ZAP-0218
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<strong>ZAP</strong><br />
Zeitschrift für die Anwaltspraxis<br />
2 2018<br />
17. Januar<br />
30. Jahrgang<br />
ISSN 0936-7292<br />
Herausgeber: Rechtsanwalt Dr. Egon Schneider (†), Much • Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
• Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln •<br />
Prof. Dr. Martin Henssler, Institut für Anwaltsrecht, Universität zu Köln • Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann,<br />
Bremen • Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg • Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen •<br />
Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln<br />
} Mit dem <strong>ZAP</strong> Berufsrechtsreport<br />
AUS DEM INHALT<br />
Kolumne<br />
Eltern haften für ihre (volljährigen) Kinder? (S. 49)<br />
Anwaltsmagazin<br />
Neuregelungen zum Jahresbeginn (S. 50) • Probleme beim elektronischen Anwaltspostfach (S. 53) •<br />
Anwälte erringen Etappensieg gegen „abfindungsheld.de“ (S. 54)<br />
Aufsätze<br />
Ring, Das neue Bauvertragsrecht in der anwaltlichen Praxis – Ein Überblick (S. 81)<br />
Vallender, Die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren (S. 91)<br />
Hillenbrand, Zustellungsfehler im Strafverfahren – Retter in der (Verteidiger‐)Not (S. 99)<br />
Eilnachrichten<br />
EuGH: Ruhezeiten im Straßentransportwesen (S. 76)<br />
BVerfG: Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin (S. 77)<br />
BGH: Anwaltshaftung infolge versehentlicher Abgabe einer Selbstanzeige des Mandanten<br />
an das Finanzamt (S. 79)<br />
In Zusammenarbeit mit der<br />
Bundesrechtsanwaltskammer
Inhaltsverzeichnis Fach Fach/Seite Heft/Seite<br />
Kolumne – – 49<br />
Anwaltsmagazin – – 50–56<br />
Berufsrechtsreport – – 57–70<br />
Eilnachrichten 1 7–16 71–80<br />
Ring, Das neue Bauvertragsrecht in der anwaltlichen<br />
Praxis – Ein Überblick 5 251–260 81–90<br />
Vallender, Die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren<br />
14 799–806 91–98<br />
Hillenbrand, Zustellungsfehler im Strafverfahren –<br />
Retter in der (Verteidiger‐)Not 22 921–926 99–104<br />
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Redaktionsbeirat<br />
Ass. jur. Dr. Helene Bubrowski, Frankfurt/M. (F 25) • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg (F 9, 21, 22, 22R) • Prof. Dr.<br />
Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. (F 2) • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. (F 6) • RA Dr. Lutz Förster, Brühl (F 12) • RA Dr.<br />
Andreas Geipel, München (F 13) • RA Dr. Peter Haas, Bochum (F 20) • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin (F 24) • RAin Dr.<br />
Annegret L. Harz, München (F 4, 4R, 7) • RA Prof. Dr. Bernd Hirtz, Köln (F 15) • RA Martin W. Huff, Köln (F 23) • RA Daniel Krause,<br />
Braunschweig (F 5) • RAin Dr. Kirstin Maaß, Köln (F 17, 17R) • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga (F 19, 19R) • RA Dr. Ulrich Sartorius,<br />
Breisach a.R. (F 18) • RA Volker Simmer (F 3) • RiAG a.D. Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt (F 14) • RA Dr. Hubert W. van Bühren,<br />
Köln (F 10) • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen (F 11, 11R) • RA Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid (F 16) • RA<br />
beim BGH Dr. Christian Zwade, Karlsruhe (F 8).<br />
Ständige Mitarbeiter<br />
Prof. Dr. Wilfried Alt, Frankfurt/M. • VorsRiVG Prof. Dr. Bernd Andrick, Gelsenkirchen • RiAG Prof. Dr. Ulf Börstinghaus, Gelsenkirchen<br />
• RiSG Thomas Bubeck, Freiburg • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg • VorsRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf •<br />
Prof. Dr. Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. • VorsRiLG a.D. Uwe Gottwald, Vallendar •<br />
RA Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln • RA Dr. Peter Haas, Bochum • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin • RA Dr.<br />
Wolfgang Hartung, Mönchengladbach • Prof. Dr. Martin Henssler, Köln • RA, Justitiar Haus u. Grund Hans Reinold Horst,<br />
Langenhagen • RiAG Ralph Kossmann, Wuppertal • Notar Dr. Hans-Frieder Krauß, Hof • RAuN Dr. Wilhelm Krekeler, Dortmund • RA<br />
Günter Lange, Haltern • RA Dr. Jörg Lauer, Mannheim • PräsSG a.D. RA Dr. Klaus Louven, Geldern • RA Dietmar Mampel, Bonn • RA<br />
Prof. Dr. Volkmar Mehle, Bonn • RA Prof. Dr. Ralf Neuhaus, Dortmund • RA Kai-Jochen Neuhaus, Dortmund • RA Dr. Mark Niehuus,<br />
Mühlheim a.d.R. • RA Prof. Dr. Hermann Plagemann, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe, Hamburg • RiOLG a.D. Heinrich<br />
Reinecke, Lehrte • RA beim BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • RA Dr. Kurt Reinking, Köln • RA Prof. Dr. Franz Salditt,<br />
Neuwied • RA Dr. Ulrich Sartorius, Breisach a.R. • PräsLG a.D. Kurt Schellhammer, Konstanz • RA Norbert Schneider, Neunkirchen •<br />
RiAG a.D. Kurt Stollenwerk, Bergisch Gladbach • RiAG a.D. Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Köln • RiAG Prof. Dr. Heinz Vallender,<br />
Erftstadt • RA Dr. Hubert W. van Bühren, Köln • RA Prof. Dr. Hans-Friedrich Frhr. von Dörnberg, Dresden.<br />
Impressum<br />
Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte. Die Annahme zur Veröffentlichung erfolgt<br />
schriftlich. Mit der Annahme überträgt der Autor dem Verlag das ausschließliche Verlagsrecht. Eingeschlossen sind insb. die<br />
Befugnis zur Einspeicherung in eine Datenbank sowie das Recht der weiteren Vervielfältigung. Haftungsausschluss: Verlag und<br />
Autor/en übernehmen keinerlei Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der abgedruckten Inhalte. Insb. stellen<br />
(Formulierungs-)Hinweise, Muster und Anmerkungen lediglich Arbeitshilfen und Anregungen für die Lösung typischer Fallgestaltungen<br />
dar. Die Verantwortung für die Verwendung trägt der Leser. Urheber- und Verlagsrechte: Alle Rechte zur<br />
Vervielfältigung und Verbreitung sind dem Verlag vorbehalten. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />
Einrichtungen. Anzeigenverwaltung: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, E-Mail: anzeigen@zap-verlag.de.<br />
Erscheinungsweise: zweimal im Monat. Bezugspreis: Jährlich 241,- € zzgl. MwSt. und Versandkosten. Der Abonnementsvertrag<br />
ist auf unbestimmte Zeit geschlossen; Preisänderungen bleiben vorbehalten. Abbestellungen müssen sechs Wochen zum<br />
Jahresende erfolgen. Verlag: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, Telefon: 0228/91911-62, Telefax: 0228/91911-66, E-Mail:<br />
info@zap-verlag.de. Redaktion: RAin Eva Maria Marzinkowski (V.i.S.d.P.) – verantwortliche Redakteurin; Cordula Haak –<br />
Redaktionsassistentin, E-Mail: redaktion@zap-verlag.de.<br />
Druck: Appel & Klinger Druck und Medien GmbH, Schneckenlohe. ISSN 0936-7292
<strong>ZAP</strong><br />
Kolumne<br />
Kolumne<br />
Eltern haften für ihre (volljährigen) Kinder?<br />
Schilder mit der Aufschrift „Eltern haften für ihre<br />
Kinder“ sind auch weiterhin auf Baustellen, Spielplätzen<br />
und anderen öffentlichen oder privaten<br />
Einrichtungen vorzufinden. Diese „Drohung“ ist<br />
irreführend, da Eltern für die von ihren Kindern<br />
angerichteten Schäden nur dann haften, wenn sie<br />
ihre Aufsichtspflicht verletzt haben (§ 832 BGB).<br />
Diese Aufsichtsplicht endet spätestens mit der<br />
Volljährigkeit der Kinder. Der BGH hat jedoch in<br />
einer Entscheidung vom 30.3.2017 (I ZR 19/16, <strong>ZAP</strong><br />
EN-Nr. 13/2018) Eltern zum Ersatz eines Schadens<br />
verurteilt, den eines ihrer volljährigen Kinder<br />
verursacht hatte. Was war geschehen?<br />
Die Inhaberin der Verwertungsrechte eines Musikalbums<br />
hatte die Beklagten wegen Urheberrechtsverletzung<br />
auf Schadenersatz in Anspruch genommen,<br />
weil von deren Internetanschluss Musiktitel<br />
im Wege des Filesharings öffentlich zugänglich<br />
gemacht worden waren.<br />
Die Beklagten hatten sich darauf berufen, dass sie<br />
nicht selbst die Urheberrechtsverletzung vorgenommen<br />
hätten, vielmehr eines der im elterlichen<br />
Haushalt lebenden volljährigen Kinder, dessen<br />
Name jedoch nicht mitgeteilt werde.<br />
Der BGH hat die beklagten Eltern zum Schadenersatz<br />
verurteilt, weil eine tatsächliche Vermutung<br />
für eine Täterschaft des Anschlussinhabers spreche.<br />
Es sei von der sekundären Beweislast der Eltern<br />
auszugehen, die auch die Verpflichtung enthalte,<br />
den Namen des verantwortlichen volljährigen Kindes<br />
zu nennen.<br />
Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, da<br />
die sekundäre Beweislast sich zunächst auf die<br />
Nachweise beschränkt, dass der Anschlussinhaber<br />
als Täter nicht in Betracht kommt.<br />
Zwar mag im Einzelfall die sekundäre Beweislast<br />
auch zu der Verpflichtung führen, den tatsächlichen<br />
Täter zu benennen. Selbst wenn man dies<br />
für zulässig halten würde, findet die sekundäre<br />
Beweislast aber ihre Grenze, wenn andere Rechtsgüter<br />
entgegenstehen. Nahezu alle Rechtsordnungen<br />
sehen vor, dass niemand verpflichtet ist,<br />
sich selbst oder nahe Familienangehörige zu<br />
belasten. Dieser Grundsatz beruht auf dem grundrechtlich<br />
garantierten Schutz der Familie gem.<br />
Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 7 EU-Grundrechtecharta<br />
und findet seinen Niederschlag im Zeugnisverweigerungsrecht<br />
gem. § 383 ZPO und § 52 StPO.<br />
Der BGH hat das Recht auf geistiges Eigentum<br />
gem. Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und<br />
Art. 14 GG als vorrangig angesehen und die Eltern<br />
zum Schadenersatz verurteilt, obgleich diese den<br />
Schaden nicht verursacht hatten. Hier zeigt sich<br />
die Tendenz des BGH, immer mehr vom „nemo<br />
tenetur-Dogma“ abzurücken, um einer Partei<br />
die Verpflichtung aufzuerlegen, den Prozessgegner<br />
in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch<br />
durchzusetzen (ZÖLLER/GREGER, ZPO, vor § 284<br />
ZPO, Rn 34d m.w.N.).<br />
Das Urteil des BGH vom 30.3.2017 führt zu einer<br />
Sippenhaftung und zu einer Gefährdungshaftung,<br />
die unsere Rechtsordnung nur bei Kraftfahrzeugen,<br />
Flugzeugen, Atomkraftwerken oder anderen<br />
gefährlichen Einrichtungen normiert.<br />
Allein die Unterhaltung eines Internetanschlusses<br />
stellt noch keinen Gefährdungstatbestand dar. Es<br />
ist nicht hinnehmbar, dass das Eigentumsrecht als<br />
vorrangig gegenüber dem Schutz der Familie<br />
angesehen wird. Zwar sind Eigentum und Familie<br />
grundgesetzlich gleichermaßen geschützt, im<br />
Konfliktfall dürfte jedoch dem Schutz der Familie<br />
der Vorrang einzuräumen sein. Hier muss letztlich<br />
das Bundesverfassungsgericht Klarheit schaffen.<br />
Rechtsanwalt Dr. HUBERT W. VAN BÜHREN, Köln<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 49
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
Neuregelungen zum Jahresbeginn<br />
Zum Jahresanfang sind zahlreiche Neuregelungen<br />
in Kraft getreten, insbesondere im Arbeits- und<br />
Sozialrecht, im Straßenverkehr, im Verbraucherschutz,<br />
aber auch im Energie- und Umweltrecht.<br />
Aus der Fülle der Neuerungen können im Folgenden<br />
nur die wichtigsten wiedergegeben werden.<br />
I. Arbeitsrecht<br />
• Mindestlohn<br />
Seit dem 1. Januar gilt der allgemeine gesetzliche<br />
Mindestlohn i.H.v. 8,84 € brutto je Zeitstunde<br />
ohne jede Einschränkung. Branchenregelungen,<br />
die vorübergehend Entgelte unterhalb des gesetzlichen<br />
Mindestlohns ermöglichten, endeten<br />
zum 31.12.2017. Im Pflegebereich steigt der flächendeckende<br />
Pflegemindestlohn auf 10,55 € pro<br />
Stunde im Westen und 10,05 € im Osten. Anfang<br />
2019 und 2020 wird er nochmals erhöht. Alle Ausund<br />
Weiterbildungsdienstleister, die im Auftrag<br />
der Arbeitsagenturen und Jobcenter Menschen<br />
qualifizieren, müssen den bundesweiten Branchenmindestlohn<br />
von 15,26 € pro Zeitstunde<br />
bezahlen. Seit dem 1. Januar gilt er nun erstmalig<br />
auch für Einrichtungen, in denen Qualifizierung<br />
nicht zum Hauptgeschäft gehört.<br />
• Entgelttransparenz<br />
Mit dem Entgelttransparenzgesetz haben Beschäftigte<br />
seit dem 6. Januar einen individuellen<br />
Auskunftsanspruch gegen ihren Arbeitgeber zu<br />
erfahren, wie sie im Vergleich zu ihren Kollegen<br />
bezahlt werden. Dies gilt für Beschäftigte in<br />
Betrieben und Dienststellen mit i.d.R. mehr als<br />
200 Beschäftigten.<br />
• Mutterschutz<br />
Seit dem 1. Januar werden mehr Frauen in den<br />
gesetzlichen Mutterschutz einbezogen. So umfasst<br />
er nun auch Schülerinnen und Studentinnen.<br />
II. Sozialrecht<br />
• Grundsicherung (Hartz IV)<br />
Wer Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II bezieht,<br />
erhält seit dem Jahresanfang mehr Geld. Der Regelsatz<br />
für Alleinstehende steigt von 409 € auf<br />
416 € pro Monat. Für Kinder und Jugendliche erhöht<br />
sich die Grundsicherung um 5 €: Kinder von sechs<br />
bis unter 14 Jahren bekommen nun 296 €, Jugendlichen<br />
von 14 bis unter 18 Jahren stehen 316 € zu<br />
(s. ausführlicher dazu unten S. 55).<br />
• Betriebsrente<br />
Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz wurde<br />
zum 1. Januar die Betriebsrente insbesondere für<br />
Beschäftigte mit geringeren Einkommen attraktiver<br />
gestaltet, u.a. durch eine höhere Riester-<br />
Zulage und steuerliche Anreize. Mit dem neuen<br />
„Sozialpartnermodell“ haben zudem Arbeitgeber<br />
und Gewerkschaften die Möglichkeit, für die Beschäftigten<br />
eine neue Form der Betriebsrente zu<br />
vereinbaren, die auf tarifvertraglicher Basis kostengünstig<br />
organisiert werden kann.<br />
• Anrechnung freiwilliger Altersvorsorge<br />
Im neuen Jahr werden Einkommen aus Riesteroder<br />
Betriebsrenten nicht mehr voll auf die<br />
Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung<br />
angerechnet. Gleiches gilt für die Hilfen<br />
zum Lebensunterhalt. Der monatliche Freibetrag<br />
liegt jetzt bei 100 €. Ist die private Rente höher,<br />
bleiben weitere 30 % bis zum Höchstbetrag von<br />
208 € anrechnungsfrei.<br />
• Verbesserungen für Behinderte<br />
Die zweite Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes<br />
sieht seit dem 1. Januar Verbesserungen<br />
bei der Teilhabe am Arbeitsleben vor: Das „Budget<br />
für Arbeit“ ermöglicht Lohnkostenzuschüsse für<br />
Arbeitgeber von bis zu 75 % in allen Bundesländern.<br />
Das erleichtert Menschen mit Behinderung den<br />
Zugang zum Arbeitsmarkt. Anfang Januar 2018<br />
50 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
nehmen zudem die ersten Beratungsstellen für<br />
eine „Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung“<br />
(EUTB) ihre Arbeit auf. Dort können sich Behinderte<br />
über die besseren Leistungen zur Teilhabe<br />
informieren und beraten lassen. Das Web-Portal<br />
www.teilhabeberatung.de ist ebenfalls am 1. Januar<br />
gestartet worden. Zudem sollen Bundesbehörden<br />
Menschen mit geistigen und seelischen Behinderungen<br />
Informationen in einfacher und verständlicher<br />
Sprache bereitstellen. Dies betrifft<br />
etwa Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche<br />
Verträge und Vordrucke.<br />
• Frist für den Kindergeldantrag<br />
Seit Januar gilt eine kürzere Frist für rückwirkende<br />
Kindergeldanträge. Eltern können dann lediglich<br />
sechs Monate rückwirkend Kindergeld erhalten.<br />
Die Neuregelung soll Betrugs- und Missbrauchsfälle<br />
verhindern.<br />
III. Steuerrecht<br />
• Höhere Grund- und Kinderfreibeträge<br />
Steuerzahler profitieren 2018 von einem um 180 €<br />
höheren Grundfreibetrag, der dann 9.000 € beträgt.<br />
Der Kinderfreibetrag steigt um 72 € auf<br />
4.788 €.<br />
• Fristen für die Steuererklärung<br />
Künftig bleibt den Steuerpflichtigen mehr Zeit für<br />
die Abgabe der Steuererklärung, nämlich bis zum<br />
31. Juli des Folgejahres. Papierbelege wie Spendenquittungen<br />
müssen nur noch aufbewahrt, aber<br />
nicht mehr mit der Steuererklärung eingereicht<br />
werden. Die von Steuerberatern erstellten Steuererklärungen<br />
müssen zukünftig generell erst bis<br />
zum 28. Februar des Zweitfolgejahres abgegeben<br />
werden. Damit sollen die bisher üblichen zeitaufwändigen<br />
Fristverlängerungsverfahren entfallen.<br />
IV. Strafrecht<br />
• Abschaffung der „Majestätsbeleidigung“<br />
Der sog. Majestätsbeleidigungsparagraf (§ 103 StGB),<br />
der bisher die Beleidigung von Organen und Vertretern<br />
ausländischer Staaten sanktionierte, ist zum<br />
1. Januar aufgehoben worden.<br />
V. Verbraucherschutz<br />
• Verbesserungen für Bankkunden<br />
Ab dem 13. Januar gelten europaweit einheitliche<br />
Regelungen für den Zahlungsverkehr. So dürfen stationäre<br />
und Internet-Händler für Buchungen und<br />
Käufe keine gesonderten Gebühren mehr für gängige<br />
Kartenzahlungen, Überweisungen und Lastschriften<br />
verlangen. Wird die Bank- oder Kreditkarte<br />
entwendet oder missbraucht, haften die Inhaber nur<br />
noch bis maximal 50 € für entstandene Schäden.<br />
Zudem müssen Bankberater Kundengespräche besser<br />
dokumentieren. Insbesondere sind Gespräche<br />
über Wertpapiergeschäfte aufzuzeichnen, die per<br />
Telefon oder Internet geführt werden.<br />
• Bauverträge<br />
Bauherren genießen seit dem 1. Januar mehr<br />
Schutz: Baubeschreibungen müssen jetzt bestimmte<br />
Mindestanforderungen erfüllen, Bauverträge<br />
einen verbindlichen Termin zur Fertigstellung<br />
enthalten. Widerrufs- und Kündigungsrechte<br />
gegenüber Bauträgern und Handwerkern sind<br />
erweitert worden. Bei der Mängelhaftung gilt<br />
nun: Der Verkäufer von mangelhaften Produkten<br />
muss diese selbst wieder ausbauen und durch<br />
intakte ersetzen (zum neuen Bauvertragsrecht<br />
s. auch RING <strong>ZAP</strong> F. 5, S. 251 – in diesem Heft).<br />
VI. Straßenverkehr<br />
• Winterreifen<br />
Reifenhersteller müssen Winterreifen, die seit dem<br />
1. Januar produziert werden, mit dem sog. Alpine-<br />
Symbol (dreigezacktes Bergpiktogramm mit<br />
Schneeflocke) kennzeichnen. Das Qualitätssiegel<br />
zeigt an, dass diese Reifen besondere Anforderungen<br />
an Traktions-, Brems- und Beschleunigungsverhalten<br />
auf Schnee und Eis erfüllen. Für bis zum<br />
31.12.2017 produzierte M+S-Winterreifen gilt eine<br />
Übergangsfrist bis zum 30.9.2024.<br />
• Abgasuntersuchung<br />
Bisher waren Fahrzeuge ab dem Baujahr 2006 bei<br />
der Hauptuntersuchung beim TÜV von der Abgasmessung<br />
am Endrohr per Sonde befreit. Seit<br />
dem 1. Januar müssen nun auch sie, seien es Diesel<br />
oder Benziner, die direkte Messung der Abgase<br />
am Auspuffendrohr bestehen. Damit sollen Defekte<br />
an der Abgasanlage besser erkannt werden.<br />
• Reflektoren an Fahrradanhängern<br />
Fahrradanhänger, die ab 1. Januar in den Handel<br />
kommen, benötigen ab einer Breite von 60 Zentimetern<br />
zwei weiße Reflektoren an der Vorderseite<br />
und zwei rote Reflektoren an der Rückseite.<br />
Vorgeschrieben ist zudem eine rote Rückleuchte,<br />
wenn der Anhänger die Hälfte des Fahrradrücklichts<br />
verdeckt.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 51
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
VII. Energie und Umwelt<br />
• Förderanträge für Ökoheizungen<br />
Seit Jahresbeginn müssen Anträge auf Förderung<br />
für Heizungen mit erneuerbaren Energien immer<br />
vor Beginn der Umsetzung beantragt werden. Der<br />
Förderantrag muss beim Bundesamt für Wirtschaft<br />
und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eingereicht sein, bevor<br />
der Auftrag zur Errichtung einer Biomasse-,<br />
Solarthermie-Anlage oder einer Wärmepumpe vergeben<br />
wird.<br />
• Öfen und Kamine<br />
Seit dem 1. Januar erhalten Festbrennstoff-Einzelraumheizgeräte<br />
bis 50 Kilowatt (LOT 20) erstmals<br />
das EU-Energielabel. Darunter fallen mit Öl,<br />
Gas oder Festbrennstoffen (Holz, Pellets) befeuerte<br />
Kamine, Öfen und Herde. Die Energieeffizienzskala<br />
reicht dann von A++ bis G.<br />
• Neue Dokumentationspflicht in der Landwirtschaft<br />
Landwirte müssen seit Jahresbeginn 2018 in sog.<br />
Stoffstrombilanzen festhalten, wie viele Nährstoffe<br />
– etwa Stickstoff und Phosphor – in ihrem Betrieb<br />
ein- und ausfließen. Sie sind Teil des „Düngepakets“,<br />
das die Düngung, die Nährstoffeffizienz und<br />
den Umweltschutz verbessern soll.<br />
[Quelle: Bundesregierung]<br />
Basiszinssatz zum 1.1.2018<br />
Der Basiszinssatz beträgt auch im 1. Halbjahr 2018<br />
unverändert -0,88 %. Er wird zum 1. Januar und 1. Juli<br />
eines jeden Jahres festgelegt und gem. § 247 Abs. 2<br />
BGB durch die Deutsche Bundesbank im Bundesanzeiger<br />
bekannt gemacht. Bedeutung hat er etwa<br />
für die Berechnung von Verzugszinsen nach § 288<br />
BGB und für die Verzinsung im Rahmen der Kostenfestsetzung<br />
nach § 104 Abs. 1 ZPO sowie auch für<br />
die Notarkosten (§ 88 GNotKG). Die Werte für<br />
die zurückliegenden Zeiträume lauten: 2. Halbjahr<br />
2017: -0,88 %; 1. Halbjahr 2017: -0,88 %; 2. Halbjahr<br />
2016: -0,88 %; 1. Halbjahr 2016: -0,83 %.<br />
[Quelle: Bundesbank]<br />
Berufsrechtliche Änderungen im<br />
neuen Jahr<br />
Das neue Jahr bringt auch einige Neuerungen im<br />
anwaltlichen Berufsrecht mit sich, die teilweise<br />
aber noch mit Fragezeichen behaftet sind (vgl.<br />
auch die nachstehende Meldung zum besonderen<br />
elektronischen Anwaltspostfach). Im Wesentlichen<br />
sind dies:<br />
• Zustellung von Anwalt zu Anwalt<br />
Nachdem das Bundesministerium der Justiz und<br />
für Verbraucherschutz mitgeteilt hat, dass es die<br />
Beschlüsse der Satzungsversammlung vom Mai<br />
2017 gebilligt hat, gilt seit dem 1. Januar der wie<br />
folgt neu gefasste § 14 S. 1 BORA: „Der Rechtsanwalt<br />
hat ordnungsgemäße Zustellungen von Gerichten,<br />
Behörden und Rechtsanwälten entgegenzunehmen<br />
und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen<br />
unverzüglich zu erteilen.“<br />
• Eintragung zur weiteren Kanzlei<br />
In § 31 Abs. 3 BRAO und in der Rechtsanwaltsverzeichnis-<br />
und -postfachverordnung (RAVPV)<br />
sind zum 1.1.2018 Änderungen aufgenommen<br />
worden, die zwar im Wesentlichen Änderungen<br />
für die Rechtsanwaltskammern enthalten, aber<br />
auch in einigen Punkten den Anwalt direkt angehen:<br />
So hat er jetzt nach § 31 Abs. 3 Nr. 2 BRAO<br />
z.B. endlich die Möglichkeit, seine Kanzlei, in der<br />
er tätig ist, in das Rechtsanwaltsverzeichnis einzutragen.<br />
Dies kann aus Marketinggründen für<br />
Anwälte interessant werden.<br />
• Wahl der Kammervorstände<br />
Die Regelung in § 88 Abs. 2 BORA, die nunmehr<br />
die Briefwahl für die Wahl zu den Kammervorständen<br />
vorsieht, tritt zwar erst zum 1.7.2018 in<br />
Kraft. Die Vorschrift enthält allerdings auch die<br />
Option, eine elektronische Wahl durchzuführen.<br />
So hat die Kammerversammlung der Rechtsanwaltskammer<br />
Köln im November 2017 – soweit<br />
ersichtlich – als erste Kammer diese Option ausgeübt<br />
und eine neue Wahlordnung erlassen, die<br />
die elektronische Wahl als Regelfall vorsieht.<br />
• Elektronischer Rechtsverkehr mit den<br />
Gerichten<br />
Das neue Jahr soll für die Anwaltschaft auch die<br />
nahezu flächendeckende Eröffnung des elektronischen<br />
Rechtsverkehrs eröffnen. Das Gesetz zur<br />
Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit<br />
den Gerichten v. 10.10.2013 sieht nämlich maßgebliche<br />
Änderungen in den einzelnen Prozessordnungen<br />
zum 1.1.2018 vor. So ermöglichen § 130a ZPO,<br />
§ 14 FamFG, § 46c ArbGG, § 65a SGG, § 55a VwGO<br />
und § 52a FGO, dass elektronische Dokumente bei<br />
Gericht bundesweit eingereicht werden können.<br />
52 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
Die Länder haben von der Verordnungsermächtigung,<br />
dieses Inkrafttreten für ihren Zuständigkeitsbereich<br />
um jeweils ein Jahr bis zum 1.1.2020 in<br />
die Zukunft zu verschieben, jedenfalls bislang<br />
(Stand: 8.1.2018) keinen Gebrauch gemacht. Eine<br />
Ausnahme zu den vorstehenden Ausführungen gilt<br />
in Straf- und OWi-Sachen. Hier erfolgte die<br />
Anbindung an den elektronischen Rechtsverkehr<br />
erst mit dem Gesetz zur Einführung der elektronischen<br />
Akte in der Justiz und zur weiteren<br />
Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs v.<br />
5.7.2017, wonach Bund und Länder von einer Optout-Regelung<br />
Gebrauch machen können. Strafrechtler<br />
sollten sich daher zum aktuellen Stand der<br />
Dinge unter http://bea.brak.de/achtung-opt-out/ informieren.<br />
Das besondere elektronische Anwaltspostfach<br />
(beA) konnte hingegen nicht wie vorgesehen zum<br />
1.1.2018 starten (s. näher dazu die nachstehende<br />
Meldung).<br />
[Red.]<br />
Probleme beim elektronischen<br />
Anwaltspostfach<br />
Das besondere elektronische Anwaltspostfach<br />
(beA) ist zwar – nach einigen technischen Schwierigkeiten<br />
– bereits vor gut einem Jahr an den Start<br />
gegangen (vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin 24/2016,<br />
S. 1269). Eine Mehrheit der Anwälte hatte davon<br />
jedoch zunächst keinen Gebrauch gemacht, so<br />
dass sich die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK)<br />
angesichts von erst 22.500 Registrierungen für das<br />
neue Postfach im Juli vergangenen Jahres veranlasst<br />
sah, einen Appell zur Erstregistrierung an<br />
alle Nichtnutzer zu richten (vgl. dazu <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />
15/2017, S. 779). Denn eine – auch passive<br />
– Nutzungspflicht gab es zunächst nicht, sie<br />
wurde erst mit der Rechtsanwaltsverzeichnisund<br />
-postfachverordnung (RAVPV) nachgereicht<br />
und auf den 1.1.2018 festgelegt.<br />
Allerdings vermeldete die BRAK kurz vor diesem<br />
Termin – am 22. Dezember 2017 –, dass es ein<br />
technisches Problem gebe: Ein für die beA-<br />
Anwendung notwendiges Zertifikat sei, wie<br />
man kurzfristig erfahren habe, nicht mehr gültig.<br />
Deshalb sei es notwendig, dass alle beA-Nutzer<br />
vor der nächsten Nutzung des Postfachs ein<br />
zusätzliches Zertifikat installieren. Eine detaillierte<br />
22-seitige Anleitung zum Download und zur<br />
Installation der neuen Software wurde mitgeliefert.<br />
Schon wenige Tage später, am 27. Dezember,<br />
riet die BRAK aber zur sofortigen Deinstallation<br />
des neuen Zertifikats, da dieses „möglicherweise<br />
Sicherheitsrisiken für die individuelle PC-Umgebung“<br />
mit sich bringe.<br />
In einer Pressemitteilung vom gleichen Tage<br />
erklärte der Vizepräsident der BRAK, Dr. MARTIN<br />
ABEND: „Es ist bedauerlich, dass das beA, eine für die<br />
deutsche Anwaltschaft besonders wichtige technische<br />
Errungenschaft, derzeit nicht zur Verfügung steht. Die<br />
BRAK räumt der Sicherheit des beA und aller Anwältinnen<br />
und Anwälte, die das beA einsetzen, absoluten<br />
Vorrang ein. Das betrifft insbesondere auch<br />
mögliche Hackerangriffe auf die Client-Security“. Daher<br />
habe die BRAK auch vom technologischen<br />
Dienstleister vorgeschlagene Zwischenlösungen<br />
verworfen. „Im Interesse eines sicheren elektronischen<br />
Rechtsverkehrs und zum Schutze der Anwaltschaft<br />
wird das beA wieder zur Verfügung stehen,<br />
sobald unser Dienstleister eine Lösung für diese<br />
Sicherheitslücke gefunden hat“, so Dr. ABEND.<br />
Auf Nachfrage der <strong>ZAP</strong>-Redaktion erläuterte die<br />
BRAK weiter: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt müssen<br />
wir davon ausgehen, dass bis zum 1. Januar keine<br />
hinreichende Lösung umgesetzt werden kann, die<br />
sowohl den Fortbestand der Sicherheit der beA-<br />
Webanwendungen wie auch die Sicherheit der individuellen<br />
Client-Security eines jeden Anwalts garantieren<br />
kann. Bevor dies nicht der Fall ist, wird die BRAK<br />
aber die beA-Plattform nicht erneut freischalten.“<br />
Aus einem Schreiben des BRAK-Präsidenten EKKEHART<br />
SCHÄFER vom 3.1.2018 geht hervor, dass momentan<br />
davon ausgegangen wird, dass das beA auch im Januar<br />
nicht erreichbar und nicht adressierbar sein<br />
werde, auch nicht für Gerichte oder andere nichtanwaltliche<br />
Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr.<br />
Zur passiven Nutzungspflicht erklärte<br />
SCHÄFER: „Während das beA offline ist, kann die von uns<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten grundsätzlich ab<br />
1. Januar 2018 zu beachtende passive Nutzungspflicht natürlich<br />
nicht erfüllt werden. Die BRAK hat daher umgehend<br />
nach Weihnachten das Bundesministerium der Justiz<br />
und für Verbraucherschutz offiziell hierüber in Kenntnis<br />
gesetzt. In den nächsten Tagen werden wir das Gespräch<br />
mit den zuständigen Vertretern des Ministeriums suchen.“<br />
Über das weitere Vorgehen will die BRAK u.a. auf<br />
ihrer Webseite (www.brak.de) informieren.<br />
Angesichts dieser Schwierigkeiten hatte sich auch<br />
der Deutsche Anwaltverein (DAV) zu Wort ge-<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 53
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
meldet. Er mahnte „transparente“ Informationen<br />
seitens der BRAK an und forderte für die Zukunft<br />
die Einrichtung eines unabhängigen Fachbeirats<br />
für das beA. So bestehe die Chance, dass das<br />
Risiko von Problemen wie diesem in der Zukunft<br />
minimiert werden könne.<br />
[Red.]<br />
Anwälte erringen Etappensieg<br />
gegen „abfindungsheld.de“<br />
Mit einiger Skepsis beobachten viele Anwälte, wie<br />
im Internet ständig neue Anbieter von Rechtsdienstleistungen<br />
entstehen, die versuchen, sich<br />
einen Teil vom „Kuchen“ des Beratungsmarkts<br />
abzuschneiden. Nicht selten schießen diese jedoch<br />
werblich über das Ziel hinaus und riskieren<br />
damit die direkte gerichtliche Auseinandersetzung<br />
mit der Rechtsanwaltschaft, wie wir an<br />
dieser Stelle schon öfters berichtet haben (vgl.<br />
etwa <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin 22/2017, S. 1168).<br />
Ein weiterer Fall, der die Richter in letzter Zeit<br />
beschäftigt hat, ist eine Webseite des Unternehmens<br />
„Legal Hero GmbH“ mit dem Titel<br />
„abfindungsheld.de“. Hier wurde betroffenen Arbeitnehmern<br />
versprochen, für sie Abfindungsansprüche<br />
durchzukämpfen, und dies praktisch<br />
ohne Kostenrisiko. Mit Slogans wie „Wir setzen Ihr<br />
Recht durch – Wenn Sie uns beauftragen, holen unsere<br />
Rechtsexperten Ihnen Ihre Abfindung. Wir ziehen bis vor<br />
Gericht, ohne dass Ihnen Kosten entstehen. Sie können<br />
sich zurücklehnen und entspannen“ und „Schon gewusst?<br />
abfingungsheld.de übernimmt Ihr volles Prozesskostenrisiko<br />
und ist günstiger als jeder Anwalt – es gibt<br />
nichts zu verlieren! Jetzt selbst ausprobieren und<br />
weitersagen!“ warb das Internetportal gegen eine<br />
25-prozentige Erfolgsbeteiligung um Mandate<br />
von entlassenen Arbeitnehmern.<br />
Die Kammer für Handelssachen des LG Bielefeld<br />
hatte allerdings für diese Art der Werbung wenig<br />
übrig und untersagte auf Antrag des lokalen<br />
Anwaltvereins per einstweiliger Verfügung viele<br />
der Werbeaussagen auf „abfindungsheld.de“ (Beschl.<br />
v. 1.8.2017 – 15 O 67/17). Sie seien irreführend i.S.d.<br />
§ 5 Abs. 1 S. 2 UWG und damit geeignet, den<br />
Verbraucher in unlauterer Weise zu beeinflussen,<br />
befand die Kammer.<br />
Es werde der Eindruck erweckt, die Online-Plattform<br />
