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<strong>ZAP</strong><br />

Zeitschrift für die Anwaltspraxis<br />

<strong>18</strong> 20<strong>17</strong><br />

6. September<br />

29. Jahrgang<br />

ISSN 0936-7292<br />

Herausgeber: Rechtsanwalt Dr. Egon Schneider (†), Much • Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

• Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln •<br />

Prof. Dr. Martin Henssler, Institut für Anwaltsrecht, Universität zu Köln • Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann,<br />

Bremen • Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg • Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen •<br />

Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln<br />

Inklusive<br />

<strong>ZAP</strong> App!<br />

Details unter: www.zap-zeitschrift.de/App<br />

AUS DEM INHALT<br />

Kolumne<br />

Was ist sozial gerecht? (S. 941)<br />

Anwaltsmagazin<br />

Neues Informationstool zu Familienleistungen (S. 944) • Ausbildungsverordnung für zertifizierte<br />

Mediatoren in Kraft (S. 945) • „Staatsnähe“ kann Anwaltszulassung kosten (S. 947)<br />

Aufsätze<br />

Weiler/Hamestuk, Die Abnahme beim Bauträgervertrag (S. 957)<br />

Förster, Erbrechtliche Gestaltungsmittel in Verfügungen von Todes wegen (S. 963)<br />

Burhoff, Rechtsprechungsübersicht zum Strafrecht 2016/20<strong>17</strong> (S. 975)<br />

Eilnachrichten<br />

BGH: Anfechtbarkeit eines Adoptionsbeschlusses (S. 952)<br />

BVerfG: Vorläufige Leistungsgewährung für Unterkunft und Heizung (S. 954)<br />

BFH: Scheidungskosten nicht als außergewöhnliche Belastung abziehbar (S. 955)<br />

In Zusammenarbeit mit der<br />

Bundesrechtsanwaltskammer


Inhaltsverzeichnis Fach Fach/Seite Heft/Seite<br />

Kolumne – – 941–942<br />

Anwaltsmagazin – – 942–948<br />

Eilnachrichten 1 155–162 949–956<br />

Weiler/Hamestuk, Die Abnahme beim Bauträgervertrag 5 245–250 957–962<br />

Förster, Erbrechtliche Gestaltungsmittel in Verfügungen<br />

von Todes wegen 12 345–356 963–974<br />

Burhoff, Rechtsprechungsübersicht zum Strafrecht<br />

2016/20<strong>17</strong> 22 R 1023–1034 975–986<br />

Nutzen Sie die <strong>ZAP</strong> auch digital: mit der <strong>ZAP</strong> App für PC, Smartphone und Tablet. Sie finden<br />

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Redaktionsbeirat<br />

Ass. jur. Dr. Helene Bubrowski, Frankfurt/M. (F 25) • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg (F 9, 21, 22, 22R) • Prof. Dr.<br />

Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. (F 2) • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. (F 6) • RA Dr. Lutz Förster, Brühl (F 12) • RA Dr.<br />

Andreas Geipel, München (F 13) • RA Dr. Peter Haas, Bochum (F 20) • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin (F 24) • RAin Dr.<br />

Annegret L. Harz, München (F 4, 4R, 7) • RA Prof. Dr. Bernd Hirtz, Köln (F 15) • RA Martin W. Huff, Köln (F 23) • RA Daniel Krause,<br />

Braunschweig (F 5) • RAin Dr. Kirstin Maaß, Köln (F <strong>17</strong>, <strong>17</strong>R) • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga (F 19, 19R) • RA Dr. Ulrich Sartorius,<br />

Breisach a.R. (F <strong>18</strong>) • RA Volker Simmer (F 3) • RiAG a.D. Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt (F 14) • RA Dr. Hubert W. van Bühren,<br />

Köln (F 10) • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen (F 11, 11R) • RA Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid (F 16) • RA<br />

beim BGH Dr. Christian Zwade, Karlsruhe (F 8).<br />

Ständige Mitarbeiter<br />

Prof. Dr. Wilfried Alt, Frankfurt/M. • VorsRiVG Prof. Dr. Bernd Andrick, Gelsenkirchen • RiAG Prof. Dr. Ulf Börstinghaus, Gelsenkirchen<br />

• RiSG Thomas Bubeck, Freiburg • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg • VorsRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf •<br />

Prof. Dr. Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. • VorsRiLG a.D. Uwe Gottwald, Vallendar •<br />

RA Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln • RA Dr. Peter Haas, Bochum • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin • RA Dr.<br />

Wolfgang Hartung, Mönchengladbach • Prof. Dr. Martin Henssler, Köln • RA, Justitiar Haus u. Grund Hans Reinold Horst,<br />

Langenhagen • RiAG Ralph Kossmann, Wuppertal • Notar Dr. Hans-Frieder Krauß, Hof • RAuN Dr. Wilhelm Krekeler, Dortmund • RA<br />

Günter Lange, Haltern • RA Dr. Jörg Lauer, Mannheim • PräsSG a.D. RA Dr. Klaus Louven, Geldern • RA Dietmar Mampel, Bonn • RA<br />

Prof. Dr. Volkmar Mehle, Bonn • RA Prof. Dr. Ralf Neuhaus, Dortmund • RA Kai-Jochen Neuhaus, Dortmund • RA Dr. Mark Niehuus,<br />

Mühlheim a.d.R. • RA Prof. Dr. Hermann Plagemann, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe, Hamburg • RiOLG a.D. Heinrich<br />

Reinecke, Lehrte • RA beim BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • RA Dr. Kurt Reinking, Köln • RA Prof. Dr. Franz Salditt,<br />

Neuwied • RA Dr. Ulrich Sartorius, Breisach a.R. • PräsLG a.D. Kurt Schellhammer, Konstanz • RA Norbert Schneider, Neunkirchen •<br />

RiAG a.D. Kurt Stollenwerk, Bergisch Gladbach • RiAG a.D. Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Köln • RiAG Prof. Dr. Heinz Vallender,<br />

Erftstadt • RA Dr. Hubert W. van Bühren, Köln • RA Prof. Dr. Hans-Friedrich Frhr. von Dörnberg, Dresden.<br />

Impressum<br />

Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte. Die Annahme zur Veröffentlichung erfolgt<br />

schriftlich. Mit der Annahme überträgt der Autor dem Verlag das ausschließliche Verlagsrecht. Eingeschlossen sind insb. die<br />

Befugnis zur Einspeicherung in eine Datenbank sowie das Recht der weiteren Vervielfältigung. Haftungsausschluss: Verlag und<br />

Autor/en übernehmen keinerlei Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der abgedruckten Inhalte. Insb. stellen<br />

(Formulierungs-)Hinweise, Muster und Anmerkungen lediglich Arbeitshilfen und Anregungen für die Lösung typischer Fallgestaltungen<br />

dar. Die Verantwortung für die Verwendung trägt der Leser. Urheber- und Verlagsrechte: Alle Rechte zur<br />

Vervielfältigung und Verbreitung sind dem Verlag vorbehalten. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />

Einrichtungen. Anzeigenverwaltung: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, E-Mail: anzeigen@zap-verlag.de.<br />

Erscheinungsweise: zweimal im Monat. Bezugspreis: Jährlich 241,- € zzgl. MwSt. und Versandkosten. Der Abonnementsvertrag<br />

ist auf unbestimmte Zeit geschlossen; Preisänderungen bleiben vorbehalten. Abbestellungen müssen sechs Wochen zum<br />

Jahresende erfolgen. Verlag: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, Telefon: 0228/91911-62, Telefax: 0228/91911-66, E-Mail:<br />

info@zap-verlag.de. Redaktion: RAin Eva Maria Marzinkowski (V.i.S.d.P.) – verantwortliche Redakteurin; Cordula Haak –<br />

Redaktionsassistentin, E-Mail: redaktion@zap-verlag.de.<br />

Druck: Appel & Klinger Druck und Medien GmbH, Schneckenlohe. ISSN 0936-7292


<strong>ZAP</strong><br />

Kolumne<br />

Kolumne<br />

Was ist sozial gerecht?<br />

Das Thema „soziale Gerechtigkeit“ wird nicht nur<br />

im Bereich des Sozialrechts, sondern auch im<br />

politischen Raum lebhaft diskutiert. Mit der Bundestagswahl<br />

am 24.9.20<strong>17</strong> rückt das Thema<br />

„soziale Gerechtigkeit“ auch als Wahlkampfthema<br />

wieder in den Vordergrund: Ist die Gesellschaft in<br />

Deutschland immer ungleicher geworden? Sind<br />

sog. prekäre Beschäftigungsverhältnisse sozial gerechtfertigt?<br />

Zeit für eine Analyse.<br />

Zunächst stößt man schon bei dem Versuch, den<br />

Inhalt des für den gesamten Bereich des Sozialrechts<br />

geltenden Begriffs „soziale Gerechtigkeit“<br />

zu erfassen, sehr schnell auf Schwierigkeiten. Das<br />

beruht u.a. darauf, dass der Gesetzgeber den<br />

Begriff zwar häufig verwendet, aber nirgends<br />

verbindlich interpretiert. So heißt es in § 1 SGB I:<br />

„Das Recht des Sozialgesetzbuchs soll zur Verwirklichung<br />

sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit<br />

(…) Sozialleistungen gestalten.“<br />

Sozialrechtliche Normen sollen also soziale Gerechtigkeit<br />

herbeiführen, das Sozialrecht hat ein<br />

menschenwürdiges Dasein zu sichern und für<br />

gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung<br />

der Persönlichkeit zu sorgen. Dabei verschafft §1<br />

SGB I keine Ansprüche auf soziale Leistungen. Er<br />

umschreibt vielmehr als Programmsatz die allgemeinen<br />

Ziele staatlicher sozialer Aktivitäten.<br />

Herleiten aus dieser Norm lässt sich allenfalls die<br />

Sozialstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland<br />

(s. BT-Drucks 7/868).<br />

Der Begriff „soziale Gerechtigkeit“ bleibt unbestimmt,<br />

unscharf und umstritten. Manche sind<br />

der Auffassung, es handele sich um eine nichtssagende<br />

Formel. Oder sie sehen die soziale<br />

Gerechtigkeit als Feind des wirtschaftlichen Fortschritts.<br />

„Anhänger“ sozialer Gerechtigkeit befürworten<br />

sie als Symbol der Solidarität der Versichertengemeinschaft.<br />

Dadurch, dass man dem Begriff „Gerechtigkeit“<br />

das Adjektiv „sozial“ hinzufügt, vergrößert man<br />

nicht unbedingt seine Verständlichkeit. Feststellen<br />

können wir allenfalls: Soziale Gerechtigkeit ist<br />

ein Gebot der Sozialstaatlichkeit i.S.v. Art. 20 Abs. 1<br />

GG. Und: Ihre Zielsetzung, eine gerechte Ordnung<br />

zu schaffen, erfordert eine strikte Beachtung des<br />

Gleichheitsgebotes nach Art. 3 Abs. 3 GG.<br />

Aus der Vielzahl der Stimmen, die sich mit der<br />

Thematik „soziale Gerechtigkeit“ befasst haben,<br />

ist an erster Stelle auf die von Papst BENEDIKT XVI.<br />

angestellten grundlegenden Gedanken hinzuweisen.<br />

In seiner ersten Enzyklika „Deus Caritas est“<br />

heißt es:<br />

„(…) das Grundprinzip eines Staates [muss] die Verfolgung<br />

der Gerechtigkeit sein (…). Das Ziel einer<br />

gerechten Gesellschaftsordnung [ist es], unter Berücksichtigung<br />

des Subsidiaritätsprinzips jedem seinen<br />

Anteil an den Gütern der Gemeinschaft zu gewährleisten.<br />

Die Frage der gerechten Ordnung des Gemeinwesens<br />

ist (…) mit der Ausbildung der Industriegesellschaft<br />

im 19. Jahrhundert in eine neue Situation<br />

eingetreten. Das Entstehen der modernen Industrie<br />

hat die alten Gesellschaftsstrukturen aufgelöst und mit<br />

der Masse der lohnabhängigen Arbeiter eine radikale<br />

Veränderung im Aufbau der Gesellschaft bewirkt, in der<br />

das Verhältnis von Kapital und Arbeit zur bestimmenden<br />

Frage wurde, (…). Die Produktionsstrukturen<br />

und das Kapital waren nun die neue Macht, die, in die<br />

Hände weniger gelegt, zu einer Rechtlosigkeit der<br />

arbeitenden Massen führte, (…). In der schwierigen<br />

Situation, in der wir heute durch die Globalisierung der<br />

Wirtschaft stehen, bedürfen wir der Orientierung. Die<br />

gerechte Ordnung der Gesellschaft und des Staates ist<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 941


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

zentraler Auftrag der Politik. Politik ist mehr als die<br />

Technik der Gestaltung öffentlicher Ordnungen. Gerechtigkeit<br />

ist Ursprung, Ziel und inneres Maß der<br />

Politik.“ (vgl. BENEDIKT XVI., Deus Caritas est, 2006,<br />

S. 35 f., 37).<br />

Vor BENEDIKT XVI. hatte schon Papst LEO XIII. auf<br />

veränderte Gesellschaftsstrukturen infolge des<br />

Aufschwungs der Industrie hingewiesen: Das<br />

Kapital sei in den Händen einer geringen Zahl<br />

von Menschen angehäuft, während die große<br />

Menge verarmte. Dies rufe einen sozialen Konflikt<br />

wach. Dabei bedingen sich Kapital und Arbeit<br />

gegenseitig. Es sei die Pflicht der Arbeitsherren,<br />

sich den Grundsatz „Jedem das Seine“ stets vor<br />

Augen zu halten. Dieser Grundsatz sollte unparteiisch<br />

auf die Höhe des Lohnes Anwendung<br />

finden. Trotz freier Vereinbarung des Lohnes<br />

dürfe dieser nicht so niedrig sein, dass er einem<br />

genügsamen rechtschaffenden Arbeiter den Lebensunterhalt<br />

nicht abwirft (vgl. LEO XIII., Rerum<br />

novarum, <strong>18</strong>91). Auch Papst PIUS XI. vertrat in der<br />

Folge die Auffassung, dass Kapital und Arbeit<br />

aufeinander angewiesen sind. Der gerechte Lohn<br />

sei zusätzlich zur jeweiligen Arbeitsleistung nach<br />

dem Lebensbedarf des Arbeiters und seiner<br />

Familie, nach der Lebensfähigkeit des Unternehmens<br />

und der allgemeinen Wohlfahrt zu<br />

bemessen (s. PIUS XI., Quadragesimo Anno, 1931).<br />

Zurück zur Lage in Deutschland: Bereits am<br />

<strong>17</strong>.11.<strong>18</strong>81 proklamierte Kaiser WILHELM I. vor dem<br />

Deutschen Reichstag in seiner sog. Kaiserlichen<br />

Botschaft: Zur Festigung des sozialen Friedens<br />

bedarf es der Verbesserung der sozialen Lage<br />

der Arbeiterschaft. Dies führte zu einer grundsätzlichen<br />

Neuausrichtung der Sozialpolitik, die<br />

ihren Niederschlag in Gesetzen zur Krankenversicherung<br />

(<strong>18</strong>83), Unfallversicherung (<strong>18</strong>84) und<br />

Alters- und Invalidenversicherung (<strong>18</strong>89) fand.<br />

Die erste als Pflichtversicherung konzipierte Sozialversicherung<br />

Deutschlands galt in der Folgezeit<br />

als Vorbild für viele Staaten. Sie sollte ab<br />

sofort die Industriearbeiter stärker an den Staat<br />

binden.<br />

Heute begreifen wir „soziale Gerechtigkeit“ als<br />

Gebot der Sozialstaatlichkeit. Das Gebot der<br />

Sozialstaatlichkeit verpflichtet und ermächtigt<br />

den Staat zu aktiver Sozialgestaltung. Sozialrecht<br />

hat ein menschenwürdiges Dasein zu<br />

sichern. Hier zeigt sich das allgemeine Anliegen<br />

der Gerechtigkeit, jedem das ihm Gemäße<br />

zuzuwenden (EICHENHOFER, Sozialrecht, 9. Aufl.<br />

2015, S. 6).<br />

Dieser Verpflichtung zur Sicherung eines menschenwürdigen<br />

Daseins muss der Staat nachkommen<br />

und ihr, auch durch Gestaltung von<br />

Sozialleistungen, gerecht werden. Darauf sollten<br />

sich die Parteien – und wir alle – nicht nur in<br />

Wahlkampfzeiten besinnen!<br />

Dr. KLAUS LOUVEN, PräsSG a.D., Geldern<br />

Anwaltsmagazin<br />

Klagewelle von Flüchtlingen<br />

überlastet Gerichte<br />

Die weiter ansteigende Zahl von Asylverfahren<br />

bringt die Verwaltungsgerichte in Deutschland an<br />

ihre Grenzen. Die Lage sei dramatisch, es „knarze<br />

jetzt an allen Ecken und Enden“, äußerte der<br />

Vorsitzende des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter,<br />

ROBERT SEEGMÜLLER, im August gegenüber<br />

der Deutschen Presse-Agentur. In diesem Jahr<br />

942 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

werde sich die Zahl der Verfahren auf rund<br />

200.000 verdoppeln. Bereits im vergangenen<br />

Jahr habe es bei den Klagen von Flüchtlingen<br />

eine Verdopplung gegeben: von 50.000 in 2015<br />

auf 100.000 in 2016.<br />

Dieser Entwicklung sind die Verwaltungsgerichte<br />

offenbar nicht gewachsen. Immer mehr Flüchtlinge<br />

klagen gegen ablehnende Bescheide des<br />

Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge<br />

(BAMF) oder auf den vollen Flüchtlingsstatus.<br />

Nach Angaben SEEGMÜLLERS ist die Zahl der derzeit<br />

knapp 2.000 Richter in den vergangenen anderthalb<br />

Jahren zwar deutlich erhöht worden. Allerdings<br />

fänden die Gerichte gar nicht so viele<br />

geeignete Bewerber, wie sie bräuchten, beklagt<br />

der Vorsitzende des Verwaltungsrichterbundes,<br />

selbst Richter am BVerwG in Leipzig. Die Situation<br />

sei momentan „einfach sehr, sehr belastend.“<br />

An manchen Verwaltungsgerichten, wie etwa<br />

beim VG Trier, belaufen sich die Stapel an unbearbeiteten<br />

Asylverfahren bereits auf rund 10.000<br />

Akten. Zudem ist vielerorts „nicht-richterliches“<br />

Personal oft nur unzureichend vorhanden. Um die<br />

Situation zu entschärfen, müsse man, so SEEGMÜLLER<br />

weiter, auch prüfen, wie man gleichförmige tatsächliche<br />

und rechtliche Fragen schneller, beispielsweise<br />

durch das BVerwG, entscheiden lassen<br />

könne.<br />

Der Gesetzgeber müsse darüber nachdenken, ob<br />

es nicht eine Möglichkeit gebe, im Wege eines<br />

gesonderten Vorlageverfahrens oder mit anderen<br />

neuen prozessualen Instrumenten schnellere<br />

Entscheidungen gleichartiger Tat- und Rechtsfragen<br />

zu ermöglichen. Es gebe durchaus Fragen,<br />

die man einmalig durch ein oberstes Gericht<br />

entscheiden lassen könnte, erläutert SEEGMÜLLER.<br />

Momentan sei die Lage so, dass die 15 Oberverwaltungsgerichte<br />

und 51 Verwaltungsgerichte<br />

oft dieselben tatsächlichen und rechtlichen Fragen<br />

nebeneinander entschieden, und das mache<br />

viel unnötige Arbeit.<br />

[Red.]<br />

Rückführungen nach Afghanistan<br />

weiterhin möglich<br />

Die Bundesregierung hält eine Änderung ihrer<br />

Haltung zu Rückführungen afghanischer Staatsbürger<br />

nicht für nötig. Nach einem Zwischenbericht<br />

zur Neubewertung der Sicherheitslage<br />

könnten Straftäter und Gefährder weiterhin<br />

nach Afghanistan abgeschoben werden, hieß es<br />

im August in einer Mitteilung der Regierung.<br />

Nach dem schweren Anschlag auf die deutsche<br />

Botschaft in Kabul im Mai hatte die Bundesregierung<br />

die Abschiebungen nach Afghanistan<br />

beschränkt. Außenminister GABRIEL und Bundesinnenminister<br />

DE MAIZIÈRE hatten sich deshalb<br />

darauf verständigt, dass das Auswärtige Amt<br />

eine aktuelle Darstellung der Sicherheitslage in<br />

Afghanistan vornimmt.<br />

Nach Aussage des Sprechers des Auswärtigen<br />

Amtes, MARTIN SCHÄFER, ist die Gefährdungslage<br />

für die Menschen in Afghanistan und die Rückkehrer<br />

in ihr Heimatland von einer Vielzahl von<br />

Umständen abhängig. Hier würden individuelle<br />

Faktoren wie Wohnort, Herkunft, ethnische<br />

Zugehörigkeit, Beruf und Geschlecht einfließen.<br />

Der Bericht gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür,<br />

dass die Haltung der Bundesregierung zur Frage<br />

der Rückführungen seit dem Terroranschlag auf<br />

die Botschaft in Kabul korrigiert werden müsse.<br />

Der Zwischenbericht gibt auch aus Sicht des<br />

Bundesinnenministeriums keinen Anlass, von<br />

der bisherigen Praxis abzuweichen. Das betonte<br />

der Sprecher des Bundesinnenministeriums,<br />

JOHANNES DIMROTH, in Berlin. Dies bedeute<br />

aus Sicht des Ministeriums, dass bis auf Weiteres<br />

Straftäter, Gefährder sowie Personen, die sich<br />

hartnäckig der Identitätsfeststellung verweigern,<br />

nach Afghanistan zurückgeführt werden<br />

könnten. Auch die freiwillige Rückkehr wird<br />

weiterhin gefördert. Die deutsche Botschaft in<br />

Kabul soll die Durchführung von Rückführungen<br />

unterstützen. [Quelle: Bundesregierung]<br />

Illegal beschäftigte Drittstaatsangehörige<br />

Um die „Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben<br />

zur Durchsetzung der Rechte von illegal beschäftigten<br />

Drittstaatsangehörigen in Deutschland“<br />

geht es in einer Antwort der Bundesregierung<br />

auf eine Kleine Anfrage im Bundestag (vgl. BT-<br />

Drucks <strong>18</strong>/13246). Wie die Bundesregierung darin<br />

ausführt, entspricht das deutsche Recht den<br />

Vorgaben von Art. 6 und 13 der EU-Richtlinie<br />

über Mindeststandards für Sanktionen und Maß-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 943


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

nahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige<br />

ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen.<br />

Das Aufenthaltsgesetz regelt, dass ein Arbeitgeber<br />

auch dann die vereinbarte Vergütung zahlen<br />

muss, wenn er einen Drittstaatsangehörigen<br />

illegal beschäftigt. Dabei wird – entsprechend<br />

den Vorgaben der Richtlinie – vermutet, dass der<br />

Arbeitgeber den illegal beschäftigten Drittstaatsangehörigen<br />

für die Dauer von drei Monaten<br />

beschäftigt hat und als vereinbarte Vergütung<br />

die übliche Vergütung anzusehen ist.<br />

Hinsichtlich der Verjährungsfristen für Vergütungsansprüche,<br />

Kosten der Überweisung<br />

sowie der Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge<br />

gelten laut Bundesregierung wie für alle<br />

Beschäftigten in Deutschland die allgemeinen<br />

Vorschriften des BGB und die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen<br />

Vorschriften. Auch illegal<br />

beschäftigte Drittstaatsangehörige könnten<br />

ihre Zahlungsansprüche außergerichtlich und gerichtlich<br />

geltend machen und die Vollstreckung<br />

titulierter Ansprüche betreiben. Hierzu könnten<br />

Drittstaatsangehörige auch nach Rückkehr in das<br />

Ausland einen Dritten, z.B. einen Rechtsanwalt,<br />

beauftragen.<br />

Soweit die dem Ausländer von Seiten des Arbeitgebers<br />

zustehende Vergütung noch nicht vollständig<br />

geleistet wurde und die Verfolgung der<br />

Ansprüche aus dem Ausland im konkreten Fall<br />

eine besondere Härte darstellen würde, kann<br />

eine für die Dauer eines Strafverfahrens wegen<br />

des Erleidens einer der in § 25 Abs. 4b S. 1<br />

AufenthG bezeichneten Straftaten zu erteilende<br />

Aufenthaltserlaubnis nach Satz 3 der Vorschrift<br />

auch unabhängig vom Strafverfahren verlängert<br />

werden.<br />

[Quelle: Bundestag]<br />

Koordinierter Ländererlass zur<br />

neuen Erbschaftsteuer<br />

Zu dem unlängst geänderten Erbschaft- und<br />

Schenkungsteuerrecht (vgl. dazu auch HAAS<br />

<strong>ZAP</strong> F. 20, S. 629 ff.) haben die obersten<br />

Finanzbehörden der Länder nun auch einen<br />

„koordinierten Ländererlass“ verabschiedet. Wegen<br />

der abweichenden Haltung des Landes<br />

Bayern zu einigen der Erlassregelungen konnte<br />

allerdings nicht wie üblich ein „gleichlautender“<br />

Erlass verabschiedet werden.<br />

Der neue Erlass erläutert im Einzelnen die<br />

Anwendung der in der Praxis wichtigen erbschaft-<br />

und schenkungsteuerrechtlichen Vorschriften<br />

im Unternehmensbereich, etwa § 13a<br />

ErbStG, der die Steuerbefreiung von Betriebsvermögen<br />

regelt, § 13b ErbStG, der die Bestimmung<br />

des begünstigungsfähigen Vermögens beinhaltet,<br />

oder zum Abschmelzmodell des § 13c<br />

ErbStG. Erläutert werden ferner die Regelungen<br />

zur Stundung (§ 28 ErbStG) sowie zur Verschonung<br />

(§ 28a ErbStG). Der 90-seitige Erlass enthält<br />

zudem zahlreiche Berechnungsbeispiele.<br />

Um die vom BVerfG geforderte Neuregelung des<br />

Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts ist politisch<br />

lange gerungen worden. Erst Monate nach<br />

der von den Verfassungsrichtern gesetzten Frist<br />

wurde ein parlamentarischer Kompromiss erzielt<br />

und das Gesetz rückwirkend zum 1.7.2016 in Kraft<br />

gesetzt.<br />

[Quelle: BMF]<br />

Neues Informationstool zu<br />

Familienleistungen<br />

Ab sofort kann mittels PC mit wenigen Klicks<br />

überprüft werden, auf welche staatlichen Leistungen<br />

Eltern oder Familien voraussichtlich einen<br />

Anspruch haben. Möglich macht dies ein neues<br />

digitales Informationsangebot des Bundesministeriums<br />

für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.<br />

Das Ministerium hat im August 20<strong>17</strong> sein „Informationstool<br />

Familienleistungen“ (www.infotoolfamilie.de)<br />

freigeschaltet. Mithilfe dieses digitalen<br />

Angebots können etwa werdende Eltern, Familien<br />

oder auch Berater durch die Eingabe von nur<br />

wenigen Angaben herausfinden, welche Leistungen<br />

und ggf. weitere Unterstützungsangebote für<br />

Familien in Frage kommen sowie wo und unter<br />

welchen Voraussetzungen diese beantragt werden<br />

können.<br />

Bundesfamilienministerin KATARINA BARLEY erklärte<br />

anlässlich der Freischaltung des neuen Angebots:<br />

„Das Bundesfamilienministerium geht hier neue Wege.<br />

Wir sind ein digitales Familienministerium und gestalten<br />

den digitalen Wandel aktiv mit“. Die Bundesfamilienministerin<br />

verwies auf die Möglichkeiten,<br />

944 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

die digitale Technologien bieten, um den Zugang<br />

zu familienpolitischen Leistungen leichter zu<br />

machen. Das neue interaktive Tool, das auch auf<br />

Tablets oder Smartphones funktionieren soll, geht<br />

zunächst mit den wichtigsten Familienleistungen<br />

und Unterstützungen an den Start, soll aber Stück<br />

für Stück weiter ausgebaut werden.<br />

Ein weiterer Baustein des neuen Angebots soll<br />

dann die Vereinfachung der Anträge auf diese<br />

Leistungen sein. So soll es noch in diesem Jahr in<br />

einem ersten Schritt möglich sein, das Elterngeld<br />

online zu beantragen, weitere Leistungsanträge<br />

sollen folgen.<br />

[Quelle: BMFSFJ]<br />

Zahl der freiheitsentziehenden<br />

Maßnahmen sinkt<br />

Die Zahl der gerichtlich genehmigten freiheitsentziehenden<br />

Maßnahmen in Betreuungsverfahren<br />

ist in den vergangenen Jahren stark<br />

zurückgegangen. Wie aus einer Antwort der<br />

Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage im<br />

Bundestag hervorgeht, wurden 2010 bundesweit<br />

noch 98.119 solcher Verfahren angeordnet oder<br />

genehmigt. Seither gehen die Zahlen kontinuierlich<br />

zurück: 2015 waren es nur noch 59.945<br />

Verfahren (vgl. BT-Drucks <strong>18</strong>/13049).<br />

Die jährlich vom Bundesamt für Justiz veröffentlichten<br />

Daten zu den Betreuungsverfahren zeigten,<br />

dass zwischen 2010 und 2015 sowohl die<br />

Anträge auf freiheitsentziehende Maßnahmen als<br />

auch die entsprechenden Genehmigungen rückläufig<br />

seien. Bei den Ablehnungen sei zugleich ein<br />

Anstieg zu verzeichnen. Diese Entwicklung gehe<br />

in die richtige Richtung, heißt es weiter. Der<br />

Einsatz von freiheitsentziehenden Maßnahmen in<br />

der Pflege müsse weiter verringert werden. Es<br />

gehe um den Ausbau vermeidender Strategien.<br />

Die Anwendung freiheitsentziehender Maßnahmen<br />

nach § 1906 Abs. 4 BGB unterliegt den<br />

Angaben zufolge strengen Voraussetzungen<br />

und ist nur mit Genehmigung des Betreuungsgerichts<br />

zulässig. Betroffene halten sich in einer<br />

„Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen<br />

Einrichtung“ auf. Zu einer „sonstigen Einrichtung“<br />

zählen neben Krankenhäusern sowie Alters- und<br />

Pflegeheimen auch betreute Wohngruppen.<br />

[Quelle: Bundestag]<br />

Ausbildungsverordnung für<br />

zertifizierte Mediatoren in Kraft<br />

Am 1. September ist die Verordnung über die<br />

Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren<br />

(ZMediatAusbV) in Kraft getreten. Sie soll<br />

die Qualität von Mediationsleistungen verbessern<br />

und das Vertrauen in Mediationsverfahren<br />

stärken.<br />

Zertifizierter Mediator kann sich künftig nennen,<br />

wer eine den Kriterien der Verordnung<br />

entsprechende Ausbildung durchlaufen hat<br />

und an einer Einzelsupervision über eine – als<br />

Mediator oder Co-Mediator – durchgeführte<br />

Mediation teilgenommen hat. Konkret fordert<br />

die ZMediatAusbV, dass die Aspiranten einen<br />

Ausbildungslehrgang im Umfang von mindestens<br />

120 Präsenzzeitstunden absolvieren und<br />

binnen eines Jahres nach dessen Abschluss einen<br />

praktischen Mediationsfall akquirieren und<br />

supervidieren lassen (§ 2). In den zwei darauf<br />

folgenden Jahren müssen sie weitere vier<br />

Mediationsfälle akquirieren und supervidieren<br />

lassen (§ 4) und sich fortan in Vierjahresintervallen<br />

jeweils im Umfang von 40 Zeitstunden<br />

fortbilden (§ 3).<br />

Der Gesetzgeber versucht bereits seit längerem,<br />

die Mediation durch die Gestaltung eines Rechtsrahmens<br />

zu fördern. Nachdem im Jahr 2008 die<br />

europäische Mediationsrichtlinie erlassen worden<br />

war, setzte Deutschland sie 2012 mit dem Mediationsgesetz<br />

um. In einem weiteren Schritt erarbeitete<br />

das Bundesjustizministerium hierzu auf<br />

der Grundlage des Mediationsgesetzes die Ausbildungsverordnung<br />

für zertifizierte Mediatoren.<br />

Ihr Ziel ist es, das Vertrauen der Nachfrager in die<br />

Qualität der Mediation durch Einführung eines<br />

„Gütesiegels“ zu stärken.<br />

Ob dieses Ziel erreicht werden kann, wird allerdings<br />

von vielen Experten bezweifelt. Bemängelt<br />

wird zum einen, dass es schon an einer Notwendigkeit<br />

der Verbesserung der Qualität der gegenwärtigen<br />

Mediationstätigkeit fehle, und zum<br />

anderen, dass die neue Verordnung auch ungeeignet<br />

sei, eine nennenswerte Qualitätssteigerung<br />

zu erreichen. Diese Kritik aus der Literatur<br />

deckt sich im Wesentlichen auch mit den Ergebnissen<br />

aus dem Evaluationsbericht zur Mediation,<br />

den die Bundesregierung kürzlich vorgelegt<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 945


