Kolozs, Komm, Kind, iss! 2022 Leseprobe
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Martin <strong>Kolozs</strong><br />
„ <strong>Komm</strong>,<br />
<strong>Kind</strong>,<br />
Nächstenliebe und<br />
soziales Engagement<br />
des Kooperators<br />
Josef Lambichler<br />
zu Hall in Tirol<br />
„ <strong>Komm</strong>,<br />
<strong>Kind</strong>,<br />
Biografie<br />
und Dokumentation<br />
1
Alle Rechte vorbehalten<br />
© <strong>2022</strong>, Berenkamp<br />
Wattens<br />
www.berenkamp.at<br />
ISBN 978-3-85093-428-2<br />
Ein biografisches Forschungsprojekt<br />
im Auftrag der Marianischen Kongregation – Hall,<br />
finanziert über eine Buchpatenschaft von Claudia und Dr. Ludwig Spötl<br />
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung<br />
Land Tirol, Kulturabteilung<br />
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen<br />
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet<br />
über http://dnb.d-nb.de abrufbar.<br />
2
Martin <strong>Kolozs</strong><br />
„ <strong>Komm</strong>,<br />
<strong>Kind</strong>,<br />
Nächstenliebe und<br />
soziales Engagement<br />
des Kooperators<br />
Josef Lambichler<br />
zu Hall in Tirol<br />
Biografie<br />
und Dokumentation<br />
3
„Die Moral einer Gesellschaft<br />
zeigt sich in dem,<br />
was sie für ihre <strong>Kind</strong>er tut.“<br />
Dietrich Bonhoeffer<br />
„Wahre Religion besteht<br />
nicht nur in Worten, man muss<br />
sie in die Tat umsetzen.“<br />
Don Giovanni Bosco<br />
4
Inhalt<br />
7<br />
9<br />
11<br />
19<br />
33<br />
51<br />
61<br />
71<br />
79<br />
85<br />
86<br />
86<br />
94<br />
97<br />
97<br />
Vorwort des Herausgebers<br />
Einführung „Das Werk des Heiligen ist in erster Linie sein Leben.“<br />
1883 bis 1904:<br />
„Tatsächlich war er einstens ein lebfrischer Bursch.“<br />
1904 bis 1920:<br />
„Ich sehe in jedem <strong>Kind</strong>e Jesus.“<br />
1920 bis 1938:<br />
„Zuerst schenkte er alles her, was er hatte, und dann ging er betteln.“<br />
1938 bis 1945:<br />
„Gestern habt ihr noch sein Brot gegessen, heute kennt ihr ihn nicht mehr.“<br />
1945 bis 1953:<br />
„Diener der Nächstenliebe“<br />
1953 bis 1956/1978:<br />
„Der Herrgott hat zum ersten Mal geläutet.“<br />
1956 bis heute:<br />
„Josef Lambichler – der Sozialapostel von Hall“<br />
Nachwort und Dank des Verfassers<br />
Anhang<br />
Lebenslauf und Zeittafel<br />
Quellenverzeichnis<br />
Bildnachweis<br />
Anmerkungen<br />
5
„Nicht vor Menschen,<br />
sondern vor Gott<br />
für die Menschen<br />
wollen wir arbeiten.“<br />
Kooperator Josef Lambichler<br />
6
Vorwort<br />
„Denn ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war durstig, und<br />
ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos, und ihr habt<br />
mich aufgenommen; ich war nackt, und ihr habt mir Kleidung gegeben; ich war<br />
krank, und ihr habt mich besucht; ich war im Gefängnis, und ihr seid zu mir gekommen.“<br />
(Mt 25,35-36)<br />
Der 16. April 1978 war ein denkwürdiger Tag in der Geschichte der Stadt Hall in<br />
Tirol. An diesem Sonntagnachmittag war die „ganze Stadt auf den Beinen“. Eigentlich<br />
wäre es nur das alljährlich wiederkehrende Hauptfest der „Marianischen<br />
Kongregation der Herren und Bürger zu Hall in Tirol“ gewesen, die in diesem<br />
Jahr ihr 400-jähriges Gründungsjubiläum feierte. Das Interesse der Menschen<br />
galt aber vielmehr dem zweiundzwanzig Jahre zuvor verstorbenen Präses (= geistlichen<br />
Leiter) dieser Marianischen Kongregation, Kooperator Josef Lambichler.<br />
Das Jubelfest der MK war der passende und würdige Rahmen, in dem die sterbliche<br />
Hülle Josef Lambichlers nach langem Warten endlich in der Stadt Hall seine<br />
letzte Ruhestätte fand. Lambichler wurde aber nicht in der Priestergruft am städtischen<br />
Friedhof beigesetzt, sondern erhielt die ehrenvollste Grablege, die Hall zu<br />
bieten hat: die Gruft der Ritter-Waldauf-Kapelle in der Pfarrkirche St. Nikolaus.<br />
7
Wie kommt es, dass einem einfachen Priester so viel Ehre von Seiten der offiziellen<br />
Institutionen wie Kirche und Politik erwiesen wurde, vor allem aber eine so große<br />
Dankbarkeit vom „normalen“ Volk zwei Jahrzehnte nach seinem Tod entgegengebracht<br />
wurde? Warum wurden der Jugendhort in der Stadt und das <strong>Kind</strong>erferienhaus<br />
am Tulferberg mit seinem Namen ausgezeichnet? Wieso konnte es gelingen,<br />
dass über sechzig Jahre nach seinem Tod durch großzügige Spenden aus der Bevölkerung<br />
und den Vereinen drei Denkmäler (Bronzerelief im Altstadtpark, Marmortafel<br />
in der Jesuitenkirche und Marterl im Voldertal) angeschafft wurden? Warum<br />
treffen sich noch immer am Sankt-Anna-Tag, dem Tag seiner Priesterweihe,<br />
