Weihnachtsbeilage Neustrelitz 2017
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Seite 14 Frohes Fest<br />
Freitag, 22. Dezember <strong>2017</strong><br />
DesWiderspenstigenZähmung<br />
Lesergeschichte<br />
vonIris Fenrich<br />
ausGerswalde<br />
Kurz vor dem Fest entschlossen<br />
wir uns zum Kauf neuer<br />
Weihnachtskugeln, dazu<br />
passender Baumspitze samt<br />
Lametta. Kupferfarben! Vielleicht<br />
würde sich ihr warmer<br />
Glanz doch irgendwann in<br />
unseren Herzen widerspiegeln?<br />
Nur der Baum fehlte<br />
noch. Aber dieser wartete zu<br />
Hause im kleinen Blaufichtenbestand<br />
–eshatte also<br />
keine Eile damit.<br />
Zu unserer großen Freude<br />
überraschte uns am Tag<br />
vor Heiligabend mein Sohn,<br />
dessen Dienstplan wieder<br />
nur einen kurzen Abstecher<br />
zuließ. Als er wieder fahren<br />
musste, lehnte ein stattlicher<br />
Festbegleiter an der Hauswand.<br />
Sehr schnell waren<br />
wir uns in der Wahl einig<br />
gewesen. Notwendigerweise<br />
musste es einem ganz<br />
bestimmten Baum an<br />
den Stamm gehen. Ein<br />
Grund lag im Versäumnis<br />
der Planer bei der<br />
Straßenmodernisierung<br />
vor wenigen Jahren auch die<br />
alte, stark durchhängende<br />
Telefonleitung in den noch<br />
sicheren Schoß der Mutter<br />
Erde einzubetten. Deshalb<br />
zog sich jener für mehrere<br />
Grundstücke gleichermaßen<br />
wichtige Lebensnerv über<br />
unseren Hof und damit inzwischen<br />
quer durch die<br />
Fichtengruppe. Immer dichter<br />
hatten sich die Zweige um<br />
das Kabel geschlossen. Und<br />
wer weiß: Ein starker Sturm,<br />
eine heftige Schwingung und<br />
es würde reißen.<br />
Im Falle unseres Baumes<br />
ließ sich aus der Notwendigkeit<br />
sogar noch eine<br />
Tugend machen! Er musste<br />
nur ein Stück gekürzt werden,<br />
um einen Teil von ihm<br />
seiner vorletzten, aber festlichen<br />
Bestimmung überantworten<br />
zu können. Aber der<br />
Baum wehrte sich. Rundherum<br />
harte, spitze Nadeln, die<br />
mindestens so heftig stachen<br />
wie die Dornen von Goethes<br />
berühmtem Heidenröslein.<br />
Mit vereinten Kräften<br />
wurde die Fichte abgesägt<br />
Zunächst stieg mein Sohn auf<br />
der Leiter, der dort oben sich<br />
selbst, aber auch den Stamm<br />
halten und ihn gleichzeitig<br />
durchsägen musste. Mit ungutem<br />
Gefühl sah ich aus<br />
einiger Entfernung zu, während<br />
meine Tochter die<br />
Steillage zu stabilisieren<br />
suchte. Endlich<br />
ergab sich der Baumschnitt.<br />
Mit einem kurzen<br />
Ruck landete er in<br />
den Armen seiner Gefährten.<br />
Aber auch die schienen ihn<br />
nicht kampflos hergeben zu<br />
wollen. Sein Gewicht hatten<br />
wir völlig unterschätzt.<br />
Das Schmücken des Festbaumes<br />
fällt seit Jahren allein<br />
mir zu. Nicht, dass ich mich<br />
jemals darum gerissen hätte!<br />
Aber gerade diesmal war<br />
immerhin schon so vieles gemeinsam<br />
getan, und gemeinsam<br />
würden wir drei Frauen<br />
auch noch dafür sorgen, dass<br />
sich die Fichte gerade und<br />
fest im Raum hielt. Schnell<br />
erkannten wir jedoch, dass<br />
uns hier –bei diesem Umfang<br />
des Baumes und der<br />
Dicke des Stammes –größeres<br />
handwerkliches Geschick<br />
und damit mehr Zeitaufwand<br />
abverlangt werden<br />
würde. Da unser einziger,<br />
noch eben verfügbarer<br />
Mann am späten Nachmittag<br />
wieder<br />
zum Dienst<br />
gefahren war,<br />
oblag diese Leistung<br />
meiner<br />
Tochter.<br />
Ja, in<br />
allen Jahren<br />
–selbst unseren<br />
bemannten<br />
–<br />
hatte das<br />
Einsetzen<br />
des Baumes seltsamerweise<br />
ebenfalls zu<br />
meinem Aufgabenbereich<br />
gehört. Dagegen war das<br />
Schmücken geradezu ein Kinderspiel!<br />
Jetzt brauchte ich<br />
den Baum nur festzuhalten,<br />
während die Dritte im Bunde,<br />
Oma, auf die Herstellung seiner<br />
Geradlinigkeit zu achten<br />
hatte.<br />
Endlich war auch das geschafft.<br />
Mein gutes Mädchen<br />
kroch, wenn auch über klebriges<br />
Harz an akupunktierten<br />
Fingern fluchend, erleichtert<br />
