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ZAP-0218

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<strong>ZAP</strong><br />

Zeitschrift für die Anwaltspraxis<br />

2 2018<br />

17. Januar<br />

30. Jahrgang<br />

ISSN 0936-7292<br />

Herausgeber: Rechtsanwalt Dr. Egon Schneider (†), Much • Rechtsanwalt Ekkehart Schäfer, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

• Rechtsanwalt beim BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • Rechtsanwalt Martin W. Huff, Köln •<br />

Prof. Dr. Martin Henssler, Institut für Anwaltsrecht, Universität zu Köln • Rechtsanwältin und Notarin Edith Kindermann,<br />

Bremen • Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons, Duisburg • Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen •<br />

Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln<br />

} Mit dem <strong>ZAP</strong> Berufsrechtsreport<br />

AUS DEM INHALT<br />

Kolumne<br />

Eltern haften für ihre (volljährigen) Kinder? (S. 49)<br />

Anwaltsmagazin<br />

Neuregelungen zum Jahresbeginn (S. 50) • Probleme beim elektronischen Anwaltspostfach (S. 53) •<br />

Anwälte erringen Etappensieg gegen „abfindungsheld.de“ (S. 54)<br />

Aufsätze<br />

Ring, Das neue Bauvertragsrecht in der anwaltlichen Praxis – Ein Überblick (S. 81)<br />

Vallender, Die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren (S. 91)<br />

Hillenbrand, Zustellungsfehler im Strafverfahren – Retter in der (Verteidiger‐)Not (S. 99)<br />

Eilnachrichten<br />

EuGH: Ruhezeiten im Straßentransportwesen (S. 76)<br />

BVerfG: Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin (S. 77)<br />

BGH: Anwaltshaftung infolge versehentlicher Abgabe einer Selbstanzeige des Mandanten<br />

an das Finanzamt (S. 79)<br />

In Zusammenarbeit mit der<br />

Bundesrechtsanwaltskammer


Inhaltsverzeichnis Fach Fach/Seite Heft/Seite<br />

Kolumne – – 49<br />

Anwaltsmagazin – – 50–56<br />

Berufsrechtsreport – – 57–70<br />

Eilnachrichten 1 7–16 71–80<br />

Ring, Das neue Bauvertragsrecht in der anwaltlichen<br />

Praxis – Ein Überblick 5 251–260 81–90<br />

Vallender, Die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren<br />

14 799–806 91–98<br />

Hillenbrand, Zustellungsfehler im Strafverfahren –<br />

Retter in der (Verteidiger‐)Not 22 921–926 99–104<br />

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Redaktionsbeirat<br />

Ass. jur. Dr. Helene Bubrowski, Frankfurt/M. (F 25) • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg (F 9, 21, 22, 22R) • Prof. Dr.<br />

Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. (F 2) • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. (F 6) • RA Dr. Lutz Förster, Brühl (F 12) • RA Dr.<br />

Andreas Geipel, München (F 13) • RA Dr. Peter Haas, Bochum (F 20) • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin (F 24) • RAin Dr.<br />

Annegret L. Harz, München (F 4, 4R, 7) • RA Prof. Dr. Bernd Hirtz, Köln (F 15) • RA Martin W. Huff, Köln (F 23) • RA Daniel Krause,<br />

Braunschweig (F 5) • RAin Dr. Kirstin Maaß, Köln (F 17, 17R) • RA a.D. Ralf Rödel, Málaga (F 19, 19R) • RA Dr. Ulrich Sartorius,<br />

Breisach a.R. (F 18) • RA Volker Simmer (F 3) • RiAG a.D. Prof. Dr. Heinz Vallender, Erftstadt (F 14) • RA Dr. Hubert W. van Bühren,<br />

Köln (F 10) • RiAG a.D. Dr. Wolfram Viefhues, Gelsenkirchen (F 11, 11R) • RA Guido Vierkötter, Neunkirchen-Seelscheid (F 16) • RA<br />

beim BGH Dr. Christian Zwade, Karlsruhe (F 8).<br />

Ständige Mitarbeiter<br />

Prof. Dr. Wilfried Alt, Frankfurt/M. • VorsRiVG Prof. Dr. Bernd Andrick, Gelsenkirchen • RiAG Prof. Dr. Ulf Börstinghaus, Gelsenkirchen<br />

• RiSG Thomas Bubeck, Freiburg • RiOLG a.D. RA Detlef Burhoff, Münster/Augsburg • VorsRiOLG Dr. Christoph Eggert, Düsseldorf •<br />

Prof. Dr. Nikolaj Fischer, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Eckhard Flohr, Gasteig/Kirchdorf i.T. • VorsRiLG a.D. Uwe Gottwald, Vallendar •<br />

RA Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln • RA Dr. Peter Haas, Bochum • VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin • RA Dr.<br />

Wolfgang Hartung, Mönchengladbach • Prof. Dr. Martin Henssler, Köln • RA, Justitiar Haus u. Grund Hans Reinold Horst,<br />

Langenhagen • RiAG Ralph Kossmann, Wuppertal • Notar Dr. Hans-Frieder Krauß, Hof • RAuN Dr. Wilhelm Krekeler, Dortmund • RA<br />

Günter Lange, Haltern • RA Dr. Jörg Lauer, Mannheim • PräsSG a.D. RA Dr. Klaus Louven, Geldern • RA Dietmar Mampel, Bonn • RA<br />

Prof. Dr. Volkmar Mehle, Bonn • RA Prof. Dr. Ralf Neuhaus, Dortmund • RA Kai-Jochen Neuhaus, Dortmund • RA Dr. Mark Niehuus,<br />

Mühlheim a.d.R. • RA Prof. Dr. Hermann Plagemann, Frankfurt/M. • RA Prof. Dr. Hans-Jürgen Rabe, Hamburg • RiOLG a.D. Heinrich<br />

Reinecke, Lehrte • RA beim BGH Prof. Dr. Ekkehart Reinelt, Karlsruhe • RA Dr. Kurt Reinking, Köln • RA Prof. Dr. Franz Salditt,<br />

Neuwied • RA Dr. Ulrich Sartorius, Breisach a.R. • PräsLG a.D. Kurt Schellhammer, Konstanz • RA Norbert Schneider, Neunkirchen •<br />

RiAG a.D. Kurt Stollenwerk, Bergisch Gladbach • RiAG a.D. Prof. Dr. Wilhelm Uhlenbruck, Köln • RiAG Prof. Dr. Heinz Vallender,<br />

Erftstadt • RA Dr. Hubert W. van Bühren, Köln • RA Prof. Dr. Hans-Friedrich Frhr. von Dörnberg, Dresden.<br />

Impressum<br />

Manuskripte: Der Verlag haftet nicht für unverlangt eingesandte Manuskripte. Die Annahme zur Veröffentlichung erfolgt<br />

schriftlich. Mit der Annahme überträgt der Autor dem Verlag das ausschließliche Verlagsrecht. Eingeschlossen sind insb. die<br />

Befugnis zur Einspeicherung in eine Datenbank sowie das Recht der weiteren Vervielfältigung. Haftungsausschluss: Verlag und<br />

Autor/en übernehmen keinerlei Gewähr für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der abgedruckten Inhalte. Insb. stellen<br />

(Formulierungs-)Hinweise, Muster und Anmerkungen lediglich Arbeitshilfen und Anregungen für die Lösung typischer Fallgestaltungen<br />

dar. Die Verantwortung für die Verwendung trägt der Leser. Urheber- und Verlagsrechte: Alle Rechte zur<br />

Vervielfältigung und Verbreitung sind dem Verlag vorbehalten. Der Rechtsschutz gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen<br />

Einrichtungen. Anzeigenverwaltung: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, E-Mail: anzeigen@zap-verlag.de.<br />

Erscheinungsweise: zweimal im Monat. Bezugspreis: Jährlich 241,- € zzgl. MwSt. und Versandkosten. Der Abonnementsvertrag<br />

ist auf unbestimmte Zeit geschlossen; Preisänderungen bleiben vorbehalten. Abbestellungen müssen sechs Wochen zum<br />

Jahresende erfolgen. Verlag: <strong>ZAP</strong> Verlag GmbH, Rochusstr. 2–4, 53123 Bonn, Telefon: 0228/91911-62, Telefax: 0228/91911-66, E-Mail:<br />

info@zap-verlag.de. Redaktion: RAin Eva Maria Marzinkowski (V.i.S.d.P.) – verantwortliche Redakteurin; Cordula Haak –<br />

Redaktionsassistentin, E-Mail: redaktion@zap-verlag.de.<br />

Druck: Appel & Klinger Druck und Medien GmbH, Schneckenlohe. ISSN 0936-7292


<strong>ZAP</strong><br />

Kolumne<br />

Kolumne<br />

Eltern haften für ihre (volljährigen) Kinder?<br />

Schilder mit der Aufschrift „Eltern haften für ihre<br />

Kinder“ sind auch weiterhin auf Baustellen, Spielplätzen<br />

und anderen öffentlichen oder privaten<br />

Einrichtungen vorzufinden. Diese „Drohung“ ist<br />

irreführend, da Eltern für die von ihren Kindern<br />

angerichteten Schäden nur dann haften, wenn sie<br />

ihre Aufsichtspflicht verletzt haben (§ 832 BGB).<br />

Diese Aufsichtsplicht endet spätestens mit der<br />

Volljährigkeit der Kinder. Der BGH hat jedoch in<br />

einer Entscheidung vom 30.3.2017 (I ZR 19/16, <strong>ZAP</strong><br />

EN-Nr. 13/2018) Eltern zum Ersatz eines Schadens<br />

verurteilt, den eines ihrer volljährigen Kinder<br />

verursacht hatte. Was war geschehen?<br />

Die Inhaberin der Verwertungsrechte eines Musikalbums<br />

hatte die Beklagten wegen Urheberrechtsverletzung<br />

auf Schadenersatz in Anspruch genommen,<br />

weil von deren Internetanschluss Musiktitel<br />

im Wege des Filesharings öffentlich zugänglich<br />

gemacht worden waren.<br />

Die Beklagten hatten sich darauf berufen, dass sie<br />

nicht selbst die Urheberrechtsverletzung vorgenommen<br />

hätten, vielmehr eines der im elterlichen<br />

Haushalt lebenden volljährigen Kinder, dessen<br />

Name jedoch nicht mitgeteilt werde.<br />

Der BGH hat die beklagten Eltern zum Schadenersatz<br />

verurteilt, weil eine tatsächliche Vermutung<br />

für eine Täterschaft des Anschlussinhabers spreche.<br />

Es sei von der sekundären Beweislast der Eltern<br />

auszugehen, die auch die Verpflichtung enthalte,<br />

den Namen des verantwortlichen volljährigen Kindes<br />

zu nennen.<br />

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden, da<br />

die sekundäre Beweislast sich zunächst auf die<br />

Nachweise beschränkt, dass der Anschlussinhaber<br />

als Täter nicht in Betracht kommt.<br />

Zwar mag im Einzelfall die sekundäre Beweislast<br />

auch zu der Verpflichtung führen, den tatsächlichen<br />

Täter zu benennen. Selbst wenn man dies<br />

für zulässig halten würde, findet die sekundäre<br />

Beweislast aber ihre Grenze, wenn andere Rechtsgüter<br />

entgegenstehen. Nahezu alle Rechtsordnungen<br />

sehen vor, dass niemand verpflichtet ist,<br />

sich selbst oder nahe Familienangehörige zu<br />

belasten. Dieser Grundsatz beruht auf dem grundrechtlich<br />

garantierten Schutz der Familie gem.<br />

Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 7 EU-Grundrechtecharta<br />

und findet seinen Niederschlag im Zeugnisverweigerungsrecht<br />

gem. § 383 ZPO und § 52 StPO.<br />

Der BGH hat das Recht auf geistiges Eigentum<br />

gem. Art. 17 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta und<br />

Art. 14 GG als vorrangig angesehen und die Eltern<br />

zum Schadenersatz verurteilt, obgleich diese den<br />

Schaden nicht verursacht hatten. Hier zeigt sich<br />

die Tendenz des BGH, immer mehr vom „nemo<br />

tenetur-Dogma“ abzurücken, um einer Partei<br />

die Verpflichtung aufzuerlegen, den Prozessgegner<br />

in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch<br />

durchzusetzen (ZÖLLER/GREGER, ZPO, vor § 284<br />

ZPO, Rn 34d m.w.N.).<br />

Das Urteil des BGH vom 30.3.2017 führt zu einer<br />

Sippenhaftung und zu einer Gefährdungshaftung,<br />

die unsere Rechtsordnung nur bei Kraftfahrzeugen,<br />

Flugzeugen, Atomkraftwerken oder anderen<br />

gefährlichen Einrichtungen normiert.<br />

Allein die Unterhaltung eines Internetanschlusses<br />

stellt noch keinen Gefährdungstatbestand dar. Es<br />

ist nicht hinnehmbar, dass das Eigentumsrecht als<br />

vorrangig gegenüber dem Schutz der Familie<br />

angesehen wird. Zwar sind Eigentum und Familie<br />

grundgesetzlich gleichermaßen geschützt, im<br />

Konfliktfall dürfte jedoch dem Schutz der Familie<br />

der Vorrang einzuräumen sein. Hier muss letztlich<br />

das Bundesverfassungsgericht Klarheit schaffen.<br />

Rechtsanwalt Dr. HUBERT W. VAN BÜHREN, Köln<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 49


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Neuregelungen zum Jahresbeginn<br />

Zum Jahresanfang sind zahlreiche Neuregelungen<br />

in Kraft getreten, insbesondere im Arbeits- und<br />

Sozialrecht, im Straßenverkehr, im Verbraucherschutz,<br />

aber auch im Energie- und Umweltrecht.<br />

Aus der Fülle der Neuerungen können im Folgenden<br />

nur die wichtigsten wiedergegeben werden.<br />

I. Arbeitsrecht<br />

• Mindestlohn<br />

Seit dem 1. Januar gilt der allgemeine gesetzliche<br />

Mindestlohn i.H.v. 8,84 € brutto je Zeitstunde<br />

ohne jede Einschränkung. Branchenregelungen,<br />

die vorübergehend Entgelte unterhalb des gesetzlichen<br />

Mindestlohns ermöglichten, endeten<br />

zum 31.12.2017. Im Pflegebereich steigt der flächendeckende<br />

Pflegemindestlohn auf 10,55 € pro<br />

Stunde im Westen und 10,05 € im Osten. Anfang<br />

2019 und 2020 wird er nochmals erhöht. Alle Ausund<br />

Weiterbildungsdienstleister, die im Auftrag<br />

der Arbeitsagenturen und Jobcenter Menschen<br />

qualifizieren, müssen den bundesweiten Branchenmindestlohn<br />

von 15,26 € pro Zeitstunde<br />

bezahlen. Seit dem 1. Januar gilt er nun erstmalig<br />

auch für Einrichtungen, in denen Qualifizierung<br />

nicht zum Hauptgeschäft gehört.<br />

• Entgelttransparenz<br />

Mit dem Entgelttransparenzgesetz haben Beschäftigte<br />

seit dem 6. Januar einen individuellen<br />

Auskunftsanspruch gegen ihren Arbeitgeber zu<br />

erfahren, wie sie im Vergleich zu ihren Kollegen<br />

bezahlt werden. Dies gilt für Beschäftigte in<br />

Betrieben und Dienststellen mit i.d.R. mehr als<br />

200 Beschäftigten.<br />

• Mutterschutz<br />

Seit dem 1. Januar werden mehr Frauen in den<br />

gesetzlichen Mutterschutz einbezogen. So umfasst<br />

er nun auch Schülerinnen und Studentinnen.<br />

II. Sozialrecht<br />

• Grundsicherung (Hartz IV)<br />

Wer Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II bezieht,<br />

erhält seit dem Jahresanfang mehr Geld. Der Regelsatz<br />

für Alleinstehende steigt von 409 € auf<br />

416 € pro Monat. Für Kinder und Jugendliche erhöht<br />

sich die Grundsicherung um 5 €: Kinder von sechs<br />

bis unter 14 Jahren bekommen nun 296 €, Jugendlichen<br />

von 14 bis unter 18 Jahren stehen 316 € zu<br />

(s. ausführlicher dazu unten S. 55).<br />

• Betriebsrente<br />

Mit dem Betriebsrentenstärkungsgesetz wurde<br />

zum 1. Januar die Betriebsrente insbesondere für<br />

Beschäftigte mit geringeren Einkommen attraktiver<br />

gestaltet, u.a. durch eine höhere Riester-<br />

Zulage und steuerliche Anreize. Mit dem neuen<br />

„Sozialpartnermodell“ haben zudem Arbeitgeber<br />

und Gewerkschaften die Möglichkeit, für die Beschäftigten<br />

eine neue Form der Betriebsrente zu<br />

vereinbaren, die auf tarifvertraglicher Basis kostengünstig<br />

organisiert werden kann.<br />

• Anrechnung freiwilliger Altersvorsorge<br />

Im neuen Jahr werden Einkommen aus Riesteroder<br />

Betriebsrenten nicht mehr voll auf die<br />

Grundsicherung im Alter oder bei Erwerbsminderung<br />

angerechnet. Gleiches gilt für die Hilfen<br />

zum Lebensunterhalt. Der monatliche Freibetrag<br />

liegt jetzt bei 100 €. Ist die private Rente höher,<br />

bleiben weitere 30 % bis zum Höchstbetrag von<br />

208 € anrechnungsfrei.<br />

• Verbesserungen für Behinderte<br />

Die zweite Reformstufe des Bundesteilhabegesetzes<br />

sieht seit dem 1. Januar Verbesserungen<br />

bei der Teilhabe am Arbeitsleben vor: Das „Budget<br />

für Arbeit“ ermöglicht Lohnkostenzuschüsse für<br />

Arbeitgeber von bis zu 75 % in allen Bundesländern.<br />

Das erleichtert Menschen mit Behinderung den<br />

Zugang zum Arbeitsmarkt. Anfang Januar 2018<br />

50 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

nehmen zudem die ersten Beratungsstellen für<br />

eine „Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung“<br />

(EUTB) ihre Arbeit auf. Dort können sich Behinderte<br />

über die besseren Leistungen zur Teilhabe<br />

informieren und beraten lassen. Das Web-Portal<br />

www.teilhabeberatung.de ist ebenfalls am 1. Januar<br />

gestartet worden. Zudem sollen Bundesbehörden<br />

Menschen mit geistigen und seelischen Behinderungen<br />

Informationen in einfacher und verständlicher<br />

Sprache bereitstellen. Dies betrifft<br />

etwa Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche<br />

Verträge und Vordrucke.<br />

• Frist für den Kindergeldantrag<br />

Seit Januar gilt eine kürzere Frist für rückwirkende<br />

Kindergeldanträge. Eltern können dann lediglich<br />

sechs Monate rückwirkend Kindergeld erhalten.<br />

Die Neuregelung soll Betrugs- und Missbrauchsfälle<br />

verhindern.<br />

III. Steuerrecht<br />

• Höhere Grund- und Kinderfreibeträge<br />

Steuerzahler profitieren 2018 von einem um 180 €<br />

höheren Grundfreibetrag, der dann 9.000 € beträgt.<br />

Der Kinderfreibetrag steigt um 72 € auf<br />

4.788 €.<br />

• Fristen für die Steuererklärung<br />

Künftig bleibt den Steuerpflichtigen mehr Zeit für<br />

die Abgabe der Steuererklärung, nämlich bis zum<br />

31. Juli des Folgejahres. Papierbelege wie Spendenquittungen<br />

müssen nur noch aufbewahrt, aber<br />

nicht mehr mit der Steuererklärung eingereicht<br />

werden. Die von Steuerberatern erstellten Steuererklärungen<br />

müssen zukünftig generell erst bis<br />

zum 28. Februar des Zweitfolgejahres abgegeben<br />

werden. Damit sollen die bisher üblichen zeitaufwändigen<br />

Fristverlängerungsverfahren entfallen.<br />

IV. Strafrecht<br />

• Abschaffung der „Majestätsbeleidigung“<br />

Der sog. Majestätsbeleidigungsparagraf (§ 103 StGB),<br />

der bisher die Beleidigung von Organen und Vertretern<br />

ausländischer Staaten sanktionierte, ist zum<br />

1. Januar aufgehoben worden.<br />

V. Verbraucherschutz<br />

• Verbesserungen für Bankkunden<br />

Ab dem 13. Januar gelten europaweit einheitliche<br />

Regelungen für den Zahlungsverkehr. So dürfen stationäre<br />

und Internet-Händler für Buchungen und<br />

Käufe keine gesonderten Gebühren mehr für gängige<br />

Kartenzahlungen, Überweisungen und Lastschriften<br />

verlangen. Wird die Bank- oder Kreditkarte<br />

entwendet oder missbraucht, haften die Inhaber nur<br />

noch bis maximal 50 € für entstandene Schäden.<br />

Zudem müssen Bankberater Kundengespräche besser<br />

dokumentieren. Insbesondere sind Gespräche<br />

über Wertpapiergeschäfte aufzuzeichnen, die per<br />

Telefon oder Internet geführt werden.<br />

• Bauverträge<br />

Bauherren genießen seit dem 1. Januar mehr<br />

Schutz: Baubeschreibungen müssen jetzt bestimmte<br />

Mindestanforderungen erfüllen, Bauverträge<br />

einen verbindlichen Termin zur Fertigstellung<br />

enthalten. Widerrufs- und Kündigungsrechte<br />

gegenüber Bauträgern und Handwerkern sind<br />

erweitert worden. Bei der Mängelhaftung gilt<br />

nun: Der Verkäufer von mangelhaften Produkten<br />

muss diese selbst wieder ausbauen und durch<br />

intakte ersetzen (zum neuen Bauvertragsrecht<br />

s. auch RING <strong>ZAP</strong> F. 5, S. 251 – in diesem Heft).<br />

VI. Straßenverkehr<br />

• Winterreifen<br />

Reifenhersteller müssen Winterreifen, die seit dem<br />

1. Januar produziert werden, mit dem sog. Alpine-<br />

Symbol (dreigezacktes Bergpiktogramm mit<br />

Schneeflocke) kennzeichnen. Das Qualitätssiegel<br />

zeigt an, dass diese Reifen besondere Anforderungen<br />

an Traktions-, Brems- und Beschleunigungsverhalten<br />

auf Schnee und Eis erfüllen. Für bis zum<br />

31.12.2017 produzierte M+S-Winterreifen gilt eine<br />

Übergangsfrist bis zum 30.9.2024.<br />

• Abgasuntersuchung<br />

Bisher waren Fahrzeuge ab dem Baujahr 2006 bei<br />

der Hauptuntersuchung beim TÜV von der Abgasmessung<br />

am Endrohr per Sonde befreit. Seit<br />

dem 1. Januar müssen nun auch sie, seien es Diesel<br />

oder Benziner, die direkte Messung der Abgase<br />

am Auspuffendrohr bestehen. Damit sollen Defekte<br />

an der Abgasanlage besser erkannt werden.<br />

• Reflektoren an Fahrradanhängern<br />

Fahrradanhänger, die ab 1. Januar in den Handel<br />

kommen, benötigen ab einer Breite von 60 Zentimetern<br />

zwei weiße Reflektoren an der Vorderseite<br />

und zwei rote Reflektoren an der Rückseite.<br />

Vorgeschrieben ist zudem eine rote Rückleuchte,<br />

wenn der Anhänger die Hälfte des Fahrradrücklichts<br />

verdeckt.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 51


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

VII. Energie und Umwelt<br />

• Förderanträge für Ökoheizungen<br />

Seit Jahresbeginn müssen Anträge auf Förderung<br />

für Heizungen mit erneuerbaren Energien immer<br />

vor Beginn der Umsetzung beantragt werden. Der<br />

Förderantrag muss beim Bundesamt für Wirtschaft<br />

und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eingereicht sein, bevor<br />

der Auftrag zur Errichtung einer Biomasse-,<br />

Solarthermie-Anlage oder einer Wärmepumpe vergeben<br />

wird.<br />

• Öfen und Kamine<br />

Seit dem 1. Januar erhalten Festbrennstoff-Einzelraumheizgeräte<br />

bis 50 Kilowatt (LOT 20) erstmals<br />

das EU-Energielabel. Darunter fallen mit Öl,<br />

Gas oder Festbrennstoffen (Holz, Pellets) befeuerte<br />

Kamine, Öfen und Herde. Die Energieeffizienzskala<br />

reicht dann von A++ bis G.<br />

• Neue Dokumentationspflicht in der Landwirtschaft<br />

Landwirte müssen seit Jahresbeginn 2018 in sog.<br />

Stoffstrombilanzen festhalten, wie viele Nährstoffe<br />

– etwa Stickstoff und Phosphor – in ihrem Betrieb<br />

ein- und ausfließen. Sie sind Teil des „Düngepakets“,<br />

das die Düngung, die Nährstoffeffizienz und<br />

den Umweltschutz verbessern soll.<br />

[Quelle: Bundesregierung]<br />

Basiszinssatz zum 1.1.2018<br />

Der Basiszinssatz beträgt auch im 1. Halbjahr 2018<br />

unverändert -0,88 %. Er wird zum 1. Januar und 1. Juli<br />

eines jeden Jahres festgelegt und gem. § 247 Abs. 2<br />

BGB durch die Deutsche Bundesbank im Bundesanzeiger<br />

bekannt gemacht. Bedeutung hat er etwa<br />

für die Berechnung von Verzugszinsen nach § 288<br />

BGB und für die Verzinsung im Rahmen der Kostenfestsetzung<br />

nach § 104 Abs. 1 ZPO sowie auch für<br />

die Notarkosten (§ 88 GNotKG). Die Werte für<br />

die zurückliegenden Zeiträume lauten: 2. Halbjahr<br />

2017: -0,88 %; 1. Halbjahr 2017: -0,88 %; 2. Halbjahr<br />

2016: -0,88 %; 1. Halbjahr 2016: -0,83 %.<br />

[Quelle: Bundesbank]<br />

Berufsrechtliche Änderungen im<br />

neuen Jahr<br />

Das neue Jahr bringt auch einige Neuerungen im<br />

anwaltlichen Berufsrecht mit sich, die teilweise<br />

aber noch mit Fragezeichen behaftet sind (vgl.<br />

auch die nachstehende Meldung zum besonderen<br />

elektronischen Anwaltspostfach). Im Wesentlichen<br />

sind dies:<br />

• Zustellung von Anwalt zu Anwalt<br />

Nachdem das Bundesministerium der Justiz und<br />

für Verbraucherschutz mitgeteilt hat, dass es die<br />

Beschlüsse der Satzungsversammlung vom Mai<br />

2017 gebilligt hat, gilt seit dem 1. Januar der wie<br />

folgt neu gefasste § 14 S. 1 BORA: „Der Rechtsanwalt<br />

hat ordnungsgemäße Zustellungen von Gerichten,<br />

Behörden und Rechtsanwälten entgegenzunehmen<br />

und das Empfangsbekenntnis mit dem Datum versehen<br />

unverzüglich zu erteilen.“<br />

• Eintragung zur weiteren Kanzlei<br />

In § 31 Abs. 3 BRAO und in der Rechtsanwaltsverzeichnis-<br />

und -postfachverordnung (RAVPV)<br />

sind zum 1.1.2018 Änderungen aufgenommen<br />

worden, die zwar im Wesentlichen Änderungen<br />

für die Rechtsanwaltskammern enthalten, aber<br />

auch in einigen Punkten den Anwalt direkt angehen:<br />

So hat er jetzt nach § 31 Abs. 3 Nr. 2 BRAO<br />

z.B. endlich die Möglichkeit, seine Kanzlei, in der<br />

er tätig ist, in das Rechtsanwaltsverzeichnis einzutragen.<br />

Dies kann aus Marketinggründen für<br />

Anwälte interessant werden.<br />

• Wahl der Kammervorstände<br />

Die Regelung in § 88 Abs. 2 BORA, die nunmehr<br />

die Briefwahl für die Wahl zu den Kammervorständen<br />

vorsieht, tritt zwar erst zum 1.7.2018 in<br />

Kraft. Die Vorschrift enthält allerdings auch die<br />

Option, eine elektronische Wahl durchzuführen.<br />

So hat die Kammerversammlung der Rechtsanwaltskammer<br />

Köln im November 2017 – soweit<br />

ersichtlich – als erste Kammer diese Option ausgeübt<br />

und eine neue Wahlordnung erlassen, die<br />

die elektronische Wahl als Regelfall vorsieht.<br />

• Elektronischer Rechtsverkehr mit den<br />

Gerichten<br />

Das neue Jahr soll für die Anwaltschaft auch die<br />

nahezu flächendeckende Eröffnung des elektronischen<br />

Rechtsverkehrs eröffnen. Das Gesetz zur<br />

Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit<br />

den Gerichten v. 10.10.2013 sieht nämlich maßgebliche<br />

Änderungen in den einzelnen Prozessordnungen<br />

zum 1.1.2018 vor. So ermöglichen § 130a ZPO,<br />

§ 14 FamFG, § 46c ArbGG, § 65a SGG, § 55a VwGO<br />

und § 52a FGO, dass elektronische Dokumente bei<br />

Gericht bundesweit eingereicht werden können.<br />

52 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

Die Länder haben von der Verordnungsermächtigung,<br />

dieses Inkrafttreten für ihren Zuständigkeitsbereich<br />

um jeweils ein Jahr bis zum 1.1.2020 in<br />

die Zukunft zu verschieben, jedenfalls bislang<br />

(Stand: 8.1.2018) keinen Gebrauch gemacht. Eine<br />

Ausnahme zu den vorstehenden Ausführungen gilt<br />

in Straf- und OWi-Sachen. Hier erfolgte die<br />

Anbindung an den elektronischen Rechtsverkehr<br />

erst mit dem Gesetz zur Einführung der elektronischen<br />

Akte in der Justiz und zur weiteren<br />

Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs v.<br />

5.7.2017, wonach Bund und Länder von einer Optout-Regelung<br />

Gebrauch machen können. Strafrechtler<br />

sollten sich daher zum aktuellen Stand der<br />

Dinge unter http://bea.brak.de/achtung-opt-out/ informieren.<br />

Das besondere elektronische Anwaltspostfach<br />

(beA) konnte hingegen nicht wie vorgesehen zum<br />

1.1.2018 starten (s. näher dazu die nachstehende<br />

Meldung).<br />

[Red.]<br />

Probleme beim elektronischen<br />

Anwaltspostfach<br />

Das besondere elektronische Anwaltspostfach<br />

(beA) ist zwar – nach einigen technischen Schwierigkeiten<br />

– bereits vor gut einem Jahr an den Start<br />

gegangen (vgl. <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin 24/2016,<br />

S. 1269). Eine Mehrheit der Anwälte hatte davon<br />

jedoch zunächst keinen Gebrauch gemacht, so<br />

dass sich die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK)<br />

angesichts von erst 22.500 Registrierungen für das<br />

neue Postfach im Juli vergangenen Jahres veranlasst<br />

sah, einen Appell zur Erstregistrierung an<br />

alle Nichtnutzer zu richten (vgl. dazu <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />

15/2017, S. 779). Denn eine – auch passive<br />

– Nutzungspflicht gab es zunächst nicht, sie<br />

wurde erst mit der Rechtsanwaltsverzeichnisund<br />

-postfachverordnung (RAVPV) nachgereicht<br />

und auf den 1.1.2018 festgelegt.<br />

Allerdings vermeldete die BRAK kurz vor diesem<br />

Termin – am 22. Dezember 2017 –, dass es ein<br />

technisches Problem gebe: Ein für die beA-<br />

Anwendung notwendiges Zertifikat sei, wie<br />

man kurzfristig erfahren habe, nicht mehr gültig.<br />

Deshalb sei es notwendig, dass alle beA-Nutzer<br />

vor der nächsten Nutzung des Postfachs ein<br />

zusätzliches Zertifikat installieren. Eine detaillierte<br />

22-seitige Anleitung zum Download und zur<br />

Installation der neuen Software wurde mitgeliefert.<br />

Schon wenige Tage später, am 27. Dezember,<br />

riet die BRAK aber zur sofortigen Deinstallation<br />

des neuen Zertifikats, da dieses „möglicherweise<br />

Sicherheitsrisiken für die individuelle PC-Umgebung“<br />

mit sich bringe.<br />

In einer Pressemitteilung vom gleichen Tage<br />

erklärte der Vizepräsident der BRAK, Dr. MARTIN<br />

ABEND: „Es ist bedauerlich, dass das beA, eine für die<br />

deutsche Anwaltschaft besonders wichtige technische<br />

Errungenschaft, derzeit nicht zur Verfügung steht. Die<br />

BRAK räumt der Sicherheit des beA und aller Anwältinnen<br />

und Anwälte, die das beA einsetzen, absoluten<br />

Vorrang ein. Das betrifft insbesondere auch<br />

mögliche Hackerangriffe auf die Client-Security“. Daher<br />

habe die BRAK auch vom technologischen<br />

Dienstleister vorgeschlagene Zwischenlösungen<br />

verworfen. „Im Interesse eines sicheren elektronischen<br />

Rechtsverkehrs und zum Schutze der Anwaltschaft<br />

wird das beA wieder zur Verfügung stehen,<br />

sobald unser Dienstleister eine Lösung für diese<br />

Sicherheitslücke gefunden hat“, so Dr. ABEND.<br />

Auf Nachfrage der <strong>ZAP</strong>-Redaktion erläuterte die<br />

BRAK weiter: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt müssen<br />

wir davon ausgehen, dass bis zum 1. Januar keine<br />

hinreichende Lösung umgesetzt werden kann, die<br />

sowohl den Fortbestand der Sicherheit der beA-<br />

Webanwendungen wie auch die Sicherheit der individuellen<br />

Client-Security eines jeden Anwalts garantieren<br />

kann. Bevor dies nicht der Fall ist, wird die BRAK<br />

aber die beA-Plattform nicht erneut freischalten.“<br />

Aus einem Schreiben des BRAK-Präsidenten EKKEHART<br />

SCHÄFER vom 3.1.2018 geht hervor, dass momentan<br />

davon ausgegangen wird, dass das beA auch im Januar<br />

nicht erreichbar und nicht adressierbar sein<br />

werde, auch nicht für Gerichte oder andere nichtanwaltliche<br />

Teilnehmer am elektronischen Rechtsverkehr.<br />

Zur passiven Nutzungspflicht erklärte<br />

SCHÄFER: „Während das beA offline ist, kann die von uns<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten grundsätzlich ab<br />

1. Januar 2018 zu beachtende passive Nutzungspflicht natürlich<br />

nicht erfüllt werden. Die BRAK hat daher umgehend<br />

nach Weihnachten das Bundesministerium der Justiz<br />

und für Verbraucherschutz offiziell hierüber in Kenntnis<br />

gesetzt. In den nächsten Tagen werden wir das Gespräch<br />

mit den zuständigen Vertretern des Ministeriums suchen.“<br />

Über das weitere Vorgehen will die BRAK u.a. auf<br />

ihrer Webseite (www.brak.de) informieren.<br />

Angesichts dieser Schwierigkeiten hatte sich auch<br />

der Deutsche Anwaltverein (DAV) zu Wort ge-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 53


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

meldet. Er mahnte „transparente“ Informationen<br />

seitens der BRAK an und forderte für die Zukunft<br />

die Einrichtung eines unabhängigen Fachbeirats<br />

für das beA. So bestehe die Chance, dass das<br />

Risiko von Problemen wie diesem in der Zukunft<br />

minimiert werden könne.<br />

[Red.]<br />

Anwälte erringen Etappensieg<br />

gegen „abfindungsheld.de“<br />

Mit einiger Skepsis beobachten viele Anwälte, wie<br />

im Internet ständig neue Anbieter von Rechtsdienstleistungen<br />

entstehen, die versuchen, sich<br />

einen Teil vom „Kuchen“ des Beratungsmarkts<br />

abzuschneiden. Nicht selten schießen diese jedoch<br />

werblich über das Ziel hinaus und riskieren<br />

damit die direkte gerichtliche Auseinandersetzung<br />

mit der Rechtsanwaltschaft, wie wir an<br />

dieser Stelle schon öfters berichtet haben (vgl.<br />

etwa <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin 22/2017, S. 1168).<br />