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

hat (vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin 16/20<strong>17</strong>, S. 833 f.).<br />

Darin heißt es u.a., dass die Zertifizierung von<br />

Mediatoren, wie sie derzeit ausgestaltet ist, „für<br />

die Nutzer wenig Relevanz“ hat.<br />

[Red.]<br />

Freiberufler im Aufwind<br />

Die Zahl der selbstständigen Freiberufler ist<br />

zum Jahresbeginn 20<strong>17</strong> mit 2,8 % auf insgesamt<br />

1,382 Mio. gestiegen, wie der Bundesverband der<br />

Freien Berufe (BFB) kürzlich mitteilte. Über<br />

5 Mio. Beschäftigte zählen die Freien Berufe, so<br />

viele wie nie zuvor. Die rechts-, wirtschafts- und<br />

steuerberatenden Berufe zeigen sogar eine Steigerung<br />

von 3,8 % und weisen damit derzeit rund<br />

379.000 Berufsträger auf.<br />

Aus der diesjährigen Sommer-Konjunkturumfrage<br />

des BFB, die von März bis Mai des<br />

Jahres unter rund 1.000 Freiberuflern durchgeführt<br />

wurde, ging zudem hervor, dass die<br />

Freiberufler ihre wirtschaftliche Lage durchweg<br />

positiv bewerten. Danach stuften 85,7 % der<br />

Befragten ihre aktuelle Geschäftslage als gut<br />

(48,4 %) oder zumindest als befriedigend (37,3 %)<br />

ein. Im Vergleich zu den Werten aus dem Sommer<br />

2016 ist dies eine leichte Korrektur nach unten:<br />

Damals haben die Werte noch bei 51,9 % (gut),<br />

35,5 % (befriedigend) sowie 12,6 % (schlecht)<br />

gelegen.<br />

Bei Betrachtung der verschiedenen Berufsgruppen<br />

zeigen sich allerdings deutliche Unterschiede:<br />

Die höchste Zufriedenheit herrscht im technisch-naturwissenschaftlichen<br />

Bereich (66,3 %<br />

schätzen ihre Geschäftslage als „gut“ ein) und<br />

im rechts-, steuer- und wirtschaftsberatenden<br />

Bereich (47,8 % stufen ihre Geschäftslage als<br />

„gut“ ein). Für das zweite Halbjahr rechnen<br />

immerhin 87,8 % der Befragten mit einer gleichbleibenden<br />

oder sogar günstigeren Entwicklung<br />

– ein etwas schlechterer Wert als im Vorjahr, wo<br />

noch 89,1 % einen stabilen oder sogar optimistischen<br />

Ausblick auf die Zukunft wagten.<br />

Die Personalplanung bei den Freiberuflern korreliert<br />

mit der guten Geschäftslage. So beabsichtigen<br />

70,7 %, den Mitarbeiterstamm in den<br />

kommenden zwei Jahren auf heutigem Stand<br />

beizubehalten, fast jeder Fünfte plant sogar,<br />

mehr Mitarbeiter einzustellen – ein deutlich<br />

höherer Wert als im Vorjahr, wo nur 12,6 % der<br />

Befragten von einer Personalaufstockung ausgingen.<br />

Aber auch hier ergaben sich Unterschiede<br />

zwischen den Berufsgruppen: Die Freiberufler in<br />

den rechts-, steuer- und wirtschaftsberatenden<br />

Berufen sowie in den technisch-naturwissenschaftlichen<br />

Berufen erwarten überdurchschnittlich<br />

häufig einen Mitarbeiterzuwachs, bei den<br />

Heil- und Kulturberufen trifft diese Aussage in<br />

geringerem Maße zu.<br />

[Quelle: BFB]<br />

Werbeverbot auf Anwaltsrobe<br />

bleibt bestehen<br />

Eine vor Gericht getragene Robe hat als Berufskleidung<br />

des Rechtsanwalts frei von werblichen<br />

Aufdrucken zu sein. Dies hatte der Anwaltssenat<br />

des BGH bereits am 7.11.2016 entschieden<br />

(Az. AnwZ (Brfg) 47/15, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 31/20<strong>17</strong>). Die<br />

Bestickung mit Name sowie Internetadresse der<br />

Kanzlei sei als unzulässige Werbung anzusehen.<br />

Der in diesem Verfahren unterlegene Kollege<br />

hatte hierauf Verfassungsbeschwerde eingelegt<br />

und eine Verletzung der Meinungsfreiheit, des<br />

Gleichbehandlungsgrundsatzes und nicht zuletzt<br />

der anwaltlichen Berufsfreiheit gerügt. Das<br />

BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde allerdings<br />

nicht zur Entscheidung an und sah sogar<br />

von einer Begründung gem. § 93d Abs. 1 S. 3<br />

BVerfGG ab (Beschl. v. 31.7.20<strong>17</strong> – 1 BvR 54/<strong>17</strong>).<br />

Damit ist der Kollege nun endgültig mit seinem<br />

Vorhaben gescheitert, seine Anwaltsrobe im<br />

oberen Rückbereich in weißen Buchstaben mit<br />

seinem aus einer Entfernung von acht Metern<br />

lesbaren Namenszug sowie der Internetadresse<br />

seiner Kanzlei zu besticken bzw. zu bedrucken<br />

und diese Robe auch vor Gericht zu tragen. Nach<br />

den jetzigen Entscheidungen des BGH und des<br />

BVerfG dürfte bei einem solchen Verhalten ein<br />

Verstoß gegen § 20 BORA feststehen.<br />

Klarheit dürfte damit auch für künftige Fälle<br />

hergestellt sein, denn der Anwaltssenat des BGH<br />

bemängelte in seiner Entscheidung (a.a.O.) ausdrücklich<br />

und unmissverständlich „jeglichen<br />

Werbeaufdruck auf der Robe“. Diese verkörpere<br />

– im Unterschied zu anderen Berufskleidungen<br />

und zu anderen Kleidungsstücken des Rechtsanwalts<br />

– für alle Anwesenden erkennbar die<br />

„Organstellung des Rechtsanwalts und das Ziel<br />

946 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

einer ausgeglichenen und objektiven Verhandlungsatmosphäre,<br />

die durch die Grundsätze der<br />

Sachlichkeit und der Rationalität sowie der<br />

Verallgemeinerungsfähigkeit der Rechtsanwendung<br />

geprägt“ sei. Zu den unzulässigen Werbeaufdrucken<br />

zählt der Senat auch die bloße<br />

Namensnennung des Anwalts, denn der Rechtsanwalt<br />

solle „gerade nicht als konkrete Person,<br />

sondern als unabhängiges Organ der Rechtspflege<br />

aus dem übrigen Teilnehmerkreis hervorgehoben werden“.<br />

Eine namentliche Kennzeichnung auf der<br />

Robe diene diesem Zweck nicht.<br />

[Quellen: BVerfG/BGH]<br />

„Staatsnähe“ kann Anwaltszulassung<br />

kosten<br />

Man kann nicht Rechtsanwalt sein und zugleich<br />

eine „staatsnahe“ Beschäftigung ausüben. Das<br />

hat soeben der AGH Nordrhein-Westfalen klargestellt.<br />

Danach darf eine Kollegin, die juristische<br />

Aufgaben aus dem Bereich der Geschäftsführung<br />

bei einem – von der Agentur für Arbeit und einer<br />

Kommune getragenen – Jobcenter Arbeit und<br />

Grundsicherung wahrnimmt und das Jobcenter<br />

u.a. in gerichtlichen Verfahren vertritt, nicht als<br />

Syndikusrechtsanwältin zugelassen werden (Urt.<br />

v. 28.4.20<strong>17</strong> – 1 AGH 66/16, n. rkr.).<br />

Die Juristin, seit 2006 zugelassene Rechtsanwältin,<br />

beantragte im Jahre 2016 ihre Zulassung<br />

als Syndikusrechtsanwältin. Seit einigen<br />

Jahren ist sie bei einer städtischen Tochtergesellschaft<br />

im Rheinland angestellt. Aufgrund einer<br />

Abordnung ist die Kollegin derzeit beim dortigen<br />

Jobcenter tätig. Hier ist sie ihrer Tätigkeitsbeschreibung<br />

zufolge bei fachlicher Unabhängigkeit<br />

in den Bereich der Geschäftsführung<br />

eingegliedert, klärt Rechtsfragen aus den Bereichen<br />

des Zivil- und Sozialrechts und gestaltet<br />

u.a. Dienstvereinbarungen sowie Miet-, Reinigungs-,<br />

Beratungs- und Versicherungsverträge.<br />

Gegebenenfalls verhandelt sie mit Unternehmen<br />

und schließt außergerichtliche Vergleiche.<br />

Zudem vertritt sie im Interesse des Jobcenters<br />

für dessen Kunden Fälle außergerichtlich und<br />

gerichtlich, etwa in Mietsachen oder in sozialrechtlichen<br />

Belangen.<br />

Im August 2016 entschied die im vorliegenden<br />

Verfahren beklagte Rechtsanwaltskammer für<br />

den OLG-Bezirk Köln, die Beigeladene als<br />

Syndikusrechtsanwältin zuzulassen. Gegen diesen<br />

Bescheid klagte die Deutsche Rentenversicherung,<br />

die die Auffassung vertritt, dass die<br />

Beigeladene die Voraussetzung für diese Zulassung<br />

nicht erfüllt. Die Klage war im Ergebnis<br />

erfolgreich. Der Beigeladenen wäre, so der<br />

AGH NRW, eigentlich bereits die Zulassung<br />

zur Rechtsanwaltschaft zu versagen gewesen<br />

(dies war allerdings nicht Gegenstand des<br />

Verfahrens). Bereits aus diesem Grund könne<br />

sie nicht als Syndikusrechtsanwältin zugelassen<br />

werden.<br />

Die Beigeladene übe derzeit Tätigkeiten aus, so<br />

der AGH, die mit dem Beruf des Rechtsanwalts<br />

nicht vereinbar sind. Deswegen liege ein Grund<br />

vor, ihr bereits die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />

zu versagen. Ein Rechtsanwalt könne<br />

zwar verschiedene Berufe wählen und nebeneinander<br />

ausüben. Für das rechtsuchende Publikum<br />

dürften aber keine Zweifel an der Unabhängigkeit<br />

und Kompetenz des Rechtsanwalts<br />

entstehen. Die Anstellung eines Anwalts im<br />

öffentlichen Dienst könne wegen einer damit<br />

verbundenen „Staatsnähe“ mit dem Berufsfeld<br />

der freien Advokatur nicht zu vereinbaren sein.<br />

Vorliegend sei das Tätigkeitsfeld der Beigeladenen<br />

bei der außergerichtlichen und gerichtlichen<br />

Vertretung des Jobcenters in den Fällen der<br />

Kunden mit der Tätigkeit eines unabhängigen<br />

Rechtsanwalts nicht zu vereinbaren. So vertrete<br />

sie beispielsweise das Jobcenter in Mietstreitigkeiten<br />

vor dem Amtsgericht und in sozialrechtlichen<br />

Streitigkeiten vor dem Verwaltungsgericht.<br />

Dabei könne sie auch selbstständig<br />

Vergleiche abschließen.<br />

Insbesondere diese Tätigkeit sei geeignet, in den<br />

Augen der Rechtsuchenden das Bild eines unabhängigen<br />

Rechtsanwalts zu beeinträchtigen.<br />

Grundsätzlich sei ein Beschäftigungsverhältnis<br />

mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts nicht zu<br />

vereinbaren, wenn es die „Repräsentation einer<br />

staatlichen Stelle nach außen“ mit sich bringe.<br />

Dann werde der Rechtsanwalt zugleich als „behördlicher<br />

Repräsentant“ wahrgenommen und<br />

erwecke den Eindruck, er könne aufgrund dieser<br />

herausgehobenen Stellung mehr bewirken als<br />

andere, von staatlichen Stellen unabhängige<br />

Rechtsanwälte.<br />

[Quelle: Justiz NRW]<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 947


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Wichtige Gesetzesverkündungen im Überblick<br />

Bundesgesetzblatt Teil I 20<strong>17</strong><br />

Gesetz vom Inkrafttreten BGBl, S. Anmerkung<br />

Gesetz zur Änderung der materiellen<br />

Zulässigkeitsvoraussetzungen<br />

von ärztlichen Zwangsmaßnahmen<br />

und zur Stärkung des<br />

Selbstbestimmungsrechts von<br />

Betreuten<br />

Gesetz zur Bekämpfung von<br />

Kinderehen<br />

Fünfundfünfzigstes Gesetz zur<br />

Änderung des Strafgesetzbuches<br />

– Wohnungseinbruchsdiebstahl<br />

Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung<br />

der nach dem 8.5.1945<br />

wegen einvernehmlicher homosexueller<br />

Handlungen verurteilten<br />

Personen und zur Änderung des<br />

Einkommensteuergesetzes<br />

Gesetz zur Regelung des Rechts<br />

auf Kenntnis der Abstammung<br />

bei heterologer Verwendung von<br />

Samen<br />

Gesetz zur Förderung von Mieterstrom<br />

und zur Änderung weiterer<br />

Vorschriften des Erneuerbare-Energien-Gesetzes<br />

Gesetz über den Abschluss der<br />

Rentenüberleitung (Rentenüberleitungs-Abschlussgesetz)<br />

Gesetz zur Reform der Pflegeberufe<br />

(Pflegeberufereformgesetz<br />

– PflBRefG)<br />

Gesetz zur Modernisierung der<br />

epidemiologischen Überwachung<br />

übertragbarer Krankheiten<br />

Gesetz zum Ausschluss verfassungsfeindlicher<br />

Parteien von<br />

der Parteienfinanzierung<br />

Gesetz zur besseren Durchsetzung<br />

der Ausreisepflicht<br />

Gesetz zur Einführung des Rechts<br />

auf Eheschließung für Personen<br />

gleichen Geschlechts<br />

<strong>17</strong>.7.20<strong>17</strong> 22.7.20<strong>17</strong> 2426 ärztliche Zwangsbehandlungen<br />

von Betreuten künftig auch außerhalb<br />

geschlossener Einrichtungen<br />

möglich (vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />

16/20<strong>17</strong>, S. 831)<br />

<strong>17</strong>.7.20<strong>17</strong> 22.7.20<strong>17</strong> 2429 Eheschließung nur möglich, wenn<br />

beide Heiratswillige volljährig sind<br />

(vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin 16/20<strong>17</strong>,<br />

S. 831)<br />

<strong>17</strong>.7.20<strong>17</strong> 22.7.20<strong>17</strong> 2442 Freiheitsstrafe von einem bis zu<br />

zehn Jahre (vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />

15/20<strong>17</strong>, S. 775)<br />

<strong>17</strong>.7.20<strong>17</strong> 22.7.20<strong>17</strong> 2443 Rehabilitierung und Entschädigung<br />

verurteilter Homosexueller<br />

(vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin 16/20<strong>17</strong>,<br />

S. 831)<br />

<strong>17</strong>.7.20<strong>17</strong> 1.7.20<strong>18</strong> 2513 Einrichtung eines zentralen Samenspenderregisters<br />

(vgl. <strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin 16/20<strong>17</strong>, S. 831)<br />

<strong>17</strong>.7.20<strong>17</strong> 1.1.20<strong>17</strong><br />

25.7.20<strong>17</strong><br />

<strong>17</strong>.7.20<strong>17</strong> 1.7.2014<br />

25.7.20<strong>17</strong><br />

1.7.20<strong>18</strong><br />

1.1.2019<br />

25.7.20<strong>17</strong> 25.7.20<strong>17</strong><br />

1.1.2019<br />

1.1.2020<br />

1.1.2025<br />

2532 Mieter profitieren u.a. von Photovoltaikanlagen<br />

auf Mietgebäuden<br />

(vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />

16/20<strong>17</strong>, S. 831)<br />

2575 einheitliches Rentenrecht ab 2025<br />

(vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin 15/20<strong>17</strong>,<br />

S. 775)<br />

2581 Vereinheitlichung der verschiedenen<br />

Ausbildungswege für Pflegeberufe<br />

(vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />

14/20<strong>17</strong>, S. 722)<br />

<strong>17</strong>.7.20<strong>17</strong> 25.7.20<strong>17</strong> 2615 verstärkte Meldepflichten und<br />

bessere Zusammenarbeit der Gesundheitsbehörden<br />

(vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />

16/20<strong>17</strong>, S. 831)<br />

<strong>18</strong>.7.20<strong>17</strong> 29.7.20<strong>17</strong> 2730 keine staatlichen Gelder für verfassungsfeindliche<br />

Parteien (vgl. <strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin 15/20<strong>17</strong>, S. 775)<br />

20.7.20<strong>17</strong> 29.7.20<strong>17</strong> 2780 Erleichterung von Abschiebung abgelehnter<br />

Asylbewerber (vgl. <strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin 13/20<strong>17</strong>, S. 664 f.)<br />

20.7.20<strong>17</strong> 1.10.20<strong>17</strong> 2787 Ehe für alle (vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />

15/20<strong>17</strong>, S. 774)<br />

948 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Eilnachrichten 20<strong>17</strong> Fach 1, Seite 155<br />

Eilnachrichten<br />

Volltext-Service: Die Entscheidungsvolltexte zu den <strong>ZAP</strong> Eilnachrichten können Sie online kostenlos bei<br />

unserem Kooperationspartner juris abrufen, Anmeldung unter www.juris.de. Einzelheiten zum Anmeldevorgang<br />

finden Sie auf unserer Homepage www.zap-verlag.de/zap/service. Sie sind Neu-Abonnent? Dann<br />

schicken Sie bitte eine E-Mail mit dem Betreff „Neu-Abonnement“ an freischaltcode-zap@zap-verlag.de<br />

und erhalten so Ihre Zugangsdaten.<br />

Allgemeines Zivilrecht<br />

Schmerzensgeldanspruch: Fehlerhafte ärztliche Behandlung des Ehegatten<br />

(OLG Hamm, Beschl. v. 7.6.20<strong>17</strong> – 3 U 42/<strong>17</strong>) • Die Ehefrau eines Geschädigten, der durch das schädigende<br />

Ereignis impotent geworden ist, kann in Ermangelung einer eigenen Rechtsgutverletzung kein<br />

Schmerzensgeld vom Schädiger verlangen. Hinweis: Der (teilweise) Verlust der ehelichen Sexualität<br />

stellt nach Auffassung des OLG keine Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder des Rechts auf<br />

sexuelle Selbstbestimmung der Ehefrau des Geschädigten dar. Es handele sich bei der behaupteten<br />

Impotenz lediglich um eine Auswirkung auf das Leben der Ehefrau, nicht aber um einen Eingriff in ihre<br />

Rechtsstellung. Insbesondere habe sie weiterhin die Möglichkeit, selbst über ihre Sexualität zu<br />

bestimmen. Dieses Recht werde durch die behauptete, rein faktische Einschränkung ihrer sexuellen<br />

Betätigungsmöglichkeiten nicht verletzt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 557/20<strong>17</strong><br />

Meinungsäußerung: Abgrenzung von Tatsachenbehauptung<br />

(OLG Brandenburg, Urt. v. 5.5.20<strong>17</strong> – 1 U 15/16) • Während bei Meinungsäußerungen die subjektive<br />

Beziehung zwischen der Äußerung und der Wirklichkeit im Vordergrund steht, ist für Tatsachenbehauptungen<br />

die objektive Beziehung des sich Äußernden zum Inhalt seiner Äußerung charakteristisch.<br />

Von einer Tatsachenbehauptung ist auszugehen, wenn der Gehalt der Äußerung entsprechend dem<br />

Verständnis des Durchschnittsempfängers der objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas<br />

Geschehenes grds. dem Beweis offensteht. Es stellt keine dem Wahrheitsbeweis zugängliche Tatsachenbehauptung<br />

dar, wenn ein Geschäftspartner anlässlich eines Streits über die gegenseitigen<br />

Rechte und Pflichten aus einem Vertrag wiederholt bekundet, dass die von dem anderen Teil verfassten<br />

Schreiben verwirrend seien, weil dieser nicht in der Lage sei, das Verfahren und sein Geschäft<br />

zu überschauen. Das gilt insb. dann, wenn eine konkret nachweisbare Erkrankung oder eine messund<br />

damit nachweisbare Einbuße der geistigen Fähigkeiten nicht behauptet wird.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 558/20<strong>17</strong><br />

Kaufvertragsrecht<br />

Eigentumswohnung: Anfechtung des Erwerbs<br />

(AG Kassel, Urt. v. 4.5.20<strong>17</strong> – 800 C 3456/16) • Die Anfechtung der Rechtsgeschäfte des Erwerbsvorgangs<br />

einer Eigentumswohnung ist dann nicht erfolgreich (und deswegen im Ergebnis unbeachtlich), um die<br />

die Verpflichtung zur Zahlung von Hausgeld von Anfang an nicht entstehen zu lassen, wenn im Prozess<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 949


Fach 1, Seite 156 Eilnachrichten 20<strong>17</strong><br />

der Wohnungseingentumsgemeinschaft gegen die als Eigentümer im Grundbuch eingetragene Person<br />

diese den Zugang der Anfechtungserklärung beim Veräußerer als Anfechtungsgegner nicht nachweist,<br />

diese die Einhaltung der Anfechtungsfrist des § 124 BGB nicht dartut oder die Anfechtungserklärung über<br />

mehrere Jahre hinweg ohne jede Konsequenz bleibt (hier ca. acht Jahre). Von einer erfolgreichen<br />

Anfechtung kann nur dann die Rede sein, wenn diese innerhalb der Anfechtungsfrist des § 124 BGB<br />

erklärt wurde, die Erklärung dem Anfechtungsgegner zuging und an der Wirksamkeit der Erklärung<br />

auch in materiell-rechtlicher Hinsicht keine Zweifel bestehen, was etwa durch einen Umsetzungsakt<br />

dokumentiert sein kann. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 559/20<strong>17</strong><br />

Miete/Nutzungen<br />

Kündigung: Interessenabwägung nach generalklauselartigem Kündigungstatbestand<br />

(BGH, Urt. v. 10.5.20<strong>17</strong> – VIII ZR 292/15) • Die Kündigung eines Wohnraummietvertrags, um in dem<br />

Gebäude ein gemeinnütziges soziales Projekt zu verwirklichen, kann unwirksam sein, weil die Nachteile,<br />

die dem Vermieter bei einem Fortbestehen des Mietverhältnisses drohen, nicht von ausreichendem<br />

Gewicht sind. Hinweis: Zwar ist bei einer auf die Generalklausel des § 573 Abs. 1 S. 1 BGB gestützten<br />

Kündigung regelmäßig eine Einzelfallabwägung erforderlich. Faktisch bietet es sich allerdings an, die<br />

Kündigung nach Möglichkeit einem der in § 573 Abs. 2 BGB aufgeführten Regelbeispiele zuzuordnen, um<br />

dann zu schauen, ob die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 560/20<strong>17</strong><br />

Bauvertragsrecht<br />

Architektenvertrag: Außerordentliche Kündigung bei mangelhafter Ausführungsplanung<br />

(OLG Brandenburg, Urt. v. 5.4.20<strong>17</strong> – 4 U 112/14) • Der Auftraggeber ist berechtigt, das Vertragsverhältnis<br />

mit dem beauftragten Architekten außerordentlich zu kündigen, wenn dieser seine<br />

Vertragspflichten derart verletzt hat, dass das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört oder die<br />

Erreichung des Vertragszwecks gefährdet und dem Bauherrn ein Festhalten am Vertrag nicht mehr<br />

zuzumuten ist. Dies kann angenommen werden, wenn die Ausführungsplanung des Architekten<br />

mangelhaft und in eklatantem Widerspruch zur Baugenehmigung erfolgt ist. Hinweis: Das OLG folgt<br />

mit seiner Entscheidung der Rechtsprechung des BGH, nach der ein Auftraggeber berechtigt ist, das<br />

Vertragsverhältnis außerordentlich zu kündigen, wenn der Auftragnehmer seine Vertragspflichten<br />

derart verletzt hat, dass das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört oder die Erreichung des<br />

Vertragszwecks gefährdet ist. Entsprechend dem Rechtsgedanken des § 314 BGB ist an die Unzumutbarkeit<br />

der Vertragsfortsetzung anzuknüpfen. Dies gilt auch für einen Architektenvertrag.<br />

Rechtsfolge einer solchen Kündigung aus „wichtigem Grund“ ist es, dass der Auftragnehmer nur<br />

Honorar für bereits erbrachte Leistungen verlangen kann. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 561/20<strong>17</strong><br />

Sonstiges Vertragsrecht<br />

Transportlohn: Verfall<br />

(BGH, Beschl. v. 10.4.20<strong>17</strong> – 4 StR 299/16) • Bei einem unter Verstoß gegen deutsche Straßenverkehrsvorschriften<br />

durchgeführten internationalen Transport besteht die Möglichkeit, den Verfall in Höhe des<br />

gesamten Transportlohns anzuordnen. Die erforderliche unmittelbare Kausalbeziehung zwischen der<br />

mit Bußgeld bedrohten Handlung und dem wirtschaftlichen Vorteil des gesamten Transportlohns wird<br />

nicht dadurch in Frage gestellt, dass nur in Hinblick auf ein Teilstück der Transportstrecke ein Verstoß<br />

gegen Straßenverkehrsvorschriften vorliegt. Denn die erfolgte Nutzung des deutschen Verkehrsraums<br />

kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der wirtschaftliche Vorteil des gesamten Transportlohns<br />

entfiele. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 562/20<strong>17</strong><br />

950 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Eilnachrichten 20<strong>17</strong> Fach 1, Seite 157<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

WEG: Änderung des Sondereigentums durch Übertragung einzelner Räume<br />

(OLG München, Beschl. v. 6.6.20<strong>17</strong> – 34 Wx 440/16) • Zwei Wohnungseigentümer können den<br />

Gegenstand ihres jeweiligen Sondereigentums durch Übertragung einzelner Räume ihres Sondereigentums<br />

ändern, wenn das übertragene Sondereigentum zugleich mit dem Miteigentumsanteil des<br />

Erwerbers verbunden wird. Einer gleichzeitigen Verfügung über den Miteigentumsanteil bedarf es<br />

hierfür ebenso wenig wie einer Änderung der jeweiligen Miteigentumsanteile und einer Mitwirkung<br />

der übrigen Wohnungs- und Teileigentümer. Deren Miteigentum war von Anfang an beschränkt<br />

durch die Einräumung der zu den anderen Miteigentumsanteilen gehörenden Sondereigentumsrechte.<br />

Ihre Rechtsstellung wird deshalb von der Veränderung nicht betroffen.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 563/20<strong>17</strong><br />

Bank- und Kreditwesen<br />

Anlageberatung: Darlegungs- und Beweislast bei behaupteten Aufklärungspflichtverletzungen<br />