inzwischen ergraute Damen und Herren, die als <strong>Kind</strong>er unter der Fürsorge Lambichlers<br />
standen?<br />
Josef Lambichler war in den schweren Zeiten der Not in der Zwischenkriegszeit,<br />
der NS-Diktatur und in der Nachkriegszeit als Seelsorger in Hall tätig. Er<br />
hat sich in selbstloser Art den Alten, Kranken, Notleidenden und besonders den<br />
<strong>Kind</strong>ern und Jugendlichen gewidmet. Diese <strong>Kind</strong>er und Jugendlichen von damals<br />
sind heute die letzten Zeitzeugen von Lambichler mit ihren ganz persönlichen<br />
Erinnerungen. Damit aber die allgemeine Erinnerung auch für die Zukunft gewahrt<br />
bleibt, wurde nun diese Biografie als Forschungsprojekt von der MK in<br />
Auftrag gegeben. Mit Herrn Martin <strong>Kolozs</strong> ist es gelungen, einen akribischen<br />
W<strong>iss</strong>enschaftler mit schriftstellerischer Begabung für die Lebensbeschreibung<br />
Josef Lambichlers zu gewinnen. Das vorliegende Werk ist ein Dokument österreichischer<br />
Zeitgeschichte und soll das Leben und Wirken von Kooperator Josef<br />
Lambichler einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.<br />
Der Konsult der Marianischen<br />
Kongregation mit der Sektion<br />
„Partisaner Garde“ zu Hall i. T.<br />
(Herausgeber)<br />
8
Einführung<br />
„DAS WERK DES HEILIGEN IST IN ERSTER LINIE SEIN LEBEN“ 1<br />
Die Erinnerung an Kooperator Josef Lambichler ist in Hall in Tirol nach wie<br />
vor lebendig, allerdings nur so lebendig wie manche alte Tradition, die von einer<br />
Generation zur nächsten weitergegeben und beharrlich gepflegt, aber überdies<br />
nicht vollkommen verstanden wird, weil ihr Ursprung in einer Vergangenheit<br />
liegt, die mit uns und der Zeit, in welcher wir leben, kaum noch etwas zu tun hat.<br />
Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass man sich vielfach zwar der Anekdoten<br />
und des Legendenhaften erinnert, aber wenig über die realen Tatsachen<br />
und konkreten Umstände weiß, 2 die das Leben eines Menschen, der aufrichtig<br />
und andauernd als „Heiliger“ 3 bezeichnet und verehrt wurde, bestimmt haben,<br />
obwohl gerade diese verlässlichen Angaben seine persönliche Entwicklung beziehungsweise<br />
seinen religiös-seelischen Werdeprozess nachvollziehbar und dadurch<br />
– sowohl im Weltgeschehen als auch im Plan Gottes – einordbar machen.<br />
Dem gegenüber bemerkte jedoch der Schweizer Theologe und Hagiograf Walter<br />
Nigg (1903–1988) in seinem lehrreichen Traktat über „Die Erscheinung des<br />
Heiligen“ 4 , dass die moderne Heiligendarstellung nicht gewöhnlicher Geschichtsschreibung<br />
gleichgesetzt werden darf, sondern neben dem Faktischen auch Raum<br />
für das Glaubliche und Unglaubliche lassen müsse, im Sinn eines religiösen Realismus,<br />
der die positiven Leistungen in seiner Darstellung nicht übertreibt, die<br />
9
Mängel eines heiligmäßigen Lebens nicht unterschlägt und die poetisch-lyrischen<br />
Anklänge in den Erzählungen über dieses und jenes nicht verstummen lässt, sondern<br />
mit kritischer Methode beides zu verbinden und – falls notwendig – auszusöhnen<br />
imstande ist.<br />
Es ist somit Aufgabe und Ziel dieses Buches, Kooperator Josef Lambichler als<br />
gleichsam fassbaren Menschen wie als (regionales) Phänomen darzustellen – ohne<br />
Übertreibung oder Zensur seines Wesens und Wirkens, sondern im Spiegel und<br />
Kolorit seiner Zeit, welche voller Entbehrungen und Herausforderungen war, um<br />
diesen dynamischen „Jugendseelsorger“, „Bettelpriester“ und „Apostel der Nächstenliebe“<br />
einerseits durch ein bleibendes Gedenken zu ehren, andererseits, um<br />
ihn als „modernen Heiligen“ vorzustellen, der sich vielleicht dem traditionellen<br />
Schema und Begriff von „Heiligkeit“ entzieht, aber deshalb umso deutlicher erkennen<br />
lässt, dass das Göttliche nicht nur in längst vergangenen Zeiten Gestalt<br />
angenommen hat, 5 sondern im unmittelbaren Hier und Jetzt existiert und wirkt,<br />
durch (diesen einen) Menschen seiner Berufung.<br />
6<br />
„<strong>Komm</strong>, <strong>Kind</strong>, <strong>iss</strong>!“<br />
Kooperator Josef Lambichler (1883–1956)<br />
10
1883 bis 1904<br />
TATSÄCHLICH WAR ER EINSTENS EIN LEBFRISCHER BURSCH<br />
Heimat ist dort, wo das Herz zu Hause ist; wäre es anders, und würde zum<br />
Beispiel der Geburtsort darüber entscheiden, wohin ein Mensch zu rechnen ist,<br />
dann wäre Josef Lambichler ein Sohn der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien,<br />
wo er am 9. Oktober 1883 im Bezirk Meidling geboren wurde. 7 Seine Eltern standen<br />
damals im sechsten Jahr ihrer Ehe, die sie am 26. November 1877 in Hall in<br />