Ein weiterer Fall, der die Richter in letzter Zeit<br />

beschäftigt hat, ist eine Webseite des Unternehmens<br />

„Legal Hero GmbH“ mit dem Titel<br />

„abfindungsheld.de“. Hier wurde betroffenen Arbeitnehmern<br />

versprochen, für sie Abfindungsansprüche<br />

durchzukämpfen, und dies praktisch<br />

ohne Kostenrisiko. Mit Slogans wie „Wir setzen Ihr<br />

Recht durch – Wenn Sie uns beauftragen, holen unsere<br />

Rechtsexperten Ihnen Ihre Abfindung. Wir ziehen bis vor<br />

Gericht, ohne dass Ihnen Kosten entstehen. Sie können<br />

sich zurücklehnen und entspannen“ und „Schon gewusst?<br />

abfingungsheld.de übernimmt Ihr volles Prozesskostenrisiko<br />

und ist günstiger als jeder Anwalt – es gibt<br />

nichts zu verlieren! Jetzt selbst ausprobieren und<br />

weitersagen!“ warb das Internetportal gegen eine<br />

25-prozentige Erfolgsbeteiligung um Mandate<br />

von entlassenen Arbeitnehmern.<br />

Die Kammer für Handelssachen des LG Bielefeld<br />

hatte allerdings für diese Art der Werbung wenig<br />

übrig und untersagte auf Antrag des lokalen<br />

Anwaltvereins per einstweiliger Verfügung viele<br />

der Werbeaussagen auf „abfindungsheld.de“ (Beschl.<br />

v. 1.8.2017 – 15 O 67/17). Sie seien irreführend i.S.d.<br />

§ 5 Abs. 1 S. 2 UWG und damit geeignet, den<br />

Verbraucher in unlauterer Weise zu beeinflussen,<br />

befand die Kammer.<br />

Es werde der Eindruck erweckt, die Online-Plattform<br />

biete eine komplette Abwicklung der<br />

außergerichtlichen und gerichtlichen Durchsetzung<br />

eines Abfindungsanspruchs aus einem gekündigten<br />

Arbeitsverhältnis an, was nicht den<br />

Tatsachen entspreche, so die Richter.<br />

In Wahrheit beschränke sich die Leistung der<br />

Webseite bloß auf eine Vorabprüfung der Erfolgsaussichten<br />

einer Klage und die Vermittlung eines<br />

Partneranwalts; dies ergebe allerdings erst ein<br />

genauer Blick auf die AGB des Anbieters. Zudem<br />

liege eine Falschbehauptung in der Aussage, man<br />

sei günstiger als jeder Anwalt; dies könne man bei<br />

einer pauschalen Erfolgsbeteiligung von 25 % gar<br />

nicht im Voraus wissen.<br />

Der Fall ist nun in die mündliche Verhandlung<br />

gegangen, weil der Anbieter Teile der einstweiligen<br />

Verfügung für ungerechtfertigt hält. Wettbewerbsexperten<br />

erwarten mit Blick auf dieses<br />

Verfahren, dass es in Zukunft wohl noch viele<br />

ähnliche Streitigkeiten zwischen Anwaltschaft<br />

und Internetdienstleistern geben wird, denn deren<br />

niederschwellige Angebote seien für viele<br />

Ratsuchende einfach sehr attraktiv. [Red.]<br />

Barcamp-Veranstaltung zu Rechtsfragen<br />

der Industrie 4.0<br />

Im Dezember 2017 richtete die Arbeitsgemeinschaft<br />

IT-Recht des Deutschen Anwaltvereins<br />

(davit) bereits zum zweiten Mal ein sog. Barcamp<br />

in den Düsseldorfer Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei<br />

aus. Die Veranstaltung stand unter dem<br />

Motto „Industrie 4.0 und Digitalisierung“. Entsprechend<br />

dem offenen und dynamischen Barcamp-Format<br />

lebte sie in erster Linie von eingebrachten<br />

Beiträgen und Themenwünschen der<br />

Besucher, d.h. jeder konnte Fragen mitbringen, an<br />

Diskussionen teilnehmen oder selbst vortragen.<br />

Zur Sprache kamen diesmal u.a. Compliance-<br />

Probleme beim digitalen Lernen in Unternehmen,<br />

die Zukunft des klassischen Bankengeschäfts und<br />

Fragen rund um die neuen sog. Kryptowährungen.<br />

Hintergrund der Barcamp-Veranstaltungen ist die<br />

Tatsache, dass die Informationstechnologie immer<br />

stärker auch in das Arbeitsfeld der Juristen vordringt,<br />

etwa im Wirtschafts- und Arbeitsrecht, wo<br />

sich gleich eine ganze Reihe von Fragen zum<br />

Daten-, Geheimnis- und Arbeitnehmerschutz<br />

stellt. Bei dem in der Industrie zunehmend wichtigen<br />

Thema des digitalen Lernens etwa ist noch<br />

weitgehend ungeklärt, wie es mit dem Geheim-<br />

54 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


<strong>ZAP</strong><br />

Anwaltsmagazin<br />

nisschutz und den urheberrechtlichen Interessen<br />

in Unternehmen zu vereinbaren ist, wenn in<br />

kollaborativ und teilweise über Firmengrenzen<br />

hinweg arbeitenden Gruppen innovative Konzepte<br />

erarbeitet werden. Auch stellt sich die Frage, wie<br />

es mit Arbeitnehmerrechten zu vereinbaren ist, die<br />

einzelnen Mitarbeiter mittels neuer technologischer<br />

Möglichkeiten zu überwachen.<br />

Immer größere Bedeutung für die Wirtschaft<br />

kommt auch den sog. Kryptowährungen zu, d.h.<br />

digitalen Währungen, die nicht durch staatliche<br />

Stellen geschaffen werden, etwa den sog. Bitcoins.<br />

Hier wurden in der Veranstaltung viele Rechtsunsicherheiten<br />

offenbar, die sich beim Erwerb, Tausch<br />

und Transfer eines solchen digitalen Geldes stellen.<br />

Insgesamt zeigte die Barcamp-Veranstaltung auf,<br />

dass es auf juristischem Gebiet für das Thema<br />

„Industrie 4.0“ noch viel Klärungsbedarf gibt. Und<br />

sie machte deutlich, dass die unvermeidliche<br />

Digitalisierung aller Lebensbereiche die Anforderungen<br />

an die Rechtsberater verändern wird.<br />

[Red.]<br />

Mietgerichtstag 2018<br />

Vom 16.3. bis zum 17.3.2018 wird der nächste<br />

Mietgerichtstag in Dortmund, Kongresszentrum<br />

Westfalenhalle, stattfinden. Er hat in diesem Jahr<br />

das „Mietrecht im Spannungsfeld der Interessen“<br />

zum Hauptthema.<br />

Die Vorträge der Veranstaltung befassen sich u.a.<br />

mit verhaltensauffälligen und suzidgefährdeten<br />

Mietern, der Mietpreisbremse, der möblierten<br />

Wohnung und der E-Mobilität.<br />

In den Arbeitskreisen stehen u.a. die Themen<br />

Nebenverträge bei der Gewerberaummiete, Mängel<br />

der Mietsache und die Digitalisierung im<br />

Mietverhältnis auf der Tagesordnung.<br />

Der Tagungsbeitrag beträgt 250 € für Mitglieder<br />

bzw. 320 € für Nichtmitglieder. Die Anmeldung zur<br />

Teilnahme erfolgt unter www.mietgerichtstag.de<br />

oder schriftlich an den Deutschen Mietgerichtstag<br />

e.V.<br />

[Quelle: Mietgerichtstag]<br />

Neue Regelbedarfe in der Sozialhilfe<br />

nach dem SGB XII<br />

Seit dem 1.1.2018 gelten neue Regelbedarfe in der<br />

Sozialhilfe:<br />

• für jede erwachsene Person, die in einer<br />

Wohnung lebt und für die nicht die Regelbedarfsstufe<br />

2 gilt: 416 € (Regelbedarfsstufe 1);<br />

• für jede erwachsene Person, wenn sie in einer<br />

Wohnung mit einem Ehegatten, Lebenspartner<br />

oder sonstigen Partner zusammenlebt:<br />

374 € (Regelbedarfsstufe 2);<br />

• für eine erwachsene Person, die in einer<br />

stationären Einrichtung lebt: 332 € (Regelbedarfsstufe<br />

3);<br />

• für Jugendliche vom Beginn des 15. Lebensjahres<br />

bis unter 18 Jahre: 316 € (Regelbedarfsstufe<br />

4);<br />

• für Kinder vom Beginn des 7. bis zur Vollendung<br />

des 14. Lebensjahres: 296 € (Regelbedarfsstufe<br />

5);<br />

• für Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres:<br />

240 € (Regelbedarfsstufe 6).<br />

[Quelle: BMAS]<br />

Neue Rechengrößen in der Sozialversicherung<br />

Mit der Verordnung über die Sozialversicherungsrechengrößen 2018 wurden die maßgeblichen<br />

Rechengrößen der Sozialversicherung gemäß der Einkommensentwicklung im Jahr 2016 turnusgemäß<br />

angepasst. Die aktuellen Werte für 2018 sind aus der nachstehenden Tabelle ersichtlich:<br />

Beitragsbemessungsgrenze:<br />

allgemeine Rentenversicherung<br />

Beitragsbemessungsgrenze: knappschaftliche<br />

Rentenversicherung<br />

West<br />

Ost<br />

Monat Jahr Monat Jahr<br />

6.500 € 78.000 € 5.800 € 69.600 €<br />

8.000 € 96.000 € 7.150 € 85.800 €<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 55


Anwaltsmagazin<br />

<strong>ZAP</strong><br />

West<br />

Ost<br />

Monat Jahr Monat Jahr<br />

Beitragsbemessungsgrenze:<br />

6.500 € 78.000 € 5.800 € 69.600 €<br />

Arbeitslosenversicherung<br />

Versicherungspflichtgrenze:<br />

4.950 € 59.400 € 4.950 € 59.400 €<br />

Kranken- u. Pflegeversicherung<br />

Beitragsbemessungsgrenze:<br />

4.425 € 53.100 € 4.425 € 53.100 €<br />

Kranken- u. Pflegeversicherung<br />

Bezugsgröße in der Sozialversicherung 3.045 €* 36.540 €* 2.695 € 32.340 €<br />

vorläufiges Durchschnittsentgelt/Jahr<br />

in der Rentenversicherung<br />

37.873 €<br />

* In der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung gilt dieser Wert bundeseinheitlich.<br />

[Quelle: BGBl]<br />

Wichtige Gesetzesverkündungen im Überblick<br />

Bundesgesetzblatt Teil I 2017<br />

Verordnung vom Inkrafttreten BGBl, S. Anmerkung<br />

Verordnung über maßgebende Rechengrößen<br />

der Sozialversicherung für 2018<br />

(Sozialversicherungs-Rechengrößenverordnung<br />

2018)<br />

Verordnung über die technischen<br />

Rahmenbedingungen des elektronischen<br />

Rechtsverkehrs und über das<br />

besondere elektronische Behördenpostfach<br />

(Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung<br />

– ERVV)<br />

Erste Verordnung zur Änderung der<br />

Verordnung über das Genehmigungsverfahren<br />

– 9. BImSchV<br />

Verordnung zur Bestimmung der Beitragssätze<br />

in der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

für das Jahr 2018<br />

(Beitragssatzverordnung 2018 – BSV<br />

2018)<br />

Verordnung über die pauschalierten<br />

Nettoentgelte für das Kurzarbeitergeld<br />

für das Jahr 2018<br />

Bekanntmachung zu § 115 der Zivilprozessordnung<br />

(Prozesskostenhilfebekanntmachung<br />

2018 – PKHB 2018)<br />

Bekanntmachung der Umrechnungsfaktoren<br />

für den Versorgungsausgleich<br />

in der Rentenversicherung<br />

16.11.2017 1.1.2018 3778 u.a. Festlegung des Durchschnittsentgelts,<br />

der Beitragsbemessungsgrenzen<br />

in der Rentenversicherung<br />

sowie der<br />

Bezugsgröße in der Sozialversicherung<br />

(s. vorstehende Meldung)<br />

24.11.2017 1.1.2018 3803 u.a. Regelung des elektronischen<br />

Rechtsverkehrs mit allen Gerichten<br />

(s. auch <strong>ZAP</strong> Anwaltsmagazin<br />

2/2018, S. 52, in diesem<br />

Heft)<br />

8.12.2017 14.12.2017 3882 Änderung der Bestimmungen<br />

über die Umweltverträglichkeitsprüfung<br />

18.12.2017 1.1.2018 3976 Beitragssatz für die allg. Rentenversicherung<br />

18,6 %; für die<br />

knappschaftliche Rentenversicherung<br />

24,7 %<br />

19.12.2017 1.1.2018 3989 pauschalierte Nettoentgelte zur<br />

Berechnung des Kurzarbeitergeldes<br />

15.12.2017 1.1.2018 4012 Bekanntgabe der vom Einkommen<br />

abzusetzenden Beträge<br />

18.12.2017 1.1.2018 4013 Umrechnungsfaktoren für die<br />

allg. und knappschaftliche Rentenversicherung<br />

[Quelle: BGBl]<br />

56 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


<strong>ZAP</strong><br />

Berufsrechtsreport<br />

Berufsrechtsreport<br />

Von Akad. Rat Dr. CHRISTIAN DECKENBROCK und Akad. Rat Dr. DAVID MARKWORTH, Universität zu Köln<br />

I. Einleitung<br />

In Heft 16/2017 ist erstmals eine Ausgabe des Berufsrechtsreports<br />

in der <strong>ZAP</strong> erschienen (DECKENBROCK/<br />

MARKWORTH <strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837 ff.). Ziel dieses Reports<br />

ist es, einen Überblick über wesentliche Gesetzesänderungen<br />

und die wichtigste Rechtsprechung<br />

im anwaltlichen Berufsrecht zu geben.<br />

Nachdem im ersten Berufsrechtsreport in etwa<br />

die Entwicklungen im anwaltlichen Berufsrecht im<br />

Jahr 2016 und in der ersten Hälfte des Jahres 2017<br />

nachgezeichnet worden sind, stehen nun die<br />

Neuigkeiten der zweiten Jahreshälfte 2017 im Blickpunkt;<br />

soweit es sich um Entscheidungen älteren<br />

Datums handelt, sind diese erst im Berichtszeitraum<br />

bekannt geworden. Künftig soll in aller Regel<br />

ein jährlicher Report immer um den Jahreswechsel<br />

erscheinen (ein weiterer Überblick findet sich bei<br />

GRUNEWALD NJW 2017, 3627 ff.; speziell zur Entwicklung<br />

des Fachanwaltsrechts 2017 s. ENGEL BRAK-<br />

Mitt. 2017, 275 ff.).<br />

Damit will der Report zugleich einen Beitrag dazu<br />

leisten, dem selbst vom Rechtsausschuss des<br />

Deutschen Bundestags konstatierten Umstand<br />

entgegenzuwirken, dass „gerade bei neu zugelassenen<br />

Rechtanwälten häufig tatsächlich erhebliche Defizite<br />

bei den Kenntnissen des anwaltlichen Berufsrechts<br />

zu bemerken“ sind (BT-Drucks 18/11468, S. 10). Vor<br />

dem Hintergrund dieses Befunds ist es misslich,<br />

dass nach wie vor das anwaltliche Berufsrecht in<br />

der Juristenausbildung kaum eine Rolle spielt. Zwar<br />

hatte die Bundesregierung im vergangenen Jahr<br />

versucht, im Rahmen der sog. kleinen BRAO-Novelle<br />

(Gesetz zur Umsetzung der Berufsanerkennungsrichtlinie<br />

und zur Änderung weiterer Vorschriften<br />

im Bereich der rechtsberatenden Berufe<br />

v. 12.5.2017 [BGBl I, S. 1121]; dazu <strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837,<br />

838) eine Berufspflicht für Rechtsanwälte mit dem<br />

Inhalt einzuführen, innerhalb eines Jahres nach<br />

Zulassung den Nachweis über eine zehnstündige<br />

Unterrichtung im anwaltlichen Berufsrecht zu erbringen<br />

(BT-Drucks 18/9521, S. 9, 110 ff.). Dieser<br />

überaus sinnvolle Ansatz wurde allerdings genauso<br />

wie der Plan, der Satzungsversammlung der BRAK<br />

in § 59b Abs. 2 Nr. 1 lit. h BRAO die Kompetenz<br />

einzuräumen, nicht nur diese neue, auf die Kenntnisse<br />

im Berufsrecht bezogene Berufspflicht, sondern<br />

auch die allgemeine Fortbildungspflicht (§ 43a<br />

Abs. 6 BRAO) näher zu regeln, im Rechtsausschuss<br />

des Deutschen Bundestags gestoppt (BT-Drucks<br />

18/11468, S. 10; dazu DECKENBROCK NJW 2017, 1425,<br />

1430). Die Begründung für dieses negative Votum<br />

ist äußerst dürftig und reicht bis zu dem Vorwurf,<br />

die neuen Fortbildungspflichten sollten nur eingeführt<br />

werden, weil „Vertreter berufsständischer Organisationen<br />

ein Interesse daran haben, dass ihre Fortbildungsinstitute<br />

am Markt beteiligt werden“ (vgl. die<br />

Rede des Abgeordneten DETLEF SEIF [CDU/CSU], BT-<br />

Plenarprotokoll 18/225, S. 22626 [D]).<br />

Zu hoffen bleibt, dass der Gesetzgeber in der<br />

neuen Legislaturperiode die Kraft aufbringt, die<br />

Neuregelung der Fortbildungspflichten abermals<br />

anzugehen. Die Satzungsversammlung der BRAK<br />

hat insoweit bereits am 19.5.2017 eine Resolution<br />

verabschiedet, mit der sie das Bundesministerium<br />

der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) und<br />

den Gesetzgeber auffordert, sich erneut mit der<br />

Konkretisierung der allgemeinen Fortbildungspflicht<br />

zu befassen. Im Rahmen einer Reform<br />

wird auch erneut zu diskutieren sein, wie Grundkenntnisse<br />

des Anwalts in seinem Berufsrecht<br />

sicherzustellen sind. Der Rechtsausschuss hat die<br />

Auffassung vertreten, dass die diesbezüglichen<br />

Mängel vorzugsweise durch eine verbesserte Ausbildung<br />

im Studium oder insbesondere im Referendariat<br />

abgestellt werden sollten (BT-Drucks<br />

18/11468, S. 10). Der Ausschuss der Konferenz der<br />

Justizministerinnen und Justizminister zur Koor-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 57


Berufsrechtsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

dinierung der Juristenausbildung teilt in seinem<br />

Bericht mit dem Titel „Harmonisierungsmöglichkeiten<br />

für die juristischen Prüfungen: Austausch mit den<br />

juristischen Fakultäten“ vom November 2017 die<br />

Sichtweise der anwaltlichen Berufskörperschaften<br />

und -verbände immerhin insoweit, als eine Ausbildung<br />

im anwaltlichen Berufsrecht zumindest für<br />

diejenigen Referendare wünschenswert ist, die den<br />

Anwaltsberuf anstreben. Dies war für den Koordinierungsausschuss<br />

ausschlaggebend dafür, das<br />

anwaltliche Berufsrecht – für viele Länder erstmals<br />

– in den Stoffkatalog mit aufzunehmen, wobei es<br />

den Ländern freigestellt bleiben soll, ob dieses<br />

Stoffgebiet Teil der Pflicht- oder der Wahlfachausbildung<br />

wird (vgl. Bericht 2017, S. 31 f., 82).<br />

II.<br />

Rechtspolitische Entwicklungen<br />

1. Schutz von Geheimnissen bei der<br />

Mitwirkung Dritter<br />

Bereits in der letzten Ausgabe des Berufsrechtsreports<br />

wurde über das geplante Gesetz zur<br />

Neuregelung des Schutzes von Geheimnissen bei<br />

der Mitwirkung Dritter an der Berufsausübung<br />

schweigepflichtiger Personen und seine Auswirkungen<br />

auf das sog. Non-Legal-Outsourcing berichtet<br />

(<strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837, 839). Mit der Neuregelung<br />

werden die offenen Rechtsfragen des<br />

„Non-Legal-Outsourcing“ wie etwa die Auslagerung<br />

von IT-Services auf externe Dienstleister<br />

geklärt. Insbesondere wird durch Änderungen der<br />

straf- und berufsrechtlichen Verschwiegenheitspflicht<br />

klargestellt, dass das Offenbaren von geschützten<br />

Geheimnissen gegenüber Personen, die<br />

an der beruflichen oder dienstlichen Tätigkeit des<br />

Berufsgeheimnisträgers mitwirken, nicht als strafbares<br />

Handeln zu qualifizieren ist, soweit die<br />

Offenlegung für die Inanspruchnahme der Tätigkeit<br />

der mitwirkenden Personen erforderlich ist; im<br />

Gegenzug werden die mitwirkenden Personen in<br />

den Straftatbestand des § 203 StGB einbezogen;<br />

entsprechende Änderungen sieht das Gesetz für das<br />

Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53a StPO) und damit<br />

mittelbar auch für das Beschlagnahmeverbot nach<br />

§97StPOvor(s.zuEinzelheitenCORNELIUS NJW 2017,<br />

3751 ff.; GRUPP AnwBl 2017, 816 ff.; LANGE <strong>ZAP</strong> 21/2017,<br />

S. 1097 f. sowie speziell zu den Besonderheiten bei<br />

Steuerberatern BRÜGGEMANN/REIN DStR 2017, 2572;<br />

ein Muster für die notwendige Belehrung findet<br />

sich bei EL-AUWAD AnwBl Online 2018, 26). Inzwischen<br />

ist das Gesetz v. 30.10.2017 mit Wirkung v.<br />

9.11.2017 in Kraft getreten (BGBl I, S. 3618).<br />

2. Besonderes elektronisches<br />

Anwaltspostfach<br />

Ohne Beanstandung aus Karlsruhe konnte zum<br />

1.1.2018 die aus § 31a Abs. 6 BRAO folgende<br />

Verpflichtung, die für das besondere elektronische<br />

Anwaltspostfach (beA) erforderlichen technischen<br />

Einrichtungen vorzuhalten sowie Zustellungen und<br />

den Zugang von Mitteilungen über das beA zur<br />

Kenntnis zu nehmen (sog. passive Nutzungspflicht),<br />

in Kraft treten. Die 1. Kammer des Ersten<br />

Senats des BVerfG hat die gegen die Einführung des<br />

elektronischen Anwaltspostfachs erhobene Verfassungsbeschwerde<br />

mit Beschluss vom 20.12.2017<br />

(Az. 1 BvR 2233/17) als unzulässig zurückgewiesen.<br />

Der beschwerdeführende Rechtsanwalt habe eine<br />

mögliche Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG nicht<br />

ausreichend dargelegt. So fehle es an Anhaltspunkten,<br />

dass es sich bei dem Zweck der Vorschriften<br />

– also bei der Förderung des elektronischen<br />

Rechtsverkehrs, der Eröffnung eines<br />

rechtssicheren und schnellen Kommunikationswegs<br />

zu den Gerichten und anderen Anwälten<br />

sowie der Einsparung von Porto- und Druckkosten<br />

– nicht um spezifische berufsbezogene Gemeinwohlgründe<br />

handele. Seine bloße Behauptung, mit<br />

der Einführung des beA sei tatsächlich eine Kostensteigerung<br />

verbunden, könne mangels einer vergleichenden<br />

Kostenaufstellung nicht nachvollzogen<br />

werden. Soweit er mit dem beA eine sichere<br />

Kommunikation für unmöglich halte, habe er sich<br />

nicht genügend mit den konkret getroffenen<br />

Sicherheitsvorkehrungen wie etwa der Ende-zu-<br />

Ende-Verschlüsselung auseinandergesetzt. Zudem<br />

lasse die Beschwerdeschrift nicht erkennen, warum<br />

die angegriffenen Regelungen eine übermäßige<br />

Belastung des Beschwerdeführers erwarten ließen.<br />

Insbesondere sei der Anwalt nicht verpflichtet, die<br />

über das beA eingehenden Mitteilungen jederzeitig<br />

unmittelbar und sofort persönlich zur Kenntnis zu<br />

nehmen.<br />

Wenngleich damit die rechtlichen Fragen rund<br />

um das beA geklärt waren, machte die Technik<br />

der reibungslosen Einführung des beA einen<br />

Strich durch die Rechnung: Am 22.12.2017 sah<br />

sich die BRAK gezwungen, die beA-Plattform<br />

offline zu stellen, nachdem ein für den Zugang<br />

erforderliches Zertifikat als Einfallstor für mögliche<br />

Hacker-Angriffe eingestuft und gesperrt<br />

worden war. Auch wenn nach Aussage der<br />

BRAK die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung davon<br />

nicht betroffen und die Vertraulichkeit der Datenübertragungen<br />

zu jedem Zeitpunkt gesichert war,<br />

58 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


<strong>ZAP</strong><br />

Berufsrechtsreport<br />

tragen diese technischen Probleme und allgemeinen<br />

Sicherheitslücken nicht zur notwendigen<br />

vollständigen Akzeptanz des ohnehin umstrittenen<br />

beA bei. Mit Schreiben vom 3.1.2018<br />

informierte die BRAK die Anwaltschaft darüber,<br />

dass das beA voraussichtlich auch den gesamten<br />

Januar nicht erreichbar und nicht adressierbar<br />

sein wird; die seit dem Jahreswechsel geltende<br />

passive Nutzungspflicht läuft damit zunächst leer.<br />

3. Reform des anwaltlichen<br />

Gesellschaftsrechts<br />

Unabhängig von der Frage, wie sich die künftige<br />

Bundesregierung genau zusammensetzen wird,<br />

dürfte aus anwaltlicher Sicht die angestrebte<br />

Reform der §§ 59a ff. BRAO von besonderer<br />

Bedeutung sein (<strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837, 839 ff.). Die<br />

Neuordnung des anwaltlichen Gesellschaftsrechts<br />

ist dabei insbesondere angesichts des Beschlusses<br />

des BVerfG vom 12.1.2016 (Az. 1 BvL 6/13, BGBl I,<br />

S. 244; s. nachfolgend auch BGH, Beschl. v.<br />

12.4.2016 – II ZB 7/11) längst überfällig. In diesem<br />

hatte der Senat die Regelung des § 59a Abs. 1<br />

BRAO, nach der sich Rechtsanwälte allein mit<br />

Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern zur gemeinschaftlichen<br />

Berufsausübung zusammenschließen<br />

dürfen, insoweit für verfassungswidrig<br />

erklärt, als er Rechtsanwälten eine solche Berufsausübung<br />

mit Ärzten oder Apothekern im Rahmen<br />

einer Partnerschaftsgesellschaft untersagt (<strong>ZAP</strong><br />

16/2017, S. 837, 839). Angesichts des eng gefassten<br />

Tenors der Entscheidung – nur in diesem Rahmen<br />

kommt dem Beschluss Gesetzeskraft zu (§ 31<br />

BVerfGG) – besteht für die Praxis weiter Unsicherheit<br />

darüber, inwiefern die interprofessionelle<br />

Zusammenarbeit darüber hinaus zulässig ist, ob<br />

Anwälten also auch die Zusammenarbeit mit<br />

anderen Berufsgruppen wie Architekten und Ingenieuren<br />

und in anderen Rechtsformen wie etwa<br />

der Partnerschaftsgesellschaft einzuräumen ist<br />

(dazu HENSSLER/DECKENBROCK AnwBl 2016, 211, 212 ff.).<br />

Der Deutsche Anwaltverein (DAV) hat nun am<br />

14.12.2017 durch seinen Berufsrechtsausschuss im<br />

Rahmen einer sog. Initiativstellungnahme einen<br />

konkreten Vorschlag zur Änderung des § 59a<br />

BRAO vorgelegt (abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/sn-58-17-sn-58-17-dav-fordert-erweiterte-moeglichkeiten-fuer-inte-76169,<br />

letzter Abruf:<br />

8.1.2018). In diesem spricht sich der DAV<br />

dafür aus, die Zusammenarbeit mit Angehörigen<br />

anderer verkammerter Freiberufe (u.a. Ärzten,<br />

Zahnärzten, Apothekern, Architekten, Ingenieuren),<br />

mit regulierten Freiberuflern (zertifizierten<br />

Mediatoren i.S.d. § 5 Abs. 2 MediationsG), aber<br />

auch mit nicht regulierten Freiberuflern und<br />

Gewerbetreibenden (beratenden Volks- und Betriebswirten,<br />

d.h. Unternehmensberatern, Finanzdienstleistern,<br />

Versicherungsagenten sowie<br />

hauptberuflichen Sachverständigen) zuzulassen.<br />

Gleichzeitig soll durch Änderungen des § 203<br />

StGB und des § 53a StPO eindeutig klargestellt<br />

werden, dass Verschwiegenheitspflicht, Zeugnisverweigerungsrecht<br />

und Beschlagnahmeverbot<br />

auch für die Angehörigen anderer Berufe gelten,<br />

mit denen sich ein Rechtsanwalt zur gemeinsamen<br />

Berufsausübung verbunden hat, soweit diese in<br />

Mandaten des Rechtsanwalts mitarbeiten oder<br />

von dem Geheimnis aufgrund der gemeinsamen<br />

Berufsausübung anderweitig Kenntnis erlangen.<br />

Der Entwurfsvorschlag des DAV-Berufsrechtsausschusses<br />

darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen,<br />

dass eine Erweiterung der Möglichkeiten<br />

einer interprofessionellen Zusammenarbeit nur ein<br />

Mosaikstein im Rahmen einer groß angelegten<br />

Reform des anwaltlichen Gesellschaftsrechts,<br />

wenn nicht sogar des gesamten (Personen-)Gesellschaftsrechts,<br />

sein kann. Der Gesetzgeber muss<br />

zudem den Beschluss des BVerfG vom 14.1.2014<br />

(Az. 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12; BGBl I, S. 111)<br />

umsetzen, nach dem in der Anwalts-GmbH die<br />

zugunsten der Anwälte bestehenden Mehrheitserfordernisse<br />

(im Hinblick auf die Geschäftsanteile<br />

und Stimmrechte sowie auf die verantwortliche<br />

Führung der Gesellschaft und die Mehrheit der<br />

Geschäftsführer, vgl. §§ 59e Abs. 2 S. 1, 59f Abs. 1 S. 1<br />

und 2 BRAO) ebenfalls verfassungsrechtlich nicht<br />

haltbar sind. Darüber hinaus sollte die Reform die<br />

vollständige berufsrechtliche Anerkennung der<br />

Berufsausübungsgesellschaft mit rechtsformneutralen<br />

Regelungen zur Zulassung, zur Postulationsfähigkeit<br />

und zur berufsrechtlichen Verantwortlichkeit<br />

zum Ziel haben (zu Einzelheiten<br />

DECKENBROCK AnwBl 2014, 118 ff.; HENSSLER AnwBl<br />

2017, 378 ff.).<br />

4. Geldwäsche<br />

Hinsichtlich der auch für Rechtsanwälte relevanten<br />

Änderungen, die das neu gefasste Gesetz<br />

über das Aufspüren von Gewinnen aus<br />

schweren Straftaten (Geldwäschegesetz – GwG)<br />

v. 23.6.2017 (BGBl I, S. 1822) mit sich gebracht hat,<br />

sei auf die Beiträge von BURMEISTER/UWER AnwBl<br />

2017, 1038 ff. und JECK KammerForum RAK Köln<br />

2017, 113 ff. verwiesen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 59


Berufsrechtsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

III. Anwaltshaftung<br />

Einige der interessantesten Entscheidungen des<br />

BGH, die in der zweiten Jahreshälfte 2017 veröffentlicht<br />

wurden, befassen sich mit der Reichweite<br />

der Anwaltshaftung (s. auch den Überblick<br />

bei BORGMANN NJW 2017, 3344 ff.).<br />

1. Sorgfaltspflichten bei Übersendung von<br />

Schriftsätzen per Telefax<br />

Noch eher konventionell mutet insofern ein Beschluss<br />

des II. Zivilsenats des BGH vom 23.5.2017<br />

(Az. II ZB 19/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 664/2017) an, mit dem<br />

einer Rechtsbeschwerde stattgegeben wurde, die<br />

sich gegen die Versagung der Wiedereinsetzung in<br />

die Berufungsfrist wendete. Der Kläger und Beschwerdeführer<br />

hatte die Berufungsfrist versäumt,<br />

weil die zweite Seite der Berufungsschrift mit der<br />

abschließenden Unterschrift seines Prozessbevollmächtigten<br />

am letzten Tag des Fristlaufs nicht per<br />

Fax an das zuständige Gericht übermittelt worden<br />

war. Die zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte<br />

im Büro des Prozessbevollmächtigten hatte zwar<br />

weisungsgemäß das Sendeprotokoll des Faxgeräts<br />

auf eine vollständige und ordnungsgemäße Übermittlung<br />

hin überprüft, ihr war das Fehlen der<br />

zweiten Seite aber nicht aufgefallen. Zu Recht<br />

stellte der BGH klar, dass die hier sowohl allgemein<br />

als auch auf den konkreten Übersendungsvorgang<br />

hin erfolgte Weisung des Prozessbevollmächtigten<br />

notwendig (vgl. insofern auch BGH, Beschl. v.<br />

27.6.2017 – VI ZB 32/16), aber auch ausreichend<br />

war, um ein Organisationsverschulden und damit<br />

eine Verschuldenszurechnung zum Mandanten<br />

über § 85 Abs. 2 ZPO auszuschließen. Weder hätte<br />

der Rechtsanwalt zusätzlich eine nachträgliche<br />

inhaltliche Kontrolle der versandten Schriftstücke<br />

noch ihre getrennte Übersendung, geschweige<br />

denn eine telefonische Rückfrage bezüglich der<br />

vollständigen Übermittlung bei der zuständigen<br />

Geschäftsstelle, veranlassen müssen.<br />

2. Unrichtige Rechtsmittelbelehrung<br />

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch<br />

auf einen Beschluss des V. Zivilsenats vom<br />

28.9.2017 (Az. V ZB 109/16), mit welchem der<br />

Senat seine Anfang des Jahres begründete Rechtsprechungslinie<br />

fortsetzt (vgl. Beschl. v. 9.3.2017 –<br />

V ZB 18/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 434/2017), nach der ein<br />

Rechtsanwalt in aller Regel einem unverschuldeten<br />

Rechtsirrtum unterliegt, wenn er in einer<br />

Wohnungseigentumssache aufgrund einer unrichtigen<br />

Rechtsmittelbelehrung Berufung nicht<br />

bei dem nach § 72 Abs. 2 GVG zuständigen<br />

Berufungsgericht, sondern bei dem für allgemeine<br />

Zivilsachen zuständigen Berufungsgericht einlegt.<br />

Als Folge dieser Rechtsprechung ist der Partei<br />

Wiedereinsetzung in die aus diesem Grund versäumte<br />

Berufungsfrist zu gewähren (vgl. zustimmend<br />

GEISLER jurisPR-BGHZivilR 12/2017 Anm. 3).<br />

Die Entscheidung zeigt, dass selbst der BGH<br />

bei der Frage, ob eine Zuständigkeitskonzentration<br />

i.S.d. § 72 Abs. 2 GVG eintritt, so viele Unwägbarkeiten<br />

sieht, dass eine insofern unrichtige<br />

Rechtmittelbelehrung praktisch nie „offenkundig<br />

fehlerhaft“ sein kann; eine solche Sichtweise wäre<br />

aber Voraussetzung, um die Vermutungsregelung<br />

in § 233 S. 2 ZPO widerlegen zu können.<br />

Insgesamt ist es zu begrüßen, dass sich ein<br />

Anwalt nach Auffassung des BGH grundsätzlich<br />

auf die vom Gericht erteilten Rechtsmittelbelehrungen<br />

verlassen können muss. Der V. Zivilsenat<br />

hat in seiner jüngsten Entscheidung sogar einem<br />

Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht<br />

im Hinblick auf die Frage der offenkundigen<br />

Fehlerhaftigkeit keinen erhöhten Kenntnisstand<br />

unterstellt. Man wird gleichwohl die Entscheidung<br />

nicht dahingehend verallgemeinern können,<br />

dass ein Anwalt stets ausnahmslos auf die erteilte<br />

Rechtsmittelbelehrung vertrauen darf. Immerhin<br />

hatte der V. Senat bei einer Belehrung, die statt<br />

einer Rechtsbeschwerde „die Beschwerde“ als<br />

statthaftes Rechtsmittel angeführt hatte, noch<br />

anders entschieden (vgl. Beschl. v. 12.10.2016 –<br />

V ZB 178/15, s. auch die restriktive Entscheidung,<br />

die das LSG Niedersachsen mit Beschl v. 24.8.2017<br />

– L 14 U 49/17 getroffen hat). Auch lässt sich der<br />

Entscheidung nicht allgemein entnehmen, dass<br />

mit der Verleihung einer Fachanwaltsbezeichnung<br />

insgesamt kein erhöhter Verschuldensmaßstab<br />

des Rechtsanwalts verbunden sein kann.<br />

3. Haftung des Anwaltsmediators<br />

Für großes Aufsehen hat ein Urteil des IX. Zivilsenats<br />

des BGH vom 21.9.2017 (Az. IX ZR 34/17,<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 687/2017) gesorgt. Der BGH hatte<br />

insofern erstmalig die Gelegenheit, sich zu den<br />

Berufspflichten und der Berufshaftung eines als<br />

Mediator tätigen Rechtsanwalts (Anwaltsmediators)<br />

zu äußern. Der Entscheidung liegt ein überaus<br />

atypischer Sachverhalt zugrunde, in dem ein gravierendes<br />

Fehlverhalten gleich mehrerer anwaltlicher<br />

Berufsträger in Rede stand: Eine Anwaltsmediatorin,<br />

die spätere Beklagte, beriet ein<br />

Ehepaar, das eine kostengünstige und einvernehm-<br />

60 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


<strong>ZAP</strong><br />

Berufsrechtsreport<br />

liche Scheidung anstrebte. Für den Ehemann zog<br />

die Beklagte eine weitere Anwältin als Verfahrensbevollmächtigte<br />

im Scheidungsverfahren heran, für<br />

die Ehefrau trat ein „Fluranwalt“ als Terminsvertreter,<br />

der spätere Kläger, auf. Die beiden Parteivertreter<br />

erklärten in der mündlichen Verhandlung<br />

jeweils einen Verzicht auf Durchführung des Versorgungsausgleichs<br />

und einen Rechtsmittelverzicht,<br />

obwohl es zu der durch die Beklagten<br />

anvisierten Scheidungsfolgenvereinbarung außerhalb<br />

des gerichtlichen Scheidungsverfahrens nicht<br />

gekommen war und der Ehefrau ein erheblicher<br />

Versorgungsausgleichsanspruch zugestanden hätte.<br />

Im Anschluss verklagte die Ehefrau ihren<br />

Terminsvertreter erfolgreich auf Schadensersatz,<br />

der nun seinerseits die Anwaltsmediatorin –<br />

schlussendlich erfolgreich – im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs<br />

in Anspruch nahm.<br />

Dem nicht alltäglichen Sachverhalt zum Trotz,<br />

enthält das Urteil einige für die Praxis der<br />

Anwaltsmediation bedeutsame Klarstellungen.<br />

So schloss sich der Senat explizit der bereits im<br />

Schrifttum vorherrschenden Auffassung an, nach<br />

der die Berufshaftung des Anwaltsmediators regelmäßig<br />

den Grundsätzen der strengen anwaltlichen<br />

Berufshaftung folgt, zumindest sofern der<br />

Anwaltsmediator es übernommen hat, einvernehmliche<br />

rechtliche Lösungsvorschläge zu entwickeln<br />

(krit. hierzu JUNGK/CHAB/GRAMS BRAK-Mitt.<br />

2017, 280, 281). Dies liegt insbesondere bei einer<br />

allparteilichen mediatorischen Beratung zur Herbeiführung<br />

einer einvernehmlichen Scheidung<br />

überaus nahe. Hieraus folgen unmittelbar sehr<br />

weitgehende Aufklärungs- und Prüfpflichten, die<br />

für den Anwaltsmediator noch potenziert werden,<br />

da er nicht nur gegenüber einem, sondern allparteilich<br />

gegenüber zwei oder mehreren Mandanten<br />

tätig wird (vgl. § 2 Abs. 3 MediationsG; ausführlich<br />

zu diesen Pflichten MARKWORTH AnwBl 2017, 1189 f.).<br />

In der Folge kann Anwaltsmediatoren nur geraten<br />

werden, eine individuelle Rechtsberatung im Mediationsvertrag<br />

explizit auszuschließen, im Rahmen<br />

der Beratung hierauf auch faktisch zu<br />

verzichten und die Parteien auf eine jeweils individuelle<br />

Mandatierung eines Drittanwalts zu<br />

verweisen, sich also auf ihre eigentliche Rolle als<br />

Mediator (rück-)zubesinnen (MARKWORTH AnwBl<br />

2017, 1189, 1190; ebenso EHLERS-HOFHERR NJW 2017,<br />

3446, 3447; GREGER BRAK-Mitt. 2017, 294, 295).<br />

Auch über diese Entscheidung hinaus ist die<br />

(Anwalts-)Mediation derzeit, ihrer stark gestiegenen<br />

praktischen Bedeutung entsprechend, im<br />

Fokus regulatorischen und wissenschaftlichen<br />

Interesses (vgl. PLASSMANN BRAK-Mitt. 2017, 265 ff.).<br />

Hinzuweisen ist insofern auf die am 1.9.2017 in<br />

Kraft getretene Verordnung des BMJV über die<br />

Aus- und Fortbildung von zertifizierten Mediatoren<br />

(Zertifizierte-Mediatoren-Ausbildungsverordnung<br />

– ZMediatAusbV) v. 21.8.2016 (BGBl I,<br />

S. 1994; krit. dazu EIDENMÜLLER/FRIES AnwBl 2017,<br />

23 ff.; PLASSMANN AnwBl 2017, 26 ff.).<br />

4. Vermeidbarkeit eines Verbotsirrtums bei<br />

anwaltlicher Beratung<br />

Aus einem ganz anderen Grund überaus bedeutsam<br />

ist daneben ein Urteil des VI. Zivilsenats vom<br />

16.5.2016 (Az. VI ZR 266/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 528/2017).<br />

