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ZAP-2019-21

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<strong>ZAP</strong><br />

Zeitschrift für die Anwaltspraxis<br />

<strong>21</strong> <strong>2019</strong><br />

7. November<br />

31. Jahrgang<br />

ISSN 0936-7292<br />

Herausgeber: Rechtsanwalt und Notar Dr. Ulrich Wessels, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer • Rechtsanwalt beim<br />

BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln • Prof. Dr. Martin Henssler, Institut für<br />

Anwaltsrecht, Universität zu Köln • Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann, Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins •<br />

Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg • Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen • Rechtsanwalt<br />

Dr. Hubert W. van Bühren, Köln Begründet von: Rechtsanwalt Dr. Egon Schneider<br />

} Mit dem <strong>ZAP</strong> Buchreport<br />

AUS DEM INHALT<br />

Kolumne<br />

Das LG Köln und die 5 %‐Hürde (S. 1091)<br />

Anwaltsmagazin<br />

Weitere Entbürokratisierung geplant (S. 1094) • Nichtzulassungsbeschwerde in Zivilsachen (S. 1096) •<br />

Richterliche und anwaltliche Meinungsfreiheit gestärkt (S. 1097)<br />

Aufsätze<br />

Deutscher, Rechtsprechungsübersicht zum Straßenverkehrsrecht (S. 1117)<br />

Vyvers, Logistikrecht und Allgemeine Deutsche Speditionsbedingungen (S. 1131)<br />

Dahmen, Datenschutz: DSGVO auf Kommunalebene (S. 1139)<br />

Eilnachrichten<br />

BGH: Nicht bestellte Dienstleistungen (S. 1113)<br />

BAG: Eingruppierung eines Arbeitnehmers (S. 1114)<br />

EuGH: Cookies: Aktive Einwilligung des Nutzers (S. 1116)<br />

In Zusammenarbeit mit der<br />

Bundesrechtsanwaltskammer


Inhaltsverzeichnis Fach Fach/Seite Heft/Seite<br />

Kolumne – – 1091<br />

Anwaltsmagazin – – 1092–1098<br />

Buchreport – – 1099–1108<br />

Eilnachrichten 1 159–166 1109–1116<br />

Deutscher, Rechtsprechungsübersicht zum Straßenverkehrsrecht<br />

– 1. Halbjahr <strong>2019</strong> 9 R 529–542 1117–1130<br />

Vyvers, Logistikrecht und Allgemeine Deutsche Speditionsbedingungen<br />

in der anwaltlichen Praxis 15 629–636 1131–1138<br />

Dahmen, Datenschutz: DSGVO auf Kommunalebene 19 937–952 1139–1154<br />

Nutzen Sie die <strong>ZAP</strong> auch digital: mit der <strong>ZAP</strong> App für PC, Smartphone und Tablet. Sie finden<br />

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Redaktionsbeirat<br />

Ass. jur. Dr. Helene Bubrowski, Frankfurt/M. (F 25) • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg (F 9, <strong>21</strong>, 22, 22R) • Prof. Dr.<br />

Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. (F 2) • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. (F 6) • RA Dr. Lutz Förster, Brühl (F 12) • RA Dr.<br />

Andreas Geipel, München (F 13) • RA Dr. Peter Haas, Bochum (F 20) • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin (F 24) • RAin Dr.<br />

Annegret L. Harz, München (F 4, 4R, 7) • RA Prof. Dr. Bernd Hirtz, Köln (F 15) • RA Martin W. Huff, Köln (F 23) • RAuN Daniel Krause,<br />

Braunschweig (F 5) • RAin Dr. Kirstin Maaß, Köln (F 17, 17R) • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga (F 19, 19R) • RA Dr. Ulrich Sartorius,<br />

Breisach a.R. (F 18) • RA Volker Simmer (F 3) • RiAG a.D. Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt (F 14) • RA Dr. Hubert W. van Bühren,<br />

Köln (F 10) • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen (F 11, 11R) • RA Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid (F 16) • RA<br />

beim BGH Dr. Christian Zwade, Karlsruhe (F 8).<br />

Ständige Mitarbeiter<br />

Prof. Dr. Wilfried Alt, Frankfurt/M. • VorsRiVG a.D. Prof. Dr. Bernd Andrick, Gelsenkirchen • RiAG Prof. Dr. Ulf Börstinghaus,<br />

Gelsenkirchen • RiSG Thomas Bubeck, Freiburg • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg • VorsRiOLG Dr. Christoph Eggert,<br />

Düsseldorf • Prof. Dr. Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. • VorsRiLG a.D. Uwe Gottwald,<br />

Vallendar • RA Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln • RA Dr. Peter Haas, Bochum • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin • RA<br />

Dr. Wolfgang Hartung, Mönchengladbach • Prof. Dr. Martin Henssler, Köln • RA, Justitiar Haus u. Grund Dr. Hans Reinold Horst,<br />

Hannover/Solingen • RiAG Ralph Kossmann, Wuppertal • Notar Dr. Hans-Frieder Krauß, Hof • RAuN Dr. Wilhelm Krekeler, Dortmund<br />

• RA Günter Lange, Haltern • RA Dr. Jörg Lauer, Mannheim • PräsSG a.D. RA Dr. Klaus Louven, Geldern • RA Dietmar Mampel, Bonn •<br />

RA Prof. Dr. Volkmar Mehle, Bonn • RA Prof. Dr. Ralf Neuhaus, Dortmund • RA Kai-Jochen Neuhaus, Dortmund • RA Dr. Mark Niehuus,<br />

Mühlheim a.d.R. • RA Prof. Dr. Hermann Plagemann, Frankfurt/M. • RiOLG a.D. Heinrich Reinecke, Lehrte • RA beim BGH Prof. Dr.<br />

Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • RA Dr. Kurt Reinking, Köln • RA Prof. Dr. Franz Salditt, Neuwied • RA Dr. Ulrich Sartorius, Breisach a.R. •<br />

PräsLG a.D. Kurt Schellhammer, Konstanz • RA Norbert Schneider, Neunkirchen • RiAG a.D. Kurt Stollenwerk, Bergisch Gladbach •<br />

RiAG a.D. Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Köln • RiAG Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt • RA Dr. Hubert W. van Bühren, Köln.<br />

Impressum<br />

Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte. Die Annahme zur Veröffentlichung erfolgt<br />

schriftlich. Mit der Annahme überträgt der Autor dem Verlag das ausschließliche Verlagsrecht. Eingeschlossen sind insb. die<br />

Befugnis zur Einspeicherung in eine Datenbank sowie das Recht der weiteren Vervielfältigung. Haftungsausschluss: Verlag und<br />

Autor/en übernehmen keinerlei Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der abgedruckten Inhalte. Insb. stellen<br />

(Formulierungs-)Hinweise, Muster und Anmerkungen lediglich Arbeitshilfen und Anregungen für die Lösung typischer Fallgestaltungen<br />

dar. Die Verantwortung für die Verwendung trägt der Leser. Urheber- und Verlagsrechte: Alle Rechte zur<br />

Vervielfältigung und Verbreitung sind dem Verlag vorbehalten. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />

Einrichtungen. Anzeigenverwaltung: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, E-Mail: anzeigen@zap-verlag.de.<br />

Erscheinungsweise: zweimal im Monat. Bezugspreis: Jährlich 245,- € zzgl. MwSt. und Versandkosten. Der Abonnementsvertrag<br />

ist auf unbestimmte Zeit geschlossen; Preisänderungen bleiben vorbehalten. Abbestellungen müssen sechs Wochen zum<br />

Jahresende erfolgen. Verlag: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, Telefon: 0228/91911-62, Telefax: 0228/91911-66, E-Mail:<br />

service@zap-verlag.de. Redaktion: RAin Astrid von Schweinitz (V.i.S.d.P.) – verantwortliche Redakteurin; Peggy von Schoenebeck –<br />

Redaktionsassistentin, E-Mail: redaktion@zap-verlag.de.<br />

Druck: Hans Soldan Druck GmbH, Essen. ISSN 0936-7292


<strong>ZAP</strong><br />

Kolumne<br />

Kolumne<br />

Das LG Köln und die 5 %-Hürde<br />

In seiner Entscheidung vom 18.10.2016 (11 S 302/15,<br />

AnwBl 2017, 560 = AGS 2017, 164 = RVGreport<br />

2017, <strong>21</strong>4) hatte sich das LG Köln mit der Wirksamkeit<br />

verschiedener Klauseln in einer anwaltlichen<br />

Vergütungsvereinbarung zu befassen (vgl.<br />

zur 15-Minuten-Zeittaktklausel u.a. des LG Köln<br />

auch N. SCHNEIDER, Kolumne in <strong>ZAP</strong> 18/<strong>2019</strong>, S. 939).<br />

Anlass war eine Unterlassungsklage der Rechtsanwaltskammer<br />

Köln gegen eine dort ansässige<br />

Anwaltskanzlei. Die Entscheidung des LG wird<br />

i.d.R. nur im Zusammenhang mit der von ihm für<br />

unzulässig erklärten 15-Minuten-Zeittaktklausel<br />

zitiert. Dabei hatte das LG Köln auch zahlreiche<br />

weitere Klauseln geprüft und teilweise für unwirksam<br />

erklärt. In diesem Zusammenhang hat es<br />

eine Klausel beanstandet, in der pauschalierte<br />

Auslagen vereinbart worden waren. Neben einer<br />

Zeitvergütung i.H.v. 230 € je Stunde war vereinbart,<br />

dass der Mandant zusätzlich pauschalierte<br />

Auslagen i.H.v. 5 % der berechneten Gebühren für<br />

die anwaltliche Beratung und Vertretung, mindestens<br />

aber 50 €, zu zahlen habe. Das LG Köln<br />

hat diese Klausel für unwirksam erklärt (Rn 81 der<br />

Urteilsgründe), da sie gegen das gesetzliche Leitbild<br />

des RVG in Nr. 7002 VV verstoße. Nr. 7002 VV<br />

enthalte einen wesentlichen Grundgedanken des<br />

RVG. Die von der beklagten Kanzlei verwendete<br />

Klausel, die eine höhenmäßig nicht gedeckelte<br />

Mindestpauschale vorsehe, sei daher gem. § 307<br />

Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.<br />

Auf den ersten Blick erscheint die Entscheidung<br />

durchaus nachvollziehbar, da die Höhe der Pauschale<br />

letztlich offenbleibt und keine Begrenzung<br />

vorsieht. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch,<br />

dass das LG Köln hier kräftig danebengelegen hat.<br />

Zum einen darf man bereits in Zweifel ziehen, ob<br />

die Begrenzung von Auslagenpauschalen dem<br />

gesetzlichen Leitbild des RVG entspricht und einen<br />

wesentlichen Grundgedanken der Anwaltsvergütung<br />

verkörpert. Betrachtet man die Nr. 7001 VV,<br />

so stellt man fest, dass bei konkreter Abrechnung<br />

keine Grenze vorgesehen ist. Warum dies bei einer<br />

Pauschale anders sein muss, ist ohne Weiteres<br />

nicht nachvollziehbar.<br />

Dass das LG Köln hier letztlich einem Trugschluss<br />

erlegen ist, zeigt sich an folgender Überlegung:<br />

Berechnet man die 5 % vom Honorar, so ergibt<br />

sich für jede Stunde ein Betrag i.H.v. 11,50 €, die<br />

pauschal als Auslagen erhoben werden. Addiert<br />

man die Zeitvergütung von 230 € mit dem<br />

pauschalen Auslagenbetrag von 11,50 €, so ergibt<br />

dies einen Stundenlohn i.H.v. 241,50 € (inkl. aller<br />

Auslagen). Nun ist es aber einhellige Rechtsprechung,<br />

dass Stundensätze von 250 € nicht zu<br />

beanstanden sind (OLG Düsseldorf AGS <strong>2019</strong>,<br />

261 = AnwBl <strong>2019</strong>, 492 = RVGreport <strong>2019</strong>, 330;<br />

OLG Koblenz AGS 2010, 282 = RVGreport 2010,<br />

252 = AnwBl 2010, 724). Wenn aber schon ein<br />

Stundensatz von 250 € zuzüglich Auslagen nicht<br />

zu beanstanden ist, dann kann ein Stundenlohn<br />

von 241,50 € inklusive aller Auslagen wohl kaum<br />

zu beanstanden sein.<br />

Zum anderen fragt man sich aber auch, warum ein<br />

Anwalt bei Vereinbarung eines Stundensatzes einen<br />

zusätzlichen pauschalen Auslagenersatz vereinbart.<br />

Es wäre doch hier viel einfacher und eindeutiger<br />

gewesen, einen Stundensatz einschließlich aller Auslagen<br />

zu berechnen. Dies wäre sowohl für Anwalt<br />

als auch Mandant einfacher zu handhaben gewesen<br />

und hätte erst gar nicht zu einer Beanstandung<br />

durch die Rechtsanwaltskammer geführt.<br />

Man kann sich auch selbst das Leben schwer<br />

machen.<br />

Rechtsanwalt NORBERT SCHNEIDER, Neunkirchen<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1091


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Scharfe Kritik an Novelle zum<br />

Strafverfahrensrecht<br />

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat in seiner<br />

offiziellen Stellungnahme zum – inzwischen auch<br />

vom Bundeskabinett beschlossenen – Gesetzentwurf<br />

zur Modernisierung des Strafverfahrens (vgl.<br />

dazu zuletzt <strong>ZAP</strong>-Anwaltsmagazin 18/<strong>2019</strong>, S. 940)<br />

kaum ein gutes Haar an dem Vorhaben gelassen.<br />

Erst vor gerade einmal zwei Jahren sei, so der<br />

Verein, das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren<br />

Ausgestaltung des Strafverfahrens in<br />

Kraft getreten. Statt erst einmal zu untersuchen,<br />

ob dieses Gesetz seinen Zweck erfülle, werde jetzt<br />

stattdessen erneut versucht, die Beschuldigtenund<br />

Verteidigerrechte weiter zu verkürzen.<br />

Der jetzt vorliegende Entwurf zeuge von einem<br />

„reaktionären Prozessverständnis“. Die noch offenen<br />

Empfehlungen der Expertenkommission (z.B. zur<br />

überfälligen Schaffung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage<br />

für den Einsatz von V-Personen)<br />

ignoriere er und greife stattdessen Ideen des<br />

2. Strafkammertags auf, die einseitig auf eine Beschneidung<br />

von Verteidigungsrechten ausgerichtet<br />

seien und nicht die Balance der Kräfte im<br />

Strafverfahren im Auge hätten. Folgende vorgesehenen<br />

Regelungen lehnt der DAV kategorisch ab<br />

oder verlangt zumindest Änderungen:<br />

• Die geplanten Eingriffe in das Befangenheitsrecht<br />

und das Beweisantragsrecht hätten<br />

keinen Mehrwert für die Praxis und schafften<br />

eher zusätzlichen Konfliktstoff für die Hauptverhandlung.<br />

• Die Einführung eines isolierten Beschwerdeverfahrens<br />

im (praktisch bedeutungslosen)<br />

Recht der Besetzungsrüge sei im Grundsatz<br />

akzeptabel, bedürfe aber einiger Änderungen<br />

im Verfahrensablauf.<br />

• Die geplante Ausweitung der Unterbrechungsdauer<br />

durch neue Hemmungsfristen und neue<br />

Hemmungstatbestände greife unverhältnismäßig<br />

in die Konzentrationsmaxime ein und sei abzulehnen.<br />

• Eine Erweiterung der DNA-Analysemethoden<br />

komme nur für die Altersbestimmung in Betracht,<br />

nicht aber für sonstige Merkmale wie<br />

Haut-, Haar- und Augenfarbe.<br />

• Für eine Ausweitung von Bild-Ton-Aufzeichnungen<br />

von Zeugenvernehmungen im Ermittlungsverfahren<br />

und deren Transfer in die<br />

Hauptverhandlung bestehe kein Anlass.<br />

• Unverhältnismäßig sei die Aufnahme des Wohnungseinbruchsdiebstahls<br />

in den Katalog des<br />

§ 100a Abs. 2 StPO.<br />

• Das Verbot der Gesichtsverhüllung sei überflüssig.<br />

• Der vorgesehenen Bündelung der Nebenklage<br />

könne nur zugestimmt werden, wenn sie auf<br />

Ausnahmefälle beschränkt werde und wenn<br />

möglichen Interessenkonflikten hinreichend<br />

Rechnung getragen werde.<br />

Alles in allem, so der DAV, gehe es bei der geplanten<br />

Neuregelung nicht um „Modernisierung“,<br />

wie der Titel suggeriere. Der Verein fordert<br />

deshalb den Gesetzgeber zu einer wirklichen<br />

Modernisierung des Strafverfahrens auf, die<br />

diesen Namen verdiene, die das Strafverfahren<br />

von seinen – in der Rolle des Vorsitzenden<br />

kulminierenden – „autoritären Strukturen befreie“<br />

und mehr Kommunikation und Transparenz<br />

zwischen den Verfahrensbeteiligten ermögliche.<br />

Auch solle er sich auf empirischer Basis auf<br />

verlässliche Rechtstatsachen stützen und sich<br />

nicht von einem „gefühlten Klima der Prozesssabotage“<br />

leiten lassen.<br />

[Quelle: DAV]<br />

1092 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

EU sieht Defizite bei<br />

Beschuldigtenrechten<br />

Beschuldigte in Strafverfahren werden oft nicht<br />

ausreichend über ihre Rechte informiert und<br />

haben nicht immer angemessenen Zugang zum<br />

Recht. Dies ergibt sich aus einem aktuellen Bericht<br />

der European Union Agency for Fundamental<br />

Rights (FRA). Sie hatte im Auftrag der EU-<br />

Kommission u.a. untersucht, wie die Mitgliedsstaaten<br />

die entsprechende EU-Richtlinie über das<br />

Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand umgesetzt<br />

haben.<br />

Dazu hat die Agentur mehr als 250 Beschuldigte<br />

und Angehörige der Rechtsberufe in acht<br />

Mitgliedsstaaten befragt. Nach der EU-Richtlinie<br />

2013/48/EU ist eine einheitliche Art der Belehrung<br />

in mündlicher und schriftlicher Weise, die Mitteilung<br />

der erhobenen Anschuldigungen, die unmittelbare<br />

Gewährung eines Rechtsbeistandes und<br />

die Behandlung als Verdächtiger und nicht als<br />

Zeuge oder mittels informeller Befragung erforderlich.<br />

Im Zusammenhang mit dem Europäischen<br />

Haftbefehl sollten die Mitgliedsstaaten auch Übersetzungs-<br />

und Dolmetscherdienste zur Verfügung<br />

stellen, damit die Beschuldigten die Konsequenzen<br />

und Bedeutung nachvollziehen können.<br />

Ergebnis der Untersuchung war, dass Beschuldigte<br />

häufig Probleme haben, in einigen Ländern<br />

eine rechtliche Vertretung zu erhalten. Auch<br />

brachte die Befragung ans Licht, dass die Strafverfolgungsorgane<br />

in vielfacher Weise die Beschuldigtenrechte<br />

regelrecht „unterlaufen“. So<br />

wird berichtet, dass Polizeibeamte Beschuldigte<br />

zunächst als Zeugen befragen, um die entsprechenden<br />

vorgeschriebenen Belehrungen zu vermeiden.<br />

Andere benutzen eine derart verrechtlichte<br />

und damit für viele schwer verständliche<br />

Ausdrucksweise bei der Belehrung, dass diese<br />

Information für die Betreffenden wenig hilfreich<br />

ist. Selbst Beschuldigten, die es schaffen, an einen<br />

Anwalt zu gelangen, werden zahlreiche Hindernisse<br />

in den Weg gelegt.<br />

Der vollständige 74-seitige Bericht der Agentur<br />

(derzeit leider nur in englischer Fassung verfügbar)<br />

kann auf deren Internetseite unter https://fra.euro<br />

pa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-<strong>2019</strong>-rights-inpractice-access-to-a-lawyer-and-procedural-rightsin-criminal-and-european-arrest-warrant-proceedings.<br />

pdf als PDF abgerufen werden. [Quelle: FRA]<br />

Kritik an sozialen Kompetenzen<br />

von Anwälten<br />

Viele Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind<br />

schlechte Chefs. Ihnen mangelt es vor allem an<br />

sozialen Kompetenzen beim Umgang mit ihren<br />

Mitarbeitern. Das war das Ergebnis des Expertenforums<br />

„Die Zukunft eines Berufs“, das der<br />

Deutsche Anwaltverein (DAV) Mitte September<br />

in Berlin veranstaltet hat.<br />

Vor dem Hintergrund, dass die Zahl der Rechtsanwalts-<br />

und Notarfachangestellten (ReNos) und<br />

der Rechtsanwaltsfachangestellten (ReFas) ist in<br />

den letzten 40 Jahren drastisch gesunken ist und<br />

mittlerweile nur noch 5 % der Kanzleien berichten,<br />

dass sie keine Probleme bei der Rekrutierung<br />

neuer Mitarbeiter haben, wurde insbesondere die<br />

Frage erörtert, was Anwältinnen und Anwälte<br />

tun können, um ReNos und ReFas zu halten oder<br />

neu für ihre Kanzlei zu gewinnen. Hingewiesen<br />

wurde darauf, dass im Jahr 1980 noch 10.000<br />

Ausbildungsverträge (bei einer Zahl von 36.000<br />

zugelassenen Rechtsanwälten) mit angehenden<br />

ReNos und ReFas abgeschlossen wurden, 2017<br />

waren es hingegen bei mehr als 160.000 zugelassenen<br />

Anwälten nur noch knapp 3.300 Verträge.<br />

Ein Teil dieser Entwicklung geht natürlich<br />

auf das Konto der EDV, die zwischenzeitlich flächendeckend<br />

in die Büros eingezogen ist. Auch<br />

erfüllen heute insbesondere in großen Kanzleien<br />

nicht selten Wirtschaftsjuristen mit Bachelor-<br />

Abschluss die Arbeit von ReNos, zudem sind<br />

Legal-Tech-Anwendungen auf dem Vormarsch.<br />

Aber gerade kleine und mittlere Kanzleien werden<br />

trotz dieser Entwicklungen auf absehbare<br />

Zeit nicht ohne ReNos oder ReFas auskommen<br />

können.<br />

Wenn es so weitergehe, war die Prognose, sterben<br />

diese Berufe in etwa zehn Jahren aus. Die Gründe<br />

seien nicht allein struktureller Natur. Starke Kritik<br />

wurde insbesondere an den Anwältinnen und Anwälten<br />

geübt. Beklagt wurde vor allem die mangelnde<br />

Wertschätzung der nichtjuristischen Mitarbeiter.<br />

Auffällig war hier die Diskrepanz in der<br />

Blickrichtung: Während die Anwälte sich meist für<br />

gute Führungskräfte halten, sehen die Angestellten<br />

dies oft ganz anders. Rechtsanwälte benötigen<br />

als Ausbilder keinen Ausbildungsschein und haben<br />

deshalb offenbar Defizite, die Mitarbeiter adäquat<br />

zu führen und auf ihre Bedürfnisse einzugehen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1093


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Dabei ist neben dem Gehalt vor allem die Wertschätzung<br />

der eigenen Arbeit derjenige Aspekt, auf<br />

den die nichtjuristischen Mitarbeiter den größten<br />

Wert legen.<br />

Geraten wurde auf dem Forum deshalb, mehr<br />

Augenmerk auf den persönlichen Umgang mit<br />

dem Personal zu legen. Interesse für die persönliche<br />

Situation, konstruktives Feedback und<br />

„die Bürotür auch mal auflassen“, waren konkrete<br />

Ratschläge. Zur Mitarbeiterzufriedenheit beitragen<br />

könnten auch zusätzliche Urlaubstage, flexible<br />

Arbeitszeiten und das Angebot von Homeoffice.<br />

Nicht nur die Anwälte, sondern auch die<br />

Mitarbeiter, so das Fazit, verbringen die meiste<br />

Zeit des Tages in der Kanzlei – und wollen sich<br />

dort auch wohlfühlen.<br />

[Quelle: DAV]<br />

Juristinnen kritisieren Entgelttransparenzgesetz<br />

In einer Stellungnahme von Anfang August hat der<br />

Deutsche Juristinnenbund (djb) seine langjährige<br />

Kritik am Entgelttransparenzgesetz bekräftigt. Anlass<br />

war eine kürzlich vorgelegte Evaluation des<br />

Gesetzes. Nach Auffassung der Juristinnen bestätigt<br />

diese die Kritiker der Neuregelung.<br />

„Das Entgelttransparenzgesetz bewirkt keinen nennenswerten<br />

Beitrag zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit<br />

zwischen Frauen und Männern. Die Inanspruchnahme<br />

des Auskunftsanspruchs bleibt sogar<br />

noch hinter den bescheidenen Erwartungen des Gesetzentwurfs<br />

zurück“, so die Präsidentin des djb,<br />

Prof. Dr. MARIA WERSIG.<br />

Tatsächlich rechnete der Gesetzentwurf seinerzeit<br />

mit 70.275 Auskunftsverlangen im Jahr (dies wären<br />

1 % aller auskunftsberechtigten Beschäftigten). Die<br />

jetzt nach zwei Jahren erstmals vorgelegte Evaluation<br />

weist in ihrer Hochrechnung allerdings nur<br />

10.400 Auskunftsanfragen aus (dies entspricht<br />

0,15 % aller auskunftsberechtigten Beschäftigten).<br />

Die geringe Inanspruchnahme verwundert nach<br />

Auffassung des djb nicht, da das Verfahren kompliziert<br />

und die erreichbaren Informationen wenig<br />

aussagekräftig seien.<br />

Und auch strukturelle Verbesserungen habe das<br />

Gesetz in den meisten Unternehmen nicht vorangebracht:<br />

Obwohl knapp 45 % der befragten<br />

Unternehmen angegeben hätten, ihre Entgeltstrukturen<br />

überprüft zu haben, sei nach den Ergebnissen<br />

der Evaluation unklar, nach welchen<br />

Prüfverfahren sie dabei vorgegangen sind. So<br />

wundere es nicht, dass die überwiegende Mehrheit<br />

der Unternehmen angegeben habe, Entgeltungleichheit<br />

existiere bei ihnen nicht.<br />

Die Präsidentin des Juristinnenbundes fordert daher<br />

weitere gesetzgeberische Schritte zur Durchsetzung<br />

der Entgeltgleichheit. Dazu gehörten die<br />

Einführung eines Verbandsklagerechts und eine<br />

Verpflichtung der Unternehmen, betriebliche Entgeltsysteme<br />

zu überprüfen. Diese Schritte müssten<br />

nun zügig vorangetrieben werden. [Quelle: djb]<br />

Weitere Entbürokratisierung<br />

geplant<br />

Die Bundesregierung will mit einem weiteren<br />

Schritt Wirtschaft, Bürger und Verwaltung per<br />

Gesetz von Bürokratie entlasten. Mit dem Entwurf<br />

eines Dritten Gesetzes zur Entlastung<br />

insbesondere der mittelständischen Wirtschaft<br />

von Bürokratie (vgl. BT-Drucks 19/13959) werde<br />

die Wirtschaft um insgesamt 1,168 Mrd. € pro Jahr<br />

entlastet, schreibt die Bundesregierung. Die maßgeblichen<br />

Anteile sollen die Einführung einer<br />

elektronischen Arbeitsunfähigkeitsmeldung, Erleichterungen<br />

bei der Vorhaltung von Datenverarbeitungssystemen<br />

für steuerliche Zwecke und<br />

die Option eines digitalen Meldescheins im Beherbergungsgewerbe<br />

beisteuern.<br />

So solle ein elektronisches Meldeverfahren die<br />

Einreichung des Krankenscheins ersetzen, heißt<br />

es. Künftig sollen die Krankenkassen den Arbeitgeber<br />

auf Abruf elektronisch über Beginn und<br />

Dauer der Arbeitsunfähigkeit seines gesetzlich<br />

versicherten Arbeitnehmers informieren.<br />

Vorgesehen sind auch Erleichterungen bei der<br />

Archivierung elektronisch gespeicherter Steuerunterlagen.<br />

Für Unternehmen soll die Pflicht<br />

entfallen, bei einem Wechsel der Steuersoftware<br />

zehn Jahre lang die alten Datenverarbeitungsprogramme<br />

in Betrieb zu halten. Diese sollen<br />

künftig fünf Jahre nach dem Wechsel abgeschafft<br />

werden dürfen, wenn ein Datenträger mit den<br />

gespeicherten Steuerunterlagen vorhanden ist.<br />

1094 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Mit der Einführung eines digitalen Meldescheins<br />

schließlich könnte die Hotellerie nach Ansicht der<br />

Bundesregierung von erheblichen Kosten entlastet<br />

werden. Optional solle es möglich werden, per<br />

digitalisiertem Verfahren die eigenhändige Unterschrift<br />

durch sichere Verfahren zu ersetzen. Die<br />

Papier-Variante soll daneben als Möglichkeit<br />

erhalten bleiben. [Quelle: Bundesregierung]<br />

Verbesserungen im Jugendstrafverfahren<br />

Die Bundesregierung will bessere Verfahrensgarantien<br />

in Strafverfahren für Kinder, die Verdächtige<br />

oder beschuldigte Personen sind, erreichen.<br />

Dies sieht ein Gesetzentwurf vor (BT-<br />

Drucks 19/13837), der zugleich die Vorgaben einer<br />

EU-Richtlinie aus dem Jahr 2016 umsetzen soll<br />

(EU-Richtlinie 2016/800).<br />

Wie es in dem Entwurf heißt, entspricht das<br />

deutsche Jugendstrafverfahrensrecht in vielerlei<br />

Hinsicht bereits den Vorgaben der EU-Richtlinie.<br />

Neben einigen deshalb nur punktuellen Änderungen<br />

seien bezüglich einzelner Regelungsbereiche<br />

aber komplexere Änderungen erforderlich, um die<br />

von der Richtlinie eröffneten Spielräume so gut<br />

wie möglich für fachlich angemessene und praxistaugliche<br />

Lösungen nutzen zu können. Die Umsetzung<br />

der Richtlinie solle mit dem vorliegenden<br />

Entwurf insbesondere durch Änderungen im<br />

Jugendgerichtsgesetz und punktuell in der Strafprozessordnung,<br />

dem Gesetz über das Verfahren<br />

in Familiensachen und in den Angelegenheiten<br />

der freiwilligen Gerichtsbarkeit und dem Gerichtskostengesetz<br />

erfolgen. Ein Schwerpunkt<br />

der EU-Richtlinie betrifft das Recht auf Unterstützung<br />

durch einen Rechtsbeistand.<br />

Unter anderem soll sichergestellt werden, dass im<br />

Jugendstrafverfahren Freiheitsentzug als Strafe<br />

nur verhängt werden kann, wenn die beschuldigte<br />

junge Person zuvor über eine effektive<br />

Verteidigerunterstützung verfügte. Hinsichtlich<br />

des von der EU-Richtlinie vorgesehenen Rechts<br />

auf „individuelle Begutachtung“ soll nach dem<br />

vorliegenden Entwurf insbesondere konkret bestimmt<br />

werden, zu welchem Zeitpunkt die Jugendgerichtshilfe<br />

über die Einleitung eines Verfahrens<br />

zu unterrichten ist und unter welchen<br />

Voraussetzungen auch ohne einen vorherigen<br />

Bericht der Jugendgerichtshilfe die öffentliche<br />

Klage erhoben werden darf. Außerdem soll klargestellt<br />

werden, unter welchen Voraussetzungen<br />

die Teilnahme eines Vertreters der Jugendgerichtshilfe<br />

an der Hauptverhandlung verzichtbar<br />

ist.<br />

In Bezug auf die audiovisuelle Aufzeichnung<br />

von Beschuldigtenvernehmungen soll anknüpfend<br />

an das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren<br />

Ausgestaltung des Strafverfahrens<br />

v. 17. 8. 2017 (BGBl I, S. 3202) nunmehr auch eine<br />

spezifische Regelung im JGG erfolgen. Weitere<br />

Regelungen beziehen sich auf Informationspflichten<br />

gegenüber jungen Beschuldigten, gegenüber<br />

Erziehungsberechtigten und gesetzlichen<br />

Vertretern bzw. gegenüber einer anderen<br />

für den Schutz der Interessen des Jugendlichen<br />

geeigneten volljährigen Person sowie auf deren<br />

jeweilige Rechte auf Anwesenheit bei Untersuchungshandlungen<br />

und in der Hauptverhandlung.<br />

[Quelle: Bundesregierung]<br />

Verschärfungen im Waffenrecht<br />

geplant<br />

Die Bundesregierung hat Anfang Oktober den<br />

Entwurf eines Dritten Waffenrechtsänderungsgesetzes<br />

vorgelegt (vgl. BT-Drucks 19/13839).<br />

Mit ihm soll eine EU-Richtlinie umgesetzt werden,<br />

die die Kennzeichnungsanforderung für<br />

Schusswaffen und deren wesentliche Teile erweitert.<br />

Ferner fordert die EU-Vorgabe von den<br />

Mitgliedstaaten, eine umfassende Rückverfolgbarkeit<br />

aller Schusswaffen und ihrer wesentlichen<br />

Teile sicherzustellen.<br />

Zu diesem Zweck haben die Mitgliedsstaaten<br />

Waffenhändler und -hersteller in einem ersten<br />

Schritt zu verpflichten, den Waffenbehörden unverzüglich<br />

sämtliche Transaktionen anzuzeigen,<br />

die Bestandteil des Lebenswegs einer Schusswaffe<br />

und ihrer wesentlichen Teile sind, heißt es<br />

in der Begründung des Gesetzentwurfs. In einem<br />

zweiten Schritt würden die Mitgliedstaaten<br />

verpflichtet, diese Transaktionen in den Waffenregistern<br />

festzuhalten.<br />

Mit der geplanten Neuregelung wird das Nationale<br />

Waffenregister zum Zweck der Registrierung<br />

des vollständigen Lebenswegs von Waffen und<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1095


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

wesentlichen Waffenteilen weiter ausgebaut.<br />

Ferner ist vorgesehen, eine Anzeigepflicht für<br />

unbrauchbar gemachte Schusswaffen einzuführen.<br />

Zudem sollen u.a. bestimmte große Wechselmagazine<br />

sowie Schusswaffen mit fest verbauten<br />

großen Ladevorrichtungen zu verbotenen<br />

Gegenständen erklärt werden. Allerdings soll<br />

auch den berechtigten Interessen der Eigentümer<br />

solcher Gegenstände durch weitgehende Besitzstandsregelungen<br />

Rechnung getragen werden,<br />

heißt es in der Vorlage weiter.<br />

[Quelle: Bundesregierung]<br />

Nichtzulassungsbeschwerde in<br />

Zivilsachen<br />

Die vom Bundesministerium der Justiz und für<br />

Verbraucherschutz (BMJV) geplante Festschreibung<br />

der Wertgrenze für Nichtzulassungsbeschwerden<br />

in Zivilsachen (vgl. dazu <strong>ZAP</strong>-Anwaltsmagazin<br />

13/<strong>2019</strong>, S. 656) ist jetzt auch vom<br />

Bundeskabinett beschlossen worden. Ein entsprechender<br />

Regierungsentwurf wurde im Oktober<br />

verabschiedet. Er sieht vor, dass jetzt<br />

dauerhaft in der ZPO festgeschrieben wird, dass<br />

die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der<br />

Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) in Zivilsachen<br />

einen Beschwerdewert von mehr als<br />

20.000 € erfordert. Eine entsprechende, jedoch<br />

zeitlich befristete Regelung war seit 2002 fortlaufend<br />

verlängert worden, zuletzt bis zum Ende<br />

dieses Jahres. Als Grund für die Einführung der<br />

Wertgrenze wurde seinerzeit die Aufrechterhaltung<br />

der Funktionstüchtigkeit der BGH-Zivilsenate<br />

genannt; dieser Grund besteht nach Auffassung<br />

der Bundesregierung noch immer und<br />

war Anlass für die jetzige Entfristung.<br />

Daneben enthält der Entwurf weitere zivilprozessuale<br />

Neuerungen, die – so die Begründung<br />

der Regierung – dem „Wandel der Lebensverhältnisse“,<br />

der „wachsenden Komplexität der Rechtsbeziehungen“<br />

sowie den „veränderten Erwartungen an<br />

die Justiz“ Rechnung tragen sollen. Durch eine<br />

Änderung zivilprozessualer Vorschriften solle eine<br />

„effiziente Verfahrensführung ohne Einbußen des<br />

Rechtsschutzes“ gefördert werden. So solle u.a. die<br />

Spezialisierung der Gerichte in Zivilsachen ausgebaut<br />

und die Möglichkeiten zum Abschluss<br />

eines wirksamen gerichtlichen Vergleichs vereinfacht<br />

werden.<br />

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), die die<br />

Festschreibung der Wertgrenze für Nichtzulassungsbeschwerden<br />

im Grundsatz begrüßt, hat<br />

sich gegenüber Teilen dieser weiteren zivilprozessualen<br />

Änderungen im Gesetzentwurf kritisch<br />

geäußert. So hat sie u.a. Bedenken gegen die<br />

vorgesehene unverzügliche Anbringung des Ablehnungsgesuchs<br />

nach § 44 Abs. 4 S. 2 ZPO-E. Eine<br />

geplante Klarstellung in § 139 Abs. 1 S. 3 ZPO-E zur<br />

Strukturierung und Abschichtung des Streitstoffs<br />

erachtet sie für überflüssig. Auch schlägt die BRAK<br />

vor, eine Zustellung gegen Empfangsbekenntnis<br />

auf herkömmlichem Weg schriftlich in Papier<br />

solange zuzulassen, bis alle Gerichte technisch in<br />

der Lage seien, gegen elektronisches Empfangsbekenntnis<br />

zuzustellen.<br />

[Quellen: Bundesregierung/BRAK]<br />

Zahl der Fluggastklagen stark<br />

gestiegen<br />

Die Gerichte in Deutschland haben nach Angaben<br />

des Deutschen Richterbundes (DRB) in diesem<br />

Jahr deutlich mehr Klagen von Fluggästen zu<br />

bewältigen als in den Jahren zuvor. Bereits bis<br />

Ende August hätten diejenigen Amtsgerichte,<br />

die für die 15 größten Flughäfen in Deutschland<br />

zuständig sind, mehr als 50.000 Neuzugänge an<br />

sog. Reisevertragssachen verzeichnet, wie die<br />

Richtervereinigung mit Bezug auf eine kürzlich<br />

durchgeführte Umfrage bei den Amtsgerichten<br />

mitteilte. Diese Entwicklung sei getrieben durch<br />

Entschädigungsklagen von Kunden wegen verspäteter<br />

oder ausgefallener Flüge.<br />

Wie der DRB weiter mitteilte, rechnen die zuständigen<br />

Amtsgerichte bis Ende des Jahres insgesamt<br />

mit rund 90.000 Reiseverfahren. Im Vergleich<br />

zum Vorjahr dürfte sich die Zahl damit etwa verdoppeln,<br />

so der Geschäftsführer des Vereins SVEN<br />

REBEHN. Er rechnet damit, dass die Verfahrenswelle<br />

noch weiterwächst, weil Rechtsdienstleister über<br />

Portale im Internet derzeit massiv um neue Mandate<br />

betroffener Flugkunden werben.<br />

Am stärksten belastet durch diese Klagewelle ist<br />

dem Richterbund zufolge das AG Düsseldorf mit<br />

etwa 20.000 erwarteten Fällen für das Gesamtjahr,<br />

gefolgt vom AG Frankfurt a.M. mit rund<br />

15.000 und dem AG Köln mit mehr als 10.000<br />

Verfahren.<br />

[Red.]<br />

1096 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Bundestag verlängert<br />

