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Paradox

Über einen scheinbaren Umweg dem Leser etwas anbieten, was er sucht aber auf direktem Weg nicht finden kann.

Über einen scheinbaren Umweg dem Leser etwas anbieten, was er sucht aber auf direktem Weg nicht finden kann.

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Schleuse wartet ein strahlender Paul St. Hilaire. Bis vor kurzem operierte er als<br />

Tikiman, doch diesen Namen musste er aus rechtlichen Gründen ablegen. Man<br />

tritt über seine Schwelle und befindet sich augenblicklich in einer anderen<br />

Welt. Es riecht, wie es bei einem waschechten Reggae-Produzenten riechen<br />

muss. Die Welt mit ihren Abgasen und dem ganzen Lärm bleibt draußen. Wir<br />

entern die Insel der Träume. Den Ort, an dem Paul St. Hilaire sein über alle<br />

Maßen entspanntes Dub-Album „Adsom - A Divine State Of Mind“ (False Tuned/Indigo)<br />

produzierte. Ein Mischpult, ein paar Instrumente, eine Hand voll<br />

entern die Insel der Träume. Den Ort, an dem Paul St. Hilaire sein über alle<br />

Maßen entspanntes Dub-Album „Adsom - A Divine State Of Mind“ (False Tuned/Indigo)<br />

produzierte. Ein Mischpult, ein paar Instrumente, eine Hand voll<br />

Erinnerungen an seine Heimat, die Dominikanische Republik, ein winziges<br />

Häuflein CDs und ein paar Schallplatten, die wie ein Wandteppich die Tapete<br />

zieren. Der freundliche Alchimist umgibt sich nur mit dem Nötigsten und<br />

verleiht seiner Umgebung dennoch eine ungemein persönliche Atmosphäre.<br />

Er selbst lehnt sich zurück, lächelt, steckt sich einen Glimmstengel in den<br />

Mundwinkel, zieht einmal kräftig und lächelt noch verbindlicher. Vielleicht<br />

tackert gerade ein Groove durch seinen Kopf. „Was willst du wissen?“, fragt<br />

er einladend und macht doch nicht den Eindruck, als wäre er zum Plaudern<br />

aufgelegt. Er ist einer jener Menschen, die mit einem Lächeln viel mehr sagen<br />

als mit tausend Worten, die sie ohnehin nicht finden.Eigentlich sind Reggae-<br />

Produzenten für ihre ausgefallenen Plattensammlungen bekannt, aus denen<br />

sie die Bausteine für ihre Mixe destillieren. „Ich bin kein DJ“, stellt St. Hilaire<br />

lachend klar. Nun sind die meisten Menschen, die Platten besitzen, keine DJs,<br />

und bei einem Exemplar seines Schlages ist es umso verwunderlicher, wenn er<br />

überhaupt keine Platten besitzt. „Ich habe alle meine Platten im Kopf“, sagt<br />

St. Hilaire, zieht an seinem Rauchwerkzeug und grinst. Die Wolken in seinem<br />

Insel-Domizil werden dichter. Der einstige Tikiman verfolgt mit Blicken die<br />

Bewegung des Schwaden-Gespinsts. Seine Inspiration kommt nicht von Tonträgern<br />

im herkömmlichen Sinne. „Die Luft.“ Er sagt es und macht eine lange<br />

In einem nicht eben von Licht durchfluteten Treppenhaus öffnet sich eine<br />

braune In einem nicht eben von Licht durchfluteten Treppenhaus öffnet sich<br />

eine braune. In einem nicht eben von Licht durchfluteten Treppenhaus öffnet<br />

sich eine braune Tür zu einem noch dunkleren Schlund. Doch hinter der<br />

Schleuse wartet ein strahlender Paul St. Hilaire. Bis vor kurzem operierte er als<br />

Tikiman, doch diesen Namen musste er aus rechtlichen Gründen ablegen. Man<br />

tritt über seine Schwelle und befindet sich augenblicklich in einer anderen<br />

Welt. Es riecht, wie es bei einem waschechten Reggae-Produzenten riechen<br />

muss. Die Welt mit ihren Abgasen und dem ganzen Lärm bleibt draußen. Wir<br />

entern die Insel der Träume. Den Ort, an dem Paul St. Hilaire sein über alle<br />