In diesem befasste sich der erkennende Senat<br />

mit der Frage, inwiefern das Vertrauen auf<br />

eingeholten rechtsanwaltlichen Rat einen unvermeidbaren<br />

Verbotsirrtum beim Mandanten<br />

zu begründen geeignet ist. Unter Übertragung<br />

der bereits stark ausgeformten Jurisprudenz<br />

der Strafsenate betonte der VI. Senat, dass<br />

die Inanspruchnahme von Rechtsrat jedenfalls<br />

nicht pauschal vor einer deliktsrechtlichen Haftung<br />

schützen kann. So wirken insbesondere<br />

erkennbar vordergründige, mangelhafte und<br />

nur einzelne Rechtsfragen adressierende „Gefälligkeitsgutachten“<br />

mit „Feigenblattfunktion“ nicht<br />

entlastend (krit. dazu GIEDINGHAGEN/SCHWARTZ EWiR<br />

2017, 559, 560). Der Mandant darf sich bei<br />

komplexen Sachverhalten und erkennbar schwierigen<br />

Rechtsfragen durch die Einholung des<br />

Rechtsrats nicht nur der Richtigkeit der eigenen<br />

Position vergewissern, d.h. diese absichern lassen,<br />

sondern muss eine detaillierte und ergebnisoffene<br />

Prüfung beauftragen. In der Literatur wird zum<br />

Teil sogar empfohlen, zwei unabhängige Gutachten<br />

einzuholen und genau zu dokumentieren,<br />

welcher Auftrag dem Anwalt erteilt worden ist<br />

(vgl. BAUSCH NJW 2017, 2465).<br />

Gerade vor dem Hintergrund der derzeit justiziell<br />

aufzuarbeitenden sog. Cum-Ex-Deals, deren<br />

rechtliche Unbedenklichkeit sich Banken und<br />

vermögende Kunden durch zahlreiche Gutachten<br />

renommierter Wirtschaftskanzleien hatten bestätigen<br />

lassen, lässt die Entscheidung aufhorchen.<br />

Auch wenn sie einen nicht unmittelbar<br />

vergleichbaren Sachverhalt betraf, zeigt sie nicht<br />

nur ein Einfallstor für möglicherweise gravierende<br />

Haftungsrisiken der auf den Anwaltsrat<br />

fälschlich vertrauenden Mandanten, sondern<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 61


Berufsrechtsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

auch für den Einwand des Mitverschuldens (§ 254<br />

BGB) in sich anschließenden Haftungsprozessen<br />

gegen die Berater.<br />

5. Fehlender Hinweis auf die Erfolgsaussichten<br />

eines Rechtsmittels<br />

Hinzuweisen ist weiterhin auf eine Entscheidung<br />

des für die Anwaltshaftung zuständigen IX. Zivilsenats<br />

(Urt. v. 13.10.2016 – IX ZR 214/15, <strong>ZAP</strong> EN-<br />

Nr. 77/2017), die sich mit der Frage auseinandersetzt,<br />

inwiefern ein für das erstinstanzliche<br />

Verfahren beauftragter Rechtsanwalt auch<br />

ohne dahingehenden Auftrag verpflichtet ist,<br />

seinen Mandanten über die Aussichten eines<br />

Rechtsmittels aufzuklären. Dem Rechtsanwalt<br />

war im zu entscheidenden Fall nach Auffassung<br />

des Senats bereits im Verfahren insofern eine<br />

haftungsbegründende Pflichtverletzung unterlaufen,<br />

als er das erstinstanzlich erkennende<br />

Gericht nicht auf eine ohne weiteres ersichtliche<br />

Divergenz der von dem Spruchkörper vertretenen<br />

Rechtsauffassung zur höchstrichterlichen<br />

Rechtsprechung hingewiesen hatte. Hierzu sei er<br />

zum Schutz seines Mandanten aus dem Anwaltsvertrag<br />

verpflichtet gewesen – dies mag<br />

den unbedarften Rechtsanwender vor dem Hintergrund<br />

der richterlichen Hinweispflicht nach<br />

§ 139 ZPO und der bekannten Rechtsregel „da mihi<br />

factum, dabo tibi ius“ zwar erstaunen, entspricht<br />

aber einer gefestigten Rechtsprechung (vgl.<br />

BORGMANN NJW 2017, 3344, 3346). Im Anschluss<br />

an das erstinstanzliche Urteil sei dann ein weiterer<br />

Beratungsfehler hinzugetreten, weil aufgrund<br />

der offensichtlichen Divergenz zwischen<br />

Urteil und höchstrichterlicher Rechtsprechung<br />

die Erfolgsaussichten eines etwaigen Rechtsmittels<br />

gegenüber dem Mandaten nicht als<br />

risikoreich und nichtexistent, sondern vielmehr<br />

als erfolgversprechend hätten dargestellt werden<br />

müssen. Dieses letzte Versäumnis schließe zugleich<br />

den Einwand eines Mitverschuldens des<br />

Mandanten, anknüpfend an die Tatsache, dass<br />

dieser kein Rechtsmittel eingelegt habe, aus.<br />

Im Ergebnis ist der Entscheidung zuzustimmen.<br />

Unverständlich ist aber, weshalb der erkennende<br />

Senat sich genötigt sah, hier künstlich zwei<br />

verschiedene Pflichtverletzungen zu konstruieren,<br />

obwohl dem eingetretenen Schaden offensichtlich<br />

nur ein anwaltliches Versäumnis – das<br />

Übersehen der Divergenz zwischen der Auffassung<br />

des erkennenden Gerichts und der höchstrichterlichen<br />

Rechtsprechung – zugrunde lag.<br />

IV. Zulassungsrecht<br />

1. Mangelhafte Abwägung bei Versagung der<br />

Zulassung wegen Unwürdigkeit<br />

Bereits in der letzten Ausgabe des Berufsrechtsreports<br />

war der Fall einer Assessorin vorgestellt<br />

worden, die während ihres Referendariats im<br />

Anschluss an eine vermeintlich ungerechte Behandlung<br />

ihren ausbildenden Staatsanwalt mit<br />

drastischen Worten angegangen hatte und hierfür<br />

zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen<br />

verurteilt worden war (<strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837, 847).<br />

Die Rechtsanwaltskammer Köln hatte diesen<br />

Vorfall zum Anlass genommen, um den Zulassungsantrag<br />

der Bewerberin wegen Unwürdigkeit<br />

(§ 7 Nr. 5 BRAO) abschlägig zu bescheiden.<br />

Das BVerfG (Beschl. v. 22.10.2017 – 1 BvR 1822/16)<br />

hat nun diese Zulassungsversagung sowie die<br />

beiden sie bestätigenden Entscheidungen (AGH<br />

NRW, Urt. v. 30.10.2015 – 1 AGH 25/15; BGH,<br />

Beschl. v. 27.6.2016 – AnwZ [Brfg] 10/16) im<br />

Verfassungsbeschwerdeverfahren kassiert. Die<br />

1. Kammer des Ersten Senats hat in ihrer zutreffenden<br />

Entscheidung hervorgehoben, dass die<br />

Versagung der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />

einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht<br />

auf Freiheit der Berufswahl aus Art. 12<br />

Abs. 1 S. 1 GG darstelle. Verfassungsrechtlich sei<br />

eine einzelfallbezogene Abwägung der grundrechtlichen<br />

Belange des Antragstellers mit den<br />

der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft entgegenstehenden<br />

Gemeinwohlbelangen geboten. Zwar<br />

könne sich ein festgestelltes Fehlverhalten auch<br />

noch einige Zeit später zulasten des Bewerbers<br />

auswirken, wenn er sich weiterhin uneinsichtig<br />

zeigt und die Tat rechtfertigt. Es genüge jedoch<br />

für die Rechtmäßigkeit der Zulassungsversagung<br />

nicht, wenn sich die Entscheidung darauf beschränke,<br />

aus der Würdigung der Persönlichkeit<br />

der Bewerberin den Schluss zu ziehen, dass sie für<br />

den Anwaltsberuf nicht tragbar sei. Vielmehr sei<br />

eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf die<br />

Beeinträchtigung der einer Zulassung entgegenstehenden<br />

Interessen der Öffentlichkeit notwendig.<br />

In ihr hätte ausgeführt werden müssen, dass<br />

und warum davon auszugehen sei, dass die Antragstellerin<br />

im Falle ihrer Zulassung als Rechtsanwältin<br />

in einer Art und Weise auftreten würde,<br />

die das Vertrauen in die Integrität der Rechtsanwaltschaft<br />

insbesondere im Interesse einer<br />

funktionierenden Rechtspflege beeinträchtigen<br />

könnte, sei es, dass Gerichte Rechtsstreitigkeiten<br />

nicht mehr zielgerichtet und zweckmäßig betrei-<br />

62 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


<strong>ZAP</strong><br />

Berufsrechtsreport<br />

ben oder aber die Rechtsuchenden eine vertrauenswürdige<br />

Rechtsberatung und Vertretung im<br />

Rechtsstreit nicht erlangen könnten.<br />

Trotz der erfolgreichen Verfassungsbeschwerde<br />

muss die Beschwerdeführerin weiter auf ihre<br />

bereits im August 2014 beantragte Zulassung<br />

zur Rechtsanwaltschaft warten. Denn das BVerfG<br />

hat sich – in gewohnter Zurückhaltung – darauf<br />

beschränkt, die Sache zur erneuten Verhandlung<br />

und Entscheidung an den AGH NRW zurückzuverweisen.<br />

Es ist aber nicht damit zu rechnen,<br />

dass der AGH angesichts der deutlichen Fingerzeige<br />

aus Karlsruhe der Antragstellerin erneut die<br />

Zulassung versagen wird (DECKENBROCK NJW 2017,<br />

3706, 3707).<br />

2. Vortätigkeiten im Staatsdienst und<br />

anwaltliche Berufsausübung<br />

Immer wieder kommt es vor, dass Juristen nach<br />

Beendigung ihrer Zeit im Staatsdienst noch eine<br />

anwaltliche Tätigkeit aufnehmen wollen. Grundsätzlich<br />

ist das auch ohne weiteres zulässig, zwei<br />

aktuelle Entscheidungen zeigen jedoch, dass auch<br />

tatsächlich Abstand von der vorherigen Tätigkeit<br />

genommen werden muss.<br />

So entschied der AGH Sachsen-Anhalt (Urt. v.<br />

31.3.2017 – 1 AGH 1/16), dass ein Ministerialdirigent,<br />

dem Altersteilzeit im Blockmodell bewilligt worden<br />

ist und der sich in der Freistellungsphase<br />

befindet, gem. § 7 Nr. 10 BRAO keinen Anspruch<br />

auf Zulassung zur Rechtsanwaltschaft hat. Insofern<br />

erachtet es das erkennende Gericht richtigerweise<br />

für maßgeblich, dass für den Kläger<br />

trotz der Freistellung vom Dienst, anders als für<br />

den in den einstweiligen Ruhestand versetzten<br />

Beamten, weiterhin sämtliche Pflichten eines im<br />

aktiven Dienstverhältnis stehenden Beamten gelten,<br />

also von einer Nebentätigkeit und damit<br />

einem geringer schutzbedürftigen Zweitberuf<br />

auszugehen ist.<br />

Das BVerwG bestätigte in seinem Urteil vom<br />

4.5.2017 (Az. 2 C 45/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 582/2017)<br />

demgegenüber zumindest teilweise eine erstinstanzliche<br />

Entscheidung des VG Münster, nach<br />

der einem in den Ruhestand versetzten Richter<br />

gem. § 71 DRiG i.V.m. § 41 S. 2 BeamtStG eine<br />

Karenzfrist auferlegt werden kann, vor deren<br />

Ablauf er nicht als Rechtsanwalt vor dem Gericht,<br />

an dem er zuvor tätig war, auftreten darf. Mit<br />

dem Tätigkeitsverbot soll bereits der Anschein<br />

eines möglichen Interessen- und Loyalitätskonflikts<br />

im Dienstbereich des Gerichts vermieden<br />

und auf diese Weise die Integrität der Rechtspflege<br />

und das Vertrauen in diese geschützt<br />

werden. Eine bloße Hintergrundberatung oder<br />

andere „of counsel“-Aktivitäten, die auch für die<br />

früheren Kollegen nicht erkennbar sind, hält das<br />

Gericht demgegenüber, genau wie die bloße<br />

Anwesenheit des früheren Richters in dem für<br />

die allgemeine Öffentlichkeit reservierten Zuschauerbereich<br />

des Gerichtssaals, für unmittelbar<br />

zulässig. Selbst ein örtlich und zeitlich begrenztes<br />

Verbot derartiger Tätigkeiten sei vor dem Hintergrund<br />

der Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1<br />

GG) nicht zu rechtfertigen. Die letztere Einschränkung<br />

hat zur Folge, dass Karenzfristen,<br />

wie diejenige im vorliegenden Fall, den Betätigungskreis<br />

ehemaliger Richter in der Praxis nur<br />

geringfügig tangieren werden, weil ihnen schlussendlich<br />

nur der aktive Auftritt in der mündlichen<br />

Verhandlung sowie die Unterzeichnung und Einreichung<br />

von Schriftsätzen versagt bleiben (dies<br />

befürwortend STUTTMANN NVwZ 2017, 1211, 1212;<br />

JURETZEK DStR 2017, 2248).<br />

3. Zulassungswiderruf wegen<br />

Vermögensverfalls<br />

Verfahren, die den Widerruf der Zulassung zur<br />

Rechtsanwaltschaft wegen eingetretenen Vermögensverfalls<br />

zum Gegenstand haben, machen<br />

traditionell den Hauptanteil der Entscheidungen<br />

des Anwaltssenats des BGH aus; dies gilt auch für<br />

die zweite Jahreshälfte 2017. Auch wenn die<br />

diesbezüglichen Grundsätze weitgehend geklärt<br />

sind, sollen sie aufgrund ihrer Bedeutung für die<br />

Praxis nochmals knapp nachgezeichnet werden:<br />

Vermögensverfall wird gem. § 14 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2<br />

BRAO u.a. dann vermutet, wenn der Rechtsanwalt<br />

in das Schuldnerverzeichnis i.S.d. § 882<br />

ZPO eingetragen wurde. Die gesetzliche Vermutung<br />

ist nur dann ausgeschlossen, wenn der<br />

Rechtsanwalt nachweist, dass die der Eintragung<br />

zugrunde liegende Forderung bereits getilgt ist<br />

(BGH, Beschl. v. 14.9.2017 – AnwZ [Brfg] 35/16<br />

Rn 9). Hierzu muss er ein vollständiges und<br />

detailliertes Verzeichnis seiner Gläubiger und seiner<br />

Verbindlichkeiten vorlegen und konkret darlegen,<br />

dass seine Vermögens- und Einkommensverhältnisse<br />

nachhaltig geordnet sind (BGH,<br />

Beschl. v. 24.7.2017 – AnwZ [Brfg] 25/17 Rn 7;<br />

Beschl. v. 14.9.2017 – AnwZ [Brfg] 35/16 Rn 10;<br />

Beschl. v. 12.10.2017 – AnwZ [Brfg] 39/17 Rn 7, <strong>ZAP</strong><br />

EN-Nr. 20/2018). Maßgeblicher Beurteilungszeit-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 63


Berufsrechtsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

punkt ist insofern aber nach ständiger Rechtsprechung<br />

des BGH der Abschluss des behördlichen<br />

Widerrufsverfahrens, also der Zeitpunkt des<br />

Ausspruchs der Widerrufsverfügung bzw. – wenn<br />

das Landesrecht ein Widerspruchsverfahren vorsieht<br />

– des Erlasses des Widerspruchsbescheids.<br />

Eine danach eintretende Konsolidierung der wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse ist nur in einem Wiederzulassungsverfahren<br />

zu berücksichtigen (grundlegend<br />

BGH, Beschl. v. 29.6.2011 – AnwZ [Brfg] 11/10<br />

Rn 9 ff.; s. dazu DECKENBROCK AnwBl 2015, 365, 373 f.<br />

sowie jetzt zudem etwa BGH, Beschl. v. 24.7.2017 –<br />

AnwZ [Brfg] 25/17 Rn 5; Beschl. v. 8.9.2017 – AnwZ<br />

[Brfg] 28/17 Rn 4; Beschl. v. 14.9.2017 – AnwZ [Brfg]<br />

35/16 Rn 6; Beschl. v. 18.9.2017 – AnwZ [Brfg] 27/17<br />

Rn 6; Beschl. v. 12.10.2017 – AnwZ [Brfg] 39/17 Rn 7,<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 20/2018).<br />

Mit dem Vermögensverfall ist wiederum grundsätzlich<br />

eine Gefährdung der Interessen der<br />

Rechtsuchenden verbunden (vgl. etwa BGH,<br />

Beschl. v. 24.7.2017 – AnwZ [Brfg] 25/17 Rn 12;<br />

Beschl. v. 8.9.2017 – AnwZ [Brfg] 28/17 Rn 8; Beschl.<br />

v. 18.9.2017 – AnwZ [Brfg] 27/17 Rn 5). Diese<br />

Gefährdung zu widerlegen, wird i.d.R. nicht gelingen.<br />

So betont der BGH, dass eine Widerlegung nur<br />

in seltenen Ausnahmefällen in Betracht komme<br />

und den Rechtsanwalt insofern die Feststellungslast<br />

treffe. Voraussetzung hierfür sei zumindest,<br />

dass der Rechtsanwalt seine anwaltliche Tätigkeit<br />

insofern beschränkt habe, dass er sie nur noch für<br />

eine Rechtsanwaltssozietät ausübe und mit dieser<br />

rechtlich abgesicherte Maßnahmen verabredet<br />

habe, die eine Gefährdung der Mandanten effektiv<br />

verhindern. Selbst auferlegte Beschränkungen eines<br />

in Vermögensverfall befindlichen und weiter<br />

als Einzelanwalt tätigen Rechtsanwalts reichten<br />

demgegenüber nicht aus, da eine ausreichende<br />

Überwachung der notwendigen Sicherungsmaßnahmen<br />

in einer Einzelkanzlei nicht gewährleistet<br />

sei (BGH, Beschl. v. 24.7.2017 – AnwZ [Brfg] 25/17<br />

Rn 12; Beschl. v. 8.9.2017 – AnwZ [Brfg] 28/17 Rn 8;<br />

Beschl. v. 18.9.2017 – AnwZ [Brfg] 27/17 Rn 5;<br />

Beschl. v. 12.10.2017 – AnwZ [Brfg] 39/17 Rn 8, <strong>ZAP</strong><br />

EN-Nr. 20/2018; zu den Anforderungen im Einzelnen<br />

s. insb. BGH Beschl. v. 18.10.2004 – AnwZ [B]<br />

43/03; Beschl. v. 5.12.2005 – AnwZ [B] 13/05;<br />

Beschl. v. 15.9.2008 – AnwZ [B] 67/07 Rn 5 ff.<br />

sowie HENSSLER, in: HENSSLER/PRÜTTING, BRAO, 4. Aufl.<br />

2014, § 14 Rn 35 ff.).<br />

Wegen der durch einen Vermögensverfall indizierten<br />

Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden<br />

sind zudem im Falle eines Terminverlegungsantrags<br />

an den Verhinderungsgrund<br />

und dessen Glaubhaftmachung strenge Anforderungen<br />

zu stellen (BGH, Beschl. v. 12.10.2017 –<br />

AnwZ [Brfg] 39/17 Rn 13, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 20/2018; vgl.<br />

zuvor bereits BGH, Beschl. v. 12.3.2015 – AnwZ<br />

[Brfg] 43/14 Rn 5; Beschl. v. 28.11.2016 – AnwZ<br />

[Brfg] 23/16 Rn 10). Bei Erkrankungen muss der<br />

betroffene Rechtsanwalt grundsätzlich rechtzeitig<br />

für die Bestellung eines Verfahrensbevollmächtigten<br />

Sorge tragen; hiervon kann er nur<br />

entbunden sein, wenn sich seine Erkrankung erst<br />

unmittelbar vor dem Termin unvorhergesehen<br />

und grundlegend so verschlechtert, dass ihm eine<br />

Teilnahme am Termin unmöglich wird. Insoweit<br />

genügt nicht der entsprechende Vortrag, sondern<br />

erforderlich ist die Vorlage geeigneter und aussagekräftiger<br />

Belege.<br />

4. Syndikusrechtsanwälte<br />

Auch in der zweiten Jahreshälfte 2017 reißt der<br />

Strom an Entscheidungen, die sich mit der<br />

Zulassung als Syndikusrechtsanwalt beschäftigen,<br />

nicht ab (s. auch den Überblick bei HUFF BRAK-<br />

Mitt. 2017, 203 ff.). Aufgrund der Vielschichtigkeit<br />

der behandelten Materien ist eine generalisierende<br />

Betrachtung dieser Entscheidungen weiterhin<br />

kaum möglich, insbesondere weil die<br />

Gerichte oftmals gezwungen sind, jeweils stark<br />

individualisiert die konkrete Tätigkeit des Antragstellers<br />

im Einzelfall zu prüfen. Zudem ist in einer<br />

Vielzahl von Fällen der Rechtsweg noch nicht<br />

erschöpft.<br />

Immerhin hatte nun erstmals der BGH Gelegenheit,<br />

sich zu den Anforderungen an die Zulassung<br />

zur Syndikusrechtsanwaltschaft zu positionieren<br />

(BGH, Beschl. v. 1.8.2017 – AnwZ [Brfg] 14/17 m.<br />

zust. Anm. OFFERMANN-BURCKART NJW 2017, 2837).<br />

Er hat zutreffend hervorgehoben, dass Regelungen,<br />

die keine Weisungen innerhalb des Arbeitsverhältnisses<br />

darstellen und an die auch der<br />

Arbeitgeber selbst gebunden ist (im Streitfall<br />

ging es um Verrechnungsgrundsätze und Auslegungsbeschlüsse<br />

eines Rückdeckungspools), die<br />

fachliche Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit<br />

der Tätigkeit des Syndikusrechtsanwalts,<br />

unabhängig von ihrer Dichte und Detailliertheit,<br />

nicht berühren. Damit steht zugleich fest, dass<br />

Bindungen und Vorgaben des Mandanten, die<br />

auch jeder niedergelassene Anwalt im Mandat zu<br />

beachten hat, der Zulassung als Syndikusrechtsanwalt<br />

nicht entgegenstehen.<br />

64 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


<strong>ZAP</strong><br />

Berufsrechtsreport<br />

Voraussichtlich am 29.1.2018 wird sich der Anwaltssenat<br />

erneut mit den Vorgaben der §§ 46 ff.<br />

BRAO befassen (Az. AnwZ [Brfg] 12/17). Dieses<br />

Mal geht es um die Zulassung eines Anwalts, der<br />

zwar grundsätzlich eine Syndikustätigkeit ausübt,<br />

nun aber als Betriebsratsvorsitzender freigestellt<br />

ist. Der AGH NRW (Urt. v. 25.11.2016 –<br />

1 AGH 50/16; dazu krit. SCHUBERT AnwBl Online<br />

2018, 39 f.) hatte insoweit der DRV Bund als<br />

Rentenversicherungsträgerin recht gegeben.<br />

Das Urteil des BGH könnte auch Aufschluss<br />

darüber geben, ob Elternzeit oder eine längere<br />

Erkrankung zum Widerruf der Zulassung führen<br />

können (s. dazu auch HUFF BRAK-Mitt. 2017, 203,<br />

207 f.).<br />

Restriktiv mutet auch ein Urteil des AGH Rheinland-Pfalz<br />

vom 11.8.2017 (Az. 1 AGH 17/16) an. Mit<br />

diesem versagte der Senat einer Rechtsanwältin,<br />

die für ihren Arbeitgeber – einem nach § 10 Abs. 1<br />

S. 1 Nr. 2 RDG registrierten Anbieter – (Unternehmer-)Kunden<br />

in Fragen der betrieblichen<br />

Altersversorgung beriet, die Zulassung als Syndikusrechtsanwältin.<br />

Maßgeblicher Streitpunkt<br />

war dabei die Auslegung von § 46 Abs. 5 BRAO.<br />

Nach § 46 Abs. 5 S. 1 BRAO beschränkt sich die<br />

Befugnis des Syndikusrechtsanwalts zur Beratung<br />

und Vertretung auf die Rechtsangelegenheiten<br />

des Arbeitgebers. § 46 Abs. 5 S. 2 BRAO<br />

enthält allerdings eine Aufzählung, in welchen<br />

Fällen auch eine Beratung und Vertretung<br />

für andere Personen als den Arbeitgeber die<br />

Wahrnehmung von Rechtsangelegenheiten des<br />

Arbeitgebers umfasst. Nach Auffassung des<br />

erkennenden Gerichts ist diese Aufzählung abschließend<br />

zu verstehen, soll also nur Rechtsangelegenheiten<br />

des Arbeitgebers erfassen, die<br />

diesen selbst betreffen. Da die Aufzählung<br />

jedoch mit „Diese umfassen auch … “ (Hervorhebung<br />

durch die Verfasser) eingeleitet wird,<br />

vermag die durch den AGH abgelehnte Gegenposition<br />

(vgl. HUFF BRAK-Mitt. 2017, 203, 206)<br />

aber bereits aufgrund ihrer Wortlautnähe mehr<br />

zu überzeugen. Die gesetzlichen Regelungen<br />

sind zudem so konzipiert, dass die Befugnisse<br />

des Syndikusrechtsanwalts immer so weit reichen<br />

wie die des Arbeitgebers selbst. Es handelt<br />

sich immer dann um „Rechtsangelegenheiten<br />

des Arbeitgebers“, wenn der Arbeitgeber gegenüber<br />

Kunden und Dritten selbst befugt ist,<br />

Rechtsdienstleistungen – etwa gestützt auf<br />

§ 10 RDG – zu erbringen. Gegen die Entscheidung<br />

ist Berufung beim Anwaltssenat des<br />

BGH eingelegt worden (Az. AnwZ [Brfg] 58/17).<br />

Zudem sind vor anderen Anwaltsgerichtshöfen<br />

weitere Verfahren zur gleichen Rechtsfrage<br />

anhängig (vgl. näher HUFF BRAK-Mitt. 2017,<br />

203, 206).<br />

Ebenfalls zu restriktiv fällt ein Urteil des Bayerischen<br />

AGH vom 10.7.2017 (Az. BayAGH III 4–6/16)<br />

aus. Der AGH vertritt darin die Auffassung, dass<br />

ein anwaltlicher Leiharbeitnehmer nicht die<br />

Zulassung als Syndikusrechtsanwalt erlangen<br />

könne. Aus dem eindeutigen Wortlaut des § 46<br />

Abs. 2 S. 1, Abs. 5 S. 1 BRAO ergebe sich, dass eine<br />

Zulassung als Syndikusrechtsanwalt nur bei<br />

anwaltlicher Tätigkeit im Rahmen des Arbeitsverhältnisses<br />

für den Arbeitgeber möglich sei.<br />

Eine Regelung für Leiharbeitsverhältnisse sei im<br />

Gesetz nicht versehentlich unterblieben, sondern<br />

bewusst unterlassen worden, weil etwaige Interessenkonflikte<br />

für den anwaltlich tätigen<br />

Leiharbeitnehmer zwischen seinem Arbeitgeber<br />

einerseits und seinem Einsatzbetrieb andererseits<br />

nicht ausgeschlossen werden könnten. In<br />

der Literatur wird hingegen unter Heranziehung<br />

unterschiedlicher Begründungsansätze ganz<br />

überwiegend die Gegenauffassung vertreten,<br />

sofern sowohl der Verleiher als auch der Entleiher<br />

die fachliche Unabhängigkeit bestätigen und<br />

der Entleiher die den Anforderungen des § 46<br />

Abs. 3, 4 BRAO entsprechenden Erklärungen<br />

erteilt (vgl. HUFF AnwBI 2017, 40, 42; DERS.<br />

BRAK-Mitt. 2017, 203, 207; SCHUSTER AnwBI 2016,<br />

121, 124; KLEINE-COSACK AnwBI 2016, 101, 108; LÖWE/<br />

WALLNER/WERNER BRAK-Mitt. 2017, 102, 104). Da<br />

die Berufung zugelassen wurde, wird sich der<br />

Anwaltssenat hoffentlich bald mit der praktisch<br />

höchst wichtigen Frage der Vereinbarkeit von<br />

Leiharbeit und Syndikusrechtsanwaltszulassung<br />

beschäftigen können.<br />

V. Berufspflichten und -rechte<br />

1. Tätigkeitsverbote<br />

Zu den für die Praxis bedeutsamsten Berufspflichten<br />

zählt das Verbot der Vertretung<br />

widerstreitender Interessen (§ 43a Abs. 4<br />

BRAO i.V.m. § 3 BORA), das sogar strafrechtlich<br />

abgesichert ist (§ 356 StGB). Die Auslegung<br />

des Verbotstatbestands bereitet zahlreiche<br />

Schwierigkeiten (zu Einzelheiten HENSSLER/<br />

DECKENBROCK NJW 2012, 3265 ff.; HENSSLER AnwBl<br />

2013, 668 ff.). Die Praxis wird zusätzlich da-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 65


Berufsrechtsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

durch verunsichert, dass es mit der Regelung<br />

des § 45 BRAO eine weitere Norm gibt,<br />

die Tätigkeitsverbote zulasten des Anwalts vorsieht.<br />

Anders als § 43a Abs. 4 BRAO knüpft § 45<br />

BRAO aber nicht an eine anwaltliche Vorbefassung<br />

an, sondern an eine vorherige Tätigkeit des<br />

Anwalts in derselben Angelegenheit in anderer<br />

Funktion. Die Regelung nennt beispielhaft die<br />

Vorbefassung als Richter, Schiedsrichter, Staatsanwalt,<br />

Angehöriger des öffentlichen Dienstes,<br />

Notar, Insolvenzverwalter, erfasst aber auch<br />

jede sonstige Tätigkeit außerhalb der Anwaltstätigkeit.<br />

a) Verhältnis von § 43a Abs. 4 BRAO zu<br />

§ 45 BRAO<br />

Beide Tatbestände – § 43a Abs. 4 BRAO auf der<br />

einen und § 45 BRAO auf der anderen Seite –<br />

unterscheiden sich in zweierlei Hinsicht: Anders<br />

als im Rahmen des Verbots der Vertretung<br />

widerstreitender Interessen, das einen konkreten<br />

Interessengegensatz zwischen den Parteien<br />

voraussetzt (BAG, Beschl. v. 25.8.2004 – 7 ABR<br />

60/03; BGH, Urt. v. 23.4.2012 – AnwZ [Brfg] 35/11<br />

Rn 14), besteht ein Tätigkeitsverbot bei nichtanwaltlicher<br />

Vorbefassung nach dem Wortlaut<br />

des § 45 BRAO unabhängig von einem solchen<br />

greifbaren Interessenkonflikt. Dies mag bei der<br />

Vorbefassung als Richter nicht weiter verwundern,<br />

wirft aber jedenfalls Fragen auf bei einer<br />

sonstigen Vortätigkeit wie etwa als Unternehmensberater.<br />

Ein weiterer bemerkenswerter<br />

Unterschied betrifft die Reichweite der<br />

Tätigkeitsverbote in Sozietätskonstellationen.<br />

Während das Verbot der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen bei Vorliegen des Einverständnisses<br />

der betroffenen Parteien i.d.R. nicht<br />

auf Sozietätssachverhalte erstreckt wird (vgl. § 3<br />

Abs. 2 S. 2 BORA), sieht § 45 Abs. 3 BRAO eine<br />

solche Dispensmöglichkeit nicht vor, sondern<br />

ordnet die Erstreckung des Tätigkeitsverbots auf<br />

„die mit dem Rechtsanwalt in Sozietät oder in<br />

sonstiger Weise zur gemeinschaftlichen Berufsausübung<br />

verbundenen oder verbunden gewesenen<br />

Rechtsanwälte und Angehörigen anderer Berufe und<br />

auch insoweit einer von diesen im Sinne der Absätze 1<br />

und 2 befaßt war“ ohne jede Ausnahmemöglichkeit<br />

an. Der BGH hatte beide Besonderheiten<br />

des § 45 BRAO für verfassungsrechtlich unbedenklich<br />

gehalten und in diesem Zusammenhang<br />

auch betont, dass die Ausnahmeregelung<br />

des § 3 Abs. 2 S. 2 BORA im Rahmen des § 45<br />

Abs. 3 BRAO unanwendbar sei (BGH, Urt. v.<br />

3.11.2014 – AnwSt [R] 4/14; s. dazu DECKENBROCK<br />

NJW 2015, 522 ff.).<br />

Gegen diese weite Auslegung des § 45 BRAO<br />

durch den BGH hatte sich der betroffene Rechtsanwalt<br />

mit einer Verfassungsbeschwerde an das<br />

BVerfG gewandt. Der Umstand, dass das BVerfG<br />

zu diesen Fragen bei den Verbänden Stellungnahmen<br />

eingeholt hatte und DAV (Stellungnahme<br />

Nr. 68/2016) und BRAK (Stellungnahme<br />

Nr. 7/2017) die Verfassungsbeschwerde sogar für<br />

begründet erachtet hatten, ließ erwarten, dass<br />

sich die Richter detailliert mit den verfassungsrechtlichen<br />

Grenzen für ein Tätigkeitsverbot bei<br />

nichtanwaltlicher Vorbefassung auseinandersetzen<br />

würden.<br />

Die für Ende 2017 erwartete Entscheidung ist<br />

allerdings ausgeblieben, nachdem der Beschwerdeführer<br />

im Juli 2017 verstorben ist. Das BVerfG<br />

sprach insoweit nun mit Beschluss vom 24.10.2017<br />

(Az. 1 BvR 1312/16) die Erledigung der Verfassungsbeschwerde<br />

aus, weil diese allein die Durchsetzung<br />

höchstpersönlicher, an seinen Status als<br />

Rechtsanwalt anknüpfende Rechte des Verstorbenen<br />

verfolgt habe (ausführlich dazu DECKEN-<br />

BROCK AnwBl 2017, 1186 ff.).<br />

b) Vertretung mehrerer Anleger<br />

Eine interessante Fallkonstellation hatte der<br />

IX. Zivilsenat des BGH (Urt. v. 7.9.2017 – IX ZR<br />

71/16, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 680/2017) zu entscheiden. In<br />

dem der Entscheidung zugrunde liegenden<br />

Sachverhalt nahm der Kläger die beklagte Anwaltssozietät<br />

wegen Verletzung vertraglicher<br />

Pflichten aus einem Anwaltsvertrag auf Schadensersatz<br />

in Anspruch. Die Beklagte, die auf die<br />

Beratung geschädigter Anleger spezialisiert ist,<br />

vertrat den Kläger gegenüber der S-AG (fortan:<br />

Schuldnerin). Die Schuldnerin wurde 2005<br />

rechtskräftig zur Zahlung von etwa 23.500 €<br />

nebst Zinsen an den Kläger verurteilt. Am 23./<br />

27.12.2005 schloss die beklagte Sozietät namens<br />

des Klägers und namens weiterer Anleger mit<br />

der Schuldnerin eine Verpfändungsvereinbarung,<br />

welche Aktien der Schuldnerin an der G-AG<br />

betraf. Die Aktien wurden am 30.10.2006 verkauft.<br />

Der Erlös wurde auf ein Notaranderkonto<br />

gezahlt. Aufgrund eines Treuhandvertrags vom<br />

30.10.2006 war der Notar verpflichtet, gegen<br />

eine Pfandfreigabeerklärung den Betrag von<br />

4.982.000 € an die Beklagte für die von ihr<br />

vertretenen Anleger zu zahlen. Am 31.10.2006<br />

66 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


<strong>ZAP</strong><br />

Berufsrechtsreport<br />

überwies der Notar diesen Betrag an die Beklagte,<br />

die wiederum an den Kläger dessen Anteil<br />

i.H.v. 31.578,36 € weiterleitete. Am 7.4.2007<br />

beantragte ein Gläubiger die Eröffnung des<br />

Insolvenzverfahrens über das Vermögen der<br />

Schuldnerin. Das Verfahren wurde am 14.6.2007<br />

eröffnet. Am 29.3.2010 focht der Insolvenzverwalter<br />

die Zahlung an den Kläger an. Der mittlerweile<br />

anderweitig anwaltlich vertretene Kläger<br />

zahlte nach Abschluss eines Vergleichs mit<br />

dem Verwalter insgesamt 18.921,87 € zur Masse<br />

zurück. Der Kläger ging daraufhin gegen die<br />

beklagte Sozietät gerichtlich vor und verlangte<br />

Schadensersatz insbesondere in Höhe des an die<br />

Masse gezahlten Betrags, weil diese seine Forderung<br />

nicht unverzüglich und anfechtungsfest<br />

im Wege der Zwangsvollstreckung beigetrieben<br />

habe. Die beklagte Kanzlei wies den Vorwurf des<br />

pflichtwidrigen Unterlassens von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

dagegen mit der Begründung<br />

von sich, dass sie dann auch für die<br />

anderen mehr als 200 von ihr vertretenen<br />

Gläubiger Zwangsvollstreckungsmaßnahmen<br />

hätte einleiten müssen und ein solches Vorgehen<br />

die sofortige Insolvenz der Schuldnerin zur Folge<br />

gehabt hätte. Maßnahmen, die dem Kläger<br />

genützt, anderen Mandanten aber hätten schaden<br />

können, seien daher nicht in Betracht<br />

gekommen.<br />

Der IX. Senat widersprach diesem Vorbringen<br />

und sah eine anwaltliche Pflichtverletzung als<br />

schlüssig dargelegt an. Ein Rechtsanwalt, der mit<br />

der zwangsweisen Durchsetzung einer Forderung<br />

beauftragt worden ist und einen Titel<br />

gegen einen Schuldner des Mandanten erwirkt<br />

hat, habe zügig die Zwangsvollstreckung zu betreiben.<br />

Gebe es Anhaltspunkte dafür, dass die<br />

Insolvenz des Schuldners des Mandanten bevorstehe,<br />

müsse der Anwalt den Mandanten über<br />

das Risiko der fehlenden Insolvenzfestigkeit der<br />

im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung<br />

des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag<br />

durch Zwangsvollstreckung erlangten Sicherheit<br />

gem. § 88 InsO ebenso hinweisen wie<br />

auf die Anfechtbarkeit erhaltener Sicherheiten<br />

und Zahlungen gem. §§ 130, 131 InsO. Daran ändere<br />

auch der Umstand nichts, dass die beklagte<br />

Anwaltssozietät noch zahlreiche weitere Anleger<br />

vertreten habe. Nehme ein Anwalt ein<br />

Mandat an, erkläre er damit seine Bereitschaft,<br />

fortan die Interessen des Mandanten ohne<br />

Rücksicht auf die Interessen Dritter umfassend<br />

zu vertreten. Für konkurrierende Interessen<br />

Dritter gelte insoweit nichts anderes als für die<br />

gegenläufigen Interessen des Gegners des Mandanten.<br />

Wenn der Anwalt nur eingeschränkt für<br />

den Mandanten tätig werden wolle, habe er dies<br />

vor Abschluss des Vertrags klarzustellen und<br />

auf diesem Wege dem Mandanten die Möglichkeit<br />

zu eröffnen, selbst darüber zu entscheiden,<br />

ob er dies – etwa in der Erwartung besonderer<br />

Kompetenz des Anwalts oder einer besseren<br />

Verhandlungsposition gegenüber dem Gegner –<br />

hinnehmen oder ob er einen anderen, ausschließlich<br />

seinen – des Mandanten – eigenen<br />

Interessen verpflichteten Anwalt beauftragen<br />

möchte. Gleiches gelte, wenn sich nachträglich<br />

Interessenkonflikte abzeichnen, die nur ein eingeschränktes<br />

Tätigwerden des Anwalts erlauben.<br />

Dass diese Entscheidung des BGH nicht in der<br />

Rubrik „Anwaltshaftung“, sondern in diesem<br />

Abschnitt zu den „Tätigkeitsverboten“ vorgestellt<br />

wird, liegt an den bemerkenswerten<br />

Ausführungen des Senats in Rn 18 zur Reichweite<br />

des Verbots der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen. Widerstreitende Interessen<br />

und damit ein Tätigkeitsverbot sollen nämlich<br />

nach Ansicht des Senats nicht schon dann<br />

vorliegen, wenn der Rechtsanwalt sich gegenüber<br />

mehreren Mandanten verpflichtet, Forderungen<br />

gegen ein und denselben Schuldner<br />

durchzusetzen und insbesondere die Zwangsvollstreckung<br />

gegen diesen zu betreiben. In<br />

einem solchen Fall könne zwar der Erfolg des<br />

einen Mandanten den Misserfolg des anderen<br />

Mandanten, der nicht mehr zum Zuge gekommen<br />

ist, bedeuten. Das wäre aber nicht anders,<br />

wenn die Mandanten von unterschiedlichen<br />

Rechtsanwälten vertreten würden. Die Mandatsverträge<br />

verpflichteten den Anwalt nur, für<br />

jeden einzelnen Mandanten das bestmögliche<br />

Ergebnis zu erzielen. Bevorzuge der Anwalt<br />

den einen vor dem anderen Mandanten, indem<br />

er Anträge bevorzugt oder nachrangig stellt,<br />

lägen zwar Pflichtverletzungen im Rahmen<br />

des jeweiligen Mandatsverhältnisses vor. An<br />

den grundsätzlich miteinander zu vereinbarenden<br />

Pflichten aus den einzelnen Verträgen<br />

ändere sich durch eine solche Pflichtverletzung<br />

hingegen nichts. Mit diesen Ausführungen<br />

hat der Senat klargestellt, dass die Vertretung<br />

mehrerer Anleger auch bei einem begrenzten<br />

Vermögen auf Schuldnerseite nicht per<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 67


Berufsrechtsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

se berufsrechtswidrig ist (vgl. RÖMERMANN EWiR<br />

2017, 663, 664).<br />

2. Anwaltliche Verschwiegenheit im<br />

Steuerverfahren<br />

Die rechtsanwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />

(§ 43a Abs. 2 BRAO) geht mit einer entsprechenden<br />

Berechtigung zur Verschwiegenheit<br />

einher, die dem Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses<br />

zwischen Anwalt und<br />

Mandat dient (vgl. § 2 Abs. 1 S. 1 BORA). Hieraus<br />

folgt nicht nur das aus § 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO<br />

bekannte Zeugnisverweigerungsrecht im Strafverfahren.<br />

Vielmehr sind Rechtsanwälte auch im<br />

Abgabeverfahren gem. § 102 Abs. 1 Nr. 3 lit. b AO<br />

berechtigt, die Auskunft über das zu verweigern,<br />

was ihnen in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwälte<br />

anvertraut oder bekannt geworden ist. Die<br />

Vorschrift gilt sowohl für eigene als auch fremde<br />

Steuersachen des Berufsträgers und umfasst<br />

sowohl die Identität des Mandanten als auch<br />

die Tatsache seiner Beratung. Hieraus können<br />

sich naturgemäß Spannungen zu den Bestrebungen<br />

der Steuerbehörden ergeben, die durch<br />

den Rechtsanwalt erbrachten Dienstleistungen<br />

adäquat zu besteuern.<br />

Der BFH (Urt. v. 27.9.2017 – XI R 15/15, <strong>ZAP</strong> EN-<br />

Nr. 17/2018) hat nun einen Fall, in dem es um<br />

die Erbringung grenzüberschreitender Anwaltsleistungen<br />

im EU-Gebiet ging, im Sinne der<br />

Steuerbehörden entschieden. Im Streitfall erbrachte<br />

die klagende Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

Leistungen aus anwaltlicher Tätigkeit an Unternehmer,<br />

die in anderen EU-Mitgliedstaaten<br />

ansässig sind. Weil der Ort der Leistungen somit<br />

nicht im Inland lag und die Leistungsempfänger<br />

bereits in ihrem Ansässigkeitsstaat Steuerschuldner<br />

für die von der Klägerin bezogenen<br />

Leistungen waren, erteilte die Klägerin Rechnungen<br />

ohne deutsche Umsatzsteuer. Die dann<br />

notwendige Abgabe der Zusammenfassenden<br />

Meldung mit Angabe der USt-ID-Nr. ihrer Mandanten<br />

verweigerte die Rechtsanwaltsgesellschaft<br />

allerdings unter Berufung auf die anwaltliche<br />

Schweigepflicht. Dieser Auffassung folgte<br />

der BFH nicht, sondern vertrat die Ansicht, dass<br />

der Mandant angesichts des ihm als Unternehmer<br />

als bekannt zu unterstellenden Systems der<br />

Besteuerung innergemeinschaftlicher Dienstleistungen<br />

mit der Mitteilung (Verwendung) der<br />

USt-ID-Nr. gegenüber dem leistenden Rechtsanwalt<br />

in die Offenbarung der USt-ID-Nr. in<br />

einer Zusammenfassenden Meldung (konkludent)<br />

eingewilligt habe.<br />

Methodisch vermag dieser Ansatz nicht zu überzeugen.<br />

Bereits die sehr weitgehende Gleichstellung<br />

der Verwendung einer USt-ID-Nr. mit<br />

deren Mitteilung im hier maßgeblichen Sinne<br />

erscheint fragwürdig. Kritikwürdig ist aber vor<br />

allem die Annahme, der Mandant habe mit der<br />

Mitteilung zugleich in die Offenbarung der USt-<br />

ID-Nr. und damit seiner Identität und des<br />

Mandatsverhältnisses gegenüber den Steuerbehörden<br />

eingewilligt. Letztendlich wird die<br />

Einwilligung an dieser Stelle fingiert. Näher<br />

hätte es gelegen, vorliegend sauber zu prüfen,<br />

inwiefern das Bedürfnis nach einer EU-einheitlichen<br />

Besteuerung anwaltlicher Dienstleistungen<br />

hier eine Ausnahme von der anwaltlichen<br />

Schweigepflicht i.S.d. § 2 Abs. 2 BORA erfordert<br />

und ob diese Ausnahme in der die Zusammenfassende<br />

Meldung betreffenden Regelung des<br />

§ 18a UStG zu sehen ist (vgl. zum „nationalen<br />

Interesse“ an einer gleichmäßigen Umsatzsteuererhebung<br />

in der EU die Anmerkung von TREIBER<br />

DStR 2017, 2615).<br />

3. Werberecht<br />

In der letzten Ausgabe des Berufsrechtsreports<br />

wurde ein Urteil des Anwaltssenats des BGH<br />

(v. 7.11.2016 – AnwZ [Brfg] 47/15, <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 31/<br />

2017) vorgestellt, nach dem die in § 20 BORA<br />

bestimmte Pflicht zum Tragen einer Robe voraussetzt,<br />

dass die Robe nicht mit werbenden<br />

Aufdrucken versehen ist. Andernfalls würde ihre<br />

Funktion, Aussage und Wirkung gestört (s. dazu<br />

<strong>ZAP</strong> 16/2017, S. 837, 841 f.). Nachzutragen ist<br />

insoweit noch, dass das BVerfG inzwischen<br />

die Verfassungsbeschwerde des betroffenen<br />

Rechtsanwalts ohne Begründung zurückgewiesen<br />

und so mittelbar die strikte Interpretation des<br />

§ 20 BORA durch den BGH gehalten hat (Beschl.<br />

v. 31.7.2017 – 1 BvR 54/17).<br />

4. Sachlichkeitsgebot<br />

Vor Gericht steht oftmals viel auf dem Spiel,<br />

weshalb es emotional zugehen kann. Dies<br />

berücksichtigt die ständige Rechtsprechung insofern,<br />

als sie davon ausgeht, dass Richter auch<br />

mit drastischen Worten geäußerte, scharfe und<br />

polemische Kritik im „Kampf um das Recht“<br />

auszuhalten haben und eine strafrechtliche<br />

Verurteilung nur in Betracht kommt, sofern<br />

das zulässige Maß überschritten wird. Die<br />

68 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


<strong>ZAP</strong><br />

Berufsrechtsreport<br />

Messlatte hierfür liegt, wie zwei aktuelle Entscheidungen<br />

zeigen, sehr hoch.<br />

Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG<br />

hatte sich in ihrem Beschluss vom 6.6.2017 (Az. 1<br />

BvR 180/17) mit einem Sachverhalt zu befassen,<br />

in dem ein Rechtsanwalt den Verlauf einer<br />

mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht<br />

als „Musikantenstadl“ bezeichnet und deshalb<br />

wegen Beleidigung des zuständigen Richters<br />

verurteilt worden war. Das Gericht vertrat –<br />

vor dem Hintergrund der bisherigen Judikatur<br />

wenig überraschend (vgl. insb. BVerfG [3. Kammer<br />

des Ersten Senats], Beschl. v. 2.7.2013 – 1 BvR<br />

1751/12 zur Bezeichnung einer Rechtsanwaltskanzlei<br />

als „Winkeladvokatur“) – die Auffassung,<br />

dass die Äußerung noch durch die Wahrnehmung<br />

berechtigter Interessen (§ 193 StGB)<br />

gedeckt sei, weil die Meinungsfreiheit (Art. 5<br />

Abs. 1 S. 1 GG) vorliegend gegenüber der persönlichen<br />

Ehre des betroffenen Richters überwiege.<br />

Die Kammer stellte dabei insbesondere<br />

auf den trotz Beendigung des in der Äußerung<br />

in Bezug genommenen Verfahrens noch vorhandenen<br />

Sachbezug ab, da die Äußerung im<br />

Rahmen des angegliederten Kostenfestsetzungsverfahrens<br />

erfolgte. Weiterhin hielt die<br />

Kammer es für maßgeblich, dass die Äußerung<br />

nicht öffentlich, sondern in einer allein an den<br />

Gerichtspräsidenten gerichteten Dienstaufsichtsbeschwerde<br />

gefallen war.<br />

Eine weitere in diesen Kontext passende amtsgerichtliche<br />

Verurteilung wurde vom OLG München<br />

(Beschl. v. 31.5.2017 – OLG 13 Ss 81/17)<br />

aufgehoben. Das Amtsgericht hatte die Verurteilung<br />

darauf gestützt, dass der Angeklagte in<br />

einer Anhörungsrüge in einem Beschwerdeverfahren<br />

nach Nichteinleitung eines strafrechtlichen<br />

Ermittlungsverfahrens, das er zugleich als<br />

Rechtsanwalt sowie als mittelbar Betroffener<br />

angestrengt hatte, ausgeführt hatte: „Der Unterschied<br />

zwischen Ihnen und Roland Freisler liegt in<br />

Folgendem: Während Roland Freisler im Gerichtssaal<br />

schrie und tobte und überhaupt keinen Wert darauf<br />

legte, das von ihm begangene Unrecht in irgendeiner<br />

Weise zu verschleiern, gehen Sie den umgekehrten<br />

Weg: Sie haben sich ein Mäntelchen umgehängt, auf<br />

dem die Worte ‚Rechtsstaat‘ und ‚Legitimität‘ aufgenäht<br />

sind. Sie hüllen sich in einen Anschein von<br />

Pseudolegitimität, die Sie aber in Wahrheit in keiner<br />

Weise für sich beanspruchen können. Denn in Wahrheit<br />

begehen Sie – zumindest in diesem vorliegenden<br />

Justizskandal – genauso schlicht Unrecht, wie es auch<br />

Roland Freisler getan hat. So betrachtet ist das<br />

Unrecht, das Sie begehen noch viel perfider, noch<br />

viel abgründiger, noch viel hinterhältiger als das<br />

Unrecht, das ein Roland Freisler begangen hat: Bei<br />

Roland Freisler kommt das Unrecht sehr offen, sehr<br />

direkt, sehr unverblümt daher. Bei Ihnen hingegen<br />

kommt das Unrecht als unrechtmäßige Beanspruchung<br />

der Begriffe Rechtsstaatlichkeit und Demokratie<br />

daher: Sie berufen sich auf die Begriffe<br />

Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, handeln dem<br />

aber – zumindest in dem vorliegenden Justizskandal<br />

– zuwider.“<br />

Auch das OLG München betonte, dass eine<br />

Beeinträchtigung der Richterehre gegenüber<br />

der Meinungsfreiheit und dem damit verbundenen<br />

Recht des Bürgers, Maßnahmen der<br />

öffentlichen Gewalt auch mit drastischen Worten<br />

zu kritisieren, grundsätzlich zurücktreten<br />

müssen, wenn der Vorwurf Teil einer umfassenderen<br />

Meinungsäußerung ist und der Durchsetzung<br />

legitimer prozessualer Rechte dient. Im<br />

Rahmen dieser Entscheidung spielte wiederum<br />

die Nichtöffentlichkeit der Äußerung eine zentrale<br />

Rolle.<br />

VI. Vergütungsrecht<br />

Kündigt der Revisionsanwalt nach Einlegung<br />

einer Nichtzulassungsbeschwerde das Mandat,<br />

weil er dem Rechtsmittel aufgrund einer inhaltlich<br />

zutreffenden Begutachtung keine Erfolgsaussichten<br />

beimisst und darum die von dem<br />

Mandanten gewünschte Begründung und<br />

Durchführung der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

ablehnt, soll er nach einer Entscheidung des<br />

IX. Zivilsenats des BGH seinen Vergütungsanspruch<br />

gegen den Mandanten auch dann<br />

nicht verlieren, wenn der Mandant einen weiteren<br />

Anwalt mit der Durchführung des Revisionsverfahrens<br />

beauftragt und für diesen<br />

dieselben Gebühren erneut anfallen (BGH, Versäumnisurt.<br />

v. 16.2.2017 – IX ZR 165/16, <strong>ZAP</strong> EN-<br />

Nr. 462/2017).<br />

Entsprechendes hatte der Senat zuvor für den Fall<br />

entschieden, dass der Rechtsanwalt aufgrund<br />

der von ihm auftragsgemäß vorzunehmenden,<br />

inhaltlich zutreffenden Rechtsprüfung die Begründung<br />

einer Berufung, die nach Kündigung<br />

des Mandats durch den Mandanten von einem<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 69


Berufsrechtsreport<br />

<strong>ZAP</strong><br />

anderen Anwalt vorgenommen wird, ablehnt<br />

(BGH, Urt. v. 26.9.2013 – IX ZR 51/13).<br />

Diese Rechtsprechung überzeugt nicht (ausführlich<br />

dazu DECKENBROCK JZ 2017, 848 ff.; s. aber BAUMERT<br />

MDR 2017, 1337 ff., der dem BGH zwar nicht in der<br />

Begründung, aber im Ergebnis folgt). Insoweit ist<br />

zu beachten, dass nach § 15 RVG grundsätzlich eine<br />

Gebühr die gesamte Tätigkeit des Anwalts bis zur<br />

Erledigung der Angelegenheit abdeckt und auch bei<br />

vorzeitiger Beendigung des Auftrags vollständig<br />

abrechenbar bleibt. Bei einem Anwaltswechsel fällt<br />

daher für den im Anschluss beauftragten Prozessbevollmächtigten<br />

die Verfahrensgebühr in voller<br />

Höhe erneut an. Eine solche Doppelzahlung darf<br />

den Mandanten aber richtigerweise nur dann<br />

treffen, wenn er das Mandat grundlos gekündigt<br />

oder aber die Kündigung des Anwalts provoziert<br />

hat. Legt dagegen der Prozessbevollmächtigte das<br />

Mandat ohne hinreichenden Grund nieder oder<br />

fordert er vertragswidrig die Kündigung des Mandatsvertrags<br />

durch den Mandanten heraus, ist der<br />

Vergütungsanspruch des Anwalts nach § 628 Abs. 1<br />

S. 2 BGB um die für den zweiten Prozessvertreter<br />

nochmals anfallenden Kosten zu kürzen. Die<br />

Rechtsprechung des BGH übersieht insoweit, dass<br />

der Anwalt – trotz seiner Stellung als Organ der<br />

Rechtspflege (§ 1 BRAO) – in erster Linie Interessenvertreter<br />

des Mandanten (vgl. § 3 Abs. 1 BRAO)<br />

ist. Nicht ihm, sondern dem Mandanten obliegt die<br />

Entscheidung, ob er ein Rechtsmittelverfahren<br />

durchführen möchte oder nicht. Zwar muss der<br />

Anwalt seinen Auftraggeber eingehend über die<br />

damit verbundenen Risiken belehren, letztlich ist es<br />

aber allein Sache des das Prozessrisiko tragenden<br />

Mandanten, unvernünftige oder unwirtschaftliche<br />

Prozesse zu führen. Im Übrigen lässt sich ex ante<br />

der Erfolg eines Rechtsmittels abschließend nicht<br />

beurteilen, es überrascht daher, dass der Senat in<br />

seinem Urteil auch auf den tatsächlichen Misserfolg<br />

des vom zweiten Anwalt weiter verfolgten Rechtsmittels<br />

abstellt. Ein Grund zur Mandatsniederlegung<br />

ohne kostenrechtliche Nachteile besteht<br />

für den Anwalt nur in engen Grenzen, etwa wenn<br />

der Mandant vom Anwalt beharrlich ein (berufs-)<br />

rechtswidriges Vorgehen verlangt.<br />

VII. Rechtsdienstleistungsrecht<br />

Bereits seit längerem ist in der Rechtsprechung<br />

des BGH anerkannt, dass die Einziehung einer<br />

an ein Mietwagenunternehmen abgetretenen<br />

Schadensersatzforderung auf Erstattung von<br />

Mietwagenkosten durch das Mietwagenunternehmen<br />

jedenfalls als Nebenleistung nach<br />

§ 5 Abs. 1 RDG grundsätzlich erlaubt ist,<br />

wenn allein die Höhe der Mietwagenkosten<br />

im Streit steht (Urt. v. 31.1.2012 – VI ZR 143/11<br />

Rn 7 ff.; Urt. v. 11.9.2012 – VI ZR 296/11, Rn 12;<br />

Urt. v. 11.9.2012 – VI ZR 238/11 Rn 19). In einer<br />

aktuellen Entscheidung hat der VI. Senat (Urt. v.<br />

24.10.2017 – VI ZR 504/16) nun ausgeführt,<br />

dass für die Geltendmachung der an den Sachverständigen<br />

abgetretenen Forderung auf Erstattung<br />

der Sachverständigenkosten durch<br />

den Sachverständigen nichts anderes gelten<br />

kann, ihm also ebenfalls nach § 5 Abs. 1 RDG<br />

die Forderungseinziehung gestattet ist, sofern<br />

die Forderung nicht dem Grunde, sondern<br />

allein der Höhe nach bestritten ist. In diesem<br />

Fall besteht nach der zutreffenden Ansicht<br />

des Senats auch keine Pflicht zur Registrierung<br />

als Inkassodienstleister gem. § 2 Abs. 2 RDG,<br />

weil die Einziehung des vom jeweiligen Geschädigten<br />

an den Sachverständigen abgetretenen<br />

Schadensersatzanspruchs auf Erstattung<br />

der Sachverständigenkosten kein eigenständiges<br />

Geschäft i.S.v. § 2 Abs. 2 RDG darstellt.<br />

Wie häufig der Sachverständige entsprechend<br />

verfährt, ist insoweit unerheblich, weil die<br />

Einziehung der Forderung unabhängig von ihrer<br />

Häufigkeit in jedem Einzelfall bloßer Annex<br />

zur Hauptleistung „Gutachtenerstellung“<br />

bleibt.<br />

Das LG Hamburg (Urt. v. 10.10.2017 – 312 O 477/16,<br />

n. rkr.) hat auf Klage des DAV die Werbung<br />

eines Legal Tech-Portal als irreführend und<br />

damit wettbewerbsrechtlich unzulässig angesehen.<br />

Die Beklagte hatte in einem verkehrsrechtlichen<br />

Internetportal den Eindruck erweckt,<br />

Bußgeldbescheide in jedem Fall kostenlos abzuwehren,<br />

wollte tatsächlich die Kosten aber<br />

nur bei überwiegender Erfolgsaussicht eines Falls<br />

übernehmen. Angesichts dieses wettbewerbsrechtlichen<br />

Fokus der Entscheidung bleibt offen,<br />

ob das Geschäftsmodell des Beklagten auch<br />

deshalb unzulässig ist, weil es die Vorgaben<br />

des RDG missachtet, oder ob sich das Portal<br />

tatsächlich – wie von der Beklagten vorgetragen<br />

– allein auf die Vermittlung anwaltlicher<br />

Dienstleistungen beschränkt (s. dazu MÖLLER<br />

BRAK-Mitt. 2017, 300).<br />

70 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Eilnachrichten 2018 Fach 1, Seite 7<br />

Eilnachrichten<br />

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Allgemeines Zivilrecht<br />

Verkehrssicherungspflicht: Markierung einer Glastür<br />

(OLG Schleswig, Urt. v. 22.6.2017 – 11 U 109/16) • Der Umstand, dass es der Landesgesetzgeber für erforderlich<br />

hält, eine besondere Regelung für das Verbauen von Glaselementen zu treffen, zeigt, dass gerade in ihrer<br />

Aufmerksamkeit eingeschränkte Nutzer von Gebäuden geschützt werden sollen. Der Verkehrssicherungspflichtige<br />

muss also dafür sorgen, dass Glasflächen leicht zu erkennen sind, etwa durch eine Markierung auf<br />

Augenhöhe. Entscheidend ist, dass derjenige, der durch eine Tür geht, leicht erkennen können muss, wo sich<br />

deren Öffnung befindet und ob die Tür geöffnet oder geschlossen ist. Die Verkehrssicherungspflichtverletzung<br />

entfällt auch nicht deshalb, weil der Gebäudeinhaber davon ausgehen durfte, dass ein vorsichtiger<br />

Mensch sich nach seinen Möglichkeiten aufmerksam verhält und schon aus Eigeninteresse Vorsorge für den<br />

Schutz der eigenen Gesundheit trifft, sich also stets vorsichtig der Tür nähert. Hinweis: Das im Ergebnis nicht<br />

überraschende Urteil des OLG legt detailliert dar, in welchem Ausmaß der Inhaber eines der Öffentlichkeit<br />

zugänglichen Gebäudes verpflichtet ist, die bis zum Boden reichenden Glaselemente im Türbereich deutlich<br />

zu kennzeichnen. Das Gericht weist darauf hin, dass Glasflächen insb. an Drehtüren leicht erkennbar sein<br />

müssen. Gerade an Türen/Drehtüren ist die Aufmerksamkeit der Nutzer oftmals insoweit eingeschränkt, als<br />

sie mit mehreren Personen das Gebäude betreten und durch Gespräche abgelenkt sind. Es stellt insoweit eine<br />

nicht unangemessene Beeinträchtigung des Verkehrssicherungspflichtigen dar, wenn ihm die deutliche<br />

Kennzeichnung bzw. Markierung der im Türbereich befindlichen Glasfront auferlegt wird, zumal dies mit<br />

verhältnismäßig einfachen Mitteln wie bspw. Folien möglich ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 22/2018<br />

Kaufvertragsrecht<br />

Gebrauchtwagenkauf: Haftungsausschluss für erwartete Eigenschaften<br />

(BGH, Urt. v. 27.9.2017 – VIII ZR 271/16) • Der Verkäufer kann grds. seine Haftung nicht nur für das Fehlen<br />

einer üblichen und vom Käufer zu erwartenden Beschaffenheit, sondern auch für das Fehlen von<br />

Eigenschaften ausschließen, deren Vorhandensein der Käufer nach den vom Verkäufer abgegebenen<br />

öffentlichen Äußerungen berechtigterweise erwarten kann. Hierfür spricht die gesetzgeberische Wertung.<br />

Hinweis: Der BGH macht hier deutlich, dass es für die Abgrenzung zwischen Verbraucher- und<br />

Unternehmerhandeln grds. auf die objektiv zu bestimmende Zweckrichtung des Rechtsgeschäfts ankommt<br />

(BGH, Beschl. v. 24.2.2005 – III ZB 36/04; Urt. v. 15.11.2007 – III ZR 295/06). Dabei sind die jeweiligen<br />

Umstände des Einzelfalls maßgeblich, insb. das Verhalten der Parteien bei Vertragsschluss. In bestimmten<br />

Fällen kann es allerdings auch ausreichen, dass dem Käufer vor oder bei Vertragsschluss der Eindruck<br />

vermittelt wird, er erwerbe die Kaufsache von einem Unternehmer (EuGH, Urt. v. 9.11.2016 – C-149/15).<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 23/2018<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 71


Fach 1, Seite 8 Eilnachrichten 2018<br />

Miete/Nutzungen<br />

Mietverhältnis: Keine außerordentliche Kündigung wegen unbefugter Untervermietung<br />

(OLG Frankfurt, Urt. v. 11.9.2017 – 2 U 102/16) • Die etwaige unbefugte Untervermietung eines<br />

Grundstücks und deren Bekanntgabe gegenüber dem Vermieter nur in mündlicher anstatt schriftlicher<br />

Form stellt keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung des Mietverhältnisses dar.<br />

Denn solche möglichen Vertragsverletzungen können ohne unzumutbare Beeinträchtigung der<br />

Interessen des Vermieters unter Fortsetzung des Mietverhältnisses zwischen den Vertragsparteien<br />

geklärt werden. Auch das Unterlassen des Mieters, eine geforderte Sicherheitsleistung zu erbringen,<br />

lässt die Fortsetzung des Mietverhältnisses für sich genommen noch nicht unzumutbar werden. Dies<br />

gilt jedenfalls dann, wenn der Mieter eine Sicherheitsleistung nicht von vornherein verweigert, sondern<br />

hierüber Verhandlungen mit dem Vermieter aufnimmt, obwohl der Mieter davon ausgeht, dass die Frist<br />

zur Geltendmachung der Sicherheitsleistung nicht eingehalten ist und sich ein Gericht dieser (wenn<br />

auch unzutreffender) Meinung anschließt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 24/2018<br />

Bauvertragsrecht<br />

Bauvertrag: Fortsetzung der Vertragsdurchführung erst nach Erfüllung einer Nachtragsforderung<br />

(KG, Urt. v. 13.6.2017 – 21 U 24/15) • Macht der Bauunternehmer die Fortsetzung der Vertragsdurchführung<br />

von der Erfüllung einer Nachtragsforderung abhängig, verstößt er damit gegen seine<br />

Vorleistungspflicht aus dem Werkvertrag und gibt Anlass zur Kündigung aus wichtigem Grund. Die<br />

Erklärung eines mit Beton- und Stahlbetonarbeiten und einem Treppeneinbau beauftragten Bauunternehmers,<br />

dass „morgen die Treppe nicht eingebaut werden kann“, wenn ein von ihm verlangter<br />

Nachtrag nicht anerkannt wird, stellt jedoch noch keine Pflichtverletzung des Bauvertrags dar. Hinweis:<br />

Das Gericht weist darauf hin, dass, solange sich der Besteller nicht objektiv in Verzug mit der Zahlung<br />

fälliger Abschlagszahlungen befindet, der Grundsatz des Vorrangs der Vertragsdurchführung vor<br />

Preisgewissheit gilt. Zu Recht hat das Gericht vorliegend aber die Erklärung des Bauunternehmers, dass<br />

„morgen die Treppe nicht eingebaut werden kann“, wenn der geforderte Nachtrag nicht vom<br />

Auftraggeber anerkannt wird, nicht als Verstoß gegen die Vorleistungspflicht angesehen. Eine solche<br />

Erklärung ist nicht als Teil- oder gar als Gesamtkündigung des Bauvertrags anzusehen. Sie stellt die<br />

Erbringung der geschuldeten Leistung lediglich für den Folgetag in Frage. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 25/2018<br />

Sonstiges Vertragsrecht<br />

Reiserecht: Ausgleichsanspruch wegen Annullierung eines Fluges<br />

(BGH, Urt. v. 10.10.2017 – XZR73/16)• Ein Ausgleichsanspruch gem. Art. 7 FluggastrechteVO richtet sich bei<br />

Annullierung eines Fluges nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung gegen das ausführende Unternehmen.<br />

Bietet ein Luftverkehrsunternehmen bei einer Annullierung entsprechend seiner Verpflichtung aus Art. 5<br />

Abs. 1 Buchst. a, Art. 8 Abs. 1 FluggastrechteVO eine anderweitige Beförderung zum Zielort an, ist es<br />

hinsichtlich des annullierten Fluges weiterhin ausführendes Luftfahrtunternehmen i.S.d. Art. 2 Buchst. b<br />

FluggastrechteVO. Ein Luftverkehrsunternehmen wird bei einer Annullierung nur dann von seiner Pflicht zur<br />

Ausgleichsleistung befreit, wenn der angebotene Ersatzflug dem Fluggast nicht nur bei planmäßiger<br />

Durchführung, sondern tatsächlich die Möglichkeit eröffnet, das Endziel innerhalb des durch Art. 5 Abs. 1<br />

Buchst. c Nr. ii und Nr. iii FluggastrechteVO vorgegebenen Rahmens zu erreichen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 26/2018<br />

Immobiliarsachenrecht/WEG-Recht<br />

WEG: Klagebefugnis gegen eine Baugenehmigung für einen Dachumbau<br />

(VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 13.7.2017 – 5 S 2602/15) • Ein Wohnungseigentümer ist nicht nur als<br />

Sondereigentümer seiner Wohnung, sondern als Miteigentümer am gemeinschaftlichen Eigentum<br />

72 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Eilnachrichten 2018 Fach 1, Seite 9<br />

(§ 1 Abs. 5 WEG) auch Nachbar im Sinne des öffentlichen Baunachbarrechts. Ein Wohnungseigentümer<br />

kann eine Verletzung eigener Rechte i.S.d. § 42 Abs. 2 VwGO durch eine Baugenehmigung daher auch in<br />

Bezug auf den Nachbarschutz des gemeinschaftlichen Eigentums geltend machen, sofern die<br />

Anfechtung der Baugenehmigung nicht durch einen Beschluss der Eigentümerversammlung vergemeinschaftet<br />

worden ist. Ein Sondereigentümer ist als Nachbar nur dann berechtigt, Beeinträchtigungen<br />

abzuwehren, wenn der Behörde bei ihrer Entscheidung der Schutz der nachbarlichen<br />

Interessen des Sondereigentümers aufgetragen ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 27/2018<br />

Grundbuch: Unrichtigkeit bei Eintragung einer Vormerkung ohne Abtretungsvermerk<br />

(OLG München, Beschl. v. 28.6.2017 – 34 Wx 421/16) • Soll im Grundbuch ein Anspruch auf<br />

Rückübertragung gesichert werden, der – unabhängig von einer Geltendmachung durch den zunächst<br />

Berechtigten – durch Vorausabtretung für den Fall dessen Ablebens auf einen Dritten übertragen ist,<br />

handelt es sich nur um einen zu sichernden Anspruch, so dass dies durch eine einzige Vormerkung<br />

erfolgen kann. Der Vermerk über die bedingte Abtretung muss zur Vermeidung einer Grundbuchunrichtigkeit<br />

eingetragen werden. Fehlt dieser Zusatz, ist das Grundbuch unrichtig. Ein solcher Vermerk<br />

kann im Grundbuch bei der Vormerkung eingetragen werden. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 28/2018<br />