(OLG Celle, Urt. v. 22.6.20<strong>17</strong> – 11 U 147/16) • Eine ordnungsgemäße Anlageberatung kann entweder<br />

mündlich oder auch durch die Übergabe von Prospektmaterial erfolgen, sofern der Prospekt nach Form<br />

und Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu vermitteln, und<br />

er dem Anlageinteressenten so rechtzeitig vor dem Vertragsschluss übergeben wird, dass sein Inhalt<br />

noch zur Kenntnis genommen werden kann. Die Behauptung einer Aufklärungspflichtverletzung durch<br />

Unterlassen setzt die entsprechende Behauptung des Anlegers voraus, dass ihm zumindest konkrete<br />

tatsächliche Anhaltspunkte gegenwärtig sind, die im Sinne einer gewissen Wahrscheinlichkeit für die<br />

behauptete Pflichtverletzung sprechen. Bei etwaigen Lücken oder Widersprüchen in schriftsätzlichen<br />

Behauptungen des Anlegers ist dieser persönlich anzuhören. Bleibt im Rahmen der Anhörung<br />

zweifelhaft, ob der Anleger sich an die Umstände der Beratung/Prospektübergabe noch erinnert, so<br />

wird die Schlüssigkeit seines Vorbringens davon abhängen, ob er tatsächliche Anhaltspunkte dafür<br />

benennt, die zumindest die im Rahmen seiner Anhörung aufgestellte konkrete Behauptung aus seiner<br />

Sicht als wahrscheinlich erscheinen lassen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 564/20<strong>17</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

Fahrlässige Tötung im Straßenverkehr: Bewährung<br />

(BGH, Urt. v. 6.7.2107 – 4 StR 415/16) • Strafaussetzung zur Bewährung kann nach § 56 Abs. 3 StGB nur<br />

versagt werden, wenn sie für das allgemeine Rechtsempfinden unverständlich erscheinen müsste und<br />

dadurch das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert und von der<br />

Allgemeinheit als ungerechtfertigtes Zurückweichen vor der Kriminalität angesehen werden könnte.<br />

Dies darf nicht dazu führen, bestimmte Tatbestände oder Tatbestandsgruppen von der Möglichkeit<br />

einer Strafaussetzung zur Bewährung auszuschließen. Andererseits gibt es keine „Regel“, wonach bei<br />

Vorliegen besonderer Umstände i.S.v. § 56 Abs. 2 StGB die Verteidigung der Rechtsordnung nach § 56<br />

Abs. 3 StGB der Strafaussetzung nicht entgegensteht. Hinweis: Der 4. Strafsenat gibt hier einen<br />

Grundkurs zur Prüfung der Vorschrift des § 56 StGB und der dabei maßgeblichen Grundsätze und<br />

Kriterien (s. auch DEUTSCHER StRR 8/20<strong>17</strong>, S. <strong>18</strong>). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 565/20<strong>17</strong><br />

Fahrzeugschaden in der Waschanlage: Vergütung des Sachverständigen<br />

(OLG Celle, Beschl. v. 12.6.20<strong>17</strong> – 2 W 119/<strong>17</strong>) • Für die Begutachtung der Beschädigung eines Fahrzeugs in<br />

einer Autowaschanlage ist nicht das Sachgebiet 37 „Ursachenermittlung und Rekonstruktion bei<br />

Fahrzeugunfällen“ und damit die Honorargruppe 12 in Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG zugrunde zu legen,<br />

sondern das Sachgebiet Nr. 20 „Kraftfahrzeugschäden und -bewertung“ und damit nur die Honorargruppe<br />

8. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 566/20<strong>17</strong><br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 951


Fach 1, Seite 158 Eilnachrichten 20<strong>17</strong><br />

Versicherungsrecht<br />

Berufsunfähigkeitsversicherung: Schweigepflichtentbindungen des Versicherers<br />

(BGH, Urt. v. 5.7.20<strong>17</strong> – IV ZR 121/15) • § 213 VVG steht der Zulässigkeit sog. allgemeiner Schweigepflichtentbindungen<br />

nicht entgegen. Der Versicherer darf im Rahmen seiner Leistungsprüfung dem<br />

Versicherten die Erteilung einer solchen Erklärung aber regelmäßig nicht abverlangen. Auch nach<br />

Inkrafttreten des § 213 VVG ist in Fällen der Datenerhebung ohne ausreichende Rechtsgrundlage, insb. bei<br />

Nichtbeachtung der Vorgaben des § 213 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 und 4 VVG, sachlich-rechtlich zu prüfen, ob der<br />

Versicherer nach § 242 BGB gehindert ist, sich auf die Ergebnisse seiner Ermittlungen zu berufen und insb.<br />

darauf gestützt von dem Gestaltungsrecht der Arglistanfechtung Gebrauch zu machen. Hinweis: Mit dem<br />

vorliegenden Urteil hat der BGH die umstrittene Frage geklärt, ob diese Grundsätze nach Inkrafttreten des<br />

§ 213 VVG fortgelten, und diese Frage bejaht. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 567/20<strong>17</strong><br />

Familienrecht<br />

Adoptionsrecht: Anfechtbarkeit eines Adoptionsbeschlusses<br />

(BGH, Beschl. v. 21.6.20<strong>17</strong> – XII ZB <strong>18</strong>/16) • Der Adoptionsbeschluss ist auch hinsichtlich des im<br />

Ausspruch enthaltenen, lediglich deklaratorischen Hinweises auf die Änderung des Geburtsnamens<br />

des Anzunehmenden nicht anfechtbar. Auch die Rechtsbeschwerde ist dann nicht statthaft, was<br />

ebenfalls gilt, wenn das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde zugelassen hat. Ein im Adoptionsverfahren<br />

gestellter Antrag auf Beibehaltung des bisherigen Geburtsnamens kann formfrei zurückgenommen<br />

werden. Die Rücknahmeerklärung des zur Namensführung gestellten Antrags bedarf<br />

nicht der notariellen Beurkundung. Die notarielle Beurkundung ist für die – bedingungsfeindliche –<br />

Einwilligungserklärung erforderlich. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 568/20<strong>17</strong><br />

Nachlass/Erbrecht<br />

Nachlassverfahren: Beschwerdeberechtigung des Sozialhilfeträgers<br />

(OLG München, Beschl. v. 16.5.20<strong>17</strong> – 31 Wx 7/<strong>17</strong>) • Der Träger der Sozialhilfe ist nicht beschwerdeberechtigt<br />

i.S.d. § 59 Abs. 1 FamFG, wenn das Nachlassgericht Anordnungen des Erblassers gegenüber dem<br />

Testamentsvollstrecker abändert oder außer Kraft setzt und dies Auswirkungen auf die wirtschaftliche<br />

Lage des Vorerben hat. Insoweit handelt es sich lediglich um eine wirtschaftliche Betroffenheit, die grds.<br />

kein Beschwerderecht begründet. Nicht ausreichend sind nämlich lediglich wirtschaftliche, rechtliche<br />

oder sonstige berechtigte Interessen. Eine Behörde ist grds. nur dann beschwerdeberechtigt i.S.d. § 59<br />

Abs. 3 FamFG, wenn eine konkrete Norm, die die Intention des Gesetzgebers an der Mitwirkung der<br />

Behörde im Verfahren erkennen lässt, vorhanden ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 569/20<strong>17</strong><br />

Zivilprozessrecht<br />

Wiedereinsetzung: Fristverlängerungsantrag wegen Arbeitsüberlastung zulässig<br />

(BGH, Beschl. v. 9.5.20<strong>17</strong> – VIII ZB 69/16) • Zwar muss ein Berufungsführer grds. damit rechnen, dass der<br />

Vorsitzende des Berufungsgerichts in Ausübung seines pflichtgemäßen Ermessens eine beantragte<br />

Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Daher kann er sich im Wiedereinsetzungsverfahren<br />

nur dann mit Erfolg auf sein Vertrauen in die Fristverlängerung berufen, wenn deren<br />

Bewilligung mit großer Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Das ist jedoch bei einem ersten<br />

Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist im Allgemeinen der Fall, sofern dieser auf<br />

erhebliche Gründe i.S.d. § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO gestützt wird. An die Darlegung eines erheblichen Grundes<br />

für die Notwendigkeit der Fristverlängerung dürfen bei einem ersten Antrag auf Verlängerung der<br />

952 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Eilnachrichten 20<strong>17</strong> Fach 1, Seite 159<br />

Berufungsbegründungsfrist keine hohen Anforderungen gestellt werden. Daher reicht der bloße<br />

Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung zur Feststellung eines erheblichen Grundes i.S.d. § 520 Abs. 2 S. 3<br />

ZPO aus, ohne dass es einer weiteren Substantiierung bedarf. Unter Umständen kann auch eine<br />

konkludente Darlegung der für eine Fristverlängerung erforderlichen Voraussetzungen (hier: Arbeitsüberlastung)<br />

ausreichend sein. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 570/20<strong>17</strong><br />

Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />

Restschuldbefreiungsantrag: Keine Sperrfrist bei Aufhebung der Kostenstundung<br />

(BGH, Beschl. v. 4.5.20<strong>17</strong> – IX ZB 92/16) • Der Schuldner kann ohne Einhaltung einer Sperrfrist einen<br />

neuen Antrag auf Restschuldbefreiung stellen, wenn in einem vorausgegangenen Insolvenzverfahren<br />

die Kostenstundung wegen Verletzung von Mitwirkungspflichten aufgehoben und das<br />

Insolvenzverfahren sodann mangels Masse eingestellt worden ist. Der Schuldner handelt auch nicht<br />

rechtsmissbräuchlich, wenn er nach Aufhebung der Kostenstundung und Einstellung des Insolvenzverfahrens<br />

mangels Masse ohne Einhaltung einer Sperrfrist erneut einen Antrag auf Kostenstundung<br />

für ein neues Insolvenzverfahren stellt, auch wenn die Aufhebung der Kostenstundung darauf beruht,<br />

dass er seine Mitwirkungspflichten verletzt hat. Hinweis: Mit der vorliegenden Entscheidung hat der<br />

BGH zu der umstrittenen Frage Stellung genommen, ob der Schuldner rechtsmissbräuchlich handelt,<br />

wenn er – nach Aufhebung der Kostenstundung und Einstellung des Insolvenzverfahrens mangels<br />

Masse – ohne Einhaltung einer Sperrfrist erneut einen Antrag auf Kostenstundung für ein neues<br />

Insolvenzverfahren stellt und die Aufhebung der Kostenstundung darauf beruht, dass er seine Mitwirkungspflichten<br />

verletzt hat. Diese Frage hat der BGH mit der Begründung verneint, dass der<br />

Gesetzgeber diese Möglichkeit eröffnet hat. Allerdings ist nach Ansicht des BGH die dem Schuldner<br />

damit eingeräumte Möglichkeit unbefriedigend, da sie dem unredlichen Schuldner nicht zu<br />

rechtfertigende Handlungsspielräume biete und die Insolvenzgerichte und die öffentlichen Haushalte<br />

belaste. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 571/20<strong>17</strong><br />

Insolvenzplan: Einordnung in Gläubigergruppe bindend<br />

(OLG Schleswig, Urt. v. 6.4.20<strong>17</strong> – 11 U 96/16) • Wird ein Gläubiger im Insolvenzplan in die Gruppe 2<br />

eingeordnet, der keine Barauszahlungsquote, sondern eine Anleihequote zusteht, so ist diese Regelung<br />

bindend. Ist ein Gläubiger mit dieser Einordnung nicht einverstanden, muss er sich gegen die Einordnung<br />

in eine bestimmte Gläubigergruppe im Insolvenzplan im Laufe des Insolvenzverfahrens wehren. Nach<br />

Rechtskraft des Planes ist er an dessen Regelungen gebunden. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 572/20<strong>17</strong><br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

Stiftungsrecht: Abberufung des Vorstands einer Stiftung<br />

(OLG Hamm, Urt. v. 8.5.20<strong>17</strong> – 8 U 86/16) • Die Abberufung eines Vorstandsmitglieds einer<br />

rechtsfähigen Stiftung aus anderen als wichtigen Gründen richtet sich allein nach der Satzung. Ein<br />

Vorstandsmitglied einer rechtsfähigen Stiftung kann daher nicht frei aus einfachen Sachgründen<br />

abberufen werden, wenn die Stiftungssatzung dies nicht vorsieht. Es bedarf dann eines wichtigen<br />

Grundes. Nimmt ein Vorstand einer Stiftung seine Tätigkeit auf, die nach allseitigem Willen vergütet<br />

werden soll, wird dadurch regelmäßig neben dem Organverhältnis ein Dienstvertrag begründet.<br />

Vergütungsregelungen in der Stiftungssatzung sind dann als – die Vertretungsmacht des Kreationsorgans<br />

begrenzende – Vorgaben anzusehen, die nicht geeignet sind, den erforderlichen Anstellungsvertrag<br />

zu ersetzen. Ist die freie Abberufung des Vorstands einer Stiftung nicht vorgesehen, kann<br />

die Auslegung des konkludent geschlossenen Anstellungsvertrags ergeben, dass auch dieser nicht<br />

ordentlich kündbar ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 573/20<strong>17</strong><br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 953


Fach 1, Seite 160 Eilnachrichten 20<strong>17</strong><br />

Wirtschafts-/Urheber-/Medien-/Marken-/Wettbewerbsrecht<br />

Presserechtlicher Auskunftsanspruch: Verschwiegenheitspflicht der Rechtsanwaltskammer<br />

(OVG NRW, Beschl. v. 3.5.20<strong>17</strong> – 15 B 457/<strong>17</strong>) • Zwar gilt für die Mitglieder des Vorstands der<br />

Rechtsanwaltskammer und für Personen, die Aufgaben der Kammer für den Vorstand wahrnehmen,<br />

die personenbezogene Verschwiegenheitspflicht nach § 76 Abs. 1 BRAO. Bei dieser handelt es sich<br />

jedoch nicht um eine auf Bundesrecht beruhenden Geheimhaltungsvorschrift i.S.v. § 4 Abs. 2 Nr. 2<br />

PresseG NRW. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 574/20<strong>17</strong><br />

Irreführende Werbung: Keine Angabe der Energieeffizienzklasse<br />

(BGH, Urt. v. 6.4.20<strong>17</strong> – I ZR 159/16) • Händler haben sicherzustellen, dass bei jeglicher Werbung für ein<br />

bestimmtes Luftkonditionierermodell mit energie- oder preisbezogenen Informationen auch dessen<br />

Energieeffizienzklasse angegeben wird, und, wenn mehrere Effizienzklassen möglich sind, mindestens<br />

die der Klimazone „mittel“ entsprechende Energieeffizienzklasse genannt wird. Allerdings muss die<br />

Energieeffizienzklasse eines in einem Internetshop beworbenen Modells eines Luftkonditionierers nicht<br />

auf derselben Internetseite wie die preisbezogene Werbung angegeben werden. Vielmehr kann sie auch<br />

auf einer Internetseite angeführt sein, die sich nach Anklicken eines Links öffnet, der in der Nähe der<br />

preisbezogenen Werbung angebracht und klar und deutlich als elektronischer Verweis auf die Angabe<br />

der Effizienzklasse zu erkennen ist. Diesem Anfordernis der „Deutlichkeit“ entspricht ein nur allgemein<br />

mit „Mehr zum Artikel“ bezeichneter Link nicht. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 575/20<strong>17</strong><br />

Arbeitsrecht<br />

Aufhebungsvertrag: Anfechtung wegen arglistiger Täuschung<br />

(LAG Köln, Beschl. v. 29.6.20<strong>17</strong> – 4 Ta 125/<strong>17</strong>) • Das subjektive Merkmal „Arglist“ i.S.v. § 123 Abs. 1 BGB<br />

liegt vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der<br />

Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim<br />

Erklärungsgegner entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit – auch grobe Fahrlässigkeit<br />

– genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Anfechtende; dass es<br />

sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen. Fechtet ein Arbeitnehmer<br />

einen Aufhebungsvertrag wegen arglistiger Täuschung an, so fehlt es an einem arglistigen Verhalten<br />

des Arbeitgebers, wenn der Arbeitnehmer keinerlei Umstände vorgetragen hat, aus denen sich ergeben<br />

könnte, dass dem Arbeitgeber etwaige Nachteile bekannt gewesen sind, die dem Arbeitnehmer durch<br />

den Abschluss des Aufhebungsvertrags gegenüber dem Jobcenter entstehen können.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 576/20<strong>17</strong><br />

Sozialrecht<br />

Sozialhilfe: Vorläufige Leistungsgewährung für Unterkunft und Heizung<br />

(BVerfG, Beschl. v. 1.8.20<strong>17</strong> – 1 BvR 1910/12) • Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit haben im<br />

einstweiligen Rechtsschutzverfahren anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen, ob tatsächlich<br />

die notwendige Eilbedürftigkeit für eine vorläufige Leistungsgewährung vorliegt. Sie können die<br />

Eilbedürftigkeit von vorläufigen Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung deshalb nicht nur<br />

pauschal darauf beziehen, ob schon eine Räumungsklage erhoben worden ist. Die Regelung zu den<br />

Kosten der Unterkunft und Heizung in § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II verpflichtet zur Übernahme der<br />

„angemessenen“ Kosten und soll dazu beitragen, nicht nur die bloße Obdachlosigkeit zu verhindern,<br />

sondern darüber hinaus auch das Existenzminimum zu sichern, wozu es gehört, möglichst in der<br />

gewählten Wohnung zu bleiben. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 577/20<strong>17</strong><br />

954 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Eilnachrichten 20<strong>17</strong> Fach 1, Seite 161<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

Unterbringung: Verfassungswidrigkeit der Vorschrift zur Zwangsbehandlung im PsychKG M-V<br />

(BVerfG, Beschl. v. 19.7.20<strong>17</strong> – 2 BvR 2003/14) • § 23 Abs. 2 S. 2 Alt. 1 PsychKG des Landes Mecklenburg-<br />

Vorpommern ist mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG unvereinbar und nichtig. Entgegen der<br />

verfassungsrechtlichen Vorgabe enthält die Vorschrift keine Regelung dazu, dass die Anordnung und<br />

Überwachung der medizinischen Zwangsbehandlung durch einen Arzt erfolgen muss. Sie erfüllt zudem<br />

nicht die verfahrensmäßige Vorgabe, dass dem Eingriff eine von der Unterbringungseinrichtung<br />

unabhängige Prüfung vorausgehen muss. Außerdem fehlt es an der abschließenden Bestimmung des<br />

Zwecks oder der Zwecke, die den Eingriff rechtfertigen sollen. Letztlich ist dem Erfordernis, die weiteren<br />

aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abzuleitenden Anforderungen einer Zwangsbehandlung<br />

gesetzlich zu konkretisieren, nicht genügt worden. Es fehlt insb. an einer angemessenen Regelung,<br />

sich vorab um eine auf Vertrauen gegründete, im Rechtssinne freiwillige Zustimmung zu bemühen.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 578/20<strong>17</strong><br />

Steuerrecht<br />

Außergewöhnliche Belastung: Scheidungskosten nicht abziehbar<br />

(BFH, Urt. v. <strong>18</strong>.5.20<strong>17</strong> – VI R 9/16) • Scheidungskosten sind Aufwendungen für die Führung eines<br />

Rechtsstreits (Prozesskosten) i.S.d. § 33 Abs. 2 S. 4 EStG. Sie sind durch § 33 Abs. 2 S. 4 EStG vom Abzug<br />

als außergewöhnliche Belastungen ausgeschlossen. Denn ein Steuerpflichtiger erbringt die Aufwendungen<br />

für ein Scheidungsverfahren regelmäßig nicht zur Sicherung seiner Existenzgrundlage und<br />

seiner lebensnotwendigen Bedürfnisse. Hinweis: Damit sind Scheidungskosten – anders als nach der<br />

bisherigen Rechtsprechung – aufgrund einer seit dem Jahr 2013 geltenden Neuregelung nicht mehr als<br />

außergewöhnliche Belastung abziehbar. Seit der Änderung des § 33 EStG im Jahr 2013 sind<br />

Aufwendungen für die Führung eines Rechtsstreits (Prozesskosten) grds. vom Abzug als außergewöhnliche<br />

Belastung ausgeschlossen. Nach § 33 Abs. 2 S. 4 EStG greift das Abzugsverbot nur dann<br />

nicht ein, wenn der Steuerpflichtige ohne die Aufwendungen Gefahr liefe, seine Existenzgrundlage zu<br />

verlieren und seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht mehr befriedigen<br />

zu können. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 579/20<strong>17</strong><br />

Strafsachen/Ordnungswidrigkeiten<br />

Schwerer Raub: Gefährliches Werkzeug<br />

(BGH, Beschl. v. 12.7.20<strong>17</strong> – 2 StR 160/16) • Es reicht zur Erfüllung von § 250 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b StGB<br />

nicht aus, irgendeinen Gegenstand zur Überwindung des Widerstands eines Dritten einzusetzen. Nach<br />

dem weiten Wortlaut der Norm ist es zwar nicht erforderlich, dass das mitgeführte Werkzeug oder<br />

Mittel seiner Beschaffenheit nach objektiv geeignet ist, das Opfer durch Gewalt oder Drohung mit<br />

Gewalt zu nötigen. Als tatbestandsqualifizierende Drohungsmittel scheiden aber nach st. Rspr. des<br />

BGH solche Gegenstände aus, bei denen die Drohungswirkung nicht auf dem objektiven Erscheinungsbild<br />

des Gegenstands selbst, sondern (allein oder jedenfalls maßgeblich) auf täuschenden Erklärungen<br />

des Täters beruht. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 580/20<strong>17</strong><br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Gescheiterte Verständigung: Verwertung des Geständnisses<br />

(BGH, Beschl. v. 29.6.20<strong>17</strong> – 5 StR 226/<strong>17</strong>) • Das Verwertungsverbot aus § 257a Abs. 4 S. 3 StPO betrifft<br />

nur diejenigen Fälle, in denen es nach dem Scheitern einer Verständigung unter den Voraussetzungen<br />

des § 257c Abs. 4 S. 1, 2 StPO zu keiner weiteren, neuen Verständigung kommt, in deren Folge ein<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 955


Fach 1, Seite 162 Eilnachrichten 20<strong>17</strong><br />

Angeklagter erneut ein gleichlautendes Geständnis ablegen möchte. Bei Abschluss einer neuen<br />

Verständigung ist es einem Angeklagten unbenommen, auf sein ursprüngliches Geständnis – auch<br />

konkludent – zurückzugreifen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 581/20<strong>17</strong><br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

Berufsrecht: Karenzzeit für Rechtsanwaltstätigkeit pensionierter Richter<br />

(BVerwG, Urt. v. 4.5.20<strong>17</strong> – 2 C 45.16) • Die anwaltliche Vertretung eines Prozessbeteiligten durch einen<br />

Ruhestandsrichter, der noch vor Kurzem selbst als Kollege der nunmehr zur Entscheidung berufenen<br />

Richter tätig war, begründet die Besorgnis der Beeinträchtigung dienstlicher Belange. Daher ist es<br />

gerechtfertigt, ihm diese Tätigkeit für eine Übergangszeit zu untersagen. Zwar sieht das Berufsrecht<br />

der Rechtsanwälte eine entsprechende Karenzzeit für eine Tätigkeit ehemaliger Richter nicht mehr<br />

vor. Damit ist aber keine Sperrwirkung für ein entsprechendes Verbot auf dienstrechtlicher Grundlage<br />

verbunden. Allerdings dürfen Hintergrundberatungen oder andere „of counsel“-Aktivitäten nicht<br />

untersagt werden. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 582/20<strong>17</strong><br />

Gebührenrecht<br />

Anwaltsgebühren: Terminsgebühr setzt inhaltliche Erörterung voraus<br />

(OLG Frankfurt, Beschl. v. 24.7.20<strong>17</strong> – 6 W 47/<strong>17</strong>) • Ergeht im Verhandlungstermin gegen den säumigen<br />

Gegner ein Versäumnisurteil, entsteht für den Anwalt eine volle Terminsgebühr nur dann, wenn über die<br />

Stellung des Antrags auf Erlass des Versäumnisurteils hinaus eine inhaltliche Erörterung stattgefunden<br />

hat. Zur Glaubhaftmachung dieses Umstands kann eine anwaltliche Versicherung ausreichen; aus dem<br />

Sitzungsprotokoll muss sich die Erörterung nicht ergeben. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 583/20<strong>17</strong><br />

Einigungsgebühr: Bestimmung des Gegenstandswerts<br />

(LAG Düsseldorf, Beschl. v. 9.6.20<strong>17</strong> – 4 Ta 210/<strong>17</strong>) • Gemäß Nr. 1000 VV RVG entsteht eine<br />

Einigungsgebühr für die Mitwirkung des Rechtsanwalts beim Abschluss eines Vertrags, durch den der<br />

Streit oder die Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird. Im Hinblick auf diese Gebühr ist<br />

auf Antrag des Rechtsanwalts der maßgebende Wert gerichtlich festzusetzen. Dabei ist nicht zu<br />

bewerten, was aufgrund des Vertrags zu leisten ist, sondern welcher Gegenstand durch ihn geregelt<br />

wird. Denn honoriert wird gerade die Mitwirkung des Rechtsanwalts bei der Beseitigung des Streits<br />

oder der Ungewissheit in Bezug auf ein Rechtsverhältnis. Für die Regelung einer unwiderruflichen<br />

Freistellung in einem Beendigungsvergleich ist nur dann ein zusätzlicher Wert anzusetzen, wenn die<br />

Parteien gerade über die Frage eines Anspruchs oder Rechts auf Weiterbeschäftigung/Freistellung im<br />

Streit oder Ungewissen waren. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 584/20<strong>17</strong><br />

Auslagenerstattung nach Einstellung: Schützen eines nahen Angehörigen<br />

(LG Krefeld, Beschl. v. 7.6.20<strong>17</strong> – 30 Qs 14 Js – OWi 1067/16 – 13/<strong>17</strong>) • § 109a Abs. 2 OWiG kann nur dann<br />

zur Anwendung kommen, wenn das zurückgehaltene Vorbringen des Betroffenen als missbräuchlich<br />

oder unlauter anzusehen ist. Das Schützen eines nahen Angehörigen ist jedoch ein billigenswerter<br />

Grund für die Zurückhaltung eines entlastenden Umstands. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 585/20<strong>17</strong><br />

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956 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 245<br />

Bauträgervertrag – Abnahme<br />

Bauträgervertrag<br />

Die Abnahme beim Bauträgervertrag<br />

Von Rechtsanwalt Dr. BENJAMIN WEILER und Rechtsreferendarin/Wiss. Mit. NATASCHA HAMESTUK, Berlin<br />

Inhalt<br />

I. Vorbemerkung<br />

II. Doppelte Rechtsnatur des Bauträgervertrags<br />

III. Abnahme: Dreh- und Angelpunkt im<br />

Werkvertragsrecht<br />

1. Besondere Formen der Abnahme<br />

2. Abnahme bei Wohnungs-/Teileigentum<br />

IV. Vertragsgestaltung – Klauseln und ihre<br />

Tücken<br />

1. Klauselkontrolle nach AGB-Recht und<br />

der Klauselrichtlinie<br />

2. Häufige Problemfelder aus der Praxis:<br />

Unwirksamkeit von Klauseln<br />

V. Zusammenfassung, Klauselvorschlag<br />

I. Vorbemerkung<br />

Der Erwerb vom Bauträger ist im Zuge des aktuellen Immobilienbooms wieder stark im Aufwind. Seiner<br />

besonderen Rechtsnatur geschuldet, gehen mit ihm jedoch einige Probleme im Hinblick auf die<br />

notarielle Vertragsgestaltung zwischen dem Bauträger als Bauherr und dem Erwerber einher, die mit<br />

diesem Aufsatz beleuchtet werden sollen. Dabei steht vor allem die werkvertragliche Abnahme der<br />

Bauleistung als Gegenstand von Allgemeinen Vertragsbedingungen im Fokus.<br />

II. Doppelte Rechtsnatur des Bauträgervertrags<br />

Die Wesensmerkmale des Bauträgervertrags werden in § 632a Abs. 2 BGB definiert (ab 1.1.20<strong>18</strong> in § 650u<br />

Abs. 1 BGB n.F., s. „Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der kaufrechtlichen<br />

Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen Siegel im<br />

Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren“ vom 28.4.20<strong>17</strong>, BGBl. I, S. 969). Danach handelt es sich um einen<br />

Vertrag, der die Errichtung oder den Umbau eines Hauses oder eines vergleichbaren Bauwerks zum<br />

Gegenstand hat und zugleich die Verpflichtung des Unternehmers enthält, dem Besteller das Eigentum an<br />

dem Grundstück oder ein Erbbaurecht zu verschaffen. Die Gegenleistung des Erwerbers erfolgt durch<br />

einen einheitlichen Erwerbspreis (vgl. BASTY, Der Bauträgervertrag, 7. Aufl., Rn 4).<br />

Der Bauträgervertrag hat damit eine doppelte Rechtsnatur: Er beinhaltet sowohl eine kaufrechtliche<br />

als auch eine werkvertragliche Komponente, bleibt aber stets ein einheitlicher Vertrag (BGH BauR 1979,<br />

337). Er ist ein Vertrag sui generis als Typenkombinationsvertrag (BASTY, a.a.O., Rn 7, 8 m.w.N.). Daraus<br />

folgt ferner, dass der Bauträgervertrag insgesamt notariell zu beurkunden ist (BGH NJW 1986, 925),<br />

§ 311b Abs. 1 S. 1 BGB (KNIFFKA/KOEBLE, Kompendium des Baurechts, 4. Aufl., Rn 236 m.w.N.).<br />

Es kommt jedoch durchaus vor, dass ein Bauwerk erst nach Errichtung oder Umbau erworben wird, so<br />

dass fraglich sein könnte, ob überhaupt noch Werkvertrags- und nicht vielmehr Kaufrecht anzuwenden<br />

ist. Auf diese sog. Nachzügler-Fälle wendet der BGH dennoch Werkvertragsrecht an (BGH DNotZ 2008,<br />

