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Einführung in das spirituelle Wissen der Ribhu Gita

Dies ist die deutsche Übersetzung der Einleitung von „The Song of Ribhu. An Exposition of Advaita (Nonduality) by the Sage Ribhu to Nidagha“ in der englischsprachigen Übersetzung aus dem Sanskrit durch Dr. H. Ramamoorthy und Nome, herausgegeben von Society of Abidance in Truth, Nachdruck 2006 der Sonderausgabe von 2003, Santa Cruz, USA. Sie allein ist von hohem spirituellem und meditativem Wert und enthält neben einführenden Erläuterungen zur nondualen Wirklichkeit drei prägnante Geschichten über die Selbst-Erkenntnis. Die Wahrheit ist einfach . . .

Dies ist die deutsche Übersetzung der Einleitung von
„The Song of Ribhu. An Exposition of Advaita (Nonduality)
by the Sage Ribhu to Nidagha“ in der englischsprachigen
Übersetzung aus dem Sanskrit durch
Dr. H. Ramamoorthy und Nome, herausgegeben von
Society of Abidance in Truth, Nachdruck 2006 der
Sonderausgabe von 2003, Santa Cruz, USA. Sie allein
ist von hohem spirituellem und meditativem Wert
und enthält neben einführenden Erläuterungen zur
nondualen Wirklichkeit drei prägnante Geschichten
über die Selbst-Erkenntnis. Die Wahrheit ist einfach . . .

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Dr. H. Ramamoorthy und Nome<br />

<strong>E<strong>in</strong>führung</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>das</strong> <strong>spirituelle</strong> <strong>Wissen</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> (Das Lied des <strong>Ribhu</strong>)<br />

Übersetzt von Clemens Vargas Ramos


Quelle:<br />

The Song of <strong>Ribhu</strong>. An Exposition of Advaita<br />

(Nonduality) by the Sage <strong>Ribhu</strong> to Nidagha<br />

© 2000 Society of Abidance <strong>in</strong> Truth<br />

Son<strong>der</strong>ausgabe 2006, Nachdruck von 2006<br />

ISBN 0-9703667-0-1<br />

Veröffentlicht von:<br />

Society of Abidance <strong>in</strong> Truth (SAT)<br />

1834 Ocean Street<br />

Santa Cruz, California 95060 U.S.A.<br />

Tel.: 0 (831) 425-7287<br />

www.SATRamana.org<br />

Übersetzung mit freundlicher Genehmigung von<br />

Society of Abidance <strong>in</strong> Truth


Inhalt<br />

Vorwort des Übersetzers........................................................7<br />

Die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> für die Selbst-<br />

Erkenntnis....................................................................................9<br />

Die Methode <strong>der</strong> Negation und Integration <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong>..................................................................................13<br />

Drei Geschichten zur Lehre <strong>der</strong> Selbst-Erkenntnis...17<br />

Die Geschichte von <strong>der</strong> Sänfte und dem König.....18<br />

Die Geschichte von <strong>der</strong> Bewirtung <strong>Ribhu</strong>s.............28<br />

Die Geschichte vom Elefanten und dem König.....32<br />

Über die beste Art <strong>der</strong> Annäherung an die Selbst-<br />

Erkenntnis.................................................................................37<br />

Wie man mit diesem Text arbeiten sollte......................43<br />

Schlusswort...............................................................................49


Vorwort des Übersetzers<br />

Dies ist die deutsche Übersetzung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>leitung von<br />

„The Song of <strong>Ribhu</strong>. An Exposition of Advaita (Nonduality)<br />

by the Sage <strong>Ribhu</strong> to Nidagha“ <strong>in</strong> <strong>der</strong> englischsprachigen<br />

Übersetzung aus dem Sanskrit durch<br />

Dr. H. Ramamoorthy und Nome, herausgegeben von<br />

Society of Abidance <strong>in</strong> Truth, Nachdruck 2006 <strong>der</strong><br />