Bank- und Kreditwesen<br />

Sparkassen-AGB: Entgelt-Klauseln<br />

(OLG München, Urt. v. 12.10.2017 – 29 U 4903/16) • Nach § 675f Abs. 4 S. 1 BGB ist der Zahlungsdienstnutzer<br />

verpflichtet, dem Zahlungsdienstleister das für die Erbringung eines Zahlungsdienstes<br />

vereinbarte Entgelt zu entrichten. Nach § 675f Abs. 4 S. 1 BGB handelt es sich bei jeder einzelnen Einoder<br />

Auszahlung von Bargeld auf ein Girokonto oder von einem ein Girokonto um eine Leistung, für die<br />

als Gegenleistung ein Entgelt vereinbart und verlangt werden kann; die Vorschrift begründet deshalb<br />

eine Hauptleistungspflicht des Zahlungsdienstnutzers. Klauseln, welche die Höhe dieses Entgelts<br />

bestimmen, sind nach § 307 Abs. 3 S. 1 BGB der Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB<br />

entzogen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 29/2018<br />

Verbraucherdarlehensvertrag: Widerrufsbelehrung<br />

(OLG Frankfurt, Urt. v. 14.6.2017 – 23 U 111/16) • Eine Widerrufsbelehrung in einem Verbraucherdarlehensvertrag<br />

ist zu beanstanden, wenn sie die Formulierung „Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt<br />

dieser Belehrung“ enthält. Die Formulierung ist hinsichtlich des Beginns der Frist unzureichend und kann<br />

deshalb den Lauf der Frist nicht gem. § 355 Abs. 2 a.F. BGB in Gang setzen. Greift der Unternehmer in den<br />

Mustertext selbst ein, kann er sich schon deshalb unabhängig vom konkreten Umfang der Änderung auf<br />

eine etwa mit der unveränderten Übernahme der Musterbelehrung verbundene Schutzwirkung nicht<br />

mehr berufen. Die – offenbar versehentlich erfolgte – Formulierung „Verpflichtungen zur Erstattung<br />

von Zahlungen müssen Sie innerhalb von 30 Tagen nach Absendung Ihrer Widerrufsbelehrung erfüllen“<br />

statt des im Muster vorgesehenen Textes „Verpflichtungen zur Erstattung von Zahlungen müssen Sie<br />

innerhalb von 30 Tagen nach Absendung Ihrer Widerrufserklärung erfüllen“ stellt einen Eingriff in die<br />

Wortwahl dar, der die Verständlichkeit der Widerrufsbelehrung in einem wesentlichen Punkt beeinträchtigt.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 30/2018<br />

Straßenverkehrsrecht<br />

Haftungsabwägung: Ausparkerunfall<br />

(KG, Urt. v. 14.12.2017 – 22 U 31/16) • Der unter Verstoß gegen § 10 StVO Ausparkende hat im Rahmen der<br />

Haftungsabwägung auch gegenüber demjenigen, der unter Missachtung des Zeichens 245 einen<br />

Bussonderfahrstreifen befährt, den gesamten Schaden zu tragen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 31/2018<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 73


Fach 1, Seite 10 Eilnachrichten 2018<br />

Kfz-Versicherung: Auswirkungen einer zu späten Unterrichtung des Kaskoversicherers<br />

(OLG Hamm, Beschl. v. 21.6.2017 – 20 U 42/17) • Teilt ein Versicherungsnehmer – in Kenntnis der ihm<br />

obliegenden Anzeigepflicht – seinem Kaskoversicherer einen Unfallschaden erst knapp sechs Monate<br />

nach dem Verkehrsunfall mit, kann der Kaskoversicherer berechtigt sein, eine Entschädigung wegen<br />

vorsätzlicher Verletzung der Anzeigeobliegenheit zu verweigern. Hinweis: Nach der hier vom OLG<br />

vertretenen Auffassung setzt eine vorsätzliche Verletzung der Anzeigepflicht durch den Versicherungsnehmer<br />

voraus, dass dieser die Verhaltensnorm, aus der die Obliegenheit folgt, positiv kennt. Insoweit<br />

genügt bedingter Vorsatz, der nach allgemeinen Regeln vorliegt, wenn der Versicherungsnehmer die<br />

Obliegenheitsverletzung für möglich hält und sie billigend in Kauf nimmt, also nicht ernsthaft darauf<br />

vertraut, dass der Erfolg ausbleiben werde (OLG Saarbrücken, Urt. v. 12.7.2006 – 5 U 6/06; OLG<br />

Naumburg, Urt. v. 29.4.2004 – 4 U 167/03). Allerdings spricht nach Ansicht des OLG keine Vermutung für<br />

eine vorsätzliche Verletzung der Anzeigeobliegenheit, vielmehr hat der Versicherer diese gem. § 28<br />

Abs. 2 S. 1 VVG, Nr. E.6.1 S. 1 AKB zu beweisen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 32/2018<br />

Versicherungsrecht<br />

Haftpflichtversicherung: Voraussetzungen/Umfang der Erstattung von Detektivkosten<br />

(OLG Köln, Beschl. v. 2.8.2017 – 17 W 175/16) • Detektivkosten einer Haftpflichtversicherung, die diese zur<br />

Erhärtung ihres Verdachts auf Versicherungsbetrug aufgewendet hat, sind im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

erstattungsfähig. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese nicht außer Verhältnis zu der wirtschaftlichen<br />

Bedeutung der Angelegenheit stehen (hier: Kosten in Höhe von 8.200 € bei einem Streitwert<br />

von 90.000 €). Detektivkosten sind dann erstattungsfähig, wenn sie zur zweckentsprechenden<br />

Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig waren, eine vernünftige Prozesspartei also berechtigte<br />

Gründe hatte, eine Detektei zu beauftragen. Hinzukommen müsse, dass die Detektivkosten sich –<br />

gemessen an den wirtschaftlichen Verhältnissen der Parteien und der Bedeutung des Streitgegenstandes<br />

– in vernünftigen Grenzen halten und prozessbezogen waren, die erstrebten Feststellungen<br />

wirklich notwendig waren sowie die Ermittlungen aus ex-ante-Sicht nicht einfacher und/oder billiger<br />

erfolgen konnten. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 33/2018<br />

Familienrecht<br />

Scheidungsrecht: Anerkennung von Privatscheidungen nach der Scharia<br />

(EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-372/16) • Seit dem Erlass der Rom-III-Verordnung haben zwar mehrere<br />

Mitgliedstaaten in ihren Rechtsordnungen die Möglichkeit eingeführt, Ehescheidungen ohne Tätigwerden<br />

einer staatlichen Behörde auszusprechen. Für die Einbeziehung von Privatscheidungen in den<br />

Anwendungsbereich dieser Verordnung wären aber Änderungen erforderlich, für die allein der Unionsgesetzgeber<br />

zuständig ist. Hinweis: Die Entscheidung des EuGH erging auf Vorlage des OLG München,<br />

welches die Scharia-Scheidungen eigentlich anerkennen wollte. Dem widersprach allerdings der EuGH:<br />

Privat vollzogene Scheidungen nach islamischem Recht müssen nach EU-Regelwerk nicht anerkannt<br />

werden. Vielmehr müsse die Scheidung durch eine staatliche Stelle vollzogen werden.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 34/2018<br />

Betreuungsrecht: Taggenaue Berechnung des Stundenansatzes<br />

(LG Kassel, Beschl. v. 20.9.2017 – 3 T 335/17) • Grundsätzlich hängt der pauschal zu vergütende Zeitaufwand<br />

von der Dauer der Betreuung, dem Aufenthalt des Betreuten und davon ab, ob der Betreute<br />

mittellos ist. Ändern sich die vergütungsrelvanten Umstände vor Ablauf eines Vergütungsmonats –<br />

etwa durch einen Umzug ins Heim – ist bei der Berechnung des Stundenansatzes zeitanteilig nach<br />

Tagen nach § 5 Abs. 4 S. 2 VBVG die konkrete Anzahl an Tagen des betroffenen Vergütungsmonats<br />

zugrunde zu legen. § 191 BGB ist nicht anzuwenden, auch nicht analog. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 35/2018<br />

74 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Eilnachrichten 2018 Fach 1, Seite 11<br />

Nachlass/Erbrecht<br />

Europäisches Nachlasszeugnis: Aufnahme von Grundstücksdaten<br />

(OLG München, Beschl. v. 12.9.2017 – 31 Wx 275/17) • Die erstrebte Aufnahme von Grundstücksdaten eines im<br />

Ausland belegenen Grundstücks (hier: Österreich) in ein ausgestelltes Europäisches Nachlasszeugnis, das die<br />

Erbfolge nach deutschem Recht bezeugt, kann nicht im Wege eines Berichtigungsverfahrens erreicht<br />

werden. Nach Art. 68 lit. l i.V.m. Art. 63 Abs. 2 lit. b EuErbVO kommt die Angabe einzelner Nachlassgegenstände,<br />

die einem bestimmten Erben zustehen, nur in Betracht, wenn die Gegenstände dem Erben mit<br />

dinglicher Wirkung („unmittelbar“) zugewiesen sind, wie dies etwa bei einer in anderen Rechtsordnungen<br />

bekannten dinglich wirkenden Teilungsanordnung der Fall ist. In dem (hier anzuwendenden) deutschen<br />

Erbrecht gilt jedoch die Universalsukzession. Demgemäß ist nach dem deutschen Erbrecht die Angabe<br />

einzelner Nachlassgegenstände von vornherein nicht möglich. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 36/2018<br />

Zivilprozessrecht<br />

Sachverständiger: Ladung zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens<br />

(BGH, Urt. v. 30.5.2017 – VI ZR 439/16) • Für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur<br />

mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, kommt es nicht darauf an, ob<br />

das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob ein solcher von einer Partei nachvollziehbar dargetan<br />

worden ist. Die Partei hat zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs einen Anspruch darauf, dass sie dem<br />

Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen<br />

Beantwortung vorlegen kann. Hat das Erstgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines<br />

Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens nicht entsprochen, so muss<br />

das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben. Hinweis: Der BGH<br />

hatte bereits in seiner Entscheidung vom 21.2.2017 (Az. VI ZR 314/15) klargestellt, dass jeder Prozesspartei<br />

gem. §§ 397, 402 ZPO zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs das Recht zustehe, einen Sachverständigen<br />

zu seinem schriftlichen Gutachten mündlich zu befragen. Der Tatrichter muss dementsprechend<br />

dem von einer Partei rechtzeitig gestellten Antrag, den gerichtlichen Sachverständigen nach<br />

Erstattung des schriftlichen Gutachtens zu dessen mündlicher Verhandlung zu laden, selbst dann<br />

stattgeben, wenn die schriftliche Begutachtung aus der Sicht des Gerichts ausreichend und überzeugend<br />

ist (vgl. BGH, Urt. v. 17.12.1996 – VI ZR 50/96). Dieser Pflicht ist der Tatrichter nur ausnahmsweise dann<br />

enthoben, wenn der Antrag auf Anhörung des Sachverständigen verspätet oder rechtsmissbräuchlich<br />

gestellt worden ist (s. BGH, Beschl. v. 21.2.2017 – VI ZR 314/15). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 37/2018<br />

Geständnis: Bindungswirkung<br />

(OLG Jena, Beschl. v. 19.10.2017 – 1 UF 221/14) • Ein Geständnis ist das gem. § 290 ZPO mit einer gewissen<br />

Bindungswirkung ausgestattete Zugestehen der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung des Gegners. Es ist<br />

eine dem Verhandlungsgrundsatz entsprechende, daher grds. auch das Gericht an die zugestandene<br />

Tatsache bindende Prozesshandlung, mit der die gestehende Partei unwiderruflich ihren Willen zum<br />

Ausdruck bringt, dass die Tatsache ungeprüft zur Urteilsgrundlage gemacht wird. Ein Geständnis kann nur<br />

von der nicht beweisbelasteten Partei abgegeben werden. Denn es muss sich auf eine für den Gestehenden<br />

ungünstige (im Sinne der Beweislastverteilung) und vom beweisbelasteten Gegner behauptete Tatsache<br />

beziehen. Die Wirkung des gerichtlichen Geständnisses besteht im Ausschluss der Wahrheitsprüfung durch<br />

das Gericht und in der Beschränkung des Widerrufs. Dagegen hindert das Geständnis den Gegner nicht an<br />

der Zurücknahme der eigenen ihm günstigen Behauptung. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 38/2018<br />

Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />

Pfändung: Nichtberücksichtigung eines Unterhaltsberechtigten<br />

(BGH, Beschl. v. 28.9.2017 – VII ZB 14/16) • Der Gläubiger kann einen klarstellenden Beschluss des<br />

Vollstreckungsgerichts verlangen, dass der Unterhaltsberechtigte bei der Berechnung des pfändbaren<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 75


Fach 1, Seite 12 Eilnachrichten 2018<br />

Betrags nach § 850c Abs. 1 ZPO nicht zu berücksichtigen ist, wenn der Schuldner an den<br />

Unterhaltsberechtigten keinen Unterhalt leistet. Der Antrag des Gläubigers richtet sich für die Pfändung<br />

von Arbeitseinkommen auf Erlass eines Blankettbeschlusses, der gem. § 850c Abs. 3 S. 2 ZPO wegen der<br />

Berechnung der pfändbaren Beträge auf die Anwendung der Tabelle zu dieser Vorschrift verweist. Die<br />

allgemein gefassten Angaben in einem solchen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss können im<br />

Einzelfall zu Unklarheiten führen. Es ist anerkannt, dass Schuldner, Gläubiger und Drittschuldner ein<br />

Rechtsschutzbedürfnis haben, derartige Unklarheiten durch Anrufung des Vollstreckungsgerichts zu<br />

beseitigen. Dieses hat dann eine klarstellende Entscheidung zu treffen, die den Blankettbeschluss<br />

ergänzt und konkrete Berechnungskriterien für den Drittschuldner aufzeigt. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 39/2018<br />

Handelsrecht/Gesellschaftsrecht<br />

Buchauszug: Verjährung des Anspruchs auf Erteilung<br />

(BGH, Urt. v. 3.8.2017 – VII ZR 32/17) • Der Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs nach § 87c Abs. 2 HGB<br />

verjährt selbstständig in der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB. Dieser Anspruch, bei dem es sich<br />

um einen Hilfsanspruch handelt, wird allerdings gegenstandslos, wenn der Provisionsanspruch, dessen<br />

Vorbereitung er dienen soll, verjährt ist oder aus anderen Gründen nicht mehr durchgesetzt werden kann.<br />

Die Verjährung des Anspruchs des Handelsvertreters auf Erteilung eines Buchauszugs beginnt regelmäßig<br />

mit dem Schluss des Jahres, in dem der Unternehmer dem Handelsvertreter eine abschließende Abrechnung<br />

über die diesem zustehende Provision erteilt hat. Der Handelsvertreter ist, wenn der Unternehmer die<br />

Erteilung einer Abrechnung über die dem Handelsvertreter zustehende Provision verweigert, obwohl er zur<br />

Abrechnung verpflichtet ist, grds. berechtigt, die Vorlage eines Buchauszugs zusammen mit der Abrechnung<br />

über die Provision gerichtlich geltend zu machen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 40/2018<br />

Wirtschafts-/Urheber-/Medien-/Marken-/Wettbewerbsrecht<br />

Wettbewerbsrecht: Irreführende Werbung mit Schmerzmittel<br />

(OLG Stuttgart, Urt. v. 8.6.2017 – 2 U 127/16) • Ein Schmerzmittel, das nur zur Schmerzbehandlung<br />

zugelassen ist, darf nicht mit der das Immunsystem unterstützenden Wirkung des dem Medikament<br />

beigefügten Vitamin C beworben werden. Eine solche Werbung verstößt gegen § 3a HWG. Die Bestimmung<br />

verbietet es, für ein zulassungspflichtiges Arzneimittel ein nicht von der Zulassung erfasstes Anwendungsgebiet<br />

explizit zu nennen. Die Regelung wird durch § 3a S. 2 HWG ergänzt, wonach es unzulässig ist, wenn<br />

sich die Werbung auf Anwendungsgebiete bezieht, die nicht von der Zulassung erfasst sind. Mit der<br />

Werbebotschaft, dass das enthaltene Vitamin C das Immunsystem unterstütze, weist das Unternehmen auf<br />

ein Anwendungsgebiet hin, für welches das Medikament nicht zugelassen ist. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 41/2018<br />

Arbeitsrecht<br />

Arbeitsschutz: Ruhezeiten im Straßentransportwesen<br />

(EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-102/16) • Gemäß der Verordnung (EG) Nr. 561/2006 v. 15.3.2006 zur<br />

Harmonisierung bestimmter Sozialvorschriften im Straßenverkehr (ABl 2006, L 102, S. 1) dürfen Fahrer<br />

im Straßentransportsektor die ihnen zustehende regelmäßige wöchentliche Ruhezeit nicht in ihrem<br />

Fahrzeug verbringen. Hingegen darf die reduzierte wöchentliche Ruhezeit unter bestimmten Voraussetzungen<br />

im Fahrzeug eingelegt werden. Hinweis: Der EuGH bestätigt mit dieser – ein in Belgien<br />

verhängtes Bußgeld betreffenden – Entscheidung u.a. auch die deutsche Praxis, die die EU-Verordnung<br />

schon seit längerem so ausgelegt hatte, dass die regelmäßige wöchentliche Ruhezeit von 45 Stunden<br />

nicht im Fahrzeug verbracht werden darf. Die täglichen Ruhezeiten von mindestens neun Stunden<br />

sowie die unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen verkürzten wöchentlichen Ruhezeiten können<br />

hingegen weiter im Fahrzeug verbracht werden, wenn geeignete Schlafmöglichkeiten vorhanden sind.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 42/2018<br />

76 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Eilnachrichten 2018 Fach 1, Seite 13<br />

Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats: Umgang mit mobilen Arbeitsmitteln während der Freizeit<br />

(BAG, Beschl. v. 22.8.2017 – 1 ABR 52/14) • Bringt ein Arbeitgeber im Rahmen einer Selbstverpflichtung<br />

zum Ausdruck, dass mobile Arbeitsmittel nicht in der Freizeit zu dienstlichen Zwecken genutzt werden<br />

sollen, ist eine solche Erklärung nicht mitbestimmungspflichtig. Hierdurch sind weder die betriebliche<br />

Ordnung noch die betriebliche Arbeitszeit berührt. Gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG hat der Betriebsrat<br />

mitzubestimmen in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb.<br />

Gegenstand des Mitbestimmungsrechts ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der<br />

Arbeitnehmer. Dieses kann der Arbeitgeber kraft seiner Leitungsmacht durch Verhaltensregeln oder<br />

sonstige Maßnahmen beeinflussen und koordinieren. Zweck des Mitbestimmungsrechts ist es, die<br />

Arbeitnehmer hieran zu beteiligen. Sie sollen an der Gestaltung des betrieblichen Zusammenlebens<br />

gleichberechtigt teilnehmen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 43/2018<br />

Sozialrecht<br />

Krankengeldanspruch: Nichterstellen einer Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung<br />

(BSG, Urt. v. 11.5.2017 – B 3 KR 22/15) • Grundsätzlich muss der Versicherte spätestens am letzten Tag der<br />

zuvor bescheinigten Arbeitsunfähigkeit (AU) für eine Folge-AU-Bescheinigung sorgen, damit der<br />

durchgehende umfassende Krankenversicherungsschutz Pflichtversicherter erhalten bleibt. Zwar sind<br />

die gesetzlichen Regelungen strikt anzuwenden. Jedoch sind in engen Grenzen bestimmte Ausnahmen<br />

von den Vorgaben und Grundsätzen angezeigt – etwa dann, wenn die ärztliche Feststellung (oder die<br />

rechtzeitige Meldung der AU nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) durch Umstände verhindert oder verzögert<br />

worden ist, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen und nicht dem Verantwortungsbereich<br />

des Versicherten zuzurechnen sind. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 44/2018<br />

Versicherungspflichtige Rentner: Berechnung aus nebenberuflich selbstständiger Tätigkeit<br />

(SG Lübeck, Urt. v. 17.8.2017 – S 14 KR 246/15) • Bei versicherungspflichtigen Rentnern werden der<br />

Beitragsbemessung gem. § 237 Abs. 1 SGB V u.a. der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung<br />

und das Arbeitseinkommen zugrunde gelegt. Zur Berechnung der Beiträge der pflichtversicherten<br />

Rentner aus nebenberuflich selbstständiger Tätigkeit (§ 237 SGB V) sind die „Beitragsverfahrensgrundsätze<br />

Selbstzahler“ mangels rechtlicher Grundlage nicht heranzuziehen. Die gesetzliche<br />

Ermächtigung für die Regelung dieser Grundsätze durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen<br />

ergibt sich aus § 240 SGB V und bezieht sich damit ausschließlich auf die Beitragsbemessung freiwilliger<br />

Mitglieder. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 45/2018<br />

Verfassungsrecht/Verwaltungsrecht<br />

Hochschulrecht: Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin<br />

(BVerfG, Urt. v. 19.12.2017 – 1 BvL 3/14 u. 1 BvL 4/14) • Die bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften über<br />

das Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen der Humanmedizin an staatlichen Hochschulen sind<br />

teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar. Sie verletzen den grundrechtlichen Anspruch der Studienplatzbewerberinnen<br />

und -bewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot. Außerdem<br />

verfehlen die landesgesetzlichen Bestimmungen zum Auswahlverfahren der Hochschulen teilweise die<br />

Anforderungen, die sich aus dem Vorbehalt des Gesetzes ergeben. Eine Neuregelung ist bis zum 31.12.2019<br />

zu treffen. Hinweis: Als Mängel der derzeitigen Regelung sieht das BVerfG zum einen die zu starke<br />

Gewichtung der „Ortswunschangabe“ im Bewerbungsverfahren; ihre Berücksichtigung schwäche die<br />

Bedeutung der Abiturnote unzulässigerweise ab. Zum anderen bemängeln die Verfassungsrichter die<br />

landesrechtlich unterschiedlich ausgestalteten Eignungsprüfungen; hier habe der Gesetzgeber künftig für<br />

ein „standardisiertes und strukturiertes“ Verfahren zu sorgen. Zudem fordern die Richter eine Begrenzung<br />

der Wartezeit, über die 20 % der Studienplätze vergeben werden, und einen bundesweiten Ausgleichsmechanismus<br />

für die Unterschiede bei den Abiturnoten. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 46/2018<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 77


Fach 1, Seite 14 Eilnachrichten 2018<br />

BAföG-Bewilligung: Bindung an inhaltlich korrekten elterlichen Einkommensteuerbescheid<br />

(OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.5.2017 – OVG 6 B 85.15) • Unmittelbarer Bezugspunkt und für die<br />

Anrechnung des Einkommens der Eltern des Auszubildenden nach § 24 BAföG auch rechtlich bindend ist<br />

grds. der Inhalt des für den entsprechenden Bewilligungszeitraum maßgeblichen elterlichen Einkommensteuerbescheid,<br />

selbst dann, wenn tatsächliche Zweifel an seiner Richtigkeit bestehen sollten (vgl.<br />

BVerwG, Beschl. v. 9.11.1988 – 5 B 143/87). Eine Ausnahme von dieser Bindungswirkung kann aber dann<br />

gerechtfertigt sein, wenn die im Steuerbescheid der Eltern angesetzten positiven Einkünfte entweder<br />

auf nachweislich unzutreffenden Schätzungen oder Hochrechnungen beruhen und deshalb in Höhe des<br />

unzutreffenden Anteils als unbillige Härte nach § 25 Abs. 6 S. 1 BAföG anrechnungsfrei zu stellen sind<br />

(vgl. OVG Münster, Beschl. v. 30.11.2015 – 12 A 2055/14) oder die im Einkommensteuerbescheid<br />

ausgewiesenen elterlichen Einkünfte (hier: aus selbstständiger Tätigkeit als beherrschender GmbH-<br />

Geschäftsführer) zwar steuerlich korrekt als nach § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen bzw. vereinnahmt gelten,<br />

als solche im Sinne von Einkommen für die Deckung des Unterhalts- bzw. Ausbildungsbedarf des<br />

Auszubildenden aber tatsächlich gar nicht zur Verfügung standen. Hinweis: Da dem BAföG-Amt keine<br />

eigenständige Prüfungspflicht hinsichtlich des Einkommensteuerbescheids obliegt, ist es primär Aufgabe<br />

der Eltern bzw. des Auszubildenden, gegen die fälschlicherweise ausgewiesenen positiven<br />

Einkünfte rechtzeitig vorzugehen, selbst wenn als Null-Bescheid im Ergebnis keinerlei Einkommensteuer<br />

festgesetzt wird. Im Streitfall bestand die Besonderheit, dass insoweit ein Vorgehen gegen den an<br />

sich inhaltlich korrekten Einkommensteuerbescheid ohnehin keine Erfolgsaussichten gehabt hätte, so<br />

dass seine inzwischen eingetretene Bestandskraft der – antragsgebundenen – Anrechnungsfreistellung<br />

nach § 25 Abs. 6 S 1 BAföG auch nicht entgegenstehen konnte (zur aktuellen Rspr.-Entwicklung im<br />

BAföG-Recht s. LACKNER NVwZ 2016, 1683 ff. und 2015, 1417 ff.). <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 47/2018<br />

Steuerrecht<br />

Zweitwohnung: Versteuerung des Gewinns nach Veräußerung<br />

(BFH, Urt. v. 27.6.2017 – IX R 37/16) • Nach § 22 Nr. 2 EStG sind sonstige Einkünfte auch Einkünfte aus<br />

privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG. Dazu gehören gem. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG u.a.<br />

Veräußerungsgeschäfte bei Grundstücken, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und<br />

Veräußerung nicht mehr als zehn Jahre beträgt. Ausgenommen sind Wirtschaftsgüter, die im Zeitraum<br />

zwischen Anschaffung oder Fertigstellung und Veräußerung ausschließlich zu eigenen Wohnzwecken<br />

(1. Alternative) oder im Jahr der Veräußerung und in den beiden vorangegangenen Jahren zu eigenen<br />

Wohnzwecken (2. Alternative) genutzt wurden (§ 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG). Ein Gebäude wird auch<br />

dann zu eigenen Wohnzwecken genutzt, wenn es der Steuerpflichtige nur zeitweilig bewohnt, sofern es<br />

ihm in der übrigen Zeit als Wohnung zur Verfügung steht. Unter § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 3 EStG können<br />

deshalb auch Zweitwohnungen, nicht zur Vermietung bestimmte Ferienwohnungen und Wohnungen,<br />

die im Rahmen einer doppelten Haushaltsführung genutzt werden, fallen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 48/2018<br />

Strafsachen/Ordnungswidrigkeiten<br />

Mittäterschaft: Mindestens konkrete Vorbereitungshandlungen erforderlich<br />

(BGH, Beschl. v. 5.7.2017 – StB 14/17) • Die Annahme einer Mittäterschaft im Sinne einer Vorbereitung<br />

einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat erfordert konkret umschriebene Vorbereitungshandlungen,<br />

die in Verbindung mit den tatbestandlich vorausgesetzten Beweggründen, die dem Tun<br />

des Täters zugrunde liegen, bereits eine gewisse Gefahr für die genannten Rechtsgüter begründen.<br />

§ 89a StGB begründet weder eine Strafbarkeit für Personen, die ausschließlich eine der dort genannten<br />

objektiven Tathandlungen vornehmen, noch für Personen, die diese subjektive Vorstellung haben, ohne<br />

sie durch eine der abschließend aufgeführten objektiven Tathandlungen nach außen zu manifestieren.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 49/2018<br />

78 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Eilnachrichten 2018 Fach 1, Seite 15<br />

Dashcam-Aufzeichnung: Zulässigkeit<br />

(OLG Celle, Beschl. v. 4.10.2017 – 3 Ss [OWi] 163/17) • Die Aufzeichnung mutmaßlich verkehrsordnungswidriger<br />

Verhaltensweisen Dritter im öffentlichen Straßenverkehr mittels einer sog. Dashcam<br />

(Onboard-Kamera) und die anschließende Übermittlung der dergestalt erhobenen Daten an die<br />

zuständige Bußgeldbehörde zwecks Ahndung eventuell begangener Verkehrsordnungswidrigkeiten<br />

verstößt gegen § 1 Abs. 1 BDSG und stellt somit eine unzulässige Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts<br />

der betroffenen Verkehrsteilnehmer dar. Derartige Handlungen werden vom personalen und<br />

sachlichen Anwendungsbereich der entsprechenden Schutzvorschriften des BDSG, u.a. von § 1 Abs. 2<br />

Nr. 3 BDSG, erfasst und durch § 43 Abs. 2 Nr. 1 BDSG als Ordnungswidrigkeit sanktioniert.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 50/2018<br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Einspruchsbeschränkung: Wirksamkeit<br />

(OLG Bamberg, Beschl. v. 30.10.2017 – 3 Ss OWi 1206/17) • Wie die Einlegung des Einspruchs selbst ist<br />

auch die Beschränkung des Einspruchs als Prozesshandlung bedingungsfeindlich. Ergibt sich aus<br />

Erklärungen des Betroffenen oder seiner Verteidigung, dass (weiterhin) auch die Schuld oder deren<br />

Umfang angegriffen wird, ist die Beschränkung des Einspruchs auf den Rechtsfolgenausspruch<br />

unwirksam. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 51/2018<br />

Akteneinsicht: Nebenklage<br />

(AG Tiergarten, Beschl. v. 11.10.2017 – [265 LS] 284 Js 724/17 [16/17]) • In einer Aussage-gegen-Aussage-<br />

Konstellation ist der Nebenklage keine Akteneinsicht zu gewähren. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 52/2018<br />

Anwaltsrecht/Anwaltsbüro<br />

Anwaltshaftung: Versehentliche Abgabe einer Selbstanzeige des Mandanten an das Finanzamt<br />

(BGH, Urt. v. 9.11.2017 – IX ZR 270/16) • Übermittelt der rechtliche Berater versehentlich ohne vorherige<br />

Abstimmung mit dem Mandanten eine für diesen gefertigte Selbstanzeige der Finanzverwaltung, liegt in<br />

der anschließend gegen den Mandanten festgesetzten Steuerpflicht kein ersatzfähiger Schaden. Der mit<br />

einem rechtlichen Berater geschlossene Vertrag kann darauf gerichtet sein, den Mandanten vor der<br />

Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit und deren Folgen zu schützen, nicht aber, dem<br />

Mandanten die Früchte einer von diesem vorsätzlich verübten Steuerhinterziehung zu wahren. Da der<br />

rechtliche Berater nicht an einer Steuerhinterziehung seines Mandanten mitwirken darf, gehört es nicht<br />

zu seinen vertragsgemäßen Aufgaben, dem Mandanten durch die Vermeidung einer fahrlässigen<br />

Pflichtverletzung die Erträge der von ihm begangenen Steuerhinterziehung zu erhalten. Das Interesse<br />

des Mandanten, dass die von ihm begangene Steuerhinterziehung nicht aufgedeckt wird, ist auch im<br />

Verhältnis zu dem rechtlichen Berater nicht schutzwürdig. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 53/2018<br />

Anwaltshaftung: Unterlassener Hinweis des Rechtsanwalts auf Ausschlussfrist<br />

(OLG München, Endurt. v. 7.6.2017 – 15 U 161/16) • Eine Haftung des Rechtsanwalts, der es versäumt hat,<br />

den Mandanten auf die Ausschlussfrist für die Geltendmachung seiner Ansprüche aus einer privaten<br />

Unfallversicherung hinzuweisen, kommt nicht in Betracht, wenn der Mandant den Nachweis eines<br />

unfallbedingten Dauerschadens nicht gem. § 287 ZPO führen kann. Hinweis: Im Anwaltsregressprozess<br />

ist ein Grundurteil nur zulässig, wenn festgestellt wird, dass der vom Rechtsanwalt durchzusetzende<br />

Anspruch des Mandanten bestand. Zum Klagegrund beim Anwaltsregress gehört auch, ob der durchzusetzende<br />

Anspruch des Mandanten (hier der Anspruch auf die Versicherungsleistung) überhaupt<br />

bestand. Diese Voraussetzung des Grundurteils ist auch ohne ausdrückliche Berufungsrüge zu prüfen.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 54/2018<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 79


Fach 1, Seite 16 Eilnachrichten 2018<br />

Gebührenrecht<br />

Rechtsanwaltsgebühr: Gegenstandswert ist der Wiederbeschaffungsaufwand<br />

(BGH, Urt. v. 18.7.2017 – VI ZR 465/16) • Beauftragt der Geschädigte einen Rechtsanwalt mit der<br />

Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Schädiger oder dessen Haftpflichtversicherer,<br />

so ist der Umfang des Ersatzverlangens nur für die Abrechnung zwischen dem Geschädigten<br />

und seinem Anwalt maßgebend. Kostenerstattung aufgrund des materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruchs<br />

kann der Geschädigte vom Schädiger dagegen grds. nur insoweit verlangen, als<br />

seine Forderung diesem gegenüber auch objektiv berechtigt ist. Hinweis: Der für den Anspruch auf<br />

Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten maßgebliche Gegenstandswert richtet sich daher nach<br />

dem Wiederbeschaffungsaufwand und nicht nach dem ungekürzten Wiederbeschaffungswert. Wer als<br />

Anwalt also maximal verdienen will, muss dem Mandanten raten, dem Schädiger das kaputte Auto auf<br />

den Hof zu stellen. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 55/2018<br />

Kündigungsschutzklage: Streitwertberechnung<br />

(LAG Düsseldorf, Beschl. v. 16.6.2017 – 4 Ta 211/17) • Die Klage gegen eine fristlose und hilfsweise<br />

fristgerechte Kündigung wird insgesamt mit einem Vierteljahresentgelt bewertet. Gemäß § 42 Abs. 2 S. 1<br />

GKG ist für die Wertberechnung bei Rechtsstreitigkeiten vor den Gerichten für Arbeitssachen über das<br />

Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses höchstens der Betrag des<br />

für die Dauer eines Vierteljahres zu leistenden Arbeitsentgelts maßgebend. Bei einer Kündigungsschutzklage<br />

und gleichzeitigen Klage auf Verzugslohn für die Zeit nach dem Kündigungstermin in<br />

objektiver Klagehäufung sind die Streitwerte der Klageanträge gem. § 39 GKG zu addieren. Ein Additionsverbot<br />

wegen wirtschaftlicher Identität besteht nicht. Dies gilt auch für Verzugslohnansprüche<br />

aus den ersten drei Monaten nach dem Kündigungstermin. <strong>ZAP</strong> EN-Nr. 56/2018<br />

EU-Recht/IPR<br />

Ausweisung: Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe<br />

(EuGH, Urt. v. 7.12.2017 – C-636/16) • Gegen einen langfristig aufenthaltsberechtigten Nicht-EU-<br />

Staatsangehörigen kann nicht allein deshalb die Ausweisung verfügt werden, weil er zu einer<br />

Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wurde. Das vorrangige Ziel der Richtlinie 2003/109/<br />

EG v. 25.11.2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen<br />

(ABl 2004, L 16, S. 44) besteht in der Integration von Nicht-EU-Staatsangehörigen, die in<br />

den Mitgliedstaaten langfristig ansässig sind und die deshalb verstärkten Ausweisungsschutz genießen<br />

sollen. Die Mitgliedstaaten der EU müssen daher, bevor sie gegen einen langfristig aufenthaltsberechtigten<br />

Nicht-EU-Staatsangehörigen eine Ausweisung verfügen, die Dauer des Aufenthalts in<br />

ihrem Hoheitsgebiet, das Alter der betreffenden Person, die Folgen für sie und ihre Familienangehörigen<br />

sowie die Bindungen zum Aufenthaltsstaat oder fehlende Bindungen zum Herkunftsstaat berücksichtigen.<br />

<strong>ZAP</strong> EN-Nr. 57/2018<br />

<strong>ZAP</strong>-Service: Die <strong>ZAP</strong> Eilnachrichten können und sollen nur eine stark komprimierte Wiedergabe der Originaltexte sein.<br />

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80 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 251<br />

Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />

Bauvertrag<br />

Das neue Bauvertragsrecht in der anwaltlichen Praxis – Ein Überblick<br />

Von Professor Dr. GERHARD RING, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Deutsches und Europäisches<br />

Wirtschaftsrecht, Technische Universität Bergakademie, Freiberg<br />

Inhalt<br />

I. Vorbemerkung<br />

II. Der Bauvertrag<br />

1. Legaldefinition<br />

2. Anwendbare Regelungen<br />

3. Einvernehmliche Vertragsänderung<br />

4. Einseitiges Anordnungsrecht<br />

5. Vergütungsanpassung bei einer Anordnung<br />

nach § 650b Abs. 2 BGB<br />

6. Abschlagszahlungen<br />

7. Besonderheit bei einer einstweiligen<br />

Verfügung<br />

8. Sicherungshypothek des Bauunternehmers<br />

9. Bauhandwerkersicherung<br />

10. Zustandsfeststellung bei Abnahmeverweigerung<br />

11. Schriftform der Kündigung<br />

III. Der Verbraucherbauvertrag<br />

1. Legaldefinition<br />

2. Anwendbare Regelungen<br />

3. Baubeschreibung<br />

4. Baubeschreibung als zwingender Inhalt<br />

des Verbraucherbauvertrags<br />

5. Gesetzliches Widerrufsrecht<br />

6. Begrenzung der Abschlagszahlungen<br />

7. Absicherung des Vergütungsanspruchs<br />

8. Unwirksamkeit klauselmäßiger Abbedingung<br />

von § 632a Abs. 1 und<br />

§ 650m Abs. 1, 2 BGB<br />

9. Erstellung/Herausgabe von Unterlagen<br />

10. Abweichende Vereinbarungen<br />

IV. Resümee<br />

I. Vorbemerkung<br />

Am 9.3.2017 hat der Bundestag das Gesetz zur Reform des Bauvertragsrechts, zur Änderung der<br />

kaufrechtlichen Mängelhaftung, zur Stärkung des zivilprozessualen Rechtsschutzes und zum maschinellen<br />