66). Der Erwerber erhält dabei neben dem Grundstück alle Planungs-/Bauleistungen aus der Hand des<br />

Bauträgers als einzigem Vertragspartner (vgl. BGH DNotZ 2002, 857). Diesem bleibt es dabei selbst<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 957


Fach 5, Seite 246<br />

Bauträgervertrag – Abnahme<br />

Bauvertragsrecht<br />

überlassen, ob er alle Bauleistungen selbst erbringt oder sie von einem Dritten ausführen lässt. Die<br />

Verpflichtung, das Eigentum an dem Grundstück zu verschaffen, setzt nicht voraus, dass der Bauträger<br />

selbst bereits Eigentümer des Grundstücks ist (PAUSE, Bauträgerkauf und Baumodelle, 5. Aufl., Rn 33).<br />

III. Abnahme: Dreh- und Angelpunkt im Werkvertragsrecht<br />

Ist der Unternehmer seinen werkvertraglichen Pflichten des Bauträgervertrags nachgekommen und hat<br />

das Bauwerk vertragsgemäß errichtet oder umgebaut, ist der Besteller verpflichtet, dieses abzunehmen,<br />

§ 640 Abs. 1 BGB. Die Abnahme ist die körperliche Hinnahme des Werks durch den Besteller verbunden mit<br />

der Billigung des Werks als zumindest im Wesentlichen vertragsgerechte Leistung (BGH BauR 1999, 1<strong>18</strong>6).<br />

Sie setzt voraus, dass das Werk abnahmereif, d.h. fertiggestellt ist und jedenfalls keine wesentlichen<br />

Mängel aufweist (vgl. Wortlaut des § 640 Abs. 1 S. 2 BGB).<br />

Die Wirkung der erfolgten Abnahme ist weitreichend. So ist sie z.B. maßgeblich für den Gefahrübergang<br />

gem. § 644 Abs. 1 BGB und die Verjährungsfristen der Mängelansprüche gem. § 634a Abs. 2 BGB. Mit der<br />

Abnahme endet das vertragliche Erfüllungsstadium. Sie ist Fälligkeitsvoraussetzung für die Vergütung<br />

des Unternehmers, § 641 Abs. 1 S. 1 BGB, und bewirkt eine Beweislastumkehr zu Lasten des Bestellers<br />

(KNIFFKA/PAUSE/VOGEL, ibr-online-Kommentar Bauvertragsrecht, Stand 12.5.20<strong>17</strong>, § 640 BGB Rn 16 m.w.N.).<br />

1. Besondere Formen der Abnahme<br />

Ist nichts Besonderes zwischen den Parteien vereinbart, bestimmt sich die Abnahme gem. § 640 Abs. 1 BGB.<br />

Danach kann die Abnahme formlos, d.h. ohne Einhaltung bestimmter Formvorschriften, erfolgen. Daneben<br />

gibt es aber auch die förmliche, die konkludente und die fingierte Abnahme sowie die Teilabnahme.<br />

a) Förmliche Abnahme<br />

Soll die Abnahme förmlich erfolgen, d.h. unter Erstellung eines schriftlichen Abnahmeprotokolls, so<br />

muss sie zwischen dem Bauträger und dem Erwerber vereinbart werden. Solche Vereinbarungen stellen<br />

häufig Verbraucherverträge i.S.d. § 310 Abs. 3 BGB dar, so dass regelmäßig die Vorschriften über eine<br />

AGB-rechtliche Klauselunwirksamkeit Anwendung finden (beispielhaft hierfür ist § 12 Abs. 4 VOB/B).<br />

Praxishinweis:<br />

Eine förmliche Abnahme erscheint für die Parteien eines Bauträgervertrags vor dem Hintergrund der<br />

Rechtssicherheit empfehlenswert. Schließlich werden in dem Abnahmeprotokoll Zeit und Ort der Abnahme<br />

sowie festgestellte Mängel dokumentiert. Dies ist vor allem im Hinblick auf die Folgen einer<br />

vorbehaltlosen Abnahme eines mangelhaften Werks gem. § 640 Abs. 2 BGB von Bedeutung.<br />

b) Konkludente Abnahme<br />

Eine Abnahme des Werks durch schlüssiges bzw. konkludentes Verhalten setzt voraus, dass der<br />

Besteller gegenüber dem Unternehmer erkennbar ein Signal setzt, anhand dessen dieser nach Treu und<br />

Glauben und mit Rücksicht auf die Verkehrssitte schließen kann, der Besteller billige die Leistung als in<br />

vollem Umfang oder wenigstens im Wesentlichen vertragsgerecht (BGH NZBau 2010, 3<strong>18</strong>). Das Werk<br />

muss also abnahmereif sein, und die Abnahme darf nicht ausdrücklich vom Besteller verweigert worden<br />

sein (PAUSE, a.a.O., Rn 584 m.w.N.).<br />

Beispiele für eine konkludente Abnahme:<br />

Der Bezug oder die Benutzung einer Wohnung kann – jedenfalls nach einer gewissen Prüf- bzw. Nutzungszeit<br />

– als konkludente Abnahme betrachtet werden (BGH IBR 2013, 749; BGH NJW-RR 1999, 1246),<br />

wenn sich aus dem Verhalten des Bestellers nichts Gegenteiliges ergibt (KNIFFKA/PAUSE/VOGEL, a.a.O., § 640<br />

Rn 51; BGH BauR 1985, 200), genauso wie die Zahlung der letzten Kaufpreisrate (OLG Bamberg IBR 2016, 151).<br />

c) Abnahmefiktion<br />

Die Abnahmefiktion ist in § 640 Abs. 1 S. 3 BGB normiert (ab 1.1.20<strong>18</strong> in § 640 Abs. 2 BGB n.F. mit wenigen<br />

Änderungen, s. Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts u.a., a.a.O.). Danach steht es einer Abnahme<br />

958 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 247<br />

Bauträgervertrag – Abnahme<br />

gleich, wenn der Besteller ein Werk nicht innerhalb einer vom Unternehmer gesetzten angemessenen<br />

Frist abnimmt, obwohl er dazu verpflichtet ist – das Werk muss also abnahmereif sein.<br />

Hinweis:<br />

In der Praxis finden sich regelmäßig Vertragsklauseln, welche beispielsweise die Abnahmefiktion im Falle des<br />

vorzeitigen Bezuges von Bauwerken regeln (z.B. OLG Koblenz, Urt. v. 2.3.20<strong>17</strong> – 2 U 296/16, nicht rechtskräftig;<br />

WERNER/PASTOR, Der Bauprozess, 15. Aufl., Rn 509 m.w.N.). Solche Klauseln halten regelmäßig der<br />

AGB-Inhaltskontrolle nicht stand (s. unten IV. 2. c).<br />

d) Teilabnahme<br />

Schließlich können Teilabnahmen vereinbart werden (KNIFFKA/PAUSE/VOGEL, a.a.O., § 640 BGB Rn 89). Die<br />

Teilabnahme hat bei dem Erwerb von Wohnungs- und Teileigentum eine besondere Bedeutung. Das<br />

Sonder- und Gemeinschaftseigentum wird in der Praxis häufig aufgrund von vertraglichen Vereinbarungen<br />

getrennt abgenommen (BASTY, a.a.O., Rn 1003; BGH a.a.O.), kann aber genauso gut einheitlich<br />

abgenommen werden.<br />

2. Abnahme bei Wohnungs-/Teileigentum<br />

Bei dem Erwerb von zu bauendem oder zu sanierendem Wohnungseigentum werden die Bauleistungen<br />

im Sonder- und Gemeinschaftseigentum, soweit es dem Erwerber geschuldet ist, i.d.R. getrennt<br />

abgenommen. Dabei gibt es einige Besonderheiten zu beachten:<br />

a) Abnahme durch den einzelnen Erwerber<br />

Die Abnahme ist Sache jedes einzelnen Erwerbers als individueller Vertragspartner des Bauträgers<br />

(BASTY, a.a.O., Rn 1007 m.w.N.; BGH DNotZ 1985, 622; OLG Bamberg a.a.O.; WERNER/PASTOR, a.a.O.,<br />

Rn 504). Dies hat in aller Regel zur Folge, dass die Verjährungsfristen sowohl im Verhältnis zwischen<br />

Sonder- und Gemeinschaftseigentum als auch im Verhältnis zwischen den einzelnen Erwerbern<br />

untereinander inkongruent sind. Diese Fristen würden hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums erst<br />

fünf Jahre (bei Bauwerken, § 634a Abs. 1 Nr. 2 BGB) nach der Abnahme des letzten Nachzüglers endgültig<br />

ablaufen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass auf Seiten der Bauträger ein Bedürfnis besteht, dieser<br />

scheinbaren Endlosigkeit der Verjährungsfristen abzuhelfen. Dies geschieht in der Praxis meist durch<br />

vorformulierte Vertragsklauseln (vgl. § 310 Abs. 3 BGB bei Verbraucherverträgen). Bei der Gestaltung<br />

solcher Abnahmeklauseln ist hinsichtlich der §§ 305 ff. BGB darauf zu achten, eine Klauselunwirksamkeit<br />

zu vermeiden (s. unten IV. 2. a und V.).<br />

b) Abnahme durch die Eigentümergemeinschaft oder einen Dritten?<br />

Fraglich ist, ob eine Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch die Eigentümergemeinschaft wirksam<br />

ist. Neben der individuellen Abnahme durch die jeweiligen Erwerber kann auch die Eigentümergemeinschaft<br />

– jedenfalls im Hinblick auf das Gemeinschaftseigentum – befugt sein, die Durchsetzung<br />

etwaiger Mängelrechte an sich zu ziehen (BGH BGHZ <strong>17</strong>2, 42). Die Kompetenz der Rechtsverfolgung<br />

wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum wird dabei aus § 21 Abs. 5 Nr. 5 WEG (HÜGEL/ELZER, WEG, § 10<br />

Rn 259; BGH NJW 2014, 1377) gezogen. Teilweise wird die Abnahme als sonstiges Recht bzw. Pflicht i.S.d.<br />

§ 10 Abs. 6 S. 3 WEG eingeordnet und eine entsprechende Beschlusskompetenz der Gemeinschaft bejaht<br />

(HÜGEL/ELZER, a.a.O., § 10 Rn 276), sofern eine einheitliche Abnahme des gemeinschaftlichen Eigentums<br />

vereinbart und diese damit zu einer Angelegenheit gemeinschaftlicher Verwaltung gemacht wurde oder<br />

ein bestandskräftiger Mehrheitsbeschluss über die Abnahme vorliegt (BayObLG NJW-RR 2000, 13). Der<br />

BGH hat sich diesbezüglich ganz klar gegen eine Beschlusskompetenz der Eigentümergemeinschaft<br />

ausgesprochen und damit an dem Grundsatz der exklusiven Berechtigung des einzelnen Erwerbers als<br />

Vertragspartner festgehalten (BGH IBR 2016, 399). Fehle es der Wohnungseigentümerversammlung an<br />

der erforderlichen Beschlusskompetenz, sei ein dennoch gefasster Beschluss nicht nur anfechtbar, sondern<br />

nichtig (BGH a.a.O. m.w.N; PAUSE, a.a.O., Rn 596). Ein Beschluss, der in die Mängelrechte und das Recht<br />

bzw. die Pflicht zur Abnahme bezüglich des Sondereigentums der Erwerber eingreift, ist nach einhelliger<br />

Meinung ebenfalls nichtig (BGH NJW-RR 2014, 527 m.w.N.; HÜGEL/ELZER, a.a.O., § 10 Rn 258).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 959


Fach 5, Seite 248<br />

Bauträgervertrag – Abnahme<br />

Bauvertragsrecht<br />

Eine Abnahme kann grundsätzlich durch einen Stellvertreter erfolgen (BASTY, a.a.O., Rn 1010 m.w.N.).<br />

Dies empfinden die Bauträger als praktikabel, da ihnen somit scheinbar ein Instrument in die Hand<br />

gelegt wird, die Abnahme zu vereinheitlichen.<br />

Hinweise:<br />

Diese Vorgehensweise erfolgt dann in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die vor allem<br />

in der gerichtlichen Praxis einen Dauerbrenner darstellen. Klassische Beispiele sind die (unwiderrufliche)<br />

Bevollmächtigung des Erstverwalters oder eines Sachverständigen durch den jeweiligen Erwerber im<br />

Bauträgervertrag. In der Regel benachteiligen solche Klauseln die Erwerber unangemessen, so dass sie als<br />

unwirksam eingestuft werden. Im Folgenden wird daher anhand aktueller Rechtsprechung ein Überblick<br />

über die einzelnen Klauseln und ihre Wirksamkeit gegeben.<br />

IV.<br />

Vertragsgestaltung – Klauseln und ihre Tücken<br />

1. Klauselkontrolle nach AGB-Recht und der Klauselrichtlinie<br />

Auch vor dem Hintergrund, dass es sich bei Bauträgerverträgen in der überwiegenden Mehrzahl um<br />

Verbraucherverträge handelt, werden die Kautelarjuristen bei der Gestaltung rechtswirksamer<br />

Abnahmeklauseln durch die Rechtsprechung vor hohe Hürden gestellt. Abnahmeklauseln müssen<br />

sich dabei nicht nur an den allgemeinen AGB-Regelungen der §§ 305 ff. BGB messen lassen, sondern<br />

auch an den Bestimmungen der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche<br />

Klauseln in Verbraucherverträgen („Klauselrichtlinie“).<br />

Das von dem Bauträger als praktikabel angesehene Verfahren, die Abnahme durch einen Dritten<br />

– geregelt in AGB – vornehmen zu lassen (s. oben III. 2. b), erweist sich unter AGB-Wirksamkeitsgesichtspunkten<br />

als kompliziertes Unterfangen. Die Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch<br />

einen vom Bauträger beauftragten Dritten durchzuführen zu lassen, ist daher äußerst risikobehaftet.<br />

2. Häufige Problemfelder aus der Praxis: Unwirksamkeit von Klauseln<br />

a) Verdrängende Klauseln: Keine Unwiderruflichkeit einer Abnahmevollmacht<br />

Die Entscheidung des OLG Düsseldorf (Urt. v. 23.10.2012 – 23 U 112/11) befasst sich mit der<br />

Konstellation, dass der Erwerber unwiderruflich eine bestimmte Person (insbesondere den<br />

Erstverwalter) bevollmächtigen muss bzw. aufgrund der Klausel bereits tatsächlich bevollmächtigt.<br />

Solche „verdrängenden Klauseln“ hat das OLG Düsseldorf in seiner Entscheidung für unwirksam<br />

erklärt. Auch ohne den hiermit bereits auf der Hand liegenden Interessenkonflikt (HEUER/WEBER NJW<br />

2015, 2086, 288) entschied das OLG Düsseldorf, eine solche „verdrängende“ Abnahmeklausel greife<br />

bereits deshalb in das originäre Abnahmerecht des Erwerbers ein, weil er ohne Vorliegen eines<br />

wichtigen Grundes, der auch zum Widerruf einer an sich unwiderruflichen Vollmacht berechtigt,<br />

faktisch keine Möglichkeit habe, eine Abnahme durch den vorab notarvertraglich bevollmächtigten<br />

Verwalter zu verhindern. Eine Abnahmevollmacht müsse daher zwangsläufig widerruflich erteilt<br />

werden. Um dem Erwerber nicht zu suggerieren, dass nur der bevollmächtigte Verwalter abnehmen<br />

dürfe, müsse die Klausel i.S.d. Transparenzgebots gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zusätzlich ausdrücklich<br />

klarstellen, dass die Vollmacht nicht nur frei widerruflich sei, sondern der Erwerber jederzeit auch<br />

selbst die Abnahme erklären (bzw. verweigern) könne. In einer als AGB vorformulierten Abnahmeklausel<br />

könne jedenfalls nur eine Person mit der Abnahme des Gemeinschaftseigentums betraut<br />

werden, die nicht aus dem potentiellen Lager des Bauträgers stamme, d.h. neutral sei. Damit scheidet<br />

regelmäßig ein vom Bauträger bestellter oder gar mit ihm personenidentischer bzw. von ihm<br />

abhängiger Erstverwalter als taugliche Abnahmeperson aus. Dies betrifft auch einen vom Bauträger<br />

ausgesuchten, beauftragten und bezahlten Sachverständigen.<br />

Zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2016 befassten sich ebenfalls mit den sog. verdrängenden<br />

Abnahmeklauseln, die es dem Bauträger in den AGB eines Erwerbsvertrags ermöglichten, die Abnahme<br />

des Gemeinschaftseigentums durch den Bauträger selbst als Erstverwalter oder einen von diesem<br />

960 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 249<br />

Bauträgervertrag – Abnahme<br />

bestimmten Baufachmann durchführen zu lassen. Auch diese Klausel erklärte der BGH (Urt. v. 30.6.2016<br />

– VII ZR <strong>18</strong>8/13; im Anschluss an BGH, Beschl. v. 12.9.2013 – VII ZR 308/12) für unwirksam. In diesem Fall<br />

könne der Bauträger nämlich einen Erstverwalter bestellen, der mit ihm rechtlich oder wirtschaftlich<br />

verbunden sei, und deshalb bestehe die Gefahr, dass dieser nicht neutral prüfe (so auch KOEBLE/GRZIWOTZ,<br />

Rechtshandbuch Immobilien, Bd. I, <strong>18</strong>. Kap. Rn <strong>18</strong>; LOTZ BauR 2008, 740, 745; VON OEFELE DNotZ 2011, 249,<br />

258; KNIFFKA/PAUSE/VOGEL, a.a.O., § 640 Rn 6, 125).<br />

Hinweis:<br />

Dem folgte das OLG München in seiner Entscheidung nach (Urt. v. 6.12.2016 – 28 U 2388/16 Bau).<br />

b) Nachzügler-Klauseln: Keine Erstreckung der Abnahme auf Nachzügler-Erwerber<br />

Die Entscheidung des BGH (Urt. v. 25.2.2016 – VII ZR 49/15) befasst sich mit einer Klausel, die nach<br />

Entstehen der werdenden Wohnungseigentümergemeinschaft und nach Abnahme des Gemeinschaftseigentums<br />

den vertragschließenden Erwerber (sog. Nachzügler, s. oben II.) an eine durch frühere<br />

Erwerber bereits erfolgte Abnahme des Gemeinschaftseigentums band. Die Klausel sei wegen<br />

mittelbarer Verkürzung der Verjährung gem. § 309 Nr. 8 lit. b ff) BGB unwirksam. Zudem, so der<br />

BGH, sei es dem Bauträger als Verwender dieser von ihm gestellten, unwirksamen Formularklausel nach<br />

Treu und Glauben verwehrt, sich darauf zu berufen, dass der Vertrag sich noch im Erfüllungsstadium<br />

befinde und deshalb ein Anspruch aus § 637 Abs. 3 BGB nicht bestehe.<br />

Hinweis:<br />

Ebenso: BGH, Urt. v. 12.5.2016 – VII ZR <strong>17</strong>1/15, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 603/2016.<br />

c) Vorformulierte Abnahmefiktion<br />

In einer jüngeren Entscheidung erteilte das OLG Koblenz (Urt. v. 2.3.20<strong>17</strong> – 2 U 296/16, nicht<br />

rechtskräftig) einer AGB-Klausel eine Absage, nach der für den Fall, dass das Haus oder einzelne<br />

Räume in Benutzung genommen worden seien, die Abnahme nach Ablauf von sechs Tagen nach<br />

Beginn der Benutzung als erfolgt gelte, sofern nichts anderes schriftlich vereinbart sei. Die Klausel sei<br />

nach §§ 308 Nr. 5, 309 Nr. 2 BGB und (jedenfalls) nach § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB unwirksam.<br />

Beim Bezug eines Bauwerks müsse ggf. auf den Ablauf einer angemessenen Prüfungsfrist abgestellt<br />

werden. Dies könne aber überhaupt nur in Betracht kommen, wenn das Werk im Wesentlichen<br />

mangelfrei fertiggestellt worden sei; stünden noch wesentliche Vertragsleistungen aus, könne eine<br />

konkludente Abnahme regelmäßig nicht angenommen werden. Dies gelte ebenso, wenn der<br />

Erwerber nicht freiwillig, sondern unter dem Zwang der Verhältnisse eingezogen sei (vgl. BGH<br />

BauR 2011, 876; KNIFFKA/KOEBLE, a.a.O., Teil 4 Rn 32 und 46). Die vorformulierte Abnahmefiktion weiche<br />

von diesen gefestigten Grundsätzen ab und höhle die Gewährleistungsrechte des Erwerbers aus (so<br />

auch bereits OLG Hamm, Urt. v. 24.11.1993 – 12 U 29/93).<br />

V. Zusammenfassung, Klauselvorschlag<br />

Es ist festzustellen, dass der BGH seine Linie zur Bewertung von Abnahmeklauseln betreffend das<br />

Gemeinschaftseigentum gefestigt hat. Auch nur ähnliche Fallkonstellationen werden von den Oberlandesgerichten<br />

aufgegriffen und entsprechend entschieden.<br />

Die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten bzgl. der Abnahme des Gemeinschaftseigentums durch<br />

einen anderen als den Erwerber werden dabei weiter eingeschränkt. Auf den ersten Blick erscheint eine<br />

rechtssichere Gestaltung derartiger Abnahmeklauseln für das Gemeinschaftseigentum nur noch dann<br />

möglich, wenn die Vereinbarung von Einzelabnahmen erfolgt.<br />

Es dürfte bei der Gestaltung weiterer, ähnlicher Abnahmeklauseln kaum darauf zu hoffen sein, dass in<br />

diesem Bereich derzeit noch bestehende „Lücken“ nicht gleichfalls in einigen Jahren geschlossen<br />

werden. Jedenfalls geht mit der Vereinbarung von Einzelabnahmen eine nicht unerhebliche, auch<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 961


Fach 5, Seite 250<br />

Bauträgervertrag – Abnahme<br />

Bauvertragsrecht<br />

wirtschaftliche Belastung der Bauträger einher. Auch die Neuregelungen des Bauvertragsrechts<br />

werden die hier besprochenen Probleme in Bezug auf die Abnahme wohl nicht aufzulösen vermögen.<br />

In jüngerer Zeit wird die Lösung dieses Gestaltungsproblems mitunter darin gesucht, dass ein<br />

Sachverständiger entweder von dem Bauträger oder durch Beschluss der Eigentümergemeinschaft<br />

beauftragt wird, die Abnahmereife gem. § 640 Abs. 1 S. 1 BGB festzustellen und die Erwerber so in<br />

„Zugzwang“ zu versetzen, die Abnahme zu erklären, um nicht, nach entsprechendem Fristablauf, der<br />

Rechtsfolge des § 640 Abs. 1 S. 3 (Abnahmefiktion) ausgesetzt zu werden (sofern vereinbart vgl. § 12<br />

Abs. 5 VOB/B). Aber: Letztlich könnte dem Erwerber dadurch suggeriert werden, er sei an die<br />

Feststellungen des Sachverständigen gebunden und in seinem ureigenen Recht, selbst die Abnahmereife<br />

festzustellen, eingeschränkt. Mit Spannung bleibt daher zu erwarten, wie diese Gestaltungsvariante von<br />

der Rechtsprechung beurteilt werden wird.<br />

Um den vielfältigen Anforderungen der Rechtsprechung dennoch bestmöglich zu begegnen, sollte eine<br />

wirksame Abnahmeklausel – wenn nicht der wenig praktikable Weg der Einzelabnahme gewählt<br />

werden soll – zum einen die Handlungsmöglichkeiten der Erwerber und zum anderen die Neutralität<br />

des Sachverständigen sicherstellen. Insofern liefert der folgende Klauselvorschlag aus Sicht der<br />

Verfasser einen überlegenswerten Ansatz:<br />

Musterformulierung für eine Abnahmeklausel:<br />

I. Die Abnahme der Leistungen bezogen auf das Gemeinschaftseigentum und der übrigen vom Verkäufer<br />

nach diesem Vertrag zu erbringenden Leistungen erfolgt nach Fertigstellung des Vertragsgegenstands.<br />

Der Verkäufer teilt dem Verwalter der Wohnungseigentumsanlage im Vorfeld den<br />

beabsichtigten Termin für die vorbereitende Besichtigung der Leistungen bezogen auf das Gemeinschaftseigentum<br />

und der übrigen Leistungen im Rahmen einer Begehung mit einer Frist von<br />

sechs Wochen schriftlich mit. Der Verwalter beruft daraufhin, spätestens aber zwei Wochen vor<br />

dem Abnahmetermin, eine Versammlung all derjenigen Erwerber von Wohnungs- und Teileigentumsrechten<br />

ein, die zu diesem Zeitpunkt bereits wirksam einen Bauträgervertrag abgeschlossen<br />

haben. Die Erwerber bestimmen durch einen entsprechenden Mehrheitsbeschluss einen öffentlich<br />

bestellten und vereidigten Bausachverständigen und beauftragen ihn mit der Besichtigung, Begehung<br />

und Abgabe einer unverbindlichen Empfehlung über die Erklärung der Abnahme. Der Verkäufer<br />

hat bei diesem Beschluss kein Stimmrecht.<br />

II. Der Sachverständige prüft im Rahmen der Begehung, ob das Gemeinschaftseigentum und die<br />

übrigen Leistungen nach Maßgabe der vertraglichen Bestimmungen ordnungsgemäß hergestellt<br />

sind und ob Abnahmefähigkeit vorliegt. Der Erwerber ist ebenfalls zu dieser Begehung einzuladen. Es<br />

ist ein Protokoll zu erstellen, in dem alle bei der Begehung gemeinsam festgestellten oder von dem<br />

Sachverständigen, Verwalter oder Erwerber gerügten Mängel aufzunehmen sind. Das Protokoll ist<br />

von allen Teilnehmern der Begehung zu unterschreiben und sodann dem Erwerber in Kopie zu<br />

übermitteln. Der Sachverständige hat dann dem Erwerber eine Empfehlung in Bezug auf die rechtliche<br />

Abnahme zu geben.<br />

III. Hat der Sachverständige festgestellt, dass keine die Abnahme hindernden Mängel mehr vorliegen<br />

und auch keine die Abnahme hindernden Restarbeiten (mehr) ausstehen, wird der Verkäufer den<br />

Erwerber mit der Übermittlung des Protokolls auffordern, innerhalb von zwei Wochen seit Zugang<br />

die rechtsgeschäftliche Abnahme der Leistungen betreffend das Gemeinschaftseigentum schriftlich<br />

zu erklären. Der Sachverständige wird den Erwerber in diesem Schreiben nochmals ausdrücklich auf<br />

sein Recht hinweisen, selbst das Werk zu prüfen und als abnahmereif zu bewerten. Er hat ferner<br />

darauf hinzuweisen, dass sich aus den gutachterlichen Feststellungen keine Verpflichtung zur Abnahme<br />

ergibt, aber auch, dass das fruchtlose Verstreichen dieser Frist einer Abnahme gleichkommt.<br />

Gibt der Erwerber innerhalb der gesetzten Frist keine entsprechende Erklärung ab, gilt sein Schweigen<br />

mithin als rechtsgeschäftliche Abnahme i.S.d. § 640 Abs. 1 S. 3 BGB.<br />

962 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Nachlass/Erbrecht Fach 12, Seite 345<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

Verfügung von<br />

Todes wegen<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel in Verfügungen von Todes wegen<br />

Von Rechtsanwalt Dr. LUTZ FÖRSTER, Brühl<br />

Inhalt<br />

I. Einleitung<br />

II. Verfügung von Todes wegen<br />

1. Testierfreiheit, Testierfähigkeit und<br />

Geschäftsfähigkeit<br />

2. Errichtung und Widerruf der Verfügung<br />

von Todes wegen<br />

III. Erbrechtliche Gestaltungsmittel in Verfügungen<br />

von Todes wegen<br />

1. Bestimmung des/der Erben<br />

2. Bestimmung einer Teilungsanordnung<br />

3. Bestimmung einer Vermächtnisanordnung<br />

4. Übernahmerecht des Erben<br />

5. Bestimmung einer Auflage<br />

6. Aufhebung von Ausgleichsverpflichtungen<br />

7. Anordnung der Testamentsvollstreckung<br />

IV. Einschränkung der Gestaltungsmittel<br />

1. Pflichtteilsrecht<br />

2. Erbschaft- und Schenkungsteuer<br />

V. Zusammenfassung<br />

I. Einleitung<br />

Das deutsche Erbrecht kennt die gesetzliche Erbfolge in den §§ 1924 ff. BGB sowie die gewillkürte Erbfolge<br />

in § 1937 BGB. Die gesetzliche Erbfolge tritt grundsätzlich hinter die gewillkürte Erbfolge zurück, sofern der<br />

Erblasser ein Testament errichtet oder einen Erbvertrag abgeschlossen hat. Bei der Errichtung einer<br />

Verfügung von Todes wegen stehen dem Erblasser eine Fülle von Gestaltungsmitteln zur Verfügung.<br />

Diese Gestaltungsmittel sowie ihre gesetzlichen Grenzen werden unter besonderer Berücksichtigung<br />

aktueller Rechtsprechung in diesem Beitrag im Überblick dargestellt.<br />

II. Verfügung von Todes wegen<br />

Die Verfügung von Todes wegen kann im deutschen Recht durch:<br />

• ein Einzeltestament,<br />

• ein gemeinschaftliches Testament oder<br />

• einen Erbvertrag<br />

errichtet werden. Der Erblasser kann grundsätzlich ein ordentliches Testament eigenhändig in der Form<br />

eines Einzeltestaments aufsetzen, §§ 1937, 2247 BGB. Die Eheleute können sich zur Sicherung der<br />

wirtschaftlichen Unabhängigkeit und Eigenständigkeit des überlebenden Ehegatten in einem gemeinschaftlichen<br />

Testament zu Alleinerben oder zu Vor- und Nacherben einsetzen, §§ 2265 ff. BGB.<br />

Hinweis:<br />

Dieselbe Möglichkeit besitzen auch eingetragene Lebenspartner nach § 10 Abs. 4 LPartG.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 963