biete eine komplette Abwicklung der<br />
außergerichtlichen und gerichtlichen Durchsetzung<br />
eines Abfindungsanspruchs aus einem gekündigten<br />
Arbeitsverhältnis an, was nicht den<br />
Tatsachen entspreche, so die Richter.<br />
In Wahrheit beschränke sich die Leistung der<br />
Webseite bloß auf eine Vorabprüfung der Erfolgsaussichten<br />
einer Klage und die Vermittlung eines<br />
Partneranwalts; dies ergebe allerdings erst ein<br />
genauer Blick auf die AGB des Anbieters. Zudem<br />
liege eine Falschbehauptung in der Aussage, man<br />
sei günstiger als jeder Anwalt; dies könne man bei<br />
einer pauschalen Erfolgsbeteiligung von 25 % gar<br />
nicht im Voraus wissen.<br />
Der Fall ist nun in die mündliche Verhandlung<br />
gegangen, weil der Anbieter Teile der einstweiligen<br />
Verfügung für ungerechtfertigt hält. Wettbewerbsexperten<br />
erwarten mit Blick auf dieses<br />
Verfahren, dass es in Zukunft wohl noch viele<br />
ähnliche Streitigkeiten zwischen Anwaltschaft<br />
und Internetdienstleistern geben wird, denn deren<br />
niederschwellige Angebote seien für viele<br />
Ratsuchende einfach sehr attraktiv. [Red.]<br />
Barcamp-Veranstaltung zu Rechtsfragen<br />
der Industrie 4.0<br />
Im Dezember 2017 richtete die Arbeitsgemeinschaft<br />
IT-Recht des Deutschen Anwaltvereins<br />
(davit) bereits zum zweiten Mal ein sog. Barcamp<br />
in den Düsseldorfer Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei<br />
aus. Die Veranstaltung stand unter dem<br />
Motto „Industrie 4.0 und Digitalisierung“. Entsprechend<br />
dem offenen und dynamischen Barcamp-Format<br />
lebte sie in erster Linie von eingebrachten<br />
Beiträgen und Themenwünschen der<br />
Besucher, d.h. jeder konnte Fragen mitbringen, an<br />
Diskussionen teilnehmen oder selbst vortragen.<br />
Zur Sprache kamen diesmal u.a. Compliance-<br />
Probleme beim digitalen Lernen in Unternehmen,<br />
die Zukunft des klassischen Bankengeschäfts und<br />
Fragen rund um die neuen sog. Kryptowährungen.<br />
Hintergrund der Barcamp-Veranstaltungen ist die<br />
Tatsache, dass die Informationstechnologie immer<br />
stärker auch in das Arbeitsfeld der Juristen vordringt,<br />
etwa im Wirtschafts- und Arbeitsrecht, wo<br />
sich gleich eine ganze Reihe von Fragen zum<br />
Daten-, Geheimnis- und Arbeitnehmerschutz<br />
stellt. Bei dem in der Industrie zunehmend wichtigen<br />
Thema des digitalen Lernens etwa ist noch<br />
weitgehend ungeklärt, wie es mit dem Geheim-<br />
54 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
<strong>ZAP</strong><br />
Anwaltsmagazin<br />
nisschutz und den urheberrechtlichen Interessen<br />
in Unternehmen zu vereinbaren ist, wenn in<br />
kollaborativ und teilweise über Firmengrenzen<br />
hinweg arbeitenden Gruppen innovative Konzepte<br />
erarbeitet werden. Auch stellt sich die Frage, wie<br />
es mit Arbeitnehmerrechten zu vereinbaren ist, die<br />
einzelnen Mitarbeiter mittels neuer technologischer<br />
Möglichkeiten zu überwachen.<br />
Immer größere Bedeutung für die Wirtschaft<br />
kommt auch den sog. Kryptowährungen zu, d.h.<br />
digitalen Währungen, die nicht durch staatliche<br />
Stellen geschaffen werden, etwa den sog. Bitcoins.<br />
Hier wurden in der Veranstaltung viele Rechtsunsicherheiten<br />
offenbar, die sich beim Erwerb, Tausch<br />
und Transfer eines solchen digitalen Geldes stellen.<br />
Insgesamt zeigte die Barcamp-Veranstaltung auf,<br />
dass es auf juristischem Gebiet für das Thema<br />
„Industrie 4.0“ noch viel Klärungsbedarf gibt. Und<br />
sie machte deutlich, dass die unvermeidliche<br />
Digitalisierung aller Lebensbereiche die Anforderungen<br />
an die Rechtsberater verändern wird.<br />
[Red.]<br />
Mietgerichtstag 2018<br />
Vom 16.3. bis zum 17.3.2018 wird der nächste<br />
Mietgerichtstag in Dortmund, Kongresszentrum<br />
Westfalenhalle, stattfinden. Er hat in diesem Jahr<br />
das „Mietrecht im Spannungsfeld der Interessen“<br />
zum Hauptthema.<br />
Die Vorträge der Veranstaltung befassen sich u.a.<br />
mit verhaltensauffälligen und suzidgefährdeten<br />
Mietern, der Mietpreisbremse, der möblierten<br />
Wohnung und der E-Mobilität.<br />
In den Arbeitskreisen stehen u.a. die Themen<br />
Nebenverträge bei der Gewerberaummiete, Mängel<br />
der Mietsache und die Digitalisierung im<br />
Mietverhältnis auf der Tagesordnung.<br />
Der Tagungsbeitrag beträgt 250 € für Mitglieder<br />
bzw. 320 € für Nichtmitglieder. Die Anmeldung zur<br />
Teilnahme erfolgt unter www.mietgerichtstag.de<br />
oder schriftlich an den Deutschen Mietgerichtstag<br />
e.V.<br />
[Quelle: Mietgerichtstag]<br />
Neue Regelbedarfe in der Sozialhilfe<br />
nach dem SGB XII<br />
Seit dem 1.1.2018 gelten neue Regelbedarfe in der<br />
Sozialhilfe:<br />
• für jede erwachsene Person, die in einer<br />
Wohnung lebt und für die nicht die Regelbedarfsstufe<br />
2 gilt: 416 € (Regelbedarfsstufe 1);<br />
• für jede erwachsene Person, wenn sie in einer<br />
Wohnung mit einem Ehegatten, Lebenspartner<br />
oder sonstigen Partner zusammenlebt:<br />
374 € (Regelbedarfsstufe 2);<br />
• für eine erwachsene Person, die in einer<br />
stationären Einrichtung lebt: 332 € (Regelbedarfsstufe<br />
3);<br />
• für Jugendliche vom Beginn des 15. Lebensjahres<br />
bis unter 18 Jahre: 316 € (Regelbedarfsstufe<br />
4);<br />
• für Kinder vom Beginn des 7. bis zur Vollendung<br />
des 14. Lebensjahres: 296 € (Regelbedarfsstufe<br />
5);<br />
• für Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres:<br />
240 € (Regelbedarfsstufe 6).<br />
[Quelle: BMAS]<br />
Neue Rechengrößen in der Sozialversicherung<br />
Mit der Verordnung über die Sozialversicherungsrechengrößen 2018 wurden die maßgeblichen<br />
Rechengrößen der Sozialversicherung gemäß der Einkommensentwicklung im Jahr 2016 turnusgemäß<br />
angepasst. Die aktuellen Werte für 2018 sind aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich:<br />
Beitragsbemessungsgrenze:<br />
allgemeine Rentenversicherung<br />
Beitragsbemessungsgrenze: knappschaftliche<br />
Rentenversicherung<br />
West<br />
Ost<br />
Monat Jahr Monat Jahr<br />
6.500 € 78.000 € 5.800 € 69.600 €<br />
8.000 € 96.000 € 7.150 € 85.800 €<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 55
Anwaltsmagazin<br />
<strong>ZAP</strong><br />
West<br />
Ost<br />
Monat Jahr Monat Jahr<br />
Beitragsbemessungsgrenze:<br />
6.500 € 78.000 € 5.800 € 69.600 €<br />
Arbeitslosenversicherung<br />
Versicherungspflichtgrenze:<br />
4.950 € 59.400 € 4.950 € 59.400 €<br />
Kranken- u. Pflegeversicherung<br />
Beitragsbemessungsgrenze:<br />
4.425 € 53.100 € 4.425 € 53.100 €<br />
Kranken- u. Pflegeversicherung<br />
Bezugsgröße in der Sozialversicherung 3.045 €* 36.540 €* 2.695 € 32.340 €<br />
vorläufiges Durchschnittsentgelt/Jahr<br />
in der Rentenversicherung<br />
37.873 €<br />
* In der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gilt dieser Wert bundeseinheitlich.<br />
[Quelle: BGBl]<br />
Wichtige Gesetzesverkündungen im Überblick<br />
Bundesgesetzblatt Teil I 2017<br />
Verordnung vom Inkrafttreten BGBl, S. Anmerkung<br />
Verordnung über maßgebende Rechengrößen<br />
der Sozialversicherung für 2018<br />
(Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung<br />
2018)<br />
Verordnung über die technischen<br />
Rahmenbedingungen des elektronischen<br />
Rechtsverkehrs und über das<br />
besondere elektronische Behördenpostfach<br />
(Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung<br />
– ERVV)<br />
Erste Verordnung zur Änderung der<br />
Verordnung über das Genehmigungsverfahren<br />
– 9. BImSchV<br />
Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze<br />
in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
für das Jahr 2018<br />
(Beitragssatzverordnung 2018 – BSV<br />
2018)<br />
Verordnung über die pauschalierten<br />
Nettoentgelte für das Kurzarbeitergeld<br />
für das Jahr 2018<br />
Bekanntmachung zu § 115 der Zivilprozessordnung<br />
(Prozesskostenhilfebekanntmachung<br />
2018 – PKHB 2018)<br />
Bekanntmachung der Umrechnungsfaktoren<br />
für den Versorgungsausgleich<br />
in der Rentenversicherung<br />
16.11.2017 1.1.2018 3778 u.a. Festlegung des Durchschnittsentgelts,<br />
der Beitragsbemessungsgrenzen<br />
in der Rentenversicherung<br />
sowie der<br />
Bezugsgröße in der Sozialversicherung<br />
(s. vorstehende Meldung)<br />
24.11.2017 1.1.2018 3803 u.a. Regelung des elektronischen<br />
Rechtsverkehrs mit allen Gerichten<br />
(s. auch <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />
2/2018, S. 52, in diesem<br />
Heft)<br />
8.12.2017 14.12.2017 3882 Änderung der Bestimmungen<br />
über die Umweltverträglichkeitsprüfung<br />
18.12.2017 1.1.2018 3976 Beitragssatz für die allg. Rentenversicherung<br />
18,6 %; für die<br />
knappschaftliche Rentenversicherung<br />
24,7 %<br />
19.12.2017 1.1.2018 3989 pauschalierte Nettoentgelte zur<br />
Berechnung des Kurzarbeitergeldes<br />
15.12.2017 1.1.2018 4012 Bekanntgabe der vom Einkommen<br />
abzusetzenden Beträge<br />
18.12.2017 1.1.2018 4013 Umrechnungsfaktoren für die<br />
allg. und knappschaftliche Rentenversicherung<br />
[Quelle: BGBl]<br />
56 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
<strong>ZAP</strong><br />
Berufsrechtsreport<br />
Berufsrechtsreport<br />
Von Akad. Rat Dr. CHRISTIAN DECKENBROCK und Akad. Rat Dr. DAVID MARKWORTH, Universität zu Köln<br />
I. Einleitung<br />
In Heft 16/2017 ist erstmals eine Ausgabe des Berufsrechtsreports<br />
in der <strong>ZAP</strong> erschienen (DECKENBROCK/<br />
MARKWORTH <strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837 ff.). Ziel dieses Reports<br />
ist es, einen Überblick über wesentliche Gesetzesänderungen<br />
und die wichtigste Rechtsprechung<br />
im anwaltlichen Berufsrecht zu geben.<br />
Nachdem im ersten Berufsrechtsreport in etwa<br />
die Entwicklungen im anwaltlichen Berufsrecht im<br />
Jahr 2016 und in der ersten Hälfte des Jahres 2017<br />
nachgezeichnet worden sind, stehen nun die<br />
Neuigkeiten der zweiten Jahreshälfte 2017 im Blickpunkt;<br />
soweit es sich um Entscheidungen älteren<br />
Datums handelt, sind diese erst im Berichtszeitraum<br />
bekannt geworden. Künftig soll in aller Regel<br />
ein jährlicher Report immer um den Jahreswechsel<br />
erscheinen (ein weiterer Überblick findet sich bei<br />
GRUNEWALD NJW 2017, 3627 ff.; speziell zur Entwicklung<br />
des Fachanwaltsrechts 2017 s. ENGEL BRAK-<br />
Mitt. 2017, 275 ff.).<br />
Damit will der Report zugleich einen Beitrag dazu<br />
leisten, dem selbst vom Rechtsausschuss des<br />
Deutschen Bundestags konstatierten Umstand<br />
entgegenzuwirken, dass „gerade bei neu zugelassenen<br />
Rechtanwälten häufig tatsächlich erhebliche Defizite<br />
bei den Kenntnissen des anwaltlichen Berufsrechts<br />
zu bemerken“ sind (BT-Drucks 18/11468, S. 10). Vor<br />
dem Hintergrund dieses Befunds ist es misslich,<br />
dass nach wie vor das anwaltliche Berufsrecht in<br />
der Juristenausbildung kaum eine Rolle spielt. Zwar<br />
hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr<br />
versucht, im Rahmen der sog. kleinen BRAO-Novelle<br />
(Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie<br />
und zur Änderung weiterer Vorschriften<br />
im Bereich der rechtsberatenden Berufe<br />
v. 12.5.2017 [BGBl I, S. 1121]; dazu <strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837,<br />
838) eine Berufspflicht für Rechtsanwälte mit dem<br />
Inhalt einzuführen, innerhalb eines Jahres nach<br />
Zulassung den Nachweis über eine zehnstündige<br />
Unterrichtung im anwaltlichen Berufsrecht zu erbringen<br />
(BT-Drucks 18/9521, S. 9, 110 ff.). Dieser<br />
überaus sinnvolle Ansatz wurde allerdings genauso<br />
wie der Plan, der Satzungsversammlung der BRAK<br />
in § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. h BRAO die Kompetenz<br />
einzuräumen, nicht nur diese neue, auf die Kenntnisse<br />
im Berufsrecht bezogene Berufspflicht, sondern<br />
auch die allgemeine Fortbildungspflicht (§ 43a<br />
Abs. 6 BRAO) näher zu regeln, im Rechtsausschuss<br />
des Deutschen Bundestags gestoppt (BT-Drucks<br />
18/11468, S. 10; dazu DECKENBROCK NJW 2017, 1425,<br />
1430). Die Begründung für dieses negative Votum<br />
ist äußerst dürftig und reicht bis zu dem Vorwurf,<br />
die neuen Fortbildungspflichten sollten nur eingeführt<br />
werden, weil „Vertreter berufsständischer Organisationen<br />
ein Interesse daran haben, dass ihre Fortbildungsinstitute<br />
am Markt beteiligt werden“ (vgl. die<br />
Rede des Abgeordneten DETLEF SEIF [CDU/CSU], BT-<br />
Plenarprotokoll 18/225, S. 22626 [D]).<br />
Zu hoffen bleibt, dass der Gesetzgeber in der<br />
neuen Legislaturperiode die Kraft aufbringt, die<br />
Neuregelung der Fortbildungspflichten abermals<br />
anzugehen. Die Satzungsversammlung der BRAK<br />
hat insoweit bereits am 19.5.2017 eine Resolution<br />
verabschiedet, mit der sie das Bundesministerium<br />
der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) und<br />
den Gesetzgeber auffordert, sich erneut mit der<br />
Konkretisierung der allgemeinen Fortbildungspflicht<br />
zu befassen. Im Rahmen einer Reform<br />
wird auch erneut zu diskutieren sein, wie Grundkenntnisse<br />
des Anwalts in seinem Berufsrecht<br />
sicherzustellen sind. Der Rechtsausschuss hat die<br />
Auffassung vertreten, dass die diesbezüglichen<br />
Mängel vorzugsweise durch eine verbesserte Ausbildung<br />
im Studium oder insbesondere im Referendariat<br />
abgestellt werden sollten (BT-Drucks<br />
18/11468, S. 10). Der Ausschuss der Konferenz der<br />
Justizministerinnen und Justizminister zur Koor-<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 57
Berufsrechtsreport<br />
<strong>ZAP</strong><br />
dinierung der Juristenausbildung teilt in seinem<br />
Bericht mit dem Titel „Harmonisierungsmöglichkeiten<br />
für die juristischen Prüfungen: Austausch mit den<br />
juristischen Fakultäten“ vom November 2017 die<br />
Sichtweise der anwaltlichen Berufskörperschaften<br />
und -verbände immerhin insoweit, als eine Ausbildung<br />
im anwaltlichen Berufsrecht zumindest für<br />
diejenigen Referendare wünschenswert ist, die den<br />
Anwaltsberuf anstreben. Dies war für den Koordinierungsausschuss<br />
ausschlaggebend dafür, das<br />
anwaltliche Berufsrecht – für viele Länder erstmals<br />
– in den Stoffkatalog mit aufzunehmen, wobei es<br />
den Ländern freigestellt bleiben soll, ob dieses<br />
Stoffgebiet Teil der Pflicht- oder der Wahlfachausbildung<br />
wird (vgl. Bericht 2017, S. 31 f., 82).<br />
II.<br />
Rechtspolitische Entwicklungen<br />
1. Schutz von Geheimnissen bei der<br />
Mitwirkung Dritter<br />
Bereits in der letzten Ausgabe des Berufsrechtsreports<br />
wurde über das geplante Gesetz zur<br />
Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei<br />
der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung<br />
schweigepflichtiger Personen und seine Auswirkungen<br />
auf das sog. Non-Legal-Outsourcing berichtet<br />
(<strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837, 839). Mit der Neuregelung<br />
werden die offenen Rechtsfragen des<br />
„Non-Legal-Outsourcing“ wie etwa die Auslagerung<br />
von IT-Services auf externe Dienstleister<br />
geklärt. Insbesondere wird durch Änderungen der<br />
straf- und berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht<br />
klargestellt, dass das Offenbaren von geschützten<br />
Geheimnissen gegenüber Personen, die<br />
an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit des<br />
Berufsgeheimnisträgers mitwirken, nicht als strafbares<br />
Handeln zu qualifizieren ist, soweit die<br />
Offenlegung für die Inanspruchnahme der Tätigkeit<br />
der mitwirkenden Personen erforderlich ist; im<br />
Gegenzug werden die mitwirkenden Personen in<br />
den Straftatbestand des § 203 StGB einbezogen;<br />
entsprechende Änderungen sieht das Gesetz für das<br />
Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53a StPO) und damit<br />
mittelbar auch für das Beschlagnahmeverbot nach<br />
§97StPOvor(s.zuEinzelheitenCORNELIUS NJW 2017,<br />
3751 ff.; GRUPP AnwBl 2017, 816 ff.; LANGE <strong>ZAP</strong> 21/2017,<br />
S. 1097 f. sowie speziell zu den Besonderheiten bei<br />
Steuerberatern BRÜGGEMANN/REIN DStR 2017, 2572;<br />
ein Muster für die notwendige Belehrung findet<br />
sich bei EL-AUWAD AnwBl Online 2018, 26). Inzwischen<br />
ist das Gesetz v. 30.10.2017 mit Wirkung v.<br />
9.11.2017 in Kraft getreten (BGBl I, S. 3618).<br />
2. Besonderes elektronisches<br />
Anwaltspostfach<br />
Ohne Beanstandung aus Karlsruhe konnte zum<br />
1.1.2018 die aus § 31a Abs. 6 BRAO folgende<br />
Verpflichtung, die für das besondere elektronische<br />
Anwaltspostfach (beA) erforderlichen technischen<br />
Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und<br />
den Zugang von Mitteilungen über das beA zur<br />
Kenntnis zu nehmen (sog. passive Nutzungspflicht),<br />
in Kraft treten. Die 1. Kammer des Ersten<br />
Senats des BVerfG hat die gegen die Einführung des<br />
elektronischen Anwaltspostfachs erhobene Verfassungsbeschwerde<br />
mit Beschluss vom 20.12.2017<br />
(Az. 1 BvR 2233/17) als unzulässig zurückgewiesen.<br />
Der beschwerdeführende Rechtsanwalt habe eine<br />
mögliche Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG nicht<br />
ausreichend dargelegt. So fehle es an Anhaltspunkten,<br />
dass es sich bei dem Zweck der Vorschriften<br />
– also bei der Förderung des elektronischen<br />
Rechtsverkehrs, der Eröffnung eines<br />
rechtssicheren und schnellen Kommunikationswegs<br />
zu den Gerichten und anderen Anwälten<br />
sowie der Einsparung von Porto- und Druckkosten<br />
– nicht um spezifische berufsbezogene Gemeinwohlgründe<br />
handele. Seine bloße Behauptung, mit<br />
der Einführung des beA sei tatsächlich eine Kostensteigerung<br />
verbunden, könne mangels einer vergleichenden<br />
Kostenaufstellung nicht nachvollzogen<br />
werden. Soweit er mit dem beA eine sichere<br />
Kommunikation für unmöglich halte, habe er sich<br />
nicht genügend mit den konkret getroffenen<br />
Sicherheitsvorkehrungen wie etwa der Ende-zu-<br />
Ende-Verschlüsselung auseinandergesetzt. Zudem<br />
lasse die Beschwerdeschrift nicht erkennen, warum<br />
die angegriffenen Regelungen eine übermäßige<br />
Belastung des Beschwerdeführers erwarten ließen.<br />
Insbesondere sei der Anwalt nicht verpflichtet, die<br />
über das beA eingehenden Mitteilungen jederzeitig<br />
unmittelbar und sofort persönlich zur Kenntnis zu<br />
nehmen.<br />
Wenngleich damit die rechtlichen Fragen rund<br />
um das beA geklärt waren, machte die Technik<br />
der reibungslosen Einführung des beA einen<br />
Strich durch die Rechnung: Am 22.12.2017 sah<br />
sich die BRAK gezwungen, die beA-Plattform<br />
offline zu stellen, nachdem ein für den Zugang<br />
erforderliches Zertifikat als Einfallstor für mögliche<br />
Hacker-Angriffe eingestuft und gesperrt<br />
worden war. Auch wenn nach Aussage der<br />
BRAK die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung davon<br />
nicht betroffen und die Vertraulichkeit der Datenübertragungen<br />
zu jedem Zeitpunkt gesichert war,<br />
58 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
<strong>ZAP</strong><br />
Berufsrechtsreport<br />
tragen diese technischen Probleme und allgemeinen<br />
Sicherheitslücken nicht zur notwendigen<br />
vollständigen Akzeptanz des ohnehin umstrittenen<br />
beA bei. Mit Schreiben vom 3.1.2018<br />
informierte die BRAK die Anwaltschaft darüber,<br />
dass das beA voraussichtlich auch den gesamten<br />
Januar nicht erreichbar und nicht adressierbar<br />
sein wird; die seit dem Jahreswechsel geltende<br />
passive Nutzungspflicht läuft damit zunächst leer.<br />
3. Reform des anwaltlichen<br />
Gesellschaftsrechts<br />
Unabhängig von der Frage, wie sich die künftige<br />
Bundesregierung genau zusammensetzen wird,<br />
dürfte aus anwaltlicher Sicht die angestrebte<br />
Reform der §§ 59a ff. BRAO von besonderer<br />
Bedeutung sein (<strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837, 839 ff.). Die<br />
Neuordnung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts<br />
ist dabei insbesondere angesichts des Beschlusses<br />
des BVerfG vom 12.1.2016 (Az. 1 BvL 6/13, BGBl I,<br />
S. 244; s. nachfolgend auch BGH, Beschl. v.<br />
12.4.2016 – II ZB 7/11) längst überfällig. In diesem<br />
hatte der Senat die Regelung des § 59a Abs. 1<br />
BRAO, nach der sich Rechtsanwälte allein mit<br />
Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern zur gemeinschaftlichen<br />
Berufsausübung zusammenschließen<br />
dürfen, insoweit für verfassungswidrig<br />
erklärt, als er Rechtsanwälten eine solche Berufsausübung<br />
mit Ärzten oder Apothekern im Rahmen<br />
einer Partnerschaftsgesellschaft untersagt (<strong>ZAP</strong><br />
16/2017, S. 837, 839). Angesichts des eng gefassten<br />
Tenors der Entscheidung – nur in diesem Rahmen<br />
kommt dem Beschluss Gesetzeskraft zu (§ 31<br />
BVerfGG) – besteht für die Praxis weiter Unsicherheit<br />
darüber, inwiefern die interprofessionelle<br />
Zusammenarbeit darüber hinaus zulässig ist, ob<br />
Anwälten also auch die Zusammenarbeit mit<br />
anderen Berufsgruppen wie Architekten und Ingenieuren<br />
und in anderen Rechtsformen wie etwa<br />
der Partnerschaftsgesellschaft einzuräumen ist<br />
(dazu HENSSLER/DECKENBROCK AnwBl 2016, 211, 212 ff.).<br />
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat nun am<br />
14.12.2017 durch seinen Berufsrechtsausschuss im<br />
Rahmen einer sog. Initiativstellungnahme einen<br />
konkreten Vorschlag zur Änderung des § 59a<br />
BRAO vorgelegt (abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-58-17-sn-58-17-dav-fordert-erweiterte-moeglichkeiten-fuer-inte-76169,<br />
letzter Abruf:<br />
8.1.2018). In diesem spricht sich der DAV<br />
dafür aus, die Zusammenarbeit mit Angehörigen<br />
anderer verkammerter Freiberufe (u.a. Ärzten,<br />
Zahnärzten, Apothekern, Architekten, Ingenieuren),<br />
mit regulierten Freiberuflern (zertifizierten<br />
Mediatoren i.S.d. § 5 Abs. 2 MediationsG), aber<br />
auch mit nicht regulierten Freiberuflern und<br />
Gewerbetreibenden (beratenden Volks- und Betriebswirten,<br />
d.h. Unternehmensberatern, Finanzdienstleistern,<br />
Versicherungsagenten sowie<br />
hauptberuflichen Sachverständigen) zuzulassen.<br />
Gleichzeitig soll durch Änderungen des § 203<br />
StGB und des § 53a StPO eindeutig klargestellt<br />
werden, dass Verschwiegenheitspflicht, Zeugnisverweigerungsrecht<br />
und Beschlagnahmeverbot<br />
auch für die Angehörigen anderer Berufe gelten,<br />
mit denen sich ein Rechtsanwalt zur gemeinsamen<br />
Berufsausübung verbunden hat, soweit diese in<br />
Mandaten des Rechtsanwalts mitarbeiten oder<br />
von dem Geheimnis aufgrund der gemeinsamen<br />
Berufsausübung anderweitig Kenntnis erlangen.<br />
Der Entwurfsvorschlag des DAV-Berufsrechtsausschusses<br />
darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass eine Erweiterung der Möglichkeiten<br />
einer interprofessionellen Zusammenarbeit nur ein<br />
Mosaikstein im Rahmen einer groß angelegten<br />
Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts,<br />
wenn nicht sogar des gesamten (Personen-)Gesellschaftsrechts,<br />
sein kann. Der Gesetzgeber muss<br />
zudem den Beschluss des BVerfG vom 14.1.2014<br />
(Az. 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12; BGBl I, S. 111)<br />
umsetzen, nach dem in der Anwalts-GmbH die<br />
zugunsten der Anwälte bestehenden Mehrheitserfordernisse<br />
(im Hinblick auf die Geschäftsanteile<br />
und Stimmrechte sowie auf die verantwortliche<br />
Führung der Gesellschaft und die Mehrheit der<br />
Geschäftsführer, vgl. §§ 59e Abs. 2 S. 1, 59f Abs. 1 S. 1<br />
und 2 BRAO) ebenfalls verfassungsrechtlich nicht<br />
haltbar sind. Darüber hinaus sollte die Reform die<br />
vollständige berufsrechtliche Anerkennung der<br />
Berufsausübungsgesellschaft mit rechtsformneutralen<br />
Regelungen zur Zulassung, zur Postulationsfähigkeit<br />
und zur berufsrechtlichen Verantwortlichkeit<br />
zum Ziel haben (zu Einzelheiten<br />
DECKENBROCK AnwBl 2014, 118 ff.; HENSSLER AnwBl<br />
2017, 378 ff.).<br />
4. Geldwäsche<br />
Hinsichtlich der auch für Rechtsanwälte relevanten<br />
Änderungen, die das neu gefasste Gesetz<br />
über das Aufspüren von Gewinnen aus<br />
schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GwG)<br />
v. 23.6.2017 (BGBl I, S. 1822) mit sich gebracht hat,<br />
sei auf die Beiträge von BURMEISTER/UWER AnwBl<br />
2017, 1038 ff. und JECK KammerForum RAK Köln<br />
2017, 113 ff. verwiesen.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 59
Berufsrechtsreport<br />
<strong>ZAP</strong><br />
III. Anwaltshaftung<br />
Einige der interessantesten Entscheidungen des<br />
BGH, die in der zweiten Jahreshälfte 2017 veröffentlicht<br />
wurden, befassen sich mit der Reichweite<br />
der Anwaltshaftung (s. auch den Überblick<br />
bei BORGMANN NJW 2017, 3344 ff.).<br />
1. Sorgfaltspflichten bei Übersendung von<br />
Schriftsätzen per Telefax<br />
Noch eher konventionell mutet insofern ein Beschluss<br />
des II. Zivilsenats des BGH vom 23.5.2017<br />
(Az. II ZB 19/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 664/2017) an, mit dem<br />
einer Rechtsbeschwerde stattgegeben wurde, die<br />
sich gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in<br />
die Berufungsfrist wendete. Der Kläger und Beschwerdeführer<br />
hatte die Berufungsfrist versäumt,<br />
weil die zweite Seite der Berufungsschrift mit der<br />
abschließenden Unterschrift seines Prozessbevollmächtigten<br />
am letzten Tag des Fristlaufs nicht per<br />
Fax an das zuständige Gericht übermittelt worden<br />
war. Die zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte<br />
im Büro des Prozessbevollmächtigten hatte zwar<br />
weisungsgemäß das Sendeprotokoll des Faxgeräts<br />
auf eine vollständige und ordnungsgemäße Übermittlung<br />
hin überprüft, ihr war das Fehlen der<br />
zweiten Seite aber nicht aufgefallen. Zu Recht<br />
stellte der BGH klar, dass die hier sowohl allgemein<br />
als auch auf den konkreten Übersendungsvorgang<br />
hin erfolgte Weisung des Prozessbevollmächtigten<br />
notwendig (vgl. insofern auch BGH, Beschl. v.<br />
27.6.2017 – VI ZB 32/16), aber auch ausreichend<br />
war, um ein Organisationsverschulden und damit<br />
eine Verschuldenszurechnung zum Mandanten<br />
über § 85 Abs. 2 ZPO auszuschließen. Weder hätte<br />
der Rechtsanwalt zusätzlich eine nachträgliche<br />
inhaltliche Kontrolle der versandten Schriftstücke<br />
noch ihre getrennte Übersendung, geschweige<br />
denn eine telefonische Rückfrage bezüglich der<br />
vollständigen Übermittlung bei der zuständigen<br />
Geschäftsstelle, veranlassen müssen.<br />
2. Unrichtige Rechtsmittelbelehrung<br />
Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch<br />
auf einen Beschluss des V. Zivilsenats vom<br />
28.9.2017 (Az. V ZB 109/16), mit welchem der<br />
Senat seine Anfang des Jahres begründete Rechtsprechungslinie<br />
fortsetzt (vgl. Beschl. v. 9.3.2017 –<br />
V ZB 18/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 434/2017), nach der ein<br />
Rechtsanwalt in aller Regel einem unverschuldeten<br />
Rechtsirrtum unterliegt, wenn er in einer<br />
Wohnungseigentumssache aufgrund einer unrichtigen<br />
Rechtsmittelbelehrung Berufung nicht<br />
bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen<br />
Berufungsgericht, sondern bei dem für allgemeine<br />
Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlegt.<br />
Als Folge dieser Rechtsprechung ist der Partei<br />
Wiedereinsetzung in die aus diesem Grund versäumte<br />
Berufungsfrist zu gewähren (vgl. zustimmend<br />
GEISLER jurisPR-BGHZivilR 12/2017 Anm. 3).<br />
Die Entscheidung zeigt, dass selbst der BGH<br />
bei der Frage, ob eine Zuständigkeitskonzentration<br />
i.S.d. § 72 Abs. 2 GVG eintritt, so viele Unwägbarkeiten<br />
sieht, dass eine insofern unrichtige<br />
Rechtmittelbelehrung praktisch nie „offenkundig<br />
fehlerhaft“ sein kann; eine solche Sichtweise wäre<br />
aber Voraussetzung, um die Vermutungsregelung<br />
in § 233 S. 2 ZPO widerlegen zu können.<br />
Insgesamt ist es zu begrüßen, dass sich ein<br />
Anwalt nach Auffassung des BGH grundsätzlich<br />
auf die vom Gericht erteilten Rechtsmittelbelehrungen<br />
verlassen können muss. Der V. Zivilsenat<br />
hat in seiner jüngsten Entscheidung sogar einem<br />
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht<br />
im Hinblick auf die Frage der offenkundigen<br />
Fehlerhaftigkeit keinen erhöhten Kenntnisstand<br />
unterstellt. Man wird gleichwohl die Entscheidung<br />
nicht dahingehend verallgemeinern können,<br />
dass ein Anwalt stets ausnahmslos auf die erteilte<br />
Rechtsmittelbelehrung vertrauen darf. Immerhin<br />
hatte der V. Senat bei einer Belehrung, die statt<br />
einer Rechtsbeschwerde „die Beschwerde“ als<br />
statthaftes Rechtsmittel angeführt hatte, noch<br />
anders entschieden (vgl. Beschl. v. 12.10.2016 –<br />
V ZB 178/15, s. auch die restriktive Entscheidung,<br />
die das LSG Niedersachsen mit Beschl v. 24.8.2017<br />
– L 14 U 49/17 getroffen hat). Auch lässt sich der<br />
Entscheidung nicht allgemein entnehmen, dass<br />
mit der Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung<br />
insgesamt kein erhöhter Verschuldensmaßstab<br />
des Rechtsanwalts verbunden sein kann.<br />
3. Haftung des Anwaltsmediators<br />
Für großes Aufsehen hat ein Urteil des IX. Zivilsenats<br />
des BGH vom 21.9.2017 (Az. IX ZR 34/17,<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 687/2017) gesorgt. Der BGH hatte<br />
insofern erstmalig die Gelegenheit, sich zu den<br />
Berufspflichten und der Berufshaftung eines als<br />
Mediator tätigen Rechtsanwalts (Anwaltsmediators)<br />
zu äußern. Der Entscheidung liegt ein überaus<br />
atypischer Sachverhalt zugrunde, in dem ein gravierendes<br />
Fehlverhalten gleich mehrerer anwaltlicher<br />
Berufsträger in Rede stand: Eine Anwaltsmediatorin,<br />
die spätere Beklagte, beriet ein<br />
Ehepaar, das eine kostengünstige und einvernehm-<br />
60 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
<strong>ZAP</strong><br />
Berufsrechtsreport<br />
liche Scheidung anstrebte. Für den Ehemann zog<br />
die Beklagte eine weitere Anwältin als Verfahrensbevollmächtigte<br />
im Scheidungsverfahren heran, für<br />
die Ehefrau trat ein „Fluranwalt“ als Terminsvertreter,<br />
der spätere Kläger, auf. Die beiden Parteivertreter<br />
erklärten in der mündlichen Verhandlung<br />
jeweils einen Verzicht auf Durchführung des Versorgungsausgleichs<br />
und einen Rechtsmittelverzicht,<br />
obwohl es zu der durch die Beklagten<br />
anvisierten Scheidungsfolgenvereinbarung außerhalb<br />
des gerichtlichen Scheidungsverfahrens nicht<br />
gekommen war und der Ehefrau ein erheblicher<br />
Versorgungsausgleichsanspruch zugestanden hätte.<br />
Im Anschluss verklagte die Ehefrau ihren<br />
Terminsvertreter erfolgreich auf Schadensersatz,<br />
der nun seinerseits die Anwaltsmediatorin –<br />
schlussendlich erfolgreich – im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs<br />
in Anspruch nahm.<br />
Dem nicht alltäglichen Sachverhalt zum Trotz,<br />
enthält das Urteil einige für die Praxis der<br />
Anwaltsmediation bedeutsame Klarstellungen.<br />
So schloss sich der Senat explizit der bereits im<br />
Schrifttum vorherrschenden Auffassung an, nach<br />