unter dem Baum hervor,dessen<br />
Gezweig dicht über dem<br />
Boden begann. Der Verlust<br />
seiner Spitze erwies sich im<br />
Nachhinein als positiv –und<br />
das bei einer Zimmerhöhe<br />
von knapp drei Metern! Oja,<br />
ein einziger Prachtkerl, dieser<br />
Baum!<br />
Stunden später stand er<br />
endlich da in all seinem<br />
Glanz. Zuvor hatte die Lichterprobe<br />
ergeben, dass<br />
sich zwei der elektrischen<br />
Kerzen verweigerten, ich<br />
aber nur eine einzige passende<br />
als Ersatz finden<br />
konnte. Doch was<br />
ist schon vollkommen<br />
auf<br />
dieser Welt?!<br />
Und wir<br />
Frauen<br />
gelten im<br />
Allgemeinen<br />
nicht nur<br />
als Meisterinnen<br />
im Kaschieren<br />
von Schönheitsfehlern<br />
jedweder Art –<br />
wir sind es auch! Wenn wir<br />
wollen ... Hier im Besonderen<br />
wollte ich. Schließlich lag mir<br />
daran, meine Leistung ins<br />
rechte Licht gesetzt zu wissen.<br />
Er sollte allen gefallen,<br />
der schöne Widerspenstige!<br />
Als es draußen zu dunkeln<br />
begann und die Last des Tages<br />
allmählich von uns abfiel,<br />
konnten wir einander gar<br />
nicht genug von der Pracht<br />
des Baumes vorschwärmen.<br />
Er war unbestritten ein Meisterwerk<br />
der Natur<br />
im Einklang mit der<br />
Menschenkunst –und<br />
noch dazu das einzige<br />
männliche Wesen um uns<br />
drei Frauengenerationen.<br />
Wenn ihm das nur<br />
nicht zu Kopfe stieg!<br />
Denn immerhin ließ er, als<br />
Weihnachtsklänge den Raum<br />
erfüllten, seinerseits ab und<br />
zu ein unüberhörbares Knacken<br />
vernehmen. Ausdruck<br />
seiner Widerspenstigkeit?<br />
Die Tochter konnte das<br />
Schlimmste verhindern<br />
Und wieder knackte es kurz<br />
im Baum! Es schien aus den<br />
vielen niedlichen Zäpfchen<br />
herzurühren. Vielleicht,<br />
dass sie sich in der Wärme<br />
des Zimmers allmählich zu<br />
öffnen begannen? Vielleicht<br />
aber unterhielten sie sich<br />
auch über diesen wundersamen<br />
Abend an einem wundersamen<br />
Ort in solch wundersamer<br />
Gesellschaft?<br />
Plötzlich glaubte ich, meinen<br />
Augen nicht zu trauen.<br />
Ich spürte mehr, als dass ich<br />
es sag: Ganz leise, ganz allmählich<br />
neigte sich unser<br />
schöner Gast mir zu, wie<br />
ein sanfter Geliebter. Nanu!<br />
Träumte ich?! Gerade noch<br />
konnte ihn meine Tochter<br />
abfangen. Schließlich fand<br />
er, schräg an den Sessel gelehnt,<br />
Halt, während etliche<br />
Kugeln auf den Boden rollten<br />
und er selbst recht derangiert<br />
aussah. Natürlich<br />
hatte sich das Wasser aus<br />
dem Behälter längst seinen<br />
Wegüber den Teppichboden<br />
gesucht, und ich<br />
brachte den Rest des<br />
Abends damit zu, wenigstensdie<br />
schlimmsten Spuren<br />
zu beseitigen. Von wegen<br />
sanfter Geliebter!<br />
Ein letzter Versuch am<br />
nächsten Morgen: Wir rückten<br />
dem Kerl auf den Pelz!<br />
Dem Baum natürlich. Er<br />
machte es unswirklich nicht<br />
leicht, dieser Schönling. Doch<br />
ganz „und bist du nicht willig,<br />
so brauch ich Gewalt“<br />
ging ihm die Tochter jetzt<br />
mit Bohrer,Messer und sonstigem<br />
Gerät zu Leibe und versenkte<br />
den Stamm so tief in<br />
der Halterung, dass ich nun<br />
ohne Weiteres meine klebrigen,<br />
noch nicht zum letzten<br />
Mal zerstochenen Hände von<br />
ihm lassen konnte.<br />
Mit vereinten Kräften stellten<br />
wir ihn an seinen alten<br />
Platz zurück, beschwerten<br />
den Fuß mit grauen Betonsteinen,<br />
was glücklicherweise<br />
nicht zu sehen war, und<br />
ich begann noch einmal mit<br />
seiner traditionellen Vervollkommnung.<br />
Dabei schwor<br />
ich mir, ihn bei erneuter Renitenz<br />
umgehend und eigenhändig<br />
aus dem Haus zu<br />
schleifen. Und siehe da –es<br />
wirkte! Nicht mehr mit ungetrübter<br />
Freude, dafür aber<br />
voller Stolz auf die Zähmung<br />
nahmen wir seit Tagen seine<br />
Anwesenheit wahr. Und<br />
selbst sein Knacken störte<br />
uns nicht mehr.Sobegleitete<br />
er uns noch über den Jahreswechsel<br />
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