Tirol geschlossen hatten. Dort war Josef Lambichler sen. (1839–1887) zuvor als Offizier<br />
der kaiserlich-königlichen Landwehr bzw. der k.-k. Landschützen – damals<br />
im Rang eines Oberleutnants; später befördert zum Hauptmann – stationiert,<br />
und hatte sich in die rund siebzehn Jahre jüngere<br />
Wirtshausbetreiber- und Weinhändlertochter<br />
Aloisia Amort (1856–1945) verliebt. 8 Leider w<strong>iss</strong>en<br />
wir über den Beginn und Verlauf dieser Beziehung<br />
nichts Genaues, dürfen aber wohl annehmen, dass<br />
es beim Besuch des Gasthofs „Zu den drei Lilien“,<br />
der sich damals im Besitz der Familie Amort-Siegwein<br />
befand, zur Begegnung und in der Folge zum<br />
besseren Kennenlernen der beiden gekommen war,<br />
und dass sich die junge Frau später dazu bereit erklärt<br />
hatte, ihrem Ehemann auf die wechselnden<br />
Posten seiner militärischen Laufbahn zu folgen. So Josef Lambichler (Vater)<br />
11
kamen auch ihre beiden anderen <strong>Kind</strong>er, der ältere Sohn Alois (1878–1967) und<br />
Tochter Maria (1885–1968), 9 an unterschiedlichen Orten – Bozen und Imst – zur<br />
Welt, während der Zweitgeborene Josef jun., wie bereits erwähnt, in Wien-Meidling<br />
geboren und ebendort am 13. Oktober 1883 durch den Augustiner Chorherr<br />
Pater Albin Bach (1843–1899) getauft wurde. 10<br />
Über die ersten <strong>Kind</strong>heitsjahre von Josef Lambichler jun. ist dokumentarisch<br />
nichts verbürgt, auch w<strong>iss</strong>en wir nur wenig über das innerste Familienleben usw.<br />
Allerdings gibt es konkrete Hinweise darauf, dass Glaube und religiöse Praxis seit<br />
jeher entscheidende Faktoren in der Erziehung und im Alltag waren und insbesondere<br />
das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe verinnerlicht und ernst<br />
genommen wurde. 11 Dieses ebenso hoffnungs- wie vertrauensvolle Fundament im<br />
katholischen Christentum konnte auch nicht durch den jähen Tod des Vaters am<br />
16. Oktober 1887 in Imst 12 erschüttert werden, es stärkte vielmehr den emotionalen<br />
wie tatsächlichen Zusammenhalt der vier Hinterbliebenen, deren Jüngste erst<br />
zweieinhalb Jahre zählte.<br />
Im Anschluss an diesen harten Schicksalsschlag übersiedelte Aloisia Lambichler,<br />
die nun eine bescheidene Witwenpension bezog und diese durch verschiedene<br />
Handarbeiten und die Übernahme von Koststudenten aufbesserte, mit ihren<br />
<strong>Kind</strong>ern zurück nach Hall in Tirol. Dort konnte sie sowohl auf die Unterstützung<br />
ihrer Verwandtschaft zählen als auch Trost und Ablenkung in der vertrauten Umgebung<br />
der einstigen Salinenstadt finden. Ihre Wohnung befand sich im zweiten<br />
Stock des Hauses Nummer 25 der Bachgasse – heute: Erzherzog-Eugen-Straße 4<br />
–, zu dem uns eine annähernd zeitgenössische Beschreibung vorliegt: „Den ersten<br />
Stock schmückt eine geräumige altdeutsche Stube, deren Decke aus geschnitzten,<br />
mit gotischen Zieraten versehenen Balken besteht. Das Haus war ursprünglich<br />
zweistöckig, im Jahre 1880 wurde aber ein dritter Stock aufgebaut. Das ganze<br />
Haus ruht auf mächtigen Steinsäulen, die mit Gewölben verbunden sind; gegen<br />
die Südseite hin sind zur Stütze des Gebäudes noch überdies starke Steinpfeiler<br />
angebracht.“ 13<br />
12
Schüler Josef Lambichler, 1892 (1. Reihe, 5. v. links)<br />
Von dort aus war es nur ein kurzer Fußweg bis zur Knabenvolksschule in der<br />
Schulgasse – heute: Volksschule am Stiftsplatz –, die der junge Josef Lambichler<br />
von Herbst 1890 bis Sommer 1894 besuchte 14 und wo er von Kooperator und Katechet<br />
Johann Sponring (1863–1969) unterrichtet und auf die Erstkommunion 15<br />
vorbereitet wurde. Dieser erinnerte sich im Rückblick auf seinen ehemaligen<br />
Schüler an einen äußerst lebhaften und intelligenten Buben, dem es weder an<br />
Übermut und Witz in der Freizeit noch an Aufmerksamkeit und Gehorsam während<br />
des Unterrichts fehlte und dessen ganzes Wesen trotz zahlreicher Streiche<br />
und mancher, teils gefährlicher Rauferei gut geartet und vielversprechend war. 16<br />
Im Hinblick auf Josef Lambichlers priesterliche Berufung als Jugendseelsorger,<br />
aber vor allem unter Berücksichtigung seines frommen und vorbildlichen<br />
Lebenswandels als Erwachsener sind solche Aussagen jedenfalls eingehender zu<br />
untersuchen, da sie und ihre Rede vom „wilden Rangen“, der über Tische und<br />
Bänke sprang, dass der Boden zitterte, und der gemeinsam mit seinem Bruder<br />
die jüngere Schwester plagte, „dass es mir selbst noch leid tut“ 17 , nicht mit der<br />
13
herkömmlichen Vorstellung eines (potenziellen) Heiligen zusammenpasst, die<br />