der die Berufshaftung des Anwaltsmediators regelmäßig<br />
den Grundsätzen der strengen anwaltlichen<br />
Berufshaftung folgt, zumindest sofern der<br />
Anwaltsmediator es übernommen hat, einvernehmliche<br />
rechtliche Lösungsvorschläge zu entwickeln<br />
(krit. hierzu JUNGK/CHAB/GRAMS BRAK-Mitt.<br />
2017, 280, 281). Dies liegt insbesondere bei einer<br />
allparteilichen mediatorischen Beratung zur Herbeiführung<br />
einer einvernehmlichen Scheidung<br />
überaus nahe. Hieraus folgen unmittelbar sehr<br />
weitgehende Aufklärungs- und Prüfpflichten, die<br />
für den Anwaltsmediator noch potenziert werden,<br />
da er nicht nur gegenüber einem, sondern allparteilich<br />
gegenüber zwei oder mehreren Mandanten<br />
tätig wird (vgl. § 2 Abs. 3 MediationsG; ausführlich<br />
zu diesen Pflichten MARKWORTH AnwBl 2017, 1189 f.).<br />
In der Folge kann Anwaltsmediatoren nur geraten<br />
werden, eine individuelle Rechtsberatung im Mediationsvertrag<br />
explizit auszuschließen, im Rahmen<br />
der Beratung hierauf auch faktisch zu<br />
verzichten und die Parteien auf eine jeweils individuelle<br />
Mandatierung eines Drittanwalts zu<br />
verweisen, sich also auf ihre eigentliche Rolle als<br />
Mediator (rück-)zubesinnen (MARKWORTH AnwBl<br />
2017, 1189, 1190; ebenso EHLERS-HOFHERR NJW 2017,<br />
3446, 3447; GREGER BRAK-Mitt. 2017, 294, 295).<br />
Auch über diese Entscheidung hinaus ist die<br />
(Anwalts-)Mediation derzeit, ihrer stark gestiegenen<br />
praktischen Bedeutung entsprechend, im<br />
Fokus regulatorischen und wissenschaftlichen<br />
Interesses (vgl. PLASSMANN BRAK-Mitt. 2017, 265 ff.).<br />
Hinzuweisen ist insofern auf die am 1.9.2017 in<br />
Kraft getretene Verordnung des BMJV über die<br />
Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren<br />
(Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung<br />
– ZMediatAusbV) v. 21.8.2016 (BGBl I,<br />
S. 1994; krit. dazu EIDENMÜLLER/FRIES AnwBl 2017,<br />
23 ff.; PLASSMANN AnwBl 2017, 26 ff.).<br />
4. Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums bei<br />
anwaltlicher Beratung<br />
Aus einem ganz anderen Grund überaus bedeutsam<br />
ist daneben ein Urteil des VI. Zivilsenats vom<br />
16.5.2016 (Az. VI ZR 266/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 528/2017).<br />
In diesem befasste sich der erkennende Senat<br />
mit der Frage, inwiefern das Vertrauen auf<br />
eingeholten rechtsanwaltlichen Rat einen unvermeidbaren<br />
Verbotsirrtum beim Mandanten<br />
zu begründen geeignet ist. Unter Übertragung<br />
der bereits stark ausgeformten Jurisprudenz<br />
der Strafsenate betonte der VI. Senat, dass<br />
die Inanspruchnahme von Rechtsrat jedenfalls<br />
nicht pauschal vor einer deliktsrechtlichen Haftung<br />
schützen kann. So wirken insbesondere<br />
erkennbar vordergründige, mangelhafte und<br />
nur einzelne Rechtsfragen adressierende „Gefälligkeitsgutachten“<br />
mit „Feigenblattfunktion“ nicht<br />
entlastend (krit. dazu GIEDINGHAGEN/SCHWARTZ EWiR<br />
2017, 559, 560). Der Mandant darf sich bei<br />
komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen<br />
Rechtsfragen durch die Einholung des<br />
Rechtsrats nicht nur der Richtigkeit der eigenen<br />
Position vergewissern, d.h. diese absichern lassen,<br />
sondern muss eine detaillierte und ergebnisoffene<br />
Prüfung beauftragen. In der Literatur wird zum<br />
Teil sogar empfohlen, zwei unabhängige Gutachten<br />
einzuholen und genau zu dokumentieren,<br />
welcher Auftrag dem Anwalt erteilt worden ist<br />
(vgl. BAUSCH NJW 2017, 2465).<br />
Gerade vor dem Hintergrund der derzeit justiziell<br />
aufzuarbeitenden sog. Cum-Ex-Deals, deren<br />
rechtliche Unbedenklichkeit sich Banken und<br />
vermögende Kunden durch zahlreiche Gutachten<br />
renommierter Wirtschaftskanzleien hatten bestätigen<br />
lassen, lässt die Entscheidung aufhorchen.<br />
Auch wenn sie einen nicht unmittelbar<br />
vergleichbaren Sachverhalt betraf, zeigt sie nicht<br />
nur ein Einfallstor für möglicherweise gravierende<br />
Haftungsrisiken der auf den Anwaltsrat<br />
fälschlich vertrauenden Mandanten, sondern<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 61
Berufsrechtsreport<br />
<strong>ZAP</strong><br />
auch für den Einwand des Mitverschuldens (§ 254<br />
BGB) in sich anschließenden Haftungsprozessen<br />
gegen die Berater.<br />
5. Fehlender Hinweis auf die Erfolgsaussichten<br />
eines Rechtsmittels<br />
Hinzuweisen ist weiterhin auf eine Entscheidung<br />
des für die Anwaltshaftung zuständigen IX. Zivilsenats<br />
(Urt. v. 13.10.2016 – IX ZR 214/15, <strong>ZAP</strong> EN-<br />
Nr. 77/2017), die sich mit der Frage auseinandersetzt,<br />
inwiefern ein für das erstinstanzliche<br />
Verfahren beauftragter Rechtsanwalt auch<br />
ohne dahingehenden Auftrag verpflichtet ist,<br />
seinen Mandanten über die Aussichten eines<br />
Rechtsmittels aufzuklären. Dem Rechtsanwalt<br />
war im zu entscheidenden Fall nach Auffassung<br />
des Senats bereits im Verfahren insofern eine<br />
haftungsbegründende Pflichtverletzung unterlaufen,<br />
als er das erstinstanzlich erkennende<br />
Gericht nicht auf eine ohne weiteres ersichtliche<br />
Divergenz der von dem Spruchkörper vertretenen<br />
Rechtsauffassung zur höchstrichterlichen<br />
Rechtsprechung hingewiesen hatte. Hierzu sei er<br />
zum Schutz seines Mandanten aus dem Anwaltsvertrag<br />
verpflichtet gewesen – dies mag<br />
den unbedarften Rechtsanwender vor dem Hintergrund<br />
der richterlichen Hinweispflicht nach<br />
§ 139 ZPO und der bekannten Rechtsregel „da mihi<br />
factum, dabo tibi ius“ zwar erstaunen, entspricht<br />
aber einer gefestigten Rechtsprechung (vgl.<br />
BORGMANN NJW 2017, 3344, 3346). Im Anschluss<br />
an das erstinstanzliche Urteil sei dann ein weiterer<br />
Beratungsfehler hinzugetreten, weil aufgrund<br />
der offensichtlichen Divergenz zwischen<br />
Urteil und höchstrichterlicher Rechtsprechung<br />
die Erfolgsaussichten eines etwaigen Rechtsmittels<br />
gegenüber dem Mandaten nicht als<br />
risikoreich und nichtexistent, sondern vielmehr<br />
als erfolgversprechend hätten dargestellt werden<br />
müssen. Dieses letzte Versäumnis schließe zugleich<br />
den Einwand eines Mitverschuldens des<br />
Mandanten, anknüpfend an die Tatsache, dass<br />
dieser kein Rechtsmittel eingelegt habe, aus.<br />
Im Ergebnis ist der Entscheidung zuzustimmen.<br />
Unverständlich ist aber, weshalb der erkennende<br />
Senat sich genötigt sah, hier künstlich zwei<br />
verschiedene Pflichtverletzungen zu konstruieren,<br />
obwohl dem eingetretenen Schaden offensichtlich<br />
nur ein anwaltliches Versäumnis – das<br />
Übersehen der Divergenz zwischen der Auffassung<br />
des erkennenden Gerichts und der höchstrichterlichen<br />
Rechtsprechung – zugrunde lag.<br />
IV. Zulassungsrecht<br />
1. Mangelhafte Abwägung bei Versagung der<br />
Zulassung wegen Unwürdigkeit<br />
Bereits in der letzten Ausgabe des Berufsrechtsreports<br />
war der Fall einer Assessorin vorgestellt<br />
worden, die während ihres Referendariats im<br />
Anschluss an eine vermeintlich ungerechte Behandlung<br />
ihren ausbildenden Staatsanwalt mit<br />
drastischen Worten angegangen hatte und hierfür<br />
zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen<br />
verurteilt worden war (<strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837, 847).<br />
Die Rechtsanwaltskammer Köln hatte diesen<br />
Vorfall zum Anlass genommen, um den Zulassungsantrag<br />
der Bewerberin wegen Unwürdigkeit<br />
(§ 7 Nr. 5 BRAO) abschlägig zu bescheiden.<br />
Das BVerfG (Beschl. v. 22.10.2017 – 1 BvR 1822/16)<br />
hat nun diese Zulassungsversagung sowie die<br />
beiden sie bestätigenden Entscheidungen (AGH<br />
NRW, Urt. v. 30.10.2015 – 1 AGH 25/15; BGH,<br />
Beschl. v. 27.6.2016 – AnwZ [Brfg] 10/16) im<br />
Verfassungsbeschwerdeverfahren kassiert. Die<br />
1. Kammer des Ersten Senats hat in ihrer zutreffenden<br />
Entscheidung hervorgehoben, dass die<br />
Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />
einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht<br />
auf Freiheit der Berufswahl aus Art. 12<br />
Abs. 1 S. 1 GG darstelle. Verfassungsrechtlich sei<br />
eine einzelfallbezogene Abwägung der grundrechtlichen<br />
Belange des Antragstellers mit den<br />
der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entgegenstehenden<br />
Gemeinwohlbelangen geboten. Zwar<br />
könne sich ein festgestelltes Fehlverhalten auch<br />
noch einige Zeit später zulasten des Bewerbers<br />
auswirken, wenn er sich weiterhin uneinsichtig<br />
zeigt und die Tat rechtfertigt. Es genüge jedoch<br />
für die Rechtmäßigkeit der Zulassungsversagung<br />
nicht, wenn sich die Entscheidung darauf beschränke,<br />
aus der Würdigung der Persönlichkeit<br />
der Bewerberin den Schluss zu ziehen, dass sie für<br />
den Anwaltsberuf nicht tragbar sei. Vielmehr sei<br />
eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die<br />
Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden<br />
Interessen der Öffentlichkeit notwendig.<br />
In ihr hätte ausgeführt werden müssen, dass<br />
und warum davon auszugehen sei, dass die Antragstellerin<br />
im Falle ihrer Zulassung als Rechtsanwältin<br />
in einer Art und Weise auftreten würde,<br />
die das Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft<br />
insbesondere im Interesse einer<br />
funktionierenden Rechtspflege beeinträchtigen<br />
könnte, sei es, dass Gerichte Rechtsstreitigkeiten<br />
nicht mehr zielgerichtet und zweckmäßig betrei-<br />
62 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
<strong>ZAP</strong><br />
Berufsrechtsreport<br />
ben oder aber die Rechtsuchenden eine vertrauenswürdige<br />
Rechtsberatung und Vertretung im<br />
Rechtsstreit nicht erlangen könnten.<br />
Trotz der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde<br />
muss die Beschwerdeführerin weiter auf ihre<br />
bereits im August 2014 beantragte Zulassung<br />
zur Rechtsanwaltschaft warten. Denn das BVerfG<br />
hat sich – in gewohnter Zurückhaltung – darauf<br />
beschränkt, die Sache zur erneuten Verhandlung<br />
und Entscheidung an den AGH NRW zurückzuverweisen.<br />
Es ist aber nicht damit zu rechnen,<br />
dass der AGH angesichts der deutlichen Fingerzeige<br />
aus Karlsruhe der Antragstellerin erneut die<br />
Zulassung versagen wird (DECKENBROCK NJW 2017,<br />
3706, 3707).<br />
2. Vortätigkeiten im Staatsdienst und<br />
anwaltliche Berufsausübung<br />
Immer wieder kommt es vor, dass Juristen nach<br />
Beendigung ihrer Zeit im Staatsdienst noch eine<br />
anwaltliche Tätigkeit aufnehmen wollen. Grundsätzlich<br />
ist das auch ohne weiteres zulässig, zwei<br />
aktuelle Entscheidungen zeigen jedoch, dass auch<br />
tatsächlich Abstand von der vorherigen Tätigkeit<br />
genommen werden muss.<br />
So entschied der AGH Sachsen-Anhalt (Urt. v.<br />
31.3.2017 – 1 AGH 1/16), dass ein Ministerialdirigent,<br />
dem Altersteilzeit im Blockmodell bewilligt worden<br />
ist und der sich in der Freistellungsphase<br />
befindet, gem. § 7 Nr. 10 BRAO keinen Anspruch<br />
auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft hat. Insofern<br />
erachtet es das erkennende Gericht richtigerweise<br />
für maßgeblich, dass für den Kläger<br />
trotz der Freistellung vom Dienst, anders als für<br />
den in den einstweiligen Ruhestand versetzten<br />
Beamten, weiterhin sämtliche Pflichten eines im<br />
aktiven Dienstverhältnis stehenden Beamten gelten,<br />
also von einer Nebentätigkeit und damit<br />
einem geringer schutzbedürftigen Zweitberuf<br />
auszugehen ist.<br />
Das BVerwG bestätigte in seinem Urteil vom<br />
4.5.2017 (Az. 2 C 45/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 582/2017)<br />
demgegenüber zumindest teilweise eine erstinstanzliche<br />
Entscheidung des VG Münster, nach<br />
der einem in den Ruhestand versetzten Richter<br />
gem. § 71 DRiG i.V.m. § 41 S. 2 BeamtStG eine<br />
Karenzfrist auferlegt werden kann, vor deren<br />
Ablauf er nicht als Rechtsanwalt vor dem Gericht,<br />
an dem er zuvor tätig war, auftreten darf. Mit<br />
dem Tätigkeitsverbot soll bereits der Anschein<br />
eines möglichen Interessen- und Loyalitätskonflikts<br />
im Dienstbereich des Gerichts vermieden<br />
und auf diese Weise die Integrität der Rechtspflege<br />
und das Vertrauen in diese geschützt<br />
werden. Eine bloße Hintergrundberatung oder<br />
andere „of counsel“-Aktivitäten, die auch für die<br />
früheren Kollegen nicht erkennbar sind, hält das<br />
Gericht demgegenüber, genau wie die bloße<br />
Anwesenheit des früheren Richters in dem für<br />
die allgemeine Öffentlichkeit reservierten Zuschauerbereich<br />
des Gerichtssaals, für unmittelbar<br />
zulässig. Selbst ein örtlich und zeitlich begrenztes<br />
Verbot derartiger Tätigkeiten sei vor dem Hintergrund<br />
der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1<br />
GG) nicht zu rechtfertigen. Die letztere Einschränkung<br />
hat zur Folge, dass Karenzfristen,<br />
wie diejenige im vorliegenden Fall, den Betätigungskreis<br />
ehemaliger Richter in der Praxis nur<br />
geringfügig tangieren werden, weil ihnen schlussendlich<br />
nur der aktive Auftritt in der mündlichen<br />
Verhandlung sowie die Unterzeichnung und Einreichung<br />
von Schriftsätzen versagt bleiben (dies<br />
befürwortend STUTTMANN NVwZ 2017, 1211, 1212;<br />
JURETZEK DStR 2017, 2248).<br />
3. Zulassungswiderruf wegen<br />
Vermögensverfalls<br />
Verfahren, die den Widerruf der Zulassung zur<br />
Rechtsanwaltschaft wegen eingetretenen Vermögensverfalls<br />
zum Gegenstand haben, machen<br />
traditionell den Hauptanteil der Entscheidungen<br />
des Anwaltssenats des BGH aus; dies gilt auch für<br />
die zweite Jahreshälfte 2017. Auch wenn die<br />
diesbezüglichen Grundsätze weitgehend geklärt<br />
sind, sollen sie aufgrund ihrer Bedeutung für die<br />
Praxis nochmals knapp nachgezeichnet werden:<br />
Vermögensverfall wird gem. § 14 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2<br />
BRAO u.a. dann vermutet, wenn der Rechtsanwalt<br />
in das Schuldnerverzeichnis i.S.d. § 882<br />
ZPO eingetragen wurde. Die gesetzliche Vermutung<br />
ist nur dann ausgeschlossen, wenn der<br />
Rechtsanwalt nachweist, dass die der Eintragung<br />
zugrunde liegende Forderung bereits getilgt ist<br />
(BGH, Beschl. v. 14.9.2017 – AnwZ [Brfg] 35/16<br />
Rn 9). Hierzu muss er ein vollständiges und<br />
detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und seiner<br />
Verbindlichkeiten vorlegen und konkret darlegen,<br />
dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse<br />
nachhaltig geordnet sind (BGH,<br />
Beschl. v. 24.7.2017 – AnwZ [Brfg] 25/17 Rn 7;<br />
Beschl. v. 14.9.2017 – AnwZ [Brfg] 35/16 Rn 10;<br />
Beschl. v. 12.10.2017 – AnwZ [Brfg] 39/17 Rn 7, <strong>ZAP</strong><br />
EN-Nr. 20/2018). Maßgeblicher Beurteilungszeit-<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 63
Berufsrechtsreport<br />
<strong>ZAP</strong><br />
punkt ist insofern aber nach ständiger Rechtsprechung<br />
des BGH der Abschluss des behördlichen<br />
Widerrufsverfahrens, also der Zeitpunkt des<br />
Ausspruchs der Widerrufsverfügung bzw. – wenn<br />
das Landesrecht ein Widerspruchsverfahren vorsieht<br />
– des Erlasses des Widerspruchsbescheids.<br />
Eine danach eintretende Konsolidierung der wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse ist nur in einem Wiederzulassungsverfahren<br />
zu berücksichtigen (grundlegend<br />
BGH, Beschl. v. 29.6.2011 – AnwZ [Brfg] 11/10<br />
Rn 9 ff.; s. dazu DECKENBROCK AnwBl 2015, 365, 373 f.<br />
sowie jetzt zudem etwa BGH, Beschl. v. 24.7.2017 –<br />
AnwZ [Brfg] 25/17 Rn 5; Beschl. v. 8.9.2017 – AnwZ<br />
[Brfg] 28/17 Rn 4; Beschl. v. 14.9.2017 – AnwZ [Brfg]<br />
35/16 Rn 6; Beschl. v. 18.9.2017 – AnwZ [Brfg] 27/17<br />
Rn 6; Beschl. v. 12.10.2017 – AnwZ [Brfg] 39/17 Rn 7,<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 20/2018).<br />
Mit dem Vermögensverfall ist wiederum grundsätzlich<br />
eine Gefährdung der Interessen der<br />
Rechtsuchenden verbunden (vgl. etwa BGH,<br />
Beschl. v. 24.7.2017 – AnwZ [Brfg] 25/17 Rn 12;<br />
Beschl. v. 8.9.2017 – AnwZ [Brfg] 28/17 Rn 8; Beschl.<br />
v. 18.9.2017 – AnwZ [Brfg] 27/17 Rn 5). Diese<br />
Gefährdung zu widerlegen, wird i.d.R. nicht gelingen.<br />
So betont der BGH, dass eine Widerlegung nur<br />
in seltenen Ausnahmefällen in Betracht komme<br />
und den Rechtsanwalt insofern die Feststellungslast<br />
treffe. Voraussetzung hierfür sei zumindest,<br />
dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit<br />
insofern beschränkt habe, dass er sie nur noch für<br />
eine Rechtsanwaltssozietät ausübe und mit dieser<br />
rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet<br />
habe, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv<br />
verhindern. Selbst auferlegte Beschränkungen eines<br />
in Vermögensverfall befindlichen und weiter<br />
als Einzelanwalt tätigen Rechtsanwalts reichten<br />
demgegenüber nicht aus, da eine ausreichende<br />
Überwachung der notwendigen Sicherungsmaßnahmen<br />
in einer Einzelkanzlei nicht gewährleistet<br />
sei (BGH, Beschl. v. 24.7.2017 – AnwZ [Brfg] 25/17<br />
Rn 12; Beschl. v. 8.9.2017 – AnwZ [Brfg] 28/17 Rn 8;<br />
Beschl. v. 18.9.2017 – AnwZ [Brfg] 27/17 Rn 5;<br />
Beschl. v. 12.10.2017 – AnwZ [Brfg] 39/17 Rn 8, <strong>ZAP</strong><br />
EN-Nr. 20/2018; zu den Anforderungen im Einzelnen<br />
s. insb. BGH Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ [B]<br />
43/03; Beschl. v. 5.12.2005 – AnwZ [B] 13/05;<br />
Beschl. v. 15.9.2008 – AnwZ [B] 67/07 Rn 5 ff.<br />
sowie HENSSLER, in: HENSSLER/PRÜTTING, BRAO, 4. Aufl.<br />
2014, § 14 Rn 35 ff.).<br />
Wegen der durch einen Vermögensverfall indizierten<br />
Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden<br />
sind zudem im Falle eines Terminverlegungsantrags<br />
an den Verhinderungsgrund<br />
und dessen Glaubhaftmachung strenge Anforderungen<br />
zu stellen (BGH, Beschl. v. 12.10.2017 –<br />
AnwZ [Brfg] 39/17 Rn 13, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 20/2018; vgl.<br />
zuvor bereits BGH, Beschl. v. 12.3.2015 – AnwZ<br />
[Brfg] 43/14 Rn 5; Beschl. v. 28.11.2016 – AnwZ<br />
[Brfg] 23/16 Rn 10). Bei Erkrankungen muss der<br />
betroffene Rechtsanwalt grundsätzlich rechtzeitig<br />
für die Bestellung eines Verfahrensbevollmächtigten<br />
Sorge tragen; hiervon kann er nur<br />
entbunden sein, wenn sich seine Erkrankung erst<br />
unmittelbar vor dem Termin unvorhergesehen<br />
und grundlegend so verschlechtert, dass ihm eine<br />
Teilnahme am Termin unmöglich wird. Insoweit<br />
genügt nicht der entsprechende Vortrag, sondern<br />
erforderlich ist die Vorlage geeigneter und aussagekräftiger<br />
Belege.<br />
4. Syndikusrechtsanwälte<br />
Auch in der zweiten Jahreshälfte 2017 reißt der<br />
Strom an Entscheidungen, die sich mit der<br />
Zulassung als Syndikusrechtsanwalt beschäftigen,<br />
nicht ab (s. auch den Überblick bei HUFF BRAK-<br />
Mitt. 2017, 203 ff.). Aufgrund der Vielschichtigkeit<br />
der behandelten Materien ist eine generalisierende<br />
Betrachtung dieser Entscheidungen weiterhin<br />
kaum möglich, insbesondere weil die<br />
Gerichte oftmals gezwungen sind, jeweils stark<br />
individualisiert die konkrete Tätigkeit des Antragstellers<br />
im Einzelfall zu prüfen. Zudem ist in einer<br />
Vielzahl von Fällen der Rechtsweg noch nicht<br />
erschöpft.<br />
Immerhin hatte nun erstmals der BGH Gelegenheit,<br />
sich zu den Anforderungen an die Zulassung<br />
zur Syndikusrechtsanwaltschaft zu positionieren<br />
(BGH, Beschl. v. 1.8.2017 – AnwZ [Brfg] 14/17 m.<br />
zust. Anm. OFFERMANN-BURCKART NJW 2017, 2837).<br />
Er hat zutreffend hervorgehoben, dass Regelungen,<br />
die keine Weisungen innerhalb des Arbeitsverhältnisses<br />
darstellen und an die auch der<br />
Arbeitgeber selbst gebunden ist (im Streitfall<br />
ging es um Verrechnungsgrundsätze und Auslegungsbeschlüsse<br />
eines Rückdeckungspools), die<br />
fachliche Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit<br />
der Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts,<br />
unabhängig von ihrer Dichte und Detailliertheit,<br />
nicht berühren. Damit steht zugleich fest, dass<br />
Bindungen und Vorgaben des Mandanten, die<br />
auch jeder niedergelassene Anwalt im Mandat zu<br />
beachten hat, der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt<br />
nicht entgegenstehen.<br />
64 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
<strong>ZAP</strong><br />
Berufsrechtsreport<br />
Voraussichtlich am 29.1.2018 wird sich der Anwaltssenat<br />
erneut mit den Vorgaben der §§ 46 ff.<br />
BRAO befassen (Az. AnwZ [Brfg] 12/17). Dieses<br />
Mal geht es um die Zulassung eines Anwalts, der<br />
zwar grundsätzlich eine Syndikustätigkeit ausübt,<br />
nun aber als Betriebsratsvorsitzender freigestellt<br />
ist. Der AGH NRW (Urt. v. 25.11.2016 –<br />
1 AGH 50/16; dazu krit. SCHUBERT AnwBl Online<br />
2018, 39 f.) hatte insoweit der DRV Bund als<br />
Rentenversicherungsträgerin recht gegeben.<br />
Das Urteil des BGH könnte auch Aufschluss<br />
darüber geben, ob Elternzeit oder eine längere<br />
Erkrankung zum Widerruf der Zulassung führen<br />
können (s. dazu auch HUFF BRAK-Mitt. 2017, 203,<br />
207 f.).<br />
Restriktiv mutet auch ein Urteil des AGH Rheinland-Pfalz<br />
vom 11.8.2017 (Az. 1 AGH 17/16) an. Mit<br />
diesem versagte der Senat einer Rechtsanwältin,<br />
die für ihren Arbeitgeber – einem nach § 10 Abs. 1<br />
S. 1 Nr. 2 RDG registrierten Anbieter – (Unternehmer-)Kunden<br />
in Fragen der betrieblichen<br />
Altersversorgung beriet, die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin.<br />
Maßgeblicher Streitpunkt<br />
war dabei die Auslegung von § 46 Abs. 5 BRAO.<br />
Nach § 46 Abs. 5 S. 1 BRAO beschränkt sich die<br />
Befugnis des Syndikusrechtsanwalts zur Beratung<br />
und Vertretung auf die Rechtsangelegenheiten<br />
des Arbeitgebers. § 46 Abs. 5 S. 2 BRAO<br />
enthält allerdings eine Aufzählung, in welchen<br />
Fällen auch eine Beratung und Vertretung<br />
für andere Personen als den Arbeitgeber die<br />
Wahrnehmung von Rechtsangelegenheiten des<br />
Arbeitgebers umfasst. Nach Auffassung des<br />
erkennenden Gerichts ist diese Aufzählung abschließend<br />
zu verstehen, soll also nur Rechtsangelegenheiten<br />
des Arbeitgebers erfassen, die<br />
diesen selbst betreffen. Da die Aufzählung<br />
jedoch mit „Diese umfassen auch … “ (Hervorhebung<br />
durch die Verfasser) eingeleitet wird,<br />
vermag die durch den AGH abgelehnte Gegenposition<br />
(vgl. HUFF BRAK-Mitt. 2017, 203, 206)<br />
aber bereits aufgrund ihrer Wortlautnähe mehr<br />
zu überzeugen. Die gesetzlichen Regelungen<br />
sind zudem so konzipiert, dass die Befugnisse<br />
des Syndikusrechtsanwalts immer so weit reichen<br />
wie die des Arbeitgebers selbst. Es handelt<br />
sich immer dann um „Rechtsangelegenheiten<br />
des Arbeitgebers“, wenn der Arbeitgeber gegenüber<br />
Kunden und Dritten selbst befugt ist,<br />
Rechtsdienstleistungen – etwa gestützt auf<br />
§ 10 RDG – zu erbringen. Gegen die Entscheidung<br />
ist Berufung beim Anwaltssenat des<br />
BGH eingelegt worden (Az. AnwZ [Brfg] 58/17).<br />
Zudem sind vor anderen Anwaltsgerichtshöfen<br />
weitere Verfahren zur gleichen Rechtsfrage<br />
anhängig (vgl. näher HUFF BRAK-Mitt. 2017,<br />
203, 206).<br />
Ebenfalls zu restriktiv fällt ein Urteil des Bayerischen<br />
AGH vom 10.7.2017 (Az. BayAGH III 4–6/16)<br />
aus. Der AGH vertritt darin die Auffassung, dass<br />
ein anwaltlicher Leiharbeitnehmer nicht die<br />
Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erlangen<br />
könne. Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 46<br />
Abs. 2 S. 1, Abs. 5 S. 1 BRAO ergebe sich, dass eine<br />
Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nur bei<br />
anwaltlicher Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsverhältnisses<br />
für den Arbeitgeber möglich sei.<br />
Eine Regelung für Leiharbeitsverhältnisse sei im<br />
Gesetz nicht versehentlich unterblieben, sondern<br />
bewusst unterlassen worden, weil etwaige Interessenkonflikte<br />
für den anwaltlich tätigen<br />
Leiharbeitnehmer zwischen seinem Arbeitgeber<br />
einerseits und seinem Einsatzbetrieb andererseits<br />
nicht ausgeschlossen werden könnten. In<br />
der Literatur wird hingegen unter Heranziehung<br />
unterschiedlicher Begründungsansätze ganz<br />
überwiegend die Gegenauffassung vertreten,<br />
sofern sowohl der Verleiher als auch der Entleiher<br />
die fachliche Unabhängigkeit bestätigen und<br />
der Entleiher die den Anforderungen des § 46<br />
Abs. 3, 4 BRAO entsprechenden Erklärungen<br />
erteilt (vgl. HUFF AnwBI 2017, 40, 42; DERS.<br />
BRAK-Mitt. 2017, 203, 207; SCHUSTER AnwBI 2016,<br />
121, 124; KLEINE-COSACK AnwBI 2016, 101, 108; LÖWE/<br />
WALLNER/WERNER BRAK-Mitt. 2017, 102, 104). Da<br />
die Berufung zugelassen wurde, wird sich der<br />
Anwaltssenat hoffentlich bald mit der praktisch<br />
höchst wichtigen Frage der Vereinbarkeit von<br />
Leiharbeit und Syndikusrechtsanwaltszulassung<br />
beschäftigen können.<br />
V. Berufspflichten und -rechte<br />
1. Tätigkeitsverbote<br />
Zu den für die Praxis bedeutsamsten Berufspflichten<br />
zählt das Verbot der Vertretung<br />
widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4<br />
BRAO i.V.m. § 3 BORA), das sogar strafrechtlich<br />
abgesichert ist (§ 356 StGB). Die Auslegung<br />
des Verbotstatbestands bereitet zahlreiche<br />
Schwierigkeiten (zu Einzelheiten HENSSLER/<br />
DECKENBROCK NJW 2012, 3265 ff.; HENSSLER AnwBl<br />
2013, 668 ff.). Die Praxis wird zusätzlich da-<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 65
Berufsrechtsreport<br />
<strong>ZAP</strong><br />
durch verunsichert, dass es mit der Regelung<br />
des § 45 BRAO eine weitere Norm gibt,<br />
die Tätigkeitsverbote zulasten des Anwalts vorsieht.<br />
Anders als § 43a Abs. 4 BRAO knüpft § 45<br />
BRAO aber nicht an eine anwaltliche Vorbefassung<br />
an, sondern an eine vorherige Tätigkeit des<br />
Anwalts in derselben Angelegenheit in anderer<br />
Funktion. Die Regelung nennt beispielhaft die<br />
Vorbefassung als Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt,<br />
Angehöriger des öffentlichen Dienstes,<br />
Notar, Insolvenzverwalter, erfasst aber auch<br />
jede sonstige Tätigkeit außerhalb der Anwaltstätigkeit.<br />
a) Verhältnis von § 43a Abs. 4 BRAO zu<br />
§ 45 BRAO<br />
Beide Tatbestände – § 43a Abs. 4 BRAO auf der<br />
einen und § 45 BRAO auf der anderen Seite –<br />
unterscheiden sich in zweierlei Hinsicht: Anders<br />
als im Rahmen des Verbots der Vertretung<br />
widerstreitender Interessen, das einen konkreten<br />
Interessengegensatz zwischen den Parteien<br />
voraussetzt (BAG, Beschl. v. 25.8.2004 – 7 ABR<br />
60/03; BGH, Urt. v. 23.4.2012 – AnwZ [Brfg] 35/11<br />
Rn 14), besteht ein Tätigkeitsverbot bei nichtanwaltlicher<br />
Vorbefassung nach dem Wortlaut<br />
des § 45 BRAO unabhängig von einem solchen<br />
greifbaren Interessenkonflikt. Dies mag bei der<br />
Vorbefassung als Richter nicht weiter verwundern,<br />
wirft aber jedenfalls Fragen auf bei einer<br />
sonstigen Vortätigkeit wie etwa als Unternehmensberater.<br />
Ein weiterer bemerkenswerter<br />
Unterschied betrifft die Reichweite der<br />
Tätigkeitsverbote in Sozietätskonstellationen.<br />
Während das Verbot der Vertretung widerstreitender<br />
Interessen bei Vorliegen des Einverständnisses<br />
der betroffenen Parteien i.d.R. nicht<br />
auf Sozietätssachverhalte erstreckt wird (vgl. § 3<br />
Abs. 2 S. 2 BORA), sieht § 45 Abs. 3 BRAO eine<br />
solche Dispensmöglichkeit nicht vor, sondern<br />
ordnet die Erstreckung des Tätigkeitsverbots auf<br />
„die mit dem Rechtsanwalt in Sozietät oder in<br />
sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung<br />
verbundenen oder verbunden gewesenen<br />
Rechtsanwälte und Angehörigen anderer Berufe und<br />
auch insoweit einer von diesen im Sinne der Absätze 1<br />
und 2 befaßt war“ ohne jede Ausnahmemöglichkeit<br />
an. Der BGH hatte beide Besonderheiten<br />
des § 45 BRAO für verfassungsrechtlich unbedenklich<br />
gehalten und in diesem Zusammenhang<br />
auch betont, dass die Ausnahmeregelung<br />
des § 3 Abs. 2 S. 2 BORA im Rahmen des § 45<br />
Abs. 3 BRAO unanwendbar sei (BGH, Urt. v.<br />
3.11.2014 – AnwSt [R] 4/14; s. dazu DECKENBROCK<br />
NJW 2015, 522 ff.).<br />
Gegen diese weite Auslegung des § 45 BRAO<br />
durch den BGH hatte sich der betroffene Rechtsanwalt<br />
mit einer Verfassungsbeschwerde an das<br />
BVerfG gewandt. Der Umstand, dass das BVerfG<br />
zu diesen Fragen bei den Verbänden Stellungnahmen<br />
eingeholt hatte und DAV (Stellungnahme<br />
Nr. 68/2016) und BRAK (Stellungnahme<br />
Nr. 7/2017) die Verfassungsbeschwerde sogar für<br />
begründet erachtet hatten, ließ erwarten, dass<br />
sich die Richter detailliert mit den verfassungsrechtlichen<br />
Grenzen für ein Tätigkeitsverbot bei<br />
nichtanwaltlicher Vorbefassung auseinandersetzen<br />
würden.<br />
Die für Ende 2017 erwartete Entscheidung ist<br />
allerdings ausgeblieben, nachdem der Beschwerdeführer<br />
im Juli 2017 verstorben ist. Das BVerfG<br />
sprach insoweit nun mit Beschluss vom 24.10.2017<br />
(Az. 1 BvR 1312/16) die Erledigung der Verfassungsbeschwerde<br />
aus, weil diese allein die Durchsetzung<br />
höchstpersönlicher, an seinen Status als<br />
Rechtsanwalt anknüpfende Rechte des Verstorbenen<br />
verfolgt habe (ausführlich dazu DECKEN-<br />
BROCK AnwBl 2017, 1186 ff.).<br />
b) Vertretung mehrerer Anleger<br />
Eine interessante Fallkonstellation hatte der<br />
IX. Zivilsenat des BGH (Urt. v. 7.9.2017 – IX ZR<br />
71/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 680/2017) zu entscheiden. In<br />
dem der Entscheidung zugrunde liegenden<br />
Sachverhalt nahm der Kläger die beklagte Anwaltssozietät<br />
wegen Verletzung vertraglicher<br />
Pflichten aus einem Anwaltsvertrag auf Schadensersatz<br />
in Anspruch. Die Beklagte, die auf die<br />
Beratung geschädigter Anleger spezialisiert ist,<br />
vertrat den Kläger gegenüber der S-AG (fortan:<br />
Schuldnerin). Die Schuldnerin wurde 2005<br />
rechtskräftig zur Zahlung von etwa 23.500 €<br />
nebst Zinsen an den Kläger verurteilt. Am 23./<br />
27.12.2005 schloss die beklagte Sozietät namens<br />
des Klägers und namens weiterer Anleger mit<br />
der Schuldnerin eine Verpfändungsvereinbarung,<br />
welche Aktien der Schuldnerin an der G-AG<br />
betraf. Die Aktien wurden am 30.10.2006 verkauft.<br />
Der Erlös wurde auf ein Notaranderkonto<br />
gezahlt. Aufgrund eines Treuhandvertrags vom<br />
30.10.2006 war der Notar verpflichtet, gegen<br />
eine Pfandfreigabeerklärung den Betrag von<br />
4.982.000 € an die Beklagte für die von ihr<br />
vertretenen Anleger zu zahlen. Am 31.10.2006<br />
66 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
<strong>ZAP</strong><br />
Berufsrechtsreport<br />
überwies der Notar diesen Betrag an die Beklagte,<br />
die wiederum an den Kläger dessen Anteil<br />
i.H.v. 31.578,36 € weiterleitete. Am 7.4.2007<br />
beantragte ein Gläubiger die Eröffnung des<br />
Insolvenzverfahrens über das Vermögen der<br />
Schuldnerin. Das Verfahren wurde am 14.6.2007<br />
eröffnet. Am 29.3.2010 focht der Insolvenzverwalter<br />
die Zahlung an den Kläger an. Der mittlerweile<br />
anderweitig anwaltlich vertretene Kläger<br />