Regelstudienzeit für Jura<br />

Der Deutsche Bundestag hat Mitte Oktober eine<br />

Änderung im Deutschen Richtergesetz beschlossen,<br />

mit der die Regelstudienzeit für das Fach<br />

Rechtswissenschaft auf fünf Jahre verlängert<br />

wird. Bisher beträgt die Regelstudienzeit viereinhalb<br />

Jahre. Bedeutung hat dies vor allem für<br />

BaföG-Empfänger: Sie können sich nun ein<br />

Semester mehr Zeit lassen, ohne die staatliche<br />

Förderung zu verlieren.<br />

Die bislang veranschlagte Studiendauer sei zu<br />

knapp bemessen, befanden die Parlamentarier.<br />

Immerhin sei die tatsächliche Studiendauer in<br />

den letzten Jahren von durchschnittlich 9,6 Semestern<br />

auf 11,3 Semester gestiegen. Als Gründe<br />

für den Anstieg werden insbesondere die Einführung<br />

der universitären Schwerpunktbereichsprüfung<br />

sowie die Erweiterung des Studiums um<br />

Schlüssel- und Fremdsprachenqualifikationen angesehen.<br />

Der Stoffumfang des heutigen Studiengangs<br />

„Rechtswissenschaft mit Abschluss erste<br />

Prüfung“ (früher: „Abschluss Staatsexamen“) sei<br />

nicht geringer als derjenige von zehnsemestrigen<br />

Masterstudiengängen. [Quelle: Bundestag]<br />

Ausblick auf die digitale Zukunft<br />

des Rechtsmarkts<br />

Am 10. und am 11. Oktober fand in Köln der 4.<br />

Anwaltszukunftskongress statt, der von WoltersKluwer<br />

sowie vom Kanzleispezialisten Soldan<br />

ausgerichtet wurde. Die Spanne der Themen<br />

reichte von der Digitalisierung einfacher rechtlicher<br />

Aufgaben (z.B. Schadenersatzansprüche nach<br />

Flugverspätung, Abfindungsberechnung, Mieterhöhungsrückzahlungen<br />

etc.) bis hin zum anspruchsvollen<br />

Einsatz künstlicher Intelligenz (KI)<br />

im Rechtsbereich.<br />

Dass der Einsatz von KI nicht erst eine Angelegenheit<br />

der ferneren Zukunft ist, belegten einige<br />

Vorträge auf der Veranstaltung. So wurde etwa<br />

die App eines Versicherers vorgestellt, die in der<br />

Lage ist, per Gesichtserkennung und kurzem Chat<br />

die Deckungszusage gegenüber dem Versicherten<br />

in einem Rechtsschutzfall abzugeben. Auch<br />

wurde dargestellt, wie KI dabei helfen kann,<br />

Straftaten aufzudecken. Eine wichtige Rolle<br />

dürfte hierbei die automatische Bilderkennung<br />

etwa bei der Verfolgung von Kinderpornographie<br />

im Internet spielen. „Gerade bei der Verfolgung von<br />

Kinderpornographie sind wir verpflichtet, alle neuen<br />

technischen Möglichkeiten auszuschöpfen“, erläuterte<br />

DIRK WEDEL, Staatssekretär im nordrhein-westfälischen<br />

Justizministerium.<br />

Berichtet wurde, dass viele große Unternehmen<br />

den Einsatz von KI vorantreiben, etwa im Bereich<br />

Vertragsmanagement. Auch die großen Wirtschaftskanzleien<br />

investieren mittlerweile stark<br />

in eigene Legal-Tech-Instrumente, um ihren Unternehmensmandanten<br />

weitergehende Leistungen<br />

anzubieten. „Die Digitalisierung ist im Rechtsmarkt<br />

angekommen“, stellte ein Anbieter von Legal<br />

Software fest. „Viele technische Innovationen unterstützen<br />

Anwälte in ihrer täglichen Arbeit und<br />

erleichtern so den Kanzleialltag erheblich.“ Mit einiger<br />

Besorgnis wird aber auch beobachtet, dass<br />

es gerade den mittelständischen Kanzleien<br />

schwer fällt, den digitalen Wandel in ihren Büros<br />

voranzutreiben. Soldan-Geschäftsführer RENÉ<br />

DRESKE sieht den Grund hierfür vor allem in der<br />

Partnerstruktur dieser Kanzleien. In den meisten<br />

Fällen hätten die älteren Partner genug Mandanten<br />

und seien deshalb nicht daran interessiert,<br />

in digitale Innovationen zu investieren.<br />

Das ist aus Sicht von Soldan ein großer Fehler,<br />

denn diese mittelständischen Kanzleien liefen<br />

damit Gefahr, von der Entwicklung überrollt zu<br />

werden.<br />

[Red.]<br />

Richterliche und anwaltliche<br />

Meinungsfreiheit gestärkt<br />

Sowohl die richterliche als auch die anwaltliche<br />

Meinungsfreiheit ist von den Gerichten in jüngster<br />

Zeit gestärkt worden. Das LG Neubrandenburg<br />

(Beschluss v. 12.7. <strong>2019</strong> – 23 Qs 5/19, rkr.) hat den<br />

Erlass eines Strafbefehls gegen drei Richter einer<br />

Schwurgerichtskammer abgelehnt, die einem<br />

Rechtsanwalt der Nebenklage „narzisstisch dominierte<br />

Dummheit“ vorgeworfen hatten und der<br />

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte<br />

(EGMR) stellte im Oktober fest, dass die Meinungsfreiheit<br />

von zwei Rechtsanwälten verletzt<br />

wurde, indem sie u.a. für die Äußerung, bei einer<br />

Richterin liege eine „große Vertrautheit mit dem<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1097


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Anwalt der Gegenseite“ vor, zu einer Geldstrafe<br />

verurteilt wurden (Urt. v. 8.10.<strong>2019</strong> – Beschwerde-Nr.<br />

24845/13 u. 49103/15).<br />

In dem ersten Fall des LG Neubrandenburg ging es<br />

um Beihilfe eines SS-Sanitäters zum Mord in<br />

tausenden Fällen im Konzentrationslager Auschwitz.<br />

Die Frage der Verhandlungsfähigkeit des<br />

hochbetagten Angeklagten war ein ständiger Reibungspunkt<br />

zwischen den Beteiligten; Gleiches<br />

galt für die Nebenklageberechtigung der betroffenen<br />

Anwälte. Von Anfang an sei das Verfahren<br />

durch alle Verfahrensbeteiligten „konfliktträchtig“<br />

geführt worden, stellte das LG später fest. So kam<br />

es dazu, dass – nachdem der Nebenklagevertreter<br />

der Strafkammer Rechtsbeugung vorgeworfen<br />

hatte – die Richter dies mit folgenden Worten in<br />

ihrem Beschluss kommentierten: „Soweit der Nebenklagevertreter<br />

[…] unter Verweis auf seine allein<br />

richtig seiende Ansicht in der in Aussicht gestellten<br />

Entscheidung der Kammer eine Rechtsbeugung sieht,<br />

ist das eine ersichtlich narzisstisch dominierte Dummheit“.<br />

Das war keine Beleidigung, so die Meinung<br />

sowohl des Amtsgerichts als auch im nächsten<br />

Rechtszug die des LG Neubrandenburg. Mit der<br />

Aussage sei nicht die Tatsache behauptet worden,<br />

der Nebenklagevertreter leide an einer medizinisch<br />

relevanten, narzisstischen Persönlichkeitsstörung.<br />

Vielmehr stelle die gewählte Formulierung eine<br />

Reaktion auf den Schriftsatz des Nebenklägervertreters<br />

dar, ohne dessen Persönlichkeit als<br />

solche zu bewerten. Jedenfalls sei die richterliche<br />

Äußerung nach § 193 StGB gerechtfertigt. Der<br />

Nebenklagevertreter habe die Richter zuvor als<br />

potenzielle Straftäter bezeichnet, indem er ihnen<br />

Rechtsbeugung vorgeworfen habe. Auch wenn<br />

man dessen Ausführungen trotz der Schärfe der<br />

gewählten Tonart als im Rahmen des „Kampfes<br />

ums Recht“ noch nicht als ihrerseits strafrechtlich<br />

relevant ansehen wolle, seien sie als polemisch und<br />

verletzend einzustufen. Dies habe nicht kommentarlos<br />

zur Kenntnis genommen werden können.<br />

Das Verfahren vor dem EGMR betraf zwei<br />

portugiesische Rechtsanwälte, die in verschiedenen<br />

Verfahren Richterinnen in einem Fall per Brief<br />

eine „große Vertrautheit mit dem Strafverteidiger“<br />

und in dem anderen Fall eine „rassistisch motivierte<br />

Diskriminierung“ vorgeworfen hatten. Daraufhin<br />

waren beide wegen Diffamierung und Ehrverletzung<br />

zu Geldstrafen verurteilt worden. Zu Unrecht,<br />

so der EGMR, denn die Äußerungen seien<br />

von der anwaltlichen Meinungsfreiheit gem.<br />

Art. 10 EMRK gedeckt gewesen. Beide Äußerungen,<br />

so der Gerichtshof, seien in Ausübung der<br />

beruflichen Tätigkeit der Anwälte gemacht<br />

worden. Sie seien allein im Interesse der Mandanten<br />

erfolgt. Die Grenzen der zulässigen Kritik<br />

seien nicht überschritten worden. Einen relevanten<br />

Schaden am Ruf der betroffenen Richterinnen<br />

konnten die Europarichter angesichts der rein<br />

justizinternen und nicht nach außen gedrungenen<br />

Äußerungen nicht feststellen.<br />

Die Stärkung der Meinungsfreiheit vor Gericht ist<br />

in etlichen Kommentaren zu den beiden Entscheidungen<br />

bereits begrüßt worden. Der Deutsche<br />

Anwaltsverein (DAV) „hadert“ allerdings ein<br />

wenig mit der Entscheidung des LG Neubrandenburg:<br />

Die Äußerungen der angeschuldigten Strafrichter<br />

wären ja im „Eifer des Hauptverhandlungsgefechts“<br />

noch verständlich gewesen; sie seien<br />

aber in einem Schriftsatz gemacht worden. Dort<br />

könne man von einem Richter mehr Zurückhaltung<br />

verlangen.<br />

Wussten Sie schon, dass … ?<br />

… Sie sich mithilfe der sog. <strong>ZAP</strong> Fächer ganz<br />

gezielt zu einem bestimmten Rechtsgebiet informieren<br />

können? Unter www.zap-zeitschrift.de/haeufige-fragen/<br />

(Rubrik Nutzungsvorteile, Frage<br />

Nr. 6 – Was hat es mit den Fächern auf sich?)<br />

erklären wir Ihnen, wie Sie mit der <strong>ZAP</strong> Ihr<br />

Praxiswissen stets up to date halten.<br />

Hinweis:<br />

Unter der Überschrift „Wussten Sie schon, dass“<br />

informiert Sie die <strong>ZAP</strong> Redaktion regelmäßig<br />

über die Vorteile der <strong>ZAP</strong> App oder häufig gestellte<br />

Fragen zur Online Bibliothek, die Sie als<br />

Abonnent kostenfrei nutzen.<br />

[Red.]<br />

1098 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Buchreport<br />

Buchreport<br />

Berichte über juristische Neuerscheinungen auf dem Buchmarkt aus der Sicht des anwaltlichen Praktikers.<br />

Lesen Sie hier, sortiert nach den einzelnen <strong>ZAP</strong> Fächern, welche Werke für die Mandatspraxis von<br />

Bedeutung sind.<br />

Miete/Nutzungen<br />

LANGENBERG/ZEHELEIN, Betriebskosten- und Heizkostenrecht, 9. Aufl. <strong>2019</strong>, C.H.Beck, 734 S., 59 €<br />

Den zu Recht als „zweite Miete“ bezeichneten Betriebs- und Heizkosten kommt gerade infolge der<br />

immer weiter steigenden Kosten und der Rechtsprechungsflut große Bedeutung zu. Hilfreich ist es ein<br />

Werk zur Hand zu haben, um die in der Praxis auftauchenden Fragen verlässlich zu beantworten.<br />

Gegründet wurde das Werk von LANGENBERG. Seit der 9. Auflage wird es von ZEHELEIN allein fortgeführt.<br />

Das hohe Niveau der Vorauflagen prägt auch die Neuauflage. Die besonderen Stärken des Buchs<br />

liegen in der Detailvielfalt, der umfassenden Darstellung der Rechtsprechung und Literatur und dem<br />

Praxisbezug. Dies zeigt sich auch besonders bei der Erläuterung des Begriffs der Betriebskosten, die<br />

breiten Raum im Buch einnimmt und auf über 100 Seiten dargestellt ist. In die Ausführungen zur<br />

Umlage der Betriebskosten, zur Vorauszahlungsvereinbarung und zur Abrechnung fließt viel von der<br />

praktischen Erfahrung aus der früheren mietrichterlichen Tätigkeit von LANGENBERG und seit der 8.<br />

Auflage auch von ZEHELEIN ein. Dem Betriebskostenprozess ist ein eigenes Kapitel gewidmet mit hervorragenden<br />

Klagemustern. Hieraus zieht die Anwaltschaft großen Nutzen. Gerade beim Betriebskostenrecht<br />

finden sich viele Schnittstellen zum WEG-Recht, da die Vermietung von Eigentumswohnungen<br />

einen Großteil der Vermietungsfälle ausmacht. Auch die hieraus resultierenden Probleme<br />

werden umfassend dargestellt. Thematische Schwerpunkte sind die massive Einschränkung der<br />

formellen Voraussetzungen der Betriebskostenabrechnung, verbunden mit der Ausweitung der Einwendungserfordernisse<br />

nach § 556 Abs. 3, S. 5 BGB, die „Schätzung“ beim Umlageschlüssel und das für<br />

die Praxis bedeutsame, aber auch unerfreuliche Thema der Wartungskosten. Absehbar ist, dass dem<br />

Outsourcing von Betriebskostenleistungen in Zukunft immer mehr Bedeutung zukommen wird,<br />

gerade bei der Gewerberaummiete. Hier liefert das Buch wichtige Hinweise und zeigt Lösungsmöglichkeiten<br />

auf. Berücksichtigt wird, dass die Heizkostenverordnung richtlinienumsetzendes Recht<br />

ist und die Gerichte daran gebunden sind, so dass kein Gericht an der richtlinienkonformen Auslegung<br />

vorbeikommt. Das Buch gehört auf den Schreibtisch eines jeden mit Betriebs- und Heizkostenproblemen<br />

befassten Anwalts, die Übersichtlichkeit und klare Gliederung erleichtern die Arbeit.<br />

RAin und FAin für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Dr. ANNEGRET HARZ, München<br />

Familienrecht<br />

SCHWAB/ERNST, Handbuch Scheidungsrecht, 8. Aufl. <strong>2019</strong>, C.H.Beck, <strong>21</strong>62 S., 169 €<br />

Die in der 8. Auflage erfolgte Überarbeitung des bewährten Handbuchs Scheidungsrecht bietet das<br />

„Rundum-sorglos-Paket“ für die familienrechtliche Kanzlei ebenso wie für den Richterarbeitsplatz.<br />

Behandelt werden in den einzelnen Kapiteln das Verfahren der Familiengerichte, die Ehescheidung, die<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1099


Buchreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

elterliche Sorge und der Umgang, der Unterhalt, der Versorgungsausgleich, der Zugewinnausgleich<br />

sowie die Themen Ehewohnung, Haushaltsgegenstände und Gewaltschutz. Der Nutzer ist damit<br />

bestens präpariert für das familienrechtliche Alltagsgeschäft. Das gegenüber der Vorauflage deutlich<br />

verjüngte Autorenteam setzt sich zusammen aus Richterinnen und Richtern der ersten und zweiten<br />

Instanz sowie einem Ministerialbeamten, die sämtlich in dem von ihnen bearbeiten Kapitel große<br />

Praxiserfahrung einbringen können. Die Darstellung ist übersichtlich, die Randnummern erleichtern<br />

die Orientierung in dem mit Register insgesamt <strong>21</strong>62 Seiten umfassenden Werk. Praxisrelevante<br />

Schwerpunkte des Buchs bieten die beiden mit vielen Berechnungsbeispielen angereicherten Kapitel<br />

Unterhalt des Ehegatten nach § 1361 bzw. §§ 1569 ff. BGB und der unverheirateten Mutter nach § 1615l<br />

BGB (bearbeitet von BORTH) sowie des Kindesunterhalts (bearbeitet von OBERMANN). Selbst der Elternunterhalt,<br />

der an sich nicht zum Scheidungsrecht gehört, aber erhebliche praktische Bedeutung hat,<br />

fehlt nicht. Dass das Werk auf dem aktuellen Stand ist, zeigt sich z.B. daran, dass die geänderte<br />

Rechtsprechung des BGH zur Berücksichtigung von Tilgungsleistungen beim objektiven Wohnvorteil<br />

bereits eingearbeitet worden ist. Im verfahrensrechtlichen Teil werden sowohl das Abänderungsverfahren<br />

als auch die einstweilige Anordnung ausführlich beleuchtet; Verfahrenskostenhilfe und<br />

Verfahrenskostenvorschuss werden allerdings nur recht kurz erläutert. Insgesamt ist die Neuauflage<br />

des Buchs ein ausgezeichnetes Hilfsmittel für die Praxis, das man sich zunutze machen sollte.<br />

RiAG a.D. Dr. WOLFRAM VIEFHUES, Gelsenkirchen<br />

WENDL/DOSE, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl. <strong>2019</strong>, C.H.Beck,<br />

2619 S., 149 €<br />

Im Buchreport zur Vorauflage aus dem Jahr 2015 habe ich das Werk schlicht und einfach als das<br />

„Standard-Kochbuch“ zum Unterhaltsrecht bezeichnet, in dem zu fast jeder in der Praxis auftretenden<br />

Problemstellung eine Lösung angeboten wird. An dieser Bewertung hat sich auch zur 10. Auflage<br />

nichts geändert. Selbstverständlich musste das um einige jüngere Bearbeiter erweiterte, aus erfahrenen<br />

Richtern des BGH und verschiedener Oberlandesgerichte sowie einem Rechtsanwalt und Notar<br />

bestehende Autorenteam zahlreiche Aktualisierungen einbauen. Dabei werden die juristischen Erläuterungen<br />

nicht nur durchweg mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung belegt,<br />

sondern vielfach auch durch verständliche Berechnungsbeispiele veranschaulicht. Für diesen Buchreport<br />

seien nur einige Passagen herausgehoben. Umfassend dargestellt wird die Ermittlung des unterhaltsrechtlich<br />

relevanten Einkommens mit allen erdenklichen Einkünften und Abzügen. Ausführlich<br />

erörtert werden auch die für die familienrechtliche Praxis relevanten Einzelheiten zur Bedarfsbemessung<br />

beim Ehegatten, zur Bedürftigkeit beim Berechtigten und zur Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen.<br />

Die Struktur der nachehelichen Unterhaltstatbestände wird sehr übersichtlich dargestellt.<br />

In angemessenem Umfang werden die praxisrelevanten Probleme bei § 1578b BGB und § 1579<br />

BGB aufgezeigt. Auch Fragen der Durchsetzung des Unterhalts, des Sonderbedarfs, des Vorsorgeunterhalts<br />

und der Rückforderung von zu viel geleistetem Unterhalt kommen nicht zu kurz. Die<br />

Darlegungs- und Beweislast im Unterhaltsverfahren wird behandelt; ein gesamtes Kapitel ist dem<br />

Verfahrensrecht gewidmet. Letztlich fehlt auch nicht der Brückenschlag zum Sozialrecht und zu<br />

Fragen der Auslandsberührung. Ein Abdruck der zentralen Passagen wichtiger unterhaltsrechtlicher<br />

Leitentscheidungen aus den letzten 15 Jahren, auf die in den Fußnoten verwiesen wird, komplettiert<br />

das Werk.<br />

RiAG a.D. Dr. WOLFRAM VIEFHUES, Gelsenkirchen<br />

Nachlass/Erbrecht<br />

DAMRAU, Der Minderjährige im Erbrecht, 3. Aufl. <strong>2019</strong>, zerb Verlag, <strong>21</strong>6 S., 49 €<br />

Der Minderjährige im Erbrecht kann für den Anwalt im erbrechtlichen Mandat eine Herausforderung<br />

darstellen. Gegenüber einem Volljährigen ist der Minderjährige besonders schutzbedürftig, wodurch bei<br />

der Einsetzung als Erbe – in einer Verfügung von Todes wegen – seine Interessen und seine fehlenden<br />

Handlungsmöglichkeiten zwingend berücksichtigt werden müssen. In der Regel sind die Eltern als<br />

gesetzliche Vertreter des Minderjährigen der erste Ansprechpartner für den Anwalt. Der Autor Prof. Dr.<br />

DAMRAU, als langjähriger Spezialist auf dem Rechtsgebiet des Erbrechts und Herausgeber des Praxis-<br />

1100 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Buchreport<br />

kommentars Erbrecht, ermöglicht mit der dritten Auflage seines Werks „Der Minderjährige im Erbrecht“<br />

eine zielorientierte und umfassende Hilfestellung bei erbrechtlichen Fragen rund um den minderjährigen<br />

Erblasser oder Erben. In 15 Kapiteln wird der Minderjährige u.a. in seiner wechselnden Stellung im<br />

Deutschen Erbrecht dargestellt:<br />

• der Minderjährige als Testator und als Widerrufender (Kapital 1),<br />

• der Minderjährige und der Erbvertrag (Kapitel 2),<br />

• der zum Erben berufene Minderjährige (Kapitel 3),<br />

• Minderjährige als Vermächtnisnehmer (Kapitel 4),<br />

• der minderjährige Pflichtteilsberechtigte (Kapitel 5) und<br />

• der Minderjährige in der Erbengemeinschaft (Kapitel 9).<br />

Das Praktiker-Buch deckt alle Problembereiche minderjähriger Erben bei der Beratung vor Eintritt des<br />

Erbfalls und i.R.d. Nachlassabwicklung nach dem Erbfall ab. Durch aktuelle Rechtsprechung und<br />

Beispiele werden punktuell besondere Fallkonstellationen hervorgehoben. Der Autor Prof. Dr. DAMRAU<br />

bezeichnet sein Werk selbst als Skizze, welches den Praktiker Wege aufzeigen soll, um effektiv und zügig<br />

alltägliche Fälle zu lösen. Dieser Anforderung wird das Werk in jedem Fall gerecht. Das Werk ist eine<br />

empfehlenswerte Anschaffung und wertvolle Ergänzung für jeden Praktiker im Erbrecht.<br />

RA Dr. LUTZ FÖRSTER, Brühl<br />

FIRSCHING/GRAF, Nachlassrecht, 11. Aufl. <strong>2019</strong>, C.H.Beck, 895 S., 119 €<br />

Das Handbuch der Rechtspraxis „Nachlassrecht“ hat in seiner 11. Auflage einen Autorenwechsel erlebt.<br />

Das Werk wird von langjährigen und erfahrenen Praktikern fortgesetzt. Herr RiOLG KRÄTZSCHEL führt<br />

das materielle Erbrecht und Verfahrensrecht und Frau Notarin Dr. FALKNER das Steuerrecht fort. Durch<br />

Herrn Notar Dr. DÖBEREINER wird das Internationale Privatrecht einschließlich der Europäischen Erbrechtsverordnung<br />

in Zeiten zunehmender Harmonisierung des nationalen Rechts auf europäischer<br />

Ebene und grenzüberschreitender Erbrechtsfälle vertieft bearbeitet. Das Werk behandelt vollumfänglich<br />

das Nachlassrecht, wobei es sich nicht nur an den in Erbrecht tätigen Rechtsanwalt, sondern auch<br />

an den Richter, Rechtspfleger, Nachlasspfleger und Testamentsvollstrecker richtet. Die Einführung<br />

von nummerierten Paragraphen in den sechs Teilen des Werks hat die Benutzerfreundlichkeit gegenüber<br />

den Vorauflagen nochmals verbessert. Inhaltlich ist insbesondere die Einarbeitung der aktuellen<br />

Rechtsprechung sowie die detaillierte Darstellung des Nachlassverfahrens im Allgemeinen, der einzelnen<br />

Nachlassverfahren sowie des mit mehr als 100 Seiten umfassenden Internationalen Privatrechts<br />

einschließlich der Europäischen Erbrechtsverordnung hervorzuheben. Zudem wird die tägliche<br />

Arbeit durch zum Download bereitgestellte Muster, welche die vielfältigen Beratungssituationen im<br />

erbrechtlichen Mandat, aber auch in der Aktenbearbeitung durch Rechtspfleger und Richter abdecken,<br />

erleichtert. Vervollständigt werden diese Muster durch eine Vorlage für ein Nachlassverzeichnis<br />

und ein Europäisches Nachlasszeugnis. Das Werk „Nachlassrecht“ ist von Praktikern für Praktiker<br />

geschrieben, wodurch eine zeitsparende und zielorientierte Bearbeitung bei Fragen im Nachlassrecht<br />

gewährleistet wird. Mit seiner 11. Auflage kann das Werk als mittlerweile etabliertes Standardwerk im<br />

Nachlassrecht uneingeschränkt weiterempfohlen werden.<br />

RA Dr. LUTZ FÖRSTER, Brühl<br />

KERSCHER/KRUG/SPANKE (Hrsg.), Das erbrechtliche Mandat, 6. Aufl. 2018, zerb Verlag, 1888 S., 129 €<br />

Mit der 6. Auflage wird das Werk „Das erbrechtliche Mandat“ nach fünf Jahren aktualisiert. Das Werk<br />

richtet sich in erster Linie an den im Erbrecht tätigen Rechtsanwalt. Es führt den Rechtsanwalt durch die<br />

unterschiedlichen Beratungssituationen im erbrechtlichen Mandat vor und nach dem Erbfall, beginnend<br />

mit dem Mandantengespräch, einer möglichen Interessenkollision und der anwaltlichen Vergütung im<br />

erbrechtlichen Mandat. Neben der anwaltlichen Beratung bei der Errichtung einer Verfügung von Todes<br />

wegen werden die außergerichtliche und gerichtliche Beratung und Vertretung des Mandanten<br />

hervorgehoben. Trotz eines Umfangs von 1800 Seiten gelingt es dem Autorenteam durch eine benutzerfreundliche<br />

Untergliederung der sieben Kapitel, dass das Mandat zielorientiert und zeitsparend<br />

bearbeitet werden kann. Dies wird auch durch die prägnanten Beispiele und Formulierungsmuster<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1101


Buchreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

gewährleistet. Das Werk gehört nach mehr als 20 Jahren zu den Standardwerken der erbrechtlichen<br />

Literatur. Für Berufseinsteiger wird eine unbedingte Kaufempfehlung ausgesprochen. Neben den prozessrechtlichen<br />

Problemstellungen sowie den materiell-rechtlichen Problemen des Deutschen Erbrechts<br />

werden auch die genannten praktischen Erwägungen angeführt, die für eine erfolgreiche<br />

Bearbeitung des erbrechtlichen Mandats – wie das Mandantengespräch – zwingend erforderlich und<br />

für den Berufseinsteiger unbekannt sind. Für den erfahrenen Praktiker stellt hingegen die aktualisierte<br />

Auflage eine wertvolle Ergänzung im erbrechtlichen Bücherregal aufgrund der umfassenden Darstellung<br />

der unterschiedlichen Beratungssituationen dar.<br />

RA Dr. LUTZ FÖRSTER, Brühl<br />

Wirtschaftsrecht/Urheber- und Medienrecht/Marken- und<br />

Wettbewerbsrecht<br />

BERLIT, Markenrecht, 11. Aufl. <strong>2019</strong>, C.H.Beck, 419 S., 59 €<br />

Die aktualisierte Auflage des markenrechtlichen Standardwerks von BERLIT bringt das Werk insbesondere<br />

auf den Stand des mit Wirkung zum 14.1.<strong>2019</strong> in Kraft getretenen Markenrechtsmodernisierungsgesetzes<br />

(MaMoG). Das MaMoG dient der Umsetzung der Richtlinie (EU) 2015/2436 vom<br />

16.12.2015 (MarkenrechtsRL). Die MarkenrechtsRL hat die Modernisierung des europäischen Markensystems<br />

zum Ziel. Das MaMoG führte zu Änderungen im Bereich der Schutzfähigkeit von Marken.<br />

Ferner ergaben sich Änderungen bei der Berechnung der Schutzdauer von Marken. Darüber hinaus<br />

erfolgten Änderungen im Bereich des Widerspruchsverfahrens (§ 42 Abs. 1, 3, 4; § 43 MarkenG) sowie<br />

des Verfalls- (§ 49 MarkenG) und des Nichtigkeitsverfahrens (§§ 50 ff. MarkenG). Im Bereich der<br />

Verfalls- und Nichtigkeitsverfahren sind die Änderungen jedoch lediglich verfahrensrechtlicher Natur.<br />

Darüber hinaus wurde die Gewährleistungsmarke (§§ 106a ff. MarkenG) neu eingeführt. BERLIT<br />

beschäftigt sich in 15 Kapiteln mit dem deutschen und europäischen Markenrecht. Hierbei nehmen<br />

die Kapitel zu den absoluten Schutzhindernissen (Kap. 4), zu den Löschungsansprüchen, Nichtigkeit,<br />

Verfall (Kap. 5) sowie zu den Ansprüchen gegen den Verletzer einer Marke oder einer geschäftlichen<br />

Bezeichnung (Kap. 6) aufgrund ihrer Detailtiefe einen besonderen Raum ein. Ferner beschäftigt sich<br />

BERLIT mit dem Schutz geschäftlicher Bezeichnungen (Kap. 3), mit der Erschöpfung des Markenrechts<br />

(Kap. 8), dem Benutzungszwang (Kap. 9), der Schutzdauer (Kap. 12) und der Unionsmarke (Kap. 15).<br />

Der Praktiker enthält bei Lektüre dieses Sachbuchs einen umfassenden und vor dem Hintergrund des<br />

MaMoG einen aktuellen Überblick über die Gesetzes- und Rechtsprechungslage im Markenrecht. Ihm<br />

ist es möglich, kurzfristig einen kompakten Überblick über die Regelungsinhalte der einzelnen Kapitel<br />

zu erlangen und, im Bedarfsfall, unter Nutzung der Angaben im Fundstellenverzeichnis, eine vertiefte<br />

Analyse der Rechtsprechung durchzuführen. Die 11. Auflage stellt damit ein optimales Hilfsmittel für<br />

den Praktiker dar, um kurzfristig markenrechtliche Anfragen seiner Mandanten beantworten oder<br />

zumindest kurzfristig einen schnellen und umfassenden Zugang zu den relevanten Thematiken<br />

erhalten zu können.<br />

RA GUIDO VIERKÖTTER, LL.M., Neunkirchen-Seelscheid<br />

SPINDLER/SCHUSTER, Recht der elektronischen Medien, 4. Aufl. <strong>2019</strong>, C.H.Beck, 2927 S., 299 €<br />

Die aktualisierte 4. Auflage des etablierten Werks von SPINDLER/SCHUSTER zu dem „Recht der elektronischen<br />

Medien“ berücksichtigt insbesondere die durch die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO)<br />

seit dem 25.5.2018 eingetretene neue Rechtslage sowie die seit der Vorauflage (2015) erfolgten Rechtsprechungsentwicklungen<br />

in den übrigen Rechtsbereichen. Der SPINDLER/SCHUSTER nimmt als gesetzesübergreifender<br />

Kommentar eine besondere Stellung ein und hat sich seit seiner ersten Auflage (2008)<br />

zu einem der führenden Kommentare im Bereich des Medienrechts entwickelt. In 13 Teilen finden sich<br />

von Praktikern erstellte Kommentierungen zu gesetzlichen Regelungen, die sich entweder mit elektronischen<br />

Medien beschäftigen oder hierauf Auswirkungen haben. Einige Teile beinhalten eine fast<br />

vollständige Kommentierung des jeweiligen Gesetzes, z.B. umfasst Teil 8 eine detaillierte Kommentierung<br />

der Normen des RStV, Teil 10 eine solche der TKG-Normen und Teil 12 eine Kommentierung der<br />

Normen des UrhG. Die Mehrzahl der Teile umfasst eine medien-relevante Auswahl der Normen des<br />

betroffenen Gesetzes sowie deren Kommentierung. In Teil 2 werden relevante Regelungen des BGB<br />

1102 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Buchreport<br />

kommentiert, u.a. §§ 12-14, 119-123, 126-127, 156, 305-312k, 355-356, 357, 823, 1004. Dies sind insbesondere<br />

die Regelungen betreffend AGB sowie betreffend Verbraucherverträge, hierbei insbesondere<br />

Fernabsatzverträge und Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr sowie das bei solchen<br />

Verträgen bestehende Widerrufsrecht. Diese Ausführungen werden im Teil 4 durch die umfangreichen<br />

Kommentierungen der Art. 246a-246c EGBGB, auf die in §§ 312d, 312i BGB verwiesen wird, ergänzt.<br />

Neu in das Werk aufgenommen sind die Ausführungen zu den neuen Regelungen der DSGVO (Teil 3),<br />

wobei die Ausführungen zu den Rechten der betroffenen Personen (Art. 12 ff.), zu den Allgemeinen<br />

Pflichten der Verantwortlichen und Auftragsverarbeitern (Art. 24 ff.) und zu den Rechtsbehelfen,<br />

Sanktionen sowie der Haftung (Art. 77) hervorzuheben sind. Teil 6 beinhaltet eine Kommentierung der<br />

medien-relevanten Regelungen des MarkenG (u.a. §§ 3-6, 8, 14, 15, 20-27, 30). Diese Normen regeln<br />

u.a. die als Marke schutzfähigen Zeichen, die absoluten Schutzhindernisse, die ausschließlichen Rechte<br />

der Markeninhaber, Verjährungs- und Verwirkungsaspekte sowie Rechtsübergänge und Lizenzen. In<br />

Teil 9 finden sich Ausführungen u.a. zu §§ 202a-202d StGB betreffend Ausspähen und Abfangen von<br />

Daten sowie Datenhehlerei, §§ 263, 263a StGB betreffend (Computer-)Betrug sowie §§ 303a, 303b<br />

StGB betreffend Datenveränderung und Computersabotage. Die Kommentierung des TMG (Teil 11)<br />

beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den aus §§ 5, 6 resultierenden Informationspflichten und den<br />

Regelungen zur Verantwortlichkeit der Diensteanbieter (§§ 7-10). Teil 13 beinhaltet abschließend eine<br />

Kommentierung des UWG, wobei Schwerpunkte auf dem Verbot unlauterer geschäftlicher Handlungen<br />

(§ 3), der Irreführung (§ 5) und unzumutbaren Belästigungen (§ 7) liegt. Wer sich mit den<br />

vorstehend genannten Rechtsmaterien zu beschäftigen hat, findet in diesem Werk einen kompakten<br />

Überblick über die Regelungsinhalte der einzelnen Gesetze, deren Normen und der dazu jeweils ergangenen<br />

Rechtsprechung. Die 4. Auflage des SPINDLER/SCHUSTER stellt damit ein unverzichtbares Hilfsmittel<br />

für den Praktiker im Rahmen seiner Arbeit dar, um kurzfristig medien-relevante Anfragen<br />

beantworten zu können.<br />

RA GUIDO VIERKÖTTER, LL.M., Neunkirchen-Seelscheid<br />

WANDTKE/BULLINGER, Praxiskommentar Urheberrecht, 5. Aufl. <strong>2019</strong>, C.H.Beck, 3208 S., 249 €<br />

Der Praxiskommentar WANDTKE/BULLINGER zählt zu den wichtigsten Standardwerken im Urheberrecht<br />

und dürfte jedem in diesem Bereich tätigen Praktiker bestens vertraut sein. Mit der Neuauflage ist den<br />

Herausgebern Dr. WANDTKE und Prof. Dr. BULLINGER ein großer Wurf gelungen und es wird unter Beweis<br />

gestellt, dass das Werk zu Recht für sich in Anspruch nimmt, ein „Praxiskommentar“ zu sein. Die neue<br />

5. Auflage liefert eine umfassende und gelungene Darstellung der Grundlagen und Besonderheiten des<br />

Urheberrechts sowie aktueller urheberrechtlicher Probleme, insbesondere aus dem Bereich der neuen<br />

Medien, wie bspw. die Einordnung von Linking und Framing oder die Ausdifferenzierung der öffentlichen<br />

Wiedergabe, um nur einige zu nennen. Die Kommentierung ist durchweg an den Bedürfnissen der Praxis<br />

ausgerichtet und überzeugt durch ihre hohe wissenschaftliche Qualität. Dank zahlreicher Praxisbeispiele<br />

und Hinweise, der übersichtlichen Gliederung und zahlreicher Querverweise ist die Kommentierung<br />

griffig und es lässt sich in der Praxis sehr gut mit dem Kommentar arbeiten. In die neue Auflage<br />

wurde eine Fülle aktueller Rechtsprechung eingearbeitet, so dass das Werk auf dem neuesten Stand<br />

ist. Besonders beeindruckend ist der Umfang des Kommentars, der neben dem Urheberrecht, dem<br />

KUG-Bildnisschutz und dem urheberbezogenen Insolvenzrecht auch eine Kommentierung des neuen<br />

Verwertungsgesellschaftsgesetzes (VGG) und der Info-Soc-Richtlinie enthält, die für die europarechtskonforme<br />

Auslegung des Urheberrechts von wesentlicher Bedeutung ist. Die Kommentierung lässt<br />

kaum eine Frage offen und wer sich mit urheberrechtlichen Fragestellungen und Problemen in der<br />

Praxis konfrontiert sieht, wird diese mit Hilfe des Kommentars gut einordnen und bearbeiten können.<br />

Fazit: Der WANDTKE/BULLINGER ist für den im Urheberrecht tätigen Praktiker uneingeschränkt zu<br />

empfehlen.<br />

RAin und FAin für Gewerblichen Rechtsschutz Dr. JULIA JANKOWSKI, LL.M., Bonn<br />

Sozialrecht<br />

FUCHS (Hrsg.), Europäisches Sozialrecht, Nomos, 7. Aufl. 2018, 1066 S., 158 €<br />

Die große Bedeutung des europäischen Sozialrechts – hier verstanden als der Inbegriff aller von der<br />

EU geschaffenen Normen, die auf das Sozialrecht der Mitgliedstaaten gestaltendend Einfluss nehmen<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1103


Buchreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

– ist allgemein bekannt. Die damit verbundene Übertragung zahlreicher nationaler Kompetenzen<br />

auf die Europäische Union geht einher mit einer Einengung des Handlungsspielraums der einzelnen<br />

Staaten. Allerdings ist das europäische Sozialrecht im Wesentlichen Koordinierungsrecht, eine<br />

Harmonisierung der nationalen Sozialsysteme ist nicht beabsichtigt. Die von Prof. Dr. MAXIMILIAN FUCHS<br />

verfasste ausführliche und gut verständliche Einführung umfasst eine Begriffsbestimmung und die<br />

Entwicklung des Europäischen Sozialrechts, die rechtlichen Grundlagen des Koordinierungsrechts, die<br />

Bedeutung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) für das Sozialrecht<br />

sowie einen Ausblick auf Reformvorschläge der Kommission. Es folgen u.a. Kommentierungen der<br />

Art. 45 bis 48 AEUV (Arbeitnehmer-Freizügigkeit), der im Hinblick auf viele Arten von Sozialleistungen<br />

(so bei Krankheit/Mutterschaft, Arbeitsunfällen/Berufskrankheiten, Invalidität, Alters- und<br />

Hinterbliebenenrenten, Arbeitslosigkeit, Familienleistungen) besonders praxisrelevanten Verordnung<br />

(EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der sozialen Sicherheit, der Verordnung (EU) Nr. 492/2011<br />

über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union, der Patientenrichtlinie (2011/24/EU),<br />

der Richtlinie 2006/54/EG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung<br />

von Männern und Frauen in Arbeits- und Beschäftigungsfragen, der Richtlinie 2000/43/ EG<br />

zur Anwendung der Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft.<br />

Ein abschließendes Kapitel befasst sich mit dem ebenfalls wichtigen Europäischen Rechtsschutz im<br />

Sozialrecht. Die hier anzuzeigende, bereits 7. Auflage des Standardkommentars für diesen Rechtsbereich<br />

erweist sich als zuverlässiges Hilfsmittel, gerade auch für die Anwaltschaft, die immer öfter<br />

mit Rechtsfällen konfrontiert ist, bei denen sich europarechtliche Fragestellungen ergeben. Ein Nachschlagen<br />

im „FUCHS“ kann nur ausdrücklich empfohlen werden.<br />

RA und FA für Arbeitsrecht und Sozialrecht Dr. ULRICH SARTORIUS, Breisach<br />

DEINERT/WELTI (Hrsg.), Stichwortkommentar Behindertenrecht, 2. Aufl. 2018, Nomos, 118 € (als<br />

„Paket Behindertenrecht“ erhält das Werk zusätzlich eine Textsammlung mit Einführungen zum<br />