normalerweise ja davon ausgeht, dass nicht der Hauch von Schlechtigkeit oder<br />
gar Boshaftigkeit einer von Gott auserwählten Seele anhaftet – und das von Geburt<br />
an.<br />
Dagegen steht die hier vertretene Auffassung von Walter Nigg, der dazu ausführlich<br />
schrieb: „Der Ausnahmecharakter des Heiligen wird gewöhnlich in seiner<br />
sittlichen Reinheit gesehen. Die traditionelle Heiligenbiografie liebe es, ihre<br />
Helden von Jugend an als Ausbund von Tugendhaftigkeit auszugeben; als Menschen,<br />
die für die Lockungen der Welt nie auch nur das geringste Gehör übrig<br />
hatten. Mit dieser Betonung des ethischen Moments wird der Akzent auf die falsche<br />
Stelle gelegt. Die großen Heiligen haben nichts von dem unwahrscheinlichen<br />
Anstrich von Idealmenschen an sich. Das Leben zahlreicher Heiliger zeigt, dass<br />
auch sie zuerst den Weg der Sünde gingen und sich durch schwere Kämpfe daraus<br />
befreien mussten. […] Die Überwindung der niederen Sphäre gehört freilich zum<br />
Wesen des Heiligen. Ein hervorragender Mensch, der jedoch nie über seine Fehler<br />
hinausgekommen ist, kann nicht als Heiliger angesprochen werden. Trotzdem<br />
bedeutet Tugendhaftigkeit nicht dasselbe wie Heiligkeit, und es ist ein M<strong>iss</strong>verständnis,<br />
wenn man im Heiligen vor allem den moralischen Menschen sieht. […]<br />
Der Heilige muss in erster Linie als religiöser Mensch aufgefasst werden. […] Der<br />
Heilige ist der religiös begabte Mensch, auf diese Formel kann zunächst einmal<br />
sein Wesen gebracht werden. […] Die religiöse Begabung des Heiligen wirkt sich<br />
in seinem unermüdlichen Streben nach Vollkommenheit aus. […] Es gab Heilige,<br />
denen die Heiligkeit gleichsam schon in die Wiege gelegt worden war. Die große<br />
Mehrzahl von ihnen jedoch musste um dieselbe mit zäher Ausdauer ringen, bis<br />
sie ihnen zuteilwurde. Heiligung ist immer ein religiös-seelischer Prozess, der in<br />
diesem Leben keinen Abschluss findet.“ 18<br />
So betrachtet sind die meisten in der <strong>Kind</strong>heit und Jugend begangenen lässlichen<br />
Sünden bzw. Verfehlungen eines Menschen nicht letztbestimmende Hindern<strong>iss</strong>e<br />
auf dem Weg zur (Selbst-)Heiligung, sondern können durch ihre nachfolgende,<br />
ernst gemeinte Überwindung bzw. Läuterung im späteren Leben sogar<br />
14
zu tragenden Sprossen auf der Himmelsleiter werden. Mit anderen Worten: Das<br />
natürliche Temperament des <strong>Kind</strong>es Josef Lambichler, sein manchmal auftretender<br />
Ungehorsam gegenüber der Mutter, seine Streitigkeiten mit Geschwistern<br />
und Spielkameraden, sein Balgen, Schreien und Wüten etc. stehen nicht unbedingt<br />
im Gegensatz zu seinem Ruf als heiligmäßiger Priester, sondern können<br />
richtig interpretiert auch als grundlegend – gottgewollt? – für seine seelsorgerische<br />
Tätigkeit verstanden werden: „Wer den verewigten Herrn Kooperator nur<br />
in seinen letzten Jahren gekannt hat, wird sich kaum vorstellen können, dass er<br />
auch einmal jung gewesen ist. Tatsächlich war er einstens ein lebfrischer Bursch.<br />
Niemals wäre er ein richtiger Jugendseelsorger geworden, erfahren in dem, was<br />
jungen Leuten Freude macht, voll Nachsicht für lustige Streiche, wäre er nicht<br />
selbst einmal ein richtiger Bub gewesen.“ 19<br />
In demselben wechselhaften Licht kann und sollte auch die gesamte Gymnasialzeit<br />
von Josef Lambichler gesehen werden, der sich mehr oder weniger durch<br />
alle Fächer und Jahre bis zur Matura quälte. Seine Zeugn<strong>iss</strong>e von 1895 bis 1904<br />
geben kaum eine Erfolgsmeldung wieder, sondern lauten großteils auf negative<br />
Maturant Josef Lambichler, 1904 (2. Reihe, 5. v. rechts)<br />
15
Beurteilungen. 20 So absolvierte er die erste Klasse gleich dreimal – 1894/95 und<br />
1895/96 am Franziskanergymnasium in Hall in Tirol und 1896/97 am Benediktinergymnasium<br />
in Meran – und verlor aufgrund seiner schlechten Leistungen<br />
beinahe das Studienstipendium der Erzherzog Rainer Stiftung, das er zwischen<br />
1896 und 1903 mit jährlich 400 Kronen bezog: 21 „Über dessen Würdigkeit wird<br />
nachgefragt.“ 22 – Dennoch unterstützte Aloisia Lambichler ihren jüngsten Sohn<br />
bei seinem Wunsch, Priester werden zu wollen, 23 weiterhin, obwohl das kleine<br />
Familieneinkommen nur wenig Spielraum für M<strong>iss</strong>erfolge zuließ, und schaffte<br />
es mit viel Mühe und Fleiß sowie Gottvertrauen, dass auch ihre beiden anderen<br />
<strong>Kind</strong>er zu einer guten Ausbildung kamen. 24<br />
In diesem Zusammenhang wird in der Quellenliteratur mehrfach auf die<br />
schwache Gesundheit des jungen Josef Lambichler hingewiesen und diese als Begründung<br />
