear“, sagte er aufgeregt.<br />
Er bot ihr eine Eintrittskarte für eine Vorstellung an, die sie<br />
kopfschüttelnd ablehnte.<br />
Sie hatte einfach keine Zeit.<br />
Es reichte, wenn er ihr erzählte, worum es im Stück ging.<br />
„Kinder sind undankbar“, sagte sie zum Schluss. „Und der<br />
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Narr?“<br />
„Verschwindet einfach.“<br />
Wie er sie in diesem Augenblick liebte. Er nahm sie in die Arme<br />
und küsste sie. Er spürte die Brustwarzen durch ihre Bluse.<br />
Sie wollte mehr über das Theater wissen. Sie interessierte sich<br />
für seine Arbeit, obwohl sie noch nie eine Vorstellung besucht<br />
hatte.<br />
Warum wollte sie ihn eigentlich nicht auf der Bühne sehen?<br />
Da unterbrach sie das Bellen eines Hundes.<br />
Wally ließ die Weinflasche ins Gras fallen.<br />
Sie wollten doch nur ein Picknick machen, sich lieben und sich<br />
vom Mond anscheinen lassen.<br />
•<br />
Nach ihrer überstürzten Flucht trafen sie sich wieder bei der<br />
Haltestelle.<br />
Sie sprachen kein Wort und warteten Arm in Arm auf die Straßenbahn.<br />
Bald wackelte eine Zugsgarnitur heran.<br />
Sie lösten zwei Fahrscheine und stiegen ein.<br />
Sie waren die einzigen Insassen.<br />
Als sich Wally umdrehte, sah sie allerdings noch einen Mann. Er<br />
trug eine schwarze Wollmütze und eine dicke Seemannsjacke.<br />
Wally schaute ihn nur flüchtig an und drückte ihren Körper an<br />
Kezman.<br />
In ihr Grübeln brach plötzlich ein dumpfer Knall. Die Straßenbahn<br />
bremste. Sie wurden nach vorn geschleudert.<br />
Kezman schaute aus dem Fenster, um festzustellen, was geschehen<br />
war. Er sah einen jungen Mann am Boden liegen, das<br />
Fahrrad daneben.<br />
Wally und Kezman rannten vor zum Schaffner. Er öffnete die<br />
Tür und kam hinter ihnen nach.<br />
Vor ihnen lag der Junge und rührte sich nicht. Blut kam aus<br />
seinem Ohr.<br />
Wally fing an zu weinen.<br />
Inzwischen war der Mann mit der Strickmütze auch ausgestiegen.<br />
Sie wusste immer noch nicht, ob sie Kezman von ihm erzählen<br />
sollte. Dann schaute sie wieder auf den Jungen am Boden.<br />
Sie hatte noch nie etwas so Schreckliches gesehen.<br />
13
•<br />
Kurz vor Mitternacht waren sie zurück und saßen in Kezmans<br />
Wohnung.<br />
Wally war heute das erste Mal hier.<br />
Er ging zum Kühlschrank und holte eine Flasche heraus.<br />
Wally saß am Sofa und sah ihm dabei zu.<br />
Er schenkte Wein in zwei Gläser und prostete ihr zu.<br />
„Jetzt sind wir endlich ungestört.“<br />
Beide hatten nach dem Unfall nicht allzu viel gesprochen.<br />
Sie waren todmüde.<br />
Das Ereignis lief immer wieder in ihrem Inneren ab. Der Fahrradfahrer,<br />
der am Boden gelegen hatte, das kaputte Fahrrad<br />
neben sich. Der Straßenbahnfahrer, der alle Schuld von sich gewiesen<br />
hatte, als er von einem Polizisten einvernommen worden<br />
war.<br />
Wally und ihr Freund waren sich sicher, dass der Radfahrer inzwischen<br />
verstorben war. Zu schwer waren wohl seine Verletzungen.<br />
Sie würden es übermorgen in der Zeitung lesen und<br />
daran denken, dass sie Augenzeugen waren.<br />
Wally erzählte immer wieder Kezman ihre Sicht des Unfalls.<br />
Alles war so schnell gegangen, und wie sie beide gleich ausgestiegen<br />
waren, um zu helfen, und genau wussten, dass nicht<br />
mehr zu helfen war.<br />
Kezman hatte verzweifelt versucht, den jungen Mann wiederzubeleben.<br />
Die Minuten schienen nicht zu vergehen. Beide<br />
machten sich Vorwürfe, dass sie nicht mehr für ihn hatten tun<br />
können.<br />
Wally sagte, dass sie viel Blut aus seinem Ohr rinnen gesehen<br />
hatte. Und da hatte sie gleich gewusst, dass es schlimm um ihn<br />
stand.<br />
Sie hatten gemeinsam auf das Eintreffen der Polizei und der<br />
Rettung gewartet.<br />
Der Fahrer stand auch da, kreidebleich, immer und immer wieder<br />
seine Unschuld beteuernd. Er stand offensichtlich unter<br />
Schock.<br />
•<br />
14
Kezman schenkte nach.<br />
Wally wollte keinen Wein mehr.<br />
Sie stellte sich vor, wie der Bestatter den Toten der Familie übergeben<br />
hatte, und ihr wurde übel. Endlich war ihr Mann für zwei<br />
Tage fort, und dann das.<br />
„Der Mann mit der Strickmütze hat sich gleich aus dem Staub<br />
gemacht“, sagte Kezman.<br />
„Du hast ihn also auch gesehen?“<br />