Behindertengleichstellungsrecht, FREHE/WELTI (Hrsg.), 3. Aufl. 2018, mit CD-Rom, 1611 S., 130 €)<br />

In der arbeits- und sozialrechtlichen Praxis spielt das Behindertenrecht eine große Rolle, was sich<br />

bereits daraus erschließt, dass Ende 2017 in Deutschland rund 7,8 Mio. schwerbehinderte Menschen<br />

(Grad der Behinderung von mindestens 50) lebten, also knapp 10 % der gesamten Bevölkerung<br />

schwerbehindert sind. In der Reihe der Nomos Stichwortkommentare ist nunmehr derjenige zum<br />

Behindertenrecht der Autoren DEINERT/WELTI in aktueller Auflage erschienen. Die Neuauflage ist insbesondere<br />

dem Bundesteilhabegesetz geschuldet, eine der bedeutsamsten Reformen des Behindertenrechts<br />

in jüngerer Zeit. Wesentliche und wichtige Änderungen haben sich ferner im Pflegerecht<br />

ergeben (Pflegestärkungsgesetz I-III). Auch verschiedene neue Gesetze im Gesundheitsrecht haben<br />

Auswirkung auf die Lebenswirklichkeit behinderter Menschen. Die Neuauflage hat alle eingetretenen<br />

Änderungen eingearbeitet und umfasst nahezu 30 neue Stichworte, so Bundesteilhabegesetz,<br />

Inklusionsprojekte, Freiheitsentziehung, leichte Sprache, Prävention, Teilhabeplan. Das von<br />

Herausgeber und Verlag verfolgte Konzept einer nach Lebenssituationen und Bedarfslagen gegliederten<br />

enzyklopädischen Darstellung des gesamten Behindertenrechts, das sich nicht nur auf das SGB<br />

IX beschränkt, sondern umfassend weitere erforderliche Gesetze aller Rechtsgebiete (u.a. Arbeitsrecht,<br />

öffentlich-rechtliche und zivilrechtliche Benachteiligungsverbote, Betreuungsrecht sowie das<br />

jeweilige Verfahrensrecht) einschließt, ist sehr gelungen. Ein gleich strukturierter Themenaufbau<br />

sichert zudem eine schnelle Problemerfassung. Das zusätzlich im „Paket Behindertenrecht“ angebotene<br />

Buch zum Behindertengleichstellungsrecht von FREHE/WELTI enthält eine Vielzahl von Vorschriften<br />

des Bundes und der Länder, die das Recht der Gleichstellung behinderter Menschen regeln<br />

und mehrfach reformiert wurden. Den einzelnen Abschnitten und Unterabschnitten sind jeweils<br />

erläuternde Einleitungen vorangestellt. Das „Paket Behindertenrecht“ bietet, insbesondere für die<br />

anwaltliche Praxis, eine umfassende und verlässliche alphabetische Gesamtdarstellung des Behindertenrechts<br />

und ist sehr zu empfehlen.<br />

RA und FA für Arbeitsrecht und Sozialrecht Dr. ULRICH SARTORIUS, Breisach<br />

1104 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Buchreport<br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

WEINBEER, Die größten Haftungsrisiken des Anwalts, Typische Fälle von A-Z, 1. Aufl. <strong>2019</strong>, Deutscher<br />

Anwaltverlag, 296 S., 44 €<br />

WEINBEER will das anwaltliche Haftungsrecht aus seinem Schattendasein führen. So gibt es nach einer<br />

allgemeinen Einleitung ein Haftungs-ABC, dass sich nach den Schwerpunkten der Haftung richtet und<br />

schließlich – das ist neu – sich in § 3 mit der Risikosteuerung und dem Krisenmanagement vor und im<br />

Schadenfall befasst. In der Einleitung werden die Anspruchsgrundlagen behandelt und das „Gebot des<br />

sichersten Weges“ aufgezeigt. Der Autor kritisiert zu Recht die ausufernde Kasuistik, die seit der<br />

Einführung der Haftpflichtversicherungspflicht von Rechtsanwälten nach seiner Einschätzung unterdessen<br />

schwer zu greifen ist. Er berücksichtigt zudem die Pflichten für eine ordnungsgemäße<br />

Berufsausübung (§ 1 Rn 43), beschreibt die Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsaufklärung und<br />

schließlich der rechtlichen Prüfung. Wie beispielsweise Beratungspflicht oder Belehrungsbedürftigkeit<br />

umgrenzt werden kann, gibt der BGH insoweit vor, als dem Mandanten eine eigene, eigenverantwortliche,<br />

sachgerechte Entscheidung ermöglicht werden soll. Dass dies spiegelbildlich in der<br />

Aufklärungspflicht des Anwalts verortet ist, zeigt auf, wie (zu) weit die Haftung gehen kann. Dass<br />

hierbei einerseits zwar keine Pflicht zur Erstellung einer schriftlichen Beratungsdokumentation besteht,<br />

andererseits aber von WEINBEER die Empfehlung gegeben wird, sich Aufzeichnungen über die<br />

Hinweise und Beratungen zu machen, zeigt wie schwierig es ist, den Pflichten und diesen im<br />

Regressfall beweisrechtlich sicher nachzukommen (§ 1 Rn 63, 72, 74 ff.). Der Bereich der Fristen ist ein<br />

besonderer Schwerpunkt (§ 2 Rn 340 ff.) des Werks. Der Autor nimmt zudem verschiedene Rechtsgebiete<br />

in ihren Besonderheiten in den Blick, beispielsweise die Mediation (§ 2 Rn 615). Auch in den<br />

eher allg. Rechtsgebieten des Verkehrsrechts wie auch des Strafrechts weist er auf die Schwierigkeiten<br />

eines Vergleichs einerseits hin, andererseits auf die Pflichten des Rechtsanwalts, umfassend zu<br />

beraten und sogar das Gericht auf besonders gravierende beamtenrechtliche Nebenfolgen hinzuweisen<br />

(§ 2 Rn 809). Hervorzuheben ist, dass der Vertreter des Privat- oder Nebenklägers nicht von<br />

dem Verbot der Zurechnung von Anwaltsverschulden im Strafverfahren umfasst ist, mithin sogar<br />

haftet (§ 2 Rn 798). Besonders lesenswert ist der Abschnitt über die Risikosteuerung und das<br />

Krisenmanagement. Darin weist der Autor ausdrücklich darauf hin, dass es geboten ist, den Versicherer<br />

rechtzeitig (Wochenfrist!) miteinzubeziehen und insbesondere nicht etwaige Anerkenntnisse<br />

von Regressansprüchen vorzunehmen (§ 3 Rn 34 ff., 47). Es bleibt daher festzuhalten, dass die<br />

Anschaffung dieses Buchs einen ersten Einstieg in das Haftungsrecht geben kann. Insbesondere bei<br />

Rechtsschutzversicherungsmandaten sind die Ausführungen des Autors für die zukünftige Mandatsgestaltung<br />

hilfreich (§ 2 Rn 854 ff., 870) und lohnen den Anschaffungspreis. Eine eindeutige Kaufempfehlung.<br />

RAin und FAin für Straf- und für Verkehrsrecht, zertifizierte Mediatorin/Coach GESINE REISERT, Berlin<br />

HOHENSEE/GEORGY, Stressmanagement für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, Emotionale<br />

Kompetenz gewinnen – souverän auftreten, 1. Aufl. <strong>2019</strong>, Deutscher Anwaltverlag, 112 S., 39 €<br />

In dem etwas mehr als 100 Seiten fassenden Buch haben die beiden Autoren HOHENSEE und GEORGY sich<br />

zum Ziel gesetzt, nach Sinn und Gerechtigkeit des Anwaltsberufs zu fragen und vielleicht gerade die sehr<br />

Sensiblen dabei zu ermutigen: Denn Zeit- bzw. Stressmanagement begleiten den physischen und auch<br />

psychischen beruflichen Erfolg von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten. So gehen die Autoren<br />

zunächst der Frage nach, wie der Anwaltsberuf ausgestaltet ist und wie das Berufsumfeld, aber auch die<br />

Anwälte und Anwältinnen selbst in dieses Feld eingebunden sind. Mit Humor bieten sie verschiedene<br />

Anwaltstypen an, deren Strategien im Berufsleben auf Dauer nicht wirklich hilfreich sind. Vom<br />

Choleriker zum Ignoranten, vom „Aufschieber“ zum Erfolgstyp und schließlich bis zum „Aufgeber“ (§ 2 D)<br />

werden diese Anwaltstypen beschrieben. Mit Blick auf die innere Achtsamkeit, aber auch auf die<br />

Gelassenheit werden immer wieder kleine Übungen angeboten, die den Lesenden die Möglichkeit<br />

eröffnen, ihre bisherigen Routinen infrage zu stellen und neue Wege zu denken. So wird beispielsweise<br />

die Akzeptanz- und Commitment-Therapie ebenso wie die kognitive Therapie dargestellt (vgl. § 5), um<br />

Stressabbau zu fördern und Zielfokussierung zu erreichen. Schließlich setzen sich HOHENSEE/GEORGY in<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1105


Buchreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

einem Kapitel damit auseinander, wie Stresssituationen souverän bewältigt werden könnten: So weisen<br />

sie richtigerweise darauf hin, dass die Mandanten niemals Auslöser, sondern allenfalls Anlass für Stress<br />

sein können. Denn der Mandant hat nicht die Macht, Stress in uns hervorzurufen, sondern wir selbst<br />

sind es, die sich Stress machen. Schließlich bewerten wir allein für uns, wie wir eine Situation sehen<br />

(s. auch § 4 D.). Hierbei arbeiten die Autoren mit dem „ABC der Gefühle“ –einem Tool, das anschaulich<br />

den Weg weisen kann. Ebenfalls behandelt werden aggressive Kollegen, hierarchische Richtergremien,<br />

unfähige Mitarbeitende und auch Honorarfragen. Haftpflichtfragen (§ 6 D), die den Anwalt betreffen<br />

können, werden beispielhaft angeführt. Es werden aber nicht nur Hilfestellungen und Perspektivwechsel<br />

angeboten, die in schwierigen Situationen auftreten, sondern HOHENSEE/GEORGY versuchen zudem, Hilfestellungen<br />

dahingehend zu geben, wie man zum einen sinnvoll streiten und zum anderen insgesamt<br />

seine Kommunikationsfähigkeiten ausbaut und auf kluge Weise nutzen könnte. Außerdem werden auch<br />

Hinweise dazu gegeben, wie das eigene Zeitmanagement gesundheitsfördernd eingesetzt werden kann.<br />

Es gibt wenige Bücher, die Rezensenten auf dem juristischen Markt vollständig lesen dürften. Dieses<br />

Buch habe ich vollständig gelesen. Es mag zwar sein, dass nicht jeder die Schilderungen der Autoren aus<br />

ihren eigenen beruflichen Erfahrungen wertschätzen werden; allerdings erleichtern sie das Lesen und<br />

ermöglichen, sich entweder von den gemachten Erfahrungen zu distanzieren oder aber sich damit zu<br />

identifizieren. Das Buch will sich stilistisch dem Anspruch juristischer, wissenschaftlicher Fachliteratur<br />

nicht unterwerfen. Wer sich jedoch auf den Rhythmus des Buchs einlässt, wird in jedem Falle davon<br />

profitieren. Ich hätte mir allerdings gewünscht, dass das Buch in einem „Pocketformat“ erscheint, damit<br />

Lesende es immer (wieder) situationsbedingt zur Hand nehmen können. Kurz: Kaufen!<br />

RAin und FAin für Straf- und für Verkehrsrecht, zertifizierte Mediatorin/Coach GESINE REISERT, Berlin<br />

BRAEGELMANN/KAULARTZ, Rechtshandbuch Smart Contracts, 1. Aufl. <strong>2019</strong>, C.H.Beck, 274 S., 89 €<br />

Die hohe Kunst der Vertragsgestaltung – wie wäre es, wenn man sie noch einen Schritt weiterführen<br />

und auf das nächste Level bringen würde? Verträge könnten sich selbst überprüfen, ausführen und<br />

zum Teil sogar selbstständig handeln. Geht nicht? Geht doch! Und gibt es sogar schon, nämlich in<br />

Form sog. Smart Contracts. Das bedeutet nicht, dass man Verträge, die in Papierform vorliegen,<br />

einscannt und so beispielsweise als PDF-Datei digitalisiert. Smart Contracts verfolgen einen anderen<br />

Ansatz: Sie bestehen nicht nur aus reinem Text, sondern zusätzlich aus Programmcode. Dadurch<br />

können sie automatisiert und mit bestimmten Funktionen versehen werden. Praktische Anwendungsfälle<br />

von solchen „cleveren Verträgen“ gibt es etwa bei Wohnungsmietverhältnissen oder auch<br />

in der Versicherungs- bzw. Finanzdienstleistungsbranche. Im „Rechtshandbuch Smart Contracts“<br />

von BRAEGELMANN/KAULARTZ wird das Thema umfassend beleuchtet, von Bitcoins und Blockchain über<br />

Kryptografie bis hin zu dezentralen Netzen. Es werden natürlich alle einschlägigen Rechtsgebiete<br />

behandelt, u.a. das AGB-Recht, Insolvenzrecht, Zwangsvollstreckung, geistiges Eigentum sowie<br />

Daten- und Verbraucherschutz. Natürlich kommen auch die technischen Aspekte nicht zu kurz, die<br />

u.a. am Beispiel des ERC20-Standards näher beleuchtet werden. Sogar ein Code-Beispiel findet sich<br />

in dem wirklich lesenswerten Werk. Abgerundet wird der Inhalt durch ein Kapitel zu den Themen<br />

Risikopotenzial und Konfliktlösung. Und auch die Problematik einzelner Formvorschriften (Schriftform,<br />

Textform, notarielle Beglaubigung) wird eingehend behandelt. Zielsetzung von Smart Contracts<br />

ist letztlich, dass sie den Vertragsparteien, Rechtsanwälten und anderen in sonstiger Weise involvierten<br />

Dritten einen echten Mehrwert bieten. Denn normalerweise wird ein Vertrag am Rechner<br />

verfasst, ausgedruckt, unterzeichnet, anschließend eingescannt und als Datei wieder im Rechner<br />

abgelegt. Einen Schritt weiter muss man heutzutage in manchen Fällen schon gehen, wenn man<br />

Dokumente im elektronischen Rechtsverkehr nutzen möchte. Denn dann müssen bestimmte Dateiformate<br />

zum Einsatz kommen, in Form von durchsuchbaren PDFs. Zusätzlich muss bei der Übertragung<br />

z.B. mittels beA u.U. eine digitale Signatur angebracht werden. Letztlich müssen Verträge<br />

aber nach wie vor durchgelesen, verstanden und angewandt werden. Das heißt im Regelfall: Vertrag<br />

raussuchen und viele Seiten durchforsten. Abgesehen davon muss man sich im Vorfeld auch erst<br />

einmal daran erinnern, dass ein Vertrag geschlossen wurde. Das mag banal klingen, ist aber bei älteren,<br />

ggf. schon mehrere Jahre zurückliegenden Vertragswerken durchaus eine nicht zu unterschätzende<br />

Herausforderung. All diesen Nachteilen sollen mit Hilfe von Smart Contracts begegnet werden.<br />

Sicherlich funktioniert das (noch) nicht in allen Bereichen, ist aber ein vielversprechender Ansatz. Wer<br />

1106 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


<strong>ZAP</strong><br />

Buchreport<br />

sich mit den rechtlichen Rahmenbedingungen solcher modernen Werke befassen will oder muss,<br />

findet im „Rechtshandbuch Smart Contracts“ einen spannenden Einstieg und zugleich einen sehr<br />

guten Überblick der Materie. Ein erstes und wichtiges Buch zu einem so wichtigen Zukunftsthema,<br />

was eigentlich schon längst zur Gegenwart gehört.<br />

RA MICHAEL ROHRLICH, Würselen<br />

HEINRICH/KIEFNER/GABEL, Rechtshandbuch Cyber Security, 1. Aufl. <strong>2019</strong>, dfv Mediengruppe/R&W<br />

Fachmedien Recht und Wirtschaft, 470 S., 98 €<br />

Das „Rechtshandbuch Cyber-Security“, herausgegeben von GABEL/HEINRICH/KIEFNER, behandelt ein<br />

Thema, das in Zeiten der Digitalisierung nicht zu unterschätzen ist, welches aber im Grunde erst durch<br />

die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) so richtig Fahrt aufgenommen hat. Sagen Ihnen die<br />

Begriffe „Internet of things (IoT)“, „Ransomware“, „CEO-Fraud“ oder „DDoS-Attacken“ etwas? Als<br />

Unternehmer bzw. als Rechtsanwalt, der Unternehmer berät, sollten sie das aber. Denn dabei handelt<br />

es sich – mit Ausnahme von IoT – um sehr reale Bedrohungen der heutigen Zeit. Die Abschnitte zu<br />

den zivilrechtlichen Haftungsrisiken sowie zum Versicherungsrecht bieten hierzu einen sehr guten<br />

Überblick sowie auch einen Einstieg in die zum Teil recht unübersichtliche Materie. Das Buch hält, was<br />

sein Cover verspricht, denn dort sind die entscheidenden Inhalte aufgelistet. IT-Sicherheit, Datenschutz,<br />

Gesellschaftsrecht, Compliance, M&A, Versicherungen, Aufsichtsrecht, Arbeitsrecht und Litigation<br />

– all diese Punkte und noch mehr werden im „Rechtshandbuch Cyber-Security“ besprochen.<br />

Schon daran merkt man, dass es sich bei der Cyber-Sicherheit um eine Querschnittsmaterie handelt,<br />

die verschiedene Bereiche und Problemstellungen aufweist. Und trotzdem oder gerade deswegen ist<br />

dieser Ratgeber so wichtig für alle Rechtsanwälte, die in einem oder mehreren der Bereiche tätig sind.<br />

Denn alle behandelten Themenkomplexe zählen zu den essenziellen Pflichten eines Unternehmens<br />

und sind damit zwangsweise auch Gegenstand täglicher Rechtsberatung. Die im Werk umgesetzte<br />

rechtsgebietsübergreifende Darstellung behandelt alle wichtigen Aspekte. In den einzelnen Kapiteln<br />

wird oftmals zwischen den rechtlichen Anforderungen an eine Vorbeugung („Preparedness“) und<br />

solchen für den Ernstfall („Response“) differenziert. Dieses Werk hält neben den gut geschriebenen<br />

sowie fundierten Ausführungen auch diverse Checklisten in Gestalt eines ganzen Kapitels bereit.<br />

Als besonders positiv zu vermerken ist hierbei der Umstand, dass dieses Kapitel – wie die anderen<br />

auch – eine eigene, vorangestellte Inhaltsübersicht hat, das erleichtert die Handhabung besonders<br />

der Checklisten enorm. Die inhaltliche Spannweite reicht hier vom Datenschutz- und IT-Sicherheitsrecht,<br />

über Arbeits- und Versicherungsrecht bis hin zum Kartell- und Vergaberecht. Ebenfalls praktisch:<br />

Länderberichte zu USA, Großbritannien und China. Dieses Werk behandelt das vielschichtige<br />

Thema Cyber-Security mit der gebotenen Sorgfalt, in bemerkenswertem Umfang, allerdings natürlich<br />

nicht für alle Teilbereiche bis in die Tiefe erschöpfend. Bei Anwälten, die Mandate in diesem Bereich<br />

haben, sollte sich dieses Rechtshandbuch auf jeden Fall im Regal wiederfinden.<br />

RA MICHAEL ROHRLICH, Würselen<br />

GOLLAND, Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken, dfv Mediengruppe/R&W Fachmedien Recht<br />

und Wirtschaft, 1. Aufl. <strong>2019</strong>, 396 S., 124 €<br />

Eine Internetseite ist für Rechtsanwälte heutzutage selbstverständlich, es gibt wohl kaum noch<br />

Kollegen, die nicht zumindest eine kleine „virtuelle Visitenkarte“ haben. Eine Präsenz in den sozialen<br />

Netzwerken, wie Facebook, Twitter, LinkedIn, Youtube & Co. ist hingegen (noch) keine Selbstverständlichkeit<br />

unseres Berufsstands. Dabei kann eine gute Social-Media-Strategie durchaus sinnvoll<br />

sein und letztlich auch zu mehr Mandaten, zumindest aber zu mehr Aufmerksamkeit und Anfragen<br />

führen. Selbstverständlich ist hierbei der rechtliche Rahmen zu beachten, primär für die berufsrechtlichen,<br />

aber auch die datenschutzrechtlichen Aspekte. Und für das letztgenannte Thema bietet das Werk<br />

„Datenverarbeitung in sozialen Netzwerken“ von ALEXANDER GOLLAND eine wertvolle Lektüre. Nach einer<br />

Einführung in Bezug auf Natur und Technik verschiedener sozialer Netzwerke gelingt dem Werk der<br />

Einstieg in die (datenschutz-)rechtlichen Grundlagen lesenswert. Der Schreibstil ist sowohl (natürlich)<br />

juristisch fundiert, zugleich aber sehr gut lesbar und verständlich, auch für Laien auf diesem Gebiet. Ein<br />

nicht unerheblicher, weil aktuell in Rechtsprechung und Literatur stark diskutierter Gesichtspunkt wird<br />

in Kapitel 3 behandelt – die Verantwortlichkeit für den Umgang mit personenbezogenen Daten im<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1107


Buchreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

datenschutzrechtlichen Sinne. Ist der Betreiber des sozialen Netzwerks in der Verantwortung oder der<br />

einzelne Profil-Betreiber? Oder besteht eine gemeinsame Verantwortlichkeit und wenn ja, mit welchen<br />

Anteilen? Und wie ist damit umzugehen? Antworten auf diese und noch mehr Fragen werden ausführlich<br />

erörtert. Eine andere, nicht unerhebliche Frage sowie entsprechende Lösungen enthält Kapitel<br />

4, denn hier geht es um die Zulässigkeit der Datenverarbeitung im Social-Media-Umfeld. Wichtige<br />

Einzelaspekte, wie das Gebot der Datenminimierung, der Problemkreis zum Recht auf Datenportabilität<br />

oder auch zum Löschungsanspruch, werden in Kapitel 5 ausgeführt. Dieses Werk darf dann nicht fehlen,<br />

wenn man sich datenschutzrechtlich mit den sozialen Medien näher befasst. Es ist nicht unbedingt ein<br />

„Schnäppchen“, aber dennoch eine klare Kaufempfehlung.<br />

RA MICHAEL ROHRLICH, Würselen<br />

Anwaltsformulare<br />

KRUG/RUDOLF/KROIß/BITTLER, Anwaltsformulare Erbrecht, 6. Aufl. 2018, zerb Verlag, 2416 S., 139 €<br />

Das Werk „Anwaltsformulare Erbrecht“ bietet durch seine Muster, Formulare und Verträge einen<br />

zeitsparenden und erfolgreichen Einstieg in das erbrechtliche Mandat. Die Anzahl der Muster und<br />

Formulare können aufgrund ihres Umfangs an dieser Stelle nicht dargestellt werden. Es wird aber<br />

jeder Beratungssituation im erbrechtlichen Mandat Genüge getan. Die Formulierungsbeispiele können<br />

aufgrund der beigefügten CD-ROM sofort verwendet werden, wodurch die Bearbeitung des<br />

Mandats ohne Zeitverlust erfolgen kann. Die 6. Auflage hat die Formulierungsbeispiele an die aktuelle<br />

Rechtsprechung angepasst. Zudem wurde das Werk um die Europäische Erbrechtsverordnung sowie<br />

das internationale Erbrechtsverfahrensgesetz vom 29.6.2015 erweitert. Die Anwaltsformulare Erbrecht<br />

als Standardwerk auf diesem Gebiet ermöglicht dem im Erbrecht tätigen Rechtsanwalt, unabhängig<br />

davon, ob es um einen Berufseinsteiger oder erfahrenen Praktiker handelt, ein Nachschlagewerk<br />

für alle Fälle. Das Werk in seiner aktualisierten Auflage ist eine wertvolle Ergänzung und<br />

ein praktisches Hilfsmittel bei der Bearbeitung erbrechtlicher Fälle. Es sollte in keinem erbrechtlichen<br />

Bücherregal fehlen.<br />

RA Dr. LUTZ FÖRSTER, Brühl<br />

SAMIMI, AnwaltFormulare Rechtsschutzversicherung, 4. Aufl. <strong>2019</strong>, Deutscher Anwaltverlag,<br />

388 S., 69 €<br />

SAMIMIS Werk erscheint nun schon in der 4. Aufl. und zeigt das Bedürfnis nach praktischer Handhabe<br />

zwischen der Anwaltschaft und Rechtsschutzversicherern. Schöner geworden ist die Ausgabe schon<br />

deshalb, weil sie in einem anderen Format gestaltet ist und dem Buch eine CD-ROM mit den<br />

entsprechenden Textmustern beigefügt ist, was die Anwendung erleichtert. Insbesondere die Einleitung<br />

ist für den mit Rechtsschutzversicherungen befassten Praktiker wichtig, führt sie die wesentlichen<br />

letzten Änderungen bis September 2018 zusammen. Unklar ist zwar, weshalb zum Autor und zu den<br />

Vorauflagen in dem Buch selbst Ausführungen gemacht werden, allerdings versucht der Autor wohl,<br />

sich einen Überblick über das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Rechtsschutzversicherung zu<br />

erhalten, so dass man ihm eine Umfrage zusenden kann. Wichtig, vielen leider auch unbekannt, ist das<br />

Quotenvorrecht (§ 9), das auch im Bereich der Rechtsschutzversicherung anerkannt ist und dazu führt,<br />

dass bei Kostenerstattung durch die Gegenseite sich zunächst der Versicherungsnehmer befriedigen<br />

darf und ein Abzug der Selbstbeteiligung von dem Erstattungsanspruch nicht greift. Ausführlich widmet<br />

sich der Autor der Deckungsklage (§ 11) gegen den Rechtsschutzversicherer, der nicht nur prozessrechtlichen<br />

Fragestellungen, sondern ebenfalls Musterklagen und Urteile offeriert. Schließlich sind in<br />

einem sehr umfangreichen Anhang neben den Kontaktdaten der Rechtsschutzversicherungen auch die<br />

Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung enthalten, um einen schnellen Zugriff auf<br />

die jeweils zwischen den Vertragsparteien bestehenden Regelungen zurückzugreifen. Das Buch von<br />

SAMIMI hilft dem Anfänger wie dem Profi in den Fragen der Auseinandersetzung im Rechtsschutzversicherungsvertrag.<br />

RAin und FAin für Straf- und für Verkehrsrecht, zertifizierte Mediatorin/Coach GESINE REISERT, Berlin<br />

1108 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 159<br />

Eilnachrichten<br />

Volltext-Service: Die Entscheidungsvolltexte zu den <strong>ZAP</strong> Eilnachrichten können Sie online kostenlos bei<br />

unserem Kooperationspartner juris abrufen, Anmeldung unter www.juris.de. Einzelheiten zum Anmeldevorgang<br />

finden Sie auf unserer Homepage www.zap-verlag.de/service. Sie sind Neu-Abonnent? Dann<br />

schicken Sie bitte eine E-Mail mit dem Betreff „Neu-Abonnement“ an freischaltcode-zap@zap-verlag.de<br />

und erhalten so Ihre Zugangsdaten.<br />

Allgemeines Zivilrecht<br />

Auswilderung von Tieren: Wiedererlangen der Freiheit<br />

(BGH, Urt. v. 19.7.<strong>2019</strong> – V ZR 177/17) • Solange der Besitzer eines im Rahmen eines Auswilderungsprogramms<br />

freigesetzten Tiers (hier: Wisent) dessen Verbleib mit dem Ziel beobachtet und überwacht,<br />

seinen – wenn auch gelockerten – Besitz zu erhalten, und ihm das Einfangen möglich wäre, hat das Tier<br />

nicht i.S.v. § 960 Abs. 2 BGB die Freiheit wiedererlangt; es wird (noch) nicht herrenlos, solange die<br />

Entscheidung darüber vorbereitet wird, ob das Tier die Freiheit wiedererlangen soll. Führt ein privater<br />

Träger eine Maßnahme des Vertragsnaturschutzes (hier: Wiederansiedlung von Wisenten) in eigener<br />

Verantwortung, aber auf der Grundlage eines hinreichend konkreten staatlichen Regelungskonzepts<br />

durch, können private Grundstückseigentümer gem. § 65 Abs. 1 S. 1 BNatSchG zur Duldung der<br />

Maßnahme verpflichtet sein. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 613/<strong>2019</strong><br />

Hecke als Grundstückseinfriedung: Ortsübliche Höhe<br />

(AG Brandenburg, Urt. v. 27.9.<strong>2019</strong> – 31 C 272/17) • Zwar soll eine Hecke i.d.R. höchstens dreimal so hoch<br />

sein wie ihr Abstand zu dem Grundstück des Nachbarn (§ 37 Abs. 1 Nr. 3 BbgNRG); stellt diese Hecke<br />

aber zugleich auch eine Einfriedung des Grundstücks dar, kann ihre Beschaffenheit gem. § 32 BbgNRG<br />

auch dergestalt „ortsüblich“ sein, so dass diese Hecke dann auch zumindest bis zur Höhe der dort in<br />

diesem Gebiet ortsüblichen (Hecken-)Einfriedungen wachsen darf (§ 1004 BGB, § 39 S. 2 BbgNRG).<br />

Hinweis: Hier ging es um den Rückschnitt von Thuja- und Buchen-Heckenpflanzen (welche in einem<br />

Abstand von weniger als zwei Metern zu der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf dem Grundstück<br />

standen). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 614/<strong>2019</strong><br />

Kaufvertragsrecht<br />

Dieselskandal: Deliktische Haftung des Herstellers<br />

(OLG Frankfurt, Beschl. v. 25.9.<strong>2019</strong> – 17 U 45/19) • Manipulationen und falsche Angaben, mit denen<br />

gegenüber Behörden die Einhaltung rechtlicher Vorgaben vorgespiegelt wird, begründen Schadenersatzansprüche<br />

dritter Personen, wenn deren Vermögensinteressen sehenden Auges gefährdet werden, darin<br />

eine besondere Bedenkenlosigkeit ihnen gegenüber zum Ausdruck kommt und die Sittenwidrigkeit gerade<br />

im Verhältnis zum Geschädigten besteht (Anschluss an BGH, Urt. v. 20.11.1990 – VI ZR 6/90 Rn 17 f.; Urt. v.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1109


Fach 1, Seite 160 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />

20.10.1992 – VI ZR 361/91 Rn 14). Dies ist der Fall im Verhältnis zu den Käufern bei der Entwicklung und dem<br />

Inverkehrbringen eines mit dem Motor EA 189 ausgestatteten Fahrzeugs, das zur Erlangung einer EG-<br />

Typgenehmigung mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 615/<strong>2019</strong><br />

Miete/Nutzungen<br />

Wohnraumkündigung: Wahrheitswidrige Behauptung von Eigenbedarf<br />

(LG Berlin, Urt. v. 10.9.<strong>2019</strong> – 67 S 149/19) • Im Räumungsprozess kann der Vermieter den Vollbeweis<br />

des von ihm behaupteten Eigenbedarfs i.d.R. nicht führen, wenn sich erweist, dass entweder er selbst<br />

oder die als Zeuge benannte Bedarfsperson – im Rahmen der Beweiserhebung – im Detail die Unwahrheit<br />

bekundet haben. Begründet der Vermieter den Eigenbedarf mit dem – dringenden – Bedürfnis<br />

eines Umzugs aus einer anderen Gemeinde an den Ort der Mietsache, spricht es indiziell gegen<br />

den von ihm behaupteten Eigenbedarf, wenn die Bedarfsperson nach Ausspruch der Kündigung und<br />

zeitlich unabsehbarer Vorenthaltung der Mietsache durch den Mieter nicht den Versuch einer<br />

alternativen Begründung eines Wohnsitzes am Ort der Mietsache unternimmt. Etwas anderes gilt<br />

nur, wenn der Bezug einer zeitweiligen Ersatzunterkunft aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen<br />

untunlich ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 616/<strong>2019</strong><br />

Bauvertragsrecht<br />

Architektenpflichten: Planungsphase<br />

(OLG Celle, Urt. v. 18.9.<strong>2019</strong> – 14 U 30/19) • Der Architekt schuldet in der Planungsphase eine<br />

umfassende Aufklärung und Beratung sowie die Prüfung von Alternativen; etwaige Zustimmungen<br />

des Bauherrn zu bestimmten Planungen schließen nur dann einen Mangel aus, wenn der Architekt<br />

den Bauherrn vorher aufgeklärt und belehrt hat. Das Überwachen der festgestellten Mängel ist<br />

Grundleistung des Architekten i.R.d. Leistungsphase 8, soweit die Mängel bis zur Abnahme aufgetreten<br />

sind. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 617/<strong>2019</strong><br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

Beschlussmängelklage: Notwendige Streitgenossenschaft<br />

(LG Berlin, Urt. v. 20.8.<strong>2019</strong> – 55 S 99/18 WEG) • Bei einer Beschlussmängelklage sind die beklagten<br />

Wohnungseigentümer notwendige Streitgenossen i.S.v. § 62 ZPO. Daher entfaltet ein prozessuales<br />

Anerkenntnis die mit ihm beabsichtigten Wirkungen nur, wenn es durch alle Streitgenossen erklärt wird.<br />

Entsprechendes gilt im Anwendungsbereich des § <strong>21</strong> Abs. 4 und 8 WEG, da die Entscheidung des Gerichts<br />

auch insoweit auf eine Rechtsgestaltung abzielt und im Verhältnis der am Rechtsstreit beteiligten<br />

Wohnungseigentümer nur einheitlich ergehen kann. Ein auf Zustimmung zu einem Beschlussantrag<br />

(oder auf Zustimmung der übrigen Wohnungseigentümer zu der Durchführung einer bestimmten<br />

Maßnahme) gerichteter Klageantrag ist regelmäßig als Antrag auf gerichtliche Beschlussersetzung gem.<br />

§ <strong>21</strong> Abs. 8 WEG auszulegen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 618/<strong>2019</strong><br />

Bank- und Kreditwesen<br />

Kapitalanlageberatung: Ordnungsgemäße Risikoaufklärung<br />

(BGH, Urt. v. 15.8.<strong>2019</strong> – III ZR 205/17) • Verlangt der Anleger den Ersatz entgangener Anlagezinsen, so<br />

muss er darlegen, für welche konkrete Form der Kapitalanlage er sich alternativ entschieden hätte<br />

1110 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 161<br />

(Bestätigung von Senat, Urt. v. 16.5.<strong>2019</strong> – III ZR 176/18, WM <strong>2019</strong>, 1203, 1207 Rn 30 und Anschluss<br />

an BGH, Urt. v. 24.4.2012 – XI ZR 360/11, NJW 2012, 2266 Rn 13). Hinweis: Der BGH geht in dieser<br />

Entscheidung auch auf die Voraussetzungen für die Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten ein.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 619/<strong>2019</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

Kollision von Fahrrad und Fußgänger: Für Fahrradfahrer freigebenener Gehweg<br />

(OLG Celle, Beschl. v. 19.8.<strong>2019</strong> – 14 U 141/19) • Auf einem Sonderweg, der eine Mischung des<br />

Radverkehrs mit den Fußgängern auf einer gemeinsamen Verkehrsfläche bewirkt, haben Radfahrer<br />

auf Fußgänger Rücksicht zu nehmen. Radfahrer haben auf solchen Wegen die Belange der Fußgänger<br />

besonders zu berücksichtigen. Insbesondere bei einer unklaren Verkehrslage muss ggf. per Blickkontakt<br />

eine Verständigung mit dem Fußgänger gesucht werden; soweit erforderlich, muss Schrittgeschwindigkeit<br />

gefahren werden, damit ein sofortiges Anhalten möglich ist. Hinweis: Das Zusatzschild „Radfahrer<br />

frei“ gibt dem Radverkehr nur ein Benutzungsrecht auf dem Gehweg und den Belangen der<br />

Fußgänger kommt dann ein besonderes Gewicht zu. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 620/<strong>2019</strong><br />

Fahren über Richtgeschwindigkeit: Bedienen des Navigationssystems<br />

(OLG Nürnberg, Urt. v. 2.5.<strong>2019</strong> – 13 U 1296/17) • Wer ein Kraftfahrzeug mit einem weit über der<br />

Richtgeschwindigkeit liegenden Tempo fährt – hier 200 km/h –, muss in besonderem Maße seine<br />

volle Konzentration auf das Verkehrsgeschehen richten. Schon die kurzzeitige Ablenkung durch Bedienung<br />

des sog. Infotainmentsystems (Navigationssystem) kann bei derartigen Geschwindigkeiten<br />

den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begründen, mit der Folge eines zumindest teilweisen Verlusts<br />

der Haftungsfreistellung in den einer Kaskoversicherung nachgebildeten Bedingungen eines Mietvertrags.<br />

Das Vorhandensein eines sog. Spurhalteassistenten reduziert den in einem entsprechenden<br />

Verhalten liegenden Schuldvorwurf zumindest bei derartig hohen Geschwindigkeiten nicht.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 6<strong>21</strong>/<strong>2019</strong><br />

Versicherungsrecht<br />

Unfallversicherung: Fehlender Neubemessungsvorbehalt<br />

(BGH, Urt. v. 11.9.<strong>2019</strong> – IV ZR 20/18) • Das Fehlen eines Neubemessungsvorbehalts i.S.v. Ziff. 9.4 S. 3 AUB<br />

in der Erklärung des Unfallversicherers über die Leistungspflicht zur Erstbemessung der Invalidität nach<br />

Ziff. 9.1 S. 1 AUB führt nicht zu seiner Bindung an diese Erklärung im Verfahren der Erstbemessung. Der<br />

Rückforderung einer Invaliditätsleistung aufgrund geänderter Erstbemessung der Invalidität kann aber<br />

der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenstehen, wenn der Versicherer in der vorgenannten<br />

Erklärung nach Ziff. 9.1 S. 1 AUB den Eindruck erweckt, die Höhe der vertraglich geschuldeten Leistung<br />

endgültig klären zu wollen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 622/<strong>2019</strong><br />

Familienrecht<br />

Vaterschaftsfeststellungsantrag im Ausland: Vaterschaftsanfechtung<br />

(OLG Hamburg, Beschl. v. 4.9.<strong>2019</strong> – 12 UF 82/17) • Ein (im Ausland eingeleiteter) Vaterschaftsfeststellungsantrag<br />

hat nicht denselben Streitgegenstand wie ein Vaterschaftsanfechtungsantrag gem.<br />

§ 1600 Abs. 1 Nr. 2 BGB. Zwar umfasst ein Vaterschaftsanfechtungsantrag gem. § 182 Abs. 1 FamFG<br />

auch die Feststellung der Vaterschaft. Eine Anfechtung der Vaterschaft ohne eine Feststellung der<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1111


Fach 1, Seite 162 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />

Vaterschaft ist dem leiblichen Vater jedoch nicht möglich. Da die Anfechtung der bisherigen Vaterschaft<br />

und die Feststellung der neuen Vaterschaft nur gemeinsam festgestellt werden können, sind<br />

die Streitgegenstände nicht identisch. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 623/<strong>2019</strong><br />

Nachlass/Erbrecht<br />

Übertragung von Erbteilen: Materielle Berechtigung<br />

(KG, Beschl. v. 3.9.<strong>2019</strong> – 1 W 171/19) • Werden nach dem Tod des eingetragenen Berechtigten Erbteile<br />

(auf Miterben oder Dritte) übertragen, sind nicht die Erben, sondern stets diejenigen Personen zu<br />

buchen, die zum Zeitpunkt der Grundbuchberichtigung materiell berechtigt sind. Bei mehrfachem<br />

Rechtsübergang außerhalb des Grundbuchs ist der Anwendungsbereich von § 39 Abs. 1 GBO nicht<br />

eröffnet und berichtigend nur der aktuelle Rechtsinhaber einzutragen. Hinweis: Fortführung von KGJ<br />

38, A <strong>21</strong>2, <strong>21</strong>7 f.; entgegen BayObLG, NJW-RR 1995, 272; OLG München, FGPrax 2006, 148; Abgrenzung<br />

von OLG Nürnberg, FGPrax 2014, 17; OLG Köln, NJW-RR 2018, 392; OLG München, NJW-RR 2018, 645.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 624/<strong>2019</strong><br />