für sein schlechtes, schulisches Abschneiden genannt; genauer gesagt,<br />
soll ein Herzklappenfehler 25 seine Leistungsfähigkeit gebremst und somit zu seiner<br />
unterdurchschnittlichen, akademischen Bilanz beigetragen haben. Medizinisch<br />
gesehen läge dies zwar im Bereich des Möglichen, 26 jedoch sprechen zwei<br />
belegbare Umstände gegen diese Annahme oder ziehen sie wenigstens ernsthaft<br />
in Zweifel: Erstens war bei Josef Lambichler nichts von einer auffälligen, körperlichen<br />
Beeinträchtigung zu bemerken. Ganz im Gegenteil wird er von seinen<br />
Zeitgenossen als wilder, lebhafter Bub beschrieben, der es manchmal „mit seinen<br />
Spielgefährten gar zu arg trieb“ 27 , und war außerdem „Sängerknabe am Kirchenchor<br />
der Haller Franziskanerkirche“ 28 , was mit einer derart kränklichen Konstitution<br />
kaum zu schaffen gewesen wäre. Zweitens verbesserten sich entgegen<br />
der allgemeinen Behauptung keineswegs die Schulnoten von Josef Lambichler,<br />
nachdem er „wegen andauernder Kränklichkeit“ 29 vom Franziskanergymnasium<br />
in Hall in Tirol an das Benediktinergymnasium in Meran gewechselt war, wo das<br />
milde Klima Südtirols seiner angeschlagenen Gesundheit zuträglich hätte sein<br />
sollen. Einzig und allein im Schuljahr 1896/97 fällt er als „lobenswert, ausdauernd<br />
und vorzüglich“ 30 auf, während er anschließend erneut mit Noten jenseits des<br />
Befriedigend zu kämpfen und u. a. auch im Abschlussjahr eine Wiederholungsprüfung<br />
zu bestehen hat: „[Josef Lambichler] hat sich am 28. Juni [1904] der Ma-<br />
16
turaprüfung unterzogen und die Erlaubnis erhalten, die Prüfung aus Physik nach<br />
zwei Monaten zu wiederholen, und erhielt nach wiederholter Prüfung am 28.<br />
September [1904] ein Zeugnis der Reife.“ 31<br />
Damit sei nicht gesagt, dass Josef Lambichler in seiner Jugendzeit nicht krank,<br />
sondern ein m<strong>iss</strong>verstandener Tunichtgut oder Faulenzer gewesen sei. Mitnichten!<br />
Aber es gibt beachtenswerte Hinweise darauf, dass seine Beeinträchtigung<br />
von damals eher psychischer Natur gewesen war: „Die Schultage wurden allgemach<br />
Tage der Angst und Qual. Das steigerte sich schließlich zu einer schweren<br />
Erkrankung. Ein Nervenfieber befiel ihn; er konnte sich lange nicht davon erholen.<br />
[…] Auch die geistige Entwicklung wurde durch die schwere Erkrankung<br />
aufgehalten.“ – Oder mit seinen eigenen Worten: „Freilich habe ich in Hall viel<br />
an Kopfweh gelitten.“ 32<br />
Was ist damit gemeint? Es liegt wohl nahe, wenn nicht sogar auf der Hand,<br />
dass Josef Lambichler unter dem plötzlichen Verlust seines Vaters gelitten hatte<br />
und sich seine Mutter, welche mit dem Erhalt der Familie vollauf beschäftigt<br />
war, nur begrenzt um die tägliche Erziehung ihrer <strong>Kind</strong>er bzw. um deren Gefühle<br />
und Launen kümmern konnte – „Heiland, erziehe du meine <strong>Kind</strong>er, ich vermag<br />
es nicht.“ 33 –, was möglicherweise zu einer Art (Lebens- oder Sinn-)Krise hätte<br />
führen können, welche sich einerseits durch nervöses Betragen und andererseits<br />
durch wiederkehrende Antriebslosigkeit etc. hätte äußern können.<br />
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang jedenfalls die Tatsache, dass in<br />
den ersten Lebensbeschreibungen über Josef Lambichler – und in allen, die darauf<br />
aufbauen – der sonst nirgends dokumentierte Herzklappenfehler als einziger<br />
Grund seiner permanenten, schulischen Schwierigkeiten angegeben wird,<br />
aber eine andere, viel näher liegende Deutung der Symptome nicht gewagt wird.<br />
Weswegen? Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die lebenslange und über<br />
sein Sterben hinausreichende Verehrung für den Sozialapostel von Hall in Tirol<br />
es schlichtweg untersagte, über Formen der Depression zu mutmaßen, die<br />
nicht recht in das herkömmliche Bild eines heiligmäßigen Priesters passten, wenn<br />
gleichzeitig eine rein körperliche und damit quasi unbedenkliche Krankheit als<br />
17
Ursache für den einen oder anderen Makel in der Biografie herangezogen werden<br />
konnte.<br />
Was dabei allerdings übersehen wurde, ist, dass ein Heiliger nicht als solcher<br />
zur Welt kommt, sondern wie alle Menschen einen ständigen Werdeprozess<br />
durchschreitet, der ihn wiederholte Male vom Schatten ins Licht und aus der<br />
Tiefe zur Höhe führt, und dass ein Scheitern und Straucheln durch die Gnade<br />
und den Willen Gottes zu einer Stärke heranwachsen können. – So verstanden<br />
wären für Josef Lambichler der Mangel an schulischem Erfolg und die Begegnung<br />
mit Tod, Krankheit und Krise im eigenen Leben eine erste Stufe der Vorbereitung<br />