Maßen entspanntes Dub-Album „Adsom - A Divine State Of Mind“ (False Tuned/Indigo)<br />

produzierte. Ein Mischpult, ein paar Instrumente, eine Hand voll<br />

Erinnerungen an seine Heimat, die Dominikanische Republik, ein winziges<br />

Häuflein CDs und ein paar Schallplatten, die wie ein Wandteppich die Tapete<br />

zieren. Der freundliche Alchimist umgibt sich nur mit dem Nötigsten und<br />

verleiht seiner Umgebung dennoch eine ungemein persönliche Atmosphäre.<br />

Er selbst lehnt sich zurück, lächelt, steckt sich einen Glimmstengel in den<br />

Mundwinkel, zieht einmal kräftig und lächelt noch verbindlicher. Vielleicht<br />

tackert gerade ein Groove durch seinen Kopf. „Was willst du wissen?“, fragt<br />

er einladend und macht doch nicht den Eindruck, als wäre er zum Plaudern<br />

aufgelegt. Er ist einer jener Menschen, die mit einem Lächeln viel mehr sagen<br />

als mit tausend Worten, die sie ohnehin nicht finden.Eigentlich sind Reggae-<br />

Produzenten für ihre ausgefallenen Plattensammlungen bekannt, aus denen<br />

sie die Bausteine für ihre Mixe destillieren. „Ich bin kein DJ“, stellt St. Hilaire<br />

lachend klar. Nun sind die meisten Menschen, die Platten besitzen, keine DJs,<br />

und bei einem Exemplar seines Schlages ist es umso verwunderlicher, wenn er<br />

überhaupt keine Platten besitzt. „Ich habe alle meine Platten im Kopf“, sagt<br />

St. Hilaire, zieht an seinem Rauchwerkzeug und grinst. Die Wolken in seinem<br />

Insel-Domizil werden dichter. Der einstige Tikiman verfolgt mit Blicken die<br />

Bewegung des Schwaden-Gespinsts. Seine Inspiration kommt nicht von Tonträgern<br />

im herkömmlichen Sinne. „Die Luft.“ Er sagt es und macht eine lange<br />

ZEIG’ MIR DEIN CD-REGAL UND<br />

ICH SAGE DIR WER DU BIST \s.74<br />

in zeiten von ipod und mp3 hat es die gute alte cd nicht leicht –<br />

nichtsdestotrotz ist sie nicht mehr wegzudeneken – vor allem<br />

nicht aus unseren zimmern und wohnungen. eine reportage<br />

über das was unser cd-regal über seinen eigentümer aussagt.<br />

tritt über seine Schwelle und befindet sich augenblicklich in einer anderen<br />

Welt. Es riecht, wie es bei einem waschechten Reggae-Produzenten riechen<br />

muss. Die Welt mit ihren Abgasen und dem ganzen Lärm bleibt draußen. Wir<br />

er einladend und macht doch nicht den Eindruck, als wäre er zum Plaudern<br />

aufgelegt. Er ist einer jener Menschen, die mit einem Lächeln viel mehr sagen<br />

als mit tausend Worten, die sie ohnehin nicht finden.Eigentlich sind Reggae-<br />

Produzenten für ihre ausgefallenen Plattensammlungen bekannt, aus denen<br />

Der Musikgeschmack gilt ja gemeinhin als eine recht persönliche Angelegenheit.<br />

Wir geben gerne vor, es sei zutiefst individuell, zum Beispiel die Biermösl-Blosn<br />

als bayerische Jux-Combo abzulehnen, stattdessen lieber bei einem<br />

Glas Wein Mozart zu hören. Oder Robbie Williams igitt zu finden und sich<br />

stattdessen beim Gedudel von Miles Davis zu vergeistigen, Peter Maffay als<br />

heimlichen Schlagersänger zu hassen und es lieber mit der Authentizität eines<br />

Johnny Cash zu halten. Die Wirklichkeit ist aber wohl eine ganz andere.<br />

Nämlich: Wir wählen die Musik, die anderen bereits gefallen hat. Und das tun<br />

wir deswegen, weil wir uns auf diese Weise mit bestimmten Eigenschaften<br />

schmücken wollen. Musik ist also in der Regel ein persönliches Aushängeschild<br />