Zivilprozessrecht<br />

Erfolgsaussicht für ein Mahnverfahren: Widerspruch des Antragsgegners<br />

(BGH, Beschl. v. <strong>21</strong>.8.<strong>2019</strong> – VII ZB 48/16) • Die hinreichende Erfolgsaussicht für ein Mahnverfahren kann<br />

nicht allein deshalb verneint werden, weil ein Widerspruch des Antragsgegners zu erwarten ist. In einem<br />

solchen Fall kann auch nicht ohne Weiteres die Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114<br />

Abs. 2 ZPO) angenommen werden. Hierfür bedarf es vielmehr der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls.<br />

Hinweis: Abgrenzung zu BGH, Beschl. v. 31.8.2017 – III ZB 37/17 Rn 9 f., NJW-RR 2017, 1469;<br />

Beschl. v. 28.11.2017 – X ZA 1/16 und 2/16; Beschl. v. 11.1.2018 – III ZB 87/17 Rn 8, FamRZ 2018, 601).<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 625/<strong>2019</strong><br />

Berufungsbegründungsfrist: Erstmalige Verlängerung<br />

(BGH, Beschl. v. 20.8.<strong>2019</strong> – X ZB 13/18) • Der Rechtsmittelführer darf die Verlängerung der Frist zur<br />

Berufungsbegründung nur dann erwarten, wenn es sich um den ersten Verlängerungsantrag handelt<br />

und er in dem Antrag erhebliche Gründe für die beantragte Verlängerung darlegt. Hinweis: Der<br />

Formulierung, der Antrag werde „vorsorglich“ gestellt, ist nicht zu entnehmen, aus welchen Gründen<br />

eine Verlängerung beantragt wird. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 626/<strong>2019</strong><br />

Zuständigkeitskonflikt: Beteiligung eines AG<br />

(BayObLG, Beschl. v. 24.9.<strong>2019</strong> – 1 AR 83/19) • Besteht in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, für die sich<br />

der Instanzenzug mangels Sondervorschriften nach den allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen<br />

richtet, ein Zuständigkeitskonflikt, an dem (zumindest auch) ein Amtsgericht beteiligt ist, so ergibt<br />

sich das zur Zuständigkeitsbestimmung berufene Gericht selbst dann nicht aus § 36 Abs. 1 ZPO, wenn<br />

die beteiligten Gerichte im selben Oberlandesgerichtsbezirk liegen; vielmehr greift in dieser Situation<br />

§ 36 Abs. 2 ZPO. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 627/<strong>2019</strong><br />

Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />

Ansprüche nach dem Unterhaltsvorschussgesetz: Anfechtungsgegner<br />

(BGH, Urt. v. 12.9.<strong>2019</strong> – IX ZR 264/18) • In Niedersachsen ist die kommunale Gebietskörperschaft,<br />

welche nach den niedersächsischen Zuständigkeitsregelungen ermächtigt ist, die auf das Land nach<br />

1112 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 163<br />

dem Unterhaltsvorschussgesetz übergegangenen Ansprüche außergerichtlich und gerichtlich geltend<br />

zu machen, Anfechtungsgegner, wenn sie Zahlungen des Unterhaltsschuldners auf die geleisteten Unterhaltsvorschüsse<br />

entgegengenommen hat. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 628/<strong>2019</strong><br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

Konzerngesellschaft: Externes Cash-Management-System<br />

(BGH, Urt. v. 12.9.<strong>2019</strong> – IX ZR 16/18) • Wenn in einem Konzern in gesunden wirtschaftlichen Verhältnissen<br />

ein externes Cash-Management-System in einer Weise eingerichtet und über zehn Jahre<br />

ohne Beanstandungen durchgeführt worden ist, dass eine Konzerngesellschaft über die ganze Zeit die<br />

bei den Konzerngesellschaften eingehenden Gelder gesammelt und die an die Konzerngesellschaften<br />

gerichteten Rechnungen vereinbarungsgemäß auch dann beglichen hat, wenn die internen Verrechnungskonten<br />

der Konzerngesellschaften bei der die Zahlungen vornehmenden Gesellschaft im Soll<br />

standen, weicht die Überweisung eines von einer anderen Konzerngesellschaft geschuldeten Geldbetrags<br />

durch jene Gesellschaft nur geringfügig von der vereinbarten Zahlungsweise ab.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 629/<strong>2019</strong><br />

Erfüllungsort: Gesellschaftssitz<br />

(OLG München, Beschl. v. 12.9.<strong>2019</strong> – 1 AR 87/19) • Erfüllungsort (§ 269 BGB) für die vom Abschlussprüfer<br />

vertraglich zu erbringenden Leistungen ist – vorbehaltlich anderweitiger vertraglicher<br />

Bestimmung – einheitlich der Sitz der zu prüfenden Gesellschaft, weil die Abschlussprüfung (§§ 316 ff.<br />

HGB) die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Gesellschaft vorbereitet und somit sämtliche im<br />

Rahmen der Prüfung anfallende Tätigkeiten unabhängig davon, wo sie im Einzelfall auftreten oder<br />

ausgeführt werden, engsten Bezug zum Sitz der zu prüfenden Gesellschaft haben.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 630/<strong>2019</strong><br />

Wirtschafts-/Urheber-/Medien-/Marken-/Wettbewerbsrecht<br />

Nicht bestellte Dienstleistungen: Aufforderung zur Bezahlung<br />

(BGH, Urt. v. 6.6.<strong>2019</strong> – I ZR <strong>21</strong>6/17) • Die Aufforderung zur Bezahlung nicht bestellter Dienstleistungen<br />

ist als irreführende geschäftliche Handlung i.S.v. § 5 Abs. 1 S. 2 Fall 1 UWG anzusehen, wenn der<br />

angesprochene Verbraucher der Aufforderung die Behauptung entnimmt, er habe die Dienstleistung<br />

bestellt. Einer Unlauterkeit nach § 5 Abs. 1 S. 1 UWG steht nicht entgegen, dass der Unternehmer bei<br />

der Zahlungsaufforderung in der ihm nicht vorwerfbaren irrtümlichen Annahme einer tatsächlich vorliegenden<br />

Bestellung gehandelt hat. Die Aufforderung zur Bezahlung nicht bestellter, aber erbrachter<br />

Dienstleistungen fällt auch dann unter Nr. 29 des Anhangs zu § 3 Abs. 3 UWG, wenn der Unternehmer<br />

irrtümlich von einer Bestellung ausgeht und der Irrtum seine Ursache nicht im Verantwortungsbereich<br />

des Unternehmers hat. Hinweis: Aufgabe von BGH, Urt. v.17.8.2011 – I ZR 134/10, GRUR 2012,<br />

82 Rn 18 – Auftragsbestätigung. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 631/<strong>2019</strong><br />

Werbung für Lebensmittel: Krankheitsbezogene Aussagen<br />

(OLG Frankfurt, Urt. v. 12.9.<strong>2019</strong> – 6 U 114/18) • Die mit übermäßigem Alkoholgenuss verbundenen<br />

Symptome („Alkoholkater“) sind als Krankheit i.S.v. Art. 7 III LMIV einzustufen. Aussagen und Angaben,<br />

wonach ein Lebensmittel geeignet ist, diesen Symptomen vorzubeugen oder diese zu lindern, sind daher<br />

unzulässig. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 632/<strong>2019</strong><br />

Auswahlverfahren: Zurückversetzung<br />

(OLG Celle, Urt. v. 12.9.<strong>2019</strong> – 13 U 41/19 (Kart)) • Die zum Kartellvergaberecht entwickelten Grundsätze<br />

zur Zulässigkeit der Zurückversetzung des Vergabeverfahrens zur Korrektur eines erheblichen Ver-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1113


Fach 1, Seite 164 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />

fahrensfehlers durch den Auftraggeber sind entsprechend auf das Auswahlverfahren zum Abschluss<br />

eines Wegenutzungsvertrags nach §§ 46 f. EnWG zu übertragen. Auch eine Unklarheit der Vergabeunterlagen<br />

kann im Einzelfall einen nur unerheblichen Fehler darstellen und die Zurückversetzung nicht<br />

rechtfertigen, wenn die Unklarheit für jeden Bieter offensichtlich war und als solche hätte gerügt<br />

werden können. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 633/<strong>2019</strong><br />

Arbeitsrecht<br />

Eingruppierung eines Arbeitnehmers: Prognose bei mehreren Tätigkeiten<br />

(BAG, Beschl. 3.7.<strong>2019</strong> – 4 ABR 28/18) • Nach dem Entgeltrahmenabkommen für die Hessische Metallund<br />

Elektroindustrie (TV ERA Hessen) ist Grundlage der Eingruppierung der Beschäftigten die übertragene<br />

und auszuführende Arbeitsaufgabe. Dabei erfolgt eine ganzheitliche Betrachtung, die alle<br />

übertragenen und auszuführenden Tätigkeiten umfasst. Übt ein Beschäftigter dauerhaft mehrere<br />

Tätigkeiten aus, die in verschiedenen Entgeltgruppen beschrieben sind, erfolgt eine Eingruppierung in<br />

diejenige Gruppe, die der gesamten Tätigkeit des Beschäftigten das Gepräge gibt. Wird der Arbeitnehmer<br />

in einem Teilbereich der übertragenen Arbeitsaufgabe zunächst nicht eingesetzt, hat i.R.d.<br />

Zustimmungsersetzungsverfahrens ggf. eine Prognose zu erfolgen, in welchem zeitlichen Umfang die<br />

einzelnen zugewiesenen Tätigkeiten ausgeübt werden sollen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 634/<strong>2019</strong><br />

Sozialrecht<br />

Prozessunfähigkeit: Darlegungsumfang<br />

(BSG, Beschl. v. 19.6.<strong>2019</strong> – B 14 AS 104/18 B) • Wird in einer Nichtzulassungsbeschwerde gerügt, die<br />

Vorinstanzen seien zu Unrecht davon ausgegangen, ein Beteiligter sei bei Abschluss eines Vergleichs<br />

prozessfähig gewesen, so muss in der Beschwerdeschrift substantiiert und schlüssig dargetan werden,<br />

aufgrund welcher Umstände und Anzeichen die Gerichte ernsthafte Zweifel an der Prozessfähigkeit<br />

hätten haben und sich zu entsprechenden Ermittlungen hätten veranlasst sehen müssen.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 635/<strong>2019</strong><br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

Polizeigesetz Brandenburg: Kennzeichnungspflicht für Polizeivollzugsbeamte<br />

(BVerwG, Urt. v. 26.9.<strong>2019</strong> – 2 C 32.18) • Seit dem 1.1.2013 schreibt das Polizeigesetz des Landes<br />

Brandenburg vor, dass uniformierte Polizeivollzugsbedienstete bei Amtshandlungen an ihrer Dienstkleidung<br />

ein Namensschild tragen. Wird der Beamte in einer geschlossenen Einheit (Hundertschaft) eingesetzt,<br />

wird das Namensschild durch eine zur nachträglichen Identitätsfeststellung geeignete Kennzeichnung<br />

ersetzt. Diese gesetzliche Regelung ist verfassungsgemäß. Hinweis: Die Verpflichtung zum<br />

Tragen des Namensschilds greift in das auch Beamten ungeschmälert zustehende Recht auf informationelle<br />

Selbstbestimmung ein, weil sie verpflichtet sind, ihren Nachnamen gegenüber Dritten im Rahmen<br />

von Amtshandlungen zu offenbaren, ist aber verfassungsgemäß. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 636/<strong>2019</strong><br />

Regelung zur Vorratsdatenspeicherung: Vereinbarkeit mit Unionsrecht<br />

(BVerwG, Beschl. v. 25.9.<strong>2019</strong> – 6 C 12.18) • Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dem<br />

Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) eine Frage zur Auslegung der Datenschutzrichtlinie für<br />

elektronische Kommunikation (Richtlinie 2002/58/EG) vorzulegen. Von der Klärung dieser Frage<br />

1114 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Eilnachrichten <strong>2019</strong> Fach 1, Seite 165<br />

hängt die Anwendbarkeit der im Telekommunikationsgesetz enthaltenen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung<br />

ab. Hinweis: Im Ausgangsfall ging es u.a. um die § 113a i.V.m. § 113b TKG – Pflicht zur<br />

anlasslosen Vorratsdatenspeicherung <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 637/<strong>2019</strong><br />

Steuerrecht<br />

Kartellgeldbuße: Abzugsverbot für Geldbußen<br />

(BFH, Urt. v. 22.5.<strong>2019</strong> – XI R 40/17) • Die bloße Heranziehung des tatbezogenen Umsatzes zur<br />

Ermittlung der Höhe einer am maßgeblichen Bilanzstichtag angedrohten und nachfolgend auch<br />

festgesetzten Kartellgeldbuße bewirkt keine Abschöpfung des unrechtmäßig erlangten wirtschaftlichen<br />

Vorteils i.S. des § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 8 S. 4 HalbS. 1 EStG. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 638/<strong>2019</strong><br />

Strafsachen/Ordnungswidrigkeiten<br />

Gefährliche Körperverletzung: Tritt mit dem beschuhten Fuß<br />

(BGH, Beschl. v. 28.8.<strong>2019</strong> – 5 StR 298/18) • Der Einsatz eines beschuhten Fußes kann die Verwendung<br />

eines gefährlichen Werkzeugs i.S.d. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellen. Dabei kann sich die Gefährlichkeit<br />

schon aus der Beschaffenheit des Schuhs oder aus der konkreten Art seiner Verwendung ergeben. Ein<br />

Straßenschuh von üblicher Beschaffenheit ist regelmäßig als gefährliches Werkzeug anzusehen, wenn<br />

damit einem Menschen gegen den Kopf getreten wird. Allerdings muss sich die gesteigerte Gefährlichkeit<br />

der Verletzungshandlung gerade aus dem Einsatz des Schuhs ergeben.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 639/<strong>2019</strong><br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Verständigung: Protokollierung<br />

(BGH, Beschl. v. 30.7.<strong>2019</strong> – 5 StR 288/19) • Wird in der Hauptverhandlung ein Vermerk über ein außerhalb<br />

der Hauptverhandlung geführtes Verständigungsgespräch verlesen, ist der Protokollierungspflicht<br />

des § 273 Abs. 1a S. 2 StPO genügt, wenn der Vermerk durch die Angabe der Aktenfundstelle<br />

unverwechselbar bezeichnet wird. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 640/<strong>2019</strong><br />

Pflichtverteidiger: Jugendlicher<br />

(LG Potsdam, Beschl. v. 18.9.<strong>2019</strong> – 22 Qs <strong>21</strong>/19) • Einem Jugendlichen ist ein Pflichtverteidiger zu bestellen,<br />

wenn zu erwarten ist, dass er sich aufgrund seines Standes im Klassenverband subjektiv in der<br />

Hauptverhandlung, in der seine Mitschüler als Zeugen zu hören sind, einer Vielzahl von Gegnern gegenüber<br />

sieht. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 641/<strong>2019</strong><br />

Beratungshilfe: Erstattung von Fotokopiekosten<br />

(AG Schwerin, Beschl. v. 16.9.<strong>2019</strong> – 18 UR II 2<strong>21</strong>/18 B) • Ein Rechtsanwalt, der seinen Mandanten berät,<br />

um die Reaktion in einem Strafverfahren zu besprechen, benötigt dazu Ablichtungen aus der Ermittlungsakte.<br />

Deshalb besteht auch in Beratungshilfesachen Anspruch auf Erstattung der von dem Rechtsanwalt<br />

gefertigten Fotokopien aus der Staatskasse <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 642/<strong>2019</strong><br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

Anwaltshaftung: Mithaftung eines Partners<br />

(BGH, Urt. v. 12.9.<strong>2019</strong> – IX ZR 190/18) • War ein Partner mit der Bearbeitung eines Auftrags befasst,<br />

endet seine Mithaftung nicht mit der Abgabe des Mandats innerhalb der Partnerschafts-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1115


Fach 1, Seite 166 Eilnachrichten <strong>2019</strong><br />

gesellschaft. Hinweis: Die Vorschrift des § 8 Abs. 2 PartGG begründet nicht die Haftung des einzelnen<br />

Partners, sondern schränkt sie ein. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 643/<strong>2019</strong><br />

Berufungseinlegung über das beA: Überwachungspflichten<br />

(BAG, Beschl. v. 7.8.<strong>2019</strong> – 5 AZB 16/19) • Versendet ein Rechtsanwalt fristwahrende Schriftsätze über<br />

das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) an das Gericht, hat er in seiner Kanzlei das zuständige<br />

Personal dahingehend zu belehren, dass stets der Erhalt der automatisierten Eingangsbestätigung<br />

nach § 46c Abs. 5 S. 2 ArbGG zu kontrollieren ist. Er hat zudem diesbezüglich zumindest<br />

stichprobenweise Überprüfungen durchzuführen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 644/<strong>2019</strong><br />

Gebührenrecht<br />

Gegenstandswert im Asylverfahren: Beschwerde<br />

(OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19.9.<strong>2019</strong> – OVG 3 L 112.19) • Gegen die erstinstanzliche Festsetzung<br />

des Gegenstandswerts in gerichtlichen Verfahren nach dem Asylgesetz ist die Beschwerde statthaft. Der<br />

Beschwerdeausschluss in § 80 AsylG wird durch die Regelung in § 1 Abs. 3 RVG verdrängt.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 645/<strong>2019</strong><br />

EU-Recht/IPR<br />

Cookies: Aktive Einwilligung des Nutzers<br />

(EuGH, Urt. v. 1.10.<strong>2019</strong> – C-673/17) • Das Setzen von Cookies erfordert die aktive Einwilligung des<br />

Internetnutzers. Ein voreingestelltes Ankreuzkästchen genügt daher nicht. Hinweis: Auf eine Vorlage<br />

des BGH hat der Gerichtshof entschieden, dass die für die Speicherung und den Abruf von Cookies auf<br />

dem Gerät des Besuchers einer Website erforderliche Einwilligung durch ein voreingestelltes Ankreuzkästchen,<br />

das der Nutzer zur Verweigerung seiner Einwilligung abwählen muss, nicht wirksam erteilt<br />

wird. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 646/<strong>2019</strong><br />

Suchmaschine: Reichweite einer Auslistung<br />

(EuGH, Urt. v. 24.9.<strong>2019</strong> – C-507/17) • Der Betreiber einer Suchmaschine ist nicht verpflichtet, eine<br />

Auslistung in allen Versionen seiner Suchmaschine vorzunehmen. Er ist jedoch verpflichtet, sie in allen<br />

mitgliedstaatlichen Versionen vorzunehmen und Maßnahmen zu ergreifen, um die Internetnutzer<br />

davon abzuhalten, von einem Mitgliedstaat aus auf die entsprechenden Links in Nicht-EU-Versionen<br />

der Suchmaschine zuzugreifen. Hinweis: In diesem Fall ging es um eine Sanktion i.H.v. 100.000 € gegen<br />

die Google Inc. wegen der Weigerung des Unternehmens, in Fällen, in denen es einem Auslistungsantrag<br />

stattgibt, die Auslistung auf sämtliche Domains seiner Suchmaschine anzuwenden.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 647/<strong>2019</strong><br />

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1116 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 529<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

Rechtsprechung<br />

Rechtsprechungsübersicht zum Straßenverkehrsrecht <strong>2019</strong> – 1. Halbjahr<br />

Von Richter am Amtsgericht Dr. AXEL DEUTSCHER, Bochum<br />

Der Berichtszeitraum umfasst die Zeit von April <strong>2019</strong> bis September <strong>2019</strong>.<br />

Inhalt<br />

I. Zivilrecht<br />

1. Die Betriebsgefahr (§ 7 StVG)<br />

2. Verstöße, Haftungsverteilung und Mitverschulden<br />

(§§ 9, 17 StVG, 254 BGB)<br />

3. Sachschäden (§ 249 BGB)<br />

4. Personenschäden (§ 843 BGB)<br />

5. „E-Scooter“ (§§ 1, 9, 10 eKFV)<br />

II. Strafrecht<br />

1. Trunkenheit im Verkehr, Gefährdung des<br />

Straßenverkehrs (§§ 315c, 316 StGB)<br />

2. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr<br />

(§ 315b StGB)<br />

3. Beteiligung an Autorennen (§ 315d StGB)<br />

4. Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69, 69a<br />

StGB, 111a StPO)<br />

5. Strafrechtliches Fahrverbot (§ 44 StGB)<br />

6. Urkundenfälschung (§ 267 StGB)<br />

III. Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

1. Trunkenheits- und Drogenfahrten<br />

(§ 24a StVG)<br />

2. Das bußgeldrechtliche Fahrverbot<br />

(§§ 25 StVG, 4 BKatV)<br />

3. Geschwindigkeitsverstöße (§ 3 StVO)<br />

4. Benutzung eines elektronischen Geräts<br />

(§ 23 Abs. 1a und 1b StVO)<br />

5. Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse (§ 17 Abs. 3 OWiG)<br />

6. Einziehung des Werts von Taterträgen<br />

(§ 29a OWiG)<br />

7. Abwesenheit des Betroffenen in der<br />

Hauptverhandlung (§§ 73, 74 OWiG)<br />

IV. Fahrerlaubnisrecht<br />

1. „EU-Führerscheintourismus“ (zugleich<br />

Fahren ohne Fahrerlaubnis, § <strong>21</strong> StVG)<br />

2. Entziehung der Fahrerlaubnis (Schwerpunkt:<br />

Alkohol- oder Drogenkonsum)<br />

I. Zivilrecht<br />

1. Die Betriebsgefahr (§ 7 StVG)<br />

Mit diesem Komplex musste sich die Rechtsprechung im Berichtszeitraum häufiger befassen. Bei einem<br />

Brand hervorgerufen durch einen technischen Defekt des Fahrzeugs ist das Schadensgeschehen<br />

auch in einer Garage durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehenden Gefahren geprägt<br />

worden und unterfällt daher der Betriebsgefahr (LG Karlsruhe NZV <strong>2019</strong>, 369 [SCHULZ-MERKEL]). Die<br />

Realisierung des Schadens erst nach einer zeitlichen Verzögerung von eineinhalb Tagen steht der Zurechnung<br />

der Betriebsgefahr i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG nicht entgegen, wenn die beim Betrieb geschaffene<br />

Gefahrenlage solange fort- und nachwirkte. Der haftungsrechtliche Zurechnungszusammenhang<br />

wird durch einen Sorgfaltspflichtverstoß eines mit der Schadensbeseitigung beauftragten Dritten<br />

i.d.R. nicht unterbrochen (BGH NJW <strong>2019</strong>, 2227 m. Anm. HERBERS = DAR <strong>2019</strong>, 447 m. Anm. SCHWAB). In<br />

dem Fall war das verunfallte Kfz zunächst auf das Betriebsgelände eines Abschleppdiensts und von<br />

dort am nächsten Tag zur Werkstatt verbracht worden. Dort wurde von einem Mitarbeiter die<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1117


Fach 9 R, Seite 530<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

Batterie nicht abgeklemmt. In der darauffolgenden Nacht kam es zu einem Kurzschluss, der zu einem<br />

großflächigen Brand in der Werkstattgarage führte (s.a. EuGH DAR <strong>2019</strong>, 445). Wird ein Fahrzeug in<br />

einer Waschanlage auf einem Förderband bewegt, hat die Person im Fahrzeuginneren keinen Einfluss<br />

auf den Waschvorgang und könnte das Fahrzeug in gleicher Weise auch mit vorher ausgebauten<br />

Motor durch die Anlage gezogen werden, dann erfolgt der Abriss einer Antenne und daraus<br />

resultierende Schäden nicht mehr „beim Betrieb“ i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG (LG Dortmund NJW-RR <strong>2019</strong>,<br />

66 = NZV <strong>2019</strong>, 367 [EXTER]).<br />

Der Halter eines im öffentlichen Verkehrsraum abgestellten Lkw haftet für die Gefahren, die während<br />

eines Entladevorgangs von einem auf dem Lkw montierten Ladekran ausgehen (OLG Köln NJW-RR<br />

<strong>2019</strong>, 541 = VRR 6/<strong>2019</strong>, 14 [KNAPPMANN] auf der Grundlage von BGHZ 208, 140 = NJW 2016, 1162). Be- und<br />

Entladevorgänge eines Lkw mittels einer Elektroameise und im Zuge dessen entstandene Schäden<br />

Dritter sind beim Betrieb des Lkw entstanden und können zur Halter- bzw. Fahrerhaftung nach §§ 7, 18<br />

StVG führen (OLG Köln NJW-RR <strong>2019</strong>, 595 = NZV <strong>2019</strong>, 208 [KLEINE-KÖNIG]).<br />

Die bloße Anwesenheit des Fahrers an der Unfallstelle zur Unfallzeit begründet allerdings nicht bereits<br />

dessen Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG. Erforderlich ist vielmehr, dass die Fahrweise oder der Betrieb dieses<br />

Fahrzeugs zu dem Entstehen des Unfalls beigetragen haben. Andererseits hängt die Haftung gem. § 7<br />

StVG nicht davon ab, ob sich die im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeuge berühren (berührungsloser<br />

Unfall; OLG Hamm NJW-RR <strong>2019</strong>, 602).<br />

Hinweis:<br />

Die fehlende Zurechnungsmöglichkeit der Betriebsgefahr und des Mitverschuldens bei Auseinanderfallen<br />

von Halter- und Eigentümerstellung behandelt HERBERS zfs <strong>2019</strong>, 311.<br />

2. Verstöße, Haftungsverteilung und Mitverschulden (§§ 9, 17 StVG, 254 BGB)<br />

a) Kollisionen von Kfz<br />

aa) Verstöße<br />

Ein Auffahrunfall als Kerngeschehen ist als Grundlage für die Annahme eines Anscheinsbeweises dann<br />

nicht hinreichend, wenn weitere Umstände des Unfalls bekannt sind, die als Besonderheiten gegen<br />

die Typizität derartiger Fallgestaltungen sprechen. Dabei ist allein die Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs<br />

nicht ausreichend. Der Auffahrende muss vielmehr zur Überzeugung des Gerichts<br />

Umstände nachweisen, die es ernsthaft als möglich erscheinen lassen, dass der Geschehensverlauf<br />

anders abgelaufen ist als nach der der Anscheinsregel zugrunde liegenden Erfahrungstypik. Behauptet<br />

der Auffahrende einen Fahrstreifenwechsel des Vorausfahrenden als besonderen Umstand, dann ist die<br />

Möglichkeit eines solchen nicht hinreichend (LG Berlin NZV <strong>2019</strong>, 261 [HANKE]). Steht fest, dass es zu einer<br />

nicht näher bestimmbaren Zeit vor dem Unfall zu einem Fahrspurwechsel von der rechten auf die linke<br />

Fahrspur gekommen ist, und ist i.Ü. der Sachverhalt nicht weiter aufklärbar, so dass einerseits die<br />

Möglichkeit besteht, dass der vorausfahrende Lkw unter Verstoß gegen § 7 Abs. 5 StVO die Fahrspur<br />

gewechselt hat, andererseits aber auch die Möglichkeit, dass der Unfall auf eine verspätete Reaktion<br />

des auffahrenden Fahrers bzw. auf dessen Verstoß gegen das Abstandsgebot zurückzuführen ist, so<br />

scheidet ein Anscheinsbeweis zulasten des Auffahrenden aus (OLG Naumburg DAR <strong>2019</strong>, 463). Bei einer<br />

beiderseitigen Fahrbahnverengung (Zeichen 120 Anl. 1 zu § 40 StVO) greift im Falle einer Kollision<br />

zweier Fahrzeuge nicht der Anscheinsbeweis des § 7 Abs. 5 StVO, da in einer solchen Verkehrssituation<br />

von einem Spurwechsel nicht die Rede sein kann. Vielmehr ist von den auf beiden Spuren fahrenden<br />

Fahrzeugführern die erforderliche Sorgfalt und Rücksicht nach § 1 Abs. 2 StVO zu erwarten (LG Hamburg<br />

NZV <strong>2019</strong>, 209 [BACHMOR]. Wer hinter einem Fahrschulfahrzeug, das als solches gekennzeichnet ist,<br />

fährt, muss seinen Abstand so wählen, dass er auch bei einem unangepassten Fahrverhalten des<br />

Fahranfängers – hier Abbremsen ohne zwingenden Grund – noch rechtzeitig anhalten kann (LG Saarbrücken<br />

NJW <strong>2019</strong>, 173 = VRR 9/<strong>2019</strong>, 11 [SCHULZ-MERKEL]).<br />

1118 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 531<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

An Kreuzungen und Einmündungen hat derjenige Vorfahrt, der von rechts kommt (§ 8 Abs. 1 S. 1 StVO).<br />

Erweckt der Bevorrechtigte den Eindruck, er würde nicht am fließenden Verkehr teilnehmen, weil er sich<br />

aus einer zeitlich über einen lediglich verkehrsbedingten Halt hinausgehenden Halteposition heraus<br />

wieder in den fließenden Verkehr eingeordnet hat, ist im Falle einer Kollision im Kreuzungsbereich eine<br />

hälftige Schadenteilung sachgerecht (LG Kiel NZV <strong>2019</strong>, 370 [BACHMOR]). Die Anwendbarkeit des § 9 Abs. 4<br />

S. 1 StVO, wonach derjenige, der nach links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge, die ihrerseits<br />

nach rechts abbiegen wollen, durchfahren lassen muss, setzt einen typischen Geschehensablauf voraus.<br />

An einem solchen fehlt es, wenn im betreffenden Bereich zum einen Ampelzeichen vorgehen und zum<br />

anderen darüber hinaus eine gesonderte Lichtzeichenregelung für Linksabbieger vorhanden ist. In einer<br />

Kreuzungsräumer-Situation darf nur derjenige Verkehrsteilnehmer den Bereich bevorrechtigt räumen,<br />

von dem anderenfalls, d. h. bei Verbleiben im Kreuzungskernbereich, eine besondere Gefährdung für den<br />

übrigen Verkehr, insbesondere für den wiedereinsetzenden Querverkehr, ausgehen würde (KG NZV<br />

<strong>2019</strong>, 310 [BACHMOR]). Gegen den abbiegenden Fahrzeugführer spricht der Beweis des ersten Anscheins<br />

wegen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO, wenn im zeitlichen Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang<br />

die Kollision mit einem überholenden Fahrzeug geschieht (LG Wuppertal VRR 5/<strong>2019</strong>, 16<br />

[NUGEL]; weiterführend BENZ DAR <strong>2019</strong>, 474). Der Anscheinsbeweis der Verletzung der aus § 9 Abs. 3 S. 2<br />

StVO folgenden Wartepflicht des Linksabbiegers wird durch die überhöhte Geschwindigkeit des<br />

Bevorrechtigten nicht erschüttert und schränkt auch den Vorrang des entgegenkommenden Verkehrs<br />

nicht ein (KG NJW-RR <strong>2019</strong>, 992 = NZV <strong>2019</strong>, 425 [LEMPP]; zur Rechtslage bei paarweisem parallelem<br />

Abbiegen KUHNKE NZV <strong>2019</strong>, 223; zur vollen Haftung bei Geradeausfahren auf der Linksabbiegerspur OLG<br />

Hamm NJW-RR <strong>2019</strong>, 990).<br />

bb) Mitverschulden<br />

Wie bereits das LG Frankfurt (NJW <strong>2019</strong>, 531 = DAR <strong>2019</strong>, 271 = zfs <strong>2019</strong>, 81) hat auch das LG Kiel (NZV<br />

<strong>2019</strong>, 262 [BACHMOR]) entschieden: In Ermangelung einer gesetzlichen Regelung zum Tragen eines<br />

Schutzhelms ist der Schadenersatzanspruch eines Radfahrers ohne Schutzhelm, der infolge einer Vorfahrtsverletzung<br />

eines Kfz-Fahrers u.a. Kopfverletzungen erlitten hat, auch weiterhin grundsätzlich<br />

nicht wegen Mitverschuldens gem. §§ 9 StVG, 254 Abs. 1 BGB zu kürzen.<br />

b) Kollisionen mit Radfahren und Fußgängern<br />

Das für Fahrradfahrer geltende Gebot, auf kombinierten Fußgänger-/Radfahrerwegen auf Fußgänger<br />

im besonderen Maß Rücksicht zu nehmen, begründet keine generelle, situationsunabhängige Pflicht,<br />

Fußgänger durch ein Klingelzeichen auf sich aufmerksam zu machen oder sich Fußgängern nur mit<br />

Schrittgeschwindigkeit anzunähern (OLG Nürnberg DAR <strong>2019</strong>, 331).<br />

3. Sachschäden (§ 249 BGB)<br />

a) Fiktive Abrechnung durch Leasingnehmer<br />

Der Leasingnehmer, der die Pflicht zur Instandsetzung des Leasingfahrzeugs gegenüber dem Leasinggeber<br />

und Eigentümer für jeden Schadensfall übernommen und im konkreten Schadensfall nicht erfüllt<br />

hat, kann nicht ohne Zustimmung (§ 182 BGB) des Eigentümers gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB vom<br />

Schädiger statt der Herstellung die fiktiven Herstellungskosten verlangen (BGH NJW <strong>2019</strong>, 1669 m. Anm.<br />

KOCH = DAR <strong>2019</strong>, 3<strong>21</strong> = zfs <strong>2019</strong>, 384 m. Anm. DIEHL = NZV <strong>2019</strong>, 424 [PLETTER]).<br />

b) Vorschäden<br />

Hat das durch einen Unfall beschädigte Fahrzeug u.a. auch im streitgegenständlichen Schadensbereich<br />

Vorschäden erlitten, ist es Sache des Geschädigten, darzulegen und zu beweisen, welche konkreten<br />

Schäden durch frühere Ereignisse entstanden sind. Anhand vorgelegter Reparaturbescheinigungen lässt<br />

sich nicht mit hinreichender Gewissheit beurteilen, ob die Vorschäden vollumfänglich beseitigt wurden,<br />

zumal dann nicht, wenn diese Bescheinigungen keine detaillierte Beschreibung des Reparaturumfangs<br />

enthalten, so dass die Frage einer sach- und fachgerechten Schadensbehebung offenbleibt (LG<br />

Hamburg NZV <strong>2019</strong>, 427 [BACHMOR],zur Auswirkung eines teilreparierten abgrenzbaren Vorschadens OLG<br />

Saarbrücken VRS 135, 120 = VRR 7/<strong>2019</strong>, 9 [BENDIG]).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1119


Fach 9 R, Seite 532<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

c) Mietwagenkosten<br />

Ein Unfallgeschädigter kann aufgrund der ihn gem. § 254 Abs. 2 S. 1 BGB treffenden Schadensminderungspflicht<br />

auch dann gehalten sein, ein ihm vom Kfz-Haftpflichtversicherer vermitteltes günstigeres<br />

Mietwagenangebot in Anspruch zu nehmen, wenn dem günstigeren Angebot ein Sondertarif<br />

zugrunde liegt, der ihm ohne Mithilfe des Versicherers außerhalb eines Unfallersatzgeschäfts nicht zur<br />

Verfügung stünde (BGH NJW <strong>2019</strong>, 2538 = DAR <strong>2019</strong>, 257 m. Anm. REITENSPIESS = zfs <strong>2019</strong>, 320 m. Anm.<br />

SCHLEGELMILCH; näher SCHWARTZ zfs <strong>2019</strong>, 364).<br />

d) Verdienstausfall<br />

Beim Ersatz von Verdienstausfallschaden sind im Wege der Vorteilsausgleichung ersparte berufsbedingte<br />

Aufwendungen anzurechnen, weil sie in einem inneren Zusammenhang mit dem<br />

erlittenen und vom Schädiger zu tragenden Erwerbsschaden stehen. In Ermangelung anderer Angaben<br />

ist eine Pauschalierung der berufsbedingten Aufwendungen i.H.v. 10 % des Nettoeinkommens<br />

vorzunehmen, wenn keine besonderen, vom Geschädigten vorzutragenden und ggf. zu beweisenden<br />

Umstände vorliegen, aus denen sich niedrigere Aufwendungen ergeben (OLG München NJW-RR <strong>2019</strong>,<br />

1046).<br />

e) Sachverständigenkosten<br />

Erweist sich ein Kfz-Sachverständigengutachten nachträglich als ungeeignet, beeinträchtigt dies den<br />

Erstattungsanspruch des Geschädigten nur, wenn er die Unbrauchbarkeit des Gutachtens zu vertreten<br />

hat. Dies ist der Fall, wenn der Geschädigte gegenüber dem von ihm beauftragten Privatsachverständigen<br />

erhebliche Vorschäden verschweigt und dieser deshalb zu einem fehlerhaften Ergebnis<br />

gelangt (OLG Düsseldorf NZV <strong>2019</strong>, 207 [CHRISTENSEN]; auch OLG Saarbrücken VRS 135, 120 = VRR 7/<strong>2019</strong>,<br />

9[BENDIG]).<br />

4. Personenschäden (§ 843 BGB)<br />

a) Ermittlung des Haushaltsführungsschadens (auch zum Schmerzensgeld)<br />

Wie hier berichtet hat sich das OLG Frankfurt grundlegend zur tagesgenauen Bemessung des<br />

Schmerzensgeldes und Ermittlung des Haushaltsführungsschadens geäußert (NJW <strong>2019</strong>, 442 = NZV<br />

<strong>2019</strong>, 351 m. Anm. SLIZYK = DAR <strong>2019</strong>, 37 m. Anm. WARMBACH sowie ENGELBRECHT = zfs <strong>2019</strong>, 83 m. Anm.<br />

ZARGES = VRR 2/<strong>2019</strong>, 7 [SCHULZ-MERKEL]; allg. SEDI zfs <strong>2019</strong>, 424). Dem hat sich nunmehr das OLG<br />

Düsseldorf entgegengestellt (NJW <strong>2019</strong>, 2700 m. Anm. KORCH = DAR <strong>2019</strong>, 450 m. Anm. LUCKEY =<br />

zfs <strong>2019</strong>, 378 m. Anm. DIEHL; zum Verhältnis von Schmerzensgeld und Hinterbliebenengeld nach § 844<br />

Abs. 3 BGB von nahen Angehörigen LG Tübingen DAR <strong>2019</strong>, 468 m. Anm. JANECZYK; zu„Kapital oder<br />

Rente – Erfordernis eines gesetzlichen Abfindungsanspruchs“ s. HUBER NZV <strong>2019</strong>, 3<strong>21</strong>; zur Abfindung<br />

von Personenschäden STRUNK DAR <strong>2019</strong>, 313). Voraussetzung für den Ersatz des Haushaltsführungsschadens<br />

ist, dass eine vertragliche oder gesetzliche Pflicht zur Haushaltsführung besteht. Die<br />

sittliche Verpflichtung gegenüber einem hochbetagten Elternteil reicht hierzu nicht aus. Diese<br />

Verpflichtung kann aber im Rahmen der Schmerzensgeldbemessung berücksichtigt werden (OLG<br />

Schleswig NJW <strong>2019</strong>, 1889 = zfs <strong>2019</strong>, 438).<br />

b) Vermehrte Bedürfnisse (§ 843 BGB)<br />

Zu den vermehrten Bedürfnissen i.S.d. § 843 Abs. 1 2. Alt. BGB gehören sowohl die Kosten für die<br />

Beschäftigung einer Pflegeperson als auch der Betreuungsaufwand naher Angehöriger, der über die<br />

üblicherweise im Krankheitsfall zu erwartende persönliche Zuwendung innerhalb der Familie hinausgeht.<br />

Die dem Geschädigten gegenüber unentgeltlich erbrachte Pflegetätigkeit durch nahe Angehörige<br />

ist im Rahmen des Erforderlichen gem. § 843 Abs. 1 Alt. 2 BGB unabhängig davon angemessen abzugelten,<br />

ob diese einen Verdienstausfall erlitten haben. Die Höhe des zu ersetzenden Schadens richtet<br />

sich dabei grundsätzlich nach dem Nettolohn einer vergleichbaren entgeltlich eingesetzten Pflegekraft<br />

und regelmäßig nicht nach dem entgangenen Verdienst des Angehörigen (BGH MDR <strong>2019</strong>, 1083 im<br />