für seine kommenden Aufgaben als verständiger Katechet und einfühlsamer<br />
Krankenseelsorger; oder anders gesagt: Es gab zwar große Steine, aber keine unüberwindbaren<br />
Hindern<strong>iss</strong>e auf seinem Weg zum Priestertum, dem Dienst vor<br />
Gott für die Menschen.<br />
18
1904 bis 1920<br />
ICH SEHE IN JEDEM KINDE JESUS<br />
Über ein Berufungserlebnis von Josef Lambichler w<strong>iss</strong>en wir nichts Konkretes,<br />
aber es lassen sich diesbezüglich Rückschlüsse ziehen auf seine spirituelle Erziehung<br />
und den Einfluss einiger geistlicher Herren, die der Familie des späteren<br />
Jugendseelsorgers nahestanden. Zum einen führte seine Mutter ein vorbildliches,<br />
frommes Christendasein, welches sich streng an den Festen des Kirchenjahrs orientierte,<br />
34 zum anderen bestand zu zwei Ordensbrüdern nachweislich ein anhaltend<br />
enger Kontakt, 35 der sich wohl auf Entstehung und Erfüllung des Wunsches,<br />
Priester zu werden, auswirkte.<br />
Neben dem Franziskanerpater<br />
Bernardin Engl (1823–1900),<br />
der sich in Hall in Tirol besonders<br />
der Witwen und Waisen<br />
annahm und dort „als Gymnasialprofessor<br />
durch 36 Jahre, als<br />
Organist und Componist [sic!],<br />
als unermüdlicher Beichtvater,<br />
eifriger Prediger, Krankenpater<br />
etc. eine äußerst segensreiche<br />
Thätigkeit [sic!] entfaltete“ 36 ,<br />
war es der Jesuitenpater Mi-<br />
Familie Lambichler mit unbekanntem Geistlichen:<br />
Josef, Maria, Aloisia, Alois (v. links)<br />
19
chael Hofmann (1860–1946) 37 , der – „als väterlicher<br />
Freund“ – Josef Lambichler ein langes Stück<br />
seines Lebenswegs begleitete und immer wieder<br />
entscheidend in den Werdeprozess seines Schützlings<br />
eingriff. So ist es etwa ihm zu verdanken bzw.<br />
anzurechnen, dass Josef Lambichler am 4. Oktober<br />
1904 ins Priesterseminar Nikolaihaus in Innsbruck<br />
(seit 1911: Collegium Canisianum), dessen Regens<br />
er seit dem Jahr 1900 war, aufgenommen wurde<br />
und an der hiesigen Theologischen Fakultät studieren<br />
durfte. – Dem ist erklärend hinzufügen, dass<br />
Pater Michael Hofmann S.J. Josef Lambichler als Priesteramtskandidat der Diözese<br />
Brixen eigentlich das gebietseigene Seminar<br />
in der Südtiroler Bistumshauptstadt hätte besuchen müssen, er aufgrund seines<br />
Geburtsortes Wien aber der Erzdiözese angehörte, weswegen es ihm überhaupt<br />
möglich und gestattet war, in das internationale Konvikt der Jesuiten in Innsbruck<br />
einzutreten; erst durch einen Erlass des Wiener Erzbischofs Anton Josef<br />
Kardinal Gruscha (1820–1911) wurde Josef Lambichler auf eigenen Wunsch hin<br />
am 9. Oktober 1907 an die Diözese Brixen überstellt und somit ganz Tiroler. 39<br />
„Die gründliche Ausbildung des Geistes der Priestertumskandidaten [sic!] war<br />
neben der Askese die Hauptaufgabe des Nikolaihauses.“ 40 Es war somit eine Art<br />
Kaderschmiede des papsttreuen, römischen Katholizismus, der sich an der Wende<br />
des 19. zum 20. Jahrhunderts massiven Herausforderungen gegenüber ausgesetzt<br />
sah und daher Geistliche auf seiner Seite benötigte, welche sowohl eingehend<br />
über die Probleme und Fragen der Zeit informiert als auch entsprechend darauf<br />
vorbereitet waren, den ideologischen Kampf gegen politische Opponenten sowie<br />
religiöse Mitbewerber aufzunehmen bzw. zu gewinnen.<br />
Eine dieser Herausforderungen war die sogenannte „Soziale Frage“, auf welche<br />
Papst Leo XIII. (eigentlich: Vincenzo Pecci, 1810–1903) in seiner ebenso wegweisenden<br />
wie Maßstäbe setzenden Enzyklika „Rerum novarum“ vom 15. Mai 1891<br />
20
ereits näher eingegangen war und die seither ein<br />
unverzichtbarer Bezugs- bzw. Orientierungspunkt<br />
der katholischen Bemühungen für die Armen und<br />
Benachteiligten der Gesellschaft sowie alle Zurückgelassenen<br />
des wirtschaftlichen respektive des industriellen<br />
Fortschritts darstellt. 41 – Es ist nicht<br />
nur sehr wahrscheinlich, sondern grenzt vielmehr<br />
an absolute Sicherheit, dass sich Josef Lambichler<br />
als Theologiestudent und Seminarist mit der sozialen<br />
Frage eingehend auseinandergesetzt 42 und – bedenkt<br />
man sein lebenslanges Engagement für die<br />
Gassenkinder der Stadt Hall, die Kriegsheimkehrer Papst Leo XIII.<br />
sowie die Schwachen und Alten der Pfarrgemeinde<br />
St. Nikolaus – mit der katholischen Antwort darauf stark identifiziert hat: „Möge<br />
jeder Berufene Hand anlegen und ohne Verzug, damit die Heilung des bereits<br />
gewaltig angewachsenen Übels nicht durch Säumnis noch schwieriger werde. […]<br />
und da die Religion, wie Wir zu Anfang gesagt haben, allein zu einer vollkommenen<br />