Wally erzählte, dass der Mann mit der Wollmütze sich ihr im<br />
Park genähert hatte.<br />
„Er war im Park. Weißt du, wer es sein könnte?“<br />
„Ich habe keine Ahnung.“<br />
„Muss ich Angst haben?“<br />
„Ich bin doch bei dir. Reg dich nicht auf. Das macht alles nur<br />
schlimmer.“<br />
Dann nahm sie Kezmans Hand. „Er wusste über uns Bescheid<br />
und kannte meinen Namen.“<br />
Sie hatte vergessen, dass sie dem Mann schon einmal begegnet<br />
war. Er hatte gesehen, wie sie eine Schüssel mit warmer Milch<br />
vor das Kaffeehaus gestellt hatte. Er war stehengeblieben und<br />
hatte sie dabei angesehen.<br />
Sie hatte ihn freundlich angelächelt und gesagt: „Die Milch ist<br />
für eine Streunerkatze, die am Adolf-Pichler-Platz lebt. Das Tier<br />
ist nicht zutraulich, aber die Milch trinkt sie gern.“<br />
Wie selig der Unbekannte da gewesen war. Ein Mensch, der<br />
Katzen liebt, kann kein schlechter Mensch sein, hatte er gedacht.<br />
Die Stimmung vor dem Kaffeehaus hatte ihn völlig erfasst.<br />
Und sie hatte sich abgewandt, als sei es ihr unangenehm, und<br />
war zurück ins Lokal gegangen, nicht ohne ihm vorher einen<br />
schönen Tag gewünscht zu haben.<br />
Dass sie ihn angelächelt und von sich aus angesprochen hatte,<br />
bildete das Fundament, auf dem er die kühnsten Luftschlösser<br />
errichtete.<br />
Doch das alles wusste sie nicht. Sie dachte nicht weiter an den<br />
Vorfall. Es geschieht oft ohne Absicht oder eigenes Zutun, was<br />
man bei einem Menschen auslöst.<br />
Als sie ihn auf den Eingangsstufen des Kaffeehauses angelächelt<br />
hatte, hätte er am liebsten ausgerufen: „Ich möchte hier<br />
bleiben und gar nicht mehr weggehen!“<br />
15
•<br />
Wally trug ein schwarzes ärmelloses Minikleid, und die Sonne<br />
schien auf ihre braungebrannten Arme und Beine. Das lange,<br />
dunkle Haar war zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.<br />
„Komm schon her und vergiss es“, sagte Kezman.<br />
Wally entzog sich dem Kuss. „Wenn er uns gefolgt ist, weiß er<br />
nun, wo ich wohne.“<br />
Kezman beruhigte sie, und da musste sie wieder lachen.<br />
Sie schloss ihre Augen und er küsste ihre Brüste durch die Bluse<br />
hindurch. Sie ließ es geschehen. Sie war woanders. Wally fühlte<br />
sich, als ob sie jemanden aus ihrer eigenen Familie verloren<br />
hätte.<br />
Sie erzählte Kezman, dass auch ihr Neffe auf dem Heimweg<br />
von der Schule von einem Auto angefahren und schwer verletzt<br />
worden war. Sie hatte den Sohn ihrer Schwester im Krankenhaus<br />
besucht. Er war auch dort gestorben. Nie hatte sie einen<br />
Verlust tiefer empfunden. Und obwohl sie selbst keine Kinder<br />
hatte, fühlte sie mit ihrer Schwester mit. Sie teilte den unendlichen<br />
Schmerz mit ihr. Sie wollte immer an ihrer Seite sein. Wally<br />
sah in dem Fahrradfahrer ihren verstorbenen Neffen. Beide<br />
starben so früh und hatten kaum etwas von ihrem Leben gehabt.<br />
„Und doch ist der Straßenbahnfahrer schuld! Er hat einfach<br />
beim Abbiegen nicht aufgepasst.“<br />
Kezman nickte zustimmend.<br />
„Schicksal! Was wir tun konnten, haben wir getan.“<br />
„Wir haben einen schrecklichen Unfall gesehen und nicht eingreifen<br />
oder ihn verhindern können.“<br />
Als er sie später ins Schlafzimmer führte, sagte er: „Du musst<br />
heute nicht, wenn du keine Lust hast.“<br />
•<br />
Sie lagen nebeneinander im Bett.<br />
Kezman erzählte ihr von seinem ersten Auftritt auf einer Bühne,<br />
wie aufgeregt er gewesen war, sodass er beinahe den Text<br />
vergessen hatte. Es war immer seine größte Sorge gewesen, irgendwann<br />
einmal seinen Text zu vergessen.<br />
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Sie unterhielten sich noch lange.<br />
Plötzlich läutete das Telefon.<br />
Wally erinnerte sich genau, was der Mann in der Leitung sagte.<br />
„Ich beobachte euch. Sagen Sie Kezman einen schönen Gruß<br />
von mir.“<br />
Sie kannte die Stimme nicht und legte auf.<br />
„Wer war es? Dein Mann?“<br />
Kezman hatte das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmte.<br />
„Jemand hat sich verwählt.“<br />
„Komm zurück ins Bett!“<br />
Wally zog vorsichtshalber den Stecker aus dem Telefon.<br />
Sie schliefen dann doch noch miteinander.<br />
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