Son<strong>der</strong>ausgabe von 2003, Santa Cruz, USA. Sie alle<strong>in</strong><br />

ist von hohem <strong>spirituelle</strong>m und meditativem Wert<br />

und enthält neben e<strong>in</strong>führenden Erläuterungen zur<br />

nondualen Wirklichkeit drei prägnante Geschichten<br />

über die Selbst-Erkenntnis.<br />

Die Wahrheit ist e<strong>in</strong>fach und unmittelbar. Sie ist<br />

aber unter e<strong>in</strong>em Berg bestehend aus den Namen und<br />

Formen des Denkens verschüttet, <strong>der</strong> die unmittelbare<br />

Erkenntnis <strong>der</strong> Wirklichkeit, die frei von Namen<br />

und Formen ist, verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t. Die drei Geschichten <strong>in</strong><br />

dieser E<strong>in</strong>leitung führen auf unmittelbare, e<strong>in</strong>fache,<br />

schlichte Weise h<strong>in</strong> zur Erkenntnis <strong>der</strong> nondualen<br />

Wirklichkeit, die jenseits des Denkens existiert und<br />

ke<strong>in</strong> Geheimnis ist. Komplexe <strong>spirituelle</strong> Erläuterungen<br />

haben die Eigenart, den Verstand zu ermüden<br />

und ihn schließlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> falschen Sicherheit, schon<br />

alles verstanden zu haben, zu wiegen. Dieser Wirkung<br />

dürften die genannten drei Geschichten durchaus entgegenarbeiten.<br />

Man sollte versuchen, sich ganz <strong>in</strong> <strong>das</strong><br />

Verständnis <strong>der</strong> <strong>in</strong> ihnen ausgebreiteten Denkweise<br />

h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>zubegeben und sich bei jedem Satz genau zu<br />

7


fragen, welche Erfahrung und welche Wahrnehmung<br />

<strong>der</strong> Erzähler <strong>in</strong> diesem Augenblick hervorzuheben<br />

beabsichtigt. Dann kann e<strong>in</strong> wie<strong>der</strong>holtes, aufmerksames<br />

Studium dieses Textes zu e<strong>in</strong>em tiefgründigen<br />

E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Natur des Denkens und letztendlich<br />

<strong>der</strong> Wirklichkeit, die jenseits des Denkens ist, werden.<br />

Die E<strong>in</strong>teilung <strong>in</strong> Abschnitte stammt von mir.<br />

Clemens Vargas Ramos<br />

Bremen 2011<br />

8


Die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> für die<br />

Selbst-Erkenntnis<br />

Die Wahrheit überschreitet alles Denken, alle Sprache<br />

und jedes gedruckte Wort. Sie überschreitet sämtliche<br />

Ideenbildungen und sogar die Stille. Sie ist nicht<br />

wahrnehmbar und ist doch als E<strong>in</strong>ziges. Weil sie <strong>das</strong><br />

wahre Wesen von allem ist, heißt man sie <strong>das</strong> Selbst.<br />

Es gibt niemanden, <strong>der</strong> es kennt, und es gibt niemanden,<br />

<strong>der</strong> es nicht kennt. Es gibt nichts, was <strong>das</strong><br />

Selbst ist und doch auch nichts, was es nicht wäre.<br />

Diejenigen, die nach ihm suchen, um es zu verwirklichen,<br />

begegnen ihm <strong>in</strong>nerhalb von sich selbst als dem<br />

e<strong>in</strong>en Selbst – frei von e<strong>in</strong>em getrennten Verwirklichenden,<br />

frei von je<strong>der</strong> Wahrnehmung e<strong>in</strong>es verwirklichten<br />