zahlte nach Abschluss eines Vergleichs mit<br />
dem Verwalter insgesamt 18.921,87 € zur Masse<br />
zurück. Der Kläger ging daraufhin gegen die<br />
beklagte Sozietät gerichtlich vor und verlangte<br />
Schadensersatz insbesondere in Höhe des an die<br />
Masse gezahlten Betrags, weil diese seine Forderung<br />
nicht unverzüglich und anfechtungsfest<br />
im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben<br />
habe. Die beklagte Kanzlei wies den Vorwurf des<br />
pflichtwidrigen Unterlassens von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />
dagegen mit der Begründung<br />
von sich, dass sie dann auch für die<br />
anderen mehr als 200 von ihr vertretenen<br />
Gläubiger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />
hätte einleiten müssen und ein solches Vorgehen<br />
die sofortige Insolvenz der Schuldnerin zur Folge<br />
gehabt hätte. Maßnahmen, die dem Kläger<br />
genützt, anderen Mandanten aber hätten schaden<br />
können, seien daher nicht in Betracht<br />
gekommen.<br />
Der IX. Senat widersprach diesem Vorbringen<br />
und sah eine anwaltliche Pflichtverletzung als<br />
schlüssig dargelegt an. Ein Rechtsanwalt, der mit<br />
der zwangsweisen Durchsetzung einer Forderung<br />
beauftragt worden ist und einen Titel<br />
gegen einen Schuldner des Mandanten erwirkt<br />
hat, habe zügig die Zwangsvollstreckung zu betreiben.<br />
Gebe es Anhaltspunkte dafür, dass die<br />
Insolvenz des Schuldners des Mandanten bevorstehe,<br />
müsse der Anwalt den Mandanten über<br />
das Risiko der fehlenden Insolvenzfestigkeit der<br />
im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung<br />
des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag<br />
durch Zwangsvollstreckung erlangten Sicherheit<br />
gem. § 88 InsO ebenso hinweisen wie<br />
auf die Anfechtbarkeit erhaltener Sicherheiten<br />
und Zahlungen gem. §§ 130, 131 InsO. Daran ändere<br />
auch der Umstand nichts, dass die beklagte<br />
Anwaltssozietät noch zahlreiche weitere Anleger<br />
vertreten habe. Nehme ein Anwalt ein<br />
Mandat an, erkläre er damit seine Bereitschaft,<br />
fortan die Interessen des Mandanten ohne<br />
Rücksicht auf die Interessen Dritter umfassend<br />
zu vertreten. Für konkurrierende Interessen<br />
Dritter gelte insoweit nichts anderes als für die<br />
gegenläufigen Interessen des Gegners des Mandanten.<br />
Wenn der Anwalt nur eingeschränkt für<br />
den Mandanten tätig werden wolle, habe er dies<br />
vor Abschluss des Vertrags klarzustellen und<br />
auf diesem Wege dem Mandanten die Möglichkeit<br />
zu eröffnen, selbst darüber zu entscheiden,<br />
ob er dies – etwa in der Erwartung besonderer<br />
Kompetenz des Anwalts oder einer besseren<br />
Verhandlungsposition gegenüber dem Gegner –<br />
hinnehmen oder ob er einen anderen, ausschließlich<br />
seinen – des Mandanten – eigenen<br />
Interessen verpflichteten Anwalt beauftragen<br />
möchte. Gleiches gelte, wenn sich nachträglich<br />
Interessenkonflikte abzeichnen, die nur ein eingeschränktes<br />
Tätigwerden des Anwalts erlauben.<br />
Dass diese Entscheidung des BGH nicht in der<br />
Rubrik „Anwaltshaftung“, sondern in diesem<br />
Abschnitt zu den „Tätigkeitsverboten“ vorgestellt<br />
wird, liegt an den bemerkenswerten<br />
Ausführungen des Senats in Rn 18 zur Reichweite<br />
des Verbots der Vertretung widerstreitender<br />
Interessen. Widerstreitende Interessen<br />
und damit ein Tätigkeitsverbot sollen nämlich<br />
nach Ansicht des Senats nicht schon dann<br />
vorliegen, wenn der Rechtsanwalt sich gegenüber<br />
mehreren Mandanten verpflichtet, Forderungen<br />
gegen ein und denselben Schuldner<br />
durchzusetzen und insbesondere die Zwangsvollstreckung<br />
gegen diesen zu betreiben. In<br />
einem solchen Fall könne zwar der Erfolg des<br />
einen Mandanten den Misserfolg des anderen<br />
Mandanten, der nicht mehr zum Zuge gekommen<br />
ist, bedeuten. Das wäre aber nicht anders,<br />
wenn die Mandanten von unterschiedlichen<br />
Rechtsanwälten vertreten würden. Die Mandatsverträge<br />
verpflichteten den Anwalt nur, für<br />
jeden einzelnen Mandanten das bestmögliche<br />
Ergebnis zu erzielen. Bevorzuge der Anwalt<br />
den einen vor dem anderen Mandanten, indem<br />
er Anträge bevorzugt oder nachrangig stellt,<br />
lägen zwar Pflichtverletzungen im Rahmen<br />
des jeweiligen Mandatsverhältnisses vor. An<br />
den grundsätzlich miteinander zu vereinbarenden<br />
Pflichten aus den einzelnen Verträgen<br />
ändere sich durch eine solche Pflichtverletzung<br />
hingegen nichts. Mit diesen Ausführungen<br />
hat der Senat klargestellt, dass die Vertretung<br />
mehrerer Anleger auch bei einem begrenzten<br />
Vermögen auf Schuldnerseite nicht per<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 67
Berufsrechtsreport<br />
<strong>ZAP</strong><br />
se berufsrechtswidrig ist (vgl. RÖMERMANN EWiR<br />
2017, 663, 664).<br />
2. Anwaltliche Verschwiegenheit im<br />
Steuerverfahren<br />
Die rechtsanwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />
(§ 43a Abs. 2 BRAO) geht mit einer entsprechenden<br />
Berechtigung zur Verschwiegenheit<br />
einher, die dem Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses<br />
zwischen Anwalt und<br />
Mandat dient (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 BORA). Hieraus<br />
folgt nicht nur das aus § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO<br />
bekannte Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren.<br />
Vielmehr sind Rechtsanwälte auch im<br />
Abgabeverfahren gem. § 102 Abs. 1 Nr. 3 lit. b AO<br />
berechtigt, die Auskunft über das zu verweigern,<br />
was ihnen in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwälte<br />
anvertraut oder bekannt geworden ist. Die<br />
Vorschrift gilt sowohl für eigene als auch fremde<br />
Steuersachen des Berufsträgers und umfasst<br />
sowohl die Identität des Mandanten als auch<br />
die Tatsache seiner Beratung. Hieraus können<br />
sich naturgemäß Spannungen zu den Bestrebungen<br />
der Steuerbehörden ergeben, die durch<br />
den Rechtsanwalt erbrachten Dienstleistungen<br />
adäquat zu besteuern.<br />
Der BFH (Urt. v. 27.9.2017 – XI R 15/15, <strong>ZAP</strong> EN-<br />
Nr. 17/2018) hat nun einen Fall, in dem es um<br />
die Erbringung grenzüberschreitender Anwaltsleistungen<br />
im EU-Gebiet ging, im Sinne der<br />
Steuerbehörden entschieden. Im Streitfall erbrachte<br />
die klagende Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
Leistungen aus anwaltlicher Tätigkeit an Unternehmer,<br />
die in anderen EU-Mitgliedstaaten<br />
ansässig sind. Weil der Ort der Leistungen somit<br />
nicht im Inland lag und die Leistungsempfänger<br />
bereits in ihrem Ansässigkeitsstaat Steuerschuldner<br />
für die von der Klägerin bezogenen<br />
Leistungen waren, erteilte die Klägerin Rechnungen<br />
ohne deutsche Umsatzsteuer. Die dann<br />
notwendige Abgabe der Zusammenfassenden<br />
Meldung mit Angabe der USt-ID-Nr. ihrer Mandanten<br />
verweigerte die Rechtsanwaltsgesellschaft<br />
allerdings unter Berufung auf die anwaltliche<br />
Schweigepflicht. Dieser Auffassung folgte<br />
der BFH nicht, sondern vertrat die Ansicht, dass<br />
der Mandant angesichts des ihm als Unternehmer<br />
als bekannt zu unterstellenden Systems der<br />
Besteuerung innergemeinschaftlicher Dienstleistungen<br />
mit der Mitteilung (Verwendung) der<br />
USt-ID-Nr. gegenüber dem leistenden Rechtsanwalt<br />
in die Offenbarung der USt-ID-Nr. in<br />
einer Zusammenfassenden Meldung (konkludent)<br />
eingewilligt habe.<br />
Methodisch vermag dieser Ansatz nicht zu überzeugen.<br />
Bereits die sehr weitgehende Gleichstellung<br />
der Verwendung einer USt-ID-Nr. mit<br />
deren Mitteilung im hier maßgeblichen Sinne<br />
erscheint fragwürdig. Kritikwürdig ist aber vor<br />
allem die Annahme, der Mandant habe mit der<br />
Mitteilung zugleich in die Offenbarung der USt-<br />
ID-Nr. und damit seiner Identität und des<br />
Mandatsverhältnisses gegenüber den Steuerbehörden<br />
eingewilligt. Letztendlich wird die<br />
Einwilligung an dieser Stelle fingiert. Näher<br />
hätte es gelegen, vorliegend sauber zu prüfen,<br />
inwiefern das Bedürfnis nach einer EU-einheitlichen<br />
Besteuerung anwaltlicher Dienstleistungen<br />
hier eine Ausnahme von der anwaltlichen<br />
Schweigepflicht i.S.d. § 2 Abs. 2 BORA erfordert<br />
und ob diese Ausnahme in der die Zusammenfassende<br />
Meldung betreffenden Regelung des<br />
§ 18a UStG zu sehen ist (vgl. zum „nationalen<br />
Interesse“ an einer gleichmäßigen Umsatzsteuererhebung<br />
in der EU die Anmerkung von TREIBER<br />
DStR 2017, 2615).<br />
3. Werberecht<br />
In der letzten Ausgabe des Berufsrechtsreports<br />
wurde ein Urteil des Anwaltssenats des BGH<br />
(v. 7.11.2016 – AnwZ [Brfg] 47/15, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 31/<br />
2017) vorgestellt, nach dem die in § 20 BORA<br />
bestimmte Pflicht zum Tragen einer Robe voraussetzt,<br />
dass die Robe nicht mit werbenden<br />
Aufdrucken versehen ist. Andernfalls würde ihre<br />
Funktion, Aussage und Wirkung gestört (s. dazu<br />
<strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837, 841 f.). Nachzutragen ist<br />
insoweit noch, dass das BVerfG inzwischen<br />
die Verfassungsbeschwerde des betroffenen<br />
Rechtsanwalts ohne Begründung zurückgewiesen<br />
und so mittelbar die strikte Interpretation des<br />
§ 20 BORA durch den BGH gehalten hat (Beschl.<br />
v. 31.7.2017 – 1 BvR 54/17).<br />
4. Sachlichkeitsgebot<br />
Vor Gericht steht oftmals viel auf dem Spiel,<br />
weshalb es emotional zugehen kann. Dies<br />
berücksichtigt die ständige Rechtsprechung insofern,<br />
als sie davon ausgeht, dass Richter auch<br />
mit drastischen Worten geäußerte, scharfe und<br />
polemische Kritik im „Kampf um das Recht“<br />
auszuhalten haben und eine strafrechtliche<br />
Verurteilung nur in Betracht kommt, sofern<br />
das zulässige Maß überschritten wird. Die<br />
68 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
<strong>ZAP</strong><br />
Berufsrechtsreport<br />
Messlatte hierfür liegt, wie zwei aktuelle Entscheidungen<br />
zeigen, sehr hoch.<br />
Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG<br />
hatte sich in ihrem Beschluss vom 6.6.2017 (Az. 1<br />
BvR 180/17) mit einem Sachverhalt zu befassen,<br />
in dem ein Rechtsanwalt den Verlauf einer<br />
mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht<br />
als „Musikantenstadl“ bezeichnet und deshalb<br />
wegen Beleidigung des zuständigen Richters<br />
verurteilt worden war. Das Gericht vertrat –<br />
vor dem Hintergrund der bisherigen Judikatur<br />
wenig überraschend (vgl. insb. BVerfG [3. Kammer<br />
des Ersten Senats], Beschl. v. 2.7.2013 – 1 BvR<br />
1751/12 zur Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei<br />
als „Winkeladvokatur“) – die Auffassung,<br />
dass die Äußerung noch durch die Wahrnehmung<br />
berechtigter Interessen (§ 193 StGB)<br />
gedeckt sei, weil die Meinungsfreiheit (Art. 5<br />
Abs. 1 S. 1 GG) vorliegend gegenüber der persönlichen<br />
Ehre des betroffenen Richters überwiege.<br />
Die Kammer stellte dabei insbesondere<br />
auf den trotz Beendigung des in der Äußerung<br />
in Bezug genommenen Verfahrens noch vorhandenen<br />
Sachbezug ab, da die Äußerung im<br />
Rahmen des angegliederten Kostenfestsetzungsverfahrens<br />
erfolgte. Weiterhin hielt die<br />
Kammer es für maßgeblich, dass die Äußerung<br />
nicht öffentlich, sondern in einer allein an den<br />
Gerichtspräsidenten gerichteten Dienstaufsichtsbeschwerde<br />
gefallen war.<br />
Eine weitere in diesen Kontext passende amtsgerichtliche<br />
Verurteilung wurde vom OLG München<br />
(Beschl. v. 31.5.2017 – OLG 13 Ss 81/17)<br />
aufgehoben. Das Amtsgericht hatte die Verurteilung<br />
darauf gestützt, dass der Angeklagte in<br />
einer Anhörungsrüge in einem Beschwerdeverfahren<br />
nach Nichteinleitung eines strafrechtlichen<br />
Ermittlungsverfahrens, das er zugleich als<br />
Rechtsanwalt sowie als mittelbar Betroffener<br />
angestrengt hatte, ausgeführt hatte: „Der Unterschied<br />
zwischen Ihnen und Roland Freisler liegt in<br />
Folgendem: Während Roland Freisler im Gerichtssaal<br />
schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf<br />
legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner<br />
Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten<br />
Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf<br />
dem die Worte ‚Rechtsstaat‘ und ‚Legitimität‘ aufgenäht<br />
sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von<br />
Pseudolegitimität, die Sie aber in Wahrheit in keiner<br />
Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit<br />
begehen Sie – zumindest in diesem vorliegenden<br />
Justizskandal – genauso schlicht Unrecht, wie es auch<br />
Roland Freisler getan hat. So betrachtet ist das<br />
Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch<br />
viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das<br />
Unrecht, das ein Roland Freisler begangen hat: Bei<br />
Roland Freisler kommt das Unrecht sehr offen, sehr<br />
direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen<br />
kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung<br />
der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie<br />
daher: Sie berufen sich auf die Begriffe<br />
Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem<br />
aber – zumindest in dem vorliegenden Justizskandal<br />
– zuwider.“<br />
Auch das OLG München betonte, dass eine<br />
Beeinträchtigung der Richterehre gegenüber<br />
der Meinungsfreiheit und dem damit verbundenen<br />
Recht des Bürgers, Maßnahmen der<br />
öffentlichen Gewalt auch mit drastischen Worten<br />
zu kritisieren, grundsätzlich zurücktreten<br />
müssen, wenn der Vorwurf Teil einer umfassenderen<br />
Meinungsäußerung ist und der Durchsetzung<br />
legitimer prozessualer Rechte dient. Im<br />
Rahmen dieser Entscheidung spielte wiederum<br />
die Nichtöffentlichkeit der Äußerung eine zentrale<br />
Rolle.<br />
VI. Vergütungsrecht<br />
Kündigt der Revisionsanwalt nach Einlegung<br />
einer Nichtzulassungsbeschwerde das Mandat,<br />
weil er dem Rechtsmittel aufgrund einer inhaltlich<br />
zutreffenden Begutachtung keine Erfolgsaussichten<br />
beimisst und darum die von dem<br />
Mandanten gewünschte Begründung und<br />
Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde<br />
ablehnt, soll er nach einer Entscheidung des<br />
IX. Zivilsenats des BGH seinen Vergütungsanspruch<br />
gegen den Mandanten auch dann<br />
nicht verlieren, wenn der Mandant einen weiteren<br />
Anwalt mit der Durchführung des Revisionsverfahrens<br />
beauftragt und für diesen<br />
dieselben Gebühren erneut anfallen (BGH, Versäumnisurt.<br />
v. 16.2.2017 – IX ZR 165/16, <strong>ZAP</strong> EN-<br />
Nr. 462/2017).<br />
Entsprechendes hatte der Senat zuvor für den Fall<br />
entschieden, dass der Rechtsanwalt aufgrund<br />
der von ihm auftragsgemäß vorzunehmenden,<br />
inhaltlich zutreffenden Rechtsprüfung die Begründung<br />
einer Berufung, die nach Kündigung<br />
des Mandats durch den Mandanten von einem<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 69
Berufsrechtsreport<br />
<strong>ZAP</strong><br />
anderen Anwalt vorgenommen wird, ablehnt<br />
(BGH, Urt. v. 26.9.2013 – IX ZR 51/13).<br />
Diese Rechtsprechung überzeugt nicht (ausführlich<br />
dazu DECKENBROCK JZ 2017, 848 ff.; s. aber BAUMERT<br />
MDR 2017, 1337 ff., der dem BGH zwar nicht in der<br />
Begründung, aber im Ergebnis folgt). Insoweit ist<br />
zu beachten, dass nach § 15 RVG grundsätzlich eine<br />
Gebühr die gesamte Tätigkeit des Anwalts bis zur<br />
Erledigung der Angelegenheit abdeckt und auch bei<br />
vorzeitiger Beendigung des Auftrags vollständig<br />
abrechenbar bleibt. Bei einem Anwaltswechsel fällt<br />
daher für den im Anschluss beauftragten Prozessbevollmächtigten<br />
die Verfahrensgebühr in voller<br />
Höhe erneut an. Eine solche Doppelzahlung darf<br />
den Mandanten aber richtigerweise nur dann<br />
treffen, wenn er das Mandat grundlos gekündigt<br />
oder aber die Kündigung des Anwalts provoziert<br />
hat. Legt dagegen der Prozessbevollmächtigte das<br />
Mandat ohne hinreichenden Grund nieder oder<br />
fordert er vertragswidrig die Kündigung des Mandatsvertrags<br />
durch den Mandanten heraus, ist der<br />
Vergütungsanspruch des Anwalts nach § 628 Abs. 1<br />
S. 2 BGB um die für den zweiten Prozessvertreter<br />
nochmals anfallenden Kosten zu kürzen. Die<br />
Rechtsprechung des BGH übersieht insoweit, dass<br />
der Anwalt – trotz seiner Stellung als Organ der<br />
Rechtspflege (§ 1 BRAO) – in erster Linie Interessenvertreter<br />
des Mandanten (vgl. § 3 Abs. 1 BRAO)<br />
ist. Nicht ihm, sondern dem Mandanten obliegt die<br />
Entscheidung, ob er ein Rechtsmittelverfahren<br />
durchführen möchte oder nicht. Zwar muss der<br />
Anwalt seinen Auftraggeber eingehend über die<br />
damit verbundenen Risiken belehren, letztlich ist es<br />
aber allein Sache des das Prozessrisiko tragenden<br />
Mandanten, unvernünftige oder unwirtschaftliche<br />
Prozesse zu führen. Im Übrigen lässt sich ex ante<br />
der Erfolg eines Rechtsmittels abschließend nicht<br />
beurteilen, es überrascht daher, dass der Senat in<br />
seinem Urteil auch auf den tatsächlichen Misserfolg<br />
des vom zweiten Anwalt weiter verfolgten Rechtsmittels<br />
abstellt. Ein Grund zur Mandatsniederlegung<br />
ohne kostenrechtliche Nachteile besteht<br />
für den Anwalt nur in engen Grenzen, etwa wenn<br />
der Mandant vom Anwalt beharrlich ein (berufs-)<br />
rechtswidriges Vorgehen verlangt.<br />
VII. Rechtsdienstleistungsrecht<br />
Bereits seit längerem ist in der Rechtsprechung<br />
des BGH anerkannt, dass die Einziehung einer<br />
an ein Mietwagenunternehmen abgetretenen<br />
Schadensersatzforderung auf Erstattung von<br />
Mietwagenkosten durch das Mietwagenunternehmen<br />
jedenfalls als Nebenleistung nach<br />
§ 5 Abs. 1 RDG grundsätzlich erlaubt ist,<br />
wenn allein die Höhe der Mietwagenkosten<br />
im Streit steht (Urt. v. 31.1.2012 – VI ZR 143/11<br />
Rn 7 ff.; Urt. v. 11.9.2012 – VI ZR 296/11, Rn 12;<br />
Urt. v. 11.9.2012 – VI ZR 238/11 Rn 19). In einer<br />
aktuellen Entscheidung hat der VI. Senat (Urt. v.<br />
24.10.2017 – VI ZR 504/16) nun ausgeführt,<br />
dass für die Geltendmachung der an den Sachverständigen<br />
abgetretenen Forderung auf Erstattung<br />
der Sachverständigenkosten durch<br />
den Sachverständigen nichts anderes gelten<br />
kann, ihm also ebenfalls nach § 5 Abs. 1 RDG<br />
die Forderungseinziehung gestattet ist, sofern<br />
die Forderung nicht dem Grunde, sondern<br />
allein der Höhe nach bestritten ist. In diesem<br />
Fall besteht nach der zutreffenden Ansicht<br />
des Senats auch keine Pflicht zur Registrierung<br />
als Inkassodienstleister gem. § 2 Abs. 2 RDG,<br />
weil die Einziehung des vom jeweiligen Geschädigten<br />
an den Sachverständigen abgetretenen<br />
Schadensersatzanspruchs auf Erstattung<br />
der Sachverständigenkosten kein eigenständiges<br />
Geschäft i.S.v. § 2 Abs. 2 RDG darstellt.<br />
Wie häufig der Sachverständige entsprechend<br />
verfährt, ist insoweit unerheblich, weil die<br />
Einziehung der Forderung unabhängig von ihrer<br />
Häufigkeit in jedem Einzelfall bloßer Annex<br />
zur Hauptleistung „Gutachtenerstellung“<br />
bleibt.<br />
Das LG Hamburg (Urt. v. 10.10.2017 – 312 O 477/16,<br />
n. rkr.) hat auf Klage des DAV die Werbung<br />
eines Legal Tech-Portal als irreführend und<br />
damit wettbewerbsrechtlich unzulässig angesehen.<br />
Die Beklagte hatte in einem verkehrsrechtlichen<br />
Internetportal den Eindruck erweckt,<br />
Bußgeldbescheide in jedem Fall kostenlos abzuwehren,<br />
wollte tatsächlich die Kosten aber<br />
nur bei überwiegender Erfolgsaussicht eines Falls<br />
übernehmen. Angesichts dieses wettbewerbsrechtlichen<br />
Fokus der Entscheidung bleibt offen,<br />
ob das Geschäftsmodell des Beklagten auch<br />
deshalb unzulässig ist, weil es die Vorgaben<br />
des RDG missachtet, oder ob sich das Portal<br />
tatsächlich – wie von der Beklagten vorgetragen<br />
– allein auf die Vermittlung anwaltlicher<br />
Dienstleistungen beschränkt (s. dazu MÖLLER<br />
BRAK-Mitt. 2017, 300).<br />
70 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Eilnachrichten 2018 Fach 1, Seite 7<br />
Eilnachrichten<br />
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Allgemeines Zivilrecht<br />
Verkehrssicherungspflicht: Markierung einer Glastür<br />
(OLG Schleswig, Urt. v. 22.6.2017 – 11 U 109/16) • Der Umstand, dass es der Landesgesetzgeber für erforderlich<br />
hält, eine besondere Regelung für das Verbauen von Glaselementen zu treffen, zeigt, dass gerade in ihrer<br />
Aufmerksamkeit eingeschränkte Nutzer von Gebäuden geschützt werden sollen. Der Verkehrssicherungspflichtige<br />
muss also dafür sorgen, dass Glasflächen leicht zu erkennen sind, etwa durch eine Markierung auf<br />
Augenhöhe. Entscheidend ist, dass derjenige, der durch eine Tür geht, leicht erkennen können muss, wo sich<br />
deren Öffnung befindet und ob die Tür geöffnet oder geschlossen ist. Die Verkehrssicherungspflichtverletzung<br />
entfällt auch nicht deshalb, weil der Gebäudeinhaber davon ausgehen durfte, dass ein vorsichtiger<br />
Mensch sich nach seinen Möglichkeiten aufmerksam verhält und schon aus Eigeninteresse Vorsorge für den<br />
Schutz der eigenen Gesundheit trifft, sich also stets vorsichtig der Tür nähert. Hinweis: Das im Ergebnis nicht<br />
überraschende Urteil des OLG legt detailliert dar, in welchem Ausmaß der Inhaber eines der Öffentlichkeit<br />
zugänglichen Gebäudes verpflichtet ist, die bis zum Boden reichenden Glaselemente im Türbereich deutlich<br />
zu kennzeichnen. Das Gericht weist darauf hin, dass Glasflächen insb. an Drehtüren leicht erkennbar sein<br />
müssen. Gerade an Türen/Drehtüren ist die Aufmerksamkeit der Nutzer oftmals insoweit eingeschränkt, als<br />
sie mit mehreren Personen das Gebäude betreten und durch Gespräche abgelenkt sind. Es stellt insoweit eine<br />
nicht unangemessene Beeinträchtigung des Verkehrssicherungspflichtigen dar, wenn ihm die deutliche<br />
Kennzeichnung bzw. Markierung der im Türbereich befindlichen Glasfront auferlegt wird, zumal dies mit<br />
verhältnismäßig einfachen Mitteln wie bspw. Folien möglich ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 22/2018<br />
Kaufvertragsrecht<br />
Gebrauchtwagenkauf: Haftungsausschluss für erwartete Eigenschaften<br />
(BGH, Urt. v. 27.9.2017 – VIII ZR 271/16) • Der Verkäufer kann grds. seine Haftung nicht nur für das Fehlen<br />
einer üblichen und vom Käufer zu erwartenden Beschaffenheit, sondern auch für das Fehlen von<br />
Eigenschaften ausschließen, deren Vorhandensein der Käufer nach den vom Verkäufer abgegebenen<br />
öffentlichen Äußerungen berechtigterweise erwarten kann. Hierfür spricht die gesetzgeberische Wertung.<br />
Hinweis: Der BGH macht hier deutlich, dass es für die Abgrenzung zwischen Verbraucher- und<br />
Unternehmerhandeln grds. auf die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Rechtsgeschäfts ankommt<br />
(BGH, Beschl. v. 24.2.2005 – III ZB 36/04; Urt. v. 15.11.2007 – III ZR 295/06). Dabei sind die jeweiligen<br />
Umstände des Einzelfalls maßgeblich, insb. das Verhalten der Parteien bei Vertragsschluss. In bestimmten<br />
Fällen kann es allerdings auch ausreichen, dass dem Käufer vor oder bei Vertragsschluss der Eindruck<br />
vermittelt wird, er erwerbe die Kaufsache von einem Unternehmer (EuGH, Urt. v. 9.11.2016 – C-149/15).<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 23/2018<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 71
Fach 1, Seite 8 Eilnachrichten 2018<br />
Miete/Nutzungen<br />
Mietverhältnis: Keine außerordentliche Kündigung wegen unbefugter Untervermietung<br />
(OLG Frankfurt, Urt. v. 11.9.2017 – 2 U 102/16) • Die etwaige unbefugte Untervermietung eines<br />
Grundstücks und deren Bekanntgabe gegenüber dem Vermieter nur in mündlicher anstatt schriftlicher<br />
Form stellt keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses dar.<br />
Denn solche möglichen Vertragsverletzungen können ohne unzumutbare Beeinträchtigung der<br />
Interessen des Vermieters unter Fortsetzung des Mietverhältnisses zwischen den Vertragsparteien<br />
geklärt werden. Auch das Unterlassen des Mieters, eine geforderte Sicherheitsleistung zu erbringen,<br />
lässt die Fortsetzung des Mietverhältnisses für sich genommen noch nicht unzumutbar werden. Dies<br />
gilt jedenfalls dann, wenn der Mieter eine Sicherheitsleistung nicht von vornherein verweigert, sondern<br />
hierüber Verhandlungen mit dem Vermieter aufnimmt, obwohl der Mieter davon ausgeht, dass die Frist<br />
zur Geltendmachung der Sicherheitsleistung nicht eingehalten ist und sich ein Gericht dieser (wenn<br />
auch unzutreffender) Meinung anschließt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 24/2018<br />
Bauvertragsrecht<br />
Bauvertrag: Fortsetzung der Vertragsdurchführung erst nach Erfüllung einer Nachtragsforderung<br />
(KG, Urt. v. 13.6.2017 – 21 U 24/15) • Macht der Bauunternehmer die Fortsetzung der Vertragsdurchführung<br />
von der Erfüllung einer Nachtragsforderung abhängig, verstößt er damit gegen seine<br />
Vorleistungspflicht aus dem Werkvertrag und gibt Anlass zur Kündigung aus wichtigem Grund. Die<br />
Erklärung eines mit Beton- und Stahlbetonarbeiten und einem Treppeneinbau beauftragten Bauunternehmers,<br />
dass „morgen die Treppe nicht eingebaut werden kann“, wenn ein von ihm verlangter<br />
Nachtrag nicht anerkannt wird, stellt jedoch noch keine Pflichtverletzung des Bauvertrags dar. Hinweis:<br />
Das Gericht weist darauf hin, dass, solange sich der Besteller nicht objektiv in Verzug mit der Zahlung<br />
fälliger Abschlagszahlungen befindet, der Grundsatz des Vorrangs der Vertragsdurchführung vor<br />
Preisgewissheit gilt. Zu Recht hat das Gericht vorliegend aber die Erklärung des Bauunternehmers, dass<br />
„morgen die Treppe nicht eingebaut werden kann“, wenn der geforderte Nachtrag nicht vom<br />
Auftraggeber anerkannt wird, nicht als Verstoß gegen die Vorleistungspflicht angesehen. Eine solche<br />
Erklärung ist nicht als Teil- oder gar als Gesamtkündigung des Bauvertrags anzusehen. Sie stellt die<br />
Erbringung der geschuldeten Leistung lediglich für den Folgetag in Frage. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 25/2018<br />
Sonstiges Vertragsrecht<br />
Reiserecht: Ausgleichsanspruch wegen Annullierung eines Fluges<br />
(BGH, Urt. v. 10.10.2017 – XZR73/16)• Ein Ausgleichsanspruch gem. Art. 7 FluggastrechteVO richtet sich bei<br />
Annullierung eines Fluges nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung gegen das ausführende Unternehmen.<br />
Bietet ein Luftverkehrsunternehmen bei einer Annullierung entsprechend seiner Verpflichtung aus Art. 5<br />
Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1 FluggastrechteVO eine anderweitige Beförderung zum Zielort an, ist es<br />
hinsichtlich des annullierten Fluges weiterhin ausführendes Luftfahrtunternehmen i.S.d. Art. 2 Buchst. b<br />
FluggastrechteVO. Ein Luftverkehrsunternehmen wird bei einer Annullierung nur dann von seiner Pflicht zur<br />
Ausgleichsleistung befreit, wenn der angebotene Ersatzflug dem Fluggast nicht nur bei planmäßiger<br />
Durchführung, sondern tatsächlich die Möglichkeit eröffnet, das Endziel innerhalb des durch Art. 5 Abs. 1<br />
Buchst. c Nr. ii und Nr. iii FluggastrechteVO vorgegebenen Rahmens zu erreichen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 26/2018<br />
Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />
WEG: Klagebefugnis gegen eine Baugenehmigung für einen Dachumbau<br />
(VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 13.7.2017 – 5 S 2602/15) • Ein Wohnungseigentümer ist nicht nur als<br />
Sondereigentümer seiner Wohnung, sondern als Miteigentümer am gemeinschaftlichen Eigentum<br />
72 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Eilnachrichten 2018 Fach 1, Seite 9<br />
(§ 1 Abs. 5 WEG) auch Nachbar im Sinne des öffentlichen Baunachbarrechts. Ein Wohnungseigentümer<br />
kann eine Verletzung eigener Rechte i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO durch eine Baugenehmigung daher auch in<br />
Bezug auf den Nachbarschutz des gemeinschaftlichen Eigentums geltend machen, sofern die<br />
Anfechtung der Baugenehmigung nicht durch einen Beschluss der Eigentümerversammlung vergemeinschaftet<br />
worden ist. Ein Sondereigentümer ist als Nachbar nur dann berechtigt, Beeinträchtigungen<br />
abzuwehren, wenn der Behörde bei ihrer Entscheidung der Schutz der nachbarlichen<br />
Interessen des Sondereigentümers aufgetragen ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 27/2018<br />
Grundbuch: Unrichtigkeit bei Eintragung einer Vormerkung ohne Abtretungsvermerk<br />
(OLG München, Beschl. v. 28.6.2017 – 34 Wx 421/16) • Soll im Grundbuch ein Anspruch auf<br />
Rückübertragung gesichert werden, der – unabhängig von einer Geltendmachung durch den zunächst<br />
Berechtigten – durch Vorausabtretung für den Fall dessen Ablebens auf einen Dritten übertragen ist,<br />
handelt es sich nur um einen zu sichernden Anspruch, so dass dies durch eine einzige Vormerkung<br />
erfolgen kann. Der Vermerk über die bedingte Abtretung muss zur Vermeidung einer Grundbuchunrichtigkeit<br />
eingetragen werden. Fehlt dieser Zusatz, ist das Grundbuch unrichtig. Ein solcher Vermerk<br />
kann im Grundbuch bei der Vormerkung eingetragen werden. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 28/2018<br />
Bank- und Kreditwesen<br />
Sparkassen-AGB: Entgelt-Klauseln<br />
(OLG München, Urt. v. 12.10.2017 – 29 U 4903/16) • Nach § 675f Abs. 4 S. 1 BGB ist der Zahlungsdienstnutzer<br />
verpflichtet, dem Zahlungsdienstleister das für die Erbringung eines Zahlungsdienstes<br />
vereinbarte Entgelt zu entrichten. Nach § 675f Abs. 4 S. 1 BGB handelt es sich bei jeder einzelnen Einoder<br />
Auszahlung von Bargeld auf ein Girokonto oder von einem ein Girokonto um eine Leistung, für die<br />
als Gegenleistung ein Entgelt vereinbart und verlangt werden kann; die Vorschrift begründet deshalb<br />
eine Hauptleistungspflicht des Zahlungsdienstnutzers. Klauseln, welche die Höhe dieses Entgelts<br />
bestimmen, sind nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB<br />
entzogen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 29/2018<br />
Verbraucherdarlehensvertrag: Widerrufsbelehrung<br />
(OLG Frankfurt, Urt. v. 14.6.2017 – 23 U 111/16) • Eine Widerrufsbelehrung in einem Verbraucherdarlehensvertrag<br />
ist zu beanstanden, wenn sie die Formulierung „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt<br />
dieser Belehrung“ enthält. Die Formulierung ist hinsichtlich des Beginns der Frist unzureichend und kann<br />
deshalb den Lauf der Frist nicht gem. § 355 Abs. 2 a.F. BGB in Gang setzen. Greift der Unternehmer in den<br />
Mustertext selbst ein, kann er sich schon deshalb unabhängig vom konkreten Umfang der Änderung auf<br />
eine etwa mit der unveränderten Übernahme der Musterbelehrung verbundene Schutzwirkung nicht<br />
mehr berufen. Die – offenbar versehentlich erfolgte – Formulierung „Verpflichtungen zur Erstattung<br />
von Zahlungen müssen Sie innerhalb von 30 Tagen nach Absendung Ihrer Widerrufsbelehrung erfüllen“<br />
statt des im Muster vorgesehenen Textes „Verpflichtungen zur Erstattung von Zahlungen müssen Sie<br />