inneren Abhilfe der M<strong>iss</strong>stände befähigt ist, so möge sich die Überzeugung<br />
immer mehr verbreiten, dass es vor allem auf die Wiederbelebung christlicher<br />
Gesinnung und Sitte ankommt, ohne welche alle noch so vielversprechenden<br />
Maßnahmen menschlicher Klugheit, wahres Heil zu schaffen, unvermögend bleiben.<br />
Was aber die Kirche angeht, so wird diese keinen Augenblick ihre allseitige<br />
Hilfe verm<strong>iss</strong>en lassen. […] Das Heil ist ja insbesondere von der vollen Betätigung<br />
der Liebe zu erwarten, jener christlichen Liebe, die der kurzgefasste Inbegriff der<br />
evangelischen Gebote ist, die – immer bereit, sich selbst für des Nächsten Heil<br />
zu opfern – das heilkräftigste Gegengift gegen den Hochmut und Egoismus der<br />
Welt darstellt.“ 43<br />
Sehr deutlich erkennt man darin Programm und Ansatz des sozialen Engagements<br />
von Josef Lambichler, aber auch die eine oder andere Schwierigkeit, ihn<br />
heute widerspruchslos als einen modernen, katholischen Geistlichen anzuerkennen,<br />
da sein Kirchen- bzw. Priesterbild noch vorkonziliar 44 geprägt und damit ab-<br />
21
solut gesetzt war; soll heißen: Josef Lambichler war – wie die meisten seiner Zeitgenossen<br />
und Priesteramtskollegen – ein treues Mitglied, ein starker Befürworter<br />
und ein durch und durch überzeugter Verteidiger einer Kirche, deren Selbstverständnis<br />
und äußere Wahrnehmung gew<strong>iss</strong>ermaßen autoritär, unanfechtbar und<br />
ohne entsprechenden Vergleich durch alle Epochen war; sie besaß die letztgültige<br />
Wahrheit, bekämpfte andere Religionen und Ideologien 45 und weihte ihre Priester<br />
als Stellvertreter Christi auf Erden, 46 was deren besonderen Stellenwert und<br />
Nimbus unter den Gläubigen sowie in der weltlichen Gesellschaft ausmachte.<br />
Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht des ebenso verheerenden wie bedauerlichen<br />
Verlusts von Ansehen und Einfluss der römisch-katholischen Kirche<br />
auf Politik, Bildung, Familie usw. während der vergangenen acht Jahrzehnte sind<br />
gew<strong>iss</strong>e Vorbehalte bzw. Kritikpunkte, die im Zusammenhang mit Leben und Wirken<br />
von Josef Lambichler immer wieder gerüchteweise genannt werden, zwar nachvollziehbar<br />
oder vielleicht sogar berechtigt, müssen jedoch jeweils in ihrem zeitlichen<br />
Kontext sowie örtlichen Umfeld betrachtet und nicht nach heutigen, sondern<br />
nach damals geltenden Überzeugungen usw. eingeordnet bzw. beurteilt werden,<br />
um einen tatsächlich unverstellten, klaren Blick auf jemandes Charakter und Einstellungen<br />
zu erhalten. Dasselbe kritische Augenmaß muss allerdings auch für die<br />
dargebrachte Bewunderung, den aufrichtigen Dank und die bis heute anhaltende<br />
Verehrung für Josef Lambichler und seine Leistungen angewandt werden, damit<br />
eine glaubhafte wie authentische Darstellung überhaupt gelingt: „Diese realistische<br />
Ehrlichkeit muss auch die neue Geschichtsschreibung aufbringen. Nur wenn die<br />
wahrheitsgetreu schildert, wie auch die Heiligen mit dunklen Mächten in sich zu<br />
kämpfen hatten und keineswegs immer Sieger blieben, erhebt sich die Darstellung<br />
zu einer ergreifenden Beschreibung ihrer Lebenswirklichkeit. […] Aus diesem<br />
Realismus ergibt sich auch die Anwendung der Kritik in der Heiligengeschichtsschreibung.<br />
Das Recht der kritischen Methode, deren Wahrheitsleidenschaft oft<br />
bis zum tragischen Zerbrechen ihrer Träger gegangen ist, steht außer Frage. Auch<br />
bei den Heiligendarstellungen kommt ihr die Aufgabe zu, viel Schlinggewächs zu<br />
beseitigen, das oft die Gestalten überwuchert. Zahlreiche Ranken müssen zurückgeschnitten<br />
werden, wenn das wesentliche Bild wieder hervortreten soll.“ 47<br />
22
Aus den persönlichen Aufzeichnungen von Pater Regens Michael Hofmann S.<br />
J. geht hervor, dass Josef Lambichler – „Vere pius et bonus convictor/Ein wahrhaft<br />
frommer und guter Konviktor.“ 48 – während seiner vier Jahre als Seminarist und<br />
Theologiestudent in Innsbruck einen inneren Wandel durchlebt hat. Aus dem zu<br />
Anfang „stark zu Vergesslichkeit und Eigensinn“ neigenden Priesteramtskandidaten<br />
wurde im Lauf der Ausbildung ein „sehr eifriger, praktischer und selbstloser<br />
Priester“, dessen Sensorium bereits damals und infolge außergewöhnlich geschärft<br />
für die Nöte seiner Mitmenschen war: „Große Liebe zu den Armen, denen<br />
er alles verschenkte, für die er unzählige Gänge machte. Er darf einen großen<br />
Lohn vom Heiland erwarten.“ 49<br />
An diesem Punkt stellt sich zum ersten Mal die Frage nach einem bewussten<br />