Fach 12, Seite 346<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

Nachlass/Erbrecht<br />

Schließlich besteht die Möglichkeit, dass sich der/die Erblasser gegenüber der Errichtung eines<br />

Testaments in einem Erbvertrag vertraglich an ihre Verfügungen von Todes wegen binden können.<br />

1. Testierfreiheit, Testierfähigkeit und Geschäftsfähigkeit<br />

Die Errichtung einer Verfügung von Todes wegen in der Form des Einzeltestaments, des gemeinschaftlichen<br />

Testaments und des Erbvertrags unterfällt der Testierfreiheit des Erblassers. Die Testierfreiheit des<br />

Erblassers als Ausdruck des grundgesetzlichen Prinzips der Erbrechtsfreiheit aus Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG<br />

beschreibt die Freiheit des Erblassers, in seinem Testament (§ 1937 BGB) oder Erbvertrag (§ 2302 BGB) zu<br />

bestimmen, wer sein Rechtsnachfolger sein soll. Die Testierfreiheit des Erblassers gilt zunächst<br />

grundsätzlich unbeschränkt, wodurch der Erblasser bei der Errichtung einer Verfügung von Todes wegen<br />

im Hinblick auf Gestaltungsmöglichkeiten keinen Einschränkungen unterliegt. Die Verfügung von Todes<br />

wegen muss vom Erblasser nach § 2064 BGB aber höchstpersönlich errichtet werden. Mittelbar sind der<br />

Testierfreiheit Grenzen durch das gesetzliche Pflichtteilsrecht der §§ 2303 ff. BGB gesetzt, wonach die<br />

Rechte der nahen Verwandten gesichert werden sollen, sowie durch die fehlende Möglichkeit, die<br />

Erbschaftsteuer beim Erbfall auszuschließen (zu den Beschränkungsmöglichkeiten vgl. unten IV.).<br />

Der Erblasser muss bei der Errichtung des Testaments testierfähig sein. Die Testierfähigkeit beginnt mit<br />

der Vollendung des 16. Lebensjahr (§ 2229 Abs. 1 BGB) und endet zu dem Zeitpunkt, in dem der Erblasser<br />

testierunfähig wird. Nach § 2229 Abs. 4 BGB kann ein Testament nicht errichten, wer wegen krankhafter<br />

Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen Bewusstseinsstörung nicht in der Lage<br />

ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu<br />

handeln. Testierunfähig ist derjenige, dessen Erwägungen und Willensentschlüsse nicht mehr auf einer<br />

dem allgemeinen Verkehrsverständnis entsprechenden Würdigung der Außendinge und der Lebensverhältnisse<br />

beruhen, sondern durch krankhaftes Empfinden oder krankhafte Vorstellungen beeinflusst<br />

werden, so dass sie tatsächlich nicht mehr frei sind, sondern vielmehr von diesen krankhaften Einwirkungen<br />

beherrscht werden (OLG Bamberg MDR 2015, 957). Für die Annahme von Testierfähigkeit<br />

reicht es nicht aus, dass der Testierende in der Lage ist, die eigenen Bezugspersonen zu erkennen und<br />

einfache Sachverhalte zu erfassen. Vielmehr muss er in der Lage sein, die für und gegen eine letztwillige<br />

Verfügung sprechenden Gründe abzuwägen und sich aus eigener und selbstständiger Überlegung, frei<br />

von Entschlüssen Dritter, ein Urteil bilden zu können (OLG Bamberg MDR 2015, 957). Die Testierunfähigkeit<br />

des Erblassers führt zur Nichtigkeit des Testaments.<br />

2. Errichtung und Widerruf der Verfügung von Todes wegen<br />

a) Einzeltestament<br />

Das Einzeltestament kann nach § 2231 BGB in ordentlicher Form errichtet werden<br />

1. zur Niederschrift eines Notars oder<br />

2. durch eine vom Erblasser nach § 2247 BGB abgegebene Erklärung.<br />

Nach § 2232 S. 1 BGB wird ein Testament zur Niederschrift eines Notars errichtet, indem der Erblasser<br />

dem Notar seinen letzten Willen erklärt oder ihm eine Schrift mit der Erklärung übergibt, dass die Schrift<br />

seinen letzten Willen enthalte. Die Übergabe der Schrift kann nach § 2232 S. 2 BGB offen oder verschlossen<br />

erfolgen.<br />

Die vom Erblasser nach § 2247 Abs. 1 BGB abgegebene Erklärung muss eigenhändig handschriftlich<br />

geschrieben und unterschrieben sein.<br />

Der Erblasser kann nach § 2253 BGB ein Testament sowie einzelne Verfügungen in einem Testament<br />

widerrufen. Der Widerruf kann<br />

• durch ein Widerrufstestament erfolgen, § 2254 BGB;<br />

• durch die Vernichtung oder Veränderung eines Testaments erfolgen, sofern der spätere Erblasser<br />

einen eindeutigen Aufhebungswillen erkennen lässt, § 2255 BGB;<br />

• durch die Rücknahme des Testaments aus der amtlichen Verwahrung erfolgen, § 2256 BGB, oder<br />

• es wird durch die Errichtung eines späteren Testaments ein früheres Testament insoweit<br />

aufgehoben, als das spätere Testament mit dem früheren in Widerspruch steht, § 2258 BGB.<br />

964 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Nachlass/Erbrecht Fach 12, Seite 347<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

b) Gemeinschaftliches Testament<br />

Bei dem gemeinschaftlichen Testament handelt es sich um mehrere von Ehegatten oder eingetragenen<br />

Lebenspartnern getroffene letztwillige Verfügungen, § 2265 BGB bzw. § 10 Abs. 4 LPartG. Zur<br />

Errichtung eines gemeinschaftlichen, eigenhändigen Testaments genügt es, wenn einer der Ehegatten<br />

das Testament in der in § 2247 BGB vorgeschriebenen Form errichtet und der andere Ehegatte die<br />

gemeinschaftliche Erklärung eigenhändig mitunterzeichnet, § 2267 S. 1 BGB. Bei der Mitunterschrift des<br />

Ehegatten sollen Tag, Monat und Jahr sowie Ort der Unterschrift nach § 2267 S. 2 BGB beigefügt werden,<br />

und die Mitunterschrift muss sich auf den Text der Erklärung beziehen und diesen abschließen.<br />

Hinweis:<br />

Das gemeinschaftliche Testament wird i.d.R. eigenhändig von den Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern<br />

errichtet. Es kann aber auch als öffentliches Testament zur Niederschrift eines Notars oder als<br />

gemeinschaftliches Nottestament nach § 2266 BGB erklärt werden.<br />

Mit dem gemeinschaftlichen Testament wird den Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartnern die<br />

Gestaltungsmöglichkeit eingeräumt, wechselbezügliche oder einseitige Verfügungen zu treffen. Nach<br />

§ 2270 Abs. 1 BGB sind in einem gemeinschaftlichen Testament getroffene Verfügungen wechselbezüglich,<br />

wenn anzunehmen ist, dass die Verfügung des einen Ehegatten oder Lebenspartners nicht ohne<br />

die Verfügung des anderen getroffen worden wäre, wenn also jede der beiden Verfügungen mit<br />

Rücksicht auf die andere getroffen worden ist und nach dem Willen des gemeinschaftlich Testierenden<br />

die eine mit der anderen stehen oder fallen soll (OLG München DNotZ 20<strong>17</strong>, 215 ff.).<br />

Eine solche Wechselbezüglichkeit ist nach der Auslegungsregel von § 2270 Abs. 2 BGB im Zweifel<br />

anzunehmen, wenn sich die Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner gegenseitig bedacht haben. Die<br />

Wechselbezüglichkeit der Verfügungen beschränkt sich nach § 2270 Abs. 3 BGB auf die Erbeinsetzung,<br />

das Vermächtnis und die Auflage. Nicht wechselbezügliche Verfügungen können die Teilungsanordnung,<br />

die Enterbung, die Pflichtteilsentziehung oder die Bestimmung des Testamentsvollstreckers sein.<br />

Hinweis:<br />

Wegen dieser Unterscheidung muss in einem gemeinschaftlichen Testament jede Verfügung gesondert<br />

nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen aus §§ 133, 2084 BGB hin auf ihre Wechselbezüglichkeit<br />

untersucht werden (BGH NJW-RR 1987, 1410).<br />

Bei der Auslegung muss die genannte Auslegungsregelung von § 2270 Abs. 2 BGB beachtet werden. Sollten<br />

die Ehegatten oder die eingetragenen Lebenspartner eine wechselbezügliche Verfügung getroffen haben,<br />

entfaltet diese mit dem Tod des Erstversterbenden eine Bindungswirkung. Ein einseitiger Widerruf durch<br />

den überlebenden Ehegatten ist nicht mehr möglich, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Der überlebende Ehegatte kann<br />

seine Verfügung nur aufheben, wenn er das ihm Zugewendete ausschlägt, § 2271 Abs. 2 S. 1 BGB. Die<br />

Rücknahme des gemeinschaftlichen Testaments aus der amtlichen Verwahrung kann nur gemeinschaftlich<br />

zu Lebzeiten erfolgen, § 2272 BGB. Sofern die Rückgabe bei einem öffentlichen Testament nur gegenüber<br />

einem Ehegatten oder Lebenspartner erfolgt, hat dies nicht die Wirkung eines Widerrufs.<br />

c) Erbvertrag<br />

Der Erbvertrag ist gesetzlich geregelt in den Vorschriften der §§ 1941, 2274 bis 2302 BGB. Der Erblasser<br />

kann durch Vertrag einen Erben einsetzen sowie Vermächtnisse und Auflagen anordnen, § 1941 Abs. 1<br />

BGB. Der Erbvertrag ist eine Verfügung von Todes wegen in Vertragsform, der für die Vertragsbeteiligten<br />

bindend ist. Die vertragliche Bindungswirkung des Erbvertrags stellt einen wesentlichen Unterschied zum<br />

gemeinschaftlichen Testament dar: Sie tritt bereits mit dem Abschluss des Vertrags ein. Die Schutzwirkung<br />

des Erbvertrags für den Bedachten tritt hingegen erst mit dem Erbfall ein. Durch den Erbvertrag<br />

wird eine frühere letztwillige Verfügung des Erblassers aufgehoben, soweit sie das Recht des vertragsmäßig<br />

Bedachten beeinträchtigen würde, § 2289 Abs. 1 S. 1 BGB. In dem gleichen Umfang ist eine spätere<br />

Verfügung von Todes wegen unwirksam, § 2289 Abs. 1 S. 2 BGB. Der Erbvertrag unterliegt der<br />

Formvorschrift der notariellen Beurkundung, § 2276 Abs. 1 S. 1 BGB. Die Errichtung kann als einseitiger<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 965


Fach 12, Seite 348<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

Nachlass/Erbrecht<br />

oder zweiseitiger Erbvertrag erfolgen. Beim einseitigen Erbvertrag trifft allein der Erblasser eine oder<br />

mehrere Verfügungen von Todes wegen, welche der Vertragspartner lediglich annimmt, um die<br />

Bindungswirkung des Vertrags herbeizuführen. Beim zweiseitigen Erbvertrag treffen beide Vertragsparteien<br />

eine Verfügung von Todes wegen nach § 2278 Abs. 1 BGB und erklären ihren diesbezüglichen<br />

Bindungswillen, wodurch jede der Parteien gegenüber der anderen an ihre Erklärung gebunden ist. Als<br />

wechselseitig bindende Verfügungen können in einem Erbvertrag nur Erbeinsetzungen, Vermächtnisse<br />

und Auflagen getroffen werden, § 2278 Abs. 2 BGB. Die durch den Erbvertrag erzeugte Bindungswirkung<br />

muss für die Vertragsbeteiligten nicht endgültig sein, wodurch ihnen eine Änderungsmöglichkeit offen<br />

steht. Der Erblasser kann seine durch die Bindungswirkung eingeschränkte Testierfreiheit durch<br />

• die Ausübung des Rücktritts nach §§ 2293 bis 2297 BGB;<br />

• die Aufhebung der Bindungswirkung durch die Vertragsbeteiligten gem. §§ 2290 bis 2292 BGB oder<br />

• die Anfechtung des Erbvertrags nach §§ 2281 ff. BGB<br />

zurückerlangen. Dabei kann die Ausübung des erbvertraglichen Rücktrittsrechts unter Umständen mit<br />

der Ausübung des schuldrechtlichen Rücktrittsrechts der §§ 323 ff. BGB im Zusammenhang stehen.<br />

Beispiel – Erbvertrag:<br />

(BGH, Beschl. v. 5.10.2010 – IV ZR 30/10, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 725/2010)<br />

Die Erblasserin E setzte in einem Erbvertrag vom 30.10.1988 K zu ihrem Erben ein. Zugleich verpflichtete<br />

sich E, dass ihr Hausgrundstück ohne Zustimmung des K nicht veräußert oder belastet werden darf.<br />

Andernfalls wird K das Recht eingeräumt, die sofortige unentgeltliche Übertragung des Grundstücks zu<br />

verlangen. K wurde wiederum dazu verpflichtet, E in kranken und alten Tagen zu pflegen. Eine solche<br />

Pflege fand durch K nicht statt. Infolgedessen ist E im Jahr 2008 vom Erbvertrag zurückgetreten. Ist der<br />

Rücktritt von E wirksam?<br />

Nach Ansicht des BGH richtet sich der Rücktritt vom Erbvertrag in diesem Fall nach §§ 2295, 323 BGB. Ist<br />

mit einem Erbvertrag ein gegenseitiger Vertrag unter Lebenden verbunden, in dem der Bedachte sich zum<br />

Erbringen von Pflegeleistungen verpflichtet und der Erblasser weitere Verpflichtungen – wie das Unterlassen<br />

der Belastung oder Veräußerung eines Hausgrundstücks – übernimmt, kann der Erblasser wegen<br />

unterbliebener Pflegeleistungen nach § 323 BGB vom Vertrag und zugleich nach § 2295 BGB vom Erbvertrag<br />

zurücktreten. Ein Gegenseitigkeitsverhältnis i.S.v. § 323 Abs. 1 BGB besteht durch die Unterlassungspflicht<br />

von E und die Pflegepflicht von K. Ein derartiger Rücktritt kommt aber erst dann in Betracht, wenn der<br />

Erblasser den Bedachten zuvor unter Fristsetzung vergeblich aufgefordert hat, die im Einzelnen zu bezeichnenden<br />

Pflegeleistungen zu erbringen.<br />

III.<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel in Verfügungen von Todes wegen<br />

1. Bestimmung des/der Erben<br />

Bei der Gestaltung einer Verfügung von Todes wegen müssen sich die Erblasser über die Einsetzung<br />

eines Erben bewusst sein. Die Erblasser können den Erben grundsätzlich frei bestimmen, wobei der<br />

Erbe aus der Verfügung von Todes wegen eindeutig hervorgehen muss.<br />

Praxishinweis:<br />

Bei der Bestimmung der Erbeinsetzung muss grundsätzlich zwischen dem Einzeltestament, den Besonderheiten<br />

des gemeinschaftlichen Testaments und dem Erbvertrag unterschieden werden. Auch<br />

die Möglichkeit der Vor- und Nacherbschaft kommt als Steuerungsmittel des Erblassers beim Einzeltestament<br />

sowie beim gemeinschaftlichen Testament in Frage.<br />

a) Einzeltestament<br />

aa) Vollerben- und Ersatzerbeneinsetzung<br />

Zunächst sollte in einer Verfügung von Todes wegen bestimmt werden, wer als Vollerbe eingesetzt<br />

wird. Die Erbeinsetzung wird gesetzlich in den §§ 2087 bis 2099 BGB geregelt. Die Erbeinsetzung muss<br />

966 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Nachlass/Erbrecht Fach 12, Seite 349<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

sich entweder auf den gesamten Nachlass oder auf einen Bruchteil beziehen. Der Erblasser kann als<br />

Erben sowohl natürliche als auch juristische Personen einsetzen. Der Erbe muss in der Verfügung von<br />

Todes wegen eindeutig bestimmt werden, § 2065 Abs. 1 BGB.<br />

Beispiel – Alleinerbe:<br />

(OLG Köln, Beschl. v. 14.11.2016 – 2 Wx 536/16)<br />

Die Erblasser E und M hatten im Oktober 2011 ein gemeinschaftliches privatschriftliches Testament<br />

errichtet, in dem sie sich gegenseitig zu Alleinerben des Erstversterbenden eingesetzt haben. Nach dem<br />

Tod des zuletzt verstorbenen Ehegatten soll derjenige Alleinerbe werden, der den zuletzt verstorbenen<br />

Ehegatten begleitet und gepflegt hat. Nach dem Tod des M wurde E durch den Bruder A des M bei der<br />

Beerdigung des M unterstützt, zudem hat A die Steuererklärung der E in die Wege geleitet und sie<br />

psychisch unterstützt. Nach dem Tod der E wurde A ein Erbschein erteilt, da er aus seiner Sicht die<br />

Bedingung aus dem Testament erfüllt. Der Erbschein wurde vom Nachlassgericht eingezogen, § 2361<br />

S. 1 BGB. Ist die Einziehung zu Recht erfolgt?<br />

Nach Auffassung des OLG Köln wurde der Erbschein zu Recht durch das Nachlassgericht eingezogen,<br />

da sich aus § 2065 BGB ergebe, dass sich ein Erblasser selbst über den Inhalt aller wesentlichen Teile<br />

seines letzten Willens schlüssig werden müsse. Hierzu gehöre auch die Bestimmung über die Person<br />

des Bedachten. Der Bedachte müsse zwar nicht namentlich genannt sein, er müsse aber anhand des<br />

Inhalts der Verfügung gegebenenfalls unter Berücksichtigung von außerhalb der Urkunde liegenden<br />

Umständen zuverlässig festgestellt werden können. Bei der Bestimmung müsse jede Willkür eines<br />

Dritten ausgeschlossen sein. Die Bestimmung „derjenige, der den zuletzt verstorbenen Ehegatten begleitet<br />

und gepflegt hat“ ist nicht hinreichend bestimmt und enthält keine eindeutige Einsetzung eines Erben.<br />

Der Begriff der Pflege lässt sowohl die Art der zu erbringenden Pflegeleistung als auch den zeitlichen<br />

Umfang nicht hinreichend erkennen. A ist deshalb nicht Erbe von E geworden.<br />

Eine Erbeinsetzung bezüglich einzelner Nachlassgegenstände ist dem Gesetz fremd. Einzelne Nachlassgegenstände<br />

können lediglich durch die Anordnung eines Vermächtnisses zugewandt werden,<br />

§§ 2147, 2<strong>17</strong>4 BGB. Wegen der Möglichkeit der Anordnung eines Vermächtnisses sollte die Erbeinsetzung<br />

im Testament ausdrücklich geregelt werden, damit Streitigkeiten über die Auslegung einer Verfügung<br />

als Vermächtnisanordnung oder als Erbeinsetzung vermieden werden. Sollten in einem Testament nur<br />

einzelne Vermächtnisse angeordnet werden, gilt i.d.R. für den Rest des Vermögens die gesetzliche<br />

Erbfolge. Zu Auslegungsproblemen kommt es vermehrt, wenn der Erblasser mehreren potentiellen<br />

Erben in der Verfügung von Todes wegen einzelne Nachlassgegenstände zuwendet.<br />

Beispiel – Testamentsauslegung:<br />

(OLG München, Beschl. v. 9.8.2016 – 31 Wx 286/15, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 669/2016)<br />

Die verwitwete und kinderlose Erblasserin E hat in ihrem handschriftlichen Testament aus dem Dezember<br />

2012 mehr als zehn potentiellen Erben einzelne Nachlassgegenstände wie zwei Häuser, mehrere<br />

Geldbeträge i.H.v. 20.000 €, 10.000 € sowie 5.000 € und ein Auto vermacht. Drei der potentiellen Erben<br />

beantragten beim Nachlassgericht einen gemeinschaftlichen Erbschein. Der Erbschein wurde mangels<br />

ausdrücklicher Erbeinsetzung nicht erteilt. Erfolgte die Nichterteilung zu Recht?<br />

Nach Auffassung des OLG München enthielt das Testament der E keine eindeutige Erbeinsetzung,<br />

wodurch es auslegungsbedürftig gewesen ist. Bei der Auslegung des Testaments nach § 133 BGB komme<br />

es auf den wirklichen Willen des Erblassers an, ohne am buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften.<br />

Auch vom Erblasser falsch verwendete Wortbedeutungen sind der Auslegung zugänglich, so wenn der<br />

Erblasser mit dem Begriff „erben“ die Zuwendung eines Vermächtnisses verbindet bzw. umgekehrt mit<br />

dem Begriff „vermachen“ eine Erbeinsetzung verbindet. Hat der Erblasser nicht ausdrücklich einen oder<br />

mehrere Erben eingesetzt oder legt die Bezeichnung aufgrund sonstiger Umstände nahe, dass sie nicht im<br />

rechtlich zutreffenden Sinne verwendet worden ist, muss davon ausgegangen werden, dass die Verfügungen<br />

auch eine Erbeinsetzung enthalten sollen, weil nicht anzunehmen ist, dass der Erblasser überhaupt<br />

keinen Erben berufen wollte. Das OLG München hat die Zuwendung der Geldbeträge und des Autos<br />

als Vermächtnis eingeordnet. Die Verwendung des Begriffs „erben“ steht dieser Beurteilung nicht entge-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 967


Fach 12, Seite 350<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

Nachlass/Erbrecht<br />

gen, § 2087 Abs. 2 BGB. Die Zuwendung der Grundstücke kann hingegen eine Erbeinsetzung darstellen,<br />

sofern es sich um einen wertmäßig wesentlichen Nachlassgegenstand handelt (vgl. OLG Hamm, Urt. v.<br />

2.2.2010 – I-10 U 137/09, 10 W 125/09). Es ist nicht abschließend geklärt, ab welcher Wertrelation eine<br />

solche Alleinerbeneinsetzung angenommen werden kann. Nach Auffassung des OLG München scheidet<br />

eine Erbeinsetzung aber aus, da das zugewendete Haus 13 % des Gesamtnachlasses nicht überstieg. Die<br />

Nichterteilung des gemeinschaftlichen Erbscheins erfolgte zu Recht.<br />

Schließlich kann der Erblasser nach § 2096 BGB für den Fall, dass ein Erbe vor oder nach dem Eintritt des<br />

Erbfalls wegfällt, einen anderen als Erben einsetzen. Der Ersatzerbe wird erst dann zum Erben berufen,<br />

wenn der zuerst Bedachte kein Erbe wird.<br />

bb) Bedingte Erbeinsetzung<br />

Die Einsetzung eines Erben in der Verfügung von Todes wegen kann vom Erblasser grundsätzlich von<br />

dem Eintritt einer aufschiebenden Bedingung gem. § 2074 BGB abhängig gemacht werden oder bei dem<br />

Eintritt einer auflösenden Bedingung gem. § 2075 BGB wegfallen. Bei der aufschiebenden Bedingung<br />

erbt der testamentarisch eingesetzte Erbe erst in dem Zeitpunkt, in dem eine vom Erblasser bestimmte<br />

Bedingung eintritt. In der Praxis wird die Erbschaft häufig von dem Abschluss der Schulausbildung, einer<br />

Berufsausbildung oder eines Studiums abhängig gemacht. Bei der auflösenden Bedingung hingegen<br />

erbt der testamentarisch eingesetzte Erbe im Zeitpunkt des Erbfalls. Das Erbe kann aber zu einem<br />

späteren Zeitpunkt wieder entfallen, wenn der Erblasser beispielweise die Heirat seines nichtehelichen<br />

Lebenspartners für die nächsten fünf Jahre nach dem Erbfall ausschließt, der Lebenspartner jedoch<br />

innerhalb dieses Zeitraums heiratet.<br />

Beispiel – Bedingte Erbeinsetzung:<br />

(AG Lüdinghausen, Beschl. v. 19.8.2015 – 27 VI 230/14)<br />

Die Erblasserin E hat in ihrem Testament vom 12.12.1990 die gemeinnützige Stiftung K als Erbin unter der<br />

Voraussetzung eingesetzt, dass die Tiere der E auf einem Anwesen von K weiterleben sollten. Nach dem<br />

Tod der E sind die Tiere bei einer anderen Organisation und der Familie von E untergekommen. K beantragt<br />

beim zuständigen Nachlassgericht einen Erbschein. Wird das Gericht den Erbschein erteilen?<br />

Das zuständige Nachlassgericht hat den Erbscheinsantrag der K mit der Begründung zurückgewiesen,<br />

dass die Erbeinsetzung der K bedingt gewesen ist. Das Amtsgericht hat die Einordnung als aufschiebende<br />

oder auflösende Bedingung offen gelassen. Die K ist jedenfalls nicht Erbin von E geworden, da die Erbenstellung<br />

unter der Bedingung stand, dass die Tiere von E auf einem Anwesen von K weiterleben<br />

sollten. Die Bedingung ist nicht eingetreten, so dass K nicht Erbin geworden ist.<br />

cc) Vor- und Nacherbschaft<br />

Mit der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft nach §§ 2100 bis 2146 BGB kann der Erblasser die<br />

Verteilung seines Nachlasses über mehrere Generationen gezielt steuern. Der Erblasser kann<br />

festlegen, wer den Nachlass nach dem Vorerben erhalten soll, wodurch der Erblasser sein Vermögen<br />

in seiner Familie binden und eine Weitergabe an familienfremde Dritte verhindern kann. Mit dieser<br />

Steuerungsfunktion hat der Erblasser die Möglichkeit, dass sein Nachlass auf den Nacherben erst nach<br />

dem Eintritt eines bestimmten Ereignisses oder eines bestimmten Alters übergehen soll (Volljährigkeit,<br />

Ausbildungsende, Heirat) (DAMRAU/TANCK/BOTHE, Praxiskommentar Erbrecht, 3. Aufl., Vorbem. zu<br />

§§ 2100 ff. BGB Rn 2).<br />

Hinweis:<br />

Die Nacherbschaft ist daher nicht zwingend mit dem Tod des Vorerben verbunden, der Erblasser kann den<br />

Zeitpunkt des Nacherbfalls vielmehr frei bestimmen.<br />

Die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft hat daher den Charakter einer Treuhand, wonach der<br />

Vorerbe den Nachlass für den Nacherben verwaltet. Der Vorerbe ist in seiner Befugnis, über den<br />

Nachlass zu verfügen, beschränkt, vgl. § 2113 BGB. Der Vorerbe soll durch unzulässige Verfügungen den<br />

968 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Nachlass/Erbrecht Fach 12, Seite 351<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

Nachlass im Hinblick auf den Nacherbfall nicht schmälern. Der Erblasser kann den Vorerben von dieser<br />

Beschränkung aber ausdrücklich befreien, vgl. § 2136 BGB. Zugleich geht der Nachlass nicht in das<br />

Eigenvermögen des Vorerben über, sondern das ererbte Vermögen bildet ein Sondervermögen beim<br />

Vorerben (PALANDT/WEIDLICH, BGB, § 2100 Rn 2). Die Vorerbschaft kann sich – wie die Erbeinsetzung –<br />

entweder auf den gesamten Nachlass oder nur auf einen Bruchteil beziehen.<br />

b) Gemeinschaftliches Testament<br />

Die Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartner können sich im gemeinschaftlichen Testament<br />

gegenseitig als Erben einsetzen und bestimmen, dass nach dem Tod des Letztversterbenden der<br />

Nachlass einem Dritten zufallen soll, § 2269 Abs. 1 BGB. Bei der Einsetzung der Ehegatten als Erben und<br />

des Dritten als Schlusserben haben die Ehegatten die Möglichkeiten:<br />

• der Einheitslösung (überlebender Ehegatte wird Vollerbe);<br />

• der Trennungslösung (überlebender Ehegatte wird Vorerbe) und<br />

• der Nießbrauchslösung (überlebender Ehegatte erhält den Nießbrauch am Nachlass).<br />

aa) Einheitslösung (Berliner Testament)<br />

Die häufigste Form des gemeinschaftlichen Testaments ist das sog. Berliner Testament, in dem sich<br />

die Ehegatten im Wege der Einheitslösung für den ersten Todesfall gegenseitig zu alleinigen<br />

Vollerben einsetzen, § 2269 BGB. Nach der Einheitslösung geht der Nachlass des Erstversterbenden in<br />

das Vermögen des überlebenden Ehegatten über, bevor der gemeinsame Nachlass nach dem Tod des<br />

Längstlebenden auf den bzw. die Schlusserben übergeht, die i.d.R. die gemeinsamen leiblichen Kinder<br />

der Ehegatten sind. Mit dem Berliner Testament wird konsequent die Vorstellung eines gemeinsamen<br />

Ehegattenvermögens in die Wirklichkeit umgesetzt, wonach der überlebende Ehegatte als unbeschränkter<br />

Vollerbe über das gemeinsame Vermögen verfügen kann, bevor es auf die Schlusserben<br />

übergeht (DAMRAU/TANCK/KLESSINGER, a.a.O., § 2269 BGB Rn 10). Die Schlusserbeneinsetzung bzw. die<br />

Bestimmung von Ersatzerben sind bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments nicht<br />

zwingend. Eine entsprechende Anordnung sollte aber getroffen werden, damit keine Zweifel im<br />

Hinblick auf den gemeinsamen Willen der Erblasser entstehen können.<br />

Beispiel – Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments:<br />

(OLG München, Beschl. v. 8.11.2016 – 31 Wx 224/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 127/20<strong>17</strong>)<br />

Die beiden Ehegatten M und E haben am 7.9.2000 ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Die<br />

Eheleute haben die Erbeinsetzung für den ersten Todesfall einer der Ehegatten geregelt, wonach der<br />

überlebende Ehegatte „Alleinerbe“ sein soll. Eine ausdrückliche Einsetzung eines Erben nach dem Tod<br />

des überlebenden Ehegatten wurde im Testament hingegen nicht angeordnet. Die Ehegatten hatten<br />

bezogen auf ihre beiden Söhne A und B nur Anordnungen im Hinblick auf einen Erbteils- und Pflichtteilsverzicht<br />

getroffen. Der Ehemann M und der Sohn B sind verstorben. E errichtet am 27.7.2007 ein<br />