innerhalb von 30 Tagen nach Absendung Ihrer Widerrufserklärung erfüllen“ stellt einen Eingriff in die<br />
Wortwahl dar, der die Verständlichkeit der Widerrufsbelehrung in einem wesentlichen Punkt beeinträchtigt.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 30/2018<br />
Straßenverkehrsrecht<br />
Haftungsabwägung: Ausparkerunfall<br />
(KG, Urt. v. 14.12.2017 – 22 U 31/16) • Der unter Verstoß gegen § 10 StVO Ausparkende hat im Rahmen der<br />
Haftungsabwägung auch gegenüber demjenigen, der unter Missachtung des Zeichens 245 einen<br />
Bussonderfahrstreifen befährt, den gesamten Schaden zu tragen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 31/2018<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 73
Fach 1, Seite 10 Eilnachrichten 2018<br />
Kfz-Versicherung: Auswirkungen einer zu späten Unterrichtung des Kaskoversicherers<br />
(OLG Hamm, Beschl. v. 21.6.2017 – 20 U 42/17) • Teilt ein Versicherungsnehmer – in Kenntnis der ihm<br />
obliegenden Anzeigepflicht – seinem Kaskoversicherer einen Unfallschaden erst knapp sechs Monate<br />
nach dem Verkehrsunfall mit, kann der Kaskoversicherer berechtigt sein, eine Entschädigung wegen<br />
vorsätzlicher Verletzung der Anzeigeobliegenheit zu verweigern. Hinweis: Nach der hier vom OLG<br />
vertretenen Auffassung setzt eine vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer<br />
voraus, dass dieser die Verhaltensnorm, aus der die Obliegenheit folgt, positiv kennt. Insoweit<br />
genügt bedingter Vorsatz, der nach allgemeinen Regeln vorliegt, wenn der Versicherungsnehmer die<br />
Obliegenheitsverletzung für möglich hält und sie billigend in Kauf nimmt, also nicht ernsthaft darauf<br />
vertraut, dass der Erfolg ausbleiben werde (OLG Saarbrücken, Urt. v. 12.7.2006 – 5 U 6/06; OLG<br />
Naumburg, Urt. v. 29.4.2004 – 4 U 167/03). Allerdings spricht nach Ansicht des OLG keine Vermutung für<br />
eine vorsätzliche Verletzung der Anzeigeobliegenheit, vielmehr hat der Versicherer diese gem. § 28<br />
Abs. 2 S. 1 VVG, Nr. E.6.1 S. 1 AKB zu beweisen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 32/2018<br />
Versicherungsrecht<br />
Haftpflichtversicherung: Voraussetzungen/Umfang der Erstattung von Detektivkosten<br />
(OLG Köln, Beschl. v. 2.8.2017 – 17 W 175/16) • Detektivkosten einer Haftpflichtversicherung, die diese zur<br />
Erhärtung ihres Verdachts auf Versicherungsbetrug aufgewendet hat, sind im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
erstattungsfähig. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese nicht außer Verhältnis zu der wirtschaftlichen<br />
Bedeutung der Angelegenheit stehen (hier: Kosten in Höhe von 8.200 € bei einem Streitwert<br />
von 90.000 €). Detektivkosten sind dann erstattungsfähig, wenn sie zur zweckentsprechenden<br />
Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig waren, eine vernünftige Prozesspartei also berechtigte<br />
Gründe hatte, eine Detektei zu beauftragen. Hinzukommen müsse, dass die Detektivkosten sich –<br />
gemessen an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien und der Bedeutung des Streitgegenstandes<br />
– in vernünftigen Grenzen halten und prozessbezogen waren, die erstrebten Feststellungen<br />
wirklich notwendig waren sowie die Ermittlungen aus ex-ante-Sicht nicht einfacher und/oder billiger<br />
erfolgen konnten. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 33/2018<br />
Familienrecht<br />
Scheidungsrecht: Anerkennung von Privatscheidungen nach der Scharia<br />
(EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-372/16) • Seit dem Erlass der Rom-III-Verordnung haben zwar mehrere<br />
Mitgliedstaaten in ihren Rechtsordnungen die Möglichkeit eingeführt, Ehescheidungen ohne Tätigwerden<br />
einer staatlichen Behörde auszusprechen. Für die Einbeziehung von Privatscheidungen in den<br />
Anwendungsbereich dieser Verordnung wären aber Änderungen erforderlich, für die allein der Unionsgesetzgeber<br />
zuständig ist. Hinweis: Die Entscheidung des EuGH erging auf Vorlage des OLG München,<br />
welches die Scharia-Scheidungen eigentlich anerkennen wollte. Dem widersprach allerdings der EuGH:<br />
Privat vollzogene Scheidungen nach islamischem Recht müssen nach EU-Regelwerk nicht anerkannt<br />
werden. Vielmehr müsse die Scheidung durch eine staatliche Stelle vollzogen werden.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 34/2018<br />
Betreuungsrecht: Taggenaue Berechnung des Stundenansatzes<br />
(LG Kassel, Beschl. v. 20.9.2017 – 3 T 335/17) • Grundsätzlich hängt der pauschal zu vergütende Zeitaufwand<br />
von der Dauer der Betreuung, dem Aufenthalt des Betreuten und davon ab, ob der Betreute<br />
mittellos ist. Ändern sich die vergütungsrelvanten Umstände vor Ablauf eines Vergütungsmonats –<br />
etwa durch einen Umzug ins Heim – ist bei der Berechnung des Stundenansatzes zeitanteilig nach<br />
Tagen nach § 5 Abs. 4 S. 2 VBVG die konkrete Anzahl an Tagen des betroffenen Vergütungsmonats<br />
zugrunde zu legen. § 191 BGB ist nicht anzuwenden, auch nicht analog. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 35/2018<br />
74 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Eilnachrichten 2018 Fach 1, Seite 11<br />
Nachlass/Erbrecht<br />
Europäisches Nachlasszeugnis: Aufnahme von Grundstücksdaten<br />
(OLG München, Beschl. v. 12.9.2017 – 31 Wx 275/17) • Die erstrebte Aufnahme von Grundstücksdaten eines im<br />
Ausland belegenen Grundstücks (hier: Österreich) in ein ausgestelltes Europäisches Nachlasszeugnis, das die<br />
Erbfolge nach deutschem Recht bezeugt, kann nicht im Wege eines Berichtigungsverfahrens erreicht<br />
werden. Nach Art. 68 lit. l i.V.m. Art. 63 Abs. 2 lit. b EuErbVO kommt die Angabe einzelner Nachlassgegenstände,<br />
die einem bestimmten Erben zustehen, nur in Betracht, wenn die Gegenstände dem Erben mit<br />
dinglicher Wirkung („unmittelbar“) zugewiesen sind, wie dies etwa bei einer in anderen Rechtsordnungen<br />
bekannten dinglich wirkenden Teilungsanordnung der Fall ist. In dem (hier anzuwendenden) deutschen<br />
Erbrecht gilt jedoch die Universalsukzession. Demgemäß ist nach dem deutschen Erbrecht die Angabe<br />
einzelner Nachlassgegenstände von vornherein nicht möglich. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 36/2018<br />
Zivilprozessrecht<br />
Sachverständiger: Ladung zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens<br />
(BGH, Urt. v. 30.5.2017 – VI ZR 439/16) • Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur<br />
mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es nicht darauf an, ob<br />
das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan<br />
worden ist. Die Partei hat zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs einen Anspruch darauf, dass sie dem<br />
Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen<br />
Beantwortung vorlegen kann. Hat das Erstgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines<br />
Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens nicht entsprochen, so muss<br />
das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben. Hinweis: Der BGH<br />
hatte bereits in seiner Entscheidung vom 21.2.2017 (Az. VI ZR 314/15) klargestellt, dass jeder Prozesspartei<br />
gem. §§ 397, 402 ZPO zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs das Recht zustehe, einen Sachverständigen<br />
zu seinem schriftlichen Gutachten mündlich zu befragen. Der Tatrichter muss dementsprechend<br />
dem von einer Partei rechtzeitig gestellten Antrag, den gerichtlichen Sachverständigen nach<br />
Erstattung des schriftlichen Gutachtens zu dessen mündlicher Verhandlung zu laden, selbst dann<br />
stattgeben, wenn die schriftliche Begutachtung aus der Sicht des Gerichts ausreichend und überzeugend<br />
ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.1996 – VI ZR 50/96). Dieser Pflicht ist der Tatrichter nur ausnahmsweise dann<br />
enthoben, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen verspätet oder rechtsmissbräuchlich<br />
gestellt worden ist (s. BGH, Beschl. v. 21.2.2017 – VI ZR 314/15). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 37/2018<br />
Geständnis: Bindungswirkung<br />
(OLG Jena, Beschl. v. 19.10.2017 – 1 UF 221/14) • Ein Geständnis ist das gem. § 290 ZPO mit einer gewissen<br />
Bindungswirkung ausgestattete Zugestehen der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung des Gegners. Es ist<br />
eine dem Verhandlungsgrundsatz entsprechende, daher grds. auch das Gericht an die zugestandene<br />
Tatsache bindende Prozesshandlung, mit der die gestehende Partei unwiderruflich ihren Willen zum<br />
Ausdruck bringt, dass die Tatsache ungeprüft zur Urteilsgrundlage gemacht wird. Ein Geständnis kann nur<br />
von der nicht beweisbelasteten Partei abgegeben werden. Denn es muss sich auf eine für den Gestehenden<br />
ungünstige (im Sinne der Beweislastverteilung) und vom beweisbelasteten Gegner behauptete Tatsache<br />
beziehen. Die Wirkung des gerichtlichen Geständnisses besteht im Ausschluss der Wahrheitsprüfung durch<br />
das Gericht und in der Beschränkung des Widerrufs. Dagegen hindert das Geständnis den Gegner nicht an<br />
der Zurücknahme der eigenen ihm günstigen Behauptung. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 38/2018<br />
Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />
Pfändung: Nichtberücksichtigung eines Unterhaltsberechtigten<br />
(BGH, Beschl. v. 28.9.2017 – VII ZB 14/16) • Der Gläubiger kann einen klarstellenden Beschluss des<br />
Vollstreckungsgerichts verlangen, dass der Unterhaltsberechtigte bei der Berechnung des pfändbaren<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 75
Fach 1, Seite 12 Eilnachrichten 2018<br />
Betrags nach § 850c Abs. 1 ZPO nicht zu berücksichtigen ist, wenn der Schuldner an den<br />
Unterhaltsberechtigten keinen Unterhalt leistet. Der Antrag des Gläubigers richtet sich für die Pfändung<br />
von Arbeitseinkommen auf Erlass eines Blankettbeschlusses, der gem. § 850c Abs. 3 S. 2 ZPO wegen der<br />
Berechnung der pfändbaren Beträge auf die Anwendung der Tabelle zu dieser Vorschrift verweist. Die<br />
allgemein gefassten Angaben in einem solchen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss können im<br />
Einzelfall zu Unklarheiten führen. Es ist anerkannt, dass Schuldner, Gläubiger und Drittschuldner ein<br />
Rechtsschutzbedürfnis haben, derartige Unklarheiten durch Anrufung des Vollstreckungsgerichts zu<br />
beseitigen. Dieses hat dann eine klarstellende Entscheidung zu treffen, die den Blankettbeschluss<br />
ergänzt und konkrete Berechnungskriterien für den Drittschuldner aufzeigt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 39/2018<br />
Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />
Buchauszug: Verjährung des Anspruchs auf Erteilung<br />
(BGH, Urt. v. 3.8.2017 – VII ZR 32/17) • Der Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs nach § 87c Abs. 2 HGB<br />
verjährt selbstständig in der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB. Dieser Anspruch, bei dem es sich<br />
um einen Hilfsanspruch handelt, wird allerdings gegenstandslos, wenn der Provisionsanspruch, dessen<br />
Vorbereitung er dienen soll, verjährt ist oder aus anderen Gründen nicht mehr durchgesetzt werden kann.<br />
Die Verjährung des Anspruchs des Handelsvertreters auf Erteilung eines Buchauszugs beginnt regelmäßig<br />
mit dem Schluss des Jahres, in dem der Unternehmer dem Handelsvertreter eine abschließende Abrechnung<br />
über die diesem zustehende Provision erteilt hat. Der Handelsvertreter ist, wenn der Unternehmer die<br />
Erteilung einer Abrechnung über die dem Handelsvertreter zustehende Provision verweigert, obwohl er zur<br />
Abrechnung verpflichtet ist, grds. berechtigt, die Vorlage eines Buchauszugs zusammen mit der Abrechnung<br />
über die Provision gerichtlich geltend zu machen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 40/2018<br />
Wirtschafts-/Urheber-/Medien-/Marken-/Wettbewerbsrecht<br />
Wettbewerbsrecht: Irreführende Werbung mit Schmerzmittel<br />
(OLG Stuttgart, Urt. v. 8.6.2017 – 2 U 127/16) • Ein Schmerzmittel, das nur zur Schmerzbehandlung<br />
zugelassen ist, darf nicht mit der das Immunsystem unterstützenden Wirkung des dem Medikament<br />
beigefügten Vitamin C beworben werden. Eine solche Werbung verstößt gegen § 3a HWG. Die Bestimmung<br />
verbietet es, für ein zulassungspflichtiges Arzneimittel ein nicht von der Zulassung erfasstes Anwendungsgebiet<br />
explizit zu nennen. Die Regelung wird durch § 3a S. 2 HWG ergänzt, wonach es unzulässig ist, wenn<br />
sich die Werbung auf Anwendungsgebiete bezieht, die nicht von der Zulassung erfasst sind. Mit der<br />
Werbebotschaft, dass das enthaltene Vitamin C das Immunsystem unterstütze, weist das Unternehmen auf<br />
ein Anwendungsgebiet hin, für welches das Medikament nicht zugelassen ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 41/2018<br />
Arbeitsrecht<br />
Arbeitsschutz: Ruhezeiten im Straßentransportwesen<br />
(EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-102/16) • Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 v. 15.3.2006 zur<br />
Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr (ABl 2006, L 102, S. 1) dürfen Fahrer<br />
im Straßentransportsektor die ihnen zustehende regelmäßige wöchentliche Ruhezeit nicht in ihrem<br />
Fahrzeug verbringen. Hingegen darf die reduzierte wöchentliche Ruhezeit unter bestimmten Voraussetzungen<br />
im Fahrzeug eingelegt werden. Hinweis: Der EuGH bestätigt mit dieser – ein in Belgien<br />
verhängtes Bußgeld betreffenden – Entscheidung u.a. auch die deutsche Praxis, die die EU-Verordnung<br />
schon seit längerem so ausgelegt hatte, dass die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit von 45 Stunden<br />
nicht im Fahrzeug verbracht werden darf. Die täglichen Ruhezeiten von mindestens neun Stunden<br />
sowie die unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen verkürzten wöchentlichen Ruhezeiten können<br />
hingegen weiter im Fahrzeug verbracht werden, wenn geeignete Schlafmöglichkeiten vorhanden sind.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 42/2018<br />
76 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Eilnachrichten 2018 Fach 1, Seite 13<br />
Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats: Umgang mit mobilen Arbeitsmitteln während der Freizeit<br />
(BAG, Beschl. v. 22.8.2017 – 1 ABR 52/14) • Bringt ein Arbeitgeber im Rahmen einer Selbstverpflichtung<br />
zum Ausdruck, dass mobile Arbeitsmittel nicht in der Freizeit zu dienstlichen Zwecken genutzt werden<br />
sollen, ist eine solche Erklärung nicht mitbestimmungspflichtig. Hierdurch sind weder die betriebliche<br />
Ordnung noch die betriebliche Arbeitszeit berührt. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat<br />
mitzubestimmen in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb.<br />
Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der<br />
Arbeitnehmer. Dieses kann der Arbeitgeber kraft seiner Leitungsmacht durch Verhaltensregeln oder<br />
sonstige Maßnahmen beeinflussen und koordinieren. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist es, die<br />
Arbeitnehmer hieran zu beteiligen. Sie sollen an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens<br />
gleichberechtigt teilnehmen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 43/2018<br />
Sozialrecht<br />
Krankengeldanspruch: Nichterstellen einer Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung<br />
(BSG, Urt. v. 11.5.2017 – B 3 KR 22/15) • Grundsätzlich muss der Versicherte spätestens am letzten Tag der<br />
zuvor bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (AU) für eine Folge-AU-Bescheinigung sorgen, damit der<br />
durchgehende umfassende Krankenversicherungsschutz Pflichtversicherter erhalten bleibt. Zwar sind<br />
die gesetzlichen Regelungen strikt anzuwenden. Jedoch sind in engen Grenzen bestimmte Ausnahmen<br />
von den Vorgaben und Grundsätzen angezeigt – etwa dann, wenn die ärztliche Feststellung (oder die<br />
rechtzeitige Meldung der AU nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) durch Umstände verhindert oder verzögert<br />
worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem Verantwortungsbereich<br />
des Versicherten zuzurechnen sind. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 44/2018<br />
Versicherungspflichtige Rentner: Berechnung aus nebenberuflich selbstständiger Tätigkeit<br />
(SG Lübeck, Urt. v. 17.8.2017 – S 14 KR 246/15) • Bei versicherungspflichtigen Rentnern werden der<br />
Beitragsbemessung gem. § 237 Abs. 1 SGB V u.a. der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung<br />
und das Arbeitseinkommen zugrunde gelegt. Zur Berechnung der Beiträge der pflichtversicherten<br />
Rentner aus nebenberuflich selbstständiger Tätigkeit (§ 237 SGB V) sind die „Beitragsverfahrensgrundsätze<br />
Selbstzahler“ mangels rechtlicher Grundlage nicht heranzuziehen. Die gesetzliche<br />
Ermächtigung für die Regelung dieser Grundsätze durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen<br />
ergibt sich aus § 240 SGB V und bezieht sich damit ausschließlich auf die Beitragsbemessung freiwilliger<br />
Mitglieder. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 45/2018<br />
Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />
Hochschulrecht: Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin<br />
(BVerfG, Urt. v. 19.12.2017 – 1 BvL 3/14 u. 1 BvL 4/14) • Die bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften über<br />
das Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen der Humanmedizin an staatlichen Hochschulen sind<br />
teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar. Sie verletzen den grundrechtlichen Anspruch der Studienplatzbewerberinnen<br />
und -bewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot. Außerdem<br />
verfehlen die landesgesetzlichen Bestimmungen zum Auswahlverfahren der Hochschulen teilweise die<br />
Anforderungen, die sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes ergeben. Eine Neuregelung ist bis zum 31.12.2019<br />
zu treffen. Hinweis: Als Mängel der derzeitigen Regelung sieht das BVerfG zum einen die zu starke<br />
Gewichtung der „Ortswunschangabe“ im Bewerbungsverfahren; ihre Berücksichtigung schwäche die<br />
Bedeutung der Abiturnote unzulässigerweise ab. Zum anderen bemängeln die Verfassungsrichter die<br />
landesrechtlich unterschiedlich ausgestalteten Eignungsprüfungen; hier habe der Gesetzgeber künftig für<br />
ein „standardisiertes und strukturiertes“ Verfahren zu sorgen. Zudem fordern die Richter eine Begrenzung<br />
der Wartezeit, über die 20 % der Studienplätze vergeben werden, und einen bundesweiten Ausgleichsmechanismus<br />
für die Unterschiede bei den Abiturnoten. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 46/2018<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 77
Fach 1, Seite 14 Eilnachrichten 2018<br />
BAföG-Bewilligung: Bindung an inhaltlich korrekten elterlichen Einkommensteuerbescheid<br />
(OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.5.2017 – OVG 6 B 85.15) • Unmittelbarer Bezugspunkt und für die<br />
Anrechnung des Einkommens der Eltern des Auszubildenden nach § 24 BAföG auch rechtlich bindend ist<br />
grds. der Inhalt des für den entsprechenden Bewilligungszeitraum maßgeblichen elterlichen Einkommensteuerbescheid,<br />
selbst dann, wenn tatsächliche Zweifel an seiner Richtigkeit bestehen sollten (vgl.<br />
BVerwG, Beschl. v. 9.11.1988 – 5 B 143/87). Eine Ausnahme von dieser Bindungswirkung kann aber dann<br />
gerechtfertigt sein, wenn die im Steuerbescheid der Eltern angesetzten positiven Einkünfte entweder<br />
auf nachweislich unzutreffenden Schätzungen oder Hochrechnungen beruhen und deshalb in Höhe des<br />
unzutreffenden Anteils als unbillige Härte nach § 25 Abs. 6 S. 1 BAföG anrechnungsfrei zu stellen sind<br />
(vgl. OVG Münster, Beschl. v. 30.11.2015 – 12 A 2055/14) oder die im Einkommensteuerbescheid<br />
ausgewiesenen elterlichen Einkünfte (hier: aus selbstständiger Tätigkeit als beherrschender GmbH-<br />
Geschäftsführer) zwar steuerlich korrekt als nach § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen bzw. vereinnahmt gelten,<br />
als solche im Sinne von Einkommen für die Deckung des Unterhalts- bzw. Ausbildungsbedarf des<br />
Auszubildenden aber tatsächlich gar nicht zur Verfügung standen. Hinweis: Da dem BAföG-Amt keine<br />
eigenständige Prüfungspflicht hinsichtlich des Einkommensteuerbescheids obliegt, ist es primär Aufgabe<br />
der Eltern bzw. des Auszubildenden, gegen die fälschlicherweise ausgewiesenen positiven<br />
Einkünfte rechtzeitig vorzugehen, selbst wenn als Null-Bescheid im Ergebnis keinerlei Einkommensteuer<br />
festgesetzt wird. Im Streitfall bestand die Besonderheit, dass insoweit ein Vorgehen gegen den an<br />
sich inhaltlich korrekten Einkommensteuerbescheid ohnehin keine Erfolgsaussichten gehabt hätte, so<br />
dass seine inzwischen eingetretene Bestandskraft der – antragsgebundenen – Anrechnungsfreistellung<br />
nach § 25 Abs. 6 S 1 BAföG auch nicht entgegenstehen konnte (zur aktuellen Rspr.-Entwicklung im<br />
BAföG-Recht s. LACKNER NVwZ 2016, 1683 ff. und 2015, 1417 ff.). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 47/2018<br />
Steuerrecht<br />
Zweitwohnung: Versteuerung des Gewinns nach Veräußerung<br />
(BFH, Urt. v. 27.6.2017 – IX R 37/16) • Nach § 22 Nr. 2 EStG sind sonstige Einkünfte auch Einkünfte aus<br />
privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG. Dazu gehören gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG u.a.<br />
Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und<br />
Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Ausgenommen sind Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum<br />
zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken<br />
(1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen<br />
Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden (§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG). Ein Gebäude wird auch<br />
dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern es<br />
ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht. Unter § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG können<br />
deshalb auch Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen und Wohnungen,<br />
die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt werden, fallen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 48/2018<br />
Strafsachen/Ordnungswidrigkeiten<br />
Mittäterschaft: Mindestens konkrete Vorbereitungshandlungen erforderlich<br />
(BGH, Beschl. v. 5.7.2017 – StB 14/17) • Die Annahme einer Mittäterschaft im Sinne einer Vorbereitung<br />
einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat erfordert konkret umschriebene Vorbereitungshandlungen,<br />
die in Verbindung mit den tatbestandlich vorausgesetzten Beweggründen, die dem Tun<br />
des Täters zugrunde liegen, bereits eine gewisse Gefahr für die genannten Rechtsgüter begründen.<br />
§ 89a StGB begründet weder eine Strafbarkeit für Personen, die ausschließlich eine der dort genannten<br />
objektiven Tathandlungen vornehmen, noch für Personen, die diese subjektive Vorstellung haben, ohne<br />
sie durch eine der abschließend aufgeführten objektiven Tathandlungen nach außen zu manifestieren.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 49/2018<br />
78 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Eilnachrichten 2018 Fach 1, Seite 15<br />
Dashcam-Aufzeichnung: Zulässigkeit<br />
(OLG Celle, Beschl. v. 4.10.2017 – 3 Ss [OWi] 163/17) • Die Aufzeichnung mutmaßlich verkehrsordnungswidriger<br />
Verhaltensweisen Dritter im öffentlichen Straßenverkehr mittels einer sog. Dashcam<br />
(Onboard-Kamera) und die anschließende Übermittlung der dergestalt erhobenen Daten an die<br />
zuständige Bußgeldbehörde zwecks Ahndung eventuell begangener Verkehrsordnungswidrigkeiten<br />
verstößt gegen § 1 Abs. 1 BDSG und stellt somit eine unzulässige Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts<br />
der betroffenen Verkehrsteilnehmer dar. Derartige Handlungen werden vom personalen und<br />
sachlichen Anwendungsbereich der entsprechenden Schutzvorschriften des BDSG, u.a. von § 1 Abs. 2<br />
Nr. 3 BDSG, erfasst und durch § 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG als Ordnungswidrigkeit sanktioniert.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 50/2018<br />
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />
Einspruchsbeschränkung: Wirksamkeit<br />
(OLG Bamberg, Beschl. v. 30.10.2017 – 3 Ss OWi 1206/17) • Wie die Einlegung des Einspruchs selbst ist<br />
auch die Beschränkung des Einspruchs als Prozesshandlung bedingungsfeindlich. Ergibt sich aus<br />
Erklärungen des Betroffenen oder seiner Verteidigung, dass (weiterhin) auch die Schuld oder deren<br />
Umfang angegriffen wird, ist die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch<br />
unwirksam. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 51/2018<br />
Akteneinsicht: Nebenklage<br />
(AG Tiergarten, Beschl. v. 11.10.2017 – [265 LS] 284 Js 724/17 [16/17]) • In einer Aussage-gegen-Aussage-<br />
Konstellation ist der Nebenklage keine Akteneinsicht zu gewähren. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 52/2018<br />
Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />
Anwaltshaftung: Versehentliche Abgabe einer Selbstanzeige des Mandanten an das Finanzamt<br />
(BGH, Urt. v. 9.11.2017 – IX ZR 270/16) • Übermittelt der rechtliche Berater versehentlich ohne vorherige<br />
Abstimmung mit dem Mandanten eine für diesen gefertigte Selbstanzeige der Finanzverwaltung, liegt in<br />
der anschließend gegen den Mandanten festgesetzten Steuerpflicht kein ersatzfähiger Schaden. Der mit<br />
einem rechtlichen Berater geschlossene Vertrag kann darauf gerichtet sein, den Mandanten vor der<br />
Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit und deren Folgen zu schützen, nicht aber, dem<br />
Mandanten die Früchte einer von diesem vorsätzlich verübten Steuerhinterziehung zu wahren. Da der<br />
rechtliche Berater nicht an einer Steuerhinterziehung seines Mandanten mitwirken darf, gehört es nicht<br />
zu seinen vertragsgemäßen Aufgaben, dem Mandanten durch die Vermeidung einer fahrlässigen<br />
Pflichtverletzung die Erträge der von ihm begangenen Steuerhinterziehung zu erhalten. Das Interesse<br />
des Mandanten, dass die von ihm begangene Steuerhinterziehung nicht aufgedeckt wird, ist auch im<br />
Verhältnis zu dem rechtlichen Berater nicht schutzwürdig. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 53/2018<br />
Anwaltshaftung: Unterlassener Hinweis des Rechtsanwalts auf Ausschlussfrist<br />
(OLG München, Endurt. v. 7.6.2017 – 15 U 161/16) • Eine Haftung des Rechtsanwalts, der es versäumt hat,<br />
den Mandanten auf die Ausschlussfrist für die Geltendmachung seiner Ansprüche aus einer privaten<br />
Unfallversicherung hinzuweisen, kommt nicht in Betracht, wenn der Mandant den Nachweis eines<br />
unfallbedingten Dauerschadens nicht gem. § 287 ZPO führen kann. Hinweis: Im Anwaltsregressprozess<br />
ist ein Grundurteil nur zulässig, wenn festgestellt wird, dass der vom Rechtsanwalt durchzusetzende<br />
Anspruch des Mandanten bestand. Zum Klagegrund beim Anwaltsregress gehört auch, ob der durchzusetzende<br />
Anspruch des Mandanten (hier der Anspruch auf die Versicherungsleistung) überhaupt<br />
bestand. Diese Voraussetzung des Grundurteils ist auch ohne ausdrückliche Berufungsrüge zu prüfen.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 54/2018<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 79
Fach 1, Seite 16 Eilnachrichten 2018<br />
Gebührenrecht<br />
Rechtsanwaltsgebühr: Gegenstandswert ist der Wiederbeschaffungsaufwand<br />
(BGH, Urt. v. 18.7.2017 – VI ZR 465/16) • Beauftragt der Geschädigte einen Rechtsanwalt mit der<br />
Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer,<br />
so ist der Umfang des Ersatzverlangens nur für die Abrechnung zwischen dem Geschädigten<br />
und seinem Anwalt maßgebend. Kostenerstattung aufgrund des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs<br />
kann der Geschädigte vom Schädiger dagegen grds. nur insoweit verlangen, als<br />
seine Forderung diesem gegenüber auch objektiv berechtigt ist. Hinweis: Der für den Anspruch auf<br />
Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten maßgebliche Gegenstandswert richtet sich daher nach<br />
dem Wiederbeschaffungsaufwand und nicht nach dem ungekürzten Wiederbeschaffungswert. Wer als<br />
Anwalt also maximal verdienen will, muss dem Mandanten raten, dem Schädiger das kaputte Auto auf<br />
den Hof zu stellen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 55/2018<br />
Kündigungsschutzklage: Streitwertberechnung<br />
(LAG Düsseldorf, Beschl. v. 16.6.2017 – 4 Ta 211/17) • Die Klage gegen eine fristlose und hilfsweise<br />
fristgerechte Kündigung wird insgesamt mit einem Vierteljahresentgelt bewertet. Gemäß § 42 Abs. 2 S. 1<br />
GKG ist für die Wertberechnung bei Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen über das<br />
Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses höchstens der Betrag des<br />
für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend. Bei einer Kündigungsschutzklage<br />
und gleichzeitigen Klage auf Verzugslohn für die Zeit nach dem Kündigungstermin in<br />
objektiver Klagehäufung sind die Streitwerte der Klageanträge gem. § 39 GKG zu addieren. Ein Additionsverbot<br />
wegen wirtschaftlicher Identität besteht nicht. Dies gilt auch für Verzugslohnansprüche<br />
aus den ersten drei Monaten nach dem Kündigungstermin. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 56/2018<br />
EU-Recht/IPR<br />
Ausweisung: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe<br />
(EuGH, Urt. v. 7.12.2017 – C-636/16) • Gegen einen langfristig aufenthaltsberechtigten Nicht-EU-<br />
Staatsangehörigen kann nicht allein deshalb die Ausweisung verfügt werden, weil er zu einer<br />
Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurde. Das vorrangige Ziel der Richtlinie 2003/109/<br />
EG v. 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen<br />
(ABl 2004, L 16, S. 44) besteht in der Integration von Nicht-EU-Staatsangehörigen, die in<br />
den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind und die deshalb verstärkten Ausweisungsschutz genießen<br />
sollen. Die Mitgliedstaaten der EU müssen daher, bevor sie gegen einen langfristig aufenthaltsberechtigten<br />
Nicht-EU-Staatsangehörigen eine Ausweisung verfügen, die Dauer des Aufenthalts in<br />
ihrem Hoheitsgebiet, das Alter der betreffenden Person, die Folgen für sie und ihre Familienangehörigen<br />
sowie die Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigen.<br />
<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 57/2018<br />
<strong>ZAP</strong>-Service: Die <strong>ZAP</strong> Eilnachrichten können und sollen nur eine stark komprimierte Wiedergabe der Originaltexte sein.<br />
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80 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 251<br />
Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />
Bauvertrag<br />
Das neue Bauvertragsrecht in der anwaltlichen Praxis – Ein Überblick<br />
Von Professor Dr. GERHARD RING, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches<br />
Wirtschaftsrecht, Technische Universität Bergakademie, Freiberg<br />
Inhalt<br />
I. Vorbemerkung<br />
II. Der Bauvertrag<br />
1. Legaldefinition<br />
2. Anwendbare Regelungen<br />
3. Einvernehmliche Vertragsänderung<br />
4. Einseitiges Anordnungsrecht<br />