Heiligkeitsstreben von Josef Lambichler, soll meinen: Hat er sein Priesteramt<br />
von Beginn an als das verstanden und angelegt, was es per Definition ist und<br />
sein sollte: ein absolutes Dienstamt vor Gott für die Menschen? In der rigorosen<br />
Nachfolge Christi – „Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz<br />
und gib das Geld den Armen; so wirst du einen bleibenden Schatz im Himmel<br />
haben.“ 50 – und nach den spirituellen Vorbildern der Gesellschaft Jesu, deren<br />
Alumne er gew<strong>iss</strong>ermaßen war, und des Heiligen Franz von Assisi (1182–1228), in<br />
dessen dritten Orden er – wie seine Mutter Aloisia Lambichler – in späteren Jahren<br />
eintrat? 51 Dadurch ließe sich manches in seiner Biografie leichter einordnen<br />
bzw. besser verstehen, sowohl was seine christozentrische Glaubenshaltung sowie<br />
-vermittlung als auch seinen vielfach bezeugten, heiligmäßigen Lebenswandel betrifft,<br />
der sich vor allem durch eine immens gesteigerte Entsagungsfähigkeit und<br />
Nächstenliebe auszeichnete:<br />
„Vor zwei Klippen müssen wir uns in Acht nehmen:<br />
vor der Vernachlässigung des Gebets<br />
und vor der Härte gegen den Nächsten.<br />
Der Heiland könnte sich von uns zurückziehen, gleichsam verbergen.“<br />
23
„Ich sehe in jedem <strong>Kind</strong>e Jesus.“<br />
Josef Lambichler gilt vielen als Heiliger!<br />
Der „Tiroler „Bemühen Sozialapostel“ Sie sich wirkte stets, in zwischen der Gegenwart 1920 und Gottes 1956 zu als leben; Kooperator in Hall,<br />
wo er sich vorbildlich, selbstlos und nächstenliebend der <strong>Kind</strong>er- und Jugendseelsorge<br />
widmete. Durch den Aufbau der Ferienwerke „Pletzerwiese“ und „Gufl“ ver-<br />
nicht nur daran zu glauben, sondern auch von seiner Gegenwart<br />
sorgte er nicht nur abertausende ganz durchdrungen „Haller Gassenkinder“ zu sein.“ mit dem Notwendigsten<br />
zum Überleben, sondern ermöglichte ihnen auch sorgenfreie Wochen in Gottes<br />
schöner Natur. Als Freund der Armen, Kranken und Gefangenen wird Kooperator<br />
Josef Lambichler „Durch Maria bis heute zu Jesus, verehrt durch und Jesus ist über zum die himmlischen Stadtgrenzen Vater.“ hinaus gekannt.<br />
In der vorliegenden Biografie werden das Leben und Wirken dieses außergewöhnlichen,<br />
katholischen Priesters nachgezeichnet und die Frage gestellt: War Josef Lambichler<br />
ein moderner „Es gibt Heiliger? drei Dinge von großer Bedeutung:<br />
die Zeit, die Gnade und den guten Willen.<br />
In der Lebenszeit Martin die Gnade <strong>Kolozs</strong> Gottes wurde dankbar 1978 in benützen, Graz geboren,<br />
ist die wuchs Hauptaufgabe in Innsbruck des Menschen.“ auf und 52 lebt in Wien.<br />
Neben Romanen, Theaterstücken und zahlreichen<br />
<strong>Komm</strong>entaren zum kirchlichen Zeitgeschehen<br />
Lambichler verfasste er mit Biografien sieben und <strong>Komm</strong>ilitonen Lebensbil-<br />
des Ni-<br />
Am 26. Juli 1908 wurde Josef<br />
kolaihauses 53 durch den Fürstbischof der, u. a. von von Karl Brixen, Rahner Josef SJ, Bischof Altenweisel Reinhold (1851–1912),<br />
in der Jesuitenkirche von Innsbruck Stecher, Maria zum Priester Spötl, Erzbischof geweiht; und Alois erklärte Kothgasser<br />
sich mit<br />
seinem „Ad sum!/Hier bin ich!“ dazu<br />
SDB,<br />
bereit,<br />
Kaplan<br />
„nachzuahmen,<br />
Ludwig Penz und<br />
was<br />
dem<br />
er<br />
Seligen<br />
Marianistenpater Jakob Gapp.<br />
in Persona<br />
Christi vollzieht, und sein Leben unter das Geheimnis des Kreuzes zu stellen.“ 54<br />
Eine Woche später feierte er dankschuldig seine Primiz in Kundl, dem Geburtsort<br />
von Pater Michael Hofmann S. J., des väterlichen Freunds und langjährigen<br />
Seelenführers, worüber die Lokalpresse Herausgegeben berichtete: von „Der hochwürdige Herr Josef<br />
Marianische Kongregation der Herren und Bürger<br />
Lambichler, der in Wien zu Hall [sic!] in Tirol seine „Mariae Studien Verkündigung“ vollendete, 1578/1606 und hier mehrere Verwandte<br />
hat, las am letzten mit der Sonntag Sektion Partisaner [2. August Garde 1908] zu Hall in der in Tirol hiesigen Pfarrkirche<br />
[Mariä Himmelfahrt] seine erste heilige Messe. Schon am Vorabend verkündeten<br />
Triumphbogen, Fahnenschmuck, Pöllerschüsse und Glockengeläute das nahe<br />
Fest. Am Sonntag selbst strömten ISBN: aus der 978-3-85093-428-2 ganzen Umgebung zahlreiche Andächtige<br />
und Neugierige herbei. Der Einzug des jungen Priesters war besonders feierlich.<br />
Die Schuljugend, die Schützen, der Veteranen-, Arbeiter-, Jüngling- und<br />
Jungfrauenverein nahmen am Festzuge www.berenkamp-verlag.at<br />
teil. Die Musik beim Einzug und die Ta-<br />
www.kraftplatzl.com<br />
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