Testament, in dem sie den Enkeln C und D ihr Wohneigentum zuwendet. Die Beteiligten streiten sich<br />

über die Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments aus dem Jahre 2000, namentlich darüber, ob<br />

die Ehegatten ihre beiden Söhne A und B zu gleichberechtigten Schlusserben eingesetzt haben, wodurch<br />

die spätere Zuwendung an die Enkel unwirksam wäre. Wie ist das gemeinschaftliche Testament<br />

auszulegen?<br />

Das gemeinschaftliche Testament der Eheleute M und E ist auslegungsbedürftig: Die Eheleute haben eine<br />

konkludente Schlusserbeneinsetzung getroffen, da sie neben der Alleinerbeneinsetzung des Überlebenden<br />

zugleich eine Anordnung für den Fall bis zu bzw. nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten<br />

getroffen haben. Dies ergibt sich aus den Anordnungen im Hinblick auf den Erbteils- und Pflichtteilsverzicht,<br />

wonach der Überlebende in den Genuss des ehelichen Vermögens gelangen sollte und A und B<br />

erst nach dem Ableben des Überlebenden darauf Zugriff haben sollten. Den Anordnungen lag die Vorstellung<br />

zugrunde, dass das beiderseitige Vermögen nach dem Ableben des überlebenden Ehegatten als<br />

eine Einheit ungeschmälert an einen Dritten übergehen sollte. Die Erbeinsetzung der A und B als gleichberechtigte<br />

Schlusserben ist wechselbezüglich nach § 2270 Abs. 1 BGB ergangen. Die Testamentserrichtung<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 969


Fach 12, Seite 352<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

Nachlass/Erbrecht<br />

aus dem Jahre 2007 hat keine Indizwirkung gegen die Wechselbezüglichkeit mit der Folge, dass A und B<br />

gleichberechtigte Schlusserben von M und E geworden sind. Das gemeinsame Vermögen sollte nicht in die<br />

Enkelgeneration von C und D übergehen.<br />

bb) Trennungslösung (Vor- und Nacherbschaft)<br />

Bei der Trennungslösung setzen sich die Ehegatten anders als bei der Einheitslösung nicht zu<br />

unbeschränkten Alleinerben ein. Vielmehr setzen sie sich für den ersten Erbfall gegenseitig jeweils<br />

zu Vorerben ein. Als Nacherbe nach dem Längstlebenden werden die gemeinsamen leiblichen Kinder<br />

oder ein Dritter eingesetzt. Die Trennungslösung führt nicht zu einer Verschmelzung der beiden<br />

Vermögensmassen. Der überlebende Ehegatte erhält den Nachlass des Erstversterbenden als<br />

„Sondervermögen“ und besitzt daneben gesondert sein Eigenvermögen (URICHER, Erbrecht, 3. Aufl., § 7<br />

Rn 325). Der Überlebende kann grundsätzlich gegenüber der Einheitslösung nicht frei über den<br />

Nachlass des Erstversterbenden verfügen. Er ist beschränkter Vorerbe im Verhältnis zu den<br />

endgültigen Erben. Insoweit muss er das Vermögen bis zu seinem Tod verwalten und darf hierüber<br />

nicht nach Belieben verfügen, es sei denn, dass die Beschränkung vom Erstversterbenden aufgehoben<br />

worden ist, § 2136 BGB.<br />

Hinweis:<br />

Die Nacherben des Erstversterbenden sind bereits seine Erben, erhalten den Nachlass aber erst mit seinem<br />

Tod, also mit dem Tod des Letztversterbenden.<br />

cc) Wiederverheiratungsklausel<br />

Bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testaments ist grundsätzlich die Wiederverheiratungsklausel<br />

als Gestaltungsmittel zu berücksichtigen. Mit einer Wiederverheiratungsklausel wollen die<br />

Ehegatten verhindern, dass nach dem Tod des Erstversterbenden durch eine Wiederverheiratung des<br />

überlebenden Ehegatten der ungeschmälerte Übergang des Nachlassvermögens – durch das<br />

Hinzutreten neuer Pflichtteilsberechtigungen oder neuer Abkömmlinge des Überlebenden – auf die<br />

Schlusserben gefährdet wird. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Erstversterbende entweder sein<br />

Nachlassvermögen spätestens mit der Wiederverheiratung vom Eigenvermögen des Überlebenden<br />

trennen oder das Gesamtvermögen des Überlebenden mit schuldrechtlichen Ansprüchen zugunsten<br />

der eigenen Abkömmlinge belasten, die den Ansprüchen der neuen Pflichtteilsberechtigten im Rang<br />

vorgehen. (URICHER, a.a.O., § 7 Rn 298).<br />

2. Bestimmung einer Teilungsanordnung<br />

Der Erblasser hat die Möglichkeit, in der Verfügung von Todes wegen eine Teilungsanordnung zu treffen,<br />

§ 2048 S. 1 BGB. Die Teilungsanordnung ermöglicht es dem Erblasser, verbindliche Anordnungen im<br />

Hinblick auf die Auseinandersetzung des Nachlasses zu treffen. Hierdurch werden die Erbquoten der<br />

Miterben nicht verändert, vielmehr muss sich der Miterbe den Wert des zugewendeten Gegenstands auf<br />

sein Erbe anrechnen lassen. Mithilfe der Teilungsanordnung hat der Erblasser bereits im Vorfeld des<br />

Erbfalls die Möglichkeit, etwaige Streitigkeiten unter den Miterben zu verhindern.<br />

Beispiel – Teilungsanordnung:<br />

Der Nachlass des E besteht aus zwei Grundstücken, welche je einen Wert von 150.000 € haben, und<br />

einem restlichen Vermögen i.H.v. 600.000 €. E hat in seinem Testament vom 5.6.1973 verfügt, dass seine<br />

Kinder A, B und C jeweils zu 1/3 erben sollen. Seinen beiden Töchtern A und B werden für ihre Familien die<br />

beiden Grundstücke zugeteilt. Seinem alleinstehenden Sohn C teilt E nichts zu. Wie wird der Nachlass<br />

zwischen A, B und C auseinandergesetzt?<br />

Der Nachlass des E hat einen Wert von 900.000 €. Die beiden Töchter A und B erhalten die Grundstücke<br />

mit einem Wert von jeweils 150.000 €. Zudem erhalten sie aus dem Bankguthaben jeweils 150.000 €. Der<br />

Sohn C erhält 300.000 €.<br />

970 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Nachlass/Erbrecht Fach 12, Seite 353<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

3. Bestimmung einer Vermächtnisanordnung<br />

Das Vermächtnis ist in den §§ 1939, 2147 bis 2191 BGB geregelt. Das Vermächtnis ist eine Zuwendung<br />

ohne Gesamtrechtsnachfolge, wodurch der Vermächtnisnehmer einen schuldrechtlichen<br />

Anspruch gegen den oder die Erben erhält. (URICHER, a.a.O., § 2 Rn 1) Der Gegenstand der Zuwendung<br />

muss nach §§ 1939, 2<strong>17</strong>4 BGB ein Vermögensvorteil sein. Der Vermögensvorteil muss nicht<br />

zu einer Bereicherung im Sinne einer Vermögenvermehrung führen, sondern nur zu einer Begünstigung<br />

für den Bedachten. Der Vermächtnisnehmer ist nicht Erbe. Er hat aber das einklagbare<br />

Recht, von dem Beschwerten – dem Erben – die Leistung des vermachten Gegenstands zu fordern,<br />

§ 2<strong>17</strong>4 BGB.<br />

Die Vermächtnisanordnung als Gestaltungsmittel in Verfügungen von Todes wegen genießt große<br />

Beliebtheit. Allein das Gesetz unterscheidet zwischen einem:<br />

• Wahlvermächtnis, § 2154 BGB;<br />

• Gattungsvermächtnis, § 2155 BGB;<br />

• Zweckvermächtnis, § 2156 BGB;<br />

• Gemeinschaftlichen Vermächtnis, § 2157 BGB;<br />

• Verschaffungsvermächtnis, 2<strong>17</strong>0 BGB;<br />

• Forderungsvermächtnis, § 2<strong>17</strong>3 BGB, und einem<br />

• Untervermächtnis, § 2<strong>18</strong>6 BGB.<br />

Gegenstand des Vermächtnisanspruchs kann alles sein, was als Inhalt der Leistungspflicht eines<br />

Schuldners nach § 241 BGB vereinbart werden könnte (BGH NJW 2001, 2883), also jedes rechtserhebliche<br />

Tun oder Unterlassen, das auf die Verbesserung der Vermögenslage des Bedachten abzielt. In<br />

der Praxis finden sich am häufigsten das:<br />

• Sachvermächtnis;<br />

• Grundstücksvermächtnis;<br />

• Vermächtnis bezüglich einer Eigentumswohnung;<br />

• Hausratsvermächtnis;<br />

• Geldvermächtnis;<br />

• Rentenvermächtnis;<br />

• Nießbrauchsvermächtnis und das<br />

• Wohnungsvermächtnis.<br />

Der Erblasser kann auch dem Erben ein Vermächtnis zuwenden. Es handelt sich hierbei um ein<br />

Vorausvermächtnis nach § 2150 BGB, wonach der Erbe als Vermächtnisnehmer zugleich Beschwerter<br />

des Vermächtnisses ist.<br />

Infolge der großen Beliebtheit kommt es relativ häufig zu Streitigkeiten über das Bestehen<br />

eines Vermächtnisanspruchs. Neben der Abgrenzungsfrage, ob eine Erbeinsetzung oder eine<br />

Vermächtnisanordnung besteht (vgl. oben III. 1. a) aa), gerät die Vermächtnisanordnung in ein<br />

Spannungsverhältnis zur Teilungsanordnung aus § 2048 BGB. Muss sich der Erbe den zugeteilten<br />

Gegenstand bei der Teilungsanordnung auf seine Erbquote anrechnen lassen, scheidet eine<br />

Anrechnung bei einer Vermächtnisanordnung aus. Entscheidend für die Auflösung des Spannungsverhältnisses<br />

ist der Wille des Erblassers: Wollte der Erblasser lediglich einen Leitfaden zur<br />

Durchführung der Erbauseinandersetzung geben, liegt eine Teilungsanordnung aus § 2048 BGB vor.<br />

Wollte er hingegen einen einzelnen Erben begünstigen, liegt ein Vermächtnis aus §§ 1939, 2147 BGB<br />

vor. Maßgebendes Kriterium für das Vorliegen eines Vermächtnisses ist daher der Begünstigungswille<br />

des Erblassers.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 971


Fach 12, Seite 354<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

Nachlass/Erbrecht<br />

Praxishinweis:<br />

Damit Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen einer Teilungsanordnung und einem (Voraus-)Vermächtnis<br />

im Zweifel vermieden werden können, sollte der Erblasser bei der Errichtung einer Verfügung von<br />

Todes wegen klar zu erkennen geben, ob er einen Erben mit der Zuwendung eines Nachlassgegenstands<br />

begünstigen will oder nicht.<br />

4. Übernahmerecht des Erben<br />

Das Übernahmerecht des Erben als Gestaltungsmittel in einer Verfügung von Todes wegen nimmt<br />

eine Sonderstellung zwischen der Teilungsanordnung nach § 2048 BGB und der Vermächtnisanordnung<br />

nach §§ 1939, 2147 BGB ein. Mit dem Übernahmerecht kann der Erblasser die Wirkung<br />

einer Teilungsanordnung oder eines (Voraus-)Vermächtnisses vom Willen des Miterben abhängig<br />

machen. Sollte das Übernahmerecht als Vorausvermächtnis ausgestaltet sein, wird der zugewendete<br />

Gegenstand unter der aufschiebenden Bedingung vermacht, dass der Miterbe das Übernahmerecht<br />

ausübt. Bei der Ausgestaltung als Teilungsanordnung besteht kein Zwang des Miterben, den<br />

zugewendeten Gegenstand zu übernehmen, vielmehr kann er hierüber frei entscheiden. Für die<br />

Annahme eines Vorausvermächtnisses ist auch hier entscheidend, ob der Erblasser den Gegenstand<br />

mit Begünstigungswillen dem Miterben zuwenden wollte.<br />

5. Bestimmung einer Auflage<br />

Die Auflage ist den §§ 1940, 2192 bis 2196 BGB geregelt. Der Erblasser kann durch eine Auflage im<br />

Testament oder im Erbvertrag den Erben oder Vermächtnisnehmer zu einer Leistung verpflichten,<br />

ohne einem anderen ein Recht auf die Leistung zuzuwenden, § 1940 BGB.<br />

Praxishinweis:<br />

Durch die Auflage als Gestaltungsmittel in Verfügungen von Todes wegen kann der Rechtsanwalt<br />

unterschiedliche Wünsche des Mandanten berücksichtigen, die nicht notwendig in der Zuwendung eines<br />

Vermögensvorteils bestehen.<br />

Auf Wunsch des Erblassers kann durch eine Auflage ein bestimmtes Verhalten des Begünstigten<br />

angeordnet werden, welches in der Praxis häufig darin besteht, dass der Erbe oder Vermächtnisnehmer<br />

zu:<br />

• der Grabpflege,<br />

• der Pflege und/oder Unterbringung von Haustieren,<br />

• karitativen Spenden oder<br />

• der Errichtung einer Stiftung<br />

verpflichtet wird. Sofern einem Dritten – wie einer wohltätigen Einrichtung – eine Spende<br />

zukommen soll, hat der Dritte als Begünstigter anders als bei einem Vermächtnis kein eigenes<br />

einklagbares Forderungsrecht aus §§ 2147, 2<strong>17</strong>4 BGB gegen den Erben oder Vermächtnisnehmer, der<br />

mit der Auflage beschwert ist. Schließlich entsteht eine rechtliche Verpflichtung für den Erben oder<br />

Vermächtnisnehmer nicht, wenn der Erblasser lediglich einen Wunsch zum Ausdruck bringt. Daher<br />

muss im Einzelfall festgestellt werden, ob der Erblasser den Erben oder Vermächtnisnehmer zu einer<br />

bestimmten Leistung verpflichten wollte oder nicht. Um die Auflage tatsächlich durchzusetzen, kann<br />

ein Testamentsvollstrecker eingesetzt werden, der den Willen des Erblassers in die Tat umzusetzen<br />

hat (§ 2203 BGB).<br />

6. Aufhebung von Ausgleichsverpflichtungen<br />

Die Ausgleichsverpflichtung wird in den §§ 2050 ff. BGB geregelt. Die Ausgleichspflicht trifft<br />

grundsätzlich nur die Abkömmlinge des Erblassers, sofern sie gesetzliche Erben (§ 2050 BGB) oder<br />

gewillkürte Erben (§ 2052 BGB) geworden sind. § 2052 BGB bestimmt: „Hat der Erblasser die Abkömmlinge<br />

972 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Nachlass/Erbrecht Fach 12, Seite 355<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

auf dasjenige als Erben eingesetzt, was sie als gesetzliche Erben erhalten würden, oder hat er ihre Erbteile so<br />

bestimmt, dass sie zueinander in demselben Verhältnis stehen wie die gesetzlichen Erbteile, so ist im Zweifel<br />

anzunehmen, dass die Abkömmlinge nach den §§ 2050, 2051 BGB zur Ausgleichung verpflichtet sein sollen.“ Die<br />

Ausgleichspflicht entsteht bei der Auseinandersetzung des Nachlasses. Der jeweilige Abkömmling<br />

muss Zuwendungen, die er zu Lebzeiten (schenkweise) durch den Erblasser erhalten hat, ausgleichen.<br />

Die Ausgleichspflicht soll von Gesetzes wegen eine Gleichbehandlung der Abkömmlinge untereinander<br />

sicherstellen. Der Erblasser kann die Ausgleichspflicht in der Verfügung von Todes wegen ausschließen,<br />

indem er die Erbquoten ändert, die den Abkömmlingen nach der gesetzlichen Erbfolge zugestanden<br />

hätten, oder er kann zugunsten eines Abkömmlings ein Vorausvermächtnis aus § 2150 BGB anordnen.<br />

7. Anordnung der Testamentsvollstreckung<br />

Der/die Erblasser können in einer Verfügung von Todes wegen als Gestaltungsmittel die Testamentsvollstreckung<br />

anordnen. Der Testamentsvollstrecker wird i.d.R. eingesetzt, um den Nachlass<br />

abzuwickeln oder zu verwalten und den Willen des Erblassers umzusetzen. Eine Testamentsvollstreckung<br />

bietet sich in den Fällen an, in denen es sich um einen großen Nachlass handelt, in denen<br />

Minderjährige oder Behinderte Erben sind oder bei einer Stiftungserrichtung von Todes wegen. Die<br />

Testamentsvollstreckung ist in den §§ 2197 bis 2228 BGB geregelt. Der Testamentsvollstrecker hat die<br />

Stellung eines Treuhänders und ist der Inhaber eines privaten Amtes (DAMRAU/TANCK/BONEFELD, a.a.O.,<br />

§ 2197 BGB Rn 1). Der Testamentsvollstrecker kann vom Erblasser nach § 2197 BGB, durch einen Dritten<br />

nach §§ 2198, 2199 BGB oder durch das Nachlassgericht nach § 2200 BGB bestimmt werden. Bei der<br />

Anordnung der Testamentsvollstreckung muss zwischen einer Abwicklungsvollstreckung nach<br />

§§ 2203, 2204 BGB und einer Dauervollstreckung nach § 2209 BGB unterschieden werden. Dient<br />

die Abwicklungsvollstreckung dazu, dass der Testamentsvollstrecker die letztwilligen Anordnungen<br />

des Erblassers ausführt und die Auseinandersetzung des Nachlasses herbeiführt, kann der<br />

Testamentsvollstrecker bei einer Dauervollstreckung in Form der Verwaltungsvollstreckung bloß zur<br />

Verwaltung des Nachlasses verpflichtet werden, § 2209 S. 1 BGB. Die Dauertestamentsvollstreckung<br />

unterliegt dabei der zeitlichen Grenze von § 2010 BGB, wonach die Anordnung der Dauertestamentsvollstreckung<br />

unwirksam wird, wenn seit dem Erbfall 30 Jahre verstrichen sind, § 2210 S. 1 BGB. Der<br />

Erblasser kann jedoch anordnen, dass die Verwaltung bis zum Tode des Erben oder des Testamentsvollstreckers<br />

oder bis zum Eintritt eines anderen Ereignisses in der Person des einen oder des anderen<br />

fortdauern soll, § 2210 S. 2 BGB.<br />

IV.<br />

Einschränkung der Gestaltungsmittel<br />

1. Pflichtteilsrecht<br />

Die Testierfreiheit des Erblassers wird durch das gesetzliche Pflichtteilsrecht der §§ 2303 bis 2338 BGB<br />

eingeschränkt. Dem Erblasser wird durch die Verfügung von Todes wegen die Möglichkeit geboten,<br />

jede Person seiner Wahl als Erben einzusetzen. Einen vollständigen Ausschluss seiner gesetzlichen<br />

Erben (§§ 1924 ff. BGB) kann der Erblasser jedoch durch eine Verfügung von Todes wegen nicht<br />

erreichen. Den nächsten Angehörigen wird durch die Gewährung des gesetzlichen Pflichtteilsrechts<br />

eine Mindestbeteiligung am Nachlass eingeräumt. Das gesetzliche Pflichtteilsrecht gibt dem<br />

Ehegatten, dem Lebenspartner und den Abkömmlingen des Erblassers, sofern sie durch eine Verfügung<br />

von Todes wegen von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen sind, einen Anspruch auf Zahlung eines<br />

Geldbetrags in Höhe der Hälfte der gesetzlichen Erbquote gegen den oder die Erben der Verfügung von<br />

Todes wegen, § 2303 BGB. Den Eltern steht dieses Recht zu, wenn keine Abkömmlinge vorhanden sind.<br />

Neben dem gesetzlichen Pflichtteil kann dem Pflichtteilsberechtigten ein Pflichtteilsergänzungsanspruch<br />

gem. § 2325 Abs. 1 BGB zustehen. Nach § 2325 Abs. 1 BGB kann der Pflichtteilsberechtigte,<br />

sofern der Erblasser einem Dritten eine Schenkung zu Lebzeiten gemacht hat, als Ergänzung des<br />

Pflichtteils den Betrag verlangen, um den sich der Pflichtteil erhöht, wenn der verschenkte Gegenstand<br />

dem Nachlass hinzugerechnet wird. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch schützt den Pflichtteilsberechtigten<br />

vor einem Verlust des gesetzlichen Pflichtteilsrechts. Der Erblasser kann durch<br />

Schenkungen zu Lebzeiten den Nachlass nicht derart schmälern, dass das gesetzliche Pflichtteilsrecht<br />

wertmäßig ausgeschlossen wird.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 973


Fach 12, Seite 356<br />

Erbrechtliche Gestaltungsmittel<br />

Nachlass/Erbrecht<br />

Bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs ist das Abschmelzungsmodell des § 2325<br />

Abs. 3 BGB zu beachten.<br />

Praxishinweis:<br />

Der Erblasser kann das gesetzliche Pflichtteilsrecht nicht durch eine Verfügung von Todes wegen<br />

ausschließen. Er hat aber die Möglichkeit, mit dem späteren Pflichtteilsberechtigten zu Lebzeiten einen<br />

notariellen Pflichtteilsverzichtsvertrag abzuschließen, §§ 2346 Abs. 2, 2348 BGB. Die Bereitschaft des<br />

Berechtigten zu diesem Vertrag wird mit der Höhe der Gegenleistung steigen.<br />

2. Erbschaft- und Schenkungsteuer<br />

Die Erbschaft- und Schenkungsteuer ist im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz (ErbStG)<br />

geregelt. Nach § 1 ErbStG unterliegen der Erbschaftsteuer:<br />

• der Erwerb von Todes wegen;<br />

• die Schenkung unter Lebenden;<br />

• die Zweckzuwendung und<br />

• das Vermögen einer Stiftung, sofern sie wesentlich im Interesse einer Familie oder bestimmter<br />

Familien errichtet ist, und eines Vereins, dessen Zweck wesentlich im Interesse einer Familie oder<br />

bestimmter Familien auf die Bindung von Vermögen gerichtet ist, in Zeitabständen von je 30 Jahren<br />

seit dem in § 9 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG bestimmten Zeitpunkt.<br />

Die Erbschaftsteuer entsteht mit dem Erbfall. Die Steuerbelastung richtet sich nach dem persönlichen<br />

Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser oder Schenker (drei Steuerklassen nach § 15 ErbStG) und<br />

innerhalb der Steuerklassen nach dem Wert des steuerpflichtigen Erwerbs nach § 19 ErbStG. Bei der<br />

Berechnung der Erbschaftsteuer müssen die in § 16 ErbStG geregelten Freibeträge zwingend beachtet<br />

werden.<br />

Praxishinweis:<br />

Der Erblasser kann den Anfall der Erbschaftsteuer durch eine Verfügung von Todes wegen zwar nicht<br />

verhindern. Er kann aber durch eine frühzeitige anteilige Verteilung seines Vermögens zu Lebzeiten die<br />

ihm eingeräumten Freibeträge aus § 16 ErbStG optimal nutzen.<br />

Literaturhinweis:<br />

Zur Erbschaftsteuer s. auch HAAS, Die neuen Regelungen zur Begünstigung von Betriebsvermögen bei der<br />

Erbschaft- und Schenkungsteuer, <strong>ZAP</strong> F. 20, S. 629 ff.<br />

V. Zusammenfassung<br />

Das Erbrecht bietet dem Testierenden umfangreiche Gestaltungsmittel, um seinen Nachlass zu regeln.<br />

Wenn die wohl schwierigste Hürde der Erkenntnis der eigenen Endlichkeit genommen ist, kann ein<br />

Testament oder ein Erbvertrag errichtet werden, um die Dinge nach dem eigenen Ableben zu regeln.<br />

Eine gute Verfügung von Todes wegen kann den Frieden in der Familie erhalten und das Andenken an<br />

den Erblasser unversehrt bewahren.<br />

974 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Strafrecht Fach 22 R, Seite 1023<br />

Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

Rechtsprechung<br />

Rechtsprechungsübersicht zum Strafrecht 2016/20<strong>17</strong><br />

Von Rechtsanwalt DETLEF BURHOFF, RiOLG a.D., Münster/Augsburg<br />

Inhalt<br />

I. Allgemeiner Teil des StGB<br />

1. Bemessung der Tagessatzhöhe<br />

(§ 40 StGB)<br />

2. Strafaussetzung zur Bewährung<br />

(§ 56 StGB)<br />

II. Zueignungsdelikte/Diebstahl<br />

(§§ 242 ff. StGB)<br />

III. Vermögensdelikte<br />

1. Vermögensschaden bei Zwang zur Herausgabe<br />

von Betäubungsmitteln<br />

(§§ 253, 255 StGB)<br />

2. Betrug (§ 263 StGB)<br />

IV. Erheblichkeit der sexuellen Handlung<br />

(§ <strong>18</strong>4h StGB)<br />

V. Beleidigung (§ <strong>18</strong>5 StGB)<br />

VI. Zur-Schau-Stellen der Hilflosigkeit einer<br />

Person (§ 201a StGB)<br />

VII. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer<br />

(§ 316a StGB)<br />

VIII. Verkehrsstrafrecht<br />

1. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort<br />

(§ 142 StGB)<br />

2. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr/Straßenverkehrsgefährdung<br />

(§§ 315b, 315c StGB)<br />

3. Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB)<br />

4. Nötigung im Straßenverkehr (§ 240 StGB)<br />

5. Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG)<br />

6. Entziehung der Fahrerlaubnis/Fahrverbot<br />

(§§ 69, 69a, 44 StGB)<br />

7. Unterbringung (§ 64 StGB)<br />

I. Allgemeiner Teil des StGB<br />

1. Bemessung der Tagessatzhöhe (§ 40 StGB)<br />

In seinem Beschluss vom 25.4.20<strong>17</strong> (1 StR 147/<strong>17</strong>, StRR 8/20<strong>17</strong>, 16) hat der BGH noch einmal zu der für<br />

die Praxis wichtigen Frage nach den Anforderungen an die Feststellungen hinsichtlich der<br />

Voraussetzungen für die Bemessung der Tagessatzhöhe Stellung genommen. Das LG hatte die<br />

Angeklagte wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen<br />

zu je 25 € verurteilt. Mit ihrer auf die Höhe der verhängten Tagessätze beschränkten Revision<br />

hatte sich die Angeklagte gegen die Festsetzung der Höhe des einzelnen Tagessatzes durch das LG<br />

gewandt. Das Rechtsmittel hatte Erfolg.<br />

Der BGH (a.a.O.) stellt zunächst noch einmal allgemein die/seine Grundsätze zur Bemessung der Höhe<br />

eines Tagessatzes zusammen: Die Höhe bestimmt sich unter Berücksichtigung der persönlichen und<br />

wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters (§ 40 Abs. 2 S. 1 StGB). Dabei ist grundsätzlich vom<br />

Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter an einem Tag hat oder haben könnte (§ 40 Abs. 2 S. 2<br />

StGB). Jedoch erschöpft sich die Festlegung der Tagessatzhöhe nicht in einem mechanischen Rechenakt,<br />

sondern es handelt sich um einen wertenden Akt richterlicher Strafzumessung, der dem Tatrichter<br />

Ermessensspielräume hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Faktoren belässt (MüKo-StGB/RADTKE,<br />

3. Aufl., § 40 Rn 56; ebenso FISCHER, StGB, 64. Aufl. 20<strong>17</strong>, § 40 Rn 6a). Zudem ist das Einkommen ein rein<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 975


Fach 22 R, Seite 1024<br />

Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

Strafrecht<br />

strafrechtlicher und kein steuerrechtlicher Begriff, welcher alle Einkünfte aus selbstständiger und nicht<br />

selbstständiger Arbeit sowie aus sonstigen Einkunftsarten umfasst (FISCHER, a.a.O., § 40 Rn 7), wobei es<br />

auch nicht erforderlich ist, dass es sich um Einnahmen in Form von Geldleistungen handelt (MüKo-<br />

StGB/RADTKE, a.a.O., § 40 Rn 60); auch Unterhalts- und Sachbezüge oder sonstige Naturalleistungen<br />

zählen hierzu. Im Einzelnen gilt:<br />

• Grundsätzlich kann auch das Einkommen des Ehepartners berücksichtigt werden, wenn dem Täter<br />

hieraus tatsächlich Vorteile zufließen, wobei aber das Strafgericht den Entschluss eines Ehepartners,<br />

nicht berufstätig zu werden, zu respektieren hat (FISCHER, a.a.O., § 40 Rn 9). Im Ergebnis kommt es in<br />

solchen Fällen darauf an, inwieweit der nicht berufstätige Ehepartner am Familieneinkommen<br />

teilhat, indem ihm tatsächlich Naturalunterhalt, ggf. auch ein Taschengeld, gewährt wird.<br />

• Von den anzurechnenden Einkünften abzuziehen sind damit zusammenhängende Ausgaben, wie<br />

beispielsweise Werbungskosten und Betriebsausgaben, auch Sozialversicherungsbeiträge; ebenfalls<br />

sind i.d.R. außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen, Unterhaltsverpflichtungen des Täters<br />

demgegenüber nur in angemessenem Umfang (FISCHER, a.a.O., § 40 Rn 13 ff.; MüKo-StGB/RADTKE, a.a.O.,<br />

§40Rn65ff.; vgl. auch SCHÄFER/SANDER/VAN GEMMEREN, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn 121).<br />

• Dem Tatrichter steht gem. § 40 Abs. 3 StGB eine Schätzungsbefugnis zu, sofern entweder der<br />

Angeklagte keine oder unrichtige Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen macht oder<br />

deren Ermittlung zu einer unangemessenen Verzögerung des Verfahrens führen würde bzw. der<br />

erforderliche Aufwand nicht im Verhältnis zur Höhe der Geldstrafe stehen würde (OLG Düsseldorf,<br />

