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Kölner Süden Magazin Juli 2017

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AKTUELL<br />

100. Geburtstag von Heinrich Böll –<br />

René Böll im Gespräch<br />

„Einmischung<br />

erwünscht“<br />

Am 21. Dezember <strong>2017</strong> wäre der gebürtige <strong>Kölner</strong><br />

Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Heinrich<br />

Böll 100 Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass<br />

finden bundesweit zahlreiche Veranstaltungen statt.<br />

Auch im Rheinland, wo Böll besonders viele Spuren<br />

hinterlassen hat, wird gefeiert. Im Gespräch mit den<br />

Stadtmagazinen spricht Heinrich Bölls Sohn René<br />

über das Jubiläumsjahr, die Reisen seines Vaters und<br />

eine Stimmung in der Bundesrepublik, die sich heute<br />

kaum noch nachvollziehen lässt. ■ Dennis Müller René Böll in seinem <strong>Kölner</strong> Atelier.<br />

SM: Vor knapp 100 Jahren wurde<br />

Heinrich Böll in der <strong>Kölner</strong> Südstadt<br />

geboren. War er ein „typischer“<br />

<strong>Kölner</strong>?<br />

Böll: Das kommt darauf an, was<br />

Sie als typischen <strong>Kölner</strong> definieren.<br />

Tolerant und offen war er, aber mit<br />

dem Brauchtum und dem Karneval<br />

hatte er nichts am Hut. Das Rheinland<br />

war ihm wichtig, obwohl für<br />

ihn die Heimat durch die Nazis<br />

nach dem Krieg zerstört war.<br />

SM: Wenn man über Bölls Werk<br />

denkt, stößt man häufig auf die<br />

Formel „Einmischung erwünscht“.<br />

Inwiefern hat sich ihr Vater eingemischt?<br />

Böll: Natürlich durch seine Texte,<br />

aber es gab auch viele Dinge, die<br />

nicht öffentlich wurden: So hat er<br />

Menschen – vor allem Schriftstellern<br />

und Intellektuellen – hinter<br />

dem eisernen Vorhang geholfen,<br />

indem er Manuskripte und Briefe<br />

über die Grenze schmuggelte.<br />

Darüber wurde nicht öffentlich gesprochen,<br />

es wäre für die Menschen<br />

im Osten zu gefährlich gewesen.<br />

Die Menschen dort hatten<br />

keine Kanäle außer solche, um zu<br />

kommunizieren. Daher war ein<br />

ganzes Netzwerk von Leuten<br />

nötig, um diesen Menschen zu<br />

helfen und um auf sie aufmerksam<br />

zu machen.<br />

SM: Sowjetische Schriftsteller wie<br />

Alexander Solschenizyn und Lew<br />

Kopelew, der später in Köln lebte,<br />

nahm er bei sich auf...<br />

Literaturnobelpreisträger Heinrich<br />

Böll wäre im Dezember <strong>2017</strong> 100<br />

Jahre alt geworden. (Foto: wikipedia)<br />

Böll: Kopelews haben wir in den<br />

60ern kennengelernt. Ich war mit<br />

meinem Vater in Russland, dort haben<br />

wir sehr viele Menschen angetroffen,<br />

die uns positiv gesinnt waren:<br />

Künstler, Intellektuelle. Natürlich<br />

gehörte es auch dazu, Funktionäre<br />

und Offizielle des Systems<br />

zu treffen. Mein Vater lud Kopelew<br />

bereits damals zu sich ein, doch es<br />

hat bis 1979 gedauert, bis er uns<br />

besuchte. Er wurde dann ausgebürgert,<br />

das war die neue Politik<br />

des Systems. Diese Leute wollten<br />

zwar in Freiheit leben, aber ausgebürgert<br />

werden, das wollten sie<br />

nicht!<br />

SM: Köln war damals ein Zentrum<br />

der Kunst und Kultur...<br />

Böll: Für die bildende Kunst war<br />

es ein herausragendes Zentrum,<br />

das sich mit New York und Paris<br />