5. Vergütungsanpassung bei einer Anordnung<br />
nach § 650b Abs. 2 BGB<br />
6. Abschlagszahlungen<br />
7. Besonderheit bei einer einstweiligen<br />
Verfügung<br />
8. Sicherungshypothek des Bauunternehmers<br />
9. Bauhandwerkersicherung<br />
10. Zustandsfeststellung bei Abnahmeverweigerung<br />
11. Schriftform der Kündigung<br />
III. Der Verbraucherbauvertrag<br />
1. Legaldefinition<br />
2. Anwendbare Regelungen<br />
3. Baubeschreibung<br />
4. Baubeschreibung als zwingender Inhalt<br />
des Verbraucherbauvertrags<br />
5. Gesetzliches Widerrufsrecht<br />
6. Begrenzung der Abschlagszahlungen<br />
7. Absicherung des Vergütungsanspruchs<br />
8. Unwirksamkeit klauselmäßiger Abbedingung<br />
von § 632a Abs. 1 und<br />
§ 650m Abs. 1, 2 BGB<br />
9. Erstellung/Herausgabe von Unterlagen<br />
10. Abweichende Vereinbarungen<br />
IV. Resümee<br />
I. Vorbemerkung<br />
Am 9.3.2017 hat der Bundestag das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der<br />
kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen<br />
Siegel im Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren verabschiedet (BT-Drucks 18/8586 i.d.F. der<br />
BT-Drucks 18/11437). Der Bundesrat hat das Gesetz am 31.3.2017 ohne inhaltliche Änderungen gebilligt<br />
(BR-Drucks 199/17 und 199/1/17), am 4.5.2017 ist es verkündet worden (BGBl I, S. 969). Die Neuregelung<br />
gilt nach Art. 229 § 39 EGBGB für Bauverträge, die ab dem 1.1.2018 abgeschlossen werden.<br />
Neben Änderungen des allgemeinen Werkvertragsrechts (§§ 631–bis 650 BGB, z.B. die Neuregelung der<br />
Abschlagszahlungen in § 632a BGB, der fiktiven Abnahme in § 640 Abs. 2 BGB und der Kündigung aus<br />
wichtigem Grund in § 648a BGB) hat das spezifische, weil komplexe und auf eine längere Erfüllungszeit<br />
angelegte Bauvertragsrecht nunmehr in Gestalt der Regelungen zum<br />
• Bauvertrag (§§ 650a–h BGB),<br />
• Verbraucherbauvertrag mit Einführung eines auf den Bau zugeschnittenen Verbraucherschutzes<br />
(§§ 650i–n BGB),<br />
• Architekten- und Ingenieurvertrag (§§ 650p–t BGB) und zum<br />
• Bauträgervertrag (§§ 650u–v BGB)<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 81
Fach 5, Seite 252<br />
Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />
Bauvertragsrecht<br />
erstmals eine ausdrückliche und zusammenfassende Kodifizierung erfahren (dazu demnächst RING, Das<br />
neue Bauvertragsrecht in der anwaltlichen Praxis, 2018, <strong>ZAP</strong> Verlag). Im Übrigen wurde auch die<br />
kaufrechtliche Mängelhaftung für Baustoffe an die Judikatur des EuGH angepasst. Nachstehend sollen<br />
allein der Bau- und der Verbraucherbauvertrag vorgestellt werden.<br />
II. Der Bauvertrag<br />
Der Gesetzgeber hat in Abgrenzung zum allgemeinen Werkvertrag (§ 631 BGB) in den §§ 650a–h BGB<br />
ein Sonderrecht für Bauverträge geschaffen.<br />
1. Legaldefinition<br />
Nach der Legaldefinition in § 650a Abs. 1 S. 1 BGB ist ein Bauvertrag ein Vertrag über<br />
• die Herstellung,<br />
• die Wiederherstellung,<br />
• die Beseitigung oder<br />
• den Umbau<br />
eines Bauwerks, einer Außenanlage oder eines Teils davon.<br />
Bauwerk ist eine unbewegliche, durch Verwendung von Arbeit und Material mit dem Erdboden<br />
hergestellte und mit ihm nicht nur vorübergehend verbundene Sache. Außenanlagen sind Grundstücksflächen,<br />
die durch Erd-, Pflanz-, Rasen-, Saat-, landschaftsgärtnerische Entwässerungs- und vegetationstechnische<br />
Arbeiten besonders gestaltet werden. Herstellung ist die Errichtung einer baulichen Anlage.<br />
Bei einer Wiederherstellung werden auf noch vorhandenen Bau- oder Anlageteilen die zerstörten Teile<br />
wiederhergestellt. Beseitigung sind Abbruch-, aber auch Rückbauarbeiten. Und Umbau ist die Umgestaltung<br />
eines vorhandenen Objekts mit wesentlichen Eingriffen in die Konstruktion oder den Bestand.<br />
Hinweis:<br />
Ein Vertrag über die Instandhaltung eines Bauwerks (im Sinne von Maßnahmen zur Wiederherstellung des<br />
zum bestimmungsgemäßen Gebrauchs geeigneten Zustands, sofern dies kein Wiederaufbau ist) – nicht<br />
einer Außenanlage – ist nach § 650a Abs. 2 BGB ein Bauvertrag, wenn das Werk für die Konstruktion, den<br />
Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch von „wesentlicher Bedeutung“ ist.<br />
2. Anwendbare Regelungen<br />
Für den Bauvertrag gelten gem. § 650a Abs. 1 S. 2 BGB ergänzend, d.h. neben den allgemeinen<br />
werkvertraglichen Vorschriften in den §§ 631–650 BGB, die Regelungen des Kapitels 2 (§§ 650a–h BGB).<br />
3. Einvernehmliche Vertragsänderung<br />
Wenn der Besteller<br />
• nach § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB eine Änderung des vereinbarten Werkerfolgs (§ 631 Abs. 2 BGB) oder<br />
• nach § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB eine Änderung, die zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs<br />
notwendig ist (= Nachträge),<br />
begehrt (Änderungsbegehren), trifft die Vertragsparteien zunächst die Verpflichtung, Einvernehmen<br />
anzustreben (Einigungsbemühungen) über<br />
• die Änderung selbst und<br />
• die infolge der Änderung zu leistende Mehr- oder Mindervergütung,<br />
bevor der Besteller von seinem einseitigen Anordnungsrecht (§ 650b Abs. 2 BGB, vgl. im Folgenden<br />
unter 4.) – was ein erhebliches Konfliktpotential in sich birgt – Gebrauch machen kann.<br />
Der Unternehmer hat als Grundlage der Einigung gem. § 650b Abs. 1 S. 2 BGB ein Angebot über die<br />
Mehr- oder Mindervergütung zu erstellen. Im Falle einer Änderung nach § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB gilt<br />
dies jedoch nur, wenn ihm die Ausführung der Änderung „zumutbar“ ist.<br />
82 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 253<br />
Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />
Unzumutbarkeit kann sich aus den technischen Möglichkeiten, der Ausstattung und der Qualifikation<br />
des Unternehmers bzw. aus betriebsinternen Vorgängen (z.B. Personalausstattung, fachliches Können<br />
oder geräte- und maschinentechnische Ausstattung) ergeben. Sie ist unter Abwägung der Interessen<br />
beider Vertragsparteien zu ermitteln und liegt unterhalb der Schwelle des allgemeinen Leistungsverweigerungsrechts<br />
wegen Unzumutbarkeit (§ 275 Abs. 2, 3 BGB). Macht der Unternehmer betriebsinterne<br />
Vorgänge für eine Unzumutbarkeit nach § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB geltend, trifft ihn gem.<br />
§ 650b Abs. 1 S. 3 BGB die Beweislast hierfür.<br />
Hinweis:<br />
Trägt der Besteller die Verantwortung für die Planung des Bauwerks oder der Außenanlage (weil er damit<br />
z.B. schon bei der Grundbeauftragung einen Architekten betraut hat), ist der Unternehmer nach § 650b<br />
Abs. 1 S. 4 BGB nur dann zur Erstellung eines Angebots über die Mehr- oder Mindervergütung verpflichtet,<br />
wenn der Besteller die für die Änderung erforderliche Planung vorgenommen und dem Unternehmer zur<br />
Verfügung gestellt hat.<br />
Begehrt der Besteller eine Änderung, für die dem Unternehmer nach § 650c Abs. 1 S. 2 BGB kein<br />
Anspruch auf Vergütung für vermehrten Aufwand zusteht (vgl. unter 5.), streben die Parteien gem.<br />
§ 650b Abs. 1 S. 5 BGB nur Einvernehmen über die Änderung an – der Unternehmer ist jedoch nicht<br />
verpflichtet, ein Angebot über die Mehr- oder Mindervergütung zu erstellen.<br />
4. Einseitiges Anordnungsrecht<br />
Erzielen die Parteien binnen 30 Tagen nach Zugang des Änderungsbegehrens des Bestellers beim<br />
Unternehmer keine Einigung nach § 650b Abs. 1 BGB (s. oben 3.), kann der Besteller gem. § 650b Abs. 2<br />
S. 1 BGB in Textform (§ 126b BGB) die Änderung anordnen (Vertragsänderung). Der Unternehmer ist<br />
nach § 650b Abs. 2 S. 2 BGB verpflichtet, der (einseitigen) Anordnung des Bestellers nachzukommen<br />
(Ausführungspflicht) – einer Anordnung nach § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB jedoch nur, wenn ihm die<br />
Ausführung „zumutbar“ ist, wofür er die Beweislast trägt.<br />
5. Vergütungsanpassung bei einer Anordnung nach § 650b Abs. 2 BGB<br />
Die Höhe des Vergütungsanspruchs für den infolge einer Anordnung nach § 650b Abs. 2 BGB<br />
vermehrten oder verminderten Aufwand (s. oben 4.) ist, um spekulativ kalkulierten Baupreisen<br />
entgegenzuwirken, gem. § 650c Abs. 1 S. 1 BGB nach den<br />
• tatsächlich erforderlichen Ist-Kosten mit<br />
• „angemessenen“ Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn<br />
(und nicht nach den Vertragspreisen) zu ermitteln. Umfasst die Leistungspflicht des Unternehmers auch<br />
die Planung des Bauwerks oder der Außenanlage, steht ihm nach § 650c Abs. 1 S. 2 BGB im Fall des<br />
§ 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB (s. oben 3.) kein Anspruch auf Vergütung für vermehrten Aufwand zu.<br />
Der Unternehmer kann – alternativ – zur Berechnung der Nachtragsvergütung gem. § 650c Abs. 2 S. 1<br />
BGB auch auf die Ansätze in einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation zurückgreifen<br />
(Wahlrecht). Dabei statuiert § 650c Abs. 2 S. 2 BGB die gesetzliche Vermutung, dass die auf der Basis<br />
der Urkalkulation fortgeschriebene Vergütung jener nach § 650c Abs. 1 BGB entspricht.<br />
Beachte:<br />
Zur Vermeidung von Spekulationen bei der Preisgestaltung kann der Unternehmer sein Wahlrecht für jeden<br />
Nachtrag nur insgesamt ausüben. Eine Kombination der Berechnungsmethoden ist ihm nicht gestattet.<br />
6. Abschlagszahlungen<br />
Bei der Berechnung von vereinbarten oder gem. § 632a BGB geschuldeten Abschlagszahlungen kann der<br />
Unternehmer nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB (im Interesse einer Liquiditätssicherung des Unternehmers, der<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 83
Fach 5, Seite 254<br />
Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />
Bauvertragsrecht<br />
das Risiko einer Mehrleistung zunächst ohne Entgelt trägt) 80 % einer in einem Angebot nach § 650b<br />
Abs. 1 S. 2 BGB genannten Mehrvergütung (s. oben 3.) pauschal ansetzen, wenn sich die Parteien nicht<br />
über die Höhe geeinigt haben oder keine anderslautende gerichtliche Eilentscheidung ergeht. Wählt der<br />
Unternehmer diesen Weg und ergeht keine anderslautende gerichtliche Eilentscheidung, wird gem. § 650c<br />
Abs. 3 S. 2 BGB die nach § 650c Abs. 1 und 2 BGB geschuldete Mehrvergütung (s. oben 5.) erst nach der<br />
Abnahme des Werks (§ 640 BGB) fällig.<br />
Hinweis:<br />
Zahlungen nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB, die die nach § 650c Abs. 1, 2 BGB geschuldete Mehrvergütung<br />
übersteigen, sind dem Besteller nach § 650c Abs. 3 S. 3 BGB zurückzugewähren und ab ihrem Eingang beim<br />
Unternehmer zu verzinsen – wobei § 288 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 sowie § 289 S. 1 BGB entsprechend gelten (so<br />
§ 650c Abs. 3 S. 4 BGB).<br />
7. Besonderheit bei einer einstweiligen Verfügung<br />
Zum Erlass einer einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 ff. ZPO in Streitigkeiten über<br />
• das Anordnungsrecht (§ 650b BGB, s. oben 4.) oder<br />
• die Vergütungsanpassung (§ 650c BGB, s. oben 5.)<br />
ist es gem. § 650d BGB nach Beginn der Bauausführung nicht erforderlich, dass der Verfügungsgrund<br />
glaubhaft gemacht wird: Nur der Verfügungsanspruch muss glaubhaft gemacht werden. Die<br />
Eilbedürftigkeit wird dann widerleglich vermutet.<br />
8. Sicherungshypothek des Bauunternehmers<br />
Der Unternehmer kann für seine Forderungen aus dem Bauvertrag gem. § 650e S. 1 BGB (entsprechend<br />
§ 648 BGB a.F.) die Einräumung einer Sicherungshypothek an dem Baugrundstück des Bestellers<br />
verlangen. Ist das Werk noch nicht vollendet, so kann er nach § 650e S. 2 BGB die Einräumung der<br />
Sicherungshypothek für einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und für die in<br />
der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen verlangen.<br />
9. Bauhandwerkersicherung<br />
Die Regelungen zur Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB entsprechen im Wesentlichen § 648a<br />
BGB a.F.<br />
a) Sicherung von Zusatzaufträgen<br />
Der Unternehmer kann vom Besteller nach § 650f Abs. 1 BGB Sicherheit auch für die in Zusatzaufträgen<br />
vereinbarte und noch nicht gezahlte Vergütung einschließlich dazugehöriger Nebenforderungen, die mit<br />
10 % des zu sichernden Vergütungsanspruchs anzusetzen sind, verlangen. Das gilt in demselben<br />
Umfang auch für Ansprüche, die an die Stelle der Vergütung treten. Der Anspruch des Unternehmers auf<br />
Sicherheit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Besteller Erfüllung verlangen kann oder das<br />
Werk abgenommen hat.<br />
Hinweis:<br />
Ansprüche, mit denen der Besteller gegen den Vergütungsanspruch des Unternehmers aufrechnen kann,<br />
bleiben bei der Berechnung der Vergütung unberücksichtigt – es sei denn, sie sind unstreitig oder rechtskräftig<br />
festgestellt.<br />
Die Sicherheit ist auch dann als ausreichend anzusehen, wenn sich der Sicherungsgeber das Recht<br />
vorbehält, sein Versprechen im Falle einer wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse<br />
des Bestellers mit Wirkung für Vergütungsansprüche aus Bauleistungen zu widerrufen, die der Unternehmer<br />
bei Zugang der Widerrufserklärung noch nicht erbracht hat.<br />
84 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 255<br />
Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />
b) Formen der Sicherheitsleistung<br />
Die Sicherheit kann nach § 650f Abs. 2 BGB auch durch eine Garantie oder ein sonstiges Zahlungsversprechen<br />
eines im Geltungsbereich des BGB zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder<br />
Kreditversicherers geleistet werden. Letztere dürfen Zahlungen an den Unternehmer aber nur leisten,<br />
soweit der Besteller den Vergütungsanspruch des Unternehmers anerkannt oder durch vorläufig<br />
vollstreckbares Urteil zur Zahlung der Vergütung verurteilt worden ist und die Voraussetzungen<br />
vorliegen, unter denen die Zwangsvollstreckung begonnen werden darf.<br />
c) Kostenerstattungspflicht des Unternehmers für die Sicherheitsleistung<br />
Der Unternehmer hat dem Besteller nach § 650f Abs. 3 BGB die üblichen Kosten der Sicherheitsleistung<br />
bis zu einem Höchstsatz von 2 % für das Jahr zu erstatten. Dies gilt nicht, soweit eine Sicherheit wegen<br />
Einwendungen des Bestellers gegen den Vergütungsanspruch des Unternehmers aufrechterhalten<br />
werden muss und die Einwendungen sich als unbegründet erweisen.<br />
Soweit der Unternehmer für seinen Vergütungsanspruch eine Sicherheit nach § 650f Abs. 1, 2 BGB (s. oben<br />
a und b) erlangt hat, ist gem. § 650f Abs. 4 BGB der Anspruch auf Einräumung einer Sicherungshypothek<br />
nach § 650e BGB (s. oben 8.) ausgeschlossen.<br />
d) Leistungsverweigerungs- und Kündigungsrecht des Unternehmers<br />
Hat der Unternehmer dem Besteller erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung der Sicherheit nach<br />
§ 650f Abs. 1 BGB (s. oben a) bestimmt, kann der Unternehmer gem. § 650f Abs. 5 BGB die Leistung verweigern<br />
oder den Vertrag kündigen. Kündigt er den Vertrag, ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte<br />
Vergütung zu verlangen – wobei er sich jedoch dasjenige anrechnen lassen muss, was er infolge der<br />
Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft<br />
erwirbt oder böswillig zu erwerben unterlässt. Es wird vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 % der auf<br />
den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung anfallenden vereinbarten Vergütung zustehen.<br />
e) Anwendungsausschluss<br />
Die Regelungen in § 650f Abs. 1 bis 5 BGB finden nach § 650f Abs. 6 BGB keine Anwendung, wenn der<br />
Besteller<br />
• eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen ist,<br />
über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren unzulässig ist (Nr. 1), oder<br />
• Verbraucher ist und es sich um einen Verbraucherbauvertrag nach § 650i BGB oder um einen<br />
Bauträgervertrag nach § 650u BGB handelt (Verbraucherprivileg) – was nicht gilt bei der Betreuung<br />
des Bauvorhabens durch einen zur Verfügung über die Finanzierungsmittel des Bestellers ermächtigten<br />
Baubetreuer.<br />
f) Regeln über die Bauhandwerkersicherung als zwingendes Recht<br />
Eine von § 650f Abs. 1 bis 5 BGB abweichende Vereinbarung ist nach § 650f Abs. 7 BGB unwirksam.<br />
10. Zustandsfeststellung bei Abnahmeverweigerung<br />
Voraussetzung für die Fälligkeit des Werklohns ist die Abnahme (§ 640 BGB). Die Zustandsfeststellung<br />
nach § 650g BGB ergänzt § 640 Abs. 2 BGB (fiktive Abnahme).<br />
a) Grundsatz der gemeinsamen Zustandsfeststellung<br />
Verweigert der Besteller die Abnahme unter Angabe von Mängeln, hat er beim Bauvertrag nach § 650g<br />
Abs. 1 S. 1 BGB auf Verlangen des Unternehmers an einer gemeinsamen Feststellung des Zustands des<br />
Werks als Gläubigerobliegenheit mitzuwirken. Die gemeinsame Zustandsfeststellung soll gem. § 650g<br />
Abs. 1 S. 2 BGB mit der Angabe des Tages der Anfertigung versehen werden und ist von beiden<br />
Vertragsparteien zu unterschreiben.<br />
Problem:<br />
Kommt es zu keiner Einigung der Parteien über den festzustellenden Zustand, muss der Unternehmer diesen<br />
mittels eines selbstständigen Beweisverfahrens (§§ 485 ff. ZPO) bzw. durch einen gerichtlichen Sachverständigen<br />
dokumentieren lassen.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 85
Fach 5, Seite 256<br />
Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />
Bauvertragsrecht<br />
b) Einseitige Zustandsfeststellung durch den Unternehmer<br />
Bleibt der Besteller einem vereinbarten oder einem vom Unternehmer innerhalb einer angemessenen<br />
Frist bestimmten Termin zur Zustandsfeststellung fern, kann der Unternehmer die Zustandsfeststellung<br />
nach § 650g Abs. 2 S. 2 BGB auch einseitig vornehmen. Dies gilt gem. § 650g Abs. 2 S. 2 BGB<br />
nicht, wenn der Besteller infolge eines Umstands fernbleibt,<br />
• den er nicht zu vertreten hat und<br />
• den er dem Unternehmer unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) mitgeteilt hat.<br />
Der Unternehmer hat die einseitige Zustandsfeststellung nach § 650g Abs. 2 S. 3 BGB mit der Angabe<br />
des Tages der Anfertigung zu versehen und sie zu unterschreiben sowie dem Besteller eine Abschrift der<br />
einseitigen Zustandsfeststellung zur Verfügung zu stellen.<br />
c) (Widerlegbare) gesetzliche Vermutungswirkung<br />
Ist das Werk dem Besteller verschafft worden und ist in einer (beiderseitigen oder einseitigen)<br />
Zustandsfeststellung nach § 650g Abs. 1 oder 2 BGB ein offenkundiger Mangel (d.h. ein solcher, der bei<br />
einer ordnungsgemäßen Zustandsfeststellung ohne Weiteres hätte entdeckt werden müssen) nicht<br />
angegeben, wird nach § 650g Abs. 3 S. 1 BGB vermutet, dass dieser Mangel<br />
• nach der Zustandsfeststellung entstanden und<br />
• vom Besteller zu vertreten ist.<br />
Hinweis:<br />
Die gesetzliche Vermutung gilt gem. § 650g Abs. 3 S. 2 BGB nicht, wenn der Mangel nach seiner Art nicht<br />
vom Besteller verursacht worden sein kann.<br />
d) Entrichtung der Vergütung und Schlussrechnung<br />
Die Vergütung ist nach § 650g Abs. 4 S. 1 BGB zu entrichten, wenn<br />
1. der Besteller das Werk abgenommen hat (§ 640 BGB) oder die Abnahme nach § 641 Abs. 2 BGB<br />
entbehrlich ist und<br />
2. der Unternehmer dem Besteller eine prüffähige Schlussrechnung erteilt hat.<br />
Eine Schlussrechnung ist gem. § 650g Abs. 4 S. 2 BGB prüffähig, wenn sie eine übersichtliche Aufstellung der<br />
erbrachten Leistungen enthält und für den Besteller nachvollziehbar ist. Sie gilt nach der gesetzlichen Fiktion<br />
des § 650g Abs. 4 S. 3 BGB als prüffähig, wenn der Besteller nicht innerhalb von 30 Tagen nach Zugang der<br />
Schlussrechnung des Unternehmers begründete Einwendungen gegen ihre Prüffähigkeit erhoben hat.<br />
11. Schriftform der Kündigung<br />
Eine (ordentliche wie außerordentliche) Kündigung des Bauvertrags bedarf aus Gründen des Übereilungsschutzes<br />
sowie zu Beweiszwecken nach § 650h BGB der schriftlichen Form (§ 126 BGB).<br />
III. Der Verbraucherbauvertrag<br />
Über den allgemeinen Verbraucherschutz nach den §§ 312 ff. BGB und die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle<br />
(§§ 307 ff. BGB) hinaus wollen die §§ 650i–n BGB der besonderen Schutzbedürftigkeit des<br />
Verbrauchers beim Abschluss größerer Bauverträge Rechnung tragen.<br />
1. Legaldefinition<br />
Verbraucherbauverträge sind nach der Legaldefinition des § 650i Abs. 1 BGB Verträge, durch die der<br />
Unternehmer (§ 14 BGB) von einem Verbraucher (§ 13 BGB) zum Bau eines (gänzlich) neuen Gebäudes<br />
oder zu erheblichen Umbaumaßnahmen (von gleichem Gewicht im Sinne eines wesentlichen Eingriffs in<br />
die Konstruktion oder den Bestand des Gebäudes) an einem bestehenden Gebäude (aus einer Hand)<br />
verpflichtet wird. § 650i Abs. 1 BGB erfasst hingegen nicht die Vergabe einzelner Gewerke durch den<br />
Verbraucher an einen Handwerker, weswegen die praktische Relevanz des Verbraucherbauvertragsrechts<br />
möglicherweise gering bleiben wird.<br />
86 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 257<br />
Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />
Beachte:<br />
Für Verbraucherverträge, die nicht dem Anwendungsbereich des § 650i Abs. 1 BGB unterfallen (sog. nichtprivilegierte<br />
Bauverträge), gelten allein die §§ 312 ff. BGB.<br />
Der Verbraucherbauvertrag (auch Änderungen desselben bzw. Nachträge) bedarf – zwecks Vermeidung<br />
von Beweisschwierigkeiten in Bezug auf den Vertragsinhalt – ebenso wie die Baubeschreibung<br />
(§ 650j BGB, vgl. nachfolgend unter 3.) gem. § 650i Abs. 2 BGB der Textform (§ 126b BGB).<br />
2. Anwendbare Regelungen<br />
Für Verbraucherbauverträge gelten nach § 650i Abs. 3 BGB ergänzend, d.h. neben den allgemeinen<br />
werkvertraglichen Vorschriften (§§ 631–650 BGB) und den Regelungen des Bauvertragsrechts<br />
(§§ 650a–h BGB), die besonderen Vorschriften der §§ 650i–n BGB.<br />
3. Baubeschreibung<br />
Der Unternehmer muss den Verbraucher nach § 650j BGB – ohne gesonderte Vergütung – über die sich<br />
aus Art. 249 EGBGB ergebenden Einzelheiten in der dort vorgesehenen Form (vorvertragliche Informationspflichten)<br />
unterrichten: Das heißt der Unternehmer muss dem Verbraucher rechtzeitig vor<br />
Abgabe von dessen Vertragserklärung eine Baubeschreibung mit den wesentlichen Eigenschaften des<br />
angebotenen Werks zur Verfügung stellen (die vorbehaltlich einer ausdrücklichen anderweitigen<br />
Vereinbarung Vertragsinhalt wird, nachfolgend unter 4.) – es sei denn, der Verbraucher oder ein von ihm<br />
Beauftragter macht die wesentlichen Planungsvorgaben selbst. Art. 249 EGBGB normiert detailliert die<br />
Einzelheiten der vorvertraglichen Informationspflichten des Unternehmers: Art. 249 § 1 EGBGB trifft<br />
Vorgaben hinsichtlich der Form und des Zeitpunktes der vorvertraglichen Information. Art. 249 § 2<br />
EGBGB regelt den Inhalt der Baubeschreibung.<br />
• Form und Zeitpunkt: Der Unternehmer ist nach § 650j BGB verpflichtet, dem Verbraucher<br />
rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung eine Baubeschreibung in Textform (§ 126b BGB)<br />
zur Verfügung zu stellen.<br />
• Art. 249 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB (Generalklausel): Die wesentlichen Eigenschaften des angebotenen Werks<br />
sind „in klarer Weise“ (bloßes Klarheitsgebot) darzustellen. Die Baubeschreibung muss – in Ergänzung<br />
der Generalklausel des Art. 249 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB – jedoch nach Art. 249 § 2 Abs. 1 S. 2 EGBGB<br />
(Mindestinhalt einer Baubeschreibung nach § 650j BGB) mindestens folgende Informationen enthalten:<br />
• eine allgemeine Beschreibung des herzustellenden Gebäudes oder der vorzunehmenden<br />
Umbauten, ggf. Haustyp und Bauweise (Nr. 1),<br />
• Art und Umfang der angebotenen Leistungen, ggf. der Planung und der Bauleitung, der Arbeiten<br />
am Grundstück und der Baustelleneinrichtung sowie der Ausbaustufe (Nr. 2),<br />
• Gebäudedaten, Pläne mit Raum-/Flächenangaben sowie Ansichten, Grundrisse und Schnitte (Nr. 3),<br />
• ggf. Angaben zum Energie-, Brandschutz- und Schallschutzstandard sowie zur Bauphysik (Nr. 4),<br />
• Angaben zur Beschreibung der Baukonstruktionen aller wesentlichen Gewerke (Nr. 5),<br />
• ggf. Beschreibung des Innenausbaus (Nr. 6),<br />
• ggf. Beschreibung der gebäudetechnischen Anlagen (Nr. 7),<br />
• Angaben zu Qualitätsmerkmalen, denen das Gebäude oder der Umbau genügen muss (Nr. 8),<br />
• ggf. Beschreibung der Sanitärobjekte, der Armaturen, der Elektroanlage, der Installationen, der<br />
Informationstechnologie und der Außenanlagen (Nr. 9).<br />
4. Baubeschreibung als zwingender Inhalt des Verbraucherbauvertrags<br />
Die Angaben der vorvertraglich zur Verfügung gestellten Baubeschreibung in Bezug auf die Bauausführung<br />
(s. oben unter 3.) sowie verbindliche Angaben zum Zeitpunkt der Vollendung bzw. der Dauer der<br />
Werkleistungen werden – vorbehaltlich einer ausdrücklichen anderweitigen Vereinbarung der Parteien –<br />
nach § 650k Abs. 1 BGB zwingend Inhalt des Verbraucherbauvertrags.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 87
Fach 5, Seite 258<br />
Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />
Bauvertragsrecht<br />
a) Unvollständige oder unklare Baubeschreibung<br />
Soweit die Baubeschreibung unvollständig oder unklar ist, ist der Vertrag nach § 650k Abs. 2 S. 1 BGB<br />
unter Berücksichtigung sämtlicher vertragsbegleitender Umstände – insbesondere des Komfort- und<br />
Qualitätsstandards nach der übrigen Leistungsbeschreibung – auszulegen (ergänzende Vertragsauslegung).<br />
Zweifel bei der Auslegung des Vertrags bezüglich der vom Unternehmer geschuldeten<br />
Leistung gehen zu dessen Lasten (§ 650k Abs. 2 S. 2 BGB – Unklarheitenregelung).<br />
Ein Fehlen der Baubeschreibung als vorvertragliche Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) kann Schadensersatzansprüche<br />
nach sich ziehen:<br />
• §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB: wenn kein Vertrag zustande gekommen ist bzw.<br />
• §§ 311 Abs. 1, 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB: wenn ein Vertrag zustande gekommen ist.<br />
b) Zeitpunkt der Fertigstellung/Dauer der Bauausführung<br />
Der Bauvertrag muss nach § 650k Abs. 3 S. 1 BGB verbindliche Angaben zum Zeitpunkt der Fertigstellung des<br />
Werks oder – wenn dieser Zeitpunkt zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bauvertrags noch nicht angegeben<br />
werden kann – zur Dauer der Bauausführung enthalten. Enthält der Vertrag diese Angaben nicht, werden<br />
gem. § 650k Abs. 3 S. 2 BGB die vorvertraglich in der Baubeschreibung übermittelten Angaben zum<br />
Zeitpunkt der Fertigstellung des Werks oder zur Dauer der Bauausführung Inhalt des Vertrags.<br />
5. Gesetzliches Widerrufsrecht<br />
Dem Verbraucher steht nach § 650l S. 1 BGB ein gesetzliches Widerrufsrecht gem. § 355 BGB zu, es sei<br />
denn, der Bauvertrag wurde notariell beurkundet (vgl. § 128 BGB, § 17 Abs. 2a Nr. 2 BeurkG). Die<br />
Widerrufsfrist beträgt zwei Wochen. Sie beginnt mit der ordnungsgemäßen Belehrung durch den<br />
Unternehmer (vgl. dazu im Folgenden unter a).<br />
a) Pflicht zur Widerrufsbelehrung<br />
Der Unternehmer muss den Verbraucher nach § 650l S. 2 BGB nach Maßgabe des Art. 249 § 3 EGBGB<br />
über sein Widerrufsrecht belehren. Art. 249 § 3 Abs. 1 EGBGB regelt die zeitlichen und formalen<br />
Mindestanforderungen an die Widerrufsbelehrung:<br />
• Art. 249 § 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB: Steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 650l S. 1 BGB zu, ist<br />
der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher vor Abgabe von dessen Vertragserklärung in<br />
Textform (§ 126b BGB) über sein Widerrufsrecht zu belehren.<br />
• Art. 249 § 3 Abs. 1 S. 2 EGBGB: Die Widerrufsbelehrung muss deutlich gestaltet sein (Deutlichkeitsgebot)<br />
und dem Verbraucher seine wesentlichen Rechte in einer an das benutzte Kommunikationsmittel<br />
angepassten Weise deutlich machen.<br />
• Art. 249 § 3 Abs. 1 S. 3 EGBGB: Es müssen folgende inhaltlichen Informationen über die wesentlichen<br />
Verbraucherrechte als Bestandteile einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung enthalten sein:<br />
• ein Hinweis auf das Recht des Verbrauchers zum Widerruf (Nr. 1),<br />
• ein Hinweis darauf, dass der Widerruf durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer erfolgt und<br />
keiner Begründung bedarf (Nr. 2),<br />
• der Name, die ladungsfähige Anschrift und die Telefonnummer desjenigen, gegenüber dem der<br />
Widerruf zu erklären ist, ggf. seine Telefaxnummer und E-Mail-Adresse (Nr. 3),<br />
• ein Hinweis auf die Dauer und den Beginn der Widerrufsfrist sowie darauf, dass zur Fristwahrung<br />
die rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung genügt (Nr. 4), und<br />
• ein Hinweis darauf, dass der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz nach § 357d BGB<br />
schuldet, wenn die Rückgewähr der bis zum Widerruf erbrachten Leistung ihrer Natur nach<br />
ausgeschlossen ist (Nr. 5).<br />
b) Musterwiderrufsbelehrung<br />
Der Unternehmer kann seine Belehrungspflicht auch dadurch erfüllen, dass er dem Verbraucher das in<br />
Anlage 10 (zu Artikel 249 § 3 EGBGB) vorgesehene Muster für die Widerrufsbelehrung zutreffend<br />
88 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 259<br />
Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />
ausgefüllt in Textform (§ 126b BGB) übermittelt (so Art. 249 § 3 Abs. 2 EGBGB – Musterwiderrufsbelehrung).<br />
Andererseits stellt die Formulierung in Art. 249 § 3 Abs. 3 EGBGB aber auch klar, dass keine<br />
Verpflichtung zur Nutzung der Widerrufsbelehrung besteht.<br />
Muster für die Widerrufsbelehrung bei Verbraucherbauverträgen:<br />
Widerrufsbelehrung<br />
Widerrufsrecht<br />
Sie haben das Recht, binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen diesen Vertrag zu widerrufen. Die<br />
Widerrufsfrist beträgt 14 Tage ab dem Tag des Vertragsabschlusses. Sie beginnt nicht zu laufen, bevor Sie<br />
diese Belehrung in Textform erhalten haben. Um Ihr Widerrufsrecht auszuüben, müssen Sie uns (*) mittels<br />
einer eindeutigen Erklärung (z.B. Brief, Telefax oder E-Mail) über Ihren Entschluss, diesen Vertrag zu<br />
widerrufen, informieren. Zur Wahrung der Widerrufsfrist reicht es aus, dass Sie die Erklärung über die<br />
Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absenden.<br />
Folgen des Widerrufs<br />
Wenn Sie diesen Vertrag widerrufen, haben wir Ihnen alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben,<br />
unverzüglich zurückzuzahlen. Sie müssen uns im Falle des Widerrufs alle Leistungen zurückgeben, die Sie bis<br />
zum Widerruf von uns erhalten haben. Ist die Rückgewähr einer Leistung ihrer Natur nach ausgeschlossen,<br />
lassen sich etwa verwendete Baumaterialien nicht ohne Zerstörung entfernen, müssen Sie Wertersatz dafür<br />
bezahlen.<br />
Gestaltungshinweis:<br />
(*) Fügen Sie Ihren Namen oder den Namen Ihres Unternehmens, Ihre Anschrift und Ihre Telefonnummer ein. Sofern<br />
verfügbar sind zusätzlich anzugeben: Ihre Telefaxnummer und E-Mail-Adresse.<br />
c) Besonderheiten in Bezug auf das Widerrufsrecht<br />
Nach § 356e S. 1 BGB beginnt beim Verbraucherbauvertrag die Widerrufsfrist nicht, bevor der<br />
Unternehmer den Verbraucher gem. Art. 249 § 3 EGBGB (s. oben a) über sein Widerrufsrecht belehrt hat.<br />
