ZAP-2019-21
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Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
Anwalt der Gegenseite“ vor, zu einer Geldstrafe<br />
verurteilt wurden (Urt. v. 8.10.<strong>2019</strong> – Beschwerde-Nr.<br />
24845/13 u. 49103/15).<br />
In dem ersten Fall des LG Neubrandenburg ging es<br />
um Beihilfe eines SS-Sanitäters zum Mord in<br />
tausenden Fällen im Konzentrationslager Auschwitz.<br />
Die Frage der Verhandlungsfähigkeit des<br />
hochbetagten Angeklagten war ein ständiger Reibungspunkt<br />
zwischen den Beteiligten; Gleiches<br />
galt für die Nebenklageberechtigung der betroffenen<br />
Anwälte. Von Anfang an sei das Verfahren<br />
durch alle Verfahrensbeteiligten „konfliktträchtig“<br />
geführt worden, stellte das LG später fest. So kam<br />
es dazu, dass – nachdem der Nebenklagevertreter<br />
der Strafkammer Rechtsbeugung vorgeworfen<br />
hatte – die Richter dies mit folgenden Worten in<br />
ihrem Beschluss kommentierten: „Soweit der Nebenklagevertreter<br />
[…] unter Verweis auf seine allein<br />
richtig seiende Ansicht in der in Aussicht gestellten<br />
Entscheidung der Kammer eine Rechtsbeugung sieht,<br />
ist das eine ersichtlich narzisstisch dominierte Dummheit“.<br />
Das war keine Beleidigung, so die Meinung<br />
sowohl des Amtsgerichts als auch im nächsten<br />
Rechtszug die des LG Neubrandenburg. Mit der<br />
Aussage sei nicht die Tatsache behauptet worden,<br />
der Nebenklagevertreter leide an einer medizinisch<br />
relevanten, narzisstischen Persönlichkeitsstörung.<br />
Vielmehr stelle die gewählte Formulierung eine<br />
Reaktion auf den Schriftsatz des Nebenklägervertreters<br />
dar, ohne dessen Persönlichkeit als<br />
solche zu bewerten. Jedenfalls sei die richterliche<br />
Äußerung nach § 193 StGB gerechtfertigt. Der<br />
Nebenklagevertreter habe die Richter zuvor als<br />
potenzielle Straftäter bezeichnet, indem er ihnen<br />
Rechtsbeugung vorgeworfen habe. Auch wenn<br />
man dessen Ausführungen trotz der Schärfe der<br />
gewählten Tonart als im Rahmen des „Kampfes<br />
ums Recht“ noch nicht als ihrerseits strafrechtlich<br />
relevant ansehen wolle, seien sie als polemisch und<br />
verletzend einzustufen. Dies habe nicht kommentarlos<br />
zur Kenntnis genommen werden können.<br />
Das Verfahren vor dem EGMR betraf zwei<br />
portugiesische Rechtsanwälte, die in verschiedenen<br />
Verfahren Richterinnen in einem Fall per Brief<br />
eine „große Vertrautheit mit dem Strafverteidiger“<br />
und in dem anderen Fall eine „rassistisch motivierte<br />
Diskriminierung“ vorgeworfen hatten. Daraufhin<br />
waren beide wegen Diffamierung und Ehrverletzung<br />
zu Geldstrafen verurteilt worden. Zu Unrecht,<br />
so der EGMR, denn die Äußerungen seien<br />
von der anwaltlichen Meinungsfreiheit gem.<br />
Art. 10 EMRK gedeckt gewesen. Beide Äußerungen,<br />
so der Gerichtshof, seien in Ausübung der<br />
beruflichen Tätigkeit der Anwälte gemacht<br />
worden. Sie seien allein im Interesse der Mandanten<br />
erfolgt. Die Grenzen der zulässigen Kritik<br />
seien nicht überschritten worden. Einen relevanten<br />
Schaden am Ruf der betroffenen Richterinnen<br />
konnten die Europarichter angesichts der rein<br />
justizinternen und nicht nach außen gedrungenen<br />
Äußerungen nicht feststellen.<br />
Die Stärkung der Meinungsfreiheit vor Gericht ist<br />
in etlichen Kommentaren zu den beiden Entscheidungen<br />
bereits begrüßt worden. Der Deutsche<br />
Anwaltsverein (DAV) „hadert“ allerdings ein<br />
wenig mit der Entscheidung des LG Neubrandenburg:<br />
Die Äußerungen der angeschuldigten Strafrichter<br />
wären ja im „Eifer des Hauptverhandlungsgefechts“<br />
noch verständlich gewesen; sie seien<br />
aber in einem Schriftsatz gemacht worden. Dort<br />
könne man von einem Richter mehr Zurückhaltung<br />
verlangen.<br />
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[Red.]<br />
1098 <strong>ZAP</strong> Nr. <strong>21</strong> 7.11.<strong>2019</strong>