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<strong>FEBRUAR</strong> <strong>2018</strong><br />
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INTERVIEW - 9<br />
Im Interview:<br />
Sehr geehrte Frau Abuzahra, können Sie sich<br />
bitte kurz vorstellen?<br />
Ich bin Professorin der Philosophie und Interkulturellen<br />
Pädagogik an der Kirchlich Pädagogischen<br />
Hochschule Wien/Krems. Darüber<br />
hinaus arbeite ich in der Erwachsenenbildung<br />
mit Menschen zu Themen der Interkulturalität,<br />
Diversität, Frauen-Empowerment und Lebenswelten<br />
muslimischer Communities. Ich studierte<br />
in Wien Medizin und Philosophie und in<br />
Salzburg absolvierte ich den Masterlehrgang<br />
Intercultural Studies. Fragen nach Zugehörigkeit,<br />
Identität und Heimat haben mich stets<br />
begleitet.<br />
Meine erste Publikation erschien im Passagen<br />
Verlag: „Kulturelle Identität in einer multikulturellen<br />
Gesellschaft“. Das aktuelle Buch<br />
„Mehr Kopf als Tuch. Muslimische Frauen am<br />
Wort“ erschien im Tyrolia Verlag.<br />
Sie sind die Herausgeberin des Buches „Mehr<br />
Kopf als Tuch“. Aus welchen Gründen haben<br />
Sie dieses Buch verfasst?<br />
Nachdem bei der Suche nach Literatur über<br />
muslimische Frauen man in der Regel zahlreiche<br />
Bücher findet, die über sie verfasst<br />
AMANI ABUZAHRA Herausgeberin des Buches: Mehr Kopf als Tuch<br />
“Muslimische Frauen brauchen keine Fürsprecher,<br />
die ihre selbstbestimmte Lebenspraxis<br />
als Zwang deuten”<br />
Mehr Kopf als Tuch<br />
Muslimische Frauen am Wort<br />
978-3-7022-3637-3<br />
Hrsg. Amani Abuzahra<br />
2017 Tyrolia<br />
144 Seiten<br />
14.95 EUR<br />
wurden, hingegen aber wenige von ihnen, war<br />
es mir ein Anliegen dies zu ändern und hier<br />
meinen Beitrag zu leisten. Die Darstellungen<br />
und Erzählungen über die muslimischen<br />
Frauen variieren zwar, jedoch liegt eine Tendenz<br />
zur Vereinheitlichung vor – nämlich das<br />
Bild der Frau als Objekt der Unterdrückung, die<br />
es zu befreien gilt aus der Zwangsehe, Gewaltbeziehung,<br />
Unmündigkeit. Die Frage, die unbeantwortet<br />
bleibt: wie sehen muslimisch–<br />
weibliche Lebenswelten aus? Gibt es nur eine?<br />
Und vor allem: Wie wollen denn muslimische<br />
Frauen eigentlich selbst gesehen werden?<br />
Daher war es mir wichtig, dass Geschichten aus<br />
erster Hand erzählt werden, die die Vielfalt der<br />
muslimischen Frauen sichtbar machen. Diese<br />
breite „Sichtbarmachung“ der Diversität des<br />
muslimisch-weiblichen Lebens im deutschsprachigen<br />
Raum war ein wichtiger Grund für<br />
mich. Ein weiterer auch, dass mit dem Buch ein<br />
Stück weit Versachlichung in eine emotionsgeladene<br />
Debatte hineinkommt. Dafür braucht<br />
es meiner Meinung nach mehr Bilder und Stimmen,<br />
die von den vielfältigen Frauenrollen in<br />
dieser multikulturellen, -ethnischen und -religiösen<br />
Gesellschaft erzählen und auch jene,<br />
die zuhören.<br />
Die zweite Auflage Ihres Buches erschien<br />
schon nach 2 Monaten. Was bedeutet das<br />
für Sie?<br />
Ich bin glücklich und sehr dankbar, dass die<br />
Nachfrage nach diesen Geschichten so groß ist.<br />
Das bedeutet für mich, dass mit dem Buch ein<br />
neuer Fokus gelegt wurde. Menschen haben<br />
die Möglichkeit, authentische Einblicke in<br />
muslimisch-weibliche Lebenswelten gewährt<br />
zu bekommen und nutzen diese auch.<br />
Genauso zeigt es mir, dass es viele Musliminnen<br />
gibt, die sich in den Geschichten wiederfinden<br />
und sogar motiviert fühlen, ihre Ziele<br />
zu entwickeln und Träume zu verwirklichen.<br />
Das ehrt mich.<br />
Ich hätte nicht damit gerechnet, dass in so<br />
einer kurzen Zeit eine zweite Auflage nötig<br />
wäre.<br />
Insofern an dieser Stelle nochmals Danke an<br />
die LeserInnen.<br />
Welche Reaktionen haben Sie auf das Buch<br />
erhalten? Mit welchen Reaktionen haben<br />
Sie im Vorfeld gerechnet?<br />