Siegel im Grundbuch- und Schiffsregisterverfahren verabschiedet (BT-Drucks 18/8586 i.d.F. der<br />

BT-Drucks 18/11437). Der Bundesrat hat das Gesetz am 31.3.2017 ohne inhaltliche Änderungen gebilligt<br />

(BR-Drucks 199/17 und 199/1/17), am 4.5.2017 ist es verkündet worden (BGBl I, S. 969). Die Neuregelung<br />

gilt nach Art. 229 § 39 EGBGB für Bauverträge, die ab dem 1.1.2018 abgeschlossen werden.<br />

Neben Änderungen des allgemeinen Werkvertragsrechts (§§ 631–bis 650 BGB, z.B. die Neuregelung der<br />

Abschlagszahlungen in § 632a BGB, der fiktiven Abnahme in § 640 Abs. 2 BGB und der Kündigung aus<br />

wichtigem Grund in § 648a BGB) hat das spezifische, weil komplexe und auf eine längere Erfüllungszeit<br />

angelegte Bauvertragsrecht nunmehr in Gestalt der Regelungen zum<br />

• Bauvertrag (§§ 650a–h BGB),<br />

• Verbraucherbauvertrag mit Einführung eines auf den Bau zugeschnittenen Verbraucherschutzes<br />

(§§ 650i–n BGB),<br />

• Architekten- und Ingenieurvertrag (§§ 650p–t BGB) und zum<br />

• Bauträgervertrag (§§ 650u–v BGB)<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 81


Fach 5, Seite 252<br />

Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />

Bauvertragsrecht<br />

erstmals eine ausdrückliche und zusammenfassende Kodifizierung erfahren (dazu demnächst RING, Das<br />

neue Bauvertragsrecht in der anwaltlichen Praxis, 2018, <strong>ZAP</strong> Verlag). Im Übrigen wurde auch die<br />

kaufrechtliche Mängelhaftung für Baustoffe an die Judikatur des EuGH angepasst. Nachstehend sollen<br />

allein der Bau- und der Verbraucherbauvertrag vorgestellt werden.<br />

II. Der Bauvertrag<br />

Der Gesetzgeber hat in Abgrenzung zum allgemeinen Werkvertrag (§ 631 BGB) in den §§ 650a–h BGB<br />

ein Sonderrecht für Bauverträge geschaffen.<br />

1. Legaldefinition<br />

Nach der Legaldefinition in § 650a Abs. 1 S. 1 BGB ist ein Bauvertrag ein Vertrag über<br />

• die Herstellung,<br />

• die Wiederherstellung,<br />

• die Beseitigung oder<br />

• den Umbau<br />

eines Bauwerks, einer Außenanlage oder eines Teils davon.<br />

Bauwerk ist eine unbewegliche, durch Verwendung von Arbeit und Material mit dem Erdboden<br />

hergestellte und mit ihm nicht nur vorübergehend verbundene Sache. Außenanlagen sind Grundstücksflächen,<br />

die durch Erd-, Pflanz-, Rasen-, Saat-, landschaftsgärtnerische Entwässerungs- und vegetationstechnische<br />

Arbeiten besonders gestaltet werden. Herstellung ist die Errichtung einer baulichen Anlage.<br />

Bei einer Wiederherstellung werden auf noch vorhandenen Bau- oder Anlageteilen die zerstörten Teile<br />

wiederhergestellt. Beseitigung sind Abbruch-, aber auch Rückbauarbeiten. Und Umbau ist die Umgestaltung<br />

eines vorhandenen Objekts mit wesentlichen Eingriffen in die Konstruktion oder den Bestand.<br />

Hinweis:<br />

Ein Vertrag über die Instandhaltung eines Bauwerks (im Sinne von Maßnahmen zur Wiederherstellung des<br />

zum bestimmungsgemäßen Gebrauchs geeigneten Zustands, sofern dies kein Wiederaufbau ist) – nicht<br />

einer Außenanlage – ist nach § 650a Abs. 2 BGB ein Bauvertrag, wenn das Werk für die Konstruktion, den<br />

Bestand oder den bestimmungsgemäßen Gebrauch von „wesentlicher Bedeutung“ ist.<br />

2. Anwendbare Regelungen<br />

Für den Bauvertrag gelten gem. § 650a Abs. 1 S. 2 BGB ergänzend, d.h. neben den allgemeinen<br />

werkvertraglichen Vorschriften in den §§ 631–650 BGB, die Regelungen des Kapitels 2 (§§ 650a–h BGB).<br />

3. Einvernehmliche Vertragsänderung<br />

Wenn der Besteller<br />

• nach § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB eine Änderung des vereinbarten Werkerfolgs (§ 631 Abs. 2 BGB) oder<br />

• nach § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB eine Änderung, die zur Erreichung des vereinbarten Werkerfolgs<br />

notwendig ist (= Nachträge),<br />

begehrt (Änderungsbegehren), trifft die Vertragsparteien zunächst die Verpflichtung, Einvernehmen<br />

anzustreben (Einigungsbemühungen) über<br />

• die Änderung selbst und<br />

• die infolge der Änderung zu leistende Mehr- oder Mindervergütung,<br />

bevor der Besteller von seinem einseitigen Anordnungsrecht (§ 650b Abs. 2 BGB, vgl. im Folgenden<br />

unter 4.) – was ein erhebliches Konfliktpotential in sich birgt – Gebrauch machen kann.<br />

Der Unternehmer hat als Grundlage der Einigung gem. § 650b Abs. 1 S. 2 BGB ein Angebot über die<br />

Mehr- oder Mindervergütung zu erstellen. Im Falle einer Änderung nach § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB gilt<br />

dies jedoch nur, wenn ihm die Ausführung der Änderung „zumutbar“ ist.<br />

82 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 253<br />

Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />

Unzumutbarkeit kann sich aus den technischen Möglichkeiten, der Ausstattung und der Qualifikation<br />

des Unternehmers bzw. aus betriebsinternen Vorgängen (z.B. Personalausstattung, fachliches Können<br />

oder geräte- und maschinentechnische Ausstattung) ergeben. Sie ist unter Abwägung der Interessen<br />

beider Vertragsparteien zu ermitteln und liegt unterhalb der Schwelle des allgemeinen Leistungsverweigerungsrechts<br />

wegen Unzumutbarkeit (§ 275 Abs. 2, 3 BGB). Macht der Unternehmer betriebsinterne<br />

Vorgänge für eine Unzumutbarkeit nach § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB geltend, trifft ihn gem.<br />

§ 650b Abs. 1 S. 3 BGB die Beweislast hierfür.<br />

Hinweis:<br />

Trägt der Besteller die Verantwortung für die Planung des Bauwerks oder der Außenanlage (weil er damit<br />

z.B. schon bei der Grundbeauftragung einen Architekten betraut hat), ist der Unternehmer nach § 650b<br />

Abs. 1 S. 4 BGB nur dann zur Erstellung eines Angebots über die Mehr- oder Mindervergütung verpflichtet,<br />

wenn der Besteller die für die Änderung erforderliche Planung vorgenommen und dem Unternehmer zur<br />

Verfügung gestellt hat.<br />

Begehrt der Besteller eine Änderung, für die dem Unternehmer nach § 650c Abs. 1 S. 2 BGB kein<br />

Anspruch auf Vergütung für vermehrten Aufwand zusteht (vgl. unter 5.), streben die Parteien gem.<br />

§ 650b Abs. 1 S. 5 BGB nur Einvernehmen über die Änderung an – der Unternehmer ist jedoch nicht<br />

verpflichtet, ein Angebot über die Mehr- oder Mindervergütung zu erstellen.<br />

4. Einseitiges Anordnungsrecht<br />

Erzielen die Parteien binnen 30 Tagen nach Zugang des Änderungsbegehrens des Bestellers beim<br />

Unternehmer keine Einigung nach § 650b Abs. 1 BGB (s. oben 3.), kann der Besteller gem. § 650b Abs. 2<br />

S. 1 BGB in Textform (§ 126b BGB) die Änderung anordnen (Vertragsänderung). Der Unternehmer ist<br />

nach § 650b Abs. 2 S. 2 BGB verpflichtet, der (einseitigen) Anordnung des Bestellers nachzukommen<br />

(Ausführungspflicht) – einer Anordnung nach § 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB jedoch nur, wenn ihm die<br />

Ausführung „zumutbar“ ist, wofür er die Beweislast trägt.<br />

5. Vergütungsanpassung bei einer Anordnung nach § 650b Abs. 2 BGB<br />

Die Höhe des Vergütungsanspruchs für den infolge einer Anordnung nach § 650b Abs. 2 BGB<br />

vermehrten oder verminderten Aufwand (s. oben 4.) ist, um spekulativ kalkulierten Baupreisen<br />

entgegenzuwirken, gem. § 650c Abs. 1 S. 1 BGB nach den<br />

• tatsächlich erforderlichen Ist-Kosten mit<br />

• „angemessenen“ Zuschlägen für allgemeine Geschäftskosten, Wagnis und Gewinn<br />

(und nicht nach den Vertragspreisen) zu ermitteln. Umfasst die Leistungspflicht des Unternehmers auch<br />

die Planung des Bauwerks oder der Außenanlage, steht ihm nach § 650c Abs. 1 S. 2 BGB im Fall des<br />

§ 650b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB (s. oben 3.) kein Anspruch auf Vergütung für vermehrten Aufwand zu.<br />

Der Unternehmer kann – alternativ – zur Berechnung der Nachtragsvergütung gem. § 650c Abs. 2 S. 1<br />

BGB auch auf die Ansätze in einer vereinbarungsgemäß hinterlegten Urkalkulation zurückgreifen<br />

(Wahlrecht). Dabei statuiert § 650c Abs. 2 S. 2 BGB die gesetzliche Vermutung, dass die auf der Basis<br />

der Urkalkulation fortgeschriebene Vergütung jener nach § 650c Abs. 1 BGB entspricht.<br />

Beachte:<br />

Zur Vermeidung von Spekulationen bei der Preisgestaltung kann der Unternehmer sein Wahlrecht für jeden<br />

Nachtrag nur insgesamt ausüben. Eine Kombination der Berechnungsmethoden ist ihm nicht gestattet.<br />

6. Abschlagszahlungen<br />

Bei der Berechnung von vereinbarten oder gem. § 632a BGB geschuldeten Abschlagszahlungen kann der<br />

Unternehmer nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB (im Interesse einer Liquiditätssicherung des Unternehmers, der<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 83


Fach 5, Seite 254<br />

Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />

Bauvertragsrecht<br />

das Risiko einer Mehrleistung zunächst ohne Entgelt trägt) 80 % einer in einem Angebot nach § 650b<br />

Abs. 1 S. 2 BGB genannten Mehrvergütung (s. oben 3.) pauschal ansetzen, wenn sich die Parteien nicht<br />

über die Höhe geeinigt haben oder keine anderslautende gerichtliche Eilentscheidung ergeht. Wählt der<br />

Unternehmer diesen Weg und ergeht keine anderslautende gerichtliche Eilentscheidung, wird gem. § 650c<br />

Abs. 3 S. 2 BGB die nach § 650c Abs. 1 und 2 BGB geschuldete Mehrvergütung (s. oben 5.) erst nach der<br />

Abnahme des Werks (§ 640 BGB) fällig.<br />

Hinweis:<br />

Zahlungen nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB, die die nach § 650c Abs. 1, 2 BGB geschuldete Mehrvergütung<br />

übersteigen, sind dem Besteller nach § 650c Abs. 3 S. 3 BGB zurückzugewähren und ab ihrem Eingang beim<br />

Unternehmer zu verzinsen – wobei § 288 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 sowie § 289 S. 1 BGB entsprechend gelten (so<br />

§ 650c Abs. 3 S. 4 BGB).<br />

7. Besonderheit bei einer einstweiligen Verfügung<br />

Zum Erlass einer einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 ff. ZPO in Streitigkeiten über<br />

• das Anordnungsrecht (§ 650b BGB, s. oben 4.) oder<br />

• die Vergütungsanpassung (§ 650c BGB, s. oben 5.)<br />

ist es gem. § 650d BGB nach Beginn der Bauausführung nicht erforderlich, dass der Verfügungsgrund<br />

glaubhaft gemacht wird: Nur der Verfügungsanspruch muss glaubhaft gemacht werden. Die<br />

Eilbedürftigkeit wird dann widerleglich vermutet.<br />

8. Sicherungshypothek des Bauunternehmers<br />

Der Unternehmer kann für seine Forderungen aus dem Bauvertrag gem. § 650e S. 1 BGB (entsprechend<br />

§ 648 BGB a.F.) die Einräumung einer Sicherungshypothek an dem Baugrundstück des Bestellers<br />

verlangen. Ist das Werk noch nicht vollendet, so kann er nach § 650e S. 2 BGB die Einräumung der<br />

Sicherungshypothek für einen der geleisteten Arbeit entsprechenden Teil der Vergütung und für die in<br />

der Vergütung nicht inbegriffenen Auslagen verlangen.<br />

9. Bauhandwerkersicherung<br />

Die Regelungen zur Bauhandwerkersicherung nach § 650f BGB entsprechen im Wesentlichen § 648a<br />

BGB a.F.<br />

a) Sicherung von Zusatzaufträgen<br />

Der Unternehmer kann vom Besteller nach § 650f Abs. 1 BGB Sicherheit auch für die in Zusatzaufträgen<br />

vereinbarte und noch nicht gezahlte Vergütung einschließlich dazugehöriger Nebenforderungen, die mit<br />

10 % des zu sichernden Vergütungsanspruchs anzusetzen sind, verlangen. Das gilt in demselben<br />

Umfang auch für Ansprüche, die an die Stelle der Vergütung treten. Der Anspruch des Unternehmers auf<br />

Sicherheit wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Besteller Erfüllung verlangen kann oder das<br />

Werk abgenommen hat.<br />

Hinweis:<br />

Ansprüche, mit denen der Besteller gegen den Vergütungsanspruch des Unternehmers aufrechnen kann,<br />

bleiben bei der Berechnung der Vergütung unberücksichtigt – es sei denn, sie sind unstreitig oder rechtskräftig<br />

festgestellt.<br />

Die Sicherheit ist auch dann als ausreichend anzusehen, wenn sich der Sicherungsgeber das Recht<br />

vorbehält, sein Versprechen im Falle einer wesentlichen Verschlechterung der Vermögensverhältnisse<br />

des Bestellers mit Wirkung für Vergütungsansprüche aus Bauleistungen zu widerrufen, die der Unternehmer<br />

bei Zugang der Widerrufserklärung noch nicht erbracht hat.<br />

84 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 255<br />

Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />

b) Formen der Sicherheitsleistung<br />

Die Sicherheit kann nach § 650f Abs. 2 BGB auch durch eine Garantie oder ein sonstiges Zahlungsversprechen<br />

eines im Geltungsbereich des BGB zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder<br />

Kreditversicherers geleistet werden. Letztere dürfen Zahlungen an den Unternehmer aber nur leisten,<br />

soweit der Besteller den Vergütungsanspruch des Unternehmers anerkannt oder durch vorläufig<br />

vollstreckbares Urteil zur Zahlung der Vergütung verurteilt worden ist und die Voraussetzungen<br />

vorliegen, unter denen die Zwangsvollstreckung begonnen werden darf.<br />

c) Kostenerstattungspflicht des Unternehmers für die Sicherheitsleistung<br />

Der Unternehmer hat dem Besteller nach § 650f Abs. 3 BGB die üblichen Kosten der Sicherheitsleistung<br />

bis zu einem Höchstsatz von 2 % für das Jahr zu erstatten. Dies gilt nicht, soweit eine Sicherheit wegen<br />

Einwendungen des Bestellers gegen den Vergütungsanspruch des Unternehmers aufrechterhalten<br />

werden muss und die Einwendungen sich als unbegründet erweisen.<br />

Soweit der Unternehmer für seinen Vergütungsanspruch eine Sicherheit nach § 650f Abs. 1, 2 BGB (s. oben<br />

a und b) erlangt hat, ist gem. § 650f Abs. 4 BGB der Anspruch auf Einräumung einer Sicherungshypothek<br />

nach § 650e BGB (s. oben 8.) ausgeschlossen.<br />

d) Leistungsverweigerungs- und Kündigungsrecht des Unternehmers<br />

Hat der Unternehmer dem Besteller erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung der Sicherheit nach<br />

§ 650f Abs. 1 BGB (s. oben a) bestimmt, kann der Unternehmer gem. § 650f Abs. 5 BGB die Leistung verweigern<br />

oder den Vertrag kündigen. Kündigt er den Vertrag, ist der Unternehmer berechtigt, die vereinbarte<br />

Vergütung zu verlangen – wobei er sich jedoch dasjenige anrechnen lassen muss, was er infolge der<br />

Aufhebung des Vertrags an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft<br />

erwirbt oder böswillig zu erwerben unterlässt. Es wird vermutet, dass danach dem Unternehmer 5 % der auf<br />

den noch nicht erbrachten Teil der Werkleistung anfallenden vereinbarten Vergütung zustehen.<br />

e) Anwendungsausschluss<br />

Die Regelungen in § 650f Abs. 1 bis 5 BGB finden nach § 650f Abs. 6 BGB keine Anwendung, wenn der<br />

Besteller<br />

• eine juristische Person des öffentlichen Rechts oder ein öffentlich-rechtliches Sondervermögen ist,<br />

über deren Vermögen ein Insolvenzverfahren unzulässig ist (Nr. 1), oder<br />

• Verbraucher ist und es sich um einen Verbraucherbauvertrag nach § 650i BGB oder um einen<br />

Bauträgervertrag nach § 650u BGB handelt (Verbraucherprivileg) – was nicht gilt bei der Betreuung<br />

des Bauvorhabens durch einen zur Verfügung über die Finanzierungsmittel des Bestellers ermächtigten<br />

Baubetreuer.<br />

f) Regeln über die Bauhandwerkersicherung als zwingendes Recht<br />

Eine von § 650f Abs. 1 bis 5 BGB abweichende Vereinbarung ist nach § 650f Abs. 7 BGB unwirksam.<br />

10. Zustandsfeststellung bei Abnahmeverweigerung<br />

Voraussetzung für die Fälligkeit des Werklohns ist die Abnahme (§ 640 BGB). Die Zustandsfeststellung<br />

nach § 650g BGB ergänzt § 640 Abs. 2 BGB (fiktive Abnahme).<br />

a) Grundsatz der gemeinsamen Zustandsfeststellung<br />

Verweigert der Besteller die Abnahme unter Angabe von Mängeln, hat er beim Bauvertrag nach § 650g<br />

Abs. 1 S. 1 BGB auf Verlangen des Unternehmers an einer gemeinsamen Feststellung des Zustands des<br />

Werks als Gläubigerobliegenheit mitzuwirken. Die gemeinsame Zustandsfeststellung soll gem. § 650g<br />

Abs. 1 S. 2 BGB mit der Angabe des Tages der Anfertigung versehen werden und ist von beiden<br />

Vertragsparteien zu unterschreiben.<br />

Problem:<br />

Kommt es zu keiner Einigung der Parteien über den festzustellenden Zustand, muss der Unternehmer diesen<br />

mittels eines selbstständigen Beweisverfahrens (§§ 485 ff. ZPO) bzw. durch einen gerichtlichen Sachverständigen<br />

dokumentieren lassen.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 85


Fach 5, Seite 256<br />

Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />

Bauvertragsrecht<br />

b) Einseitige Zustandsfeststellung durch den Unternehmer<br />

Bleibt der Besteller einem vereinbarten oder einem vom Unternehmer innerhalb einer angemessenen<br />

Frist bestimmten Termin zur Zustandsfeststellung fern, kann der Unternehmer die Zustandsfeststellung<br />

nach § 650g Abs. 2 S. 2 BGB auch einseitig vornehmen. Dies gilt gem. § 650g Abs. 2 S. 2 BGB<br />

nicht, wenn der Besteller infolge eines Umstands fernbleibt,<br />

• den er nicht zu vertreten hat und<br />

• den er dem Unternehmer unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 S. 1 BGB) mitgeteilt hat.<br />

Der Unternehmer hat die einseitige Zustandsfeststellung nach § 650g Abs. 2 S. 3 BGB mit der Angabe<br />

des Tages der Anfertigung zu versehen und sie zu unterschreiben sowie dem Besteller eine Abschrift der<br />

einseitigen Zustandsfeststellung zur Verfügung zu stellen.<br />

c) (Widerlegbare) gesetzliche Vermutungswirkung<br />

Ist das Werk dem Besteller verschafft worden und ist in einer (beiderseitigen oder einseitigen)<br />

Zustandsfeststellung nach § 650g Abs. 1 oder 2 BGB ein offenkundiger Mangel (d.h. ein solcher, der bei<br />

einer ordnungsgemäßen Zustandsfeststellung ohne Weiteres hätte entdeckt werden müssen) nicht<br />

angegeben, wird nach § 650g Abs. 3 S. 1 BGB vermutet, dass dieser Mangel<br />

• nach der Zustandsfeststellung entstanden und<br />

• vom Besteller zu vertreten ist.<br />

Hinweis:<br />

Die gesetzliche Vermutung gilt gem. § 650g Abs. 3 S. 2 BGB nicht, wenn der Mangel nach seiner Art nicht<br />

vom Besteller verursacht worden sein kann.<br />

d) Entrichtung der Vergütung und Schlussrechnung<br />

Die Vergütung ist nach § 650g Abs. 4 S. 1 BGB zu entrichten, wenn<br />

1. der Besteller das Werk abgenommen hat (§ 640 BGB) oder die Abnahme nach § 641 Abs. 2 BGB<br />

entbehrlich ist und<br />

2. der Unternehmer dem Besteller eine prüffähige Schlussrechnung erteilt hat.<br />

Eine Schlussrechnung ist gem. § 650g Abs. 4 S. 2 BGB prüffähig, wenn sie eine übersichtliche Aufstellung der<br />

erbrachten Leistungen enthält und für den Besteller nachvollziehbar ist. Sie gilt nach der gesetzlichen Fiktion<br />

des § 650g Abs. 4 S. 3 BGB als prüffähig, wenn der Besteller nicht innerhalb von 30 Tagen nach Zugang der<br />

Schlussrechnung des Unternehmers begründete Einwendungen gegen ihre Prüffähigkeit erhoben hat.<br />

11. Schriftform der Kündigung<br />

Eine (ordentliche wie außerordentliche) Kündigung des Bauvertrags bedarf aus Gründen des Übereilungsschutzes<br />

sowie zu Beweiszwecken nach § 650h BGB der schriftlichen Form (§ 126 BGB).<br />

III. Der Verbraucherbauvertrag<br />

Über den allgemeinen Verbraucherschutz nach den §§ 312 ff. BGB und die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle<br />

(§§ 307 ff. BGB) hinaus wollen die §§ 650i–n BGB der besonderen Schutzbedürftigkeit des<br />

Verbrauchers beim Abschluss größerer Bauverträge Rechnung tragen.<br />

1. Legaldefinition<br />

Verbraucherbauverträge sind nach der Legaldefinition des § 650i Abs. 1 BGB Verträge, durch die der<br />

Unternehmer (§ 14 BGB) von einem Verbraucher (§ 13 BGB) zum Bau eines (gänzlich) neuen Gebäudes<br />

oder zu erheblichen Umbaumaßnahmen (von gleichem Gewicht im Sinne eines wesentlichen Eingriffs in<br />

die Konstruktion oder den Bestand des Gebäudes) an einem bestehenden Gebäude (aus einer Hand)<br />

verpflichtet wird. § 650i Abs. 1 BGB erfasst hingegen nicht die Vergabe einzelner Gewerke durch den<br />

Verbraucher an einen Handwerker, weswegen die praktische Relevanz des Verbraucherbauvertragsrechts<br />

möglicherweise gering bleiben wird.<br />

86 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 257<br />

Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />

Beachte:<br />

Für Verbraucherverträge, die nicht dem Anwendungsbereich des § 650i Abs. 1 BGB unterfallen (sog. nichtprivilegierte<br />

Bauverträge), gelten allein die §§ 312 ff. BGB.<br />

Der Verbraucherbauvertrag (auch Änderungen desselben bzw. Nachträge) bedarf – zwecks Vermeidung<br />

von Beweisschwierigkeiten in Bezug auf den Vertragsinhalt – ebenso wie die Baubeschreibung<br />

(§ 650j BGB, vgl. nachfolgend unter 3.) gem. § 650i Abs. 2 BGB der Textform (§ 126b BGB).<br />

2. Anwendbare Regelungen<br />

Für Verbraucherbauverträge gelten nach § 650i Abs. 3 BGB ergänzend, d.h. neben den allgemeinen<br />

werkvertraglichen Vorschriften (§§ 631–650 BGB) und den Regelungen des Bauvertragsrechts<br />

(§§ 650a–h BGB), die besonderen Vorschriften der §§ 650i–n BGB.<br />

3. Baubeschreibung<br />

Der Unternehmer muss den Verbraucher nach § 650j BGB – ohne gesonderte Vergütung – über die sich<br />

aus Art. 249 EGBGB ergebenden Einzelheiten in der dort vorgesehenen Form (vorvertragliche Informationspflichten)<br />

unterrichten: Das heißt der Unternehmer muss dem Verbraucher rechtzeitig vor<br />

Abgabe von dessen Vertragserklärung eine Baubeschreibung mit den wesentlichen Eigenschaften des<br />

angebotenen Werks zur Verfügung stellen (die vorbehaltlich einer ausdrücklichen anderweitigen<br />

Vereinbarung Vertragsinhalt wird, nachfolgend unter 4.) – es sei denn, der Verbraucher oder ein von ihm<br />

Beauftragter macht die wesentlichen Planungsvorgaben selbst. Art. 249 EGBGB normiert detailliert die<br />

Einzelheiten der vorvertraglichen Informationspflichten des Unternehmers: Art. 249 § 1 EGBGB trifft<br />

Vorgaben hinsichtlich der Form und des Zeitpunktes der vorvertraglichen Information. Art. 249 § 2<br />

EGBGB regelt den Inhalt der Baubeschreibung.<br />

• Form und Zeitpunkt: Der Unternehmer ist nach § 650j BGB verpflichtet, dem Verbraucher<br />

rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung eine Baubeschreibung in Textform (§ 126b BGB)<br />

zur Verfügung zu stellen.<br />

• Art. 249 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB (Generalklausel): Die wesentlichen Eigenschaften des angebotenen Werks<br />

sind „in klarer Weise“ (bloßes Klarheitsgebot) darzustellen. Die Baubeschreibung muss – in Ergänzung<br />

der Generalklausel des Art. 249 § 2 Abs. 1 S. 1 EGBGB – jedoch nach Art. 249 § 2 Abs. 1 S. 2 EGBGB<br />

(Mindestinhalt einer Baubeschreibung nach § 650j BGB) mindestens folgende Informationen enthalten:<br />

• eine allgemeine Beschreibung des herzustellenden Gebäudes oder der vorzunehmenden<br />

Umbauten, ggf. Haustyp und Bauweise (Nr. 1),<br />

• Art und Umfang der angebotenen Leistungen, ggf. der Planung und der Bauleitung, der Arbeiten<br />

am Grundstück und der Baustelleneinrichtung sowie der Ausbaustufe (Nr. 2),<br />

• Gebäudedaten, Pläne mit Raum-/Flächenangaben sowie Ansichten, Grundrisse und Schnitte (Nr. 3),<br />

• ggf. Angaben zum Energie-, Brandschutz- und Schallschutzstandard sowie zur Bauphysik (Nr. 4),<br />

• Angaben zur Beschreibung der Baukonstruktionen aller wesentlichen Gewerke (Nr. 5),<br />

• ggf. Beschreibung des Innenausbaus (Nr. 6),<br />

• ggf. Beschreibung der gebäudetechnischen Anlagen (Nr. 7),<br />

• Angaben zu Qualitätsmerkmalen, denen das Gebäude oder der Umbau genügen muss (Nr. 8),<br />

• ggf. Beschreibung der Sanitärobjekte, der Armaturen, der Elektroanlage, der Installationen, der<br />

Informationstechnologie und der Außenanlagen (Nr. 9).<br />

4. Baubeschreibung als zwingender Inhalt des Verbraucherbauvertrags<br />

Die Angaben der vorvertraglich zur Verfügung gestellten Baubeschreibung in Bezug auf die Bauausführung<br />

(s. oben unter 3.) sowie verbindliche Angaben zum Zeitpunkt der Vollendung bzw. der Dauer der<br />

Werkleistungen werden – vorbehaltlich einer ausdrücklichen anderweitigen Vereinbarung der Parteien –<br />

nach § 650k Abs. 1 BGB zwingend Inhalt des Verbraucherbauvertrags.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 87


Fach 5, Seite 258<br />

Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />

Bauvertragsrecht<br />

a) Unvollständige oder unklare Baubeschreibung<br />

Soweit die Baubeschreibung unvollständig oder unklar ist, ist der Vertrag nach § 650k Abs. 2 S. 1 BGB<br />

unter Berücksichtigung sämtlicher vertragsbegleitender Umstände – insbesondere des Komfort- und<br />

Qualitätsstandards nach der übrigen Leistungsbeschreibung – auszulegen (ergänzende Vertragsauslegung).<br />

Zweifel bei der Auslegung des Vertrags bezüglich der vom Unternehmer geschuldeten<br />

Leistung gehen zu dessen Lasten (§ 650k Abs. 2 S. 2 BGB – Unklarheitenregelung).<br />

Ein Fehlen der Baubeschreibung als vorvertragliche Nebenpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) kann Schadensersatzansprüche<br />

nach sich ziehen:<br />

• §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB: wenn kein Vertrag zustande gekommen ist bzw.<br />

• §§ 311 Abs. 1, 280 Abs. 1 i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB: wenn ein Vertrag zustande gekommen ist.<br />

b) Zeitpunkt der Fertigstellung/Dauer der Bauausführung<br />

Der Bauvertrag muss nach § 650k Abs. 3 S. 1 BGB verbindliche Angaben zum Zeitpunkt der Fertigstellung des<br />

Werks oder – wenn dieser Zeitpunkt zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bauvertrags noch nicht angegeben<br />

werden kann – zur Dauer der Bauausführung enthalten. Enthält der Vertrag diese Angaben nicht, werden<br />

gem. § 650k Abs. 3 S. 2 BGB die vorvertraglich in der Baubeschreibung übermittelten Angaben zum<br />

Zeitpunkt der Fertigstellung des Werks oder zur Dauer der Bauausführung Inhalt des Vertrags.<br />

5. Gesetzliches Widerrufsrecht<br />

Dem Verbraucher steht nach § 650l S. 1 BGB ein gesetzliches Widerrufsrecht gem. § 355 BGB zu, es sei<br />

denn, der Bauvertrag wurde notariell beurkundet (vgl. § 128 BGB, § 17 Abs. 2a Nr. 2 BeurkG). Die<br />

Widerrufsfrist beträgt zwei Wochen. Sie beginnt mit der ordnungsgemäßen Belehrung durch den<br />

Unternehmer (vgl. dazu im Folgenden unter a).<br />

a) Pflicht zur Widerrufsbelehrung<br />

Der Unternehmer muss den Verbraucher nach § 650l S. 2 BGB nach Maßgabe des Art. 249 § 3 EGBGB<br />

über sein Widerrufsrecht belehren. Art. 249 § 3 Abs. 1 EGBGB regelt die zeitlichen und formalen<br />

Mindestanforderungen an die Widerrufsbelehrung:<br />

• Art. 249 § 3 Abs. 1 S. 1 EGBGB: Steht dem Verbraucher ein Widerrufsrecht nach § 650l S. 1 BGB zu, ist<br />

der Unternehmer verpflichtet, den Verbraucher vor Abgabe von dessen Vertragserklärung in<br />

Textform (§ 126b BGB) über sein Widerrufsrecht zu belehren.<br />

• Art. 249 § 3 Abs. 1 S. 2 EGBGB: Die Widerrufsbelehrung muss deutlich gestaltet sein (Deutlichkeitsgebot)<br />

und dem Verbraucher seine wesentlichen Rechte in einer an das benutzte Kommunikationsmittel<br />

angepassten Weise deutlich machen.<br />

• Art. 249 § 3 Abs. 1 S. 3 EGBGB: Es müssen folgende inhaltlichen Informationen über die wesentlichen<br />

Verbraucherrechte als Bestandteile einer ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung enthalten sein:<br />

• ein Hinweis auf das Recht des Verbrauchers zum Widerruf (Nr. 1),<br />

• ein Hinweis darauf, dass der Widerruf durch Erklärung gegenüber dem Unternehmer erfolgt und<br />

keiner Begründung bedarf (Nr. 2),<br />

• der Name, die ladungsfähige Anschrift und die Telefonnummer desjenigen, gegenüber dem der<br />

Widerruf zu erklären ist, ggf. seine Telefaxnummer und E-Mail-Adresse (Nr. 3),<br />

• ein Hinweis auf die Dauer und den Beginn der Widerrufsfrist sowie darauf, dass zur Fristwahrung<br />

die rechtzeitige Absendung der Widerrufserklärung genügt (Nr. 4), und<br />

• ein Hinweis darauf, dass der Verbraucher dem Unternehmer Wertersatz nach § 357d BGB<br />

schuldet, wenn die Rückgewähr der bis zum Widerruf erbrachten Leistung ihrer Natur nach<br />

ausgeschlossen ist (Nr. 5).<br />

b) Musterwiderrufsbelehrung<br />

Der Unternehmer kann seine Belehrungspflicht auch dadurch erfüllen, dass er dem Verbraucher das in<br />

Anlage 10 (zu Artikel 249 § 3 EGBGB) vorgesehene Muster für die Widerrufsbelehrung zutreffend<br />

88 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Bauvertragsrecht Fach 5, Seite 259<br />

Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />

ausgefüllt in Textform (§ 126b BGB) übermittelt (so Art. 249 § 3 Abs. 2 EGBGB – Musterwiderrufsbelehrung).<br />

Andererseits stellt die Formulierung in Art. 249 § 3 Abs. 3 EGBGB aber auch klar, dass keine<br />

Verpflichtung zur Nutzung der Widerrufsbelehrung besteht.<br />

Muster für die Widerrufsbelehrung bei Verbraucherbauverträgen:<br />

Widerrufsbelehrung<br />

Widerrufsrecht<br />

Sie haben das Recht, binnen 14 Tagen ohne Angabe von Gründen diesen Vertrag zu widerrufen. Die<br />

Widerrufsfrist beträgt 14 Tage ab dem Tag des Vertragsabschlusses. Sie beginnt nicht zu laufen, bevor Sie<br />

diese Belehrung in Textform erhalten haben. Um Ihr Widerrufsrecht auszuüben, müssen Sie uns (*) mittels<br />

einer eindeutigen Erklärung (z.B. Brief, Telefax oder E-Mail) über Ihren Entschluss, diesen Vertrag zu<br />

widerrufen, informieren. Zur Wahrung der Widerrufsfrist reicht es aus, dass Sie die Erklärung über die<br />

Ausübung des Widerrufsrechts vor Ablauf der Widerrufsfrist absenden.<br />

Folgen des Widerrufs<br />

Wenn Sie diesen Vertrag widerrufen, haben wir Ihnen alle Zahlungen, die wir von Ihnen erhalten haben,<br />

unverzüglich zurückzuzahlen. Sie müssen uns im Falle des Widerrufs alle Leistungen zurückgeben, die Sie bis<br />

zum Widerruf von uns erhalten haben. Ist die Rückgewähr einer Leistung ihrer Natur nach ausgeschlossen,<br />

lassen sich etwa verwendete Baumaterialien nicht ohne Zerstörung entfernen, müssen Sie Wertersatz dafür<br />

bezahlen.<br />

Gestaltungshinweis:<br />

(*) Fügen Sie Ihren Namen oder den Namen Ihres Unternehmens, Ihre Anschrift und Ihre Telefonnummer ein. Sofern<br />

verfügbar sind zusätzlich anzugeben: Ihre Telefaxnummer und E-Mail-Adresse.<br />

c) Besonderheiten in Bezug auf das Widerrufsrecht<br />

Nach § 356e S. 1 BGB beginnt beim Verbraucherbauvertrag die Widerrufsfrist nicht, bevor der<br />

Unternehmer den Verbraucher gem. Art. 249 § 3 EGBGB (s. oben a) über sein Widerrufsrecht belehrt hat.<br />

Das Widerrufsrecht erlischt gem. § 356e S. 2 BGB spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach dem in<br />