Das Widerrufsrecht erlischt gem. § 356e S. 2 BGB spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach dem in<br />
§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB genannten Zeitpunkt.<br />
Ist die Rückgewähr der bis zum Widerruf erbrachten Leistung ihrer Natur nach ausgeschlossen, schuldet<br />
der Unternehmer nach § 357d S. 1 BGB Wertersatz, bei dessen Berechnung die vereinbarte Vergütung<br />
zugrunde zu legen ist (so § 357d S. 2 BGB). Ist die vereinbarte Vergütung „unverhältnismäßig hoch“, ist<br />
der Wertersatz gem. § 357d S. 3 BGB auf der Grundlage des Marktwertes der erbrachten Leistung zu<br />
berechnen.<br />
6. Begrenzung der Abschlagszahlungen<br />
Verlangt der Unternehmer Abschlagszahlungen nach § 632a BGB, darf nach § 650m Abs. 1 BGB zum<br />
Schutz des Verbrauchers vor überhöhten Abschlagszahlungen (Überzahlung) deren Gesamtbetrag<br />
90 % der vereinbarten Gesamtvergütung einschließlich der Vergütung für Nachtragsleistungen (§ 650c<br />
BGB – Nachträge, s. oben II. 5.) nicht übersteigen.<br />
7. Absicherung des Vergütungsanspruchs<br />
Dem Verbraucher ist bei der ersten Abschlagszahlung nach § 650m Abs. 2 BGB eine Sicherheit für die<br />
rechtzeitige Herstellung des Werks ohne wesentliche Mängel i.H.v. 5 % der vereinbarten Gesamtvergütung<br />
zu leisten. Erhöht sich der Vergütungsanspruch infolge einer Anordnung des Verbrauchers nach<br />
den §§ 650b, c BGB (s. oben II. 4. und 5.) oder infolge sonstiger Änderungen oder Ergänzungen des<br />
Vertrags um mehr als 10 %, ist dem Verbraucher bei der nächsten Abschlagszahlung eine weitere<br />
Sicherheit i.H.v. 5 % des zusätzlichen Vergütungsanspruchs zu leisten. Auf Verlangen des Unternehmers ist<br />
die Sicherheitsleistung durch Einbehalt dergestalt zu erbringen, dass der Verbraucher die Abschlagszahlungen<br />
bis zu dem Gesamtbetrag der geschuldeten Sicherheit zurückhält.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 89
Fach 5, Seite 260<br />
Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />
Bauvertragsrecht<br />
Hinweis:<br />
Sicherheiten nach § 650m Abs. 2 BGB können gem. § 650m Abs. 3 BGB auch durch eine Garantie oder ein<br />
sonstiges Zahlungsversprechen eines im Geltungsbereich des BGB zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts<br />
oder Kreditversicherers geleistet werden.<br />
Verlangt der Unternehmer Abschlagszahlungen nach § 632a BGB, ist gem. § 650m Abs. 4 S. 1 BGB eine<br />
Vereinbarung unwirksam, die den Verbraucher zu einer Sicherheitsleistung für die vereinbarte Vergütung<br />
verpflichtet, die die nächste Abschlagszahlung oder 20 % der vereinbarten Vergütung übersteigt. Gleiches<br />
gilt nach § 650m Abs. 4 S. 2 BGB, wenn die Parteien Abschlagszahlungen vereinbart haben.<br />
8. Unwirksamkeit klauselmäßiger Abbedingung von § 632a Abs. 1 und § 650m Abs. 1, 2 BGB<br />
Auch soweit eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften zulässig ist, ist nach § 309 Nr. 15 BGB in<br />
AGB eine Bestimmung unwirksam, nach der der Verwender bei einem Werkvertrag<br />
• für Teilleistungen Abschlagszahlungen vom anderen Vertragsteil verlangen kann, die wesentlich höher<br />
sind als die nach § 632a Abs. 1 und § 650m Abs. 1 BGB zu leistenden Abschlagszahlungen (Nr. 1), oder<br />
• die Sicherheitsleistung nach § 650m Abs. 2 BGB nicht oder nur in geringerer Höhe leisten muss (Nr. 2).<br />
9. Erstellung/Herausgabe von Unterlagen<br />
Rechtzeitig vor Beginn der Ausführung einer geschuldeten Leistung hat der Unternehmer nach § 650n<br />
Abs. 1 S. 1 BGB diejenigen Planungsunterlagen zu erstellen und dem Verbraucher herauszugeben, die<br />
dieser benötigt, um gegenüber Behörden den Nachweis führen zu können, dass die Leistung unter<br />
Einhaltung der einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ausgeführt werden wird. Die Pflicht<br />
besteht gem. § 650n Abs. 1 S. 2 BGB nicht, soweit der Verbraucher oder ein von ihm Beauftragter die<br />
wesentlichen Planungsunterlagen erstellt.<br />
Spätestens mit der Fertigstellung des Werks hat der Unternehmer nach § 650n Abs. 2 BGB diejenigen<br />
Unterlagen zu erstellen und dem Verbraucher herauszugeben, die dieser benötigt, um gegenüber<br />
Behörden den Nachweis führen zu können, dass die Leistung unter Einhaltung der einschlägigen<br />
öffentlich-rechtlichen Vorschriften ausgeführt worden ist.<br />
§ 650n Abs. 1, 2 BGB gelten nach § 650n Abs. 3 BGB entsprechend, wenn ein Dritter – etwa ein<br />
Darlehensgeber – Nachweise für die Einhaltung bestimmter Bedingungen verlangt und wenn der<br />
Unternehmer die berechtigte Erwartung des Verbrauchers geweckt hat, diese Bedingungen einzuhalten.<br />
10. Abweichende Vereinbarungen<br />
Zum Nachteil des Verbrauchers kann nach § 650o S. 1 BGB nicht von den §§ 640 Abs. 2 S. 2, 650i–l und<br />
650n BGB abgewichen werden. Diese Vorschriften finden gem. § 650o S. 2 BGB auch Anwendung, wenn<br />
sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.<br />
IV. Resümee<br />
Der Gesetzgeber hat mit seiner Reform erstmals ein eigenständiges und gesetzlich normiertes<br />
Bauvertrags- (Kap. 2, §§ 650a–h BGB) und Verbraucherbauvertragsrecht (Kap. 3, §§ 650i–n BGB) im<br />
Werkvertragsrecht geschaffen. Praktisch bedeutsam sind in Bezug auf den Bauvertrag allgemein die<br />
Einführung eines Anordnungsrechts für den Besteller (§ 650b Abs. 2 BGB) einschließlich der Regelungen<br />
zur Preisanpassung bei Mehr- und Minderleistungen (§ 650c BGB) sowie für den Verbraucherbauvertrag<br />
im Interesse eines spezifischen Verbraucherschutzes auf dem Bau die Einführung einer Baubeschreibungspflicht<br />
des Unternehmers (§ 650j BGB i.V.m. Art. 249 § 2 EGBGB), der Inhalt des Verbraucherbauvertrags<br />
wird (§ 650k BGB), sowie der Pflicht zur verbindlichen Regelung der Bauzeit durch die Parteien<br />
(§ 650j BGB i.V.m. Art. 249 § 2 Abs. 2 EGBGB). Dem Verbraucher wird im Übrigen ein besonderes<br />
Widerrufsrecht (§ 650l BGB) eingeräumt.<br />
90 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Zwangsvollstreckung/Insolvenz Fach 14, Seite 799<br />
Forderungsanmeldung<br />
Insolvenzrecht<br />
Die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren<br />
Von Professor Dr. HEINZ VALLENDER, Universität zu Köln<br />
Inhalt<br />
I. Einführung<br />
II. Forderungsanmeldung und -prüfung<br />
1. Anmeldeberechtigung<br />
2. Anmeldung beim Insolvenzverwalter<br />
3. Form und Inhalt<br />
4. Zeitpunkt<br />
5. Wirkung<br />
6. Prüfung und Feststellung der angemeldeten<br />
Forderung<br />
7. Kosten und Gebühren<br />
8. Grenzüberschreitende Forderungsanmeldung<br />
III. Anmeldung von Forderungen aus vorsätzlich<br />
begangener unerlaubter Handlung<br />
1. Anforderungen an den Sachvortrag<br />
2. Hinweispflicht des Gerichts,<br />
§ 175 Abs. 2 InsO<br />
3. Widerspruch des Schuldners<br />
I. Einführung<br />
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners können dessen Gläubiger ihre<br />
Forderungen nur noch nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen (§ 87 InsO). Der<br />
Gesetzgeber hat hierzu ein formalisiertes Verfahren der Forderungsanmeldung und Forderungsprüfung<br />
eingeführt, damit schnell und sicher feststellbar ist, wer als Gläubiger am Insolvenzverfahren beteiligt ist<br />
und Rechte geltend machen kann (LAROCHE,in:VALLENDER/UNDRITZ, Praxis des Insolvenzrechts, 2. Aufl. 2017, § 2<br />
Rn 96). Wer sich an diesem Verfahren nicht beteiligt, unterliegt zwar dessen Rechtswirkungen, nimmt aber<br />
an der Verteilung nicht teil (BGH v. 24.10.1978 – VI ZR 67/77, NJW 1979, 162; SINZ, in: UHLENBRUCK, InsO, 14. Aufl.<br />
2015, § 174 Rn 1). Maßgeblich für das Anmeldungs- und Feststellungsverfahren sind die §§ 174 ff. InsO.<br />
II.<br />
Forderungsanmeldung und -prüfung<br />
1. Anmeldeberechtigung<br />
Zur Anmeldung von Forderungen in einem Insolvenzverfahren sind nur die Insolvenzgläubiger berechtigt,<br />
d.h. die persönlichen Gläubiger des Schuldners, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (§ 38 InsO). Gesamtschuldner und Bürgen<br />
können ihre Forderung zur Insolvenztabelle anmelden, wenn sie den Gläubiger vor oder nach Eröffnung<br />
des Insolvenzverfahrens voll befriedigt haben und deshalb bei dem Haupt- bzw. Mitschuldner aus dem<br />
jeweiligen Innenverhältnis oder aus übergegangenem Recht Regress nehmen können, §§ 426 Abs. 1 S. 2,<br />
774 Abs. S. 1 BGB (SINZ, in: UHLENBRUCK, § 174 Rn 11). Nachrangige Gläubiger (§ 39 InsO) sind nur<br />
anmeldeberechtigt, wenn sie ausdrücklich zur Anmeldung aufgefordert wurden (§ 174 Abs. 3 InsO).<br />
Einer Titulierung der Forderung bedarf es nicht. Allein die Anmeldung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle<br />
(§ 174 InsO) ermöglicht den Gläubigern die Durchsetzung ihrer Vermögensansprüche<br />
gegen den Schuldner im Insolvenzverfahren (BGH, Beschl. v. 3.4.2014 – IX ZB 93/13, ZIP 2014, 1185; Urt. v.<br />
21.2.2013 – IX ZR 92/12, NZI 2013, 388). Erhebt der Gläubiger gleichwohl Klage gegen den Schuldner, ist<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 91
Fach 14, Seite 800<br />
Forderungsanmeldung<br />
Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />
diese unzulässig, weil dem Schuldner die passive Prozessführungsbefugnis und dem Gläubiger das<br />
Rechtsschutzbedürfnis fehlt (BGH, Beschl. v. 11.12.2008 – IX ZB 232/08, ZIP 2009, 240, 241 Rn 7). Die<br />
Geltendmachung einer Insolvenzforderung außerhalb des Insolvenzverfahrens wird auch nicht dadurch<br />
zulässig, dass der Gläubiger ausdrücklich auf die Teilnahme am Verfahren verzichtet (BREITENBÜCHER, in:<br />
GRAF-SCHLICKER, InsO, 4. Aufl. 2014, § 87 Rn 1 m.w.N.).<br />
Aus- und Absonderungsberechtigte sowie Masse- oder Neugläubiger unterliegen nicht der Durchsetzungssperre<br />
des § 87 InsO. Absonderungsberechtigte können ihre Forderung zur Insolvenztabelle<br />
anmelden, soweit ihnen der Schuldner persönlich haftet (§ 52 S. 1 InsO). Allerdings ist die verhältnismäßige<br />
Befriedigung auf den Ausfall bei der abgesonderten Befriedigung beschränkt. Da aufrechnungsbefugte<br />
Gläubiger (§§ 94, 95 InsO) die Möglichkeit der Befriedigung außerhalb des Insolvenzverfahrens<br />
haben, sind sie nicht zur Forderungsanmeldung berechtigt.<br />
2. Anmeldung beim Insolvenzverwalter<br />
Die Anmeldung der Forderung hat schriftlich beim Insolvenzverwalter, dem zunächst die Führung der<br />
Insolvenztabelle nach § 175 InsO obliegt, zu erfolgen (§ 174 Abs. 1 S. 1 InsO). Sie ist auch dann erforderlich,<br />
wenn dem Insolvenzverwalter das Bestehen der Forderung bereits bekannt ist und er die Forderung in das<br />
von ihm gem. § 152 InsO zu führende Gläubigerverzeichnis aufgenommen hatte (VOIGT-SALUS, in: PAPE/<br />
UHLENBRUCK/VOIGT-SALUS, 2.Aufl. 2010, Kap. 28 Rn 4). Eine irrtümlich an das Insolvenzgericht gerichtete<br />
Forderungsanmeldung ist unwirksam. Im Regelfall wird das Gericht die Anmeldung an den Insolvenzverwalter<br />
weiterleiten. Ein Anspruch hierauf besteht allerdings nicht. Eine nicht oder verspätet weitergeleitete<br />
Forderungsanmeldung kann Auswirkungen auf die Hemmung der Verjährung der Forderung<br />
haben (vgl. § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB).<br />
Praxishinweis:<br />
Aus diesem Grund ist Gläubigern dringend zu empfehlen, die Forderungsanmeldung unmittelbar an den<br />
Insolvenzverwalter zu richten. Bleibt ein Insolvenzverwalter nach nicht bestrittenem Vorbringen des<br />
Gläubigers gänzlich untätig und trägt er eine angemeldete titulierte Forderung entgegen § 175 Abs. 1 S. 1 InsO<br />
nicht einmal in die Tabelle ein, ist der Gläubiger der Forderung zur Aufnahme des Rechtsstreits gegen den<br />
Insolvenzverwalter befugt (BAG, Beschl. v. 28.8.2013 – 5 AZN 426/13 (F), ZInsO 2013, 2456).<br />
3. Form und Inhalt<br />
Die Forderungsanmeldung hat schriftlich in deutscher Sprache (vgl. § 184 GVG) zu erfolgen (§ 174 Abs. 1<br />
InsO). Die Übermittlung per Telefax genügt diesen Anforderungen (vgl. BGH, Beschl. v. 15.7.2008 – XZB<br />
8/08, NJW 2008, 2649). Der Anmeldung sind die Unterlagen, aus denen sich die Forderung ergibt, im<br />
Abdruck beizufügen (§ 174 Abs. 1 S. 2 InsO) – eine Vorlage der Originalunterlagen ist nicht erforderlich<br />
(BGH, Urt. v. 1.12.2005 – IX ZR 95/04, ZIP 2006, 192).<br />
Praxishinweis:<br />
Bestreitet indes der Insolvenzverwalter die Forderung unter Hinweis darauf, dass er deren Berechtigung nicht<br />
hinreichend nachprüfen könne, empfiehlt sich dringend die Vorlage der Originalurkunden (GRAF-SCHLICKER, in:<br />
GRAF-SCHLICKER, a.a.O., § 174 Rn 13).<br />
Die Anmeldung kann auch durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments erfolgen (z.B. per E-<br />
Mail), wenn der Insolvenzverwalter einer solchen Übermittlung ausdrücklich zugestimmt hat. In diesem<br />
Fall sollen die Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, unverzüglich nachgereicht werden (§ 174<br />
Abs. 4 InsO). Die Anmeldung hat die Forderung nach Grund (Angabe des Lebenssachverhaltes, aus dem die<br />
Forderung resultiert) und Betrag (in Euro) auszuweisen (§ 174 Abs. 2 InsO). Forderungen in Fremdwährung<br />
sind mit dem amtlichen Kurs am Eröffnungstag umzurechnen (§ 45 Abs. 1 S. 2 InsO). Hauptforderung,<br />
Kosten und Zinsen müssen getrennt angemeldet werden. Bei den nach dem Eröffnungszeitpunkt anfallenden<br />
Zinsen handelt es sich um nachrangige Forderungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Zinsen müssen nur<br />
ausgerechnet werden, wenn sie ausnahmsweise als Hauptforderung geltend gemacht werden (LAROCHE, in:<br />
VALLENDER/UNDRITZ, a.a.O., § 2 Rn 100).<br />
92 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Zwangsvollstreckung/Insolvenz Fach 14, Seite 801<br />
Forderungsanmeldung<br />
Praxishinweis:<br />
Der Gläubiger sollte konkret und individuell einen Sachverhalt vortragen, der eine Prüfung des Anspruchs<br />
durch den Insolvenzverwalter und die anderen Gläubiger ermöglicht. Aus diesem Grund reicht die Vorlage<br />
von Rechnungen nicht aus, wenn sich Umstände und Grund ihrer Ausstellung nicht erkennen lassen. Eine<br />
Bezugnahme auf Unterlagen ist nur zulässig, wenn daraus die notwendigen Tatsachen eindeutig und<br />
vollständig zu entnehmen sind (BGH, Urt. v. 22.1.2009 – IX ZR 3/08, ZIP 2009, 483). Wird eine Forderung aus<br />
fremdem Recht geltend gemacht, bedarf es näheren Sachvortrags zum Rechtserwerb des Gläubigers.<br />
4. Zeitpunkt<br />
Die Gläubiger werden im Insolvenzeröffnungsbeschluss aufgefordert, ihre Forderungen beim Insolvenzverwalter<br />
innerhalb der angegebenen Frist anzumelden (§ 28 Abs. 1 InsO). Hierbei handelt es sich aber<br />
nicht um eine Ausschlussfrist. Vielmehr bleibt es den Gläubigern unbenommen, auch nach Ablauf der<br />
Anmeldefrist oder sogar nach dem Prüfungstermin ihre Forderungen anzumelden (§ 177 Abs. 1 InsO). Für<br />
die nachträgliche Anmeldung der Forderung gilt: Auch diese Forderung ist im Prüfungstermin zu<br />
prüfen, es sei denn, der Insolvenzverwalter oder ein Insolvenzgläubiger widerspricht dieser Prüfung oder<br />
die Forderung wird erst nach dem Prüfungstermin angemeldet. Erfolgt die Forderungsanmeldung,<br />
nachdem das Schlussverzeichnis veröffentlicht und niedergelegt worden war, nimmt die Forderung an<br />
der Schlussverteilung nicht teil (BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, NJW-RR 2007, 1064). Dies gilt<br />
gleichermaßen, wenn der Insolvenzverwalter nach Veröffentlichung und Niederlegung des Schlussverzeichnisses<br />
innerhalb der Frist des § 189 InsO eine zunächst bestrittene und dann anerkannte<br />
Forderung nachträglich feststellt (LG Krefeld, Beschl. v. 9.2.2011 – 7 T 23/11, ZInsO 2011, 870).<br />
5. Wirkung<br />
Die wirksame Forderungsanmeldung gewährt dem anmeldenden Gläubiger ein Teilnahmerecht am<br />
Verfahren. Dies betrifft nicht nur das Stimmrecht in der Gläubigerversammlung (§ 77 Abs. 1 S. 1 InsO),<br />
sondern erstreckt sich gleichermaßen auf die Befugnis, einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung<br />
zu stellen, wenn der Schuldner einen der Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 Nr. 1–7<br />
InsO verwirklicht oder seine Obliegenheiten (§ 295 InsO) verletzt hat (BGH, Beschl. v. 17.3.2005 – IX ZB<br />
214/04, NZI 2005, 399). Darüber hinaus führt die ordnungsgemäße, rechtzeitige und vollständige<br />
Forderungsanmeldung (BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 92/12, NJW-RR 2013, 992) zur Hemmung der<br />
Verjährung bis sechs Monate nach Beendigung des Verfahrens (§ 204 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 S. 1 BGB).<br />
6. Prüfung und Feststellung der angemeldeten Forderung<br />
Der Insolvenzverwalter hat jede angemeldete Forderung mit den in § 174 Abs. 2 und 3 InsO genannten<br />
Angaben in eine Tabelle einzutragen (§ 175 Abs. 1 S. 1 InsO). Die Tabelle ist mit den Anmeldungen sowie<br />
den beigefügten Urkunden innerhalb des ersten Drittels des Zeitraums, der zwischen dem Ablauf der<br />
Anmeldefrist und dem Prüfungstermin liegt, in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht der<br />
Beteiligten niederzulegen (§ 175 Abs. 1 S. 2 InsO).<br />
a) Prüfungstermin<br />
Im Prüfungstermin, der dazu dient, die Forderungsrechte der Insolvenzgläubiger festzuschreiben, um eine<br />
Grundlage für die Verteilung der Insolvenzmasse nach §§ 187 ff. InsO zu schaffen (GRAF-SCHLICKER, in: GRAF-<br />
SCHLICKER, a.a.O., § 176 Rn 1), werden die angemeldeten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach<br />
geprüft (§ 176 S. 1 InsO). Gegenstand der Prüfung ist nicht die Begründetheit der Forderung; vielmehr<br />
beschränkt sich die Prüfung auf die formale Zulässigkeit. Der Prüfungstermin wird vom Rechtspfleger<br />
geleitet. Eine Teilnahme des Gläubigers, der seine Forderung angemeldet hat, ist nicht zwingend erforderlich.<br />
Der Insolvenzverwalter, im Falle der Eigenverwaltung (§ 270 InsO) der Sachwalter, die Insolvenzgläubiger<br />
und der Schuldner können der angemeldeten Forderung widersprechen.<br />
Da der Widerspruch eine Prozesshandlung ist, gelten für ihn die allgemeinen Voraussetzungen einer<br />
jeden Prozesshandlung. Der Widerspruch ist grundsätzlich mündlich im Termin zu erklären, es sei denn,<br />
das Gericht hat die Forderungsprüfung im schriftlichen Verfahren ausdrücklich angeordnet (§ 5 Abs. 2<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 93
Fach 14, Seite 802<br />
Forderungsanmeldung<br />
Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />
InsO). Widersprechen weder Verwalter noch Gläubiger der Forderung, ist sie festgestellt. Mit<br />
Eintragung des Feststellungsvermerks durch das Gericht, das lediglich protokollierend tätig wird und<br />
keine eigene Prüfungskompetenz hat, wirkt die Eintragung in die Tabelle wie ein rechtskräftiges Urteil<br />
gegenüber Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern (§ 178 Abs. 3 InsO). Die festgestellte<br />
Forderung nimmt ohne Weiteres an der Verteilung teil (§ 188 S. 1 InsO). Ein Widerspruch des Schuldners<br />
steht der Feststellung der Forderung nicht entgegen. Will indes der Gläubiger nach Aufhebung des<br />
Insolvenzverfahrens aus dem Tabelleneintrag die Vollstreckung betreiben, hat er den Widerspruch des<br />
Schuldners rechtzeitig zu beseitigen (§§ 184 Abs. 1, 201 Abs. 2 S. 2 InsO). Widerspricht der Verwalter oder<br />
ein Gläubiger der Forderung, gilt die Forderung als bestritten. Der Widerspruch wird im Tabellenblatt<br />
vermerkt. Häufig bestreiten Insolvenzverwalter die vom Gläubiger angemeldete Forderung „vorläufig“.<br />
Im Gesetz ist diese Form des Bestreitens nicht vorgesehen. Sie dient regelmäßig dazu, zunächst Zeit zu<br />
gewinnen, weil die Berechtigung der Forderung bis zum Prüfungstermin nicht abschließend geprüft<br />
werden konnte. Das vorläufige Bestreiten ist wie uneingeschränktes Bestreiten zu behandeln.<br />
Praxishinweis:<br />
Um abschließende Klarheit zu erlangen, sollte der Gläubiger der bestrittenen Forderungen den Bestreitenden<br />
vor Erhebung einer Klage auf Feststellung der Forderung unter Fristsetzung auffordern, sich endgültig zu<br />
erklären. Ansonsten läuft er Gefahr, dass der Bestreitende im Prozess die Forderung unter Verwahrung gegen<br />
die Kostenlast gem. § 93 ZPO sofort anerkennt und den Kläger die Kostenlast trifft (BGH, Beschl. v. 9.2.2006<br />
– IX ZB 160/04, BB 2006, 798 Rn 10).<br />
b) Feststellungsklage bei Widerspruch<br />
Ist die Forderung bestritten und bislang nicht tituliert, bleibt es dem Gläubiger überlassen, die<br />
Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben (§ 179 Abs. 1 InsO). Ist die bestrittene Forderung<br />
hingegen tituliert, ist es am Bestreitenden, seinen Widerspruch im Wege der Feststellungsklage<br />
gerichtlich zu verfolgen (§ 179 Abs. 2 InsO). Hat der Insolvenzverwalter zwar Widerspruch erhoben, es<br />
jedoch versäumt, den Widerspruch durchzusetzen, muss er die Forderung als festgestellt berücksichtigen<br />
(CASTRUP, in: GRAF-SCHLICKER, a.a.O., § 189 Rn 8).<br />
Die Klage auf Feststellung der Forderung ist vor dem Prozessgericht zu erheben. Örtlich zuständig ist das<br />
Amtsgericht, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist (§ 180 Abs. 1 InsO). Gehört das Verfahren in die<br />
sachliche Zuständigkeit des Landgerichts, ist das entsprechende LG zuständig. Ist für die Feststellung einer<br />
Forderung der Rechtsweg zum ordentlichen Gericht nicht gegeben, ist die Feststellung der Forderung von<br />
den Gerichten der anderen Rechtszweige oder von den zuständigen Verwaltungsbehörden vorzunehmen<br />
(§ 185 S. 1 InsO). Die Klage ist spätestens bis zum Ende der Ausschlussfrist des § 189 Abs. 1 InsO zu erheben.<br />
Praxishinweise:<br />
• Bei nicht titulierten Forderungen geht der Klageantrag dahin festzustellen, dass dem Gläubiger die im<br />
Insolvenzverfahren angemeldete Forderung zusteht.<br />
• Bei titulierten Forderungen sollte beantragt werden, den Widerspruch des Klägers hinsichtlich der titulierten<br />
Forderung des Klägers i.H.v. … € für begründet zu erklären.<br />
Der Wert des Streitgegenstands einer Klage auf Feststellung einer Forderung, deren Bestand vom<br />
Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden ist, bestimmt sich nach dem<br />
Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist (§ 182 InsO). Zwar<br />
wird das Gericht regelmäßig die Angaben des Insolvenzverwalters zur Grundlage seiner Schätzung<br />
machen. Zwingend ist dies aber nicht. Vielmehr hat das Gericht bei der Wertbestimmung sämtliche<br />
Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen (BGH, Beschl. v. 25.9.2013 – VII ZR 340/12, IBR 2014, 58).<br />
War im Zeitpunkt der Eröffnung bereits ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig und wurde die<br />
Forderung im Insolvenzverfahren angemeldet, geprüft und bestritten, kann der Gläubiger die Feststellung<br />
nur durch Aufnahme des Rechtsstreits betreiben (§ 180 Abs. 2 InsO). Liegt bereits ein Titel vor, ist der<br />
94 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Zwangsvollstreckung/Insolvenz Fach 14, Seite 803<br />
Forderungsanmeldung<br />
Bestreitende zur Aufnahme befugt (OVG Bautzen, Urt. v. 6.5.2015 – 5 A 439/12, DÖV 2016, 487). Die<br />
sachliche und örtliche Zuständigkeit des ursprünglich angerufenen Gerichts bleibt unverändert. Mit der<br />
Aufnahme des Rechtsstreits ist der Klageantrag umzustellen. Der Streitwert für die Zeit nach der<br />
Aufnahme richtet sich nach § 182 InsO.<br />
c) Rechtskrafterstreckung und Berichtigung der Tabelle<br />
§ 183 InsO regelt die Wirkung der Entscheidungen in einem Insolvenzfeststellungsprozess. Danach wirkt<br />
eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet<br />
erklärt wird, gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. Die Rechtskraft des Nichtbestehens<br />
einer Forderung eines Gläubigers wirkt auch gegenüber dem Schuldner (BGH WM 1958, 696).<br />
§ 183 Abs. 3 InsO sieht vor, dass die Gläubiger (nicht der Insolvenzverwalter), die den Rechtsstreit geführt<br />
und im Feststellungsstreit gegen den Anmeldegläubiger obsiegt haben, die Erstattung ihrer Kosten aus der<br />
Insolvenzmasse insoweit verlangen können, als der Masse durch die Entscheidung ein Vorteil erwachsen ist.<br />
Der Vorteil der Masse ist die Quote, die ohne den Widerspruch auf den angemeldeten Anspruch entfallen<br />
wäre und nun nicht mehr zu zahlen ist (MüKo-InsO/SCHUMACHER, 3.Aufl. 2013, § 183 Rn 11).<br />
Die obsiegende Partei hat beim Insolvenzgericht, auf das die Zuständigkeit zur Tabellenführung nach<br />
dem Prüfungstermin übergegangen ist, die Berichtigung der Tabelle zu beantragen (§ 183 Abs. 2 InsO).<br />
Sie hat dem Berichtigungsantrag eine Urteilsausfertigung mit Rechtskraftvermerk beizufügen (§ 706<br />
ZPO). Eine Berichtigung von Amts wegen sieht das Gesetz nicht vor. Einzutragen ist auch die<br />
Feststellung, dass ein Widerspruch begründet sei. Nimmt das Gericht die Berichtigung vor, ist dagegen<br />
kein Rechtsmittel gegeben (GRAF-SCHLICKER, in: GRAF-SCHLICKER, a.a.O., § 183 Rn 9).<br />
7. Kosten und Gebühren<br />
Widerspricht der Verwalter oder ein anderer Gläubiger einer nachträglich angemeldeten Forderung, ist<br />
diese in einem gesonderten Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren zu prüfen, § 177 Abs. 1 S. 2 InsO.<br />
Die hierfür anfallenden Kosten (20 € gem. Nr. 2340 KV GKG) sind vom verspätet anmeldenden Gläubiger zu<br />
zahlen. Beschränkt sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Insolvenzverfahren allein auf die Anmeldung der<br />
Forderung, greift die Sonderregelung nach Nr. 3320 VV RVG ein. Die Gebühr beträgt lediglich 0,5. Sie<br />
entsteht nur für die Anmeldung. Erteilt der Rechtsanwalt lediglich einen Rat oder eine Auskunft zur<br />
Anmeldung, entsteht eine Ratsgebühr nach Nr. 2100, 2102 VV RVG. Beauftragt der Gläubiger seinen<br />
Rechtsanwalt nach erfolgter Forderungsanmeldung, für ihn im Insolvenzverfahren tätig zu werden, geht in<br />
der dann entstehenden Gebühr nach Nr. 3317 VV RVG i.H.v. 1,0 die zuvor entstandene Gebühr nach Nr. 3320<br />
VV RVG unter.<br />
Im Falle der Aufnahme des Rechtsstreits nach Maßgabe des § 180 Abs. 2 InsO sind die Kosten im<br />
Regelfall einheitlich zu behandeln. Sie können nicht danach aufgeteilt werden, ob sie vor oder nach der<br />
Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind (BGH, Beschl. v. 9.2.2006 – IX ZB 160/04, ZIP 2006,<br />
576, 578 Rn 15).<br />
8. Grenzüberschreitende Forderungsanmeldung<br />
Im Anwendungsbereich der EuInsVO richtet sich die Forderungsanmeldung nach Art. 53 bis 55. Danach<br />
stehen ausländischen Gläubigern für die Anmeldung ihrer Forderungen alle im Staat der Verfahrenseröffnung<br />
zugelassenen Kommunikationsmittel zur Verfügung. Dies ermöglicht auch die elektronische Einreichung<br />
einer Forderungsanmeldung. Ausländische Gläubiger haben die Möglichkeit, nicht aber die Pflicht („können“),<br />
ihre Forderung unter Verwendung des in Art. 55 Abs. 1 EuInsVO genannten Standardformulars anzumelden.<br />
Die Ausgestaltung und Festlegung des Standardformulars erfolgt nach der vorgenannten Bestimmung in<br />
dem nach Art. 88 EuInsVO vorgesehenen Verfahren durch einen Durchführungsakt der EU-Kommission.<br />
Hinweis:<br />
Das Formular trägt den Titel „Forderungsanmeldung“ in sämtlichen Amtssprachen der Organe der Union.<br />
Allein für die Anmeldung einer Forderung bedarf es keiner Vertretung durch einen Rechtsbeistand.<br />
Etwaige im nationalen Recht bestehende Anforderungen an eine solche Vertretung können daher<br />
zumindest für ausländische Gläubiger aufgrund der vorrangigen Vorgabe der EuInsVO nicht aufrecht-<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 95
Fach 14, Seite 804<br />
Forderungsanmeldung<br />
Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />
erhalten werden (RIEWE, in: VALLENDER [Hrsg.], EuInsVO, 2017, Art. 53 Rn 2). Lässt sich der Gläubiger durch<br />
einen Rechtsanwalt vertreten, ist nach deutschem Recht eine Vollmacht nur auf Rüge des Insolvenzverwalters<br />
oder eines Insolvenzgläubigers vorzulegen (§ 4 InsO, § 88 Abs. 2 ZPO).<br />
Welche Stelle für die Entgegennahme der Forderungsanmeldungen zuständig ist, ergibt sich aus dem<br />
Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (Art. 7 Abs. 2 lit. h EuInsVO). Hierüber sind die ausländischen<br />
Gläubiger im Rahmen der Unterrichtung nach Art. 54 EuInsVO zu unterrichten. Für ausländische<br />
Gläubiger beträgt die Anmeldefrist 30 Tage nach Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />
im Insolvenzregister des Staats der Verfahrenseröffnung (Art. 55 Abs. 6 S. 2 EuInsVO).<br />
Die inhaltlichen Anforderungen an die Forderungsanmeldung richten sich – unabhängig davon, ob der<br />
Gläubiger das Standardformular verwendet – nach Art. 55 Abs. 2 EuInsVO. Ebenso wie das deutsche<br />
Recht sieht auch die EuInsVO die Beifügung von Unterlagen (in Kopie) vor. Der Gläubiger kann die<br />
Forderungsanmeldung in jeder Amtssprache der Organe der Union vornehmen (Art. 55 Abs. 5 EuInsVO).<br />
Praxishinweis:<br />
Die Verwendung des Standardformulars erfüllt die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Forderungsanmeldung.<br />
Gläubiger sollten allerdings beachten, dass die Verwalter oder das Gericht nicht verpflichtet sind,<br />
den Gläubiger auf eine unvollständige Forderungsanmeldung hinzuweisen. Deshalb ist auch wegen der<br />
Wirkungen einer ordnungsgemäßen Forderungsanmeldung (Hemmung der Verjährung, § 204 Abs. 1 Nr. 10<br />
BGB) darauf zu achten, das Formular vollständig auszufüllen.<br />
Literaturhinweis:<br />
Zur Europäischen Insolvenzverordnung s. VALLENDER <strong>ZAP</strong> F. 14, S. 789.<br />
III. Anmeldung von Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung<br />
Bei Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung, aus vorsätzlich begangener pflichtwidriger<br />
Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht oder einer Steuerstraftat des Schuldners nach<br />
§§ 370, 373 oder 374 AO gilt die Besonderheit, dass die Gläubiger nicht nur den Grund und Betrag ihrer<br />
Forderung anzugeben haben, sondern auch die Tatsachen, aus denen sich nach ihrer Einschätzung ergibt,<br />
dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners (als natürliche Person) zugrunde<br />
liegt (§ 174 Abs. 2 InsO). Nur auf diese Weise kann der Gläubiger erreichen, dass derartige Forderungen von<br />
der Restschuldbefreiung nicht erfasst werden (§ 302 Nr. 1 InsO). Die entsprechenden Angaben kann er<br />
nachtragen. Der Insolvenzverwalter ist in diesem Fall verpflichtet, auch für eine bereits zur Tabelle<br />
festgestellte Forderung nachträglich angemeldete Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des<br />
Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners zugrunde liegt,<br />
in die Tabelle einzutragen (BGH, Urt. v. 17.1.2008 – IX ZR 220/06, ZIP 2008, 566 Rn 13). Unterlässt der<br />
Gläubiger die Angaben, wird die Forderung von der Restschuldbefreiung erfasst.<br />
1. Anforderungen an den Sachvortrag<br />
Der Gläubiger hat im Einzelnen einen Lebenssachverhalt darzulegen, aus dem sich nach seiner Einschätzung<br />
rechtlich herleiten lässt, dass der Schuldner den Tatbestand einer vorsätzlich unerlaubten<br />
Handlung verwirklicht hat (GRAF-SCHLICKER, in: GRAF-SCHLICKER, a.a.O., § 174 Rn 17), und der Schuldner<br />
erkennen kann, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird. Denn mit dem Grund der Forderung ist der<br />