Anschluss an NJW <strong>2019</strong>, 362).<br />

1120 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 533<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

c) Beweismaß für Folgeschäden<br />

Das erleichterte Beweismaß des § 287 ZPO findet Anwendung, soweit es um die Frage geht, ob eine<br />

haftungsbegründende Primärverletzung weitere vom Kläger geltend gemachte Gesundheitsbeeinträchtigungen<br />

zur Folge hatte (haftungsausfüllende Kausalität). Werden unabhängig davon aus<br />

der zugrunde liegenden Verletzungshandlung weitere unfallursächliche Primärverletzungen geltend<br />

gemacht, unterfallen diese dem Beweismaß des § 286 ZPO (haftungsbegründende Kausalität, BGH<br />

NJW <strong>2019</strong>, 2092 m. Anm. ULLENBOOM = DAR <strong>2019</strong>, 507 in Abgrenzung zu BGH NJW-RR 2009, 409 =<br />

zfs 2009, 206 m. Anm. DIEHL; zur „Begehrensneurose“ OLG München NJW-RR <strong>2019</strong>, 660 = zfs <strong>2019</strong>, 257<br />

m. Anm. DIEHL).<br />

Hinweis:<br />

Zum Personenschaden im Wandel von Rechtsprechung und Gesetzgebung eingehend MÜLLER zfs <strong>2019</strong>,<br />

247, 304.<br />

5. „E-Scooter“ (§§ 1, 9, 10 eKFV)<br />

Durch die Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) vom 6.6.<strong>2019</strong> (BGBl I, 756; eingehend HUPPERTZ<br />

NZV <strong>2019</strong>, 387 und noch zum Referentenentwurf TERNIG DAR <strong>2019</strong>, 284) ist mit Wirkung zum 15.6.<strong>2019</strong><br />

die Zulässigkeit der Benutzung dieser Fahrzeuge geregelt worden. Hierunter fallen nach der Legaldefinition<br />

in § 1 eKFV sog. E-Scooter (E-Tretroller). Deren Führen im Straßenverkehr unterliegt nach § 9<br />

eKFV den Vorschriften der StVO nach Maßgabe der §§ 10 – 13 eKFV (zur Haftung TOMSON/WIELAND NZV<br />

<strong>2019</strong>, 446). Die für diese Fahrzeuge zulässigen Verkehrsflächen sind nach § 10 eKFV die für den Radverkehr<br />

bestimmten Bereiche, also gemeinsame Rad- und Gehwege. Zudem wurde der BKat in Nr. 184<br />

sowie 234 ff. um Verstöße gegen die eKFV ergänzt. Angesichts des nicht unerheblichen Gefahrenpotenzials<br />

beim Zusammentreffen mit anderen Verkehrsteilnehmern ist alsbald mit Entscheidungen zu<br />

Haftungsfragen aus diesem Bereich zu rechnen.<br />

Hinweise:<br />

Die aktuelle Rechtsprechung des BGH zum Haftpflichtrecht im Straßenverkehr wird dargestellt von<br />

OFFENLOCH DAR <strong>2019</strong>, 301, die Rechtsprechung zum Versicherungsvertragsrecht von HALM/FITZ DAR <strong>2019</strong>,<br />

4<strong>21</strong>, die Rechtsprechung des BGH zum Verkehrszivilrecht im Jahr 2018 von NUGEL VRR 9/<strong>2019</strong>, 4, zum<br />

Betrug in der Kfz-Haftpflichtversicherung von STAAB DAR <strong>2019</strong>, 434 und zum Umsatzsteuerersatz nach<br />

§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB von FREYMANN DAR <strong>2019</strong>, 429. Die Vorfahrt „rechts vor links“ auf öffentlich zugänglichen<br />

Parkplätzen wird erörtert von SIEGEL NJW <strong>2019</strong>, 2502. Das Abschleppen und die Kostentragung<br />

bei Fehlbelegung von Sonderparkplätzen mit Auflademöglichkeit für E-Autos behandelt MASLATON DAR<br />

<strong>2019</strong>, 187.<br />

II.<br />

Strafrecht<br />

1. Trunkenheit im Verkehr, Gefährdung des Straßenverkehrs (§§ 315c, 316 StGB)<br />

Hat der alkoholisierte Angeklagte lediglich schlafend in seinem Fahrzeug gesessen, so hat er das<br />

Fahrzeug nicht geführt; dies gilt auch dann, wenn der Motor in Betrieb war (BGH DAR <strong>2019</strong>, 386<br />

m. Anm. BELLARDITA im Anschluss an OLG Düsseldorf NZV 1992, 197). Die zur Annahme einer relativen<br />

Fahrunsicherheit zusätzlich erforderlichen Umstände bei einer Alkoholisierung von unter 1,1 Promille<br />

können nicht allein aus einer Flucht vor der Polizei gezogen werden. Bei einer solchen Flucht kann ein<br />

natürlicher Fluchtwille nachvollziehbar sein (AG Tiergarten BA 56, 55 = NZV <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>3 [SCHULZ-MERKEL]).<br />

Frühere Verurteilungen können die Annahme vorsätzlichen Handelns bei einer Trunkenheitsfahrt nur<br />

dann rechtfertigen, wenn die damaligen Sachverhalte mit dem aktuellen vergleichbar sind (OLG<br />

Karlsruhe BA 56,199 = StRR 7/<strong>2019</strong>, 20 [HILLENBRAND]).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 11<strong>21</strong>


Fach 9 R, Seite 534<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

2. Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315b StGB)<br />

Die Feststellung, dass der Geschädigte eine Vollbremsung einleiten musste und es zu einem Anstoß an<br />

ein Hindernis kam, reicht zur Begründung einer konkreten Gefahr für Leib und Leben nicht aus (BGH<br />

NJW <strong>2019</strong>, 615 = NStZ <strong>2019</strong>, 346 = VRR 6/<strong>2019</strong>, 15 [DEUTSCHER]). Die Wertgrenze für die Annahme der<br />

Gefährdung einer Sache „von bedeutendem Wert“ (§§ 315 b, 315 c StGB) liegt bei mindestens 750 € (BGH<br />

NStZ-RR <strong>2019</strong>, 125). Für die Annahme eines drohenden bedeutenden Sachschadens i.S.d. § 315b Abs. 1<br />

StGB ist wesentlich auf das zu erwartende Schadensbild abzustellen, das mit dem entstandenen<br />

Schaden nicht identisch sein muss. Nicht ausreichend ist die bloße Angabe des Fahrzeugwerts.<br />

3. Beteiligung an Autorennen (§ 315d StGB)<br />

Die am 13.10.2017 in Kraft getretene Strafvorschrift des § 315d StGB („Verbotene Kfz-Rennen“; BGBl I,<br />

3532) hat die gerichtliche Praxis erreicht. Als schwierig erweist sich – wie zu erwarten – die Auslegung<br />

und die Anwendung des gesetzgeberisch verunglückten § 315d Abs. Nr. 3 StGB („Alleinraser“). Das LG<br />

Berlin (NZV <strong>2019</strong>, 315 [WINKELMANN]) meint: Steuert ein Kraftfahrer auf der Flucht vor der Polizei sein<br />

Fahrzeug über eine längere Fahrstrecke mit bewusst stadtfremden Geschwindigkeitsüberschreitungen<br />

(über 100 km/h) und strebt insoweit an Kreuzungen, Ampeln und verengten Stellen jeweils die<br />

höchstmögliche, d. h. situationsabhängig möglichst hohe Geschwindigkeit an, handelt es sich bei<br />

vorläufiger Würdigung um ein nach § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB tatbestandsmäßiges, rennartiges<br />

Fluchtverhalten des Beschuldigten im Straßenverkehr (ähnl. OLG Stuttgart NJW <strong>2019</strong>, 2787 m. Anm.<br />

ZOPFS = VRR 9/<strong>2019</strong>, 16 [BURHOFF]; AG Waldbröl NZV <strong>2019</strong>, 317 [zu Recht abl. KRENBERGER]). Demgegenüber<br />

mahnt das KG (StraFo <strong>2019</strong>, 342 = VRR 9/<strong>2019</strong>, 15 [BURHOFF] = NZV <strong>2019</strong>, 314 [QUARCH])<br />

überzeugend an, mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG bedürfe die Vorschrift<br />

einer zurückhaltenden Auslegung (krit. zu dem Tatbestand auch JANSEN NZV <strong>2019</strong>, 285). Der<br />

Tatbestand des § 315d Abs. 1 Nr. 3 StGB und namentlich das subjektive Merkmal der „höchstmöglichen<br />

Geschwindigkeit“ erfordere allerdings kein „volles Ausreizen“ eines Kraftfahrzeugs.<br />

Hinweis:<br />

Der BGH hat im „Hamburger-Raserfall“ erstmals die Verurteilung eines Rasers wegen Mordes bestätigt<br />

(NStZ <strong>2019</strong>, 276 = NZV <strong>2019</strong>, 306 m. Anm. PREUß = zfs <strong>2019</strong>, 235). Im „Berliner-Raserfall“ war dies noch<br />

wegen unzureichender Feststellungen zum Vorsatz abgelehnt worden (BGHSt 63, 88 = NJW 2018, 16<strong>21</strong> =<br />

NStZ 2018, 409 m. Anm. SCHNEIDER 528 = DAR 2018, <strong>21</strong>6 = StRR 4/2018, 19/VRR 4/2018, 15 [jew. HILLENBRAND]).<br />

Zu illegalen Autorennen aus verkehrspsychologischer Sicht BARTHELMESS NZV <strong>2019</strong>, 289.<br />

4. Entziehung der Fahrerlaubnis (§§ 69, 69a StGB, 111a StPO)<br />

Ein nach einem mit Alkoholmissbrauch verbundenen Verkehrsdelikt zur Eignung des Kraftfahrzeugführers<br />

vorgelegtes Gutachten ist zur Entkräftung der Regelvermutung des § 69 Abs. 2 StGB jedenfalls<br />

dann nicht geeignet, wenn es vor Ablauf der in den Beurteilungsrichtlinien zur Kraftfahreignung<br />

vorgesehenen Mindestfrist von sechs Monaten erstellt worden ist (OLG Oldenburg DAR <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>6<br />

m. Bspr. HILLMANN/SCHUBERT 229). Hat eine Angeklagte vor und nach einem unerlaubten Entfernen vom<br />

Unfallort beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen, liegt die Tat bereits längere Zeit zurück<br />

(hier: Mehr als ein Jahr und sieben Monate) und befand sie sich zur Tatzeit in einer psychischen<br />

Ausnahmesituation, können dies Umstände sein, die geeignet sind, die Regelvermutung des § 69 Abs. 2<br />

Nr. 3 StGB zu widerlegen (OLG Hamburg NZV <strong>2019</strong>, 428 [RINIO]). Die maßgebliche Grenze für das<br />

Vorliegen eines bedeutenden Schadens i.S.v. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB bei einem unerlaubten Entfernen<br />

vom Unfallort nach § 142 StGB ist bei jedenfalls mindestens 1.500 € anzusetzen (LG Dresden DAR <strong>2019</strong>,<br />

527 m. Anm. ERNST).<br />

Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist auch zulässig, wenn der Täter eine ausländische Fahrerlaubnis<br />

eines Drittstaats (hier: Türkei) hat, mit der er am innerdeutschen Kraftfahrzeugverkehr nicht teilnehmen<br />

darf. Die Einziehung eines türkischen Führerscheins ist nicht zulässig. Auf dem türkischen Führerschein<br />

ist ein Vermerk über die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Dauer der Sperre anzubringen, § 69b<br />

Abs. 2 S. 2 StGB (AG Böblingen NStZ-RR <strong>2019</strong>, 287).<br />

1122 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 535<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

Eine Aufhebung der Sperrfrist nach § 69a Abs. 7 StGB kommt nur in Betracht, wenn hinreichende<br />

Gründe vorliegen, dass der Verurteilte nicht länger als zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet<br />

anzusehen ist. Erforderlich ist, dass eine hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass der Verurteilte<br />

sich im Straßenverkehr nicht mehr als gefährlich erweist (AG Rheinberg BA 55, 445 = VRR 5/<strong>2019</strong>, 19<br />

[BURHOFF]). Dies ist dann der Fall, wenn der Betroffene an einer verkehrspsychologischen Therapie<br />

teilgenommen hat, so dass aufgrund dieser neuen Tatsachen davon ausgegangen werden kann, dass<br />

der Betroffene entgegen der Prognose des erkennenden Gerichts das für einen Kraftfahrer unerlässliche<br />

Verantwortungsbewusstsein nunmehr wieder besitzt (LG Görlitz BA 55, 309 = NZV <strong>2019</strong>, 268 [RINIO]).<br />

5. Strafrechtliches Fahrverbot (§ 44 StGB)<br />

Die seit 24.8.2017 geltende Neuregelung des strafrechtlichen Fahrverbots, das nunmehr auch bei<br />

allgemeiner Kriminalität und bis zu sechs Monate angeordnet werden kann, hat mehrfach die Gerichte<br />

beschäftigt. Als erstes Obergericht hat sich das OLG Düsseldorf (BA 56, 202 = VRR 7/<strong>2019</strong>, 18 = StRR 5/<br />

<strong>2019</strong>, 22 [jew. DEUTSCHER]) zur Neufassung geäußert: Die Neufassung des § 44 Abs. 1 StGB, wonach ein<br />

Fahrverbot auch bei nicht verkehrsbezogenen Straftaten angeordnet werden kann, ist ein milderes<br />

Gesetz i.S.d. § 2 Abs. 3 StGB, soweit durch die Anordnung eines Fahrverbots die Verhängung einer<br />

Freiheitsstrafe oder deren Vollstreckung vermieden werden kann. Die Frage der Anordnung eines<br />

Fahrverbots bedarf in dem Urteil dann der Erörterung, wenn die Umstände des Falls eine solche<br />

Rechtsfolge nahelegen. Dies ist bei einem zur Anwendung körperlicher Gewalt neigenden Straftäter, der<br />

bereits mehrfach einschlägig vorbestraft ist, nicht der Fall. Eine Fahrverbotsanordnung kann nach<br />

allgemeiner Kriminalität (hier: BtM-Delikte) dazu genutzt werden, ein nicht mehr bewährungsfähiges<br />

Strafmaß knapp über zwei Jahren Freiheitsstrafe zu vermeiden (so AG Dortmund VRR 9/<strong>2019</strong>, 18 =<br />

StRR 8/<strong>2019</strong>, 27 [jew. BURHOFF]). Zum Verhältnis zur kurzen Freiheitsstrafe meint das OLG Stuttgart<br />

(VRR 7/<strong>2019</strong>,16 = StRR 8/<strong>2019</strong>, 24 [jew. DEUTSCHER]): Die Frage der Anordnung eines Fahrverbots nach<br />

§ 44 Abs. 1 StGB bedarf bei der Verhängung kurzer Freiheitsstrafen nach § 47 Abs. 1 StGB jedenfalls<br />

dann der Erörterung, wenn die Umstände des Falls die Anordnung eines Fahrverbots aufgrund einer<br />

Fallkonstellation nach § 44 Abs. 1 S. 2 StGB nahelegen, weil die zu behandelnde Straftat der mittleren<br />

Kriminalität zuzuordnen ist, der Angeklagte über eine Fahrerlaubnis verfügt und die Kombination<br />

einer Geldstrafe mit der Anordnung eines Fahrverbots die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe<br />

entbehrlich macht.<br />

6. Urkundenfälschung (§ 267 StGB)<br />

Das Überkleben des Europakennzeichens eines amtlichen Kfz-Kennzeichens mit einem Preußenadler<br />

erfüllt weder den Tatbestand der Urkundenfälschung noch denjenigen des Kennzeichenmissbrauchs,<br />

sofern der Täter keine Täuschung bezweckt, sondern lediglich seine Missbilligung über die Europäische<br />

Union zum Ausdruck bringen will. Allerdings liegt eine Ordnungswidrigkeit gem. §§ 48 Nr. 1 lit. b, 10<br />

Abs. 2 S. 1 FZV i.V.m. Nr. 3 Anlage 4 FZV vor (OLG München DAR <strong>2019</strong>, 401). Die Eigenschaft von an<br />

Fahrzeugen angebrachten Kennzeichen als zusammengesetzte Urkunde i.S.d. § 267 StGB, zumal bei<br />

ausländischen Kennzeichen, versteht sich nicht von selbst, vielmehr bedarf es näherer Feststellungen<br />

hierzu im Urteil (BGH NStZ-RR <strong>2019</strong>, 125).<br />

Hinweise:<br />

Die aktuelle obergerichtliche Rechtsprechung in Verkehrsstrafsachen und Bußgeldsachen stellt KÖNIG<br />

DAR <strong>2019</strong>, 362 vor. Strafrechtliche Fragen des automatisierten Fahrens behandelt STAUB NZV <strong>2019</strong>, 392.<br />

Zur Rechtsfigur des hypothetischen Ersatzzugriffs bei einer Durchsuchungsmaßnahme OLG Zweibrücken<br />

NStZ <strong>2019</strong>, 301. Die Vollstreckung der in einem anderen EU-Mitgliedstaat wegen eines dort begangenen<br />

Verkehrsverstoßes gegen eine juristische Person als Fahrzeughalter verhängten Geldbuße<br />

in Deutschland ist nach §§ 86 ff. IRG zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass der Grundsatz der Halterhaftung<br />

in Deutschland nicht anerkannt ist (OLG Celle DAR <strong>2019</strong>, 280 = zfs <strong>2019</strong>, 469; aktuell zur<br />

Anerkennung und Vollstreckung von Geldstrafen und Geldbußen in der EU JOHNSON/HÄUSSERMANN DAR<br />

<strong>2019</strong>, 251).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1123


Fach 9 R, Seite 536<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

III.<br />

Ordnungswidrigkeitenrecht<br />

1. Trunkenheits- und Drogenfahrten (§ 24a StVG)<br />

Auch bei Nichterreichen des sog. Nachweisgrenzwerts bleibt eine Ahndung wegen einer tatbestandsmäßigen<br />

Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 StVG möglich, sofern weitere Umstände, insbesondere<br />

drogenbedingte Verhaltensauffälligkeiten oder rauschmitteltypische Ausfallerscheinungen festgestellt<br />

werden, die es als möglich erscheinen lassen, dass der Betroffene am Straßenverkehr teilgenommen hat,<br />

obwohl seine Fahrtüchtigkeit durch die Wirkung des berauschenden Mittels eingeschränkt war (OLG<br />

Bamberg DAR <strong>2019</strong>, 157 m. Anm. FUNKE = VRR 6/<strong>2019</strong>, 20 [DEUTSCHER]). Die bußgeldrechtliche Ahndung<br />

einer Drogenfahrt nach § 24a Abs. 2 oder Abs. 3 StVG scheidet gem. § 24a Abs. 2 S. 3 StVG (sog.<br />

Medikamenten-Klausel) aus, wenn die im Blut des Betroffenen nachgewiesene Substanz aus der<br />

bestimmungsgemäßen Einnahme eines für einen konkreten Krankheitsfall verschriebenen Arzneimittels<br />

herrührt, d.h. der Einfluss der Substanz allein auf der Einnahme der sich aus der ärztlichen Verordnung<br />

vorgegebenen Dosierung und auch nicht auf einer sonstigen missbräuchlichen Verwendung beruht.<br />

Bringt der Betroffene dies vor, hat sich das Tatgericht hiermit näher zu befassen, sofern es nicht von<br />

einer reinen Schutzbehauptung ausgeht. Die tatrichterliche Beweiswürdigung erweist sich deshalb als<br />

lückenhaft, wenn sich aus dem Urteil nicht ergibt, warum der Einwand als unbeachtlich angesehen<br />

worden ist (OLG Bamberg DAR <strong>2019</strong>, 390 = NStZ <strong>2019</strong>, 528 = VRR 4/<strong>2019</strong>, <strong>21</strong>/StRR 4/<strong>2019</strong>, 18 [jew.<br />

BURHOFF] = NZV <strong>2019</strong>, 372 [RINIO]).<br />

2. Das bußgeldrechtliche Fahrverbot (§§ 25 StVG, 4 BKatV)<br />

Hinweis:<br />

Zu Rechtsgrundlagen und Systematik des bußgeldrechtlichen Fahrverbots wird verwiesen auf DEUTSCHER,<br />

in: BURHOFF, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren, 5. Aufl. 2018, Rn 1355 ff., 1586 ff.<br />

a) Der Tatbestand des Fahrverbots<br />

Ein qualifizierter Rotlichtverstoß indiziert grundsätzlich auch dann ein Regelfahrverbot, wenn dieser<br />

aufgrund irrtümlicher Zuordnung des für eine andere Fahrbahn erfolgten Grünlichts durch einen sog.<br />

Frühstarter begangen wird (OLG Karlsruhe DAR <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>5 = VRR 5/<strong>2019</strong>, 20 [DEUTSCHER] unter Aufgabe<br />

der früheren Rechtsprechung). Ein sog. Mitzieheffekt soll den Fahrlässigkeitsvorwurf beim Rotlichtverstoß<br />

laut KG (NStZ <strong>2019</strong>, 291 = DAR <strong>2019</strong>, 394) allenfalls dann verringern, wenn der Betroffene<br />

zunächst rechtstreu an der Lichtzeichenanlage anhält, dann aber, z.B. veranlasst durch das Anfahren<br />

anderer Verkehrsteilnehmer, unter Nichtbeachtung des Rotlichts losfährt („Sog-Wirkung“; zu einem<br />

„Umfahrungsfall“ OLG Bamberg VRR 4/<strong>2019</strong>, <strong>21</strong> [DEUTSCHER]). Macht der Betroffene anlässlich eines<br />

ihm vorgeworfenen und mit einem Regelfahrverbot geahndeten Abstandsverstoßes geltend, auf die<br />

Funktion eines in seinem Fahrzeug als Bestandteil eines Fahrerassistenz-Pakets verbauten sog. Abstandspiloten<br />

vertraut zu haben, ist dies mit der ordnungsgemäßen Erfüllung der Pflichten eines<br />

Fahrzeugführers unvereinbar; erst recht scheidet die Anerkennung eines privilegierenden sog. Augenblicksversagens<br />

aus (OLG Bamberg zfs <strong>2019</strong>, 294).<br />

b) Die Angemessenheit des Fahrverbots<br />

Bei abhängig Beschäftigten ist die Anordnung eines Fahrverbots unangemessen, wenn dies zum<br />

Verlust des Arbeitsplatzes führen würde und die drohende Existenzgefährdung nicht durch anderweitige,<br />

zumutbare Maßnahmen abgewendet werden kann, etwa durch Verbüßung während des<br />

Urlaubs unter Berücksichtigung des bis zu viermonatigen Vollstreckungsaufschubs nach § 25 Abs. 2a<br />

StVG. Die Androhung einer offensichtlich rechtswidrigen Kündigung durch den Arbeitgeber rechtfertigt<br />

kein Absehen vom Fahrverbot (so KG DAR <strong>2019</strong>, 391 m. Anm. KRENBERGER). Berufliche Schwierigkeiten<br />

durch ein Fahrverbot im Rahmen eines Nebenjobs, durch den ein stellvertretender Filialleiter<br />

eines Getränkemarkts monatlich 300 bis 400 € verdient, sind nicht ausreichend, um von einem<br />

Regelfahrverbot absehen zu können (AG Dortmund BA 56, 208 = NZV <strong>2019</strong>, 316 [DEUTSCHER]). Bei drei<br />

1124 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 537<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

gewichtigen Verkehrsverstößen innerhalb von wenig mehr als einem halben Jahr, von denen einer<br />

bereits mit einem Fahrverbot geahndet wurde, ist die Anordnung eines Fahrverbots auch bei<br />

Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz geboten (OLG Karlsruhe NStZ <strong>2019</strong>, 530 = NZV <strong>2019</strong>, 486<br />

[KRENBERGER]).<br />

3. Geschwindigkeitsverstöße (§ 3 StVO)<br />

a) Messverfahren<br />

Auch im Berichtszeitraum waren die Grundsätze zum standardisierten Messverfahren und deren<br />

Auswirkungen auf das Bußgeldverfahren von herausragender Bedeutung. Dabei handelt es sich um ein<br />

durch Normen vereinheitlichtes technisches Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit<br />

und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten<br />

sind (BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081, 3083; BGHSt 43, 277 = NJW 1998, 3<strong>21</strong>, 322). Insofern gilt ein Regel-<br />

Ausnahme-Verhältnis: Ohne konkrete Anhaltspunkte für einen Messfehler genügt das Gericht mit der<br />

Feststellung von Messverfahren und Toleranzabzug seiner Aufklärungs- und Darstellungspflicht<br />

(Regelfall; zum Toleranzabzug OLG Hamburg NZV <strong>2019</strong>, 255 m. Anm. FROMM). Anderes gilt nur bei<br />

Vorliegen konkreter Anhaltspunkte für einen Messfehler (Ausnahme), wofür es regelmäßig konkreter,<br />

einer Beweiserhebung zugänglicher Einwände des Betroffenen bedarf. Im Grundsatz genügt im Urteil<br />

die Angabe des verwendeten standardisierten Messverfahrens und des abgezogenen Toleranzwerts.<br />

Der Bauartzulassung durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) soll die Funktion eines<br />

antizipierten Sachverständigengutachtens zukommen. Bei einem widerstreitenden Sachverständigengutachten<br />

kann das Tatgericht eine für das Rechtsbeschwerdegericht prüfungsfähige eigene Bewertung<br />

vornehmen, oder was im Hinblick auf die Materie naheliegend ist, das strukturelle Problem der PTB als<br />

Zulassungs- und Aufsichtsbehörde des Bundes zur ergänzenden Begutachtung vorlegen. Ist das<br />

Tatgericht nicht zur Bildung einer eigenen Überzeugung in der Lage, hat es vor einem Freispruch des<br />

Betroffenen alle diesbezüglichen Möglichkeiten auszuschöpfen, etwa eine ergänzenden schriftliche<br />

Stellungnahme der PTB einzuholen (OLG Köln DAR <strong>2019</strong>, 399; zur Nachprüfbarkeit eines geeichten<br />

Messwerts näher MÄRTENS/WYNANDS NZV <strong>2019</strong>, 338). Erfolgt die Konformitätserklärung eines Messgeräts<br />

nach § 11 MessEV zeitlich vor der durchzuführenden Konformitätsbewertung, soll dies keine<br />

Auswirkungen auf die Annahme eines standardisierten Messverfahrens haben (so OLG Celle zfs <strong>2019</strong>,<br />

509 = NZV <strong>2019</strong> [abl. DEUTSCHER]).<br />

Nach seiner hier berichteten Entscheidung aus dem Jahr 2018 zu den Grundsätzen des rechtlichen<br />

Gehörs und des fairen Verfahrens bezüglich der Einsicht in Messdaten (hierzu unten c) hat sich der<br />

VerfGH Saarland erneut aufsehenerregend geäußert (NJW <strong>2019</strong>, 2456 m. krit. Anm. KRUMM = NZV <strong>2019</strong>,<br />

414 m. krit. Anm. KRENBERGER = DAR <strong>2019</strong>, 500 m. Anm. GRATZ = StRR 8/<strong>2019</strong>, 28 = VRR 8/<strong>2019</strong>, 11 [jew.<br />

DEUTSCHER]; Besprechung von PEUKER NZV <strong>2019</strong>, 443). Hiernach besteht ein verfassungsrechtliches<br />

Beweisverwertungsverbot für das Ergebnis solcher Geschwindigkeitsmessungen, bei welchen das<br />

eingesetzte Messgerät – hier: Laser-Messgerät Traffistar S 350 – die erhobenen Rohmessdaten nicht<br />

speichert, sodass diese der Verteidigung nicht zur Überprüfung der Richtigkeit der Messung zur<br />

Verfügung gestellt werden können. Denn in einem solchen Fall liegt eine verfassungswidrige Beschränkung<br />

des Grundrechts auf Verteidigung vor. Es bleibt abzuwarten, wie die OLG in den anderen<br />

Bundesländern mit dieser Entscheidung umgehen werden (näher DEUTSCHER a.a.O.). Die Zuverlässigkeit<br />

des Messgeräts ES 3.0 wird nach OLG Koblenz (zfs <strong>2019</strong>, 293) nicht dadurch infrage gestellt, dass es<br />

möglich ist, durch Projektion eines sich über Karosserie eines vor dem Messgerät stehenden Fahrzeug<br />

bewegenden Lichtflecks eine Messung auszulösen (zu diesem Messgerät auch BLADT DAR <strong>2019</strong>, 290).<br />

Erfolgt die Messung mittels des ProVida-Systems durch Nachfahren mit einem Motorrad, so liegt<br />

nur dann eine Messung im standardisierten Verfahren vor, wenn sie im Geradeausfahren in aufrechter<br />

Haltung erfolgt (OLG Hamburg NZV <strong>2019</strong>, 255 m. Anm. FROMM). Die Geschwindigkeitsermittlung durch<br />

Nachfahren und mittels des GPS-Signals einer im Polizeifahrzeug installierten Dash-Cam ist nicht<br />

standardisiert (OLG Köln NZV <strong>2019</strong>, 266 [KRENBERGER]).<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1125


Fach 9 R, Seite 538<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

Hinweis:<br />

Eingehend zu den neuen Messgerät ES 8.0 KRUMM zfs <strong>2019</strong>, 368. Zur Geschwindigkeitsüberwachung mittels<br />

„Section Control“ s. OVG Lüneburg zfs <strong>2019</strong>, 477; BRENNER DAR <strong>2019</strong>, 241 <strong>2019</strong>, 279; KUPPER NZV <strong>2019</strong>, 233.<br />

b) Umfang der Akteneinsicht<br />

Die Betroffene hat einen Anspruch auf Übersendung der Falldatei nebst öffentlichem Schlüssel (AG<br />

Kassel zfs <strong>2019</strong>, 354; AG Prenzlau NStZ <strong>2019</strong>, 533). Es besteht ein Anspruch auf Einsicht in die gesamte<br />

Messreihe (LG Kaiserslautern zfs <strong>2019</strong>, 471 m. Anm. KRENBERGER), wobei das nicht nur gilt, wenn es um die<br />

Herausgabe an einen gerichtlich bestellten Sachverständigen geht (so aber wohl LG Konstanz zfs <strong>2019</strong>,<br />

473). Die Einsichtnahme darf nicht auf die Räume der Verwaltungsbehörde beschränkt werden (AG<br />

Dillenburg zfs <strong>2019</strong>, 234).<br />

c) Zeitpunkt der Akteneinsicht und Auswirkungen auf die Rechtsbeschwerde<br />

Der Anspruch auf Einsicht in die relevanten Messunterlagen ist im Ermittlungsverfahren gegenüber der<br />

Verwaltungsbehörde geltend zu machen, bei Weigerung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

nach § 62 OWiG. Aus dem Gebot des fairen Verfahrens (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 6<br />

Abs. 1 S. 1 EMRK) folgt das Recht des Betroffenen, dass die Verwaltungsbehörde seinem Verteidiger oder<br />

einem von ihm beauftragten Sachverständigen nicht bei den Akten befindliche amtliche Messunterlagen<br />

zur Verfügung stellt, die erforderlich sind, um die „Parität des Wissens“ herzustellen und die dem<br />

Betroffenen ermöglichen, die Berechtigung des auf das Ergebnis eines standardisierten Messverfahrens<br />

gestützten Tatvorwurfs mit Hilfe eines Sachverständigen zu überprüfen. Die Verteidigung des Betroffenen<br />

wird jedenfalls dann unzulässig beschränkt (§§ 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 338 Nr. 8 StPO),<br />

wenn dieser schon bei der Verwaltungsbehörde und sodann vor dem AG im Verfahren nach § 62 OWiG<br />

erfolglos einen auf Herausgabe dieser Unterlagen gerichteten Antrag gestellt und sein erneuter, in der<br />

Hauptverhandlung mit einem Antrag auf Aussetzung des Verfahrens (§ 228 Abs. 1 S. 1 StPO i.V.m. § 71<br />

Abs. 1 OWiG) verbundener Antrag auf Einsichtnahme durch Beschluss des Gerichts zurückgewiesen<br />

wurde, sofern nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Urteil auf der rechtsfehlerhaften Ablehnung<br />

seines Antrags beruht oder beruhen kann (OLG Karlsruhe VRR 8/<strong>2019</strong>, 15 [DEUTSCHER]). Ob dies auch bei<br />

erst in der Hauptverhandlung gestellten Anträgen auf Beiziehung und Einsicht gilt und welche Folgen<br />

insofern die Entscheidung des VerfGH Saarland hat (DAR 2018, 557 = NZV 2018, 275 m. Anm. KRENBERGER =<br />

VRR 6/2018, 15/StRR 6 = 2018, 22 [jew. DEUTSCHER]), ist weiterhin nicht abschließend geklärt (abl. OLG<br />

Zweibrücken zfs <strong>2019</strong>, 412 m. Anm. KRENBERGER).<br />

Hinweis:<br />

Stellen weder die Messbehörde noch die zuständige Bußgeldstelle dem Gericht mehrfach angeforderte<br />

Unterlagen zur Messung zur Verfügung, so kann eine Einstellung des Verfahrens nach § 47 OWiG geboten<br />

sein (AG Dortmund DAR <strong>2019</strong>, 405).<br />

Begründet der Rechtsbeschwerdeführer den Gehörsverstoß mit der Ablehnung eines Aussetzungsantrags,<br />

der mit der Behauptung nicht rechtzeitig erfolgter Überlassung von Messdaten begründet<br />

worden ist, bedarf es regelmäßig der Darlegung, welches Ergebnis die Auswertung der Messdaten<br />

erbracht hätte. Dies wird regelmäßig voraussetzen, dass der Beschwerdeführer ein solches Gutachten<br />

nach Erhalt der digitalen Messdaten in Auftrag gibt und das Ergebnis bis Ablauf der Frist des § 345 Abs. 1<br />

StPO dem Rechtsbeschwerdegericht mitteilt (so recht weitgehend OLG Zweibrücken NStZ-RR <strong>2019</strong>,<br />

228).<br />

Der Zulässigkeit der Beschwerde gegen die unterblieben Beiziehung der Unterlagen und Daten im<br />

gerichtlichen Verfahren steht § 305 S. 1 StPO nicht entgegen, wobei dies auch gilt, wenn die Ablehnung<br />

nicht durch Beschluss, sondern durch formlose Mitteilung erfolgt (LG Hanau zfs <strong>2019</strong>, 231 m. Anm.<br />

KRENBERGER).<br />

1126 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 539<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

d) Vorsatz<br />

Bei einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 % ist regelmäßig von Vorsatz auszugehen (KG NStZ<br />

<strong>2019</strong>, 530). Bei einer Verurteilung wegen einer auf einer Autobahn begangenen vorsätzlichen Geschwindigkeitsüberschreitung<br />

müssen die tatrichterlichen Feststellungen eindeutig und nachvollziehbar<br />

ergeben, dass der Betroffene die Geschwindigkeitsbeschränkung kannte und entweder bewusst dagegen<br />

verstoßen oder den Verstoß zumindest billigend in Kauf genommen hat. Die Tatgerichte dürfen<br />

die auf Erfahrung beruhende Wertung, dass ordnungsgemäß aufgestellte, die zulässige Höchstgeschwindigkeit<br />

beschränkende Verkehrszeichen von durchschnittlichen Verkehrsteilnehmern bei zumutbarer<br />

Aufmerksamkeit anlässlich der Fahrt in aller Regel wahrgenommen werden, regelmäßig zugrunde<br />

legen (OLG Bamberg DAR <strong>2019</strong>, 389; auch OLG Hamm zfs <strong>2019</strong>, 353). Auch bei einem Elektrofahrzeug<br />

steigen mit zunehmender Geschwindigkeit Art und Umfang der Fahr(außen)geräusche sowie der durch<br />

das Abrollen der Räder bewirkten Fahrzeugvibrationen; auch ist für den Fahrer das Maß der gefahrenen<br />

Geschwindigkeit anhand der schneller vorbeiziehenden Umgebung erkennbar (OLG Zweibrücken DAR<br />

<strong>2019</strong>, <strong>21</strong>8 = zfs <strong>2019</strong>, 49 = VRR 5/<strong>2019</strong>, 23 [BURHOFF], Überschreitung der zulässigen Geschwindigkeit um<br />

74 % auf einer Bundesstraße).<br />

Hinweise:<br />

Aktuelle Rechtsprechung zum Vorsatz bei Geschwindigkeitsüberschreitungen bei FROMM DAR <strong>2019</strong>, 375.<br />

Eine durch Zeichen 274 der Anlage 2 zur StVO angeordnete und mit Zeichen 101 – allgemeine Gefahr –<br />

verbundene Geschwindigkeitsbeschränkung gilt grundsätzlich solange, bis sie wieder aufgehoben wird<br />

(OLG Celle DAR <strong>2019</strong>, 279 = zfs <strong>2019</strong>, 352 = NZV <strong>2019</strong>, 265 [TERNIG]).<br />

4. Benutzung eines elektronischen Geräts (§ 23 Abs. 1a und 1b StVO)<br />

Die Gerichte mussten sich mit den Folgen der grundlegenden Neufassung des § 23 Abs. 1a StVO zum<br />

19.10.2017 befassen. Bei einem mit einem Messwertespeicher versehenen Laser-Entfernungsmesser<br />

handelt es sich um ein elektronisches Gerät im Sinne der Vorschrift (OLG Karlsruhe DAR 2018, 692<br />

m. Anm. ENGELBRECHT = VRR 3/<strong>2019</strong>, 19 [BURHOFF] = NZV <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>0 [KRENBERGER]). Weder eine „Powerbank“<br />

noch ein Ladekabel sind isoliert betrachtet jeweils ein elektronisches Geräte i.S.d. § 23 Abs. 1a StVO (OLG<br />

Hamm VRR 9/<strong>2019</strong>, 19 [BURHOFF]). Ein elektronischer Taschenrechner, der über einen internen Speicher<br />

verfügt (vgl. OLG Oldenburg VRR 10/2018, 14 = StRR 9/2018, 24 [BURHOFF] = NZV 2018, 533 [PLETTER]), ist<br />

ein elektronisches Gerät im Sinne der Vorschrift (AG Helmstedt VRR 9/<strong>2019</strong>, <strong>21</strong> [BURHOFF]).<br />

Bereits das bloße Halten eines Mobiltelefons während des Führens eines Fahrzeugs sollte nach der<br />

ursprünglichen Ansicht des OLG Oldenburg ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1a StVO n.F. sein (DAR 2018, 577<br />

= VRR 10/2018, 15 = StRR 9/2018, 26 [jew. BURHOFF] = NZV <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>2 [BALSCHUN]). Zutreffend verlangt<br />

hingegen das OLG Stuttgart, dass der Fahrzeugführer eines der dort genannten elektronischen Geräte<br />

benutzt und es hierfür aufnimmt oder hält (DAR <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>7 = zfs <strong>2019</strong>, 170 m. Anm. KRENBERGER = NZV <strong>2019</strong>,<br />

374 [PLETTER]; ebenso OLG Hamm NStZ <strong>2019</strong>, 531). Nunmehr ist das OLG Oldenburg von seiner<br />

ursprünglichen Ansicht ausdrücklich wieder abgerückt (DAR <strong>2019</strong>, 404 = NStZ-RR <strong>2019</strong>, 404; eingehend<br />

zu dieser Frage WILL NZV <strong>2019</strong>, 331; zur Nutzung von Mobiltelefonen beim hoch- und vollautomatisierten<br />

Fahren ECKEL NZV <strong>2019</strong>, 336). Das Aufnehmen eines Laptops auf den Schoß zu einem<br />

Zeitpunkt, zu dem nicht ausschließbar der Motor des Fahrzeugs an der Lichtzeichenanlage manuell<br />

ausgeschaltet ist, begründet kein fortgesetztes Aufnehmen des Geräts gem. § 23 Abs. 1a Nr. 1 StVO im<br />

Zeitpunkt des Losfahrens, wenn der Betroffene den Laptop beim Anfahren nicht in den Händen hält,<br />

sondern sich dieser auf seinem Schoß eingeklemmt zwischen Oberschenkel und Lenkrad befindet. Beim<br />

Anfahren an einer Lichtzeichenanlage unter weiterem „Tippen“ auf der Tastatur des Laptops scheidet<br />

eine noch erträgliche kurze Blickabwendung nach Maßgabe des § 23 Abs. 1a Nr. 2 StVO schon ihrer<br />

Natur nach aus; die Benutzung erfordert jedenfalls mehr als einen nur kurzen Blickkontakt (OLG Köln<br />