messen konnte. Daran habe ich<br />

auch noch teilgenommen. Es gab<br />

eine tolle Galerieszene, den weltweit<br />

ersten Kunstmarkt. Damals<br />

gab es viele leere Fabrikgebäude –<br />

das zog kreative Köpfe an. Mittlerweile<br />

ist es für Künstler nicht nur<br />

teuer geworden in Köln zu leben;<br />

die Förderung von Kunst und Kultur<br />

hat auch abgenommen. Mit<br />

meinem Bruder bin ich auf die <strong>Kölner</strong><br />

Werkschulen gegangen. Dort<br />

bewarb man sich mit einer Mappe<br />

und nicht mit dem Abitur, die besten<br />

wurden genommen und ausgebildet.<br />

Eine solche Institution gibt es<br />

heute nicht mehr.<br />

SM: Großes Aufsehen erregte ihr<br />

Vater mit einem Essay im SPIEGEL in<br />

welchem er sich mit der Person Ulrike<br />

Meinhofs, vor allem aber auch<br />

kritisch mit der Bild-Zeitung auseinandersetzte.<br />

Für den Text ist Heinrich<br />

Böll in der Folge heftig kritisiert<br />

worden, galt gar als „Sympathisant<br />

des Terrorismus“. Welche Stimmung<br />

herrschte damals in der Bundesrepublik?<br />

Böll: Sie haben ihn sogar als geistigen<br />

Urheber des Terrorismus verunglimpft<br />

und das wurde von einigen<br />

hohen Politikern mitgetragen<br />

und sogar in den Tagesthemen publiziert.<br />

Die wenigsten haben den<br />

Text gelesen, indem er die Gewalt<br />

der Terroristen in keiner Zeile rechtfertigt,<br />

sie haben nur über meinen<br />

Vater gelesen. Dabei wollte er darauf<br />

aufmerksam machen, die Dinge<br />

mit Maß zu sehen. Die Bundesrepublik<br />

war durch den RAF-Terrorismus<br />

nicht existenziell gefährdet<br />

und doch wurden massive Maßnahmen<br />

ergriffen. Für ihn und unsere<br />

Familie war das eine enorme<br />

Belastung: Es gab Hausdurchsuchungen<br />

und in manchen Restaurants<br />

wurden wir nicht mehr bedient.<br />

SM: In diesem Jahr wird Heinrich<br />

Böll gefeiert – er wäre am 21. Dezember<br />

100 Jahre alt geworden.<br />

Welche Veranstaltungen finden im<br />

Rheinland bis zum Jahresende<br />

statt?<br />

Böll: Eine ganz besondere Sache<br />

wird die Uraufführung einer Oper<br />

Helmut Oehrings, die auch auf Texten<br />

Heinrich Bölls basiert. Die erste<br />

Vorstellung findet am 9. Dezember<br />

statt. Der Heinrich-Böll-Preis wird<br />

am 24. November im historischen<br />

Rathaus verliehen. Zudem werden<br />

sich ehemalige Böll-Preisträger unter<br />

dem Titel „im Geiste Heinrich<br />

Bölls“ am 25. November im Schauspielhaus<br />

durch eigene Texte mit<br />

ihm auseinandersetzen. Spannend<br />

wird auch die Veröffentlichung der<br />

Kriegstagebücher von 1943-45 im<br />

September und speziell für Kinder<br />

gibt es „ Der Kluge Fischer“ das junge<br />

Buch für die Stadt, nach einer Erzählung<br />

meines Vaters kongenial illustriert<br />

von Émile Bravo.<br />

SM: Herr Böll, ich danke Ihnen für<br />

dieses Gespräch.<br />

Veranstaltungstermine<br />

rund um den 100. Geburtstag<br />

Heinrich Bölls finden<br />

Sie unter:<br />

• www.boell100.com<br />

• www.stadt-koeln.de/leben-inkoeln/kultur/100-geburtstag-vonheinrich-boell<br />

• www.boell.de/de/100JahreBoell<br />

• www.bornheim.de/kultur/boelljahr-<strong>2017</strong>.html<br />

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<strong>Kölner</strong> <strong>Süden</strong>

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