Klagegrund und damit der Sachverhalt gemeint, aus dem die Forderung entspringt. Da die Anmeldung<br />
eine Form der Rechtsverfolgung darstellt und der Gläubiger aus der Eintragung als Titel die Zwangsvollstreckung<br />
betreiben kann (§ 178 Abs. 3 InsO), muss die Forderung zur Bestimmung der Reichweite der<br />
Rechtskraft eindeutig konkretisiert werden (BGH, Urt. v. 27.9.2001 – IX ZR 71/00, NZI 2002, 37).<br />
Die Individualisierung der Forderung dient daneben dem Zweck, den Verwalter und die übrigen<br />
Insolvenzgläubiger in den Stand zu versetzen, den geltend gemachten Schuldgrund einer Prüfung zu<br />
96 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Zwangsvollstreckung/Insolvenz Fach 14, Seite 805<br />
Forderungsanmeldung<br />
unterziehen (BGH, Urt. v. 22.1.2009 – IX ZR 3/08, NZI 2009, 242). Allein die Angabe von Normen (wie z.B.<br />
§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB) reicht nicht aus. Dagegen bedarf es nicht der<br />
schlüssigen Darlegung des (objektiven und subjektiven) Deliktstatbestandes (BGH, Urt. v. 1.12.2014 –<br />
IX ZR 103/13, ZInsO 2014, 236 ff.).<br />
Stützt der Gläubiger seine Forderung auf eine vorsätzlich begangene pflichtwidrige Verletzung einer<br />
gesetzlichen Unterhaltspflicht, hat er die eigene Bedürftigkeit vorzutragen sowie, dass der Schuldner<br />
nicht gezahlt hat, obwohl er hierzu in der Lage war (LAROCHE, in: VALLENDER/UNDRITZ, a.a.O., § 2 Rn 101).<br />
2. Hinweispflicht des Gerichts, § 175 Abs. 2 InsO<br />
Das Insolvenzgericht ist verpflichtet, im Falle der Anmeldung einer Forderung aus vorsätzlich begangener<br />
unerlaubter Handlung, aus vorsätzlich begangener pflichtwidriger Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht<br />
oder einer Steuerstraftat des Schuldners nach §§ 370, 373 oder 374 AO den Schuldner als<br />
natürliche Person auf die Rechtsfolgen des § 302 InsO und die Möglichkeit des Widerspruchs hinzuweisen.<br />
Eine nicht ordnungsgemäße Belehrung des Schuldners hat zur Folge, dass der Feststellung des<br />
Haftungsgrunds keine Wirkung zukommt (SINZ, in: UHLENBRUCK, § 175 Rn 29). Der Schuldner kann mit<br />
Erfolg einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen (§ 186 Abs. 1 S. 1 InsO). Sieht er<br />
hiervon ab, hat das Insolvenzgericht die ordnungsgemäße Belehrung von Amts wegen nachzuholen und<br />
einen neuen Prüfungstermin zu bestimmen, um dem Schuldner Gelegenheit zu geben, ggf. Widerspruch<br />
zu erheben.<br />
3. Widerspruch des Schuldners<br />
Auf entsprechenden Antrag ist dem Schuldner ein Rechtsanwalt beizuordnen (§ 4 Abs. 2 InsO), wenn er<br />
im Rahmen seiner Möglichkeiten dartut, dass er nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen im<br />
konkreten Fall nicht in der Lage ist, ohne anwaltliche Hilfe eine Entscheidung über die Zweckmäßigkeit<br />
der Erhebung des Widerspruchs zu treffen (BGH, Beschl. v. 18.9.2003 – IX ZB 44/03, NZI 2004, 39).<br />
a) Widerspruch gegen die Forderung insgesamt<br />
Erhebt der Schuldner im Prüfungstermin Widerspruch gegen die angemeldete Forderung insgesamt, steht<br />
dies zwar der Feststellung der Forderung und einer Verteilung nicht entgegen (§ 178 Abs. 1 S. 2 InsO).<br />
Allerdings kann der Schuldner auf diese Weise erreichen, dass dem Gläubiger keine vollstreckbare<br />
Ausfertigung aus der Tabelle erteilt wird (§§ 178 Abs. 1 S. 2, 201 Abs. 2 S. 1 InsO). Nur wenn der Gläubiger<br />
innerhalb der Ausschlussfrist des § 189 Abs. 1 InsO Feststellungsklage gegen den Schuldner erhebt (§ 184<br />
Abs. 1 S. 1 InsO), läuft er nicht Gefahr, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht die Vollstreckung<br />
gegen den Schuldner aus dem Tabellenauszug betreiben zu können. Widerspricht der Schuldner dem<br />
Vorbringen des Gläubigers nicht, wirkt der Eintrag in die Tabelle, die Forderung stamme aus einer<br />
unerlaubten Handlung, nach § 178 Abs. 3 InsO wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter<br />
und den Insolvenzgläubigern.<br />
aa) Vorliegen eines vollstreckbaren Schuldtitels oder eines Endurteils<br />
Liegt für die Forderung des Gläubigers bereits ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, so<br />
obliegt es dem Schuldner, binnen einer Frist von einem Monat, die mit dem Prüfungstermin oder im<br />
schriftlichen Verfahren mit dem Bestreiten der Forderung beginnt, den Widerspruch zu verfolgen (§ 184<br />
Abs. 2 S. 1 InsO). Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist gilt ein Widerspruch als nicht erhoben. Der<br />
Schuldner ist über die Pflicht zur Klageerhebung zu belehren.<br />
bb) Einschränkung der Pflicht zur Klageerhebung<br />
Die Pflicht zur Klageerhebung gilt indes nur, wenn in dem Titel die ausdrückliche Feststellung enthalten<br />
ist, dass die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, einer vorsätzlich<br />
pflichtwidrig verletzten gesetzlichen Unterhaltspflicht oder aus einer rechtskräftigen Verurteilung wegen<br />
einer Steuerstraftat beruht (BGH, Urt. v. 11.7.2013 – IX ZR 286/12, ZIP 2013, 16). Die Entscheidungsgründe<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 97
Fach 14, Seite 806<br />
Forderungsanmeldung<br />
Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />
eines Urteils können für das Vorliegen eines solchen Rechtsgrunds nicht herangezogen werden. Ein auf die<br />
Rechtsgrundlagen des § 302 Nr. 1 InsO gestützter Vollstreckungsbescheid reicht ebenfalls nicht (BGH,<br />
Urt. v. 28.6.2012 – IX ZR 160/11, ZInsO 2012, 1614).<br />
Praxishinweise:<br />
• Die vorstehenden Erwägungen machen deutlich, wie wichtig es für den Gläubiger – bereits aus Beweisgründen<br />
– ist, die Deliktseigenschaft seiner Forderung frühzeitig im Wege einer Klage auf Feststellung<br />
der Eigenschaft als Deliktsforderung i.S.d. § 302 Nr. 1 InsO titulieren zu lassen.<br />
• Die Klage auf Feststellung der Deliktseigenschaft der Forderung kann (bereits vorinstanzlich) mit einer<br />
Klage auf erstmalige Titulierung der Forderung verbunden werden (BGH, Urt. v. 2.12.2010 – IX ZR 41/10,<br />
ZInsO 2011, 39, 40 Rn 13 ff.).<br />
Strebt der Schuldner seinerseits Rechtssicherheit an, kann er unbefristet eine negative Feststellungsklage<br />
dahingehend erheben, dass keine Deliktseigenschaft besteht. Das Rechtsschutzinteresse für eine<br />
solche Klage ist dann zu bejahen, wenn der Gläubiger mit der Erhebung der Feststellungsklage zuwartet<br />
(BGH, Urt. v. 10.10.2013 – IX ZR 30/13, ZIP 2013, 2265). Auf diese Weise kann der Schuldner offensichtlich<br />
unbegründeten Anmeldungen der Deliktseigenschaft wirksam begegnen.<br />
b) Beschränkung des Widerspruchs<br />
Beschränkt der Schuldner seinen Widerspruch auf einen der Rechtsgründe des § 174 Abs. 2 InsO, ist das<br />
Bestehen der Forderung unbestritten, die Herleitung aus dem Rechtsgrund aber streitig (GRAF-SCHLICKER, in:<br />
GRAF-SCHLICKER, a.a.O., § 184 Rn 5). Die Frage, ob die Forderung tatsächlich aus einer vorsätzlich begangenen<br />
unerlaubten Handlung, einer vorsätzlich pflichtwidrig verletzten gesetzlichen Unterhaltspflicht oder aus<br />
einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Steuerstraftat stammt, ist nicht im Insolvenzverfahren,<br />
sondern im Rahmen einer Feststellungsklage vor den Zivilgerichten zu klären (BVerwG, Beschl. v. 12.4.2013<br />
– 9 B 37.12, ZVI 2013, 263; BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 271/09, ZInsO 2011, 44). Nichts anderes gilt auch<br />
dann, wenn sowohl die öffentlich-rechtliche Forderung als solche als auch das Attribut der vorsätzlich<br />
begangenen unerlaubten Handlung bestritten sind (AG Göttingen, Urt. v. 12.2.2013 – 21 C 121/12, ZVI 2013,<br />
197). In diesem Fall beschränkt sich der Feststellungsstreit nur noch auf die Feststellung dieses Haftungsgrunds<br />
gegen den Schuldner. Der Gläubiger kann sofort auf Feststellung klagen, dass die angemeldete<br />
Forderung begründet ist (OLG Rostock v. 13.6.2005 – 3 U 57/05, ZInsO 2005, 1175 ff.).<br />
Während grundsätzlich die Feststellungsklage (§ 179 InsO) spätestens bis zum Ende der Ausschlussfrist<br />
des § 189 Abs. 1 InsO zu erheben ist, gilt diese Frist nach herrschender Meinung nicht für die Beseitigung<br />
eines isolierten Widerspruchs des Schuldners gegen die Deliktseigenschaft einer Forderung<br />
(BGH, Beschl. v. 3.4.2014 – IX ZB 93/13, ZInsO 2014, 1055, 1056 Rn 13). Die Feststellungsklage kann auch<br />
nach Beendigung des Insolvenzverfahrens erhoben werden.<br />
Für den Streitwert dieser Klage gilt die Vorschrift des § 182 InsO. Der Zweck dieser Vorschrift, den<br />
Feststellungsstreit bezahlbar zu machen, gilt auch für die in § 302 InsO genannten Forderungen (OLG<br />
München, Beschl. v. 11.11.2004 – 31 W 2640/04, ZInsO 2004, 1318).<br />
Praxishinweise:<br />
• Der Gläubiger ist indes nicht verpflichtet, gegen den isolierten Widerspruch des Schuldners im Wege der<br />
Feststellungsklage vorzugehen. Er kann sich auch auf die Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners<br />
nach dem Ende der Abtretungsfrist beschränken.<br />
• Demgegenüber kann sich der Schuldner mit der Vollstreckungsgegenklage zur Wehr setzen (BGH, Urt.<br />
v. 18.5.2006 – IX ZR 187/04, ZInsO 2006, 704 ff.). Diese späte Verteidigungsmöglichkeit des Schuldners<br />
macht noch einmal deutlich, wie wichtig es für den Gläubiger aus Beweisgründen ist, bereits frühzeitig<br />
die Deliktseigenschaft seiner Forderung festzustellen zu lassen (s. Hinweis unter III. 3. a bb).<br />
98 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 921<br />
Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />
Rechtsbehelfe<br />
Zustellungsfehler im Strafverfahren – Retter in der (Verteidiger-)Not<br />
Von RiLG THOMAS HILLENBRAND, Stuttgart<br />
Inhalt<br />
I. Vorbemerkung<br />
1. Prüfungsreihenfolge bei (vermeintlicher)<br />
Fristversäumnis<br />
2. Ohne ordnungsgemäße Zustellung kein<br />
Fristbeginn<br />
II. Anordnung und Durchführung der<br />
Zustellung<br />
1. Voraussetzungen<br />
2. Besonderheiten<br />
III. Zustellungsadressaten<br />
IV. Ersatzzustellung<br />
1. Voraussetzungen<br />
2. Besonderheiten<br />
V. Öffentliche Zustellung<br />
VI. Heilung<br />
VII. Fazit<br />
VIII. Checkliste für den Strafverteidiger<br />
1. Ist die Frist, die versäumt wurde,<br />
wirksam in Gang gesetzt worden?<br />
2. Ist eine Heilung von Zustellmängeln<br />
möglich?<br />
I. Vorbemerkung<br />
1. Prüfungsreihenfolge bei (vermeintlicher) Fristversäumnis<br />
Versäumt der Angeklagte eine strafprozessuale Frist (z.B. die Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl<br />
oder die Frist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde), bricht nach Entdeckung des Malheurs oftmals<br />
Hektik, wenn nicht gar Panik aus. Diese äußert sich dann häufig darin, dass die erste gebotene<br />
Maßnahme, nämlich eine sorgfältige Prüfung, ob eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt ist und so die<br />
vermeintlich versäumte Frist überhaupt wirksam in Gang gesetzt wurde, unterbleibt und stattdessen<br />
Hals über Kopf Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden.<br />
Ein solcher „zweiter Schritt vor dem ersten“ ist jedoch problematisch: Zum einen wird einem möglichen<br />
Verteidigungsansatz gar nicht erst nachgegangen, und zum anderen bleibt der Erfolg von Wiedereinsetzungsanträgen<br />
oftmals aus, sei es, weil der behauptete Wiedereinsetzungsgrund schon nicht hinreichend<br />
dargelegt wird, sei es, weil es an der gem. § 45 Abs. 2 S. 1 StPO erforderlichen Glaubhaftmachung<br />
der für die Entscheidung bedeutsamen Tatsachen fehlt.<br />
Achtung:<br />
Eigene Erklärungen des Antragstellers sind kein Mittel der Glaubhaftmachung, und zwar auch dann nicht,<br />
wenn der behauptete Wiedereinsetzungsgrund besonders naheliegend erscheint (MEYER-GOßNER/SCHMITT,<br />
StPO, 60. Aufl. 2017, § 45 Rn 9). Auch eine eigene eidesstattliche Versicherung des Antragstellers genügt nicht.<br />
Noch am ehesten gelingt eine Wiedereinsetzung, wenn das Fristversäumnis nicht auf einem Verschulden<br />
des Angeklagten, sondern auf dem seines Verteidigers beruht. Anwaltsverschulden wird dem Angeklagten<br />
nicht zugerechnet.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 99
Fach 22, Seite 922<br />
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />
Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />
Allerdings ist auch in derartigen Fällen auf eine sorgfältige und vor allem vollständige Abfassung des<br />
Wiedereinsetzungsantrags zu achten. Das bloße Vorbringen, die Frist sei „aufgrund eines Kanzleiversehens“<br />
nicht eingehalten worden, ist unzureichend. Vielmehr muss der Antrag nicht nur über die<br />
versäumte Frist und den Hinderungsgrund Angaben enthalten, sondern auch über den Zeitpunkt des<br />
Wegfalls des Hindernisses. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BGH ausdrücklich auch dann, wenn<br />
der Verteidiger eigenes Verschulden geltend macht (BGH NStZ 2013, 474).<br />
2. Ohne ordnungsgemäße Zustellung kein Fristbeginn<br />
Bevor nach Wiedereinsetzungsgründen gesucht wird, ist deshalb zu prüfen, ob die vermeintlich<br />
versäumte Frist tatsächlich bereits zu laufen begonnen hat. Ist dies nicht der Fall, bedarf es bei einer<br />
„Versäumnis“ keiner Wiedereinsetzung. Insbesondere bei Zustellungen gem. § 35 Abs. 2 StPO (z.B. einer<br />
Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung) können sich durchaus erfolgversprechende<br />
Verteidigungsansätze ergeben.<br />
Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen<br />
der Zustellung sowie über die in Betracht kommenden Formen der Ersatzzustellung und<br />
zeigen mögliche Fehlerquellen auf, die der Verteidiger zugunsten seines Mandanten nutzen kann.<br />
II. Anordnung und Durchführung der Zustellung<br />
1. Voraussetzungen<br />
Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an, § 36 Abs. 1 S. 1 StPO. Fehlt diese<br />
Anordnung, ist die Zustellung bereits deshalb unwirksam (MEYER-GOßNER/SCHMITT, § 36 Rn 7). Die Ausführung<br />
der Zustellung obliegt nach § 36 Abs. 1 S. 2 StPO dagegen der Geschäftsstelle.<br />
2. Besonderheiten<br />
a) Strafbefehlsverfahren<br />
Ist der Zustellungsempfänger der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, stellt sich die Frage, ob<br />
dem zuzustellenden Schriftstück eine Übersetzung beizufügen ist. Für Urteile ergibt sich dies<br />
zweifelsfrei aus § 37 Abs. 3 StPO, der jedoch für andere Schriftstücke als Urteile keine Regelung enthält.<br />
Es war deshalb in der deutschen Rechtsprechung umstritten, ob im Strafbefehlsverfahren auch eine Übersetzung<br />
des Strafbefehls zugestellt werden muss. Während das LG Stuttgart (NStZ-RR 2014, 2016) dies zur<br />
Sicherung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens und der Wahrung effektiver Verteidigungsmöglichkeiten<br />
für zwingend hielt, hat das Landgericht Ravensburg (NStZ-RR 2015, 219) die Erforderlichkeit einer Übersetzung<br />
verneint.<br />
Mit Urteil vom 12.10.2017 (NZV 2017, 530) hat nunmehr der EuGH in die Diskussion eingegriffen und<br />
klargestellt, dass Angeklagte eine schriftliche Übersetzung des Strafbefehls erhalten müssen, um zu<br />
gewährleisten, dass sie imstande sind, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen. Dies ist im Hinblick<br />
darauf, dass der Angeklagte im Strafbefehlsverfahren selbst aktiv werden muss, um den ersten Zugang zu<br />
Gericht (vgl. BVerfG NJW 1975, 1405) zu erhalten, zutreffend. Zudem spricht auch § 410 Abs. 3 StPO, der den<br />
rechtskräftigen Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleichstellt, für eine Gleichbehandlung von Urteil<br />
und Strafbefehl. Wenngleich sich der EuGH nicht explizit zur Frage der Wirksamkeit einer Zustellung des<br />
Strafbefehls ohne Übersetzung geäußert hat, wird man fortan davon ausgehen müssen, dass ein nicht<br />
übersetzter Strafbefehl nicht wirksam zugestellt werden kann (so auch SANDHERR NZV 2017, 531).<br />
b) Strafvollstreckungsverfahren<br />
Bei Entscheidungen im Strafvollstreckungsverfahren, etwa bei einem Widerruf der Strafaussetzung zur<br />
Bewährung ober bei Entscheidungen nach § 57 StGB, sollen schriftliche Übersetzungen dagegen nicht<br />
geboten sein (OLG Köln NStZ 2014, 229; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.4.2017 – 1 Ws 118/17).<br />
Hinweis:<br />
Ob diese Rechtsauffassung im Hinblick auf den Fairnessgrundsatz einer Überprüfung durch das BVerfG oder<br />
auf europäischer Ebene auf Dauer standhalten wird, erscheint allerdings fraglich. Insoweit bleibt die weitere<br />
Entwicklung abzuwarten.<br />
100 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 923<br />
Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />
III. Zustellungsadressaten<br />
Adressat der Zustellung ist der, für den das zuzustellende Schriftstück bestimmt ist, also in aller Regel<br />
der Angeklagte oder dessen Zustellungsbevollmächtigter (hierzu ausführlich MAYER NStZ 2016, 76).<br />
Die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten darf nach der Rechtsprechung des EuGH nicht dazu<br />
führen, dass sich für den Angeklagten die Rechtsmittelfrist verkürzt (NJW 2016, 303). Die Ansicht, dass dies<br />
dazu führe, dass eine Zustellung über einen Zustellungsbevollmächtigten erst wirksam werde, wenn das<br />
jeweilige Schriftstück den Angeklagten in seinem Heimatland anschließend auch tatsächlich erreicht (so<br />
BÖHM NJW 2916, 307), hat sich auf nationaler Ebene bislang nicht durchgesetzt. So vertritt das OLG<br />
München die Ansicht, dass die Rechtsprechung des EuGH bei der Zustellung eines Strafbefehls weder den<br />
Lauf der Einspruchsfrist noch den Eintritt der Rechtskraft hindere (NStZ-RR 2016, 249). Es sei Sache des<br />
Angeklagten, sicherzustellen, dass der von ihm benannte Zustellungsbevollmächtigte ihn über den<br />
Eingang amtlicher Schriftstücke unverzüglich informiert. Es komme nicht darauf an, wann er von dem<br />
Schriftstück tatsächlich Kenntnis genommen hat, sondern ab wann er hiervon Kenntnis nehmen konnte<br />
(OLG München a.a.O.).<br />
IV.<br />
Ersatzzustellung<br />
1. Voraussetzungen<br />
Gelingt eine Zustellung durch persönliche Übergabe nicht, kann nach Maßgabe der §§ 178 f. ZPO eine<br />
Ersatzzustellung vorgenommen werden. § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eröffnet die Möglichkeit, die (Ersatz-)<br />
Zustellung durch Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung des Zustellungsempfängers an einen<br />
erwachsenen Familienangehörigen (dieser muss trotz der Formulierung „erwachsen“ nicht zwingend<br />
volljährig sein, KK-MAUL, § 37 Rn 14), eine in der Familie beschäftigte Person oder einen erwachsenen<br />
ständigen Mitbewohner zu bewirken, sofern der Empfänger dort nicht angetroffen werden kann. Eine<br />
Wohnung i.S.d. § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist gegeben, wenn es sich um zu dauerndem Aufenthalt<br />
bestimmte, gemeinhin auch als Schlafstätte benutzte Räume handelt und sich dort der Mittelpunkt des<br />
Lebens des Inhabers und seiner Familie befindet (KK-MAUL, a.a.O.). Dass der Adressat des Schriftstücks<br />
an einer Anschrift polizeilich gemeldet ist, genügt dagegen nicht (OLG Düsseldorf StV 1996, 83).<br />
2. Besonderheiten<br />
Eine Ersatzzustellung kann nicht an eine Person bewirkt werden, die durch die dem Angeklagten<br />
vorgeworfene Straftat selbst unmittelbar verletzt ist (KK-MAUL, § 37 Rn 11). Damit scheidet etwa die<br />
Zustellung eines Strafbefehls an den durch eine im Rahmen einer häuslichen Auseinandersetzung<br />
begangene Körperverletzung geschädigten Ehepartner aus.<br />
Ausgeschlossen ist diese Form der Ersatzzustellung auch, wenn der Wohnungsinhaber über einen<br />
längeren Zeitraum hinweg abwesend ist, so etwa bei<br />
• längerem beruflichen Auslandsaufenthalt,<br />
• Strafhaft,<br />
• Untersuchungshaft,<br />
• Wehrdienst oder<br />
• stationärem Aufenthalt in einer Therapieanstalt (OLG Frankfurt NStZ 2003, 174).<br />
Erst recht ausgeschlossen ist eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, wenn die Wohnung aufgegeben<br />
wird. Hierfür genügt jedoch das Vorhandensein eines bloßen Aufgabewillens nicht; vielmehr muss in<br />
dem gesamten Verhalten des Betroffenen – für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter<br />
erkennbar (BGH NJW 1996, 2581) – zum Ausdruck kommen, dass er seinen bisherigen Lebensmittelpunkt<br />
verlegen will.<br />
a) Geschäftsräume/Gemeinschaftseinrichtungen<br />
Darüber hinaus erlaubt § 178 Abs. 1 ZPO Ersatzzustellungen in Geschäftsräumen an dort beschäftigte<br />
Personen (Nr. 2) und in Gemeinschaftseinrichtungen (Nr. 3) an deren Leiter oder dessen dazu er-<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 101
Fach 22, Seite 924<br />
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />
Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />
mächtigten Vertreter. Gemeinschaftseinrichtungen in diesem Sinne sind u.a. Krankenhäuser, Altenbzw.<br />
Pflegeheime, Asylbewerberunterkünfte, Wohnheime oder Kasernen.<br />
Hinweis:<br />
Bevor an die Leitung der Einrichtung zugestellt wird, muss jedoch immer versucht werden, den Empfänger<br />
dort persönlich anzutreffen. Es ist unzulässig, das Schriftstück ohne vorherigen Kontaktaufnahmeversuch<br />
mit dem Empfänger an der Pforte abzugeben, selbst wenn die dort tätigen Beschäftigten von der Heimleitung<br />
mit der Entgegennahme von Post beauftragt sind.<br />
b) Urlaubsabwesenheiten<br />
Ist der Empfänger nur für einen kürzeren Zeitraum, etwa für eine Urlaubsreise, und nicht längerfristig<br />
abwesend, berührt dies die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nicht. Die Frist beginnt ab der (Ersatz-)<br />
Zustellung zu laufen, und der Empfänger kann sich nicht darauf berufen, er sei zu diesem Zeitpunkt<br />
ortsabwesend gewesen. Stattdessen muss er in solchen Fällen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand<br />
beantragen. Hierbei dürfen dann aber keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Es gilt<br />
insoweit der Grundsatz, dass derjenige, der sich nur vorübergehend nicht an seinem Wohnort aufhält,<br />
keine Vorkehrungen dafür treffen muss, dass ihn Zustellungen innerhalb der Rechtsmittelfristen<br />
erreichen (so schon BVerfG NJW 1969, 1531). Auch die Kenntnis von laufenden Ermittlungen führt<br />
insoweit nicht zu gesteigerten Sorgfaltspflichten, es sei denn der Empfänger hat mit Zustellungen zu<br />
rechnen, vor allem mit der eines Urteils (KK-CIRENER, § 44 Rn 23).<br />
c) Einlegen in den Briefkasten<br />
Scheitert eine Zustellung nach § 178 ZPO, kann das Schriftstück gem. § 180 ZPO durch Einlegen in den<br />
Briefkasten zugestellt werden. Hierzu wird das Schriftstück in einen sich in einem ordnungsgemäßen<br />
Zustand befindlichen, insbesondere nicht überquellenden (PRÜTTING/GEHRLEIN, ZPO, 8. Aufl. 2016, § 180 Rn 2)<br />
Briefkasten eingelegt. Die Zugehörigkeit zur Wohnung bzw. zum Geschäftsraum muss durch Beschriftung<br />
oder den Ort der Anbringung erkenntlich sein (PRÜTTING/GEHRLEIN, a.a.O.). Eine gemeinschaftliche Nutzung<br />
eines Briefschlitzes in einem von einem überschaubaren Personenkreis bewohnten Mehrfamilienhaus ist<br />
unschädlich (OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 349).<br />
V. Öffentliche Zustellung<br />
Kann eine Entscheidung, etwa wegen unbekannten Aufenthalts des Adressaten, nicht zugestellt<br />
werden, greifen die Gerichte gerne auf die öffentliche Zustellung zurück. Diese ist für Zustellungen an<br />
den Beschuldigten/Angeklagten in § 40 StPO geregelt.<br />
Obwohl § 40 StPO nur vom Beschuldigten bzw. Angeklagten, nicht aber vom Verurteilten spricht,<br />
besteht Einigkeit darüber, dass die öffentliche Zustellung nicht nur bis zum rechtskräftigen Abschluss<br />
des Verfahrens möglich ist, sondern auch bei Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren. Somit kann<br />
insbesondere der Beschluss über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung öffentlich<br />
zugestellt werden (KK-MAUL, a.a.O.).<br />
In der Praxis stellt sich die öffentliche Zustellung freilich häufig als reine Fiktion heraus: Der Adressat<br />
erhält von der vermeintlich zugestellten Entscheidung i.d.R. keine Kenntnis, ehe es zu einem späteren<br />
Zeitpunkt zu Zwangsmaßnahmen im Rahmen der Vollstreckung kommt.<br />
Angesichts dieser drohenden Konsequenzen wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung zu Recht<br />
immer wieder hervorgehoben, dass die öffentliche Zustellung nur ultima ratio sein kann (so z.B. OLG<br />
Hamm, Beschl. v. 17.1.2013 – 3 RBs 214/12, NWVBl 2013, 422). Trotz dieser klaren Vorgabe kommt es aber<br />
bei der Anordnung der öffentlichen Zustellung immer wieder zu Nachlässigkeiten.<br />
So wird oftmals übersehen, dass die Anordnung der öffentlichen Zustellung nur durch einen förmlichen<br />
Gerichtsbeschluss erfolgen kann. Eine Verfügung des Vorsitzenden genügt nicht.<br />
102 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 925<br />
Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />
Hinweis:<br />
Hierbei handelt es sich nicht um eine bloße Formalie. Vielmehr führt das Fehlen des erforderlichen Beschlusses<br />
zur Unwirksamkeit der Zustellung. Fristen werden dann nicht in Lauf gesetzt (MEYER-GOßNER/SCHMITT,<br />
§ 40 Rn 6).<br />
Darüber hinaus setzt die öffentliche Zustellung voraus, dass es im Inland an einer anderen Zustellmöglichkeit<br />
fehlt. Kann an einen Zustellungsbevollmächtigten oder an einen Verteidiger (Pflichtverteidiger<br />
oder, unter den Voraussetzungen des § 145a StPO, Wahlverteidiger) zugestellt werden, scheidet eine<br />
öffentliche Zustellung aus.<br />
Weiter verlangt die Rechtsprechung – und hier liegt die häufigste Fehlerquelle –, dass vor Anordnung<br />
der öffentlichen Zustellung alle zur Verfügung stehenden Mittel genutzt werden, um den Aufenthaltsort<br />
des Beschuldigten/Verurteilten zu ermitteln. Hier ist ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG<br />
NStZ-RR 2005, 206). Insbesondere genügt es nicht, wenn ein Schriftstück in den Rücklauf gerät – auch<br />
nicht, wenn es Vermerke wie „Empfänger an der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ oder „Empfänger<br />
unbekannt verzogen“ enthält. Auch die Mitteilung einer anderen Wohnanschrift durch das Einwohnermeldeamt<br />
ist unzureichend (KK-MAUL, § 40 Rn 7).<br />
Vielmehr müssen weitere Schritte ergriffen werden. In Betracht kommen Anschriftenüberprüfungen<br />
durch die Polizei, Anfragen an Bewährungshelfer und/oder Betreuer oder beim staatsanwaltschaftlichen<br />
Verfahrensregister. Bei Ausländern ist zudem eine Nachfrage beim Ausländerzentralregister angezeigt.<br />
Hinweis:<br />
Hin und wieder kommt es vor, dass Gerichte beim Verteidiger nach der aktuellen Anschrift des Mandanten<br />
fragen. Eine entsprechende Mitteilung an das Gericht kann im Einzelfall zur Vermeidung von Problemen<br />
sinnvoll sein, etwa weil das vermeintliche Untertauchen lediglich auf eine versehentlich unterbliebene<br />
Ummeldung nach einem Wohnungswechsel zurückzuführen ist. Hier liegt es im Interesse des Mandanten,<br />
dass der Verteidiger die neue Anschrift mitteilt und das Versäumnis des Angeklagten aus der Welt schafft.<br />
Dennoch sollte eine Adressmitteilung nur erfolgen, wenn dem Verteidiger das ausdrückliche Einverständnis<br />
des Mandanten vorliegt – alles andere wäre im Hinblick auf die anwaltliche Schweigepflicht problematisch.<br />
VI. Heilung<br />
Steht ein Zustellungsmangel fest, muss geprüft werden, ob dieser nicht nach § 189 ZPO geheilt wurde.<br />
Hiernach gilt das Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung<br />
dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Dies gilt<br />
auch, wenn hierdurch eine gesetzliche Frist in Lauf gesetzt wird (OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 336).<br />
Der tatsächliche Zugang muss aber von einem entsprechenden Zustellungswillen des Gerichts gedeckt<br />
sein (KG NStZ-RR 2011, 86).<br />
VII. Fazit<br />
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass angesichts der dargelegten Fehlerquellen in Fällen<br />
(angeblicher) Fristversäumnis zuerst immer geprüft werden muss, ob eine wirksame Zustellung erfolgt ist.<br />
Wird der Verteidiger an dieser Stelle bei der Fehlersuche fündig, hat er gute Chancen, seinem Mandanten<br />
den zunächst versperrt erscheinenden Weg zu Gericht bzw. in die nächste Instanz zu öffnen.<br />
Hinweis:<br />
Unabdingbare Voraussetzung für einen solchen Erfolg ist jedoch, dass die zur Unwirksamkeit führenden<br />
Zustellungsfehler ebenso ausführlich wie sorgfältig dargelegt werden. Nicht wenige Gerichte tun sich recht<br />
schwer mit der Erkenntnis, dass die vermeintlich denkbar einfache und schnelle Verfahrenserledigung<br />
tatsächlich keine war und das Verfahren stattdessen noch ganz am Anfang steht. Dies führt immer wieder zu<br />
Versuchen, die Zustellung irgendwie doch noch „gesundzubeten“. Dem muss der Verteidiger mit einer wasserdichten<br />
Argumentation von vornherein entgegen treten.<br />
<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 103
Fach 22, Seite 926<br />
Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />
Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />
VIII. Checkliste für den Strafverteidiger<br />
1. Ist die Frist, die versäumt wurde, wirksam in Gang gesetzt worden?<br />
□ Zustellung der Entscheidung durch den Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 StPO)?<br />
□ ja: weiter mit dem nächsten Punkt.<br />
□ nein: Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />
□ Übersetzung notwendig?<br />
□ ja: Ist die Übersetzung erfolgt? Dann weiter mit dem nächsten Punkt; ist die Übersetzung nicht<br />
erfolgt: die Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />
□ nein: weiter mit dem nächsten Punkt.<br />
□ Zustellung an den richtigen Adressaten?<br />
□ ja: Zustellung an Angeklagten oder<br />
□ ja: Zustellung an Zustellungsbevollmächtigten:<br />
• Die Zustellung ist erfolgt; die Frist ist wirksam in Gang gesetzt worden.<br />
□ nein: die Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />
□ Ersatzzustellung wirksam?<br />
□ Wohnung: Übergabe des Schriftstücks muss an einen erwachsenen Familienangehörigen des<br />
Zustellungsempfängers erfolgen.<br />
□ Geschäftsräume: Übergabe muss an dort beschäftigte Personen erfolgen.<br />
□ Gemeinschaftseinrichtung: Übergabe muss an deren Leiter oder dessen dazu ermächtigten<br />
Vertreter erfolgen; zunächst muss versucht werden, den Empfänger dort persönlich anzutreffen.<br />
• ja: Die Zustellung ist erfolgt; die Frist ist wirksam in Gang gesetzt worden.<br />
□ nein: weiter mit dem nächsten Punkt.<br />
□ Öffentliche Zustellung?<br />
□ Unbekannter Aufenthalt des Adressaten?<br />
• ja: weiter mit dem nächsten Punkt.<br />
• nein: Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />
□ Keine andere Zustellmöglichkeit?<br />
• ja: weiter mit dem nächsten Punkt.<br />
• nein: Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />
□ Liegt ein förmlicher Gerichtsbeschluss vor?<br />
• ja: Zustellung ist erfolgt; die Frist ist wirksam in Gang gesetzt worden.<br />
• nein: Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />
2. Ist eine Heilung von Zustellmängeln möglich?<br />
□ Ist das Schriftstück tatsächlich zugegangen?<br />
□ ja: Die Zustellung ist erfolgt; die Frist ist wirksam in Gang gesetzt worden.<br />
□ nein: Die Zustellung ist nicht erfolgt; die Frist ist nicht wirksam in Gang gesetzt worden.<br />
104 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018