DAR <strong>2019</strong>, 398 = NZV <strong>2019</strong>, 373 [WILL]).<br />

Aus dem Halten eines Mobiltelefons in typischer Filmaufnahmehaltung in Richtung eines verunfallten<br />

Fahrzeugs kann darauf geschlossen werden, dass damit das andere Fahrzeug gefilmt oder fotografiert<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1127


Fach 9 R, Seite 540<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

wird (AG Castrop-Rauxel DAR <strong>2019</strong>, 282 = NZV <strong>2019</strong>, 429 [BALSCHUN]); zum Nachweis des Verstoßes<br />

auch OLG Düsseldorf DAR <strong>2019</strong>, 395 m. Anm. STAUB). Der Verstoß an einer Rotlicht anzeigenden<br />

Lichtzeichenanlage während aktivierter Start-Stopp-Automatik soll nach AG Essen (DAR <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>9<br />

m. Anm. ENGEL) nicht zu einer eintragungsfähigen Geldbuße führen.<br />

Hinweis:<br />

Eine Übersicht zur Vorschrift bei WILL NJW <strong>2019</strong>, 1633. Die Rechtsprechung nach der Reform stellt STAUB<br />

DAR <strong>2019</strong>, 412 dar.<br />

5. Feststellung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse (§ 17 Abs. 3 OWiG)<br />

§ 17 Abs. 3 S. 2 OWiG gibt den Rahmen vor, in welchem Umfang die persönlichen und wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse des Betroffenen im Bußgeldurteil festgestellt werden müssen. Dabei ist das Zusammenspiel<br />

mit den Regelbußgeldsätzen des BKat zu beachten (Übersicht bei DEUTSCHER VRR 6/<strong>2019</strong>, 4).<br />

Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen bei Festsetzung einer Regelgeldbuße von mehr<br />

als 250 € sind nur dann entbehrlich, wenn keine Anhaltspunkte für außergewöhnlich gute oder<br />

außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse des Betroffenen vorhanden sind und dieser<br />

auch keine Angaben zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen macht (OLG Oldenburg DAR <strong>2019</strong>, 403<br />

m. Anm. DEUTSCHER). Das gilt auch, wenn die Regelbuße lediglich um einen geringfügigen Betrag<br />

erhöht wird und sich die Bemessung ersichtlich noch an der Regelgeldbuße orientiert. Dann gebietet<br />

es die gerichtliche Aufklärungspflicht nicht, Feststellungen durch ggf. mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen<br />

einhergehenden und zur Bedeutung der Tat und der Höhe der Geldbuße unverhältnismäßigen<br />

Maßnahmen zu treffen (KG NZV <strong>2019</strong>, 360 m. Anm. KRENBERGER = VRR 6/<strong>2019</strong>, 18<br />

[DEUTSCHER]). Insbesondere sind Durchsuchungsmaßnahmen zur Auffindung entsprechender Unterlagen<br />

weder verhältnismäßig noch flächendeckend praktisch machbar (a.A. LG Hagen StRR 5/<strong>2019</strong>, 25<br />

[DEUTSCHER]).<br />

6. Einziehung des Werts von Taterträgen (§ 29a OWiG)<br />

Der durch die Reform der strafrechtlichen Vermögensabschöpfung zum 1.7.2017 umgestalteten Norm<br />

des § 29a OWiG kommt in der Praxis immer stärkere Bedeutung zu. Das betrifft vor allem die Abschöpfung<br />

von Umsätzen in Form der Dritteinziehung bei Unternehmern, die aufgrund von Verstößen<br />

bei Transporten erlangt werden (etwa Ladungs- und Abmessungsverstöße, Nichtbeachtung des<br />

Sonntagsfahrverbots; eingehend zur Neufassung DEUTSCHER VRR 8/<strong>2019</strong>, 4 m.w.N.). Die Frage, welche<br />

Aufwendungen bei der Berechnung des einzuziehenden Betrags anzurechnen sind, wird näher vom<br />

OLG Karlsruhe (VRR 8/<strong>2019</strong>, 17 [DEUTSCHER]) beleuchtet. Außer Betracht bleibt nach § 29a Abs. 3 S. 2<br />

OWiG das, was für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt<br />

worden ist. Für die insoweit erforderliche subjektive Komponente genügt auch der Kenntnisstand des<br />

unmittelbar Handelnden (hier: Fahrer eines Lastwagens).<br />

7. Abwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung (§§ 73, 74 OWiG)<br />

Vor einer Einspruchsverwerfung nach § 74 Abs. 2 OWiG gebietet es die Aufklärungs- und Fürsorgepflicht,<br />

dass sich das Gericht bei der Geschäftsstelle informiert, ob dort eine Entschuldigungsnachricht<br />

des Betroffenen vorliegt. Auch dann, wenn der Entbindungsantrag erst am Sitzungstag kurz vor dem<br />

anberaumten Termin bei Gericht eingeht (hier: 20 Minuten), darf der Einspruch jedenfalls dann nicht<br />

ohne vorherige Entscheidung über die Entbindung verworfen werden, wenn der Antrag mit „offenem<br />

Visier“, d.h. nicht bewusst oder in rechtsmissbräuchlicher Absicht versteckt oder verklausuliert eingereicht<br />

und bei seiner Übermittlung per Telefax an den Faxanschluss der für die betreffende Abteilung des<br />

AG und in der gerichtlichen Korrespondenz angegebenen zuständigen Geschäftsstelle übersandt worden<br />

ist. Darauf, ob der Entbindungsantrag bis zum Erlass der angefochtenen Entscheidung tatsächlich<br />

zur Kenntnis des Gerichts gelangt ist, kommt es nicht an (BayObLG zfs <strong>2019</strong>, 409). Bei Vorlage einer<br />

ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bestehen jedenfalls dann hinreichende Anhaltspunkte für<br />

die Existenz eines berechtigten Entschuldigungsgrunds, wenn sich aus ihr – etwa aufgrund eines<br />

1128 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Straßenverkehrsrecht Fach 9 R, Seite 541<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

aufgedruckten Diagnoseschlüssels – konkrete Anhaltspunkte auf eine dem Erscheinen in der Hauptverhandlung<br />

entgegen stehende Erkrankung ergeben (OLG Bamberg NStZ <strong>2019</strong>, 527 = DAR <strong>2019</strong>, 100).<br />

Hinweise:<br />

Ein mit dem Zusatzzeichen „Lärmschutz“ versehenes Streckenverbot (hier: Zeichen 274) ist auch vom<br />

Führer eines geräuscharmen Elektrofahrzeugs zu beachten (KG DAR <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>4 = VRR 5/<strong>2019</strong>, 22 [BURHOFF];<br />

zur Beschilderung von Ladestationen für E-Fahrzeuge KORSCH DAR <strong>2019</strong>, 191). Zu den erforderlichen Feststellungen<br />

bei verbotswidriger Überquerung eines Bahnübergang OLG Celle (zfs <strong>2019</strong>, 230 = NZV <strong>2019</strong>,<br />

485 [RINIO]). Die Existenz eines Beweisverbots ist auch dann allein nach der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung<br />

gültigen Verfahrensvorschrift (hier: Blutentnahmeanordnung nach der am 24.8.2017 in Kraft<br />

getretenen Fassung des § 81a Abs. 2 S. 2 StPO) zu beurteilen, wenn diese im Unterschied zu der im<br />

Zeitpunkt der Maßnahmeanordnung gültigen ein Beweisverbot nicht (mehr) vorsieht und keine abweichende<br />

Übergangsregelung getroffen wurde (OLG Bamberg DAR <strong>2019</strong>, 388 m. Anm. ERNST). Wahllichtbildvorlage<br />

und Wahlgegenüberstellung im Verkehrsrecht erörtert GOLDKAMP NZV <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>7. Zur Identifizierung<br />

des Betroffenen anhand von Lichtbildern OLG Düsseldorf DAR <strong>2019</strong>, <strong>21</strong>5 m. Bespr. STAUB 231.<br />

Checkliste zur Rechtsbeschwerde im Bußgeldverfahren bei FROMM NZV <strong>2019</strong>, 408. Zur Erzwingungshaft<br />

näher KRUMM DAR <strong>2019</strong>, 414.<br />

IV.<br />

Fahrerlaubnisrecht<br />

Hinweis:<br />

Neuere Rechtsprechung zum Verkehrsverwaltungsrecht bei KALUS DAR <strong>2019</strong>, 169 und zum Fahrerlaubnisrecht<br />

bei KOEHL NZV 2018, 458.<br />

1. „EU-Führerscheintourismus“ (zugleich Fahren ohne Fahrerlaubnis, § <strong>21</strong> StVG)<br />

Auf Vorlage des OLG Karlsruhe (NZV 2018, 339 = DAR 2018, 94) zu § 28 Abs. 4 Nr. 7 FeV (prüfungsfreier<br />

Umtausch der Fahrerlaubnis eines Drittstaats) hat der EuGH entscheiden (DAR <strong>2019</strong>, 320 m. Anm.<br />

KOEHL): Die Bestimmungen der FS-Richtlinie 2006/126/EG sind dahin auszulegen, dass sie es einem<br />

Mitgliedstaat nicht untersagen, die Anerkennung eines Führerscheins abzulehnen, dessen Inhaber<br />

seinen ordentlichen Wohnsitz im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats hat und der von einem anderen<br />

Mitgliedstaat ohne Fahreignungsprüfung auf der Grundlage eines von einem weiteren Mitgliedstaat<br />

ausgestellten Führerscheins ausgestellt worden ist, der wiederum im Umtausch für einen von einem<br />

Drittstaat ausgestellten Führerschein ausgegeben wurde. Ein Fahrzeugführer macht sich nicht wegen<br />

Fahrens ohne Fahrerlaubnis (§ <strong>21</strong> StVG) strafbar, wenn er zwar seine Fahrerlaubnis in einem Mitgliedstaat<br />

der Europäischen Union erworben hat, ihm aber noch kein Führerschein nach dem Muster<br />

der 3. FS-Richtlinie, sondern nur eine für das Gebiet des Mitgliedstaats gültige Prüfbescheinigung<br />

ausgestellt wurde (AG Kehl NZV <strong>2019</strong>, 362 m. Anm. TERNIG im Anschluss an DAR 2018, 194 und EuGH<br />

DAR 2018, 435; zur verpflichtenden Umtausch alter Führerscheine nach § 24a Abs. 2 FeV BUCHARDT/<br />

OCHEL-BRINKSCHRÖDER DAR <strong>2019</strong>, 408).<br />

2. Entziehung der Fahrerlaubnis (Schwerpunkt: Alkohol- oder Drogenkonsum)<br />

a) Alkohol<br />

Sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 13 S. 1 Nr. 2c) FeV durch eine nach den Vorschriften<br />

über das Fahreignungsregister verwertbare Tat erfüllt, liegen i.d.R. schon deshalb Tatsachen i.S.d. §§ 2<br />

Abs. 8 StVG, 46 Abs. 3 FeV vor, die Zweifel an der Kraftfahreignung des Betr. begründen. Es ist dann kein<br />

Raum mehr für eine Einzelfallbetrachtung (OVG Lüneburg zfs <strong>2019</strong>, 419).<br />

b) Cannabis<br />

Nach Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zu §§ 11, 13 und 14 FeV ist ungeeignet zum Führen von Kfz, wer bei<br />

gelegentlicher Einnahme von Cannabis den Konsum und das Fahren nicht trennen kann. Das BVerwG<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1129


Fach 9 R, Seite 542<br />

Rechtsprechungsübersicht – 1. Hj. <strong>2019</strong><br />

Straßenverkehrsrecht<br />

hat entschieden, dass die Fahrerlaubnisbehörde bei einem gelegentlichen Konsumenten von Cannabis,<br />

der erstmals unter der Wirkung von Cannabis ein Kraftfahrzeug geführt hat, i.d.R. nicht ohne weitere<br />

Aufklärung von fehlender Fahreignung ausgehen und ihm unmittelbar die Fahrerlaubnis entziehen darf<br />

(Wiedergabe der Pressemitteilung in DAR <strong>2019</strong>, 338). Räumt ein Fahrerlaubnisinhaber einen zwei Tage<br />

vor einer Polizeikontrolle stattgefundenen Cannabiskonsum ein und weist die bei der Polizeikontrolle<br />

entnommene Blutprobe einen THC-Wert von 3,5 ng/ml auf, so deutet dies nach dem Stand der<br />

Wissenschaft darauf hin, dass zwischen dem eingeräumten Konsumakt und der Blutentnahme ein<br />

weiterer Konsumakt stattgefunden haben muss (VGH Kassel zfs <strong>2019</strong>, 299; zum Rückschluss aus der<br />

Blutprobe auf einen regelmäßigen Konsum VGH München NJW <strong>2019</strong>, 2339 Ls.). Wird medizinisches<br />

Cannabis nicht entsprechend der ärztlichen Verordnung eingenommen, besteht nach Nr. 9.4 der Anlage<br />

4 zur FeV keine Fahreignung. Im Falle des Beigebrauchs von illegalem Cannabis oder fahreignungsrelevantem<br />

Mischkonsum mit Alkohol bei Cannabispatienten ebenfalls keine Fahreignung. Erfolgt die<br />

ärztliche Verordnung von medizinischem Cannabis erst nach einem Verstoß gegen das Trennungsgebot<br />

in Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV, hat die Fahrerlaubnisbehörde zu prüfen, ob durch die Verordnung die<br />

Fahreignungszweifel ausgeräumt sind (VGH München NJW <strong>2019</strong>, 2419 Ls. = zfs <strong>2019</strong>, 414).<br />

c) Verfahrensfragen: Gutachtenanordnung<br />

Nach § 13 S. 1 Nr. 2 Buchst. c FeV ist zur Klärung von Eignungszweifeln bei Alkoholproblematik ein<br />

medizinisch-psychologisches Gutachten anzuordnen, wenn der Betreffende ein Fahrzeug im Straßenverkehr<br />

bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration<br />

von 0,8 mg/l oder mehr führt. Die rechtskräftige strafrechtliche Ahndung einer länger zurückliegenden<br />

alkoholisierten Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Fahrrad (BAK: 2,88 ‰) rechtfertigt innerhalb<br />

der Tilgungs- und Verwertungsfristen des § 29 StVG die Anordnung von Aufklärungsmaßnahmen (MPU)<br />

zur Frage, ob der Betroffene auch künftig fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge unter Alkoholeinfluss führen<br />

wird (VG München NZV <strong>2019</strong>, 272 [PIEßKALLA]). Auch eine im Ausland (Polen) begangene Alkoholfahrt und<br />

die dort gemessene Atemalkoholkonzentration können die Anordnung einer MPU rechtfertigen (OVG<br />

Berlin-Brandenburg zfs <strong>2019</strong>, 235). Zur Klärung der Fragestellung, ob regelmäßiger Cannabis-Konsum<br />

(Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV) vorliegt, ist die Anordnung der Beibringung eines chemisch-toxikologischen<br />

Gutachtens unverhältnismäßig, wenn neben einer Blutuntersuchung auch die Untersuchung<br />

von Urin gefordert wird. Die Vorgabe einer konkreten Stelle für die Untersuchung ist nur in<br />

Fällen zulässig, in denen im Hinblick auf die konkrete Fragestellung (§ 11 Abs. 6 S. 1 FeV) aus zwingenden<br />

fachlichen Gründen – etwa in Ansehung einer sehr seltenen Erkrankung – lediglich eine einzige Stelle<br />

zur Untersuchung in der Lage ist (OVG Münster NJW <strong>2019</strong>, 1393).<br />

Ist die Aufforderung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens in das Ermessen der Behörde<br />

gestellt, muss die Ermessensbetätigung von der Behörde nachvollziehbar begründet werden (VGH<br />

München NZV <strong>2019</strong>, 430 [KOEHL]). Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Anfechtungsrechtsbehelfen<br />

gegen den für sofort vollziehbar erklärten Entzug einer Fahrerlaubnis wird i.d.R.<br />

nur dann in Betracht kommen, wenn hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass das von<br />

dem Betroffenen ausgehende Gefahrenpotenzial nicht nennenswert über dem des Durchschnitts aller<br />

motorisierten Verkehrsteilnehmer liegt (hier: verneint bei Erkrankung an Multipler Sklerose, VGH<br />

München DAR <strong>2019</strong>, 343). Bei fehlenden finanziellen Mitteln des Betroffenen für die Beibringung eines<br />

rechtmäßig geforderten Fahreignungsgutachtens besteht weder ein Anspruch auf Übernahme der<br />

Begutachtungskosten noch auf deren Vorfinanzierung durch die Fahrerlaubnisbehörde (VGH München<br />

NJW <strong>2019</strong>, 1394 Ls. = DAR <strong>2019</strong>, 345 = zfs <strong>2019</strong>, 358 = NZV <strong>2019</strong>, 488 [GAIL]).<br />

1130 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 629<br />

Logistikrecht<br />

Handelsrecht<br />

Logistikrecht<br />

Logistikrecht und Allgemeine Deutsche Speditionsbedingungen<br />

in der anwaltlichen Praxis<br />

Von Rechtsanwalt, Speditionskaufmann und Fachanwalt für Transport- und Speditionsrecht,<br />

CARSTEN VYVERS, Frankfurt a.M.<br />

Inhalt<br />

I. Vorbemerkung<br />

1. Gesetzlicher Regelungsumfang<br />

2. Zur Historie der Begrifflichkeiten: Warum<br />

steht immer eine Jahreszahl hinter dem<br />

Bedingungswerk?<br />

3. Abgrenzung der Bedingungswerke zum<br />

Thema Logistik<br />

4. Praktisches Problem für den Rechtsanwender<br />

II. Lücken beim bloßen Bezug auf branchenübliche<br />

Regelungswerke<br />

III. Notwendigkeit der vertraglichen Regelung<br />

über ADSp 2017 und Logistik-AGB <strong>2019</strong><br />

hinaus<br />

IV. Haftung des Dienstleisters<br />

1. Zur Haftung allgemein<br />

2. Zusammenspiel zwischen Haftung,<br />

Versicherung und Kosten<br />

3. Regelungen zur Schadensabwicklung<br />

V. Notwendigkeit des regelmäßigen Austauschs<br />

mit der Versicherung<br />

VI. Lange Laufzeit, niedrige Preise?<br />

VII. Berücksichtigung der Rechtsprechung bei<br />

Wahl des Gerichtsorts und der Wahl des<br />

Verfahrens<br />

1. Aspekte der Rechtswahl<br />

2. Pro und Kontra eines Zivilverfahrens<br />

in Abgrenzung zum Schiedsverfahren<br />

I. Vorbemerkung<br />

Die Sicherheit der Lieferkette (auf neudeutsch „Supply-Chain“) und die Pünktlichkeit der Lieferungen<br />

(„just-in-time“) sind nicht nur aus operationeller Sicht von Bedeutung. Auch die juristische Bearbeitung<br />

solcher Sachverhalte stellt den Bearbeiter oftmals vor Herausforderungen. Der vorliegende Beitrag soll<br />

einen ersten, kurzen Überblick über die typischerweise in diesem Zusammenhang auftretenden Themen<br />

liefern.<br />

1. Gesetzlicher Regelungsumfang<br />

Da im vierten Buch des HGB der Begriff der „Logistik“ nicht auftaucht, wird er in der Praxis oftmals<br />

inflationär oder auch mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Im Gesetz geregelt sind stattdessen<br />

der Frachtvertrag §§ 407 ff. HGB, der Speditionsvertrag §§ 453 ff. HGB, der Lagervertrag<br />

§§ 467 ff. HGB, der Stückgutfrachtvertrag §§ 481 ff. HGB und der Reisefrachtvertrag §§ 527 ff. HGB.<br />

Erste Abgrenzungshilfen bieten daher branchenübliche Bedingungswerke wie die Allgemeinen<br />

Deutschen Spediteurbedingungen („ADSp“) in den Fassungen der ADSp 2003, ADSp 2016 und ADSp<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1131


Fach 15, Seite 630<br />

Logistikrecht<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

2017, die Vertragsbedingungen für den Güterkraftverkehrs-, Speditions- und Logistikunternehmer<br />

(„VBGL“ 2015) sowie die Logistik-AGB 2006 und Logistik-AGB <strong>2019</strong>.<br />

2. Zur Historie der Begrifflichkeiten: Warum steht immer eine Jahreszahl hinter dem<br />

Bedingungswerk?<br />

Die ADSp können auf eine mehr als 90-jährige Geschichte zurückblicken. Die allererste Fassung der<br />

ADSp wurde bereits im Jahre 1927 verfasst. ADSp gab es in der Folgezeit bis hin ins Jahr 2015 in unterschiedlichen<br />

Varianten. Gerade in den neunziger Jahren sowie den „Nullerjahren“ existierten verschiedene<br />

Varianten (ADSp 1993, ADSp 1998, ADSp 1999, ADSp 2002, ADSp 2003) da der Gesetzgeber<br />

mit dem Transportrechtsreformgesetz im Jahre 1998 (Gesetz zur Neuregelung des Fracht-,<br />

Speditions- und Lagerrechts vom 25.6.1998, BGBl I S. 1588, ber. BGBl I 1999, S. 42, TRG) umfangreiche<br />

Änderungen im HGB vorgenommen hatte, welche die Nutzer der ADSp – zusammen mit Rechtsprechung<br />

zu den Vorgängerfassungen – teilweise erst Schritt für Schritt umsetzten. Die dem Begriff<br />

ADSp jetzt nachträglich beigefügte Jahreszahl entspricht jeweils dem Jahr, ab welchem die jeweilige<br />

Fassung der ADSp zur Anwendung empfohlen wurde. So wurden bspw. die ADSp 2003 ab dem<br />

1.1.2003 zur Anwendung empfohlen.<br />

Nachdem der Gesetzgeber im Jahre 2013 mit dem Seerechtsreformgesetz (Gesetz zur Reform des<br />

Seehandelsrechts vom 20.4.2013, BGBl 2013 I 831, SeeRRG) wiederum auch das allgemeine Fracht- und<br />

Speditionsrecht reformiert hatte, war eine Überarbeitung der ADSp 2003 mehr als überfällig.<br />

Die Verhandlungen hierüber scheiterten im Jahre 2015 jedoch zunächst. In diesem Zusammenhang<br />

kam es auch zu einem Streit über die Namensrechte an den ADSp. Nach Auffassung der Verladerseite<br />

dürften sich als ADSp nur solche Bedingungswerke bezeichnen, welche gemeinsam zwischen den<br />

beteiligten Nutzern ausgehandelt worden seien. ADSp dürften demnach nicht nur einseitig, von der<br />

Dienstleisterseite allein entwickelte Bedingungswerke heißen. Die Spediteure sollten hierdurch daran<br />

gehindert werden, den Begriff ADSp weiter zu nutzen. Die Verladerschaft selbst nannte ihre<br />

(vermeintliche) Alternative zu den ADSp daher DTLB (Deutsche Transport- und Lagerbedingungen).<br />

Der DSLV Bundesverband Spedition und Logistik e.V. entschloss sich daher, sein Nachfolgewerk zu<br />

den ADSp 2003 als „ADSp 2016“ zu bezeichnen. Die von den Incoterms bereits bekannte Beifügung der<br />

Jahreszahl als Abgrenzungshilfe wurde schließlich auch dann noch beibehalten, als sich Spediteure und<br />

Verladerschaft wieder auf ein einheitliches Bedingungswerk, nunmehr als ADSp 2017 bezeichnet,<br />

verständigt hatten.<br />

Der Einfachheit halber wurde diese Abgrenzungshilfe nachträglich auch auf die Vorgängerfassungen<br />

der ADSp wie bspw. die ADSp 2003 übertragen.<br />

Die Logistik-AGB 2006 sowie die Logistik-AGB <strong>2019</strong> entsprechen der oben beschriebenen Logik nicht<br />

ganz, da sie am 30.3.2006 veröffentlicht bzw. ab dem 1.7.<strong>2019</strong> zur Anwendung empfohlen worden sind.<br />

Wesentlicher ist jedoch noch Folgendes: Die Logistik-AGB <strong>2019</strong> wurden gemeinsam vom DSLV Bundesverband<br />

Spedition und Logistik e.V., dem BGL Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und<br />

Entsorgung e.V. sowie der AMÖ Bundesverband Möbelspedition und Logistik e.V. unter Mitwirkung des<br />

ILRM Institut für Logistikrecht & Riskmanagement Bremerhaven überarbeitet. Der Kreis der beteiligten<br />

Verfasser ist daher deutlich kleiner als der, welcher an der Überarbeitung der ADSp 2017 beteiligt<br />

gewesen sind. Siehe hierzu die Präambel der ADSp 2017: Die Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen<br />

2017 (ADSp 2017) werden zur Anwendung ab dem 1.1.2017 empfohlen vom Bundesverband der<br />

Deutschen Industrie (BDI), Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA), Bundesverband<br />

Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL), Bundesverband Möbelspedition und Logistik<br />

(AMÖ), Bundesverband Wirtschaft, Verkehr und Logistik (BWVL), Deutschen Industrie- und Handelskammertag<br />

(DIHK), Deutschen Speditions- und Logistikverband (DSLV) und Handelsverband Deutschland<br />

(HDE). Diese Empfehlung ist unverbindlich.<br />

1132 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 631<br />

Logistikrecht<br />

Vielen Handelnden ist jedoch gar nicht bewusst, dass es diese Diskussionen über die Namensrechte an<br />

den ADSp gegeben hat. Oder sie haben es in der Zwischenzeit schlichtweg vergessen. Es gibt daher noch<br />

viele Unternehmen, die – absichtlich oder vielleicht auch nur unbewusst – weiter auf die ADSp 2003<br />

verweisen. Die Formulierung „Wir arbeiten ausschließlich auf Basis der ADSp neuester Fassung“ kann nach<br />

hiesiger Auffassung jedenfalls nicht ausreichen, um rechtssicher einen Einbezug der ADSp 2017 herbeizuführen.<br />

Dieses Risiko besteht u.a. dann, wenn der Dienstleister zwar auf eine Leistungserbringung auf Basis<br />

der ADSp neuester Fassung verweist, gleichzeitig die wesentliche Regelung der Haftung kurz mit 5 €<br />

je kg bzw. 1 Mio. € je Schadenfall und 2 Mio. € je Schadenereignis zusammenfasst. Denn solche<br />

Haftungsbegrenzungen finden sich weder in den ADSp 2016 noch in den ADSp 2017 wieder, sondern<br />

einzig und allein in den ADSp 2003, so dass zwangsläufig auch nur diese mit solch einem Verweis<br />

gemeint sein können.<br />

Beispielhaft wird in diesem Zusammenhang auf zwei branchenübliche Formulierungen Bezug genommen.<br />

Praxistipp:<br />

Falsch (kein Einbezug der ADSp 2017):<br />

„Wir arbeiten ausschließlich auf Basis der ADSp, neuester Fassung. Diese beschränken in Ziff. 23 ADSp die<br />

gesetzliche Haftung für Güterschäden nach § 431 HGB für Schäden im speditionellen Gewahrsam auf 5 € je<br />

kg, bei multimodalen Transporten unter Einschluss einer Seebeförderung auf 2 SZR/kg sowie ferner je<br />

Schadenfall bzw. -ereignis auf 1 Mio. € bzw. 2 Mio. € oder 2 SZR/kg, je nachdem, welcher Betrag höher ist.<br />

Ergänzend wird vereinbart, dass (1) Ziff. 27 ADSp weder die Haftung des Spediteurs noch die Zurechnung<br />

des Verschuldens von Leuten und sonstigen Dritten abweichend von gesetzlichen Vorschriften wie § 507<br />

HGB, Art. 25 MÜ, Art. 36 CIM, Art. 20, <strong>21</strong> CMNI zugunsten des Auftraggebers erweitert, (2) der Spediteur<br />

als Verfrachter in den in § 512 Abs. 2 Nr. HGB aufgeführten Fällen des nautischen Verschulden oder Feuer<br />

an Bord nur für eigenes Verschulden haftet und (3) der Spediteur als Frachtführer i.S.d. CMNI unter den in<br />

Art. 25 Abs. 2 CMNI genannten Voraussetzungen nicht für nautisches Verschulden, Feuer an Bord oder<br />

Mängel des Schiffes haftet.“<br />

Richtig (wirksamer Einbezug der ADSp 2017) – wenn auch nicht ausreichend (s.u.):<br />

„Wir arbeiten ausschließlich auf Grundlage der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen 2017 –<br />

ADSp 2017. Hinweis: Die ADSp 2017 weichen in Ziffer 23 hinsichtlich des Haftungshöchstbetrags für<br />

Güterschäden (§ 431 HGB) vom Gesetz ab, indem sie die Haftung bei multimodalen Transporten unter<br />

Einschluss einer Seebeförderung und bei unbekanntem Schadenort auf 2 SZR/kg und i.Ü. die Regelhaftung<br />

von 8,33 SZR/kg zusätzlich auf 1,25 Mio. € je Schadenfall sowie 2,5 Mio. € je Schadenereignis, mindestens<br />

aber 2 SZR/kg, beschränken.“<br />

Hinweis:<br />

Es empfiehlt sich, die Klauseln der Ziffern 22 – 25 ADSp 2017 vorsorglich auch drucktechnisch hervorzuheben.<br />

Wird dem Kunden auf dessen Verlangen lediglich der Text der ADSp 2017 zur Verfügung gestellt,<br />

ohne dass auf die hierin enthaltenen Haftungsklauseln gesondert hingewiesen wurde, hat man in solch<br />

einem Fall immer noch das zusätzliche Verteidigungsargument an der Hand, dass die drucktechnische<br />

Hervorhebung im Text in jedem Fall ausreichend ist, da sie sogar der „alten“, vor Inkrafttreten des SeeRRG<br />

gültigen und damit strengeren Rechtslage entspricht. Dort verlangte man für Abweichungen von der<br />

gesetzlichen Grundhaftung des § 431 Abs. 1 HGB eine drucktechnische Hervorhebung. Neuerdings wird nur<br />

noch eine „Geeignetheit“ des Hinweises verlangt, ohne dies näher zu definieren.<br />

Will der Dienstleister ganz auf Nummer sicher gehen, sollte er sich von jedem (Neu-)Kunden schriftlich<br />

den Erhalt und das Einverständnis mit einer Leistungserbringung auf Basis der ADSp 2017 bestätigen<br />

lassen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1133


Fach 15, Seite 632<br />

Logistikrecht<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

3. Abgrenzung der Bedingungswerke zum Thema Logistik<br />

Wie bereits erwähnt, fehlt es an einer gesetzlichen Definition des Begriffs der Logistik. Es ist daher auf<br />

die vorgenannten Bedingungswerke wie die ADSp 2017 oder die Logistik-AGB <strong>2019</strong> zurückzugreifen.<br />

Unterschieden wird dabei zwischen speditionsüblichen logistischen Leistungen, wenn diese mit der<br />

Beförderung oder Lagerung von Gütern in Zusammenhang stehen (s. hierzu Ziff. 1.14 ADSp 2017) und<br />

logistischen (Zusatz-)Leistungen, die nicht in Zusammenhang mit einem Verkehrsvertrag i.S.d. ADSp<br />

stehen (s. hierzu Ziff. 1.1 Logistik-AGB <strong>2019</strong>).<br />

Zu den speditionsüblichen, logistischen Leistungen gehören insbesondere Tätigkeiten wie die Bildung<br />

von Ladeeinheiten, das Kommissionieren, das Etikettieren und Verwiegen von Gütern und die<br />

Retourenabwicklung. Im Gegensatz hierzu stehen Tätigkeiten für den Auftraggeber oder von ihm<br />

benannte Dritte, wie z.B. die Auftragsannahme (Call-Center), Warenbehandlung, Warenprüfung,<br />

Warenaufbereitung, länder- und kundenspezifische Warenanpassung, Montage, Reparatur, Qualitätskontrolle,<br />

Preisauszeichnung, Regalservice, Installation oder die Inbetriebnahme von Waren und<br />

Gütern oder Tätigkeiten in Bezug auf die Planung, Realisierung, Steuerung oder Kontrolle des Bestell-,<br />

Prozess-, Vertriebs-, Verwertungs- und Informationsmanagements (s. Ziff. 1.1 Logistik-AGB <strong>2019</strong>).<br />

Bei einem „Logistik“-Vertrag handelt es sich daher i.d.R. um einen typengemischten Vertrag.<br />

4. Praktisches Problem für den Rechtsanwender<br />

Im Transport-, Speditions- und Logistikbereich wird – zum Leidwesen des Rechtsanwalts, welcher<br />

sich im Rahmen einer streitigen Auseinandersetzung das erste Mal mit den Vertragsverhältnissen der<br />

beteiligten Parteien auseinandersetzen muss – oftmals noch häufig „auf Zuruf“ agiert. Ob dies auch<br />

darauf zurückzuführen ist, dass Personen, welche tagtäglich mit dem Lieferprinzip „Just-in-time“<br />

agieren, nur ungern zusätzliche Zeit in Vertragsverhandlungen investieren, ist unbekannt. Es ist bekanntlich<br />

kein Problem, so lange alles funktioniert und die Parteien gut miteinander klarkommen.<br />

II. Lücken beim bloßen Bezug auf branchenübliche Regelungswerke<br />

Allgemeine Geschäftsbedingungen wie die bereits erwähnten ADSp 2017 bzw. die Logistik-AGB <strong>2019</strong><br />

haben sich jedoch noch nicht so etabliert, wie man es eigentlich erwartet hätte. Sie stellen auch nicht<br />

immer so eine solide Grundlage dar, dass man sie guten Gewissens ohne jedwede Ergänzung dem<br />

Dienstleister zur Verwendung empfehlen könnte. Zur Verdeutlichung nur zwei Beispiele:<br />

Beispiele:<br />

Das Aufrechnungsverbot in Ziff. 19 ADSp 2017 läuft aktuell leer. Die Klausel lautet:<br />

„Gegenüber Ansprüchen aus dem Verkehrsvertrag und damit zusammenhängenden außervertraglichen<br />

Ansprüchen ist eine Aufrechnung oder Zurückbehaltung nur zulässig, wenn der Gegenanspruch fällig,<br />

unbestritten, entscheidungsreif oder rechtskräftig festgestellt ist“.<br />

Richtigerweise müsste es jedoch der fällige Gegenanspruch heißen (s. hierzu die Formulierung in Ziff.<br />

19 ADSp 2003/2016). Eine Änderung dieser Klausel war von den Verfassern der ADSp 2017 nach eigenen<br />

Angaben nicht beabsichtigt. Eine Auslegung nach Sinn und Zweck und entgegen dem Wortlaut dürfte<br />

jedoch nur schwer möglich sein. Es ist daher nach hiesiger Auffassung empfehlenswert, vorsorglich eine<br />

Ergänzung zu den ADSp 2017 mit aufzunehmen.<br />

Diese Klausel kann wie folgt lauten:<br />

„Es wird klargestellt, dass eine Aufrechnung oder Zurückbehaltung gegenüber Ansprüchen aus dem<br />

Verkehrsvertrag und damit zusammenhängenden, außervertraglichen Ansprüchen nur dann zulässig<br />

ist, wenn der fällige Gegenanspruch unbestritten, entscheidungsreif oder rechtskräftig festgestellt ist“.<br />

Mit Blick auf die Logistik-AGB <strong>2019</strong> wird aller Voraussicht nach deren Ziff. 1.4 künftig noch für eine<br />

Vielzahl an Diskussionen sorgen. Hiernach sollen die ADSp bei etwaigen Widersprüchen zwischen den<br />

ADSp und den Logistik-AGB <strong>2019</strong> nunmehr Vorrang genießen. Abgesehen davon, dass die allgemeineren<br />

Bestimmungen (d.h. die ADSp) somit die spezielleren Bestimmungen (d.h. die Logistik-AGB <strong>2019</strong>)<br />

1134 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 633<br />

Logistikrecht<br />

verdrängen sollen, war das Verhältnis von ADSp 2003 und Logistik-AGB 2006 genau anders herum<br />

geregelt. Warum dies jetzt geändert wurde, bleibt offen.<br />

In den ADSp 2016/2017 fehlt es bewusst an einem vertraglichen Pfandrecht. Es wird nur auf die gesetzlichen<br />

Pfandrechte verwiesen und lediglich Modifikationen zu dessen Ausübung getroffen. Welchen<br />

Anwendungsbereich – wenn überhaupt – damit noch das in Ziff. 10.1 Logistik-AGB <strong>2019</strong> enthaltene,<br />

vertragliche Pfandrechte hat, wird die Zukunft zeigen.<br />

Auch die Rechtsfolgen, wenn der Auftragnehmer über gar keine Haftungsversicherung verfügt und/<br />

oder die zu spät eindeckt, sind in Ziff. 18.3 Logistik-AGB <strong>2019</strong> sowie Ziffern 28.2, 28.3 ADSp 2017<br />

unterschiedlich geregelt.<br />

III. Notwendigkeit der vertraglichen Regelung über ADSp 2017 und Logistik-AGB <strong>2019</strong> hinaus<br />

Es ist daher dringend zu empfehlen, gerade bei längerfristigen Projekten oder höheren Volumina, das<br />

Geschäft mit dem Kunden auf eine solide, vertragliche Basis zu setzen. Unklare Zuordnungen der<br />

jeweiligen Verantwortlichkeit, mögliche Fehl- und Missinterpretationen über die konkret zu erbringenden<br />

Tätigkeiten, die Gültigkeit der hierfür in Ansatz zu bringenden Preise, die Art und Weise einer<br />

etwaigen Vertragsanpassung oder -kündigung sowie die Laufzeit des Vertrags können ansonsten zu<br />

Diskussionen und (Rechts-)Streitigkeiten führen, die durch eine gute Vertragsgestaltung vermieden<br />

bzw. reduziert werden können.<br />

Eine Art abschließender Checkliste, welche Punkte zwingend zu regeln sind, kann an dieser Stelle<br />

leider nicht präsentiert werden. (Branchen-)Spezifika der beteiligten Unternehmen und der zu behandelnden<br />

Güter, Kundenanforderungen bzw. -wünsche zu bestimmten Servicearten und die gemeinsam<br />

abgestimmten, operationellen Abläufe einschließlich der gewählten Art und Weise der<br />

Kommunikation (gemeinsame EDV-Schnittstelle, E-Mail, Fax, einseitiger Leistungsabruf ohne Möglichkeit<br />

der Ablehnung durch die andere Partei etc.) führen dazu, dass der eine Vertrag deutlich<br />

umfangreicher und detaillierter sein wird als der andere Vertrag für denselben Dienstleister.<br />

IV.<br />

Haftung des Dienstleisters<br />

1. Zur Haftung allgemein<br />

Vorweggeschickt sei an dieser Stelle zunächst der Hinweis, dass die deutschen Gerichte tendenziell<br />

eher recht strenge Maßstäbe an die Organisation des Spediteurs/Frachtführers anlegen und daher ein<br />

erhebliches Risiko besteht, dass der Dienstleister sich dem Vorwurf eines groben Organisationsverschuldens<br />

ausgesetzt sieht, welches zu einer Durchbrechung der gesetzlich oder vertraglich vereinbarten<br />

Haftung führen kann. Zwar ist in letzter Zeit zumindest auf Ebene der Oberlandesgerichte<br />

eine Tendenz erkennbar, sich im Streitfall intensiver mit dieser Problematik auseinander zu setzen und<br />

nicht mehr so schnell eine Haftungsdurchbrechung zu Lasten des Dienstleisters zu bejahen. Bis sich<br />

diese positive Entwicklung zugunsten der beklagten Spediteure/Frachtführer jedoch manifestiert hat,<br />

dürfte noch eine Zeit vergehen.<br />

Die Haftung ist im Bereich des Transport- und Speditionsrechts nämlich grds. limitiert. Sie wird dabei<br />

i.d.R. gewichtsbasiert berechnet. Die nach den §§ 429, 430 HGB zu leistende Entschädigung wegen<br />

Verlust oder Beschädigung des Gutes ist nach § 431 Abs. 1 HGB auf einen Betrag von 8,33<br />

Rechnungseinheiten für jedes Kilogramm des Rohgewichts des Guts begrenzt. Die Rechnungseinheit<br />

entspricht dem Sonderziehungsrecht (SZR) des Internationalen Währungsfonds und wird taggenau<br />

berechnet; die Faustformel lautet: 8,33 SZR entsprechen 10 €.<br />

§§ 449, 466 HGB erlauben es dem Dienstleister, seine Haftung innerhalb eines Korridors von 2 – 40 SZR<br />

durch AGB zu gestalten. Niedriger als 2 SZR pro kg darf die Haftung durch AGB nicht herabgesetzt<br />

werden. Die ADSp 2003 nutzten diesen Spielraum aus, indem sie die Haftung für Schäden im<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1135