Objekts und frei von allem Dualismus. Die Verwirklichung<br />

des Selbst, welches die Absolute Wirklichkeit<br />

me<strong>in</strong>t, geschieht durch Selbst-Erkenntnis.<br />

Dieser hier vorliegende Text wurde <strong>in</strong> den alten Zeiten<br />

für diejenigen verfasst, die die vitale Bedeutung<br />

<strong>der</strong> Selbst-Verwirklichung erkannt haben. Er war e<strong>in</strong>mal<br />

als e<strong>in</strong> auf die Wahrheit des Selbst deutendes Zeichen<br />

geme<strong>in</strong>t, als e<strong>in</strong>e Erläuterung dessen, was <strong>das</strong><br />

Selbst, <strong>das</strong> Absolute, <strong>in</strong> Wahrheit ist, als e<strong>in</strong>e Hilfestellung<br />

für diejenigen, die <strong>in</strong> ihr eigenes Se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Bewusstse<strong>in</strong><br />

blicken, um vom Traum zur immerwährenden<br />

Realität zu erwachen. Diese Bedeutung hat er bis<br />

heute beibehalten.<br />

Die Verwirklichung des Absoluten ist die Verwirklichung<br />

des Selbst. Es gibt we<strong>der</strong> e<strong>in</strong> „Absolutes“ ge-<br />

9


trennt vom Selbst noch e<strong>in</strong> „Selbst“ getrennt vom Absoluten.<br />

Selbst-Verwirklichung besteht aus Selbst-Erkenntnis<br />

und nichts an<strong>der</strong>em. Es ist nicht mehr und<br />

nicht weniger als die unverhüllte Erkenntnis <strong>der</strong> eigenen,<br />

wahren Natur. E<strong>in</strong>e Erkenntnis dieser Art besteht<br />

nicht aus e<strong>in</strong>er bloßen Anhäufung von Konzepten<br />

o<strong>der</strong> irgende<strong>in</strong>er theoretischen Erörterung, son<strong>der</strong>n<br />

ist von <strong>der</strong> Natur direkter Erfahrung. Ihre Bedeutung<br />

und empirische Natur besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> unbegrenzbaren<br />

Freiheit, dem vollständigen Glücklichse<strong>in</strong> und endlosen<br />

Frieden, wonach es alle verlangt und die nur denjenigen<br />

gehören, die sich selbst kennen.<br />

E<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Lehren <strong>der</strong> Welt, die diese Selbst-Erkenntnis<br />

mit aller Klarheit und Folgerichtigkeit hervorheben,<br />

ist Advaita-Vedanta, e<strong>in</strong> Begriff, <strong>der</strong> auf die nonduale,<br />

höchste und letztgültige Erkenntnis verweist.<br />

Advaita-Vedantas Wurzeln liegen <strong>in</strong> den Unterweisungen<br />

<strong>der</strong> Upanishaden, die unbestritten zu den ältesten<br />

Weisheitstexten <strong>der</strong> Welt gehören. Ihre grundlegende<br />

Lehre besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Identität des Selbst mit<br />

dem, was oftmals Brahman genannt wird, e<strong>in</strong> Begriff,<br />

<strong>der</strong> <strong>das</strong> ausgedehnte, ungeheure Absolute bezeichnet.<br />

Die wichtigste Praxis <strong>der</strong> Selbst-Erkenntnis besteht<br />

dabei <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erforschung <strong>der</strong> Natur des Absoluten<br />

und <strong>der</strong> eigenen, wobei im Verlaufe dieser Erforschung<br />

dem Letzteren dabei mehr Gewicht beigelegt<br />

wird als dem Ersteren. In <strong>der</strong> jüngeren Zeit wurde<br />

diese Art <strong>der</strong> Erforschung von dem Weisen Sri Ramana<br />

Maharshi mit äußerster Direktheit klar aufgezeigt<br />

und dargelegt. Er erhellte, <strong>das</strong>s die grundlegende Er-<br />

10


forschung <strong>der</strong> Natur des Selbst <strong>das</strong> direkte Mittel <strong>der</strong><br />