Beschl. v. 19.1.1995 – 5 Ss 437/94; MüKo-StGB/ RADTKE, a.a.O., § 40 Rn 119).<br />

Hinweise:<br />

Der Beschluss stellt noch einmal sehr schön die Anforderungen an die Feststellungen zur Bemessung der<br />

Tagessatzhöhe zusammen. Die sollte man als Verteidiger präsent haben, wenn es in der Hauptverhandlung<br />

um die Bemessungsfragen geht. Ausführlich zur Bemessung der Tagessatzhöhe bei Geldstrafen vgl.<br />

HILLENBRAND <strong>ZAP</strong> F. 22, S. 879.<br />

Im Übrigen: Berufung und Revision können wirksam auf die Bemessung der Tagessatzhöhe beschränkt<br />

werden. Darauf weist der BGH unter Bezugnahme auf BGHSt 27, 70, 73 noch einmal hin. Eine Ausnahme<br />

gilt, wenn sich die Zumessungsakte zur Anzahl des Tagessatzes und dessen Höhe überschneiden.<br />

2. Strafaussetzung zur Bewährung (§ 56 StGB)<br />

Inzwischen hat der sog. Kölner-Raser-Fall auch den BGH beschäftigt (vgl. Urt. v. 6.7.20<strong>17</strong> – 4 StR 415/16,<br />

StRR 8/20<strong>17</strong>, <strong>18</strong>). Gegenstand der Entscheidung war ein „Autorennen“ in der Kölner Innenstadt, bei dem<br />

einer der beiden beteiligten Kraftfahrzeugführer die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren und eine auf<br />

dem angrenzenden Radweg fahrende 19-jährige Studentin erfasst hat, die später ihren durch die<br />

Kollision erlittenen schweren Verletzungen erlag. Das LG Köln hatte u.a. wegen fahrlässiger Tötung zu<br />

Freiheitsstrafen von zwei Jahren bzw. von einem Jahr und neun Monaten, jeweils mit Strafaussetzung<br />

zur Bewährung, verurteilt (LG Köln, Urt. v. 14.4.2016 – 1<strong>17</strong> KLs 19/15). Der BGH (a.a.O.) hat das Urteil<br />

hinsichtlich der Bewährungsentscheidung aufgehoben.<br />

Der BGH (a.a.O.) hat zwei Punkte beanstandet: Im Rahmen der Prüfung „besonderer Umstände“ nach<br />

§ 56 Abs. 2 StGB habe das LG keine über die günstige Sozialprognose (§ 56 Abs. 1 StGB) hinausgehenden<br />

Umstände berücksichtigt. Und bei der Frage, ob die Verteidigung der Rechtsordnung die Vollstreckung<br />

der Freiheitsstrafen gebiete (§ 56 Abs. 3 StGB), seien Tat und Täter nicht ausreichend gewürdigt worden,<br />

wobei auch generalpräventiven Erwägungen Bedeutung zukomme (BGHSt 24, 40, 45). Insbesondere der<br />

Umstand, dass die Angeklagten die zum Tod der Studentin führenden Gefahren bewusst geschaffen<br />

haben, sei hier von maßgeblicher Bedeutung (OLG Karlsruhe NZV 2004, 156 = DAR 2003, 325).<br />

Hinweis:<br />

In diesem Zusammenhang ist auf das vom Bundestag am 29.6.20<strong>17</strong> beschlossene „Gesetz zur Strafbarkeit<br />

der Veranstaltung nicht genehmigter Kfz-Rennen und der Teilnahme daran“ mit dem neuen § 315d StGB<br />

976 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Strafrecht Fach 22 R, Seite 1025<br />

Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

zu verweisen (vgl. BR-Drucks 362/16 und BT-Drucks <strong>18</strong>/12936 und <strong>18</strong>/12964). Die BGH-Entscheidung lässt<br />

im Übrigen erahnen, wie der BGH über die bei ihm anhängige Revision gegen die Verurteilung wegen<br />

Mordes im „Berliner-Raser-Fall“ entscheiden wird (LG Berlin, 27.2.20<strong>17</strong> – 535 Ks 8/16; dazu WALTER NJW<br />

20<strong>17</strong>, 1350).<br />

II. Zueignungsdelikte/Diebstahl (§§ 242 ff. StGB)<br />

In seinem Beschluss hat der 1. Strafsenat des BGH den Begriff der Wohnung in § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB<br />

dem der „anderen Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient“ in § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB<br />

gleichgestellt und damit Wohnwagen und Wohnmobile bei entsprechender Nutzung in den<br />

Anwendungsbereich eingeschlossen. Wohnmobile und Wohnwagen sind jedenfalls dann, wenn sie<br />

Menschen zumindest vorübergehend zur Unterkunft dienen, eine Wohnung i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3<br />

StGB (BGH, Beschl. v. 11.10.2016 – 1 StR 462/16, BGHSt 61, 285 = <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 140/20<strong>17</strong> = StRR 2/20<strong>17</strong>, 15).<br />

Zur Begründung hat der BGH ausgeführt, dass er bislang noch nicht entschieden habe, ob und ggf. unter<br />

welchen Voraussetzungen Wohnmobile oder Wohnwagen als „Wohnungen“ von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB<br />

tatbestandlich erfasst werden. Nach seiner Rechtsprechung handele es sich allerdings bei Wohnmobilen<br />

um eine „andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient“ i.S.v. § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB, wenn<br />

dieses seinem Nutzer jedenfalls vorübergehend als Mittelpunkt des Lebens dient, was nicht nur in der<br />

Nutzung als Fortbewegungsmittel, sondern auch in der Nutzung zum Schlafen sowie zur Zubereitung<br />

und Einnahme von Mahlzeiten u.Ä. zum Ausdruck kommt (BGH NStZ 2010, 519). Nach Auffassung des<br />

BGH sprechen Entstehungsgeschichte und vor allem der Zweck von § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB dafür,<br />

Wohnmobile und Wohnwagen jedenfalls dann als „Wohnungen“ anzusehen, wenn die Tat zu einem<br />

Zeitpunkt erfolgt, zu dem eine tatsächliche Wohnnutzung stattfindet. Anlass für die Höherstufung des<br />

Wohnungseinbruchdiebstahls sei nicht der besondere Schutz von in einer Wohnung – und damit<br />

besonders sicher – aufbewahrten Gegenständen, sondern die mit einem Wohnungseinbruch<br />

einhergehende Verletzung der Privatsphäre des Tatopfers (BGH NJW 2001, 3203; NStZ 2008, 514 =<br />

StRR 2008, 350 [KLAWS]). Ausgehend vom Schutzzweck der Norm könnten auch Wohnmobile und<br />

Wohnwagen Wohnung i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB sein. Denn bei ihnen handele es sich um<br />

umschlossene Räumlichkeiten, die einen erhöhten Eigentums- und Gewahrsamsschutz bieten und die,<br />

wenn sie Menschen zur Unterkunft dienen, eine räumliche Privat- und Intimsphäre vermitteln (BGH<br />

NStZ 2010, 519 bzgl. § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB; abweichend z.T. die Literatur, vgl. SCHMITZ, in: MüKo-StGB,<br />

2. Aufl., § 244 Rn 58; KÜHL, in: LACKNER/KÜHL, StGB, 28. Aufl., Rn 11). Nicht erforderlich sei, dass die<br />

bewegliche Unterkunft dauerhaft genutzt werde.<br />

Hinweis:<br />

Die Argumentation des BGH anhand des Schutzzwecks überzeugt. Im Vordergrund steht also die Funktion<br />

eines Objekts als Wohnstätte, was etwa durch die Nutzung von Schlafplätzen und Vorrichtungen zum<br />

Kochen und Essen indiziert wird. Es kann von daher keinen Unterschied machen, ob der erfasste Tatort fest<br />

verankert oder beweglich ist (vgl. auch die Übersicht zu den erfassten und nicht erfassten Örtlichkeiten bei<br />

FISCHER, a.a.O., § 244 Rn 46–49). In der Praxis muss der Verteidiger ggf. prüfen (lassen), ob die Tat zu einem<br />

Zeitpunkt begangen worden ist, zu welchem der Wohnwagen oder das Wohnmobil zumindest vorübergehend<br />

der Wohnung von Menschen gedient hat.<br />

III.<br />

Vermögensdelikte<br />

1. Vermögensschaden bei Zwang zur Herausgabe von Betäubungsmitteln (§§ 253, 255 StGB)<br />

In dem Anfragebeschluss des 2. Strafsenats des BGH (Beschl. v. 1.6.2016 – 2 StR 335/15, NStZ 2016, 695 =<br />

StRR 8/2016, 15; s. auch BURHOFF <strong>ZAP</strong> F. 9, S. 974) war die Frage aufgeworfen worden, ob die Nötigung zur<br />

Übertragung von unerlaubtem Besitz an Betäubungsmitteln strafrechtlich geschütztes Vermögen<br />

betrifft und daher den Tatbestand der Erpressung (§ 253 StGB) erfüllt. Der 2. Strafsenat hatte bei den<br />

anderen Strafsenaten des BGH angefragt, ob sie dem zustimmen oder an einer entgegenstehenden<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 977


Fach 22 R, Seite 1026<br />

Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

Strafrecht<br />

Rechtsprechung festhalten. Inzwischen haben alle anderen Senate mitgeteilt, dass sie an der alten<br />

Rechtsprechung festhalten (vgl. BGH, Beschl. v. 10.11.2016 – 4 ARs <strong>17</strong>/16; Beschl. v. 15.11.2016 – 3 ARs 16/16;<br />

Beschl. v. 21.2.20<strong>17</strong> – 1 ARs 16/16, NStZ-RR 20<strong>17</strong>, 112 und Beschl. v. 7.2.20<strong>17</strong> – 5 ARs 47/16). Fraglich ist, wie<br />

der 2. Strafsenat nun mit der Anfrage umgeht und ob er die Frage dem Großen Senat für Strafsachen<br />

vorlegt. Dies ist vor allem auch verfahrensmäßig interessant, denn im Beschluss des BGH vom 22.9.2016<br />

(2 StR 27/16, BGHSt 61, 263 = StRR 1/20<strong>17</strong>, 14) hatte ein anders besetzter Spruchkörper des 2. Strafsenats<br />

das Rechtsproblem anders gesehen. Das hatte dann den 1. Strafsenat im BGH mit Beschluss vom 21.2.20<strong>17</strong><br />

(1 ARs 16/16, NStZ-RR 20<strong>17</strong>, 112) dazu veranlasst, die Vorlage des 2. Strafsenats als unzulässig anzusehen.<br />

Zur Begründung wurde darauf verwiesen, dass, wenn ein BGH-Senat überbesetzt ist und deswegen<br />

mehrere Sitzgruppen bestehen, er nach außen nur eine einheitliche Rechtsprechung verfolgen dürfe. Nach<br />

§ 132 Abs. 3 S. 1 GVG könne nur der Senat als solcher bei anderen Senaten anfragen, nicht einzelne<br />

Sitzgruppen eines Senats. Durch die Anfrage komme es für den anfragenden Senat zur Bindung an die<br />

„Anfragefrage“, nicht aber für die anderen Senate. Durch eine zeitlich nach dem Anfragebeschluss auf der<br />

Grundlage der bisherigen Rechtsprechung gefasste (abweichende) Entscheidung des anfragenden Senats<br />

werde allerdings die Anfrage für ihn hinfällig und damit unzulässig, weil der Senat mit seiner<br />

nachfolgenden Entscheidung gezeigt hat, dass er an seiner Anfrage nicht mehr festhält.<br />

Hinweis:<br />

Es bleibt spannend, vor allem auch wegen des Wechsels in der Besetzung bzw. des Ausscheidens des<br />

Vorsitzenden des 2. Strafsenats. In der materiell-rechtlichen Frage dürfte das Ergebnis, das zu erwarten<br />

ist, allerdings klar sein.<br />

2. Betrug (§ 263 StGB)<br />

Das LG hatte einen Rechtsanwalt wegen Beihilfe zum versuchten Betrug verurteilt. Dabei ging es<br />

darum, dass dem Mitangeklagten H.T. vor allem angelastet worden war, durch fingierte Unfälle einen<br />

Betrug bzw. versuchten Betrug gegenüber den gegnerischen Versicherungen begangen zu haben.<br />

Dazu nutzte dieser entweder geringfügige Fahrfehler anderer Verkehrsteilnehmer bewusst zur<br />

Herbeiführung eines Verkehrsunfalls aus oder machte bei Straßen- bzw. Parkunfällen nicht auf das<br />

Unfallereignis zurückzuführende Schäden geltend, um den jeweiligen Sachbearbeiter der in Anspruch<br />

genommenen gegnerischen Versicherung entsprechend zu täuschen. Der Angeklagte hatte als<br />

Rechtsanwalt im Namen des Mitangeklagten H.T. bzw. von dessen Ehefrau in zwei Fällen mit<br />

anwaltlichen Schreiben jeweils gegenüber den Versicherungsunternehmen der Geschädigten Ansprüche<br />

aus solchen fingierten Verkehrsunfällen geltend gemacht. Zu einer Auszahlung von Versicherungsleistungen<br />

kam es in beiden Fällen nicht. Der BGH hat das LG-Urteil aufgehoben, weil das Vorliegen der<br />

subjektiven Voraussetzungen einer strafbaren Beihilfe danach nicht belegt sei (vgl. BGH, Beschl. v.<br />

26.1.20<strong>17</strong> – 1 StR 636/16, StRR 7/20<strong>17</strong>, 15).<br />

Der BGH (a.a.O.) verweist zunächst auf seine Rechtsprechung zur Beihilfestrafbarkeit bei berufstypischen<br />

„neutralen“ Handlungen. Danach seien folgende Grundsätze zu beachten: Ziele das Handeln<br />

des Haupttäters ausschließlich darauf ab, eine strafbare Handlung zu begehen, und wisse dies der<br />

Hilfeleistende, so sei sein Tatbeitrag als Beihilfehandlung zu werten. In diesem Fall verliere sein Tun stets<br />

den „Alltagscharakter“; es sei als „Solidarisierung“ mit dem Täter zu deuten und dann auch nicht mehr als<br />

sozialadäquat anzusehen. Wisse der Hilfeleistende dagegen nicht, wie der von ihm geleistete Beitrag<br />

vom Haupttäter verwendet werde, und halte er es lediglich für möglich, dass sein Tun zur Begehung<br />

einer Straftat genutzt werde, so sei sein Handeln regelmäßig noch nicht als strafbare Beihilfehandlung<br />

zu beurteilen, es sei denn, das von ihm erkannte Risiko strafbaren Verhaltens des von ihm Unterstützten<br />

sei derart hoch, dass er sich mit seiner Hilfeleistung die Förderung eines erkennbar tatgeneigten Täters<br />

angelegen sein ließ (BGHSt 46, 107, 112 ff.; wistra 2014, <strong>17</strong>6). Diese Voraussetzungen müssen aber – so<br />

der BGH (a.a.O.) – tragfähig belegt werden. Das hat er dann für die vom LG getroffenen Feststellungen<br />

verneint. Zwar hätte dem Rechtsanwalt die Häufigkeit der Unfallbeteiligungen innerhalb „kürzester Zeit“<br />

auffallen müssen. Zudem habe er in zwei dieser Fälle im Zeitraum Januar bis Februar 2014 zwei<br />

978 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Strafrecht Fach 22 R, Seite 1027<br />

Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

Schreiben von Versicherungen erhalten, die die Auszahlung der erhobenen Forderungen wegen<br />

fehlender Plausibilität und Kompatibilität der Schäden verweigerten. Er habe außerdem im August 2014<br />

die Verteidigung des H.T. in einem Ermittlungsverfahren übernommen. Das Verfahren sei wegen des<br />

Vorwurfs des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und gewerbsmäßigen Betrugs geführt<br />

worden. Der hieraus vom LG gezogene Schluss auf das festgestellte Wissen um die Nichtberechtigung<br />

der geltend gemachten Ansprüche und mithin auf das Vorliegen der nach den aufgezeigten Maßgaben<br />

ausreichenden subjektiven Voraussetzungen beruhte nach Auffassung des BGH (a.a.O.) aber nicht auf<br />

einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung, da die Erwägungen hierzu lückenhaft blieben.<br />

Hinweis:<br />

Ohne Kenntnis der Akten und der konkreten Beweisergebnisse kann man die Entscheidung nicht abschließend<br />

beurteilen. Allerdings ist in vergleichbaren Fällen auf jeden Fall Vorsicht geboten. Das gilt vor<br />

allem dann, wenn Mandanten häufiger solche Mandate antragen. Denn der BGH weist ausdrücklich<br />

darauf hin, dass das mehrfache Auftreten von Ersatzansprüchen innerhalb von mehr als drei Jahren<br />

hätte Anlass sein können, an der Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche zu zweifeln, auch<br />

wenn daraus zunächst nicht das Wissen um die Nichtberechtigung der Ansprüche folgen soll.<br />

IV. Erheblichkeit der sexuellen Handlung (§ <strong>18</strong>4h StGB)<br />

Durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Verbesserung des Schutzes der sexuellen<br />

Selbstbestimmung – vom 4.11.2016 (BGBl I, S. 2460) ist das Sexualstrafrecht neu geregelt worden (vgl.<br />

dazu BURHOFF StRR 4/20<strong>17</strong>, 6 ff.). Zu den mittelbaren Auswirkungen dieser Neuregelung auf andere<br />

Tatbestände, vor allem aber auf den Begriff der „Erheblichkeit“ der sexuellen Handlung, hat der BGH im<br />

Beschluss vom 26.4.20<strong>17</strong> (2 StR 574/16, StraFo 20<strong>17</strong>, 285 = StRR 7/20<strong>17</strong>, 3) Stellung genommen. Das LG<br />

hatte den Angeklagten u.a. wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt. Dazu hat es<br />

festgestellt, dass der Angeklagte während eines Besuchsaufenthalts seiner Tochter in seiner Wohnung<br />

am 30.1.2016 mit einer Hand in den Schlafsack seines am 19.6.2008 geborenen, mit einem T-Shirt und<br />

einer Unterhose bekleideten Kindes griff und die Hand in der Absicht, sich sexuell zu erregen, über ihrer<br />

Unterhose bis einige Zentimeter oberhalb ihres Genitalbereichs führte und seine Tochter dort<br />

streichelte. Das LG hat das als Vergehen gem. § <strong>17</strong>4 Abs. 1 Nr. 3 in Tateinheit mit § <strong>17</strong>6 Abs. 1 StGB<br />

bewertet. Dagegen hat der Angeklagte Revision eingelegt, die keinen Erfolg hatte.<br />

Nach Auffassung des BGH (a.a.O.) bedarf nur die Frage einer näheren Erörterung, ob eine sexuelle<br />

Handlung von einiger Erheblichkeit i.S.d. § <strong>18</strong>4h Nr. 1 StGB vorlag. Als erheblich seien – so der BGH –<br />

solche sexualbezogenen Handlungen zu werten, die nach Art, Intensität und Dauer eine sozial nicht<br />

mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand geschützten Rechtsguts besorgen<br />

lassen (vgl. etwa BGHSt 29, 336, 338; BGH NJW 1992, 324; NStZ 2012, 269, 270; NStZ-RR 20<strong>17</strong>, 43, 44).<br />

Dazu bedürfe es einer Gesamtbetrachtung aller Umstände im Hinblick auf die Gefährlichkeit der<br />

Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut; unter diesem Gesichtspunkt belanglose Handlungen<br />

scheiden aus. Bei Tatbeständen, die Kinder und Jugendliche schützen, seien ggf. weniger strenge<br />

Maßstäbe anzulegen (vgl. BGH a.a.O.). Letztlich seien aber auch beim Schutz der sexuellen<br />

Selbstbestimmung von Kindern (§ <strong>17</strong>6 StGB) nicht sämtliche sexualbezogenen Handlungen, die<br />

sexuell motiviert seien, tatbestandsmäßig. Auszuscheiden seien vielmehr kurze oder aus anderen<br />

Gründen unbedeutende Berührungen (vgl. BGH a.a.O.). Auf dieser Grundlage hat der BGH (Beschl. v.<br />

26.4.20<strong>17</strong> – 2 StR 574/16, StraFo 20<strong>17</strong>, 285 = StRR 7/20<strong>17</strong>, 3) für die sexuellen Handlungen des<br />

Angeklagten zum Nachteil seiner zur Tatzeit erst siebeneinhalbjährigen Tochter die Erheblichkeit<br />

bejaht. Das folge aus der Tatbegehung in der besonderen Beziehung zwischen Vater und Tochter, aus<br />

dem deutlich unter der Schutzaltersgrenze liegenden Alter des Kindes zur Tatzeit, aus der Art der<br />

sexuellen Handlung und aus den Begleitumständen, wie der Tatsache, dass das Kind situativ in eine<br />

nachfolgende Tat zum Nachteil der Zwillingsschwester einbezogen worden sei. Der BGH (a.a.O.) stellt<br />

sodann fest, dass die Gesetzesänderungen durch das 50. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches<br />

– Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung – vom 4.11.2016 (BGBl I, S. 2460) keinen<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 979


Fach 22 R, Seite 1028<br />

Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

Strafrecht<br />

Anlass zu einer für den Angeklagten günstigeren Bewertung als milderes Recht i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB<br />

geben. Die Einführung eines Auffangtatbestands für belästigend wirkende körperliche Berührungen in<br />

sexuell bestimmter Weise in § <strong>18</strong>4i StGB wirke sich nicht auf die Auslegung des Begriffs der<br />

Erheblichkeit in § <strong>18</strong>4h Nr. 1 StGB aus. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des § <strong>18</strong>4i StGB nicht<br />

bezweckt, bisher von § <strong>18</strong>4h Nr. 1 StGB erfasste Verhaltensweisen aus dem Schutzbereich<br />

herauszulösen und diese nunmehr nur noch unter den in § <strong>18</strong>4i StGB genannten Voraussetzungen<br />

unter Strafe zu stellen. Ziel der Neuregelung sei es vielmehr, bisher strafrechtlich nicht erfasstes<br />

Verhalten auch unterhalb der Schwelle des § <strong>18</strong>4h Nr. 1 StGB zu pönalisieren (BT-Drucks <strong>18</strong>/9097,<br />

S. 29). Ein Einfluss auf die Auslegung des § <strong>18</strong>4h Nr. 1 StGB ergebe sich auch nicht dadurch, dass die<br />

Rechtsprechung bei der Prüfung der Erheblichkeit der sexuellen Handlung auf eine nach Art, Intensität<br />

und Dauer sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des im jeweiligen Tatbestand<br />

geschützten Rechtsguts abstelle, womit bisher eine Abgrenzung zwischen strafbarem und straflosem<br />

Verhalten verbunden war, nunmehr aber nur noch eine solche zwischen Tatbeständen gem. §§ <strong>17</strong>4,<br />

<strong>17</strong>6, <strong>17</strong>7 StGB einerseits und demjenigen des § <strong>18</strong>4i StGB andererseits vorzunehmen sei. Denn dieser<br />

Begriff der „sozial nicht mehr hinnehmbaren Beeinträchtigung“ beziehe sich auf andere, weiterreichende<br />

Rechtsgüter als dasjenige, das von § <strong>18</strong>4i StGB geschützt sei.<br />

Hinweis:<br />

Der BGH (a.a.O.) verneint diese Auswirkungen der Neuregelung auf „Altfälle“ m.E. überzeugend. In der<br />

Literatur ist das zum Teil anders gesehen worden (vgl. EL GHAZI ZIS 20<strong>17</strong>, 157, 160 f.; LEDERER AnwBl. 20<strong>17</strong>, 514,<br />

5<strong>17</strong> f.).<br />

V. Beleidigung (§ <strong>18</strong>5 StGB)<br />

Eine verhältnismäßig große Zahl von Entscheidungen hat sich in der letzten Zeit mit der Frage der<br />

Beleidigung und damit korrespondierend mit den Fragen der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) und<br />

zulässiger/unzulässiger Schmähkritik befasst. Hinzuweisen ist dazu auf:<br />

• BVerfG (Beschl. v. 29.6.2016 – 1 BvR 2732/15): Die Meinungsäußerungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG)<br />

wird durch eine falsche strafgerichtliche Einordnung einer Äußerung als Tatsache anstatt als<br />

Werturteil – hier: Strafurteil wegen übler Nachrede (§ <strong>18</strong>6 StGB) bei Bezeichnung eines Polizeibeamten<br />

als „Spanner“ –verletzt (BVerfG StV 20<strong>17</strong>, <strong>18</strong>2 = StRR 10/2016, 15 = <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 6<strong>17</strong>/2016).<br />

• BVerfG (Beschl. v. 29.6.2016 – 1 BvR 2646/15): Die Bezeichnung einer Staatsanwältin durch einen<br />

Rechtsanwalt in einem Gespräch mit einem Journalisten als „dahergelaufene Staatsanwältin, durchgeknallte<br />

Staatsanwältin, widerwärtige, boshafte, dümmliche Staatsanwältin“ und „geisteskranke Staatsanwältin“<br />

ist zwar eine ausfallend scharfe und die Ehre beeinträchtigende Äußerung. Es handelt sich<br />

aber deshalb nicht von vornherein um „Schmähkritik“, sondern es hätte näherer Darlegungen des LG<br />

bedurft, dass sich die Äußerungen vom Verfahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur<br />

als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu<br />

diffamieren (BVerfG NJW 2016, 2870 = StRR 11/2016, 15).<br />

• BVerfG (Beschl. v. 13.6.20<strong>17</strong> – 1 BvR 2832/15): Eine auf Angehörige einer Gruppe im Allgemeinen<br />

bezogene Äußerung darf nicht allein deswegen als auf eine hinreichend überschaubare Personengruppe<br />

bezogen behandelt werden, weil eine solche Gruppe eine Teilgruppe des nach der<br />

allgemeineren Gattung bezeichneten Personenkreises bildet (vgl. BVerfGE 93, 266, 302 f.) Es reicht<br />

aber für eine Beleidigung i.S.d. § <strong>18</strong>5 StGB – durch Verwendung einer Stofftasche mit dem Aufdruck<br />

„A.C.A.B.“ –gegenüber im Rahmen einer Demonstration eingesetzten Polizisten aus, wenn sich der<br />

Äußernde bewusst in die Nähe der in Bezug genommenen Personengruppe begeben und sich auf sie<br />

– vorliegend „ostentativ“ und „nachgerade paradierend“ –individualisiert bezogen hat.<br />

• OLG München (Beschl. v. 31.5.20<strong>17</strong> – 5 OLG 13 Ss 81/<strong>17</strong>): Die schriftliche Äußerung eines seine Tochter<br />

vertretenden Rechtsanwalts gegenüber einem OLG-Senat, dieser begehe Unrecht, das „noch viel<br />

perfider, noch viel abgründiger, noch viel hinterhältiger“ sei als das Unrecht, „das ein Roland Freisler<br />

begangen hat“, ist gem. § 193 StGB gerechtfertigt (OLG München AnwBl 20<strong>17</strong>, 783).<br />

980 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong>


Strafrecht Fach 22 R, Seite 1029<br />

Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

• OLG Rostock (Beschl. v. 9.9.2016 – 20 RR 66/15 – 1 Ss 46/16): Die Meinungs- und Pressefreiheit<br />

genießt bei der kritisch kommentierenden Berichterstattung über tatsächliche Geschehnisse in der<br />

Öffentlichkeit Vorrang vor dem Persönlichkeitsschutz des Betroffenen, solange die Grenze zur<br />

Formalbeleidigung und zur Schmähkritik nicht überschritten wird. In der bloßen Wiedergabe als<br />

solcher gekennzeichneter, herabsetzender Werturteile Dritter in einem Zeitungsbericht liegt keine<br />

persönliche Identifizierung des Verfassers mit dieser Begriffsverwendung (für den Begriff Rabaukenjäger:<br />

OLG Rostock NJ 2016, 431 = StRR 1/20<strong>17</strong>, 19).<br />

VI. Zur-Schau-Stellen der Hilflosigkeit einer Person (§ 201a StGB)<br />

§ 201a StGB ist neu gefasst worden durch das 49. Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches –<br />

Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht vom 21.1.2015 (BGBl I, S. 10) und am 27.1.2015 in<br />

Kraft getreten (zum Gesetzentwurf s. BT-Drucks <strong>18</strong>/2601). Mit den Voraussetzungen, unter denen die<br />

Hilflosigkeit einer Person auf einer Bildaufnahme zur Schau gestellt wird (§ 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB)<br />

befasst sich der BGH in seinem Beschluss vom 25.4.20<strong>17</strong> (4 StR 244/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 459/20<strong>17</strong> = StraFo<br />

20<strong>17</strong>, 202 = NJW 20<strong>17</strong>, <strong>18</strong>91). Zu beachten ist danach bei der Anwendung des § 201a Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass<br />

der strafrechtliche Vorwurf nicht daran anknüpft, dass das Opfer hilflos ist. Entscheidend ist vielmehr,<br />

dass die Hilflosigkeit durch eine Bildaufnahme, also durch ein Foto oder durch ein Video, zur Schau<br />

gestellt wird. Die „Hilflosigkeit“ ist also nur Voraussetzung für das weitere Kriterium des „Zur-Schau-<br />

Stellens“. Darauf ist abzustellen und zu fragen, ob das inkriminierte Bild gerade die Hilflosigkeit des<br />

Tatopfers vorführt. Nicht ausreichend ist es, wenn auf dem Bild nur ein Vorgang gezeigt wird, bei dem<br />

die abgebildete Person hilflos gewesen sein kann, aber nicht muss, bei dem die abgebildete Person also<br />

ggf. auch freiwillig handelte. Das muss sich dann aber auch aus den (land-)gerichtlichen Feststellungen<br />

ergeben.<br />

Hinweis:<br />

Wegen der Einzelheiten des Bildes kann gem. § 267 Abs. 1 S. 3 StPO Bezug genommen werden. Es gelten<br />

dann die allgemeinen Regeln für eine ordnungsgemäße Bezugnahme (vgl. dazu zuletzt BGH StraFo 2016,<br />