Fach 15, Seite 634<br />

Logistikrecht<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

speditionellen Gewahrsam sowie im Bereich des Lagers auf den Betrag von 5 € je kg limitierten. Die<br />

ADSp 2017 gehen in diesen Bereichen stattdessen von einer Regelhaftung von 8,33 SZR je kg aus.<br />

2. Zusammenspiel zwischen Haftung, Versicherung und Kosten<br />

Für den Dienstleister empfiehlt es sich im Rahmen seiner Angebots- und Kostenkalkulation möglichst<br />

frühzeitig auch über möglicherweise zusätzlich einzudeckenden Versicherungsschutz für das konkrete<br />

Projekt nachzudenken. Zu ADSp 2017 und Logistik-AGB <strong>2019</strong> gibt es i.d.R. Standardprodukte, die jedoch<br />

nicht jeden Kundenwunsch automatisch mit abdecken. Typische Themen wie die Ausschöpfung des<br />

Haftungskorridors auf 40 SZR je kg sind in der Standardversicherungspolice oftmals bereits enthalten,<br />

bei anderen Komponenten wie bspw. der Wertdeklaration oder anderen, haftungsträchtigen Dienstleistungen<br />

gilt dies jedoch nicht.<br />

Für den mit der Vertragsprüfung beauftragten Rechtsanwalt sollten die Regelungen zur Haftung –<br />

neben der hiervor noch zu beachtenden Rechts- und Gerichtsstandswahl – diejenigen sein, auf welche<br />

sich sein Augenmerk besonders richtet. Auch wenn es am Ende immer eine kaufmännische Entscheidung<br />

ist, inwieweit die Beteiligten bereit sind, ihnen bekannte Risiken einzugehen, kann der erfahrene<br />

Anwalt mitunter Zusatzrisiken aufdecken, die den Kaufleuten bis dato nicht bewusst gewesen sind.<br />

Gerade beim Umgang mit höherwertigen Gütern sollte man nicht außer Acht lassen, dass ein einzelner<br />

Schadensfall bereits zu erheblichen Diskussionen und Schäden führen kann.<br />

Auch die auf den ersten Blick nur geringfügige Anhebung einer Selbstbeteiligung des Dienstleisters von<br />

bspw. 500 € auf 1.000 € je Schadensfall kann zu einer unliebsamen Überraschung führen, wenn man<br />

keinen hinreichenden Überblick über die bisherigen Schadensquoten und Schadenszahlungen hat.<br />

3. Regelungen zur Schadensabwicklung<br />

Die Anforderungen an den Geschädigten, wie er seinen Schaden darzulegen und zu beweisen hat, sind in<br />

der Vergangenheit weiter gestiegen und gleichzeitig werden die ersatzfähigen Schadenspositionen<br />

reduziert. Entgangener Gewinn ist bspw. nicht zwangsläufig zu ersetzen. Es kann sich daher empfehlen,<br />

im Rahmen der Vertragsgestaltung hierzu weitere Regelungen zu treffen.<br />

Nach der Rechtsprechung des BGH und der Instanzgerichte hat der Anspruchsteller zunächst nur<br />

Anspruch auf Ersatz seiner Wiederbeschaffungskosten. Diese kann – je nach Handelsstufe, auf welcher<br />

der Geschädigte tätig ist – u.U. durch eine Einkaufsrechnung dargelegt werden. Bei einem produzierenden<br />

Unternehmen existiert solch in Dokument nicht. Nachvollziehbarerweise zögert der Kunde<br />

auch, seine Kalkulation (und die möglicherweise zu erzielenden Margen) offenzulegen. Vor diesem<br />

Hintergrund kann es hilfreich sein, Regelungen zu schaffen, wie im Schadensfall abgerechnet werden<br />

soll. Beispiele: Verkaufsrechnung an externe Dritte minus x %.<br />

Zur Vermeidung unnötiger Diskussionen kann es überdies hilfreich sein, die Reaktions- bzw. Schadensbearbeitungszeit<br />

zu definieren. Dies vermeidet nicht nur Nachfragen und ggf. Frust über vermeintlich<br />

schleppende Bearbeitungszeiten, sondern gibt den Mitarbeitern der jeweiligen Schadensabteilung auch<br />

Zeit und Muße, sich um ihre Kernaufgaben zu kümmern.<br />

V. Notwendigkeit des regelmäßigen Austauschs mit der Versicherung<br />

Wie bereits erwähnt, sollte man sich vorsorglich bei größeren Vertragsprojekten oder neuen, den<br />

Kunden angebotenen Dienstleistungen vorab von der Versicherung oder dem Versicherungsmakler<br />

bestätigen lassen, dass Versicherungsschutz für die unter dem Vertrag erbrachten Dienstleistungen gewährt<br />

wird. Andernfalls drohen u.U. Lücken im Versicherungsschutz, wenn bspw. die Betriebsbeschreibung<br />

nicht hinreichend aktuell ist oder die Versicherung von einem anderen Leistungsspektrum<br />

ausgeht, als es der Dienstleister seinem Kunden im konkreten Fall angeboten hat.<br />

Darüber hinaus ermöglicht solch ein frühzeitiger Kontakt zur Versicherung, etwaige anfallende Zusatzprämien<br />

noch in die eigene Kostenkalkulation einfließen lassen zu können.<br />

1136 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Handelsrecht/Gesellschaftsrecht Fach 15, Seite 635<br />

Logistikrecht<br />

VI. Lange Laufzeit, niedrige Preise?<br />

Aus kaufmännischer Sicht dürften in der überwiegenden Zahl der Fälle die konkreten Preisverhandlungen<br />

einen Großteil der Verhandlungen mit dem jeweiligen Kunden einnehmen. Dies ist zumeist eng<br />

verknüpft mit der Frage der Vertragslaufzeit. Während auf beiden Seiten vermutlich noch Einigkeit<br />

darüber besteht, dass sie zunächst möglichst weitgehende Planungssicherheit erhalten möchten,<br />

dürften hinsichtlich des Weges dorthin und der dabei zu berücksichtigenden Rahmenbedingungen<br />

schnell Diskussionen entstehen. Muss der Dienstleister bspw. kostspielige Investitionen tätigen, die sich<br />

für ihn erst über eine längere Vertragslaufzeit amortisieren, wird er anders kalkulieren und andere<br />

Regelungen benötigen, als wenn dieser Punkt entfällt. Muss er stattdessen damit rechnen, dass es<br />

kurzfristig zu Preisänderungen im Markt kommt, auf welche er zeitnah reagieren können muss, um<br />

diese an den Kunden weiterzugeben (bspw., weil der Dienstleister Schwankungen im Energiebereich<br />

nicht einfach so auffangen kann oder das stark saisonale Geschäft des Kunden den Einsatz von<br />

Subunternehmern notwendig macht), sollte die Laufzeit der Preise eher kurz sein.<br />

Wenn möglich, sollte man daher zwischen der reinen Vertragslaufzeit und der Festschreibung der Preise<br />

trennen. Für welchen Zeitraum man sich preistechnisch binden möchte und wann nicht, ist natürlich<br />

eine kaufmännische Grundsatzentscheidung, die jedoch Einfluss auf andere Faktoren wie die Kündigung<br />

hat. Ob man einen festen Preisanpassungsmechanismus wählt, indem man bspw. eine Preisanpassung<br />

an einen bestimmten, sachlich passenden Index des statistischen Bundesamtes koppelt, oder ob man<br />

von vorneherein regelmäßige Termine festlegt, zu welchen sich die Parteien über etwaige Preisanpassungen<br />

austauschen – selbstverständlich gekoppelt mit einem Szenario für den Fall der Nichteinigung<br />

– ist in jedem Einzelfall mit dem Mandanten gemeinsam zu entscheiden.<br />

Welche Ausstiegsszenarien man wählt bzw. wählen kann, hängt jeweils auch von der Art und Weise der<br />

Dienstleistungserbringung ab.<br />

Ist der Dienstleister für seine Leistungserbringung auf einen – mit dem Kunden vorab abgestimmten –<br />

Subunternehmer angewiesen, sollte der Wegfall dieses Subunternehmers ebenso ein (außerordentliches)<br />

Kündigungsrecht für den Dienstleister darstellen wie signifikante, vorher nicht erwartete und<br />

demnach nicht besprochene Änderungen in den Mengenvolumina.<br />

VII. Berücksichtigung der Rechtsprechung bei Wahl des Gerichtsorts und der Wahl des Verfahrens<br />

1. Aspekte der Rechtswahl<br />

Vor dem oben beschriebenen Hintergrund, dass deutsche Gerichte tendenziell eher zugunsten des Auftraggebers<br />

entscheiden, während in anderen Jurisdiktionen wie bspw. den Niederlanden eher zugunsten<br />

des Dienstleisters entschieden wird und bei ähnlich gelagerten Sachverhalten in Deutschland zumeist<br />

eine Haftungsdurchbrechung bejaht, in den Niederlanden jedoch verneint wird, kommt es immer wieder<br />

zu einem Forum-Shopping.<br />

Dies sollte – je nachdem, welche Vertragspartei gerade beraten wird und wo die jeweilige Dienstleistung<br />

erbracht werden soll – in jedem Fall mitberücksichtigt werden. Bei der Erbringung von Dienstleistungen in<br />

unterschiedlichen Ländern, deren Schwerpunkt nicht in Deutschland liegt, kann es daher (aus Sicht des den<br />

Dienstleister beratenden Rechtsanwalts) empfehlenswert sein, über eine Rechts- und Gerichtsstandswahl<br />

zugunsten eines ausländischen Staates und eines dortigen Gerichts nachzudenken. Selbstverständlich sollte<br />

solch eine alternative Rechts- und Gerichtsstandswahl nur nach Rücksprache mit einem dort tätigen und<br />

auf das Transport- und Speditionsrecht spezialisierten Rechtsanwalt vorgenommen werden. Überdies<br />

sollte – wie immer vor Abschluss des Vertrages – die eigene Versicherung informiert und um Bestätigung<br />

des Versicherungsschutzes für die auf Basis des Vertrages erbrachten Leistungen gebeten werden.<br />

2. Pro und Kontra eines Zivilverfahrens in Abgrenzung zum Schiedsverfahren<br />

Grundsätzlich unabhängig von der Frage, auf Basis welcher Rechtsordnung die Dienstleistungen<br />

erbracht werden sollen, gibt es verschiedene Möglichkeiten, Vorsorge für ein mögliches, streitiges<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1137


Fach 15, Seite 636<br />

Logistikrecht<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

Verfahren zu treffen. Neben dem Gang zu den ordentlichen Gerichten kann es sinnvoll sein, über die<br />

Möglichkeit einer alternativen Streitschlichtung nachzudenken.<br />

Ein nicht zu unterschätzender Vorteil ist die Möglichkeit der Kalkulierbarkeit der voraussichtlich<br />

entstehenden Kosten. Gerichtskosten- (GKG) und Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) erlauben es<br />

bekanntlich, für den Fall eines möglichen negativen Verfahrensausgang, die der Gegenseite in solch<br />

einem Fall zu erstattenden Kosten abschätzen zu können. Auch wenn dies wie eine Binsenweisheit<br />

klingt, ist dies – gerade im Vergleich zu Schiedsverfahren nach den Regelungen der Internationalen<br />

Handelskammer (ICC) – ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Die dort tätigen Schiedsrichter rechnen<br />

in der Regel nach Stundensätzen ab. Mit der Dauer des Verfahrens steigen damit nicht nur die Verfahrenskosten,<br />

sondern auch die damit einhergehenden Risiken.<br />

Zwar mag die oftmals beklagte Überlastung der staatlichen Gerichte dazu führen, dass Rechtsstreitigkeiten<br />

sich länger hinziehen. Die Möglichkeit, im Falle eines negativen Verfahrensausgangs Rechtsmittel<br />

einlegen zu können, sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Denn im Schiedsverfahren ist nach einer<br />

Instanz gewöhnlich Schluss.<br />

Die Landgerichte an größeren, für die Transport- und Logistikkette wichtigen Knotenpunkten wie<br />

bspw. Hafenstädten oder Orten mit Flughäfen im Gerichtsbezirk verfügen in der Regel über erfahrene<br />

Kammervorsitzende und Handelsrichter, welche nahezu täglich Rechtsstreitigkeiten aus dem Bereich<br />

des Transport- und Speditionsrechts zu tun haben. Diese Orte sollten bei einer Gerichtsstandswahl<br />

daher vorrangig beachtet werden.<br />

Für die Durchführung eines Gerichtsverfahrens auf Basis der ZPO (oder einer anderen, vertraglich<br />

gewählten Rechtsordnung) spricht aus hiesiger Sicht das Instrument der möglichen Streitverkündung.<br />

Den Wert Dritte – bspw. eingesetzte Subunternehmer, welche gerade im Transport- und Speditionsbereich<br />

regelmäßig vorkommen – an einem etwaigen Rechtstreit beteiligen, weiß man erst dann zu<br />

schätzen, wenn man hieran plötzlich aufgrund einer Verfahrensordnung, die solch ein Instrument nicht<br />

kennt, gehindert ist.<br />

Nicht unerwähnt bleiben sollen in diesem Zusammenhang mögliche Vorteile eines Schiedsverfahrens.<br />

Neben der Möglichkeit, sehr gut mit der Sache vertraute Personen als Entscheider gewinnen zu können,<br />

sind Titel eines Schiedsgerichts im außereuropäischen Ausland vermutlich leichter vollstreckbar als ein<br />

Titel eines deutschen Zivilgerichts.<br />

Ob man die Nichtöffentlichkeit der Schiedsverhandlung ebenfalls als Vorteil ansieht, sei dahingestellt.<br />

Falls von vornherein jedoch geplant ist, Subunternehmer mit einem wesentlichen Teil der Leistungserbringung<br />

zu betrauen, dürfte es erheblichen Zusatzaufwand mit sich bringen, in solch einem Vertrag<br />

mit dem Subunternehmer Regelungen aufzunehmen, wie sich der Subunternehmer im Falle eines<br />

Schiedsverfahrens zwischen seinen Auftraggeber und dessen Kunden zu verhalten hat. Die Möglichkeit,<br />

ad hoc alternative Subunternehmer einzusetzen, wird hierdurch jedenfalls erschwert.<br />

Der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang noch die Möglichkeit einer Mediation genannt.<br />

Da im Fall des Scheiterns einer Mediation weiterhin die Möglichkeit besteht, ein streitiges Verfahren zu<br />

führen, kann man dies als Vorstufe zu einem möglichen Prozess oder Schiedsverfahren einfügen.<br />

Dementsprechend sehen viele Verträge in der Praxis auch mögliche, interne wie externe Eskalationsstufen<br />

vor, wie die Vertragspartner zunächst zu einer gemeinsamen Lösung finden können.<br />

1138 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht Fach 19, Seite 937<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Verwaltungsrecht<br />

Datenschutz: DSGVO auf Kommunalebene<br />

Von Rechtsanwalt THOMAS DAHMEN, Gotha<br />

Inhalt<br />

I. Vorbemerkung<br />

II. Einführung<br />

1. Der Begriff des Datenschutzes<br />

2. Was sind personenbezogene Daten?<br />

3. Was hat sich mit der DSGVO geändert?<br />

III. Umsetzung der DSGVO<br />

1. Rechtmäßigkeit der Erhebung und Verarbeitung<br />

personenbezogener Daten<br />

2. Informationspflichten<br />

3. Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten<br />

4. Datenschutz-Folgenabschätzung<br />

5. Auftragsverarbeitung<br />

IV. Betroffenenrechte<br />

1. Auskunft<br />

2. Berichtigung<br />

3. Löschung<br />

4. Widerspruch<br />

5. Datenpanne<br />

V. Aktuelle Fallgestaltungen zum Datenschutzrecht<br />

1. Foto<br />

2. Videoüberwachung<br />

3. Visitenkarte<br />

VI. Beschäftigtendatenschutz<br />

1. Wenn der Mandant sich bei der Behörde<br />

erfolglos beworben hat<br />

2. Wenn der Mandant Mitarbeiter der Behörde<br />

ist<br />

3. Wenn die Behörde Mandantin ist<br />

4. Wenn der Landesdatenschutzbeauftragte<br />

der Gegner ist<br />

VII. Ausblick<br />

I. Vorbemerkung<br />

Für das Datenschutzrecht in Europa hat mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) am 25.5.2018<br />

ein neues Zeitalter begonnen. Sie soll die Antwort auf die globalen und digitalen Herausforderungen<br />

der Zukunft sein. Da zum Anwendungsbereich der DSGVO jedermann gehört, der personenbezogene<br />

Daten erhebt oder verarbeitet, wirken sich die Neuregelungen der DSGVO i.V.m. der Novellierung des<br />

Bundesdatenschutzgesetzes auf jegliches Verwaltungshandeln und kommunale Umsetzungsmaßnahmen<br />

direkt aus. Dabei kommt es aus anwaltlicher Sicht darauf an, Mandanten, insbesondere<br />

auch Unternehmen, bei der Umsetzung der DSGVO zu beraten und zu begleiten, aber auch bei der<br />

Interessenwahrnehmung für die Behörde sicherzustellen, dass nicht zum Nachteil des Betroffenen<br />

gehandelt und dessen Rechte verletzt werden. Soweit bei Mandaten also Ämter und Behörden beteiligt<br />

sind, so empfiehlt es sich immer, den Sachverhalt auch in datenschutzrechtlicher Hinsicht zu<br />

überprüfen und mögliche Verstöße geltend zu machen.<br />

Aktuell ist die Anzahl gerichtlicher Entscheidungen zum neuen Datenschutzrecht eher noch gering.<br />

Allerdings sind noch viele Fragen offen, die aber zunehmend zu beantworten sein werden.<br />

Insoweit steigt dann auch wieder die Gefahr, dass die Zahl von Abmahnungen zunimmt und auch<br />

Kontrollen durch die jeweiligen Landesdatenschutzbehörden perspektivisch immer mehr erfolgen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1139


Fach 19, Seite 938<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

II.<br />

Einführung<br />

1. Der Begriff des Datenschutzes<br />

Begonnen hat alles am 27.1.1977 mit dem ersten deutschen Bundesdatenschutzgesetz – dem Gesetz<br />

zum Schutz von Missbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung (BGBl I, Nr. 7 S. 201).<br />

Der Datenschutz findet auch seine Grundlage im Recht auf informationelle Selbstbestimmung nach<br />

Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. hierzu auch Volkszählungsurteil, BVerfG NJW 1984, 419).<br />

Schon damals ging es nicht um den Schutz der Daten an sich, sondern wie auch heute um die dahinterstehenden<br />

Persönlichkeitsrechte. Und die sollen mit der seit dem 25.5.2018 in allen europäischen<br />

Ländern geltenden DSGVO (Verordnung [EU] 2016/679 v. 27.4.2016) gewährleistet werden. Diese<br />

Verordnung hat die bislang geltende EU-Datenschutzrichtlinie 95/46/EG abgelöst.<br />

Zusammen mit der DSGVO erfolgte auch eine Novellierung des BDSG (BGBl I S. 2092). Dieses gilt für<br />

öffentliche Stellen des Bundes und auch der Länder, jedenfalls soweit der Datenschutz nicht durch<br />

entsprechende Landesgesetzes explizit geregelt ist (§ 1 BDSG neu).<br />

Soweit es das Verhältnis der DSGVO auf der einen und dem BDSG auf der anderen Seite betrifft, so ist<br />

dieses nicht selten als kompliziert zu bezeichnen. Denn viele Verweise und Bezugnahmen machen<br />

eine eindeutige Zuordnung oft schwierig und führen im Ergebnis immer wieder dazu, dass keine<br />

hinreichende Transparenz zu erkennen ist, was wiederum zu einer entsprechenden Rechtsunsicherheit<br />

führt.<br />

Vorrangig ist die DSGVO jedenfalls dort, wo sie explizit für die in Rede stehenden Bereiche Regelungen<br />

trifft. Ausnahmen sieht die Verordnung über sog. Öffnungsklauseln nach Art. 84 DSGVO, die dem<br />

nationalen Gesetzgeber Spielraum lassen das eine oder andere selbst zu bestimmen oder bereits<br />

bestehende Regelungen weiter aufrecht zu erhalten (vgl. zur Thematik Foto unten, V.1.).<br />

Erstmalig sind Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften auch bußgeldbewehrt (vgl. unten,<br />

VI.4.)<br />

2. Was sind personenbezogene Daten?<br />

Zunächst stellt sich die Frage, was überhaupt Daten sind. Eine Legaldefinition hierfür existiert nicht.<br />

Unter Daten werden also Angaben, Werte, Tatsachen und Informationen verstanden – diese allerdings<br />

ohne jeglichen Personenbezug. Beispiel: Der Tag oder das Jahr. Denn derartige Daten weisen für sich<br />

noch keinen Personenbezug auf. Dieser ergibt sich erst dann, wenn es sich um Geburtsdaten handelt,<br />

die wiederum einer konkreten Person zugeordnet werden können.<br />

Personenbezug ist immer bei den „personenbezogenen Daten“ gegeben. Was hierunter zu verstehen<br />

ist, ergibt sich aus der Legaldefinition nach Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Artikel 4 enthält Begriffsbestimmungen –<br />

neben den personenbezogenen Daten auch diejenigen der Verarbeitung, des Verantwortlichen, des<br />

Auftragsverarbeiters oder auch der Einwilligung oder hinsichtlich bestimmter Daten, wie z.B. biometrische<br />

oder Gesundheitsdaten.<br />

Mit den personenbezogenen Daten sind alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder<br />

identifizierbare natürliche Person beziehen, gemeint. Als identifizierbar wird eine natürliche Person<br />

dann angesehen, die insbesondere mittels Zuordnung durch Kennung wie einen Namen, Kennnummer,<br />

Standortdaten oder anderen besonderen Merkmalen direkt oder indirekt identifiziert werden kann, die<br />

insoweit Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen<br />

oder sozialen Identität dieser natürlichen Personen sind.<br />

1140 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht Fach 19, Seite 939<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Die wichtigsten Elemente sind also zum einen die Information und zum anderen der unmittelbare<br />

oder mittelbare Bezug zu einer natürlichen Person. Dies bedeutet dann aber auch, dass die DSGVO<br />

nur auf natürliche Personen Anwendung findet, nicht indes auf juristische Personen wie z.B. GmbH,<br />

UG oder OHG.<br />

Praxistipp:<br />

Auch wenn juristische Personen ausgenommen sind, so sollten dennoch im täglichen Rechtsverkehr auch<br />

diese wie natürliche Personen behandelt werden, denn hier stehen regelmäßig natürliche Personen dahinter.<br />

Denn es wird mit deren Namen oder Kontaktdaten gearbeitet und kommuniziert. Dies betrifft<br />

gleichermaßen die Geschäftsführung wie das Sekretariat oder (Außen-)Mitarbeiter.<br />

Typische Beispiele für personenbezogene Daten sind:<br />

• Name, Alter, Familienstand, Geburtsdatum, Beruf, Anschrift, Telefonnummer, Einkommen, Konto,<br />

E-Mail, Autokennzeichen, Sozialversicherungsnummer oder IP-Adresse. Nach jahrelangem Streit<br />

hat der BGH klargestellt, dass auch dynamische IP-Adressen zur Gruppe der personenbezogenen<br />

Daten gehören (BGH NJW 2017, 2416).<br />

• Auch ein Foto, mit dem Daten erzeugt werden, kann ebenfalls einen Personenbezug herstellen und<br />

unterfällt deshalb ebenso dem Anwendungsbereich der „personenbezogenen Daten“.<br />

• Die Erhebung und Verarbeitung derartiger personenbezogener Daten bedarf immer der Einwilligung<br />

der betroffenen Person, sofern nicht schon eine gesetzliche Grundlage existiert (siehe III.1.).<br />

• Neben den „personenbezogenen Daten“ hat der Gesetzgeber auch solche in noch höherem Maße<br />

unter Schutz gestellt, die besonders sensibel sind. Damit sind diejenigen gemeint, die in die Intimund<br />

Privatsphäre einer natürlichen Person in besonderem Maße eingreifen.<br />

• Besonders sensibel sind Daten über die „rassische und ethnische Herkunft“. Dieses Begriffspaar zielt<br />

auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Bevölkerungsgruppe ab, die etwa durch die gemeinsame<br />

Herkunft, Kultur oder durch ein Zusammengehörigkeitsgefühl geprägt wird (Hautfarbe, äußere<br />

Merkmale).<br />

• Eine zweite Gruppe innerhalb der besonders sensiblen Daten umfasst die „politischen Meinungen“.<br />

Während die DSGVO den Begriff der politischen Meinung nicht näher definiert, so ist damit nicht nur<br />

die politische Meinung an sich gemeint, sondern auch die Ablehnung bestimmter Ideen, Ideale oder<br />

parteipolitische Überzeugungen. Der Begriff der „politischen Meinung“ ist also im Ergebnis eher weit<br />

zu fassen.<br />

• Die dritte Gruppe beinhaltet die „religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen“. Hier geht es<br />

um Fragen des Sinns des Lebens, den Schutz des Glaubens sowie weltanschauliche Überzeugungen<br />

und das daraus resultierende Handeln. Es geht also insbesondere auch um den Schutz von<br />

Glaubens- und Gewissensfreiheit. Zu dieser Schutzkategorie gehört z.B. auch das Tragen eines<br />

Kopftuchs.<br />

• Zur Gruppe der sensiblen Daten gehört des Weiteren die „Gewerkschaftszugehörigkeit“. Welcher<br />

Gewerkschaft dabei angehört wird, spielt hinsichtlich der Größe und Mitgliederstärke ebenso wenig<br />

eine Rolle wie die politische oder konfessionelle Ausrichtung der Gewerkschaft an sich.<br />

• Eine weitere Gruppe sind die sog. genetischen Daten. Diese sind im Art. 4 Nr. 13 DSGVO legal<br />

definiert. Danach sind genetische Daten personenbezogene Daten zu den ererbten oder erworbenen<br />

genetischen Eigenschaften natürlicher Personen, die eindeutig Informationen über die<br />

Physiologie oder die Gesundheit dieser natürlichen Personen liefern und insbesondere aus der<br />

Analyse einer biologischen Probe der betreffenden natürlichen Person gewonnen werden. Es geht<br />

also um Diagnose und Behandlung von Krankheiten und Gesundheitsrisiken; gerade im Bereich<br />

Medizin, Biotechnik und historischer Forschung haben diese Daten also einen hohen Stellenwert.<br />

Aber auch im Arbeitsleben und hier insbesondere im Bereich des Arbeits- und Gesundheitsschutzes<br />

sind „genetische Daten“ ebenso von hoher Relevanz wie bei Versicherungen und der Frage nach zu<br />

versichernden Risiken.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1141


Fach 19, Seite 940<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

• Eine weitere Gruppe stellen die „biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung“ dar. Nach<br />

Art. 4 Nr. 14 DSGVO sind biometrische Daten mit speziellen technischen Verfahren gewonnene<br />

personenbezogene Daten zu den physischen, physiologischen oder verhaltenstypischen Merkmalen<br />

einer natürlichen Person, die die eindeutige Identifizierung dieser Person ermöglichen oder<br />

bestätigen. Beispiele: Gesichtsbilder, Aufnahmen von Smartphones, Dash-Cams und Body-Cams,<br />

Videokameras.<br />

Demgegenüber fällt die bloße Verarbeitung von Lichtbildern grds. nicht darunter, da hier keine<br />

biometrischen Daten verarbeitet werden.<br />

Praxistipp:<br />

Werden Zugangskontrollen zur Arbeitsstätte durch die Nutzung biometrischer Daten durchgeführt, z.B.<br />

durch einen Fingerabdruckscanner am Eingang, so ist die Erforderlichkeit als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />

ebenso zu prüfen wie regelmäßig die Einwilligung des Mitarbeiters einzuholen.<br />

Denn ohne Einwilligung dürfte auf die entsprechende Technik auf Zugangskarten oder Karten mit Magnetstreifen<br />

nicht einfach zurückgegriffen werden.<br />

• Eine weitere, wichtige Gruppe sensibler Daten sind dann auch noch diejenigen über die Gesundheit.<br />

Gesundheitsdaten beziehen sich auf die körperliche oder geistige Gesundheit einer<br />

Person einschließlich der Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, aus den Information über<br />

den Gesundheitszustand hervor gehen (Art. 14 Nr. 15 DSGVO). Beispiele: Gewicht, Größe, Befunddaten,<br />

Röntgenbilder, Blutgruppe, Unfälle, Impfungen, medizinische Bewertungen (z.B. Einstufung<br />

als Schwerbehinderter), Alkohol, Drogen oder auch die Einnahme von Medikamenten.<br />

• Zu guter Letzt sind noch die Daten über „Sexualleben und sexueller Ausrichtung“ im besonderen<br />

Maße als Teil der sensiblen Daten geschützt. Hierunter fällt die Wahl der Sexualpartner inkl. bestimmter<br />

Vorlieben. Zur sexuellen Orientierung gehören die Zuordnungen zum jeweiligen Geschlecht,<br />

aber auch alle anderen Formen der sexuellen Orientierung. Diese Informationen sind<br />

beispielsweise bei Dating-Apps von Relevanz; so lassen diese sich teilweise vom Nutzer das Recht<br />

einräumen etwa Likes bei Facebook oder Bilder von Instagram auswerten zu dürfen.<br />

Auch der kommunale Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass er nur solche besonders sensiblen Daten<br />

erhält, die auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen. Umso wichtiger ist es, dass Daten derartiger Natur<br />

nur von demjenigen erhoben und verarbeitet werden, der auch sicherstellen kann, dass keine unbefugten<br />

Dritten über diese verfügen können.<br />

Praxistipp:<br />

Der Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber im Wege des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO Informationen<br />

dahingehend verlangen, welche Daten und hierbei insbesondere welche sensiblen Daten<br />

der Arbeitgeber tatsächlich erhalten und verarbeitet hat. Dazu gehört auch die Angabe, aus welcher<br />

Quelle diese Daten stammen. Aus der Auskunft können sich damit korrespondierend dann im Nachgang<br />

Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche gegenüber dem Rechteverletzer ergeben (siehe IV.1).<br />

3. Was hat sich mit der DSGVO geändert?<br />

Die Anforderungen an die Informations-, Nachweis- und Dokumentationspflichten sind gestiegen.<br />

Bisher gelebte und/oder dokumentierte Verfahren müssen ver- oder geändert bzw. angepasst werden.<br />

Organisationsstrukturen sind neu zu bestimmen und insbesondere der Bereich der Datensicherheit ist in<br />

erhöhtem Maße zu garantieren.<br />

1142 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht Fach 19, Seite 941<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Hinweis:<br />

Behörden ist deshalb anzuraten hier entsprechende „neue“ Maßnahmenpläne zu erstellen, die durch<br />

den mandatierten Rechtsanwalt auch im Rahmen einer streitigen Auseinandersetzung eingesehen<br />

und bewertet werden können. Datenschutzrechtliche Strukturdefizite sind dann bei der juristischen<br />

Gesamtbeurteilung mit zu berücksichtigen.<br />

III.<br />

Umsetzung der DSGVO<br />

1. Rechtmäßigkeit der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten<br />

Nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO ist die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten nur rechtmäßig,<br />

wenn einer der dort genannten Voraussetzungen (Art. 6 Abs. 1a bis f) gegeben ist.<br />

Bei der DSGVO handelt es sich um ein sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: Dies bedeutet – alles ist<br />

verboten, sofern es nicht ausdrücklich erlaubt ist. Eine Rechtmäßigkeit für die Erhebung und Verarbeitung<br />

personenbezogener Daten liegt also nur dann vor, wenn entweder die Einwilligung des Betroffenen<br />

gegeben ist oder aber das Gesetz dies ausdrücklich zulässt. Ist beides nicht gegeben, ist jegliche<br />

Form der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten unrechtmäßig. Hiervon gibt es<br />

keine Ausnahme.<br />

a) Einwilligung<br />

Die „Champions-League-Lösung“ ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1a DSGVO, wonach die betroffene Person<br />

ihre Einwilligung in die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten erteilen kann. Von<br />

überragender Bedeutung ist dabei aber, dass für den Einwilligenden der Zweck deutlich erkennbar sein<br />

muss. Erfolgt außerhalb des vereinbarten Zwecks die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener<br />

Daten, so ist auch diese rechtswidrig.<br />

Praxistipp:<br />

Auch wenn der Gesetzgeber für die Einwilligung keine Schriftform verlangt, so ist dies aber schon aus<br />

Beweiszwecken dringend zu empfehlen. Direkte inhaltliche Anforderungen an die Einwilligung macht der<br />

Gesetzgeber im Übrigen aber direkt nicht.<br />

Wichtig ist nur, dass die Einwilligung aus Sicht des objektivierten Empfängerhorizonts verständlich,<br />

leicht zugänglich sein und vor allem den Zweck der Einwilligung erkennen lassen muss. Der Einwilligende<br />

muss auch wissen, dass er seine einmal erteilte Einwilligung zum späteren Zeitpunkt auch<br />

widerrufen kann.<br />

Für die Einwilligungen, die vor dem 25.5.2018 erteilt wurden, kommt es für die Wirksamkeit darauf an, ob<br />

diese schon damals DSGVO konform gewesen sind. Denn Einwilligungen erledigen sich im Übrigen nicht<br />

durch bloßen Zeitablauf (BGH NJW-RR 2018, 486). In der Praxis geht man davon aus, dass zumindest für<br />

solche Einwilligungen, die nicht älter als zwei Jahre sind, diese Vorgehensweise opportun ist.<br />

Praxistipp:<br />

Beruft sich die Behörde also auf eine solche ggf. auch schon ältere Einwilligung, so ist zu prüfen, ob diese<br />

zum damaligen Zeitpunkt bereits den Anforderungen der DSGVO entspricht. Dabei kann auch den Umständen,<br />

wie die Einwilligungserklärung zustande gekommen ist, eine entscheidende Bedeutung zukommen.<br />

Der Mandant ist hier also entsprechend zu befragen. Dies nicht nur im Hinblick auf mögliche weitere<br />

Tatbestände, wie z.B. diejenige nach dem AGG.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1143


Fach 19, Seite 942<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

b) Vertragserfüllung<br />

Eine gesetzliche Einwilligung wird auch dann angenommen, wenn die Erhebung und Verarbeitung<br />

personenbezogener Daten im Rahmen einer Vertragserfüllung erfolgt. Umfasst sind dabei sämtliche<br />

Vertragsstadien, also beginnend mit der Vertragsanbahnung über die Durchführung des Vertrags bis<br />

hin zur Abwicklung. Erhoben dürfen dabei allerdings nur diejenigen Daten, die auch zur Umsetzung<br />

des Vertrags tatsächlich erforderlich sind. Dies ergibt sich bereits aus den Grundsätzen der Datenminimierung<br />

und der Datensparsamkeit.<br />

Nicht zur Umsetzung des Vertrags gehören sog. Zufriedenheitsabfragen; hier bedarf es einer separaten<br />

Einwilligung (BGH NJW 2018, 3506).<br />

c) Rechtliche Verpflichtung<br />

Artikel 6 Abs. 1c DSGVO rechtfertigt die Datenerhebung, wenn sie zur Erfüllung einer rechtlichen<br />

Verpflichtung erforderlich ist. Gemeint sind hierbei u.a. steuerliche Auskunftspflichten, solche im Rahmen<br />

strafrechtlicher Ermittlungen oder auch die Offenbarung von Sozialdaten.<br />

d) Öffentliches Interesse<br />

Artikel 6 Abs. 1e DSGVO erlaubt die Verarbeitung im Rahmen der Wahrnehmung von Aufgaben, die im<br />

öffentlichen Interesse liegen oder in Ausübung öffentlicher Gewalt erfolgen. Dabei knüpft die DSGVO<br />

nicht an die Stelle, sondern gemäß dem funktionalen Ansatz an die erfüllende Aufgabe an. Es geht also<br />

insbesondere um den Bereich der Daseinsvorsorge.<br />

Werden Leistungen durch kommunale Unternehmen auf freiwilliger Basis erbracht, dann ist zu prüfen,<br />

ob es hier letztlich nicht doch um übergeordnete, gesellschaftliche Ziele geht, so dass Art. 6 Abs. 1e<br />

DSGVO Anwendung findet.<br />

e) Berechtigtes Interesse<br />

Der Auffangtatbestand des Art. 6 Abs. 1f DSGVO sieht eine Verarbeitung auch dann als rechtmäßig an,<br />

wenn sie zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich<br />

ist. Hier spielt der Erwägungsgrund 47 der DSGVO eine überragende Rolle, wonach ein solches berechtigtes<br />

Interesse insbesondere dann vorliegt, wenn eine maßgebliche und angemessene Beziehung<br />

zwischen den betroffenen Personen und dem Verantwortlichen besteht und vernünftige Erwartungen<br />

der betroffenen Personen gegeben sind.<br />

Das OLG München (GRUR-RR <strong>2019</strong>, 137) hat klargestellt, dass nicht nur rechtliche, sondern auch<br />

wirtschaftliche oder ideelle Interessen zu berücksichtigen sind. Insgesamt sei der Begriff des „berechtigten<br />

Interesses“ weit auszulegen.<br />

Praxistipp:<br />

Trotz der Möglichkeiten des Art. 6 Abs. 1f DSGVO sollte bei der Anwendung des „berechtigten Interesses“<br />

Vorsicht geboten sein. Denn im Falle einer gerichtlichen Verneinung wäre die Erhebung und Verarbeitung<br />

der personenbezogenen Daten unrechtmäßig.<br />

Deshalb sollte zuvorderst auch über die Möglichkeit nachgedacht werden, eine Einwilligung parallel einzuholen<br />

(Art. 6 Abs. 1a DSGVO).<br />

2. Informationspflichten<br />

Nach Art. 13/14 DSGVO hat auch die Behörde eine Informationspflicht dahingehend zu erfüllen, dass<br />

dem Bürger transparent dargestellt wird, welche personenbezogenen Daten zu welchem Zweck von<br />

ihm erhobenen und verarbeitet werden. Soweit sich nicht bereits aus sondergesetzlichen Regelungen<br />

diese entsprechenden Informationspflichten zwingend ergeben, so muss der Bürger auch im Übrigen<br />

immer darüber informiert werden, welchem Zweck die Verarbeitung unterliegt; wer Zugriff auf die<br />

1144 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht Fach 19, Seite 943<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

personenbezogenen Daten hat bzw. wie lange diese gespeichert werden und ob eine Übertragung<br />

an Dritte erfolgt. Gleichermaßen ist darauf hinzuweisen, dass Betroffenenrechte wie Auskunft, Berichtigung<br />

etc. bestehen.<br />

Die Informationspflicht ist immer zu Beginn zu erfüllen und nicht erst dann, wenn ein Bürger danach<br />

explizit fragt. Dies bedeutet z.B. dann, wenn Merkblätter ausgelegt werden, dass diese auch rechtzeitig<br />

den Betroffenen erreichen müssen. Allgemeine Hinweise, die sich ausschließlich auf der Homepage der<br />

Behörde befinden, sind nicht ausreichend.<br />

Im Bereich von Steuern und Abgaben, die für den Bürger zum Teil eher schwierig durchschaubar sind,<br />

gibt es dennoch keine gesteigerten Informationspflichten.<br />

Hinweis:<br />

In einem Verwaltungsverfahren reicht es aus, die betroffene Person zu Beginn des selbigen zu informieren,<br />

so z.B. bei der Stellung eines entsprechenden Antrags. Wiederholen sich Vorgänge, so muss nicht jedes<br />

Mal erneut der Informationspflicht nachgekommen werden, sondern ein Verweis auf frühere<br />

Informationen ist dabei ausreichend.<br />

Praxistipp:<br />

Steht die Verletzung von Informationspflichten oder eine Verletzung der Meldepflicht nach einer Datenpanne<br />

gem. Art. 33 Abs. 1 DSGVO im Raum, dann kommen auch Schadensansprüche nach Art. 82 DSGVO<br />

in Betracht. Das Recht auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder gegen den möglichen Auftragsverarbeiter<br />

ist neu und erweitert damit die Haftung desjenigen, der personenbezogene Daten erhebt<br />

und verarbeitet.<br />

Die Haftungsproblematik bezieht sich aber ausschließlich auf das privatrechtliche Handeln einer Behörde.<br />