§ 355 Abs. 2 S. 2 BGB genannten Zeitpunkt.<br />

Ist die Rückgewähr der bis zum Widerruf erbrachten Leistung ihrer Natur nach ausgeschlossen, schuldet<br />

der Unternehmer nach § 357d S. 1 BGB Wertersatz, bei dessen Berechnung die vereinbarte Vergütung<br />

zugrunde zu legen ist (so § 357d S. 2 BGB). Ist die vereinbarte Vergütung „unverhältnismäßig hoch“, ist<br />

der Wertersatz gem. § 357d S. 3 BGB auf der Grundlage des Marktwertes der erbrachten Leistung zu<br />

berechnen.<br />

6. Begrenzung der Abschlagszahlungen<br />

Verlangt der Unternehmer Abschlagszahlungen nach § 632a BGB, darf nach § 650m Abs. 1 BGB zum<br />

Schutz des Verbrauchers vor überhöhten Abschlagszahlungen (Überzahlung) deren Gesamtbetrag<br />

90 % der vereinbarten Gesamtvergütung einschließlich der Vergütung für Nachtragsleistungen (§ 650c<br />

BGB – Nachträge, s. oben II. 5.) nicht übersteigen.<br />

7. Absicherung des Vergütungsanspruchs<br />

Dem Verbraucher ist bei der ersten Abschlagszahlung nach § 650m Abs. 2 BGB eine Sicherheit für die<br />

rechtzeitige Herstellung des Werks ohne wesentliche Mängel i.H.v. 5 % der vereinbarten Gesamtvergütung<br />

zu leisten. Erhöht sich der Vergütungsanspruch infolge einer Anordnung des Verbrauchers nach<br />

den §§ 650b, c BGB (s. oben II. 4. und 5.) oder infolge sonstiger Änderungen oder Ergänzungen des<br />

Vertrags um mehr als 10 %, ist dem Verbraucher bei der nächsten Abschlagszahlung eine weitere<br />

Sicherheit i.H.v. 5 % des zusätzlichen Vergütungsanspruchs zu leisten. Auf Verlangen des Unternehmers ist<br />

die Sicherheitsleistung durch Einbehalt dergestalt zu erbringen, dass der Verbraucher die Abschlagszahlungen<br />

bis zu dem Gesamtbetrag der geschuldeten Sicherheit zurückhält.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 89


Fach 5, Seite 260<br />

Bauvertragsrecht – Neuregelungen 2018<br />

Bauvertragsrecht<br />

Hinweis:<br />

Sicherheiten nach § 650m Abs. 2 BGB können gem. § 650m Abs. 3 BGB auch durch eine Garantie oder ein<br />

sonstiges Zahlungsversprechen eines im Geltungsbereich des BGB zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts<br />

oder Kreditversicherers geleistet werden.<br />

Verlangt der Unternehmer Abschlagszahlungen nach § 632a BGB, ist gem. § 650m Abs. 4 S. 1 BGB eine<br />

Vereinbarung unwirksam, die den Verbraucher zu einer Sicherheitsleistung für die vereinbarte Vergütung<br />

verpflichtet, die die nächste Abschlagszahlung oder 20 % der vereinbarten Vergütung übersteigt. Gleiches<br />

gilt nach § 650m Abs. 4 S. 2 BGB, wenn die Parteien Abschlagszahlungen vereinbart haben.<br />

8. Unwirksamkeit klauselmäßiger Abbedingung von § 632a Abs. 1 und § 650m Abs. 1, 2 BGB<br />

Auch soweit eine Abweichung von den gesetzlichen Vorschriften zulässig ist, ist nach § 309 Nr. 15 BGB in<br />

AGB eine Bestimmung unwirksam, nach der der Verwender bei einem Werkvertrag<br />

• für Teilleistungen Abschlagszahlungen vom anderen Vertragsteil verlangen kann, die wesentlich höher<br />

sind als die nach § 632a Abs. 1 und § 650m Abs. 1 BGB zu leistenden Abschlagszahlungen (Nr. 1), oder<br />

• die Sicherheitsleistung nach § 650m Abs. 2 BGB nicht oder nur in geringerer Höhe leisten muss (Nr. 2).<br />

9. Erstellung/Herausgabe von Unterlagen<br />

Rechtzeitig vor Beginn der Ausführung einer geschuldeten Leistung hat der Unternehmer nach § 650n<br />

Abs. 1 S. 1 BGB diejenigen Planungsunterlagen zu erstellen und dem Verbraucher herauszugeben, die<br />

dieser benötigt, um gegenüber Behörden den Nachweis führen zu können, dass die Leistung unter<br />

Einhaltung der einschlägigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften ausgeführt werden wird. Die Pflicht<br />

besteht gem. § 650n Abs. 1 S. 2 BGB nicht, soweit der Verbraucher oder ein von ihm Beauftragter die<br />

wesentlichen Planungsunterlagen erstellt.<br />

Spätestens mit der Fertigstellung des Werks hat der Unternehmer nach § 650n Abs. 2 BGB diejenigen<br />

Unterlagen zu erstellen und dem Verbraucher herauszugeben, die dieser benötigt, um gegenüber<br />

Behörden den Nachweis führen zu können, dass die Leistung unter Einhaltung der einschlägigen<br />

öffentlich-rechtlichen Vorschriften ausgeführt worden ist.<br />

§ 650n Abs. 1, 2 BGB gelten nach § 650n Abs. 3 BGB entsprechend, wenn ein Dritter – etwa ein<br />

Darlehensgeber – Nachweise für die Einhaltung bestimmter Bedingungen verlangt und wenn der<br />

Unternehmer die berechtigte Erwartung des Verbrauchers geweckt hat, diese Bedingungen einzuhalten.<br />

10. Abweichende Vereinbarungen<br />

Zum Nachteil des Verbrauchers kann nach § 650o S. 1 BGB nicht von den §§ 640 Abs. 2 S. 2, 650i–l und<br />

650n BGB abgewichen werden. Diese Vorschriften finden gem. § 650o S. 2 BGB auch Anwendung, wenn<br />

sie durch anderweitige Gestaltungen umgangen werden.<br />

IV. Resümee<br />

Der Gesetzgeber hat mit seiner Reform erstmals ein eigenständiges und gesetzlich normiertes<br />

Bauvertrags- (Kap. 2, §§ 650a–h BGB) und Verbraucherbauvertragsrecht (Kap. 3, §§ 650i–n BGB) im<br />

Werkvertragsrecht geschaffen. Praktisch bedeutsam sind in Bezug auf den Bauvertrag allgemein die<br />

Einführung eines Anordnungsrechts für den Besteller (§ 650b Abs. 2 BGB) einschließlich der Regelungen<br />

zur Preisanpassung bei Mehr- und Minderleistungen (§ 650c BGB) sowie für den Verbraucherbauvertrag<br />

im Interesse eines spezifischen Verbraucherschutzes auf dem Bau die Einführung einer Baubeschreibungspflicht<br />

des Unternehmers (§ 650j BGB i.V.m. Art. 249 § 2 EGBGB), der Inhalt des Verbraucherbauvertrags<br />

wird (§ 650k BGB), sowie der Pflicht zur verbindlichen Regelung der Bauzeit durch die Parteien<br />

(§ 650j BGB i.V.m. Art. 249 § 2 Abs. 2 EGBGB). Dem Verbraucher wird im Übrigen ein besonderes<br />

Widerrufsrecht (§ 650l BGB) eingeräumt.<br />

90 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Zwangsvollstreckung/Insolvenz Fach 14, Seite 799<br />

Forderungsanmeldung<br />

Insolvenzrecht<br />

Die Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren<br />

Von Professor Dr. HEINZ VALLENDER, Universität zu Köln<br />

Inhalt<br />

I. Einführung<br />

II. Forderungsanmeldung und -prüfung<br />

1. Anmeldeberechtigung<br />

2. Anmeldung beim Insolvenzverwalter<br />

3. Form und Inhalt<br />

4. Zeitpunkt<br />

5. Wirkung<br />

6. Prüfung und Feststellung der angemeldeten<br />

Forderung<br />

7. Kosten und Gebühren<br />

8. Grenzüberschreitende Forderungsanmeldung<br />

III. Anmeldung von Forderungen aus vorsätzlich<br />

begangener unerlaubter Handlung<br />

1. Anforderungen an den Sachvortrag<br />

2. Hinweispflicht des Gerichts,<br />

§ 175 Abs. 2 InsO<br />

3. Widerspruch des Schuldners<br />

I. Einführung<br />

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners können dessen Gläubiger ihre<br />

Forderungen nur noch nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen (§ 87 InsO). Der<br />

Gesetzgeber hat hierzu ein formalisiertes Verfahren der Forderungsanmeldung und Forderungsprüfung<br />

eingeführt, damit schnell und sicher feststellbar ist, wer als Gläubiger am Insolvenzverfahren beteiligt ist<br />

und Rechte geltend machen kann (LAROCHE,in:VALLENDER/UNDRITZ, Praxis des Insolvenzrechts, 2. Aufl. 2017, § 2<br />

Rn 96). Wer sich an diesem Verfahren nicht beteiligt, unterliegt zwar dessen Rechtswirkungen, nimmt aber<br />

an der Verteilung nicht teil (BGH v. 24.10.1978 – VI ZR 67/77, NJW 1979, 162; SINZ, in: UHLENBRUCK, InsO, 14. Aufl.<br />

2015, § 174 Rn 1). Maßgeblich für das Anmeldungs- und Feststellungsverfahren sind die §§ 174 ff. InsO.<br />

II.<br />

Forderungsanmeldung und -prüfung<br />

1. Anmeldeberechtigung<br />

Zur Anmeldung von Forderungen in einem Insolvenzverfahren sind nur die Insolvenzgläubiger berechtigt,<br />

d.h. die persönlichen Gläubiger des Schuldners, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (§ 38 InsO). Gesamtschuldner und Bürgen<br />

können ihre Forderung zur Insolvenztabelle anmelden, wenn sie den Gläubiger vor oder nach Eröffnung<br />

des Insolvenzverfahrens voll befriedigt haben und deshalb bei dem Haupt- bzw. Mitschuldner aus dem<br />

jeweiligen Innenverhältnis oder aus übergegangenem Recht Regress nehmen können, §§ 426 Abs. 1 S. 2,<br />

774 Abs. S. 1 BGB (SINZ, in: UHLENBRUCK, § 174 Rn 11). Nachrangige Gläubiger (§ 39 InsO) sind nur<br />

anmeldeberechtigt, wenn sie ausdrücklich zur Anmeldung aufgefordert wurden (§ 174 Abs. 3 InsO).<br />

Einer Titulierung der Forderung bedarf es nicht. Allein die Anmeldung ihrer Forderungen zur Insolvenztabelle<br />

(§ 174 InsO) ermöglicht den Gläubigern die Durchsetzung ihrer Vermögensansprüche<br />

gegen den Schuldner im Insolvenzverfahren (BGH, Beschl. v. 3.4.2014 – IX ZB 93/13, ZIP 2014, 1185; Urt. v.<br />

21.2.2013 – IX ZR 92/12, NZI 2013, 388). Erhebt der Gläubiger gleichwohl Klage gegen den Schuldner, ist<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 91


Fach 14, Seite 800<br />

Forderungsanmeldung<br />

Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />

diese unzulässig, weil dem Schuldner die passive Prozessführungsbefugnis und dem Gläubiger das<br />

Rechtsschutzbedürfnis fehlt (BGH, Beschl. v. 11.12.2008 – IX ZB 232/08, ZIP 2009, 240, 241 Rn 7). Die<br />

Geltendmachung einer Insolvenzforderung außerhalb des Insolvenzverfahrens wird auch nicht dadurch<br />

zulässig, dass der Gläubiger ausdrücklich auf die Teilnahme am Verfahren verzichtet (BREITENBÜCHER, in:<br />

GRAF-SCHLICKER, InsO, 4. Aufl. 2014, § 87 Rn 1 m.w.N.).<br />

Aus- und Absonderungsberechtigte sowie Masse- oder Neugläubiger unterliegen nicht der Durchsetzungssperre<br />

des § 87 InsO. Absonderungsberechtigte können ihre Forderung zur Insolvenztabelle<br />

anmelden, soweit ihnen der Schuldner persönlich haftet (§ 52 S. 1 InsO). Allerdings ist die verhältnismäßige<br />

Befriedigung auf den Ausfall bei der abgesonderten Befriedigung beschränkt. Da aufrechnungsbefugte<br />

Gläubiger (§§ 94, 95 InsO) die Möglichkeit der Befriedigung außerhalb des Insolvenzverfahrens<br />

haben, sind sie nicht zur Forderungsanmeldung berechtigt.<br />

2. Anmeldung beim Insolvenzverwalter<br />

Die Anmeldung der Forderung hat schriftlich beim Insolvenzverwalter, dem zunächst die Führung der<br />

Insolvenztabelle nach § 175 InsO obliegt, zu erfolgen (§ 174 Abs. 1 S. 1 InsO). Sie ist auch dann erforderlich,<br />

wenn dem Insolvenzverwalter das Bestehen der Forderung bereits bekannt ist und er die Forderung in das<br />

von ihm gem. § 152 InsO zu führende Gläubigerverzeichnis aufgenommen hatte (VOIGT-SALUS, in: PAPE/<br />

UHLENBRUCK/VOIGT-SALUS, 2.Aufl. 2010, Kap. 28 Rn 4). Eine irrtümlich an das Insolvenzgericht gerichtete<br />

Forderungsanmeldung ist unwirksam. Im Regelfall wird das Gericht die Anmeldung an den Insolvenzverwalter<br />

weiterleiten. Ein Anspruch hierauf besteht allerdings nicht. Eine nicht oder verspätet weitergeleitete<br />

Forderungsanmeldung kann Auswirkungen auf die Hemmung der Verjährung der Forderung<br />

haben (vgl. § 204 Abs. 1 Nr. 10 BGB).<br />

Praxishinweis:<br />

Aus diesem Grund ist Gläubigern dringend zu empfehlen, die Forderungsanmeldung unmittelbar an den<br />

Insolvenzverwalter zu richten. Bleibt ein Insolvenzverwalter nach nicht bestrittenem Vorbringen des<br />

Gläubigers gänzlich untätig und trägt er eine angemeldete titulierte Forderung entgegen § 175 Abs. 1 S. 1 InsO<br />

nicht einmal in die Tabelle ein, ist der Gläubiger der Forderung zur Aufnahme des Rechtsstreits gegen den<br />

Insolvenzverwalter befugt (BAG, Beschl. v. 28.8.2013 – 5 AZN 426/13 (F), ZInsO 2013, 2456).<br />

3. Form und Inhalt<br />

Die Forderungsanmeldung hat schriftlich in deutscher Sprache (vgl. § 184 GVG) zu erfolgen (§ 174 Abs. 1<br />

InsO). Die Übermittlung per Telefax genügt diesen Anforderungen (vgl. BGH, Beschl. v. 15.7.2008 – XZB<br />

8/08, NJW 2008, 2649). Der Anmeldung sind die Unterlagen, aus denen sich die Forderung ergibt, im<br />

Abdruck beizufügen (§ 174 Abs. 1 S. 2 InsO) – eine Vorlage der Originalunterlagen ist nicht erforderlich<br />

(BGH, Urt. v. 1.12.2005 – IX ZR 95/04, ZIP 2006, 192).<br />

Praxishinweis:<br />

Bestreitet indes der Insolvenzverwalter die Forderung unter Hinweis darauf, dass er deren Berechtigung nicht<br />

hinreichend nachprüfen könne, empfiehlt sich dringend die Vorlage der Originalurkunden (GRAF-SCHLICKER, in:<br />

GRAF-SCHLICKER, a.a.O., § 174 Rn 13).<br />

Die Anmeldung kann auch durch Übermittlung eines elektronischen Dokuments erfolgen (z.B. per E-<br />

Mail), wenn der Insolvenzverwalter einer solchen Übermittlung ausdrücklich zugestimmt hat. In diesem<br />

Fall sollen die Urkunden, aus denen sich die Forderung ergibt, unverzüglich nachgereicht werden (§ 174<br />

Abs. 4 InsO). Die Anmeldung hat die Forderung nach Grund (Angabe des Lebenssachverhaltes, aus dem die<br />

Forderung resultiert) und Betrag (in Euro) auszuweisen (§ 174 Abs. 2 InsO). Forderungen in Fremdwährung<br />

sind mit dem amtlichen Kurs am Eröffnungstag umzurechnen (§ 45 Abs. 1 S. 2 InsO). Hauptforderung,<br />

Kosten und Zinsen müssen getrennt angemeldet werden. Bei den nach dem Eröffnungszeitpunkt anfallenden<br />

Zinsen handelt es sich um nachrangige Forderungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Zinsen müssen nur<br />

ausgerechnet werden, wenn sie ausnahmsweise als Hauptforderung geltend gemacht werden (LAROCHE, in:<br />

VALLENDER/UNDRITZ, a.a.O., § 2 Rn 100).<br />

92 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Zwangsvollstreckung/Insolvenz Fach 14, Seite 801<br />

Forderungsanmeldung<br />

Praxishinweis:<br />

Der Gläubiger sollte konkret und individuell einen Sachverhalt vortragen, der eine Prüfung des Anspruchs<br />

durch den Insolvenzverwalter und die anderen Gläubiger ermöglicht. Aus diesem Grund reicht die Vorlage<br />

von Rechnungen nicht aus, wenn sich Umstände und Grund ihrer Ausstellung nicht erkennen lassen. Eine<br />

Bezugnahme auf Unterlagen ist nur zulässig, wenn daraus die notwendigen Tatsachen eindeutig und<br />

vollständig zu entnehmen sind (BGH, Urt. v. 22.1.2009 – IX ZR 3/08, ZIP 2009, 483). Wird eine Forderung aus<br />

fremdem Recht geltend gemacht, bedarf es näheren Sachvortrags zum Rechtserwerb des Gläubigers.<br />

4. Zeitpunkt<br />

Die Gläubiger werden im Insolvenzeröffnungsbeschluss aufgefordert, ihre Forderungen beim Insolvenzverwalter<br />

innerhalb der angegebenen Frist anzumelden (§ 28 Abs. 1 InsO). Hierbei handelt es sich aber<br />

nicht um eine Ausschlussfrist. Vielmehr bleibt es den Gläubigern unbenommen, auch nach Ablauf der<br />

Anmeldefrist oder sogar nach dem Prüfungstermin ihre Forderungen anzumelden (§ 177 Abs. 1 InsO). Für<br />

die nachträgliche Anmeldung der Forderung gilt: Auch diese Forderung ist im Prüfungstermin zu<br />

prüfen, es sei denn, der Insolvenzverwalter oder ein Insolvenzgläubiger widerspricht dieser Prüfung oder<br />

die Forderung wird erst nach dem Prüfungstermin angemeldet. Erfolgt die Forderungsanmeldung,<br />

nachdem das Schlussverzeichnis veröffentlicht und niedergelegt worden war, nimmt die Forderung an<br />

der Schlussverteilung nicht teil (BGH, Beschl. v. 22.3.2007 – IX ZB 8/05, NJW-RR 2007, 1064). Dies gilt<br />

gleichermaßen, wenn der Insolvenzverwalter nach Veröffentlichung und Niederlegung des Schlussverzeichnisses<br />

innerhalb der Frist des § 189 InsO eine zunächst bestrittene und dann anerkannte<br />

Forderung nachträglich feststellt (LG Krefeld, Beschl. v. 9.2.2011 – 7 T 23/11, ZInsO 2011, 870).<br />

5. Wirkung<br />

Die wirksame Forderungsanmeldung gewährt dem anmeldenden Gläubiger ein Teilnahmerecht am<br />

Verfahren. Dies betrifft nicht nur das Stimmrecht in der Gläubigerversammlung (§ 77 Abs. 1 S. 1 InsO),<br />

sondern erstreckt sich gleichermaßen auf die Befugnis, einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung<br />

zu stellen, wenn der Schuldner einen der Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 Nr. 1–7<br />

InsO verwirklicht oder seine Obliegenheiten (§ 295 InsO) verletzt hat (BGH, Beschl. v. 17.3.2005 – IX ZB<br />

214/04, NZI 2005, 399). Darüber hinaus führt die ordnungsgemäße, rechtzeitige und vollständige<br />

Forderungsanmeldung (BGH, Urt. v. 21.2.2013 – IX ZR 92/12, NJW-RR 2013, 992) zur Hemmung der<br />

Verjährung bis sechs Monate nach Beendigung des Verfahrens (§ 204 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 S. 1 BGB).<br />

6. Prüfung und Feststellung der angemeldeten Forderung<br />

Der Insolvenzverwalter hat jede angemeldete Forderung mit den in § 174 Abs. 2 und 3 InsO genannten<br />

Angaben in eine Tabelle einzutragen (§ 175 Abs. 1 S. 1 InsO). Die Tabelle ist mit den Anmeldungen sowie<br />

den beigefügten Urkunden innerhalb des ersten Drittels des Zeitraums, der zwischen dem Ablauf der<br />

Anmeldefrist und dem Prüfungstermin liegt, in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht der<br />

Beteiligten niederzulegen (§ 175 Abs. 1 S. 2 InsO).<br />

a) Prüfungstermin<br />

Im Prüfungstermin, der dazu dient, die Forderungsrechte der Insolvenzgläubiger festzuschreiben, um eine<br />

Grundlage für die Verteilung der Insolvenzmasse nach §§ 187 ff. InsO zu schaffen (GRAF-SCHLICKER, in: GRAF-<br />

SCHLICKER, a.a.O., § 176 Rn 1), werden die angemeldeten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach<br />

geprüft (§ 176 S. 1 InsO). Gegenstand der Prüfung ist nicht die Begründetheit der Forderung; vielmehr<br />

beschränkt sich die Prüfung auf die formale Zulässigkeit. Der Prüfungstermin wird vom Rechtspfleger<br />

geleitet. Eine Teilnahme des Gläubigers, der seine Forderung angemeldet hat, ist nicht zwingend erforderlich.<br />

Der Insolvenzverwalter, im Falle der Eigenverwaltung (§ 270 InsO) der Sachwalter, die Insolvenzgläubiger<br />

und der Schuldner können der angemeldeten Forderung widersprechen.<br />

Da der Widerspruch eine Prozesshandlung ist, gelten für ihn die allgemeinen Voraussetzungen einer<br />

jeden Prozesshandlung. Der Widerspruch ist grundsätzlich mündlich im Termin zu erklären, es sei denn,<br />

das Gericht hat die Forderungsprüfung im schriftlichen Verfahren ausdrücklich angeordnet (§ 5 Abs. 2<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 93


Fach 14, Seite 802<br />

Forderungsanmeldung<br />

Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />

InsO). Widersprechen weder Verwalter noch Gläubiger der Forderung, ist sie festgestellt. Mit<br />

Eintragung des Feststellungsvermerks durch das Gericht, das lediglich protokollierend tätig wird und<br />

keine eigene Prüfungskompetenz hat, wirkt die Eintragung in die Tabelle wie ein rechtskräftiges Urteil<br />

gegenüber Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern (§ 178 Abs. 3 InsO). Die festgestellte<br />

Forderung nimmt ohne Weiteres an der Verteilung teil (§ 188 S. 1 InsO). Ein Widerspruch des Schuldners<br />

steht der Feststellung der Forderung nicht entgegen. Will indes der Gläubiger nach Aufhebung des<br />

Insolvenzverfahrens aus dem Tabelleneintrag die Vollstreckung betreiben, hat er den Widerspruch des<br />

Schuldners rechtzeitig zu beseitigen (§§ 184 Abs. 1, 201 Abs. 2 S. 2 InsO). Widerspricht der Verwalter oder<br />

ein Gläubiger der Forderung, gilt die Forderung als bestritten. Der Widerspruch wird im Tabellenblatt<br />

vermerkt. Häufig bestreiten Insolvenzverwalter die vom Gläubiger angemeldete Forderung „vorläufig“.<br />

Im Gesetz ist diese Form des Bestreitens nicht vorgesehen. Sie dient regelmäßig dazu, zunächst Zeit zu<br />

gewinnen, weil die Berechtigung der Forderung bis zum Prüfungstermin nicht abschließend geprüft<br />

werden konnte. Das vorläufige Bestreiten ist wie uneingeschränktes Bestreiten zu behandeln.<br />

Praxishinweis:<br />

Um abschließende Klarheit zu erlangen, sollte der Gläubiger der bestrittenen Forderungen den Bestreitenden<br />

vor Erhebung einer Klage auf Feststellung der Forderung unter Fristsetzung auffordern, sich endgültig zu<br />

erklären. Ansonsten läuft er Gefahr, dass der Bestreitende im Prozess die Forderung unter Verwahrung gegen<br />

die Kostenlast gem. § 93 ZPO sofort anerkennt und den Kläger die Kostenlast trifft (BGH, Beschl. v. 9.2.2006<br />

– IX ZB 160/04, BB 2006, 798 Rn 10).<br />

b) Feststellungsklage bei Widerspruch<br />

Ist die Forderung bestritten und bislang nicht tituliert, bleibt es dem Gläubiger überlassen, die<br />

Feststellung gegen den Bestreitenden zu betreiben (§ 179 Abs. 1 InsO). Ist die bestrittene Forderung<br />

hingegen tituliert, ist es am Bestreitenden, seinen Widerspruch im Wege der Feststellungsklage<br />

gerichtlich zu verfolgen (§ 179 Abs. 2 InsO). Hat der Insolvenzverwalter zwar Widerspruch erhoben, es<br />

jedoch versäumt, den Widerspruch durchzusetzen, muss er die Forderung als festgestellt berücksichtigen<br />

(CASTRUP, in: GRAF-SCHLICKER, a.a.O., § 189 Rn 8).<br />

Die Klage auf Feststellung der Forderung ist vor dem Prozessgericht zu erheben. Örtlich zuständig ist das<br />

Amtsgericht, bei dem das Insolvenzverfahren anhängig ist (§ 180 Abs. 1 InsO). Gehört das Verfahren in die<br />

sachliche Zuständigkeit des Landgerichts, ist das entsprechende LG zuständig. Ist für die Feststellung einer<br />

Forderung der Rechtsweg zum ordentlichen Gericht nicht gegeben, ist die Feststellung der Forderung von<br />

den Gerichten der anderen Rechtszweige oder von den zuständigen Verwaltungsbehörden vorzunehmen<br />

(§ 185 S. 1 InsO). Die Klage ist spätestens bis zum Ende der Ausschlussfrist des § 189 Abs. 1 InsO zu erheben.<br />

Praxishinweise:<br />

• Bei nicht titulierten Forderungen geht der Klageantrag dahin festzustellen, dass dem Gläubiger die im<br />

Insolvenzverfahren angemeldete Forderung zusteht.<br />

• Bei titulierten Forderungen sollte beantragt werden, den Widerspruch des Klägers hinsichtlich der titulierten<br />

Forderung des Klägers i.H.v. … € für begründet zu erklären.<br />

Der Wert des Streitgegenstands einer Klage auf Feststellung einer Forderung, deren Bestand vom<br />

Insolvenzverwalter oder von einem Insolvenzgläubiger bestritten worden ist, bestimmt sich nach dem<br />

Betrag, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten ist (§ 182 InsO). Zwar<br />

wird das Gericht regelmäßig die Angaben des Insolvenzverwalters zur Grundlage seiner Schätzung<br />

machen. Zwingend ist dies aber nicht. Vielmehr hat das Gericht bei der Wertbestimmung sämtliche<br />

Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen (BGH, Beschl. v. 25.9.2013 – VII ZR 340/12, IBR 2014, 58).<br />

War im Zeitpunkt der Eröffnung bereits ein Rechtsstreit über die Forderung anhängig und wurde die<br />

Forderung im Insolvenzverfahren angemeldet, geprüft und bestritten, kann der Gläubiger die Feststellung<br />

nur durch Aufnahme des Rechtsstreits betreiben (§ 180 Abs. 2 InsO). Liegt bereits ein Titel vor, ist der<br />

94 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Zwangsvollstreckung/Insolvenz Fach 14, Seite 803<br />

Forderungsanmeldung<br />

Bestreitende zur Aufnahme befugt (OVG Bautzen, Urt. v. 6.5.2015 – 5 A 439/12, DÖV 2016, 487). Die<br />

sachliche und örtliche Zuständigkeit des ursprünglich angerufenen Gerichts bleibt unverändert. Mit der<br />

Aufnahme des Rechtsstreits ist der Klageantrag umzustellen. Der Streitwert für die Zeit nach der<br />

Aufnahme richtet sich nach § 182 InsO.<br />

c) Rechtskrafterstreckung und Berichtigung der Tabelle<br />

§ 183 InsO regelt die Wirkung der Entscheidungen in einem Insolvenzfeststellungsprozess. Danach wirkt<br />

eine rechtskräftige Entscheidung, durch die eine Forderung festgestellt oder ein Widerspruch für begründet<br />

erklärt wird, gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. Die Rechtskraft des Nichtbestehens<br />

einer Forderung eines Gläubigers wirkt auch gegenüber dem Schuldner (BGH WM 1958, 696).<br />

§ 183 Abs. 3 InsO sieht vor, dass die Gläubiger (nicht der Insolvenzverwalter), die den Rechtsstreit geführt<br />

und im Feststellungsstreit gegen den Anmeldegläubiger obsiegt haben, die Erstattung ihrer Kosten aus der<br />

Insolvenzmasse insoweit verlangen können, als der Masse durch die Entscheidung ein Vorteil erwachsen ist.<br />

Der Vorteil der Masse ist die Quote, die ohne den Widerspruch auf den angemeldeten Anspruch entfallen<br />

wäre und nun nicht mehr zu zahlen ist (MüKo-InsO/SCHUMACHER, 3.Aufl. 2013, § 183 Rn 11).<br />

Die obsiegende Partei hat beim Insolvenzgericht, auf das die Zuständigkeit zur Tabellenführung nach<br />

dem Prüfungstermin übergegangen ist, die Berichtigung der Tabelle zu beantragen (§ 183 Abs. 2 InsO).<br />

Sie hat dem Berichtigungsantrag eine Urteilsausfertigung mit Rechtskraftvermerk beizufügen (§ 706<br />

ZPO). Eine Berichtigung von Amts wegen sieht das Gesetz nicht vor. Einzutragen ist auch die<br />

Feststellung, dass ein Widerspruch begründet sei. Nimmt das Gericht die Berichtigung vor, ist dagegen<br />

kein Rechtsmittel gegeben (GRAF-SCHLICKER, in: GRAF-SCHLICKER, a.a.O., § 183 Rn 9).<br />

7. Kosten und Gebühren<br />

Widerspricht der Verwalter oder ein anderer Gläubiger einer nachträglich angemeldeten Forderung, ist<br />

diese in einem gesonderten Prüfungstermin oder im schriftlichen Verfahren zu prüfen, § 177 Abs. 1 S. 2 InsO.<br />

Die hierfür anfallenden Kosten (20 € gem. Nr. 2340 KV GKG) sind vom verspätet anmeldenden Gläubiger zu<br />

zahlen. Beschränkt sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Insolvenzverfahren allein auf die Anmeldung der<br />

Forderung, greift die Sonderregelung nach Nr. 3320 VV RVG ein. Die Gebühr beträgt lediglich 0,5. Sie<br />

entsteht nur für die Anmeldung. Erteilt der Rechtsanwalt lediglich einen Rat oder eine Auskunft zur<br />

Anmeldung, entsteht eine Ratsgebühr nach Nr. 2100, 2102 VV RVG. Beauftragt der Gläubiger seinen<br />

Rechtsanwalt nach erfolgter Forderungsanmeldung, für ihn im Insolvenzverfahren tätig zu werden, geht in<br />

der dann entstehenden Gebühr nach Nr. 3317 VV RVG i.H.v. 1,0 die zuvor entstandene Gebühr nach Nr. 3320<br />

VV RVG unter.<br />

Im Falle der Aufnahme des Rechtsstreits nach Maßgabe des § 180 Abs. 2 InsO sind die Kosten im<br />

Regelfall einheitlich zu behandeln. Sie können nicht danach aufgeteilt werden, ob sie vor oder nach der<br />

Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind (BGH, Beschl. v. 9.2.2006 – IX ZB 160/04, ZIP 2006,<br />

576, 578 Rn 15).<br />

8. Grenzüberschreitende Forderungsanmeldung<br />

Im Anwendungsbereich der EuInsVO richtet sich die Forderungsanmeldung nach Art. 53 bis 55. Danach<br />

stehen ausländischen Gläubigern für die Anmeldung ihrer Forderungen alle im Staat der Verfahrenseröffnung<br />

zugelassenen Kommunikationsmittel zur Verfügung. Dies ermöglicht auch die elektronische Einreichung<br />

einer Forderungsanmeldung. Ausländische Gläubiger haben die Möglichkeit, nicht aber die Pflicht („können“),<br />

ihre Forderung unter Verwendung des in Art. 55 Abs. 1 EuInsVO genannten Standardformulars anzumelden.<br />

Die Ausgestaltung und Festlegung des Standardformulars erfolgt nach der vorgenannten Bestimmung in<br />

dem nach Art. 88 EuInsVO vorgesehenen Verfahren durch einen Durchführungsakt der EU-Kommission.<br />

Hinweis:<br />

Das Formular trägt den Titel „Forderungsanmeldung“ in sämtlichen Amtssprachen der Organe der Union.<br />

Allein für die Anmeldung einer Forderung bedarf es keiner Vertretung durch einen Rechtsbeistand.<br />

Etwaige im nationalen Recht bestehende Anforderungen an eine solche Vertretung können daher<br />

zumindest für ausländische Gläubiger aufgrund der vorrangigen Vorgabe der EuInsVO nicht aufrecht-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 95


Fach 14, Seite 804<br />

Forderungsanmeldung<br />

Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />

erhalten werden (RIEWE, in: VALLENDER [Hrsg.], EuInsVO, 2017, Art. 53 Rn 2). Lässt sich der Gläubiger durch<br />

einen Rechtsanwalt vertreten, ist nach deutschem Recht eine Vollmacht nur auf Rüge des Insolvenzverwalters<br />

oder eines Insolvenzgläubigers vorzulegen (§ 4 InsO, § 88 Abs. 2 ZPO).<br />

Welche Stelle für die Entgegennahme der Forderungsanmeldungen zuständig ist, ergibt sich aus dem<br />

Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (Art. 7 Abs. 2 lit. h EuInsVO). Hierüber sind die ausländischen<br />

Gläubiger im Rahmen der Unterrichtung nach Art. 54 EuInsVO zu unterrichten. Für ausländische<br />

Gläubiger beträgt die Anmeldefrist 30 Tage nach Bekanntmachung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

im Insolvenzregister des Staats der Verfahrenseröffnung (Art. 55 Abs. 6 S. 2 EuInsVO).<br />

Die inhaltlichen Anforderungen an die Forderungsanmeldung richten sich – unabhängig davon, ob der<br />

Gläubiger das Standardformular verwendet – nach Art. 55 Abs. 2 EuInsVO. Ebenso wie das deutsche<br />

Recht sieht auch die EuInsVO die Beifügung von Unterlagen (in Kopie) vor. Der Gläubiger kann die<br />

Forderungsanmeldung in jeder Amtssprache der Organe der Union vornehmen (Art. 55 Abs. 5 EuInsVO).<br />

Praxishinweis:<br />

Die Verwendung des Standardformulars erfüllt die Anforderungen an eine ordnungsgemäße Forderungsanmeldung.<br />

Gläubiger sollten allerdings beachten, dass die Verwalter oder das Gericht nicht verpflichtet sind,<br />

den Gläubiger auf eine unvollständige Forderungsanmeldung hinzuweisen. Deshalb ist auch wegen der<br />

Wirkungen einer ordnungsgemäßen Forderungsanmeldung (Hemmung der Verjährung, § 204 Abs. 1 Nr. 10<br />

BGB) darauf zu achten, das Formular vollständig auszufüllen.<br />

Literaturhinweis:<br />

Zur Europäischen Insolvenzverordnung s. VALLENDER <strong>ZAP</strong> F. 14, S. 789.<br />

III. Anmeldung von Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung<br />

Bei Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung, aus vorsätzlich begangener pflichtwidriger<br />

Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht oder einer Steuerstraftat des Schuldners nach<br />

§§ 370, 373 oder 374 AO gilt die Besonderheit, dass die Gläubiger nicht nur den Grund und Betrag ihrer<br />

Forderung anzugeben haben, sondern auch die Tatsachen, aus denen sich nach ihrer Einschätzung ergibt,<br />

dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners (als natürliche Person) zugrunde<br />

liegt (§ 174 Abs. 2 InsO). Nur auf diese Weise kann der Gläubiger erreichen, dass derartige Forderungen von<br />

der Restschuldbefreiung nicht erfasst werden (§ 302 Nr. 1 InsO). Die entsprechenden Angaben kann er<br />

nachtragen. Der Insolvenzverwalter ist in diesem Fall verpflichtet, auch für eine bereits zur Tabelle<br />

festgestellte Forderung nachträglich angemeldete Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des<br />

Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung des Schuldners zugrunde liegt,<br />

in die Tabelle einzutragen (BGH, Urt. v. 17.1.2008 – IX ZR 220/06, ZIP 2008, 566 Rn 13). Unterlässt der<br />

Gläubiger die Angaben, wird die Forderung von der Restschuldbefreiung erfasst.<br />

