Seite 14 www.kikerikizeitung.at Ausgabe Jänner <strong>2018</strong> Gedanken zur Zeit Mit Beginn dieses Jahres leben fast 7,6 Milliarden Menschen auf der Erde. Das sind rund 83 Millionen mehr als im Jahr zuvor. Zugleich ergab eine große Umfrage gegen Jahresende, dass Alleinsein eine der größten Zukunftsängste der Menschen darstellt. Besonders die Einsamkeit im Alter fürchten viele; ab 60 setzt es schon ein, das Grauen davor, demnächst ohne Partner Freunde Sozialkontakte dazustehen. Größer ist nur noch die Angst vor einer möglichen Pflegebedürftigkeit, was insofern paradox anmutet, als dass Unselbständigkeit ja gezwungenermaßen zu mehr Kontakt führt. Wer auf Hilfe angewiesen ist, bleibt notgedrungen nicht komplett allein. Freilich, die Aussicht, anderen zur Last zu fallen, hält mit der Sorge, für immer ins Heim zu kommen, ein schreckliches Gleichgewicht. Zumal nicht alle sicher gut gemeinten Angebote zur Steigerung des Gemeinschaftsgefühls in diversen Senioreneinrichtungen jeden im gleichen Maße begeistern dürften. Sich die schmerzliche letzte Lebensspanne mit kindischen Tänzen oder schlichten Spielen abkürzen zu müssen, behagt manchem hochbetagten Zeitgenossen vielleicht ebenso wenig wie die liebevolle Möglichkeit, sich entlang der jahreszeitlichen Feste dem Tod entgegenzubasteln. Wobei: Einsamkeit hat viele Gesichter, und, nicht alle sind hässlich. Im Alter allein zu sein, ist naturgemäß traurig, denn viele Weggefährten hat man schon verloren. Auch Einschränkungen minimieren die Teilnahme am Sozialleben; man ist nicht mehr so mobil und belastbar, stößt krankheitsbedingt auf Unverständnis oder kommt sich durch Demenz und Alzheimer nach und nach selbst abhanden. Verlassen vom eigenen Ich, eine beklemmende Vorstellung! Andere Einsamkeiten aber müssten nicht sein. Etwa jene, die sich wie eine Käseglocke über viele Beziehungen stülpt. Auch weil oft nicht mehr viel verbindet. Gemeinsame Interessen und Weltanschauungen sind wichtiger als jedes noch so aufregende, sexuale Leben. Denn letztlich ziehen sich Gegensätze zwar gern aus, aber eben doch nur Gemeinsamkeiten langfristig an. Die wachsende Zahl an Singles lasst Partnerbörsen jeder Art boomen. Den Rest besorgen Ablenkungsmanöver und Unterhaltungen im Überfluss, um Alleinstehende vor etwaigen Sentimentalfahrten an Wochenenden und langen Winterabenden halbwegs zu bewahren. Mit sich allein-sein, das hält heute kaum noch jemand aus. Dabei hat auch Partnerschaft viele Gesichter. So wie es nicht nur EIN richtiges Leben für alle gibt, so gibt es auch nicht nur die EINE ideale Beziehung. Lebensgemeinschaft im besten Sinne, das bedeutet nicht zwangsläufig alles zu teilen, von der Fernbedienung bis zum Klopapier. Getrennte Wohnsitze würden, sofern leistbar, vielen Menschen mit Bindungsangst gut tun, denn so hat jeder seine eigene Welt, und dann gibt es eben auch noch eine gemeinsame. Ständiges Zusammenkleben im Alltag ist kein Garant gegen Einsamkeit. Eher schon ein bewusstes Für- und Miteinandersein in den schwersten wie den schönsten Stunden. Dass der Zeitgeist fast wieder in Richtung neues Biedermeier geht, zeigt den fundamentalen Mangel an Geborgenheit. Geborgen kann man sich aber auch alleine fühlen, solange man um wenigstens einen Menschen weiß, der echtes Interesse zeigt, Verständnis, ja Zuneigung. Letztlich ist nichts trostloser als Oberflächlichkeit. Im 17. Jahrhundert schuf der englische Dichter John Donne die unsterbliche Verszeile: "NO man is an island". Niemand ist eine Insel. Er schrieb, lange bevor Romanautor Simmel den Satz als Buchtitel populär machte, das Wort "island" noch ohne „s“, sodass man es im Englischen auch als "lch-Land" lesen kann. Eine schöne Doppelbedeutung. Während die Tradition des "guten einsamen" Lebens heute in Glückssuche und Konsumrausch untergeht, war Einsamkeit in früheren Zeiten kein Makel, eher ein Privileg, das als Einkehr der Seele Philosophen und anderen großen und spirituellen Geistern vorbehalten und lieb war. Erst jetzt wird jeder, der die Einsamkeit sucht von der Mehrheit als komisch oder bedauernswert eingestuft und der Zustand selbst wird als vorübergehend oder zumindest therapierbar erachtet. Neben der produktiven Einsamkeit als Grundlage jeder schöpferischen Tätigkeit kennt vermutlich nur mehr der Philosoph das schöne Wort Eudämonie, zu Deutsch schlicht Glückseligkeit. In der griechischen Geistesgeschichte bezeichnete es jene Lust, die nur aus gedanklicher Betätigung gewonnen werden kann und somit das beständigste und höchste Glück garantiert. Auch, weil man dafür keine anderen Menschen braucht. Aber ist Einsamkeit demnach nichts oder nur was für Einfältige? – Hier lauert schließlich die Gefahr, hochmütig zu werden, menschenverachtend und respektlös gegenüber den leichten bis seichten Vergnügungen der anderen! Die können aber nichts dafür, dass man sich in ihrer Gesellschaft doppelt alleine fühlt, isoliert und wie hinter einer Wand. In der Kindheit gab es noch diese freudvölle Einsamkeit; man war allein in der eigenen Welt, die zu groß war für einen Zweiten, überbordend ausgestattet mit der eigenen Phantasie. Vielleicht sind das heute für viele die Stunden am Computer? Klar ist jedenfalls, dass man wenigstens einen Menschen braucht, dem man das sagen kann: wie gern man alleine ist. Und den haben eben längst nicht alle. Andrea Sailer/Weiz
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