Denn im Übrigen, also bei der Erfüllung öffentlicher Aufgaben, gelten die allgemeinen Grundsätze<br />

zur Amtshaftung (Art. 34 GG i.V.m. § 839 BGB).<br />

3. Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten<br />

Was die Behörde schon in der Vergangenheit als „Verfahrensverzeichnis“ kennt und umgesetzt hat, so<br />

hat der Gesetzgeber dies nunmehr mit dem „Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten“ nochmals<br />

verschärft und die Pflichten diesbezüglich etwas erhöht.<br />

Ein verbindliches Muster für die Erstellung derartiger Verzeichnisse besteht allerdings nicht. Das Verzeichnis<br />

ist vom Verantwortlichen zu erstellen, nicht indes vom Datenschutzbeauftragten. Dieser hat<br />

lediglich beratend tätig zu sein und die Mitverantwortung dafür zu tragen, dass die datenschutzrechtlichen<br />

Anforderungen durch den Verantwortlichen (Geschäftsführung) auch erfüllt werden.<br />

Das Verzeichnis ist schriftlich zu erstellen und muss angemessen aktualisiert werden; eine jährliche<br />

Überarbeitungspflicht besteht allerdings grds. nicht, es sei denn, es ergeben sich diesbezüglich konkrete<br />

Anhaltspunkte.<br />

Praxistipp:<br />

Die Umsetzung der Verzeichnisse kann durch interne Arbeitsanweisungen sichergestellt werden, insbesondere<br />

dahingehend, dass dem Verantwortlichen neue Verarbeitungsvorgänge und die daraus resultierende<br />

Änderungen des bisherigen Verzeichnisses gemeldet werden. Die Dokumentation und Nachweisführung<br />

bezüglich derartiger mündlicher oder schriftlicher Anweisungen spielen dann auch in einem<br />

möglichen Verfahren eine Rolle, in dem einem Mitarbeiter eine datenschutzrechtliche Pflichtverletzung<br />

vorgehalten wird. Dies sowohl im Falle einer Abmahnung also auch einer Kündigung.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1145


Fach 19, Seite 944<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

Das Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten muss nicht veröffentlicht werden; im Rahmen eines<br />

Auskunftsanspruchs kann dieses aber dennoch eingesehen werden. Dieses Recht ergibt sich zwar nicht<br />

unmittelbar aus der DSGVO, ist aber schon nach dem Grundsatz des § 242 BGB ableitbar. Dieser findet<br />

insoweit auch analog im öffentlichen Recht Anwendung.<br />

Fehlt ein Verzeichnis von Verarbeitungstätigkeiten, kann gem. Art. 30 Abs. 4a DSGVO ein Bußgeld<br />

verhängt werden.<br />

Der betroffene Mandant hat zudem die Möglichkeit sich beim zuständigen Landesdatenschutzbeauftragten<br />

zu beschweren.<br />

4. Datenschutz-Folgenabschätzung<br />

Nach Art. 35 Abs. 1 DSGVO besteht die Pflicht eine sog. Risikoabschätzung der Folgen vorgesehener<br />

Verarbeitungsvorgänge durchzuführen.<br />

Wie dies konkret auszusehen hat, hat der Gesetzgeber nicht vorgegeben; aus diesem Grunde herrscht<br />

große Unsicherheit darüber, wie dies im Einzelnen gewährleistet werden soll. Fest steht aber, dass<br />

zum Inhalt einer Datenschutz-Folgenabschätzung jedenfalls immer nachstehende Schritte gehören:<br />

systematische Beschreibung der geplanten Verarbeitungsvorgänge; Beschreibung der Zwecke der<br />

Verarbeitung; Bewertung der Notwendigkeit der Verarbeitung; Bewertung der Verhältnismäßigkeit<br />

der Verarbeitungsvorgänge insbesondere in Bezug auf den Zweck; Bewertung der Risiken für die<br />

Rechte und Freiheiten der betroffenen Person sowie die Festlegung der Abhilfemaßnahmen zur<br />

Bewältigung bestehender Risiken.<br />

Die Aufsichtsbehörden haben zur Orientierung im Rahmen der Datenschutz-Folgenabschätzung eine<br />

Positivliste erstellt, wonach Datenschutz-Folgenabschätzungen bei Trägern großer sozialer Einrichtungen,<br />

Inkassodienstleistungen, einer Anonymisierung besonderer Arten personenbezogener Daten nach<br />

Art.9 DSGVO oder auch der Kundensupport mittels künstlicher Intelligenz zwingend durchzuführen sind<br />

(vgl. Positivlisten zur Datenschutz-Folgenabschätzung; www.bvdnet.de/Aufsichtsbehoerden-veroeffentlich<br />

ten-positivlisten-zur-datenschutz-folgenabschaetzung).<br />

Hilfreich ist ferner auch das Standard-Datenschutz-Modell des BSI (Grundschutz, ISIS 12). Dieses<br />

Modell unterscheidet bei den Risikostufen nach Schutzklassen und der damit verbundenen jeweiligen<br />

Schutzwürdigkeit. So gehören zur Stufe eins all diejenigen personenbezogenen Daten, die frei zugänglich<br />

sind. Gemeint sind Daten aus Telefonbüchern, Internetseiten, Homepages etc.<br />

In der zweiten Stufe sind solche Daten eingestellt, die beschränkt öffentlich zugänglich sind, weil<br />

für diese ein berechtigtes Interesse des Einsichtnehmenden erforderlich ist. Beispiel: Melderegister,<br />

Grundbuch.<br />

In der dritten Stufe befinden sich diejenigen Daten, die die gesellschaftliche Stellung oder die wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse der betroffenen Person berühren. Beispiel: Einkommen, Sozialleistungen.<br />

In der vierten Gruppe sind solche Daten, die die gesellschaftliche Stellung nicht nur berühren, sondern<br />

diese erheblich beeinträchtigen können. Beispiel: Verurteilung, Gesundheitsdaten, Pfändungen.<br />

Von der letzten Stufe werden alle übrigen Daten erfasst, wie z.B. diejenigen, die in den Bereich der<br />

sensiblen Daten nach Art. 9 DSGVO fallen. Ein typisches Beispiel sind hier biometrische Daten, aber auch<br />

die Gesundheitsdaten. Denn hier liegt ein besonderer Eingriff in den Persönlichkeitsbereich des Betroffenen<br />

vor.<br />

Wie eine solche Datenschutz-Folgenabschätzung inhaltlich konkret abzulaufen hat, ergibt sich unter<br />

Berücksichtigung der obigen Ausführungen explizit aus Art. 35 Abs. 7 u. 9 DSGVO.<br />

1146 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht Fach 19, Seite 945<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Dem Bereich der Kontrolle kommt demzufolge eine steigende Bedeutung zu (vgl. im Übrigen auch<br />

Art. 29 – Datenschutzgruppe, Leitlinie zur Datenschutz-Folgenabschätzung WP 248 rev. 01,15).<br />

Eine Datenschutz-Folgenabschätzung muss nicht automatisch regelmäßig wiederholt werden. Denn<br />

Art. 35 Abs. 11 DSGVO normiert keine obligatorische Überprüfungspflicht. Vielmehr ist die Rede von<br />

„erforderlichenfalls“. Dies bedeutet, dass nur bei entsprechenden Anlässen eine erneute Datenschutz-<br />

Folgenabschätzung durchgeführt werden muss. Allerdings empfiehlt sich ein regelmäßiger Abgleich des<br />

Ist- mit dem Soll-Zustand.<br />

Hinweis:<br />

Wird die Datenschutz-Folgenabschätzung nicht oder unrichtig durchgeführt, kommt eine Haftung nach<br />

Art. 82 Abs. 1 und 2 DSGVO ebenso in Betracht wie Schadenersatzansprüche des Betroffenen. Weiterhin<br />

kann auch ein Bußgeld verhängt werden.<br />

5. Auftragsverarbeitung<br />

Die Auftragsverarbeitung (früherer Begriff: Auftragsdatenverarbeitung) ist nunmehr in Art. 28 DSGVO<br />

geregelt. Der Begriff des Auftragsverarbeiters ist in Art. 4 Nr. 8 DSGVO legal definiert. Danach ist Auftragsverarbeiter<br />

eine natürliche oder juristische Person, Behörden, Einrichtungen oder andere Stellen,<br />

die personenbezogene Daten im Auftrag des Verantwortlichen verarbeiten. Beispiel: Cloud-Anbieter,<br />

Call-Center, Webseiten-Betreiber, Datenträgerentsorger<br />

Um die Einhaltung des Datenschutzes beidseitig sicher zu stellen, hat der Gesetzgeber in Art. 28 Abs. 3<br />

DSGVO vorgeschrieben, dass ein entsprechender Vertrag oder ein anderes Rechtsinstrument geschaffen<br />

werden muss. Dabei sind die dort genannten Mindestinhalte zu erfüllen. Dazu gehören: Gegenstand/Dauer<br />

des Auftrags; Umfang, Art und Zweck der Datenverarbeitung; welche Art von Daten<br />

betroffen ist; die Angabe der Kategorien betroffener Personen; die Gewährleistung der Betroffenenrechte;<br />

Rechte und Pflichten des Auftraggebers; der Umfang der Weisungsbefugnisse des Auftraggebers;<br />

die Kontrollrechte des Auftraggebers inkl. der Duldungs- und Mitwirkungsrechte des Auftragsverarbeiters;<br />

die Pflichten des Auftragnehmers; das Recht des Auftragnehmers zum Einsatz von<br />

Subunternehmern; die Regelung wie und in welcher Form Verstöße mitzuteilen sind bis hin zur Regelung,<br />

wie Datenträger zurückgegeben werden müssen.<br />

Die Einhaltung dieser Mindestinhalte ist von besonderer Bedeutung, da der Gesetzgeber eine „gesamtschuldnerische<br />

Haftung“ der Vertragsparteien begründet hat. Das heißt, selbst die ordnungsgemäße<br />

Auswahl des Auftragsverarbeiters entbindet den Auftraggeber nicht von der Haftung.<br />

Praxistipp:<br />

Aufgrund der bestehenden gesamtschuldnerischen Haftung ist im Rahmen der vertraglichen Regelungen<br />

immer die „Freizeichnung“ zu prüfen. Dies vor allem für die Bereiche, auf die der Auftraggeber keinen oder<br />

einen nur geringen Einfluss hat. Auch wenn er beispielsweise verlangen kann, dass ihm der Auftragsverarbeiter<br />

nachweist, dass seine Mitarbeiter entsprechend geschult und sich in den Erklärungen zur<br />

Einhaltung des Datenschutzes verpflichtet haben.<br />

Der Vertrag ist schriftlich abzufassen; die Vereinbarung per E-Mail ist aber ausreichend (§ 126b BGB).<br />

Praxistipp:<br />

Beabsichtigt eine Kommune ein Inkassounternehmen zur Beitreibung privatrechtlicher Forderungen einzuschalten,<br />

so stellt sich die Frage der Auftragsverarbeitung nicht. Denn das Inkassounternehmen hat hier<br />

bei der Umsetzung seiner Aufgaben einen nicht unerheblichen Spielraum und ist regelmäßig weisungsfrei.<br />

Insoweit ist hier wie auch bei Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Rechnungsprüfern eher von einer<br />

neuen Verantwortlichkeit auszugehen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1147


Fach 19, Seite 946<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

IV.<br />

Betroffenenrechte<br />

1. Auskunft<br />

Die betroffene Person hat das Recht von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen,<br />

ob er betreffende personenbezogene Daten verarbeitet. Betroffene Person ist aber nur diejenige, die<br />

deshalb zu schützen ist, weil der Umgang mit personenbezogenen Daten einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht<br />

mit sich bringen kann (OVG Lüneburg, ZD <strong>2019</strong>, 473: Betroffenheit für Insolvenzverwalter<br />

verneint).<br />

Das Auskunftsrecht erfolgt dabei zweistufig. Zunächst ist zu prüfen, ob überhaupt ein Auskunftsanspruch<br />

besteht und in zweiter Folge dann, wie umfangreich Auskunft erteilt werden muss. Dabei geht<br />

es auch darum, welche besonderen Datenkategorien ggf. verarbeitet worden sind (vgl. II.2.).<br />

Die Auskunft kann schriftlich oder digital erfolgen; regelmäßig sind Kopien zu übersenden. Diese haben<br />

eine zusammengefasste Liste der persönlichen Daten zu enthalten. Die Fertigung der Kopien ist für den<br />

Auskunftssuchenden kostenfrei (Art. 12 Abs. 5 S. 1 DSGVO).<br />

Die Auskunft muss unverzüglich, spätestens innerhalb eines Monats nach Antragseingang erteilt<br />

werden. Eine Verlängerung ist in Ausnahmefällen jedoch bis zu zwei Monaten möglich.<br />

Hinweis:<br />

Bei der Prüfung, ob und inwieweit Auskunft zu erteilen ist, muss immer beachtet werden, ob durch die<br />

Auskunft Rechte Dritter verletzt werden könnten.<br />

Praxistipp:<br />

Der Streitwert für eine Auskunftsklage nach Art. 15 DSGVO beträgt regelmäßig 500 €, sofern nicht besondere<br />

Umstände vorliegen (OLG Köln ZD <strong>2019</strong>, 463).<br />

2. Berichtigung<br />

Nach Art. 16 DSGVO hat die betroffene Person das Recht vom Verantwortlichen unverzüglich die<br />

Berichtigung unrichtiger personenbezogener Daten zu verlangen. Unrichtig sind Daten dann, wenn sie<br />

in Widerspruch mit der Wirklichkeit stehen und damit nicht der objektiven Sachlage entsprechen.<br />

Beispiel: falsch geschriebener Name, unzutreffende Adresse, falsches Geburtsdatum.<br />

Gegenstand der Berichtigung können aber nur Tatsachen und keine Meinungsäußerungen sein.<br />

3. Löschung<br />

Art. 17 DSGVO trägt dem Recht auf Vergessenwerden Rechnung (EuGH NJW 2014, 2257). Danach<br />

müssen bei Google Suchergebnisse gelöscht werden, wenn sie insbesondere aufgrund des zeitlichen<br />

Ablaufes eine Persönlichkeitsverletzung darstellen. Denn eine ursprünglich rechtmäßige Verwertung<br />

personenbezogener Daten kann zu einem späteren Zeitpunkt Gegenstand eines Löschungsanspruchs<br />

werden, wobei die Unterlassung der Verarbeitung für die Zukunft ein Teil der Löschung i.S.d. Art. 17 Abs. 1<br />

DSGVO ist (LG Frankfurt/Main ZD <strong>2019</strong>, 410).<br />

Eine Löschung nach Art. 17 kommt aber nur in Betracht, wenn keine Gründe entgegenstehen, die<br />

aufgrund gesetzlicher Aufbewahrungspflichten dem widersprechen.<br />

Ein weiteres Kriterium nach der DSGVO ist die Erstellung eines sog. Löschkonzeptes. Dies trifft gleichermaßen<br />

private Unternehmen wie öffentliche Stellen. Denn als Ausdruck der Datensparsamkeit und der<br />

Datenminimierung sollen Daten nur so lange vorgehalten werden, wie sie tatsächlich erforderlich sind. Ist<br />

dies nicht mehr der Fall, so sind sie unverzüglich zu löschen.<br />

1148 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht Fach 19, Seite 947<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

In einem Löschkonzept ist also festzulegen, wie und wann Daten zu löschen sind unter Berücksichtigung<br />

der gesetzlichen Aufbewahrungspflichten.<br />

Praxistipp:<br />

Auch dieses Löschkonzept kann im Rahmen der Mandatierung von rechtsentscheidender Bedeutung sein.<br />

Auch hieraus können sich entsprechende Abwehrrechte ergeben.<br />

4. Widerspruch<br />

Gemäß Art. <strong>21</strong> DSGVO kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Widerspruchsrecht gegen die<br />

Verarbeitung personenbezogener Daten bestehen. Das Widerspruchsrecht dient dazu bei bestimmten<br />

Datenverarbeitungen einer möglichen besonderen Situation der betroffenen Person Rechnung zu<br />

tragen.<br />

Auch beim Bestehen eines Widerspruchsrechts kann der Verantwortliche die personenbezogenen Daten<br />

aber dennoch weiterhin verarbeiten, wenn zwingende schutzwürdige Gründe vorliegen, die die<br />

Verarbeitung erforderlich machen, insbesondere aufgrund gesetzlicher Vorgaben.<br />

5. Datenpanne<br />

Die Meldung von Datenschutzverletzungen richtet sich nach Art. 33 DSGVO. Kommt es zu einem unbefugten<br />

Offenlegen von personenbezogenen Daten, zu einer Vernichtung, einem Diebstahl oder einem<br />

sonstigen Verlust eines Datenträgers, z.B. eines USB-Sticks, so handelt es sich um eine Datenpanne.<br />

Weiteres Beispiel ist auch der Verlust des privaten Telefons des Mitarbeiters, jedenfalls dann, wenn auf<br />

diesem auch Kundendaten gespeichert waren. Dann geht es darum weitere Folgen insbesondere dadurch<br />

zu verhindern, indem die SIM-Karte über den Anbieter gesperrt wird. Weiterhin ist dann zu prüfen,<br />

welche Arten von Daten betroffen sind, welche Personen in Mitleidenschaft gezogen worden sind<br />

und welche Risiken für diese bestehen.<br />

Praxistipp:<br />

Die Datenpanne muss innerhalb von 72 Stunden bei der Aufsichtsbehörde gemeldet werden; die Frist<br />

beginnt dabei spätestens ab dem Moment der tatsächlichen Kenntnisnahme zu laufen. Auf ein Verschulden<br />

kommt es nicht an.<br />

Diese Meldung muss mindestens enthalten, welche Art der Verletzung des Schutzes personenbezogener<br />

Daten gegeben ist, möglichst mit Angabe der Kategorien und der ungefähren Zahl der betroffenen Personen.<br />

Weiterhin sind Name und Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten oder einer sonstigen Anlaufstelle<br />

zu nennen; weiterhin eine Beschreibung der wahrscheinlichen Folgen der Verletzungen des<br />

Schutzes personenbezogener Daten sowie der Maßnahmen, die kurzfristig, vor allem aber auch langfristig<br />

als Gegenwirkung beschlossen worden sind (Art. 33 Abs. 3 DSGVO).<br />

V. Aktuelle Fallgestaltungen zum Datenschutzrecht<br />

1. Foto<br />

Das Recht am eigenen Bild nach Art. 2, 1 GG i.V.m. §§ 22, 23 KUG war bislang spezialgesetzlich geregelt.<br />

Danach durften Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau<br />

gestellt werden. Es gab aber entsprechende Ausnahmen, so z.B. für Personen des öffentlichen Lebens,<br />

aber auch für solche, die nur Beiwerk auf dem Bild sind oder die sich im Rahmen von Versammlungen<br />

bewegen. Der Handlungsrahmen insbesondere für nicht professionelle Fotografen war damit klar abgesteckt.<br />

Nunmehr ist Unsicherheit dadurch entstanden, dass mit jeder Fertigung eines Fotos auch Daten<br />

entstehen und dies zur Konsequenz haben könnte, dass die DSGVO die bisherigen Regelungen des<br />

KUG verdrängt. Soweit die DSGVO selbst keine expliziten Regelungen zu Fotos enthält, so hat der<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1149


Fach 19, Seite 948<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

europäische Gesetzgeber aber die Möglichkeit gegeben über sog. Öffnungsklauseln nationale Regelungen<br />

zu treffen. Insoweit hätte auch Deutschland über die Nutzung dieser Öffnungsklausel die<br />

weitere Anwendbarkeit des KUG feststellen lassen können. Von dieser Öffnungsklausel wurde aber<br />

hier kein Gebrauch gemacht (Art. 85 DSGVO).<br />

Dies hat nun zu der aktuellen immer noch bestehenden Rechtsunsicherheit geführt, welches Gesetz<br />

denn letztlich Anwendung findet.<br />

Das OLG Köln hat in zwei Beschlüssen vom 18.6.2018 (K und R 2018, 501) sowie vom 8.10.2018 (NJW-RR<br />

<strong>2019</strong>, 240) entschieden, dass das KUG weiterhin Bestand haben soll, da dieses im Zeitpunkt der DSGVO<br />

bereits vorhanden gewesen und insoweit auch nach dem gesetzgeberischen Willen weiter Bestand<br />

haben soll. Das OLG Köln hat also konkludent über die Öffnungsklausel die Anwendbarkeit des KUG<br />

weiterhin bejaht. Ob diese Auffassung allerdings einer höchstrichterlichen Rechtsprechung standhalten<br />

wird, bleibt abzuwarten.<br />

Die Frage, welches Gesetz Anwendung findet, hat deshalb Bedeutung, als das zum einen die Ausnahmen<br />

nach § 23 KUG nicht mehr gelten würden, zum anderen ist aber nach der DSGVO eine bereits<br />

erteilte Einwilligung auch widerrufbar. Während Einwilligungen nach dem KUG nur bei wichtigem<br />

Grund bzw. bei gewandelter Überzeugung widerrufen werden können, so ist dies nach der DSGVO<br />

deutlich leichter möglich.<br />

Ist allein die DSGVO anwendbar, so bemisst sich die Zulässigkeit der Fotoerstellung nach Art. 6 Abs. 1a<br />

DSGVO. Danach ist also grds. die Einwilligung des Abgebildeten erforderlich. Damit muss jeder Fotograf,<br />

der sich nicht auf das Medienprivileg berufen können, zwingend eine Einwilligung einholen.<br />

Unproblematisch sind dann nur noch Fotos, die im Rahmen von persönlichen, familiären Situationen<br />

entstehen. Beispiele: Familienfeiern, Hochzeiten, private Anlässe. Denn hier greift das sog. Haushaltsprivileg<br />

ein (Art. 2 Abs. 2c DSGVO).<br />

Vom Haushaltsprivileg umfasst sind auch solche Handlungen, wo Fotos aus dem Familienkreis dann in<br />

sozialen Netzwerken eingestellt werden. Dies gilt jedenfalls so lange, wie diese nur einer begrenzten<br />

Personenzahl zugänglich sind. Können die Bilder von jedermann eingesehen werden, greift das Haushaltsprivileg<br />

nicht mehr.<br />

Verletzungen von Persönlichkeits- oder Bildrechten führen jedenfalls zu Auskunfts-, Unterlassungs-,<br />

Schadensersatz- und ggf. auch Schmerzensgeldansprüchen. Letztere bestehen aber nur dann, wenn es<br />

sich um schwerwiegende Persönlichkeitsverletzungen handelt. Besonders schwerwiegende Eingriffe<br />

liegen dann vor, wenn die Intimsphäre betroffen ist oder wenn es sich um eine wiederholte Rechtsverletzung<br />

handelt. Voraussetzung ist ferner, dass der Betreffende zumindest grob fahrlässig gehandelt<br />

hat. Hier stellt sich also die Frage nach den bestehenden Sorgfaltspflichten (BGHZ 160, 298; BGH, Beschl.<br />

v. 10.4.2018 – 15 U 176/15).<br />

Praxistipp:<br />

Für die Durchführung von Veranstaltungen ist anzuraten, durch einen Aussteller darauf hinzuweisen, dass<br />

Foto- und Filmaufnahmen gemacht werden. Die Teilnehmer sind darauf hinzuweisen, dass diese sich mit<br />

dem Betreten der Veranstaltung grds. mit der Veröffentlichung gefertigter Bilder einverstanden erklären.<br />

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass mit der Zustimmung zur Veröffentlichung keine weiteren Rechte<br />

verbunden sind.<br />

Nur dann, wenn der Teilnehmer mit der Abbildung nicht einverstanden ist, muss er die Möglichkeit erhalten<br />

dies beim Fotografen oder einem entsprechenden Mitarbeiter des Veranstalters mitzuteilen.<br />

Diese Hinweise sind insoweit auch Ausdruck der Informationspflicht nach Art. 13 DSGVO.<br />

1150 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht Fach 19, Seite 949<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

2. Videoüberwachung<br />

Hier hat sich durch die DSGVO im Wesentlichen nichts geändert; bei der Frage nach der Rechtmäßigkeit<br />

durch Videoüberwachung ist darauf abzuzielen, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls<br />

hier ein Zweck vorliegt, der die Aufnahme entsprechend rechtfertigt. Es geht also darum, wer<br />

von den Videoaufnahmen betroffen ist, welche Bereiche gefilmt werden (Einfallswinkel; LG Hamburg<br />

ZD <strong>2019</strong>, 417), wie lange die Aufzeichnungen gespeichert werden und wer insbesondere Zugriff zu diesen<br />

Aufzeichnungen hat.<br />

Auch hier ist der Zweck von überragender Bedeutung. Bei der Videoüberwachung geht es häufig um<br />

Strafprävention; nicht selten aber auch um die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche, wie z.B.<br />

Schadenersatz. Mit dieser Interessenlage können auch Ämter und Behörde eine entsprechende<br />

Videoüberwachung begründen. Ob die recht- und zweckmäßig ist, ist dann einer gesonderten Prüfung<br />

zuzuführen.<br />

Erfolgt eine Videoüberwachung, bedarf es immer eines entsprechenden Hinweisschildes. Hier haben<br />

die Landesdatenschutzbeauftragten entsprechende Muster Empfehlungen ausgesprochen (vgl. u.a. AG<br />

Videoüberwachung; DSK Beschl. v. 27.2.2018). Die Verwendung des Hinweisschildes ist Ausdruck der<br />

Informationspflicht nach Art. 13/14 DSGVO. Insgesamt ist bei der Videoüberwachung durch staatliche<br />

Stellen eine zunehmende intelligente Videoüberwachung zu beobachten.<br />

Hinweis:<br />

Ansonsten gelten aber bei der Videoüberwachung die bereits bekannten Vorschriften der Datenverarbeitung,<br />

wie sie insbesondere in § 4 BDSG neu aufgeführt sind und insoweit der bisherigen alten<br />

Regelungen (u.a. § 6b BDSG alt) entsprechen. Auch ansonsten verbleibt es bei der Bedeutung des<br />

Hausrechts, das schon an sich ein berechtigtes Interesse zur Durchführung von Videoüberwachungsmaßnahmen<br />

begründet (OLG Frankfurt a.M. ZD <strong>2019</strong>, 274: Grundbucheinsicht wegen Videoüberwachung<br />

öffentlich zugänglicher Bereiche).<br />

Die Dauer der Speicherung hängt auch davon ab, inwieweit noch nachvollziehbare Gründe dafür bestehen,<br />

dass die Daten noch nicht gelöscht werden können. So werden Aufnahmen nicht durch bloßen<br />

Zeitablauf unverhältnismäßig, sofern die Rechtsverfolgung durch den Aufzeichnenden materiell rechtlich<br />

noch möglich ist (BAG ZD <strong>2019</strong>, 226).<br />

Im Rahmen der Erstellung des Verzeichnisses von Verarbeitungstätigkeiten ist im Übrigen für jede<br />

einzelne Kamera ein entsprechendes Verzeichnis anzufertigen.<br />

3. Visitenkarte<br />

Visitenkarten, die beispielsweise auf Messen oder sonstige Veranstaltungen übergeben werden, verfolgen<br />

den Zweck der Informationsübergabe und dem Ziel weiterer geschäftlicher Kontaktaufnahme.<br />

Wer also von einer anderen Person eine solche Visitenkarte erhält, kann grds. von einer wirksamen<br />

Einwilligung zur Nutzung dieser Kontaktdaten i.S.v. Art. 14 Nr. 11 DSGVO ausgehen. Dies bedeutet für<br />

den Adressaten, dass er diese Karte auch weiterverwenden kann. Offen bleibt lediglich die Frage, wie<br />

diese Daten gespeichert werden und in wie weit auch eine Berechtigung dazu besteht, sie an Dritte<br />

weiterzugeben.<br />

Praxistipp:<br />

Auf der Webseite kann ein Hinweis darauf erfolgen, wie mit Daten von erhaltenen oder zugesandten<br />

Visitenkarten verfahren wird. Insoweit könnte den Betreffenden auch eine E-Mail geschickt werden mit<br />

dem Inhalt, dass man sich für die Übersendung bedankt und im Übrigen auf die Datenschutzerklärung<br />

des Unternehmens hinweist, die eine Regelung dazu enthält, wie mit Visitenkarten datenschutzrechtlich<br />

umgegangen wird.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1151


Fach 19, Seite 950<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

VI. Beschäftigtendatenschutz<br />

Soweit in Deutschland ein „Gesetz zur Regelung des Beschäftigtendatenschutzes“ nicht erlassen wurde,<br />

so sind mit der DSGVO aber doch einige spezifische Regelungen hinsichtlich der Besonderheiten des<br />

Arbeitsverhältnisses als Nähe- und Abhängigkeitsverhältnis geschaffen worden.<br />

So sieht beispielsweise § 26 Abs. 8 BDSG eine Erweiterung des Anwendungsbereichs für Beschäftigte<br />

vor. Er nimmt Bezug auf sämtliche Arbeitsverhältnisse, also auch auf solche von Bewerbern, Auszubildenden<br />

oder Zivildienstleistenden. Der Anwendungsbereich auf die Beschäftigten wird deshalb über<br />

sozialversicherungsrechtliche Verhältnisse erweitert.<br />

Neu ist insoweit, dass entgegen den sonstigen Regelungen die Einwilligung im Arbeitsverhältnis<br />

aufgrund der Drucksituation schriftlich erteilt werden muss. Dies gilt jedenfalls nach bisher geltender<br />

Rechtslage.<br />

Mit dem 2. DS-Anpassungs- und Umsetzungsgesetz (2. DSAnpUG) soll es künftig auch möglich sein die<br />

Einwilligung auch elektronisch zu erteilen.<br />

1. Wenn der Mandant sich bei der Behörde erfolglos beworben hat<br />

Auch die Daten eines Bewerbers müssen sicher aufbewahrt werden, unabhängig davon, ob sie als Print<br />

oder online eingehen.<br />

Für die Dauer der Bewerbungsphase können die Daten verarbeitet und genutzt werden. Die Phase ist<br />

dann beendet, wenn sich das Unternehmen gegen den Bewerber entschieden hat. In diesem Moment<br />

müssen die Bewerbungsunterlagen unwiederbringlich gelöscht bzw. vernichtet werden. Denn mit der<br />

Beendigung des Auswahlverfahrens ist der Zweck der Erhebung und Verarbeitung personenbezogener<br />

Daten weggefallen.<br />

Praxistipp:<br />

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass im Nachgang Ansprüche nach AGG geltend gemacht werden,<br />

benötigt der Arbeitgeber doch noch die Bewerbungsunterlagen. Denn ohne wird nur schwer der Beweis<br />

gelingen, dass ein Bewerber nicht aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion, der<br />

Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität benachteiligt worden ist.<br />

Soll auch nach dem Abschluss des Bewerbungsverfahrens die Bewerbung noch gespeichert werden, so<br />

muss der Bewerber dem ausdrücklich zustimmen.<br />

Praxistipp:<br />

Die sicherste Variante ist die Unterlagen zurückzusenden und darauf hinzuweisen, dass bei einer erneuten<br />

Bewerbung diese komplett neu eingereicht werden müssen.<br />

2. Wenn der Mandant Mitarbeiter der Behörde ist<br />

Der Mitarbeiter hat Anspruch darauf, dass während seines Dienstverhältnisses die datenschutzrechtlichen<br />

Verpflichtungen ihm gegenüber eingehalten werden.<br />

Scheidet der Mitarbeiter aus, so kann es Streit darüber geben, ob der personalisierte E-Mail-Account<br />

nach dem Ausscheiden sofort gelöscht werden muss. Die Beantwortung dieser Frage hängt auch davon<br />

ab, inwieweit die Nutzung des betrieblichen E-Mail-Accounts zu privaten Zwecken erlaubt gewesen ist.<br />

Auch hier ist es regelmäßig anzuraten, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener<br />

Daten im Rahmen des E-Mail-Accounts von der Einwilligung des Mitarbeiters legitimiert wird<br />

(vgl. u.a. Handlungsempfehlungen https://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/wp-content/uploads/<br />

2016/02/OH_E-Mail_Internet_Arbeitsplatz.pdf).<br />

1152 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>


Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht Fach 19, Seite 951<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Ist der Mitarbeiter Personalratsmitglied, so hat auch er innerhalb des Personalrats die datenschutzrechtlichen<br />

Vorgaben zu erfüllen. Soweit der Personalrat selbst keiner Kontrolle unterliegt, insbesondere<br />

auch nicht durch den internen Datenschutzbeauftragten, so empfiehlt sich aber dennoch die Einsetzung<br />

eines Datenschutzverantwortlichen/Koordinators, der sich um die datenschutzrechtlichen Belange im<br />

Personalrat kümmert. Dies betrifft nicht nur die stationären Maßnahmen wie Zutritt-, Zugangs- oder<br />

Zugriffskontrolle, sondern auch die Frage, wie sich der Personalrat um die Interessen der Mitarbeiter<br />

und damit auch den Schutz derer personenbezogenen Daten kümmert, soweit sie in den Verantwortungsbereich<br />

das Personalrats gelangt sind.<br />

Praxistipp:<br />

Es empfiehlt sich die Erstellung eines „Datenschutzkonzepts für den Personalrat“ –dies unabhängig von<br />

der Frage, ob es sich beim Personalrat nur um einen Teil der verantwortlichen Stelle oder um die verantwortliche<br />

Stelle selbst handelt (vgl. hierzu informativ aktuelle Kurz-Information 23: Der Personalrat –<br />

Verantwortlicher im Sinne des Datenschutzrechts [von dem bayrischen Landesbeauftragten für den<br />

Datenschutz; www.datenschutz-bayern.de/datenschutzreform2018]).<br />

3. Wenn die Behörde Mandantin ist<br />

Die DSGVO hat dazu geführt, dass die bisherige behördliche Praxis zum Teil einer Überprüfung<br />

zugeführt werden musste. Soweit es beispielsweise um die Veröffentlichung von Ratsbeschlüssen oder<br />

Tagesordnungen geht, so ist rechtsentscheidend, ob für die Mitteilung damit verbundener personenbezogener<br />

Daten auch eine Rechtsgrundlage existiert. Dies kann sich ggf. aus der Kommunalordnung<br />

des betreffenden Bundeslandes ergeben.<br />

Allem behördlichen Handeln gemein ist allerdings, dass ausgeschlossen werden muss, dass das Wohl der<br />

Allgemeinheit oder berechtigter Interessen Einzelner verletzt werden (Einzelfallprüfung).<br />

Die Prüfung ist auch dann vorzunehmen, wenn die Veröffentlichung ausschließlich im Internet erfolgen<br />

soll.<br />

Bei der Veröffentlichung von Alters- und Ehejubiläen gilt, dass diese auch weiterhin möglich ist. Denn die<br />

Übermittlung der Daten an den Bürgermeister zur persönlichen Gratulation bei runden Geburtstagen<br />

oder Ehejubiläen ist zulässig.<br />

Sollen diese allerdings im Amtsblatt veröffentlicht werden, so bedarf es hierzu der entsprechenden<br />

Einwilligung der betroffenen Person.<br />

Praxistipp:<br />

Will der Mandant als Bürger verhindern, dass auch Daten von Jubiläen, die ihn betreffen, veröffentlicht<br />

werden, so kann er dies durch eine Übermittlungssperre erreichen.<br />

Wenn es um Maßnahmen seitens der Behörde geht, die Werbecharakter haben, so ist auch dies nach<br />

der DSGVO grds. erlaubt, denn aus Erwägungsgrund 47 der DSGVO ergibt sich, dass Werbung, und<br />

damit ist auch die Direktwerbung gemeint, ausdrücklich erwünscht ist.<br />

Das berechtigte Interesse für Maßnahmen zu Werbezwecken ergibt sich entweder aus Einwilligung<br />

nach Art. 6 Abs. 1a DSGVO oder aufgrund des Tatbestandes des berechtigten Interesses nach Art. 6<br />

Abs. 1f DSGVO. Allerdings ist unabhängig der DSGVO auch immer das UWG und deren Regelungen zu<br />

beachten, insbesondere § 7 Abs. 3 UWG.<br />

Insoweit kommt also auch hier der Einwilligung eine besondere Bedeutung zu. Die Voraussetzungen<br />

für die Zulässigkeit von Werbung sind dabei bei jeder Werbeform gleich, sei es per E-Mail oder<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong> 1153


Fach 19, Seite 952<br />

Datenschutz: Kommunalebene<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

Telefonwerbung. Werbung im Internet ist durch das sog. Double-Opt-Out-Verfahren abzusichern;<br />

allerdings werden sich hier im Bereich der Internetwerbung durch die ePrivacy-Verordnung noch<br />

einige Änderungen ergeben, so möglicherweise auch eine Tendenz zum Double-Opt-In-Verfahren.<br />

4. Wenn der Landesdatenschutzbeauftragte der Gegner ist<br />

Soweit Datenschutzverstöße bußgeldbewehrt sind, so können die Landesdatenschutzbeauftragen im<br />

Einzelfall entscheiden, ob und in welcher Höhe ein Bußgeld verhängt werden soll. Bei der Höhe sind<br />

dabei nachstehende Faktoren zu berücksichtigen: Schwere und Dauer der Datenschutzverletzung; wie<br />

viele Personen davon betroffen sind; wie hoch ein möglicher Schaden ist; ob die Verletzung fahrlässig<br />

oder vorsätzlich verursacht wurde; inwieweit Schadensminderungsmaßnahmen ergriffen wurden und<br />

wie hoch die Gefahr einer Wiederholung ist.<br />

Um hier eine gewisse Einheitlichkeit zu erzielen, haben die Datenschutzbeauftragten sich zwischenzeitlich<br />

auf ein Modell zur Berechnung von Verstößen gegen die DSGVO verständigt (vgl. NJW aktuell<br />

39/<strong>2019</strong>). Zur Berechnungsgrundlage gehört dabei u.a. der Umsatz des Unternehmens; es wird dann ein<br />

„Tagessatz“ ermittelt, der wiederum mit einem Faktor multipliziert wird, der vor allem Schwere und Art<br />

der Tat berücksichtigt. Im Ergebnis erfolgt dann eine Anpassung der Bußgeldzumessungsregeln (Art. 83<br />

Abs. 2 GS-GVO)<br />

VII. Ausblick<br />

Die DSGVO hat den Blick für den Datenschutz geschärft und dabei gleichzeitig die Anforderungen<br />

erheblich erhöht. Informations-, Dokumentations- sowie Nachweispflichten sind deutlich gestiegen.<br />

Doch ist mit der DSGVO noch nicht das Ende der Neuregelung des Datenschutzes erreicht. Denn schon<br />

jetzt erfolgen die ersten Korrekturen. Der Bundesrat hat Im Wege des 2. DSAnpUG zwischenzeitlich<br />

beschlossen, dass ein betrieblicher Datenschutzbeauftragter nicht wie bislang bei mehr als 10 Mitarbeitern,<br />

sondern nunmehr erst ab 20 Mitarbeitern benannt werden muss; jedenfalls solche, die regelmäßig<br />

mit der Verarbeitung personenbezogener Daten zu tun haben. Eine weitere Erleichterung<br />

wird auch die Einwilligung i.R.d. Beschäftigungsverhältnisses bringen; diese muss nicht mehr zwingend<br />

schriftlich erteilt werden, sondern kann auch durch eine E-Mail erklärt werden.<br />

Im Übrigen wird es aber auch weitere gesetzliche Regelungen im Bereich des Datenschutzes und der<br />

Datensicherheit geben. Eine Erweiterung erfolgt durch die ePrivacy-Verordnung (die voraussichtlich<br />

2020 in Kraft treten wird). Hier wird es um technische Parameter gehen, aber auch um Fragen der<br />

Homepage und damit auch all diejenigen, die im Wege der kommunalen Betriebe derartige unterhalten.<br />

Die Anknüpfungspunkte anwaltlicher Tätigkeiten im Rahmen von Mandaten mit kommunalen Inhalten<br />

werden deshalb nicht weniger werden. Der Blick für datenschutzrechtliche Fragenstellungen ist deshalb<br />

weiterhin zu schärfen.<br />

1154 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>

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