Selbst-Verwirklichung sei. Die Unterweisung selbst ist<br />

<strong>in</strong> ihrer Anwendbarkeit auf Menschen aller Zeiten<br />

und Kulturen universell. Es ist eben dieser ihr Kern,<br />

bestehend aus höchster Tiefgründigkeit und Gründlichkeit,<br />

<strong>der</strong> den Inhalt <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> bildet.<br />

Diese zeitlose Schrift über nonduale Wahrheit, die<br />

unter dem Namen Das Lied des <strong>Ribhu</strong> bekannt ist, ist<br />

die dem Schüler des Weisen <strong>Ribhu</strong>, Nidagha, gegebene<br />

Unterweisung, die ihm zur Erleuchtung über se<strong>in</strong>e<br />

eigene, wahre Natur verhelfen sollte. Die Schrift ist<br />

die tamilische Übersetzung <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> <strong>in</strong> Sanskrit,<br />

von <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um e<strong>in</strong>e vollständige, englische Übersetzung<br />

– o<strong>der</strong> sollte man besser sagen: Überarbeitung<br />

– angefertigt wurde, die von <strong>der</strong> Society of<br />

Abidance <strong>in</strong> Truth (http://www.SATRamana.org)<br />

1995 herausgegeben wurde und auch heute noch<br />

über sie bezogen werden kann. Es gibt mehrere Gründe<br />

für die Herausgabe e<strong>in</strong>er Übersetzung <strong>der</strong> tamilischen<br />

Version, unter denen die wohl wichtigsten die<br />

folgenden s<strong>in</strong>d: Die Tamilversion besitzt e<strong>in</strong>e große<br />

dichterische Qualität, während es außerdem viele<br />

Stellen <strong>in</strong> ihr gibt, <strong>in</strong> denen <strong>der</strong> tamilische Übersetzer<br />

bestimmte wichtige Punkte und Themenstellungen so<br />

angeordnet hat, <strong>das</strong>s sie zum Zweck <strong>der</strong> Meditation<br />

und des besseren Verständnisses zusammenhängen<strong>der</strong><br />

und <strong>in</strong>tegrierter ersche<strong>in</strong>en. E<strong>in</strong> weiterer, wichtiger<br />

Grund besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tatsache, <strong>das</strong>s die Tamilversion<br />

von dem selbst-verwirklichten Weisen Sri Ramana<br />

Maharshi genutzt und empfohlen wurde. Für dieje-<br />

11


nigen, die noch nicht im Besitz <strong>der</strong> englischen Übersetzung<br />

des ursprünglichen Sanskrit-Textes s<strong>in</strong>d,<br />

dürfte diese gegenwärtige, vollständige Übertragung<br />

<strong>der</strong> Tamilversion von großem <strong>spirituelle</strong>n Nutzen<br />

se<strong>in</strong>. Alle an<strong>der</strong>en, denen beide Übertragungen zugänglich<br />

s<strong>in</strong>d, werden sich im Besitz e<strong>in</strong>er wertvollen<br />

Quelle <strong>der</strong> Meditation, <strong>der</strong> Praxis für den Pfad <strong>der</strong><br />

Selbst-Erkenntnis, <strong>der</strong> Erforschung des Selbst und<br />

<strong>der</strong> Selbst-Verwirklichung f<strong>in</strong>den.<br />

Die <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> war e<strong>in</strong>es <strong>der</strong> ersten Bücher, die Sri<br />

Ramana Maharshi nach se<strong>in</strong>er Selbst-Verwirklichung<br />

gelesen hat und die von <strong>der</strong>selben Erfahrung sprach,<br />

die er an sich selbst erfahren hat. Man könnte sagen,<br />

<strong>das</strong>s sie die Art und Weise bee<strong>in</strong>flusst hat, <strong>in</strong> <strong>der</strong> er<br />

den Suchern nach Erkenntnis, die ihn um Rat fragten,<br />

die Selbst-Erkenntnis enthüllte. Ganz sicherlich gehört<br />

die <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> zu den Büchern, auf die er