1. Anforderungen an den Sachvortrag<br />

Der Gläubiger hat im Einzelnen einen Lebenssachverhalt darzulegen, aus dem sich nach seiner Einschätzung<br />

rechtlich herleiten lässt, dass der Schuldner den Tatbestand einer vorsätzlich unerlaubten<br />

Handlung verwirklicht hat (GRAF-SCHLICKER, in: GRAF-SCHLICKER, a.a.O., § 174 Rn 17), und der Schuldner<br />

erkennen kann, welches Verhalten ihm vorgeworfen wird. Denn mit dem Grund der Forderung ist der<br />

Klagegrund und damit der Sachverhalt gemeint, aus dem die Forderung entspringt. Da die Anmeldung<br />

eine Form der Rechtsverfolgung darstellt und der Gläubiger aus der Eintragung als Titel die Zwangsvollstreckung<br />

betreiben kann (§ 178 Abs. 3 InsO), muss die Forderung zur Bestimmung der Reichweite der<br />

Rechtskraft eindeutig konkretisiert werden (BGH, Urt. v. 27.9.2001 – IX ZR 71/00, NZI 2002, 37).<br />

Die Individualisierung der Forderung dient daneben dem Zweck, den Verwalter und die übrigen<br />

Insolvenzgläubiger in den Stand zu versetzen, den geltend gemachten Schuldgrund einer Prüfung zu<br />

96 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Zwangsvollstreckung/Insolvenz Fach 14, Seite 805<br />

Forderungsanmeldung<br />

unterziehen (BGH, Urt. v. 22.1.2009 – IX ZR 3/08, NZI 2009, 242). Allein die Angabe von Normen (wie z.B.<br />

§ 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB) reicht nicht aus. Dagegen bedarf es nicht der<br />

schlüssigen Darlegung des (objektiven und subjektiven) Deliktstatbestandes (BGH, Urt. v. 1.12.2014 –<br />

IX ZR 103/13, ZInsO 2014, 236 ff.).<br />

Stützt der Gläubiger seine Forderung auf eine vorsätzlich begangene pflichtwidrige Verletzung einer<br />

gesetzlichen Unterhaltspflicht, hat er die eigene Bedürftigkeit vorzutragen sowie, dass der Schuldner<br />

nicht gezahlt hat, obwohl er hierzu in der Lage war (LAROCHE, in: VALLENDER/UNDRITZ, a.a.O., § 2 Rn 101).<br />

2. Hinweispflicht des Gerichts, § 175 Abs. 2 InsO<br />

Das Insolvenzgericht ist verpflichtet, im Falle der Anmeldung einer Forderung aus vorsätzlich begangener<br />

unerlaubter Handlung, aus vorsätzlich begangener pflichtwidriger Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht<br />

oder einer Steuerstraftat des Schuldners nach §§ 370, 373 oder 374 AO den Schuldner als<br />

natürliche Person auf die Rechtsfolgen des § 302 InsO und die Möglichkeit des Widerspruchs hinzuweisen.<br />

Eine nicht ordnungsgemäße Belehrung des Schuldners hat zur Folge, dass der Feststellung des<br />

Haftungsgrunds keine Wirkung zukommt (SINZ, in: UHLENBRUCK, § 175 Rn 29). Der Schuldner kann mit<br />

Erfolg einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen (§ 186 Abs. 1 S. 1 InsO). Sieht er<br />

hiervon ab, hat das Insolvenzgericht die ordnungsgemäße Belehrung von Amts wegen nachzuholen und<br />

einen neuen Prüfungstermin zu bestimmen, um dem Schuldner Gelegenheit zu geben, ggf. Widerspruch<br />

zu erheben.<br />

3. Widerspruch des Schuldners<br />

Auf entsprechenden Antrag ist dem Schuldner ein Rechtsanwalt beizuordnen (§ 4 Abs. 2 InsO), wenn er<br />

im Rahmen seiner Möglichkeiten dartut, dass er nach seinen persönlichen Fähigkeiten und Kenntnissen im<br />

konkreten Fall nicht in der Lage ist, ohne anwaltliche Hilfe eine Entscheidung über die Zweckmäßigkeit<br />

der Erhebung des Widerspruchs zu treffen (BGH, Beschl. v. 18.9.2003 – IX ZB 44/03, NZI 2004, 39).<br />

a) Widerspruch gegen die Forderung insgesamt<br />

Erhebt der Schuldner im Prüfungstermin Widerspruch gegen die angemeldete Forderung insgesamt, steht<br />

dies zwar der Feststellung der Forderung und einer Verteilung nicht entgegen (§ 178 Abs. 1 S. 2 InsO).<br />

Allerdings kann der Schuldner auf diese Weise erreichen, dass dem Gläubiger keine vollstreckbare<br />

Ausfertigung aus der Tabelle erteilt wird (§§ 178 Abs. 1 S. 2, 201 Abs. 2 S. 1 InsO). Nur wenn der Gläubiger<br />

innerhalb der Ausschlussfrist des § 189 Abs. 1 InsO Feststellungsklage gegen den Schuldner erhebt (§ 184<br />

Abs. 1 S. 1 InsO), läuft er nicht Gefahr, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht die Vollstreckung<br />

gegen den Schuldner aus dem Tabellenauszug betreiben zu können. Widerspricht der Schuldner dem<br />

Vorbringen des Gläubigers nicht, wirkt der Eintrag in die Tabelle, die Forderung stamme aus einer<br />

unerlaubten Handlung, nach § 178 Abs. 3 InsO wie ein rechtskräftiges Urteil gegenüber dem Insolvenzverwalter<br />

und den Insolvenzgläubigern.<br />

aa) Vorliegen eines vollstreckbaren Schuldtitels oder eines Endurteils<br />

Liegt für die Forderung des Gläubigers bereits ein vollstreckbarer Schuldtitel oder ein Endurteil vor, so<br />

obliegt es dem Schuldner, binnen einer Frist von einem Monat, die mit dem Prüfungstermin oder im<br />

schriftlichen Verfahren mit dem Bestreiten der Forderung beginnt, den Widerspruch zu verfolgen (§ 184<br />

Abs. 2 S. 1 InsO). Nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist gilt ein Widerspruch als nicht erhoben. Der<br />

Schuldner ist über die Pflicht zur Klageerhebung zu belehren.<br />

bb) Einschränkung der Pflicht zur Klageerhebung<br />

Die Pflicht zur Klageerhebung gilt indes nur, wenn in dem Titel die ausdrückliche Feststellung enthalten<br />

ist, dass die Forderung auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, einer vorsätzlich<br />

pflichtwidrig verletzten gesetzlichen Unterhaltspflicht oder aus einer rechtskräftigen Verurteilung wegen<br />

einer Steuerstraftat beruht (BGH, Urt. v. 11.7.2013 – IX ZR 286/12, ZIP 2013, 16). Die Entscheidungsgründe<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 97


Fach 14, Seite 806<br />

Forderungsanmeldung<br />

Zwangsvollstreckung/Insolvenz<br />

eines Urteils können für das Vorliegen eines solchen Rechtsgrunds nicht herangezogen werden. Ein auf die<br />

Rechtsgrundlagen des § 302 Nr. 1 InsO gestützter Vollstreckungsbescheid reicht ebenfalls nicht (BGH,<br />

Urt. v. 28.6.2012 – IX ZR 160/11, ZInsO 2012, 1614).<br />

Praxishinweise:<br />

• Die vorstehenden Erwägungen machen deutlich, wie wichtig es für den Gläubiger – bereits aus Beweisgründen<br />

– ist, die Deliktseigenschaft seiner Forderung frühzeitig im Wege einer Klage auf Feststellung<br />

der Eigenschaft als Deliktsforderung i.S.d. § 302 Nr. 1 InsO titulieren zu lassen.<br />

• Die Klage auf Feststellung der Deliktseigenschaft der Forderung kann (bereits vorinstanzlich) mit einer<br />

Klage auf erstmalige Titulierung der Forderung verbunden werden (BGH, Urt. v. 2.12.2010 – IX ZR 41/10,<br />

ZInsO 2011, 39, 40 Rn 13 ff.).<br />

Strebt der Schuldner seinerseits Rechtssicherheit an, kann er unbefristet eine negative Feststellungsklage<br />

dahingehend erheben, dass keine Deliktseigenschaft besteht. Das Rechtsschutzinteresse für eine<br />

solche Klage ist dann zu bejahen, wenn der Gläubiger mit der Erhebung der Feststellungsklage zuwartet<br />

(BGH, Urt. v. 10.10.2013 – IX ZR 30/13, ZIP 2013, 2265). Auf diese Weise kann der Schuldner offensichtlich<br />

unbegründeten Anmeldungen der Deliktseigenschaft wirksam begegnen.<br />

b) Beschränkung des Widerspruchs<br />

Beschränkt der Schuldner seinen Widerspruch auf einen der Rechtsgründe des § 174 Abs. 2 InsO, ist das<br />

Bestehen der Forderung unbestritten, die Herleitung aus dem Rechtsgrund aber streitig (GRAF-SCHLICKER, in:<br />

GRAF-SCHLICKER, a.a.O., § 184 Rn 5). Die Frage, ob die Forderung tatsächlich aus einer vorsätzlich begangenen<br />

unerlaubten Handlung, einer vorsätzlich pflichtwidrig verletzten gesetzlichen Unterhaltspflicht oder aus<br />

einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Steuerstraftat stammt, ist nicht im Insolvenzverfahren,<br />

sondern im Rahmen einer Feststellungsklage vor den Zivilgerichten zu klären (BVerwG, Beschl. v. 12.4.2013<br />

– 9 B 37.12, ZVI 2013, 263; BGH, Beschl. v. 2.12.2010 – IX ZB 271/09, ZInsO 2011, 44). Nichts anderes gilt auch<br />

dann, wenn sowohl die öffentlich-rechtliche Forderung als solche als auch das Attribut der vorsätzlich<br />

begangenen unerlaubten Handlung bestritten sind (AG Göttingen, Urt. v. 12.2.2013 – 21 C 121/12, ZVI 2013,<br />

197). In diesem Fall beschränkt sich der Feststellungsstreit nur noch auf die Feststellung dieses Haftungsgrunds<br />

gegen den Schuldner. Der Gläubiger kann sofort auf Feststellung klagen, dass die angemeldete<br />

Forderung begründet ist (OLG Rostock v. 13.6.2005 – 3 U 57/05, ZInsO 2005, 1175 ff.).<br />

Während grundsätzlich die Feststellungsklage (§ 179 InsO) spätestens bis zum Ende der Ausschlussfrist<br />

des § 189 Abs. 1 InsO zu erheben ist, gilt diese Frist nach herrschender Meinung nicht für die Beseitigung<br />

eines isolierten Widerspruchs des Schuldners gegen die Deliktseigenschaft einer Forderung<br />

(BGH, Beschl. v. 3.4.2014 – IX ZB 93/13, ZInsO 2014, 1055, 1056 Rn 13). Die Feststellungsklage kann auch<br />

nach Beendigung des Insolvenzverfahrens erhoben werden.<br />

Für den Streitwert dieser Klage gilt die Vorschrift des § 182 InsO. Der Zweck dieser Vorschrift, den<br />

Feststellungsstreit bezahlbar zu machen, gilt auch für die in § 302 InsO genannten Forderungen (OLG<br />

München, Beschl. v. 11.11.2004 – 31 W 2640/04, ZInsO 2004, 1318).<br />

Praxishinweise:<br />

• Der Gläubiger ist indes nicht verpflichtet, gegen den isolierten Widerspruch des Schuldners im Wege der<br />

Feststellungsklage vorzugehen. Er kann sich auch auf die Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners<br />

nach dem Ende der Abtretungsfrist beschränken.<br />

• Demgegenüber kann sich der Schuldner mit der Vollstreckungsgegenklage zur Wehr setzen (BGH, Urt.<br />

v. 18.5.2006 – IX ZR 187/04, ZInsO 2006, 704 ff.). Diese späte Verteidigungsmöglichkeit des Schuldners<br />

macht noch einmal deutlich, wie wichtig es für den Gläubiger aus Beweisgründen ist, bereits frühzeitig<br />

die Deliktseigenschaft seiner Forderung festzustellen zu lassen (s. Hinweis unter III. 3. a bb).<br />

98 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 921<br />

Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />

Rechtsbehelfe<br />

Zustellungsfehler im Strafverfahren – Retter in der (Verteidiger-)Not<br />

Von RiLG THOMAS HILLENBRAND, Stuttgart<br />

Inhalt<br />

I. Vorbemerkung<br />

1. Prüfungsreihenfolge bei (vermeintlicher)<br />

Fristversäumnis<br />

2. Ohne ordnungsgemäße Zustellung kein<br />

Fristbeginn<br />

II. Anordnung und Durchführung der<br />

Zustellung<br />

1. Voraussetzungen<br />

2. Besonderheiten<br />

III. Zustellungsadressaten<br />

IV. Ersatzzustellung<br />

1. Voraussetzungen<br />

2. Besonderheiten<br />

V. Öffentliche Zustellung<br />

VI. Heilung<br />

VII. Fazit<br />

VIII. Checkliste für den Strafverteidiger<br />

1. Ist die Frist, die versäumt wurde,<br />

wirksam in Gang gesetzt worden?<br />

2. Ist eine Heilung von Zustellmängeln<br />

möglich?<br />

I. Vorbemerkung<br />

1. Prüfungsreihenfolge bei (vermeintlicher) Fristversäumnis<br />

Versäumt der Angeklagte eine strafprozessuale Frist (z.B. die Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl<br />

oder die Frist zur Einlegung einer sofortigen Beschwerde), bricht nach Entdeckung des Malheurs oftmals<br />

Hektik, wenn nicht gar Panik aus. Diese äußert sich dann häufig darin, dass die erste gebotene<br />

Maßnahme, nämlich eine sorgfältige Prüfung, ob eine ordnungsgemäße Zustellung erfolgt ist und so die<br />

vermeintlich versäumte Frist überhaupt wirksam in Gang gesetzt wurde, unterbleibt und stattdessen<br />

Hals über Kopf Anträge auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gestellt werden.<br />

Ein solcher „zweiter Schritt vor dem ersten“ ist jedoch problematisch: Zum einen wird einem möglichen<br />

Verteidigungsansatz gar nicht erst nachgegangen, und zum anderen bleibt der Erfolg von Wiedereinsetzungsanträgen<br />

oftmals aus, sei es, weil der behauptete Wiedereinsetzungsgrund schon nicht hinreichend<br />

dargelegt wird, sei es, weil es an der gem. § 45 Abs. 2 S. 1 StPO erforderlichen Glaubhaftmachung<br />

der für die Entscheidung bedeutsamen Tatsachen fehlt.<br />

Achtung:<br />

Eigene Erklärungen des Antragstellers sind kein Mittel der Glaubhaftmachung, und zwar auch dann nicht,<br />

wenn der behauptete Wiedereinsetzungsgrund besonders naheliegend erscheint (MEYER-GOßNER/SCHMITT,<br />

StPO, 60. Aufl. 2017, § 45 Rn 9). Auch eine eigene eidesstattliche Versicherung des Antragstellers genügt nicht.<br />

Noch am ehesten gelingt eine Wiedereinsetzung, wenn das Fristversäumnis nicht auf einem Verschulden<br />

des Angeklagten, sondern auf dem seines Verteidigers beruht. Anwaltsverschulden wird dem Angeklagten<br />

nicht zugerechnet.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 99


Fach 22, Seite 922<br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />

Allerdings ist auch in derartigen Fällen auf eine sorgfältige und vor allem vollständige Abfassung des<br />

Wiedereinsetzungsantrags zu achten. Das bloße Vorbringen, die Frist sei „aufgrund eines Kanzleiversehens“<br />

nicht eingehalten worden, ist unzureichend. Vielmehr muss der Antrag nicht nur über die<br />

versäumte Frist und den Hinderungsgrund Angaben enthalten, sondern auch über den Zeitpunkt des<br />

Wegfalls des Hindernisses. Dies gilt nach der Rechtsprechung des BGH ausdrücklich auch dann, wenn<br />

der Verteidiger eigenes Verschulden geltend macht (BGH NStZ 2013, 474).<br />

2. Ohne ordnungsgemäße Zustellung kein Fristbeginn<br />

Bevor nach Wiedereinsetzungsgründen gesucht wird, ist deshalb zu prüfen, ob die vermeintlich<br />

versäumte Frist tatsächlich bereits zu laufen begonnen hat. Ist dies nicht der Fall, bedarf es bei einer<br />

„Versäumnis“ keiner Wiedereinsetzung. Insbesondere bei Zustellungen gem. § 35 Abs. 2 StPO (z.B. einer<br />

Entscheidung über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung) können sich durchaus erfolgversprechende<br />

Verteidigungsansätze ergeben.<br />

Die nachfolgenden Ausführungen geben einen Überblick über die allgemeinen Wirksamkeitsvoraussetzungen<br />

der Zustellung sowie über die in Betracht kommenden Formen der Ersatzzustellung und<br />

zeigen mögliche Fehlerquellen auf, die der Verteidiger zugunsten seines Mandanten nutzen kann.<br />

II. Anordnung und Durchführung der Zustellung<br />

1. Voraussetzungen<br />

Die Zustellung von Entscheidungen ordnet der Vorsitzende an, § 36 Abs. 1 S. 1 StPO. Fehlt diese<br />

Anordnung, ist die Zustellung bereits deshalb unwirksam (MEYER-GOßNER/SCHMITT, § 36 Rn 7). Die Ausführung<br />

der Zustellung obliegt nach § 36 Abs. 1 S. 2 StPO dagegen der Geschäftsstelle.<br />

2. Besonderheiten<br />

a) Strafbefehlsverfahren<br />

Ist der Zustellungsempfänger der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, stellt sich die Frage, ob<br />

dem zuzustellenden Schriftstück eine Übersetzung beizufügen ist. Für Urteile ergibt sich dies<br />

zweifelsfrei aus § 37 Abs. 3 StPO, der jedoch für andere Schriftstücke als Urteile keine Regelung enthält.<br />

Es war deshalb in der deutschen Rechtsprechung umstritten, ob im Strafbefehlsverfahren auch eine Übersetzung<br />

des Strafbefehls zugestellt werden muss. Während das LG Stuttgart (NStZ-RR 2014, 2016) dies zur<br />

Sicherung eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens und der Wahrung effektiver Verteidigungsmöglichkeiten<br />

für zwingend hielt, hat das Landgericht Ravensburg (NStZ-RR 2015, 219) die Erforderlichkeit einer Übersetzung<br />

verneint.<br />

Mit Urteil vom 12.10.2017 (NZV 2017, 530) hat nunmehr der EuGH in die Diskussion eingegriffen und<br />

klargestellt, dass Angeklagte eine schriftliche Übersetzung des Strafbefehls erhalten müssen, um zu<br />

gewährleisten, dass sie imstande sind, ihre Verteidigungsrechte wahrzunehmen. Dies ist im Hinblick<br />

darauf, dass der Angeklagte im Strafbefehlsverfahren selbst aktiv werden muss, um den ersten Zugang zu<br />

Gericht (vgl. BVerfG NJW 1975, 1405) zu erhalten, zutreffend. Zudem spricht auch § 410 Abs. 3 StPO, der den<br />

rechtskräftigen Strafbefehl einem rechtskräftigen Urteil gleichstellt, für eine Gleichbehandlung von Urteil<br />

und Strafbefehl. Wenngleich sich der EuGH nicht explizit zur Frage der Wirksamkeit einer Zustellung des<br />

Strafbefehls ohne Übersetzung geäußert hat, wird man fortan davon ausgehen müssen, dass ein nicht<br />

übersetzter Strafbefehl nicht wirksam zugestellt werden kann (so auch SANDHERR NZV 2017, 531).<br />

b) Strafvollstreckungsverfahren<br />

Bei Entscheidungen im Strafvollstreckungsverfahren, etwa bei einem Widerruf der Strafaussetzung zur<br />

Bewährung ober bei Entscheidungen nach § 57 StGB, sollen schriftliche Übersetzungen dagegen nicht<br />

geboten sein (OLG Köln NStZ 2014, 229; OLG Zweibrücken, Beschl. v. 24.4.2017 – 1 Ws 118/17).<br />

Hinweis:<br />

Ob diese Rechtsauffassung im Hinblick auf den Fairnessgrundsatz einer Überprüfung durch das BVerfG oder<br />

auf europäischer Ebene auf Dauer standhalten wird, erscheint allerdings fraglich. Insoweit bleibt die weitere<br />

Entwicklung abzuwarten.<br />

100 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 923<br />

Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />

III. Zustellungsadressaten<br />

Adressat der Zustellung ist der, für den das zuzustellende Schriftstück bestimmt ist, also in aller Regel<br />

der Angeklagte oder dessen Zustellungsbevollmächtigter (hierzu ausführlich MAYER NStZ 2016, 76).<br />

Die Benennung eines Zustellungsbevollmächtigten darf nach der Rechtsprechung des EuGH nicht dazu<br />

führen, dass sich für den Angeklagten die Rechtsmittelfrist verkürzt (NJW 2016, 303). Die Ansicht, dass dies<br />

dazu führe, dass eine Zustellung über einen Zustellungsbevollmächtigten erst wirksam werde, wenn das<br />

jeweilige Schriftstück den Angeklagten in seinem Heimatland anschließend auch tatsächlich erreicht (so<br />

BÖHM NJW 2916, 307), hat sich auf nationaler Ebene bislang nicht durchgesetzt. So vertritt das OLG<br />

München die Ansicht, dass die Rechtsprechung des EuGH bei der Zustellung eines Strafbefehls weder den<br />

Lauf der Einspruchsfrist noch den Eintritt der Rechtskraft hindere (NStZ-RR 2016, 249). Es sei Sache des<br />

Angeklagten, sicherzustellen, dass der von ihm benannte Zustellungsbevollmächtigte ihn über den<br />

Eingang amtlicher Schriftstücke unverzüglich informiert. Es komme nicht darauf an, wann er von dem<br />

Schriftstück tatsächlich Kenntnis genommen hat, sondern ab wann er hiervon Kenntnis nehmen konnte<br />

(OLG München a.a.O.).<br />

IV.<br />

Ersatzzustellung<br />

1. Voraussetzungen<br />

Gelingt eine Zustellung durch persönliche Übergabe nicht, kann nach Maßgabe der §§ 178 f. ZPO eine<br />

Ersatzzustellung vorgenommen werden. § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO eröffnet die Möglichkeit, die (Ersatz-)<br />

Zustellung durch Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung des Zustellungsempfängers an einen<br />

erwachsenen Familienangehörigen (dieser muss trotz der Formulierung „erwachsen“ nicht zwingend<br />

volljährig sein, KK-MAUL, § 37 Rn 14), eine in der Familie beschäftigte Person oder einen erwachsenen<br />

ständigen Mitbewohner zu bewirken, sofern der Empfänger dort nicht angetroffen werden kann. Eine<br />

Wohnung i.S.d. § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist gegeben, wenn es sich um zu dauerndem Aufenthalt<br />

bestimmte, gemeinhin auch als Schlafstätte benutzte Räume handelt und sich dort der Mittelpunkt des<br />

Lebens des Inhabers und seiner Familie befindet (KK-MAUL, a.a.O.). Dass der Adressat des Schriftstücks<br />

an einer Anschrift polizeilich gemeldet ist, genügt dagegen nicht (OLG Düsseldorf StV 1996, 83).<br />

2. Besonderheiten<br />

Eine Ersatzzustellung kann nicht an eine Person bewirkt werden, die durch die dem Angeklagten<br />

vorgeworfene Straftat selbst unmittelbar verletzt ist (KK-MAUL, § 37 Rn 11). Damit scheidet etwa die<br />

Zustellung eines Strafbefehls an den durch eine im Rahmen einer häuslichen Auseinandersetzung<br />

begangene Körperverletzung geschädigten Ehepartner aus.<br />

Ausgeschlossen ist diese Form der Ersatzzustellung auch, wenn der Wohnungsinhaber über einen<br />

längeren Zeitraum hinweg abwesend ist, so etwa bei<br />

• längerem beruflichen Auslandsaufenthalt,<br />

• Strafhaft,<br />

• Untersuchungshaft,<br />

• Wehrdienst oder<br />

• stationärem Aufenthalt in einer Therapieanstalt (OLG Frankfurt NStZ 2003, 174).<br />

Erst recht ausgeschlossen ist eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, wenn die Wohnung aufgegeben<br />

wird. Hierfür genügt jedoch das Vorhandensein eines bloßen Aufgabewillens nicht; vielmehr muss in<br />

dem gesamten Verhalten des Betroffenen – für einen mit den Verhältnissen vertrauten Beobachter<br />

erkennbar (BGH NJW 1996, 2581) – zum Ausdruck kommen, dass er seinen bisherigen Lebensmittelpunkt<br />

verlegen will.<br />

a) Geschäftsräume/Gemeinschaftseinrichtungen<br />

Darüber hinaus erlaubt § 178 Abs. 1 ZPO Ersatzzustellungen in Geschäftsräumen an dort beschäftigte<br />

Personen (Nr. 2) und in Gemeinschaftseinrichtungen (Nr. 3) an deren Leiter oder dessen dazu er-<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 101


Fach 22, Seite 924<br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />

mächtigten Vertreter. Gemeinschaftseinrichtungen in diesem Sinne sind u.a. Krankenhäuser, Altenbzw.<br />

Pflegeheime, Asylbewerberunterkünfte, Wohnheime oder Kasernen.<br />

Hinweis:<br />

Bevor an die Leitung der Einrichtung zugestellt wird, muss jedoch immer versucht werden, den Empfänger<br />

dort persönlich anzutreffen. Es ist unzulässig, das Schriftstück ohne vorherigen Kontaktaufnahmeversuch<br />

mit dem Empfänger an der Pforte abzugeben, selbst wenn die dort tätigen Beschäftigten von der Heimleitung<br />

mit der Entgegennahme von Post beauftragt sind.<br />

b) Urlaubsabwesenheiten<br />

Ist der Empfänger nur für einen kürzeren Zeitraum, etwa für eine Urlaubsreise, und nicht längerfristig<br />

abwesend, berührt dies die Wirksamkeit einer Ersatzzustellung nicht. Die Frist beginnt ab der (Ersatz-)<br />

Zustellung zu laufen, und der Empfänger kann sich nicht darauf berufen, er sei zu diesem Zeitpunkt<br />

ortsabwesend gewesen. Stattdessen muss er in solchen Fällen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand<br />

beantragen. Hierbei dürfen dann aber keine übersteigerten Anforderungen gestellt werden. Es gilt<br />

insoweit der Grundsatz, dass derjenige, der sich nur vorübergehend nicht an seinem Wohnort aufhält,<br />

keine Vorkehrungen dafür treffen muss, dass ihn Zustellungen innerhalb der Rechtsmittelfristen<br />

erreichen (so schon BVerfG NJW 1969, 1531). Auch die Kenntnis von laufenden Ermittlungen führt<br />

insoweit nicht zu gesteigerten Sorgfaltspflichten, es sei denn der Empfänger hat mit Zustellungen zu<br />

rechnen, vor allem mit der eines Urteils (KK-CIRENER, § 44 Rn 23).<br />

c) Einlegen in den Briefkasten<br />

Scheitert eine Zustellung nach § 178 ZPO, kann das Schriftstück gem. § 180 ZPO durch Einlegen in den<br />

Briefkasten zugestellt werden. Hierzu wird das Schriftstück in einen sich in einem ordnungsgemäßen<br />

Zustand befindlichen, insbesondere nicht überquellenden (PRÜTTING/GEHRLEIN, ZPO, 8. Aufl. 2016, § 180 Rn 2)<br />

Briefkasten eingelegt. Die Zugehörigkeit zur Wohnung bzw. zum Geschäftsraum muss durch Beschriftung<br />

oder den Ort der Anbringung erkenntlich sein (PRÜTTING/GEHRLEIN, a.a.O.). Eine gemeinschaftliche Nutzung<br />

eines Briefschlitzes in einem von einem überschaubaren Personenkreis bewohnten Mehrfamilienhaus ist<br />

unschädlich (OLG Frankfurt NStZ-RR 2010, 349).<br />

V. Öffentliche Zustellung<br />

Kann eine Entscheidung, etwa wegen unbekannten Aufenthalts des Adressaten, nicht zugestellt<br />

werden, greifen die Gerichte gerne auf die öffentliche Zustellung zurück. Diese ist für Zustellungen an<br />

den Beschuldigten/Angeklagten in § 40 StPO geregelt.<br />

Obwohl § 40 StPO nur vom Beschuldigten bzw. Angeklagten, nicht aber vom Verurteilten spricht,<br />

besteht Einigkeit darüber, dass die öffentliche Zustellung nicht nur bis zum rechtskräftigen Abschluss<br />

des Verfahrens möglich ist, sondern auch bei Entscheidungen im Vollstreckungsverfahren. Somit kann<br />

insbesondere der Beschluss über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung öffentlich<br />

zugestellt werden (KK-MAUL, a.a.O.).<br />

In der Praxis stellt sich die öffentliche Zustellung freilich häufig als reine Fiktion heraus: Der Adressat<br />

erhält von der vermeintlich zugestellten Entscheidung i.d.R. keine Kenntnis, ehe es zu einem späteren<br />

Zeitpunkt zu Zwangsmaßnahmen im Rahmen der Vollstreckung kommt.<br />

Angesichts dieser drohenden Konsequenzen wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung zu Recht<br />

immer wieder hervorgehoben, dass die öffentliche Zustellung nur ultima ratio sein kann (so z.B. OLG<br />

Hamm, Beschl. v. 17.1.2013 – 3 RBs 214/12, NWVBl 2013, 422). Trotz dieser klaren Vorgabe kommt es aber<br />

bei der Anordnung der öffentlichen Zustellung immer wieder zu Nachlässigkeiten.<br />

So wird oftmals übersehen, dass die Anordnung der öffentlichen Zustellung nur durch einen förmlichen<br />

Gerichtsbeschluss erfolgen kann. Eine Verfügung des Vorsitzenden genügt nicht.<br />

102 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018


Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug Fach 22, Seite 925<br />

Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />

Hinweis:<br />

Hierbei handelt es sich nicht um eine bloße Formalie. Vielmehr führt das Fehlen des erforderlichen Beschlusses<br />

zur Unwirksamkeit der Zustellung. Fristen werden dann nicht in Lauf gesetzt (MEYER-GOßNER/SCHMITT,<br />

§ 40 Rn 6).<br />

Darüber hinaus setzt die öffentliche Zustellung voraus, dass es im Inland an einer anderen Zustellmöglichkeit<br />

fehlt. Kann an einen Zustellungsbevollmächtigten oder an einen Verteidiger (Pflichtverteidiger<br />

oder, unter den Voraussetzungen des § 145a StPO, Wahlverteidiger) zugestellt werden, scheidet eine<br />

öffentliche Zustellung aus.<br />

Weiter verlangt die Rechtsprechung – und hier liegt die häufigste Fehlerquelle –, dass vor Anordnung<br />

der öffentlichen Zustellung alle zur Verfügung stehenden Mittel genutzt werden, um den Aufenthaltsort<br />

des Beschuldigten/Verurteilten zu ermitteln. Hier ist ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfG<br />

NStZ-RR 2005, 206). Insbesondere genügt es nicht, wenn ein Schriftstück in den Rücklauf gerät – auch<br />

nicht, wenn es Vermerke wie „Empfänger an der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln“ oder „Empfänger<br />

unbekannt verzogen“ enthält. Auch die Mitteilung einer anderen Wohnanschrift durch das Einwohnermeldeamt<br />

ist unzureichend (KK-MAUL, § 40 Rn 7).<br />

Vielmehr müssen weitere Schritte ergriffen werden. In Betracht kommen Anschriftenüberprüfungen<br />

durch die Polizei, Anfragen an Bewährungshelfer und/oder Betreuer oder beim staatsanwaltschaftlichen<br />

Verfahrensregister. Bei Ausländern ist zudem eine Nachfrage beim Ausländerzentralregister angezeigt.<br />

Hinweis:<br />

Hin und wieder kommt es vor, dass Gerichte beim Verteidiger nach der aktuellen Anschrift des Mandanten<br />

fragen. Eine entsprechende Mitteilung an das Gericht kann im Einzelfall zur Vermeidung von Problemen<br />

sinnvoll sein, etwa weil das vermeintliche Untertauchen lediglich auf eine versehentlich unterbliebene<br />

Ummeldung nach einem Wohnungswechsel zurückzuführen ist. Hier liegt es im Interesse des Mandanten,<br />

dass der Verteidiger die neue Anschrift mitteilt und das Versäumnis des Angeklagten aus der Welt schafft.<br />

Dennoch sollte eine Adressmitteilung nur erfolgen, wenn dem Verteidiger das ausdrückliche Einverständnis<br />

des Mandanten vorliegt – alles andere wäre im Hinblick auf die anwaltliche Schweigepflicht problematisch.<br />

VI. Heilung<br />

Steht ein Zustellungsmangel fest, muss geprüft werden, ob dieser nicht nach § 189 ZPO geheilt wurde.<br />

Hiernach gilt das Schriftstück in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung<br />

dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Dies gilt<br />

auch, wenn hierdurch eine gesetzliche Frist in Lauf gesetzt wird (OLG Frankfurt NStZ-RR 2004, 336).<br />

Der tatsächliche Zugang muss aber von einem entsprechenden Zustellungswillen des Gerichts gedeckt<br />

sein (KG NStZ-RR 2011, 86).<br />

VII. Fazit<br />

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass angesichts der dargelegten Fehlerquellen in Fällen<br />

(angeblicher) Fristversäumnis zuerst immer geprüft werden muss, ob eine wirksame Zustellung erfolgt ist.<br />

Wird der Verteidiger an dieser Stelle bei der Fehlersuche fündig, hat er gute Chancen, seinem Mandanten<br />

den zunächst versperrt erscheinenden Weg zu Gericht bzw. in die nächste Instanz zu öffnen.<br />

Hinweis:<br />

Unabdingbare Voraussetzung für einen solchen Erfolg ist jedoch, dass die zur Unwirksamkeit führenden<br />

Zustellungsfehler ebenso ausführlich wie sorgfältig dargelegt werden. Nicht wenige Gerichte tun sich recht<br />

schwer mit der Erkenntnis, dass die vermeintlich denkbar einfache und schnelle Verfahrenserledigung<br />

tatsächlich keine war und das Verfahren stattdessen noch ganz am Anfang steht. Dies führt immer wieder zu<br />

Versuchen, die Zustellung irgendwie doch noch „gesundzubeten“. Dem muss der Verteidiger mit einer wasserdichten<br />

Argumentation von vornherein entgegen treten.<br />

<strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018 103


Fach 22, Seite 926<br />

Strafverfahren/Strafvollstreckung/Strafvollzug<br />

Zustellungsfehler im Strafverfahren<br />

VIII. Checkliste für den Strafverteidiger<br />

1. Ist die Frist, die versäumt wurde, wirksam in Gang gesetzt worden?<br />

□ Zustellung der Entscheidung durch den Vorsitzenden (§ 36 Abs. 1 StPO)?<br />

□ ja: weiter mit dem nächsten Punkt.<br />

□ nein: Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />

□ Übersetzung notwendig?<br />

□ ja: Ist die Übersetzung erfolgt? Dann weiter mit dem nächsten Punkt; ist die Übersetzung nicht<br />

erfolgt: die Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />

□ nein: weiter mit dem nächsten Punkt.<br />

□ Zustellung an den richtigen Adressaten?<br />

□ ja: Zustellung an Angeklagten oder<br />

□ ja: Zustellung an Zustellungsbevollmächtigten:<br />

• Die Zustellung ist erfolgt; die Frist ist wirksam in Gang gesetzt worden.<br />

□ nein: die Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />

□ Ersatzzustellung wirksam?<br />

□ Wohnung: Übergabe des Schriftstücks muss an einen erwachsenen Familienangehörigen des<br />

Zustellungsempfängers erfolgen.<br />

□ Geschäftsräume: Übergabe muss an dort beschäftigte Personen erfolgen.<br />

□ Gemeinschaftseinrichtung: Übergabe muss an deren Leiter oder dessen dazu ermächtigten<br />

Vertreter erfolgen; zunächst muss versucht werden, den Empfänger dort persönlich anzutreffen.<br />

• ja: Die Zustellung ist erfolgt; die Frist ist wirksam in Gang gesetzt worden.<br />

□ nein: weiter mit dem nächsten Punkt.<br />

□ Öffentliche Zustellung?<br />

□ Unbekannter Aufenthalt des Adressaten?<br />

• ja: weiter mit dem nächsten Punkt.<br />

• nein: Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />

□ Keine andere Zustellmöglichkeit?<br />

• ja: weiter mit dem nächsten Punkt.<br />

• nein: Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />

□ Liegt ein förmlicher Gerichtsbeschluss vor?<br />

• ja: Zustellung ist erfolgt; die Frist ist wirksam in Gang gesetzt worden.<br />

• nein: Zustellung ist unwirksam – aber ggf. Heilung möglich (s. unten 2.).<br />

2. Ist eine Heilung von Zustellmängeln möglich?<br />

□ Ist das Schriftstück tatsächlich zugegangen?<br />

□ ja: Die Zustellung ist erfolgt; die Frist ist wirksam in Gang gesetzt worden.<br />

□ nein: Die Zustellung ist nicht erfolgt; die Frist ist nicht wirksam in Gang gesetzt worden.<br />

104 <strong>ZAP</strong> Nr. 2 17.1.2018

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