155 = StV 2016, 778 = VRR 7/2016, 15).<br />

VII. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB)<br />

Zur Vorschrift des § 316a StGB haben wir länger vom BGH nichts gehört, nachdem es dazu vor einigen<br />

Jahren eine ganze Reihe von BGH-Entscheidungen gegeben hat. Nun hat der BGH im Urteil vom<br />

28.4.2016 (4 StR 563/15, NStZ 2016, 607 = StRR 9/2016, 14 = VRR 10/2016, 13) noch einmal zu der<br />

Vorschrift Stellung genommen. Nach den Feststellungen des LG fand ein mit einem Kabel geführter<br />

Angriff/Überfall des Angeklagten auf eine Taxifahrerin zu einem Zeitpunkt statt, als das Taxi noch rollte<br />

und die Taxifahrerin infolgedessen mit der Bedienung des Fahrzeugs befasst war. Das LG hat die<br />

Verurteilung auch wegen Verstoßes gegen § 316a StGB abgelehnt. Die Revision hatte beim BGH Erfolg.<br />

Der BGH (a.a.O.) führt (noch einmal) aus, dass es zur Ausfüllung des Tatbestandsmerkmals „Ausnutzung<br />

der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs“ erforderlich sei, dass der tatbestandsmäßige Angriff gegen<br />

das Tatopfer als Kraftfahrzeugführer unter Ausnutzung der spezifischen Bedingungen des Straßenverkehrs<br />

begangen werde. In objektiver Hinsicht sei dies der Fall, wenn der Führer eines Kraftfahrzeugs<br />

im Zeitpunkt des Angriffs in einer Weise mit der Beherrschung seines Kraftfahrzeugs und/oder mit der<br />

Bewältigung von Verkehrsvorgängen beschäftigt ist, dass er gerade deswegen leichter zum Angriffsobjekt<br />

eines Überfalls werden kann. Befinde sich das Fahrzeug beim Verüben des Angriffs in Bewegung,<br />

liege diese Voraussetzung regelmäßig vor, weil dem Führer eines sich fortbewegenden Kraftfahrzeugs<br />

die Gegenwehr gegen den Angriff infolge der Beanspruchung durch das Lenken des Fahrzeugs wegen<br />

der damit verbundenen Konzentration auf die Verkehrslage und die Fahrzeugbedienung erschwert ist.<br />

Subjektiv sei ausreichend, dass sich der Täter – entsprechend dem Ausnutzungsbewusstsein bei der<br />

Heimtücke nach § 211 Abs. 2 StGB – in tatsächlicher Hinsicht der die Abwehrmöglichkeiten des Tatopfers<br />

einschränkenden besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs bewusst sei. Nicht erforderlich sei<br />

hingegen, dass er eine solche Erleichterung seines Angriffs zur ursächlichen Bedingung seines Handelns<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>18</strong> 6.9.20<strong>17</strong> 981


Fach 22 R, Seite 1030<br />

Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

Strafrecht<br />

macht. Damit lägen – entgegen der Bedenken des LG – objektiv die Voraussetzungen für ein Ausnutzen<br />

der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs vor, ohne dass es darauf ankomme, dass sich die Tat<br />

an einem einsamen Ort ohne weiteres Verkehrsaufkommen ereignete. Für die subjektive Erfüllung des<br />

Tatbestandsmerkmals sei nicht erforderlich, dass der Täter sich durch die verkehrsspezifischen<br />

Umstände zielgerichtet einen Vorteil für sein Angriffsvorhaben verschaffen will. Es reiche vielmehr<br />

aus, dass er die sich aus den besonderen Verhältnissen des Straßenverkehrs ergebenden tatsächlichen<br />

Umstände in der Weise erkenne, dass er sich bewusst ist, ein hierdurch in seinen Abwehrmöglichkeiten<br />

beeinträchtigtes Tatopfer anzugreifen.<br />

Hinweis:<br />

Die Ausführungen des BGH entsprechen seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. u.a. BGHSt 50, 169; BGHSt<br />

52, 44 = StRR 2008, 272; StRR 2013, 29; NZV 2015, 453). Diese ist im Hinblick auf die hohe Strafdrohung des<br />

§ 316a StGB zu beachten.<br />

VIII. Verkehrsstrafrecht<br />

Aus dem Bereich der verkehrsstrafrechtlichen Fragestellungen ist auf folgende Entscheidungen<br />

hinzuweisen:<br />

1. Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB)<br />

a) Wartepflicht/Unfallort<br />

Das OLG Karlsruhe hat inzidenter zu den Voraussetzungen des § 142 StGB Stellung genommen, und<br />

zwar einmal zur Wartepflicht und dann auch zur Frage des Unfallortes (OLG Karlsruhe, Beschl. v.<br />

2.11.2016 – 2 Ws 325/16, VRS 131, 1 = VRR 3/20<strong>17</strong>, 14). Ereignet hatte sich der Verkehrsunfall mit einem<br />

Sachschaden von rund 7.500 € an zwei anderen Pkw nachts gegen 1:45 Uhr innerorts. Der Angeklagte<br />

hatte danach „höchstens fünf Minuten“ gewartet und war dann weiter gefahren. Nach etwas mehr als<br />

zwei Kilometern Entfernung von der Unfallstelle endete die Fahrt des Angeklagten auf einem Parkplatz,<br />

weil sein Pkw im Motorbereich zu brennen begonnen hatte. Das OLG (a.a.O.) verliert in seiner<br />

Entscheidung, die an sich eine andere Frage zum Gegenstand hatte, ausdrücklich kein Wort zu den<br />

Voraussetzungen des § 142 StGB. Daraus kann man nur schließen: Fünf Minuten Wartezeit sind bei dem<br />

Sachschaden auch nachts um 1:45 Uhr zu kurz, und zwei Kilometer Entfernung von der Unfallstelle sind<br />

kein „Unfallort“ mehr. Beides ist m.E. zutreffend (vgl. zu den Fragen „Wartezeit“ und „Unfallort“ die<br />

Zusammenstellungen der Rechtsprechung bei BURHOFF, in: LUDOVISY/EGGERT/BURHOFF, Praxis des Straßenverkehrsrechts,<br />

6. Aufl. 2015, § 4 Rn 443, 465 ff.).<br />

b) (Teil)Verzicht des Geschädigten auf Personalienfeststellung<br />

Die Frage, die sich dem OLG Hamburg vor kurzem in einem Verfahren wegen des Vorwurfs des<br />

unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142 StGB) stellte, war: Liegt eine Verkehrsunfallflucht vor,<br />

wenn der Geschädigte offenbar zumindest teilweise auf die Feststellung der Personalien des anderen<br />

Unfallbeteiligten verzichtet? Das OLG Hamburg hat die Frage verneint (vgl. Beschl. v. 30.5.20<strong>17</strong> – 2 Rev<br />

35/<strong>17</strong>). Nach dem Sachverhalt war es zu einem Zusammenstoß gekommen. Der Schaden am Pkw der<br />

Geschädigten betrug 1.400 €. Die Geschädigte kündigte nach dem Zusammenstoß an, mit ihrem Handy<br />

die Polizei zu rufen, tat das aber nicht, sondern fertigte Fotos der Fahrzeuge an. Danach forderte sie die<br />

Angeklagte mehrfach auf, ihre Personalien mitzuteilen, was diese jedoch nicht tat. Etwa 15 Minuten<br />

später ist die Angeklagte dann mit ihrem Pkw weggefahren.<br />

Das OLG Hamburg (a.a.O.) ist davon ausgegangen, dass der Tatbestand des § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB in<br />

Fällen wie diesem teleologisch zu reduzieren sei. Ein Unfallbeteiligter sei strafrechtlich – anders als nach<br />

§ 34 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. b StVO – nur zur Angabe, dass ein Unfall geschehen und er daran beteiligt ist,<br />

verpflichtet, nicht hingegen zur Angabe seiner Personalien. Er müsse, wenn er sich weigert, seine Daten<br />

anzugeben, zwar das Eintreffen der vom Unfallgegner herbeigerufenen Polizei abwarten, was aber dann<br />

nicht gelte, wenn der andere diese nicht rufen wolle. Dies sei der Fall gewesen, weshalb die Angeklagte<br />

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Strafrecht Fach 22 R, Seite 1031<br />

Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

sich nicht wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafbar gemacht habe (zu § 142 StGB s. auch<br />

BURHOFF, in: LUDOVISY/EGGERT/BURHOFF, a.a.O., § 4 Rn 383 ff.).<br />

2. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr/Straßenverkehrsgefährdung (§§ 315b, 315c StGB)<br />

a) Verurteilung nach § 315b StGB<br />

Die obergerichtliche Rechtsprechung bestätigt immer wieder: Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in<br />

den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 StGB liegt erst dann vor, wenn durch eine der in § 315b Abs. 1 Nr. 1<br />

bis 3 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs<br />

herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Gefahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von<br />

Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert verdichtet hat.<br />

Danach kann ein willkürliches Abbremsen bei hoher Geschwindigkeit, um den nachfolgenden<br />

Kraftfahrzeugführer zu einer scharfen Bremsung oder Vollbremsung zu zwingen, einen gefährlichen<br />

Eingriff in den Straßenverkehr durch Hindernisbereiten i.S.d. § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen (vgl. BGH<br />

NZV 2016, 533 = VA 20<strong>17</strong>, 15). Der gefährliche Eingriff kann im Übrigen auch von einem Mitfahrer<br />

begangen werden (vgl. noch BGH, Beschl. v. 15.3.20<strong>17</strong> – 4 StR 53/<strong>17</strong>, VRR 5/20<strong>17</strong>, 2 [Ls.] = VA 20<strong>17</strong>, 126 =<br />

NStZ-RR 20<strong>17</strong>, 224 [Ls.] und OLG Hamm, Beschl. v. 31.1.20<strong>17</strong> – 4 RVs 159/16, VRS 131, 138 = DAR 20<strong>17</strong>, 391 =<br />

VRR 4/20<strong>17</strong>, 14).<br />

Die obergerichtliche Rechtsprechung weist zudem immer wieder darauf hin (s. zuletzt BGH a.a.O. und<br />

OLG Hamm a.a.O.), dass die Tathandlung des § 315b StGB über die ihr innewohnende latente<br />

Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt haben muss, in der – was nach allgemeiner<br />

Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer<br />

bestimmten Person oder Sache im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur<br />

noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (vgl. nur BGH VRR 10, 70). Bei<br />

Vorgängen im fließenden Verkehr muss zu einem bewusst zweckwidrigen Einsatz eines Fahrzeugs in<br />

verkehrsfeindlicher Absicht ferner hinzukommen, dass das Fahrzeug mit zumindest bedingtem<br />

Schädigungsvorsatz missbraucht wurde (BGHSt 48, 233, 237 f.; NStZ 14, 86). Zudem müssen auch<br />

Feststellungen zum Wert der beteiligten Fahrzeuge getroffen werden (BGH NZV 2016, 533 = VA 20<strong>17</strong>, 15).<br />

b) Verurteilung nach § 315c StGB<br />

aa) Drogenfahrt<br />

Der BGH hat im Beschluss vom 31.1.20<strong>17</strong> (4 StR 597/16, NZV 20<strong>17</strong>, 278 = DAR 20<strong>17</strong>, 381 = VA 20<strong>17</strong>, 109) für<br />

eine Drogenfahrt (§ 315c Abs. 1 Nr. 1a StGB) noch einmal darauf hingewiesen, dass – anders als bei<br />

Alkohol – der Nachweis einer rauschmittelbedingten Fahrunsicherheit nicht allein durch einen<br />

bestimmten Blutwirkstoffbefund geführt werden kann. Es bedarf vielmehr daneben noch weiterer<br />

aussagekräftiger Beweisanzeichen. Auch das LG Gera hat sich noch einmal mit der Frage der sog.<br />

Ausfallerscheinungen bei einer Drogenfahrt (§§ 315c Abs. 1 Nr. 1a, 316 StGB) befasst und festgestellt: Es<br />

gibt keinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass nur unter Einwirkung von Cannabinoiden stehende<br />

Fahrzeugführer auffallend zügig unterwegs sind, auch wenn die Straße nicht sehr breit ist (vgl. LG Gera<br />

VA 2016, 154 = VRR 6/2016, 3 [Ls.]).<br />

bb) Falsches Fahren bei einem Überholvorgang<br />

Von falschem Fahren bei einem Überholvorgang (§ 315c Abs. 1 Nr. 2b StGB) ist auszugehen, wenn der<br />

Angeklagte bei seinem Überholen mit einer Geschwindigkeit fährt, die ihm ein Anhalten innerhalb der<br />

übersehbaren Strecke unmöglich macht (§ 3 Abs. 1 S. 4 StVO) und gegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 StVO<br />

(zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften) verstößt (BGH NZV 20<strong>17</strong>, 135<br />

= VRR 2/20<strong>17</strong>, 13 = VA 20<strong>17</strong>, 54).<br />

cc) Vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs<br />

Die vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs gem. § 315c Abs. 1 StGB verlangt – anders als in § 315c<br />

Abs. 3 Nr. 1 StGB – hinsichtlich aller Tatumstände zumindest bedingten Vorsatz. Der Tatrichter darf<br />

sich bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 315c StGB nicht auf Feststellungen<br />

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Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

Strafrecht<br />

beschränken, die nur die reine tatbestandsmäßige Schuldform betreffen. Vielmehr ist er wegen der<br />

Bedeutung für die Rechtsfolgen gehalten, Feststellungen auch zur Motivation der Tat, zu den konkreten<br />

Verkehrsverhältnissen bei Tatbegehung, insbesondere zu möglichen Gefährdungen anderer Straßenverkehrsteilnehmer,<br />

und zum Anlass der Tat zu treffen (OLG München VA 20<strong>17</strong>, 10).<br />

3. Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB)<br />

a) Begriff des Fahrzeugs<br />

Das OLG Hamburg hat bei einem Segway die Eigenschaft als Kraftfahrzeug i.S.d. § 316 StGB bejaht (OLG<br />

Hamburg VRS 131, 4 = NZV 20<strong>17</strong>, 193). Die maßgebliche Grenze zur absoluten Fahruntüchtigkeit liegt also<br />

wie bei Kraftfahrzeugen bei 1,1 ‰.<br />

b) Begriff des öffentlichen Verkehrsraums<br />

Zwei Entscheidungen haben sich in letzter Zeit mit dem Begriff des öffentlichen Verkehrsraums befasst:<br />

Nach Auffassung des OLG Hamm ergibt es sich nicht aus der Natur der Sache, dass ein zu einem Bordell<br />

gehörender Parkplatz zum öffentlichen Verkehrsraum gehört. Dies gilt insbesondere, wenn das Bordell<br />

in einer „versteckt liegenden Immobilie“ betrieben wird, nur über eine schmale Zufahrt befahrbar ist und<br />

das Bordell an der Straße nicht beworben wird (OLG Hamm StRR 12/2016, <strong>18</strong> = VRR 12/2016, 11). Das LG<br />

Arnsberg geht davon aus, dass der (hintere) Teil des Betriebsgeländes einer Firma, der allein dem<br />

Warenverkehr dient und auf den man nur nach Durchfahren einer (geöffneten) Schranke gelangt, nicht<br />

öffentlicher Verkehrsraum ist (LG Arnsberg zfs 20<strong>17</strong>, 111 = VRR 3/20<strong>17</strong>, 15).<br />

Hinweis:<br />

Hier können sich Verteidigungsansätze ergeben.<br />

4. Nötigung im Straßenverkehr (§ 240 StGB)<br />

Mit einem im Straßenverkehr sicherlich häufiger anzutreffenden Verkehrsgeschehen befasst sich der<br />

Beschluss des KG vom 20.12.2016 (VRS 131, 79 = VRR 5/20<strong>17</strong>, 14 = StRR 6/20<strong>17</strong>, <strong>18</strong>): Ein Verkehrsteilnehmer<br />

fühlt sich durch einen anderen Kraftfahrzeugführer behindert, weil der seiner Meinung nach<br />

zu langsam fährt. Er überholt ihn rechts und setzt sich knapp vor dessen Fahrzeug auf die linke Spur, so<br />

dass der andere stark abbremsen muss, jedoch (noch) keine Vollbremsung durchführt. Das AG war<br />

davon ausgegangen, dass das (schon) als Nötigung (§ 240 StGB) anzusehen ist. Das KG hat das<br />

amtsgerichtliche Urteil aufgehoben, da es ausreichende tatsächliche Feststellungen vermisst. Nicht<br />

jeder vorsätzliche Regelverstoß im Straßenverkehr, der ein Nötigungselement enthält, ist nämlich eine<br />

Nötigung i.S.d. § 240 StGB. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass strafbare Nötigung in der<br />

Gewaltalternative in Fällen zu bejahen sein kann, in denen der Täter sein Fahrzeug willkürlich scharf<br />

abbremst, um nachfolgende Kraftfahrer zu einer Vollbremsung zu zwingen (vgl. BGHSt 41, 231; BURHOFF,<br />

in: LUDOVISY/EGGERT/BURHOFF, a.a.O., § 4 Rn 593 ff. m.w.N.). Für eine Straftat der Nötigung muss es dem<br />

Täter gerade darum gehen, die beabsichtigte Fortbewegung des ihm nachfolgenden Kraftfahrers durch<br />

tatsächlich nicht überwindbare Hindernisse zu unterbinden. Das KG hat aber nicht freigesprochen,<br />

sondern wegen eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 4 S. 4 StVO verurteilt, da der Überholte beim Überholen<br />

behindert worden sei.<br />

5. Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG)<br />

a) Dauerstraftat<br />

Fahren ohne Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) ist eine Dauerstraftat. Für die Strafzumessung ist bei einer<br />

Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis ggf. von Bedeutung, ob eine oder mehrere Taten<br />

vorliegen. Eine in der Praxis häufigere Konstellation dieser Problematik behandelt das AG Dortmund in<br />

seinem Urteil vom 26.5.20<strong>17</strong> (729 Ds-266 Js 32/<strong>17</strong>-121/<strong>17</strong>; vgl. dazu auch BGH, Beschl. v. 12.8.2015 – 4 StR<br />

14/15, VA 2016, 14). Es ging um folgende Frage: Hat das Anhalten des Angeklagten bei einer Fahrt im<br />

Rahmen einer Geschwindigkeitsüberwachungsmaßnahme mit Personenkontrolle zur „Unterbrechung“<br />

des Fahrens ohne Fahrerlaubnis mit der Folge geführt, dass zwei Taten des § 21 StVG vorgelegen hätten.<br />

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Strafrecht Fach 22 R, Seite 1033<br />

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Im vorliegenden Falle hatte der Angeklagte, der nicht im Besitz einer Fahrerlaubnis war, nach der<br />

Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch die Polizei seine Fahrt – wie von Anfang an<br />

vorgehabt – fortgeführt, um seinen Sohn zur Arbeit zu bringen. Das AG ist von nur einer Fahrt/Tat<br />

ausgegangen. Es vergleicht die Situation mit anderen kurzen Fahrtunterbrechungen, wie dem Anhalten<br />

zum Tanken oder dem Anhalten zum Einkauf (weitere Nachweise bei BURHOFF, in: LUDOVISY/EGGERT/<br />

BURHOFF, a.a.O., § 4 Rn 87 ff.). Die Tatsituation ist insoweit auch anders zu werten als bei Dauerstraftaten<br />

tatsächlich beendenden polizeilichen Anhaltevorgängen, wie sie etwa im Rahmen einer polizeilichen<br />

Kontrolle stattfinden, in deren Rahmen eine Alkoholisierung oder ein Drogenkonsum des Fahrers<br />

festgestellt wird und bei der dem Fahrer eine Weiterfahrt untersagt wird (hierzu OLG Hamm VA 2008,<br />

<strong>17</strong>3). Eine Dauerstraftat wird also nicht durch ein Anhalten durch Polizeibeamte wegen eines einfachen<br />

Geschwindigkeitsverstoßes und durch die Personalienfeststellung unterbrochen, wenn die Polizei den<br />

Fahrzeugführer danach seine ursprünglich beabsichtigte Fahrstrecke weiterfahren lässt.<br />

Hinweis:<br />

Die vom AG entschiedene Frage ist kein § 21 StVG-spezifisches Problem, sondern eine Frage, die sich bei<br />

allen Dauerstraftaten stellt, also z.B. auch bei § 316 StGB. Sie hat ggf. Auswirkungen auf die Höhe des<br />

Strafmaßes.<br />

b) Erforderlicher Umfang der tatsächlichen Feststellungen<br />

Die Frage nach dem erforderlichen Umfang der tatsächlichen Feststellungen beim Fahren ohne<br />

Fahrerlaubnis (§ 21 StVG) war aufgrund von Vorlagen des OLG Nürnberg (vgl. OLG Nürnberg, Beschl. v.<br />

21.10.2016 – 1 OLG 8 Ss <strong>17</strong>3/16 und Beschl. v. 21.10.2015 – 1 OLG 2 Ss <strong>18</strong>2/15, VRS 129, 147; dazu auch BURHOFF<br />

<strong>ZAP</strong> F. 22 R, S. 979) schon länger beim BGH anhängig (zu der Problematik auch KG VA 2015, 155; s. auch<br />

OLG Koblenz NZV 2013, 411; strenger OLG Bamberg DAR 2013, 585; OLG München DAR 2008, 533; StraFo<br />

2008, 210). Dabei ging es um die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung bei nur knappen<br />

Feststellungen des AG (§ 3<strong>18</strong> StPO). Der BGH hat die Frage inzwischen dahingehend entschieden,<br />

dass im Fall einer Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis nach § 21 Abs. 1 Nr. 1<br />

StVG die Beschränkung einer Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch nicht deshalb unwirksam ist,<br />

weil sich die Feststellungen in dem angegriffenen Urteil darin erschöpfen, dass der Angeklagte an einem<br />

bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit auf einer öffentlichen Straße ein näher bezeichnetes<br />

Kraftfahrzeug geführt hat, ohne die erforderliche Fahrerlaubnis zu besitzen, und er insoweit wissentlich<br />

gehandelt hat (BGH, Beschl. v. 27.4.20<strong>17</strong> – 4 StR 547/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 489/20<strong>17</strong> = StraFo 20<strong>17</strong>, 280 = VRR<br />

8/20<strong>17</strong>, 12; s. auch schon OLG Karlsruhe, Beschl. v. 14.7.20<strong>17</strong> – 2 Rv 8 Ss 420/<strong>17</strong>). Die Antwort führt im<br />

Hinblick auf die Wirksamkeit einer Berufungsbeschränkung dazu, dass die AG grundsätzlich bei den<br />

knappen Feststellungen, die beim Fahren ohne Fahrerlaubnis üblich sind, bleiben können.<br />

Hinweis:<br />

Entscheidend ist, ob diese Feststellungen zum Schuldspruch nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG eine hinreichend<br />

tragfähige Grundlage für eine eigenständige Rechtsfolgenentscheidung des LG als Berufungsgericht<br />

bilden. Das bedeutet, dass die LG – mit Blick auf eine potentielle Revision – prüfen müssen, ob für die<br />

nähere Bestimmung des Schuldumfangs und den Rechtsfolgenausspruch ergänzende Feststellungen zu<br />

einzelnen Tatumständen erforderlich sind und nachgeholt werden müssen. Dabei müssen sie die<br />

Bindungswirkung der bereits getroffenen Feststellungen im Blick haben und bei ergänzenden Erhebungen<br />

das Widerspruchsverbot beachten.<br />

6. Entziehung der Fahrerlaubnis/Fahrverbot (§§ 69, 69a, 44 StGB)<br />

a) Widerlegung der Regelvermutung des § 69 StGB<br />

Wenn der Angeklagte die Zeit bis zur Hauptverhandlung genutzt hat, um eine mehrmonatige<br />

Verkehrstherapie mit 12 Einzelgesprächen von je 60 Minuten sowie sechs Alkoholseminaren zu je 90<br />

Minuten Dauer bei einem Verkehrspsychologen und Suchtberater pp. durchzuführen, kann von der<br />

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Rechtsprechungsübersicht 2016/20<strong>17</strong><br />

Strafrecht<br />

Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB) abgesehen werden (AG Tiergarten VA 20<strong>17</strong>, 125; ähnlich AG<br />

Tiergarten VA 2015, 155). Die Regelvermutung der charakterlichen Ungeeignetheit kann auch<br />

entfallen, wenn der Angeklagte während der Zeit der rund neunmonatigen vorläufigen Entziehung<br />

der Fahrerlaubnis beruflich und persönlich eine positive Entwicklung durchlaufen hat, insbesondere<br />

sein Verhalten in Bezug auf den Konsum von Alkohol verändert hat, und er sich, um seine eigenen<br />

Einsichten und Verhaltensänderungen weiter zu stabilisieren, bereits um einen MPU-Vorbereitungskurs<br />

bemüht (AG Tiergarten a.a.O.). Der Tatrichter hat i.d.R. keine eigene Sachkunde in der Frage, ob<br />

die Teilnahme des Angeklagten an einem Nachschulungskurs oder an einer psychotherapeutischen<br />

Behandlung erfolgreich war und den gesetzlich vermuteten Eignungsmangel (§ 69 Abs. 2 StGB)<br />

ausräumen kann, wenn ein langer Zeitablauf zwischen Tat und Urteil gegeben ist und der Angeklagte<br />

<strong>18</strong>0 Therapiestunden abgeleistet hat (OLG Karlsruhe VRS 131, 1 = VRR 3/20<strong>17</strong>, 14).<br />

b) Sperrfrist (§ 69a StGB)<br />

Sowohl das Unterbleiben einer Entschuldigung als auch das Fehlen eines zum Ausdruck gebrachten<br />

Bedauerns lassen ohne weitere Umstände keinen Schluss auf eine rechtsfeindliche, durch besondere<br />

Rücksichtslosigkeit oder Gleichgültigkeit gegenüber Interessen und Rechtsgütern anderer geprägte<br />

Gesinnung oder Gefährlichkeit des Angeklagten zu. Diese Umstände dürfen daher – ebenso wie bei der<br />

Strafzumessung – bei der eignungsbezogenen Prognoseentscheidung im Rahmen der Sperrfristbemessung<br />

des § 69a StGB keine Berücksichtigung zum Nachteil des Angeklagten finden (BGH zfs<br />

20<strong>17</strong>, 49 = VA 2016, 190).<br />

c) Fahrverbot (§ 44 StGB)<br />

Es ist nach wie vor h.M. in der obergerichtlichen Rechtsprechung, dass ein nach § 44 StGB verhängtes<br />

Fahrverbot nach einem längeren Zeitablauf von i.d.R. zwei Jahren seinen spezialpräventiven Zweck<br />

und damit seine eigentliche Bedeutung verliert, so dass nur noch der Pönalisierungscharakter als<br />

Sanktionsinhalt übrig bleibt. Es bedarf dann besonderer Umstände für die Annahme, dass zu einer<br />

nach wie vor erforderlichen erzieherischen Einwirkung auf den Täter die Verhängung eines<br />

Fahrverbots neben der Hauptstrafe unbedingt erforderlich ist (vgl. zuletzt u.a. OLG Hamm VRR<br />

1/20<strong>17</strong>, 16 = VA 20<strong>17</strong>, 47 m.w.N.; LG Düsseldorf, Urt. v. 28.3.20<strong>17</strong> – 21 Ns <strong>17</strong>9/16). Bei der Frage, ob wegen<br />

Zeitablaufs von der Verhängung eines Fahrverbots gem. § 44 StGB abzusehen ist, ist die zwischen der<br />

angefochtenen Entscheidung und der Entscheidung des Revisionsgerichts verstrichene Zeit nicht zu<br />

berücksichtigen (OLG Stuttgart NZV 2016, 292 = VRR 7/2016, 14 = VA 2016, 119). Auf das nach § 44<br />

StGB angeordnete Fahrverbot ist die Schonfristvorschrift des § 25 Abs. 2a StVG nicht entsprechend<br />

anwendbar (KG VRR 1/20<strong>17</strong>, 3 [Ls.] = VA 20<strong>17</strong>, 52).<br />

7. Unterbringung (§ 64 StGB)<br />

Bei der Trunkenheitsfahrt mit einem Roller (OLG Hamm zfs 2016, 709 = VRR 1/20<strong>17</strong>, 14; ähnlich OLG<br />

Hamm VRR 1/20<strong>17</strong>, 16 = VA 20<strong>17</strong>, 47 m.w.N.) bzw. mit einem Mofa (OLG Celle VRS 127, 229 = StRR 2015,<br />

69 = VA 2015, 15) handelt es sich um eine erhebliche Straftat i.S.d. § 64 StGB. Die Rechtsprechung der<br />

OLG geht zudem davon aus, dass eine Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) und eine Straßenverkehrsgefährdung<br />

(§ 315c StGB) erhebliche Taten i.S.v. § 64 S. 1 StGB seien und damit eine Unterbringung nach § 64<br />

StGB rechtfertigen können (s. OLG Celle a.a.O.; OLG Hamm a.a.O.).<br />

Hinweis:<br />

In diesem Zusammenhang muss der Verteidiger darauf achten, bei einer Revision die Frage der Unterbringung<br />

ggf. vom Rechtsmittelangriff auszunehmen. Denn sonst kann das Revisionsgericht auf die<br />

Sachrüge hin die ggf. unterlassene Anordnung der Unterbringung überprüfen (vgl. dazu FISCHER, a.a.O., § 64<br />

Rn 28 m.w.N.). Der etwaigen Anordnung einer Unterbringung nach § 64 StGB stünde nach § 358 Abs. 2 S. 3<br />

StPO das Verschlechterungsverbot des § 358 Abs. 2 S. 1 StPO nicht entgegen (KK-KUCKEIN, StPO, 7. Aufl.,<br />

§ 358 Rn 23). Das wird leider häufig mit der dann für den Mandanten nachteiligen Folge der Unterbringung<br />

übersehen.<br />

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