Ich war sehr gespannt, wie die Reaktionen sein<br />
werden. Zum einen wusste ich, dass sich viele<br />
bereits freuen, wenn sie das Buch in den<br />
Händen halten können. Zum anderen gibt<br />
es oft kritische Stimmen, sobald man sich<br />
© Dar Salma<br />
Zur Person:<br />
Amani Abuzahra M.A., geb. 1983 in Amstetten, studierte Philosophie an der Universität Wien<br />
sowie Intercultural Studies an der Universität Salzburg. Sie ist Dozentin der Philosophie sowie<br />
Interkulturellen Pädagogik und lehrt an der Kirchlich-Pädagogischen Hochschule Wien/Krems.<br />
Vortrags- und Forschungstätigkeit über den Islam, der Partizipation von MuslimInnen,<br />
Identitätskonstruktionen sowie Inter- bzw. Transkulturalität.<br />
zu Themen rund um Islam und Frau äußert.<br />
Da gehen die Emotionen schnell mal durch mit<br />
den Menschen.<br />
Die Reaktionen, die ich erhielt, sind ausgesprochen<br />
positiv. Die Resonanz der LeserInnen<br />
genauso und bei den Buchpräsentationen ist<br />
das Feedback sehr berührend. Junge Musliminnen,<br />
die sich z.B. bedanken, weil sie sich<br />
bestärkt fühlen, ihren Weg zu gehen oder weil<br />
sie froh sind Geschichten zu lesen, die mit<br />
ihren Lebenswelten zu tun haben und es nicht<br />
in erster Linie darum geht, sich zu rechtfertigen.<br />
Sondern einfach zu sein. Und mit dem<br />
Buch auch neue Narrative zu schaffen.<br />
Was möchten Sie unseren LeserInnen sagen?<br />
Es sind in der Tat herausfordernde Zeiten, in<br />
denen wir leben. Die Zunahme von Antisemitismus,<br />
Islamophobie und<br />
Rassismus ist ein ernstzunehmendes<br />
Problem. Und<br />
wenn von politischer Seite<br />
die Kleidungspraxis der<br />
muslimischen Frau zu<br />
einem Diskussionsthema<br />
wird, dann ist dies eine zusätzliche Erschwernis.<br />
Denn dieser Diskurs empowert muslimische<br />
Frauen nicht, sondern entmündigt<br />
vielmehr. Muslimische Frauen brauchen<br />
keine Fürsprecher, die ihre selbstbestimmte<br />
Lebenspraxis als Zwang deuten. Aber das Buch<br />
zeigt, es gibt stets die Möglichkeit einen Beitrag<br />
zu leisten und positiv gesamtgesellschaftlich<br />
zu wirken. Die Gestaltungskraft ist eine<br />
wichtige, zu der jeder Mensch Zugang hat<br />
(im unterschiedlichen Ausmaß, aber dennoch).<br />
Es gilt sich loszusagen von Fremdbestimmung<br />
oder Klischees. Hier erachte ich es als wichtig<br />
sich zu solidarisieren und gegenseitig zu<br />
unterstützen, um voran zu kommen, um das<br />
Potential zu entfalten.<br />
Vielen Dank für das interessante Interview.<br />
Inhalt des Buches:<br />
Zahlreiche Bücher werden über muslimische Frauen verfasst,<br />
wenige von ihnen. Nun schreiben Musliminnen aus Österreich und<br />
Deutschland über verschiedene Themen, die sie beschäftigen: über<br />
Heimat und Karriere, über Alltagsrassismus und Diskriminierungserfahrungen<br />
bis hin zu Vielfalt und Integration. Die Sammlung von<br />
gesellschaftskritischen Analysen und persönlichen Geschichten<br />
gewährt einen Einblick in die Lebenswelten engagierter Musliminnen<br />
und gibt auch die kritischen weiblichen Töne der muslimischen<br />
Community wieder, die nicht so oft gehört werden. So macht<br />
dieses Buch die Vielfalt der muslimischen Frauen sichtbar, die<br />
wiederum ein Stück weit zum Dialog und zur Versachlichung beitragen<br />
in einem emotionsgeladenen Diskurs um das Thema Islam.<br />
Kritik:<br />
Dieses Buch beleuchtet das Leben unterschiedlicher Musliminnen<br />
im Zusammenhang mit ihrer Religion und mit ihrem Kopftuch.<br />
Die verschiedenen Perspektiven der Frauen und der erfrischende,<br />
abwechslungsreiche Erzählstil machen es einem leicht, das Buch in<br />
einem Zug durchzulesen. Einmal schmunzeln, einmal nachdenken,<br />
einmal den Kopf schütteln – wer sich offen auf dieses Buch einlässt,<br />
kann viel dazulernen – vor allem eines: dass Frauen unter<br />
ihrem Tuch – entgegen vielen Vorurteilen und Klischees - eigentlich<br />
nicht so anders sind.