– wie Kleidung oder Auto. Den Gruppenzwang beim Musikgeschmack offenbarte<br />

eine Untersuchung von Sozialwissenschaftlern der Columbia Universität<br />

– wie Kleidung oder Auto. Den Gruppenzwang beim Musikgeschmack offenbarte<br />

eine Untersuchung von Sozialwissenschaftlern der Columbia Universität<br />

in Washington. Sie schauten sich an, welche Stücke sich 14 341 vorwiegend<br />

jugendliche Internet-User aus dem Web herunterluden. Die eine Hälfte der<br />

Teilnehmer hatte dabei „freie“ Auswahl unter einer Sammlung praktisch unbekannter<br />

Lieder. Auf der Basis dieser Downloads erstellten die Forscher daraufhin<br />

eine Art Hitliste, die sie der zweiten Gruppe als Information für ihre<br />

Downloads zur Verfügung stellten. Die User aus der zweiten Gruppe tendierten<br />

generell dazu, Lieder anzuklicken, welche auch die anderen bevorzugt hatten.<br />

Bei mehreren Durchläufen zeigte sich zudem ein Phänomen, das auch die<br />

Musikindustrie interessieren dürfte: Die Popularität eines Stückes wechselte<br />

so gut wie zufällig, und Spitzenreiter landeten nicht etwa oben, weil sie irgendeine<br />

besondere Hit-Qualität aufwiesen – was auch immer das sein soll.<br />

Ein und dasselbe Stück kam bei einem Durchlauf auf Rang eins, stürzte aber<br />

bei einem anderen auf Platz 40 ab. Auch hier richteten sich die Teilnehmer<br />

besonders danach, was andere bereits gewählt hatten, und so oblag es einigen<br />

wenigen frühen Entscheidern, mit ihren Klicks einen Hit zu generieren.<br />

Der Musikgeschmack ist offenbar eine Art soziale Währung: Er dient dazu, sich<br />

als Mitglied einer Gruppe zu erkennen zu geben, und präsentiert gleichzeitig<br />

der Gemeinschaft das Fähnchen des eigenen Ich. In einem zweiten Versuch<br />

der Gemeinschaft das Fähnchen des eigenen Ich. In einem zweiten Versuch<br />

britischer Psychologen erhielten Studenten die Aufgabe, die Persönlichkeit<br />

eines Menschen einzuschätzen, von dem sie nichts anderes kannten als dessen<br />

zehn Lieblings-CDs. Normalerweise werden solche Studien auf der Basis<br />

von kurzen Filmen oder Bildern unternommen. Doch erwies sich die Hitliste<br />

als die weitaus bessere Datengrundlage. Das Merkmal „Offenheit“ schätzten<br />

die Probanden extrem zuverlässig ein, darunter verstehen Psychologen<br />

etwa Neugier oder Experimentierfreude. Die Eigenschaft „Geselligkeit“ konnten<br />

die Studenten ebenfalls recht klar aus der Hitliste ablesen – offenbar<br />

diente ihnen ein hoher Textanteil in den Stücken als sehr guter Indikator.<br />

Der Musikgeschmack gilt ja gemeinhin als eine recht persönliche Angelegenheit.<br />

Wir geben gerne vor, es sei zutiefst individuell, zum Beispiel die Biermösl-Blosn<br />

als bayerische Jux-Combo abzulehnen, stattdessen lieber bei einem<br />

Glas Wein Mozart zu hören. Oder Robbie Williams igitt zu finden und sich<br />

stattdessen beim Gedudel von Miles Davis zu vergeistigen, Peter Maffay als<br />

heimlichen Schlagersänger zu hassen und es lieber mit der Authentizität ei-<br />

Pause. Pause. „Alles „Alles liegt liegt in in der der Luft. Luft. Alle Alle Geräusche Geräusche der der Welt. Welt. Das Das ist ist viel viel mehr, mehr, als als<br />

jede jede Plattensammlung Plattensammlung fassen fassen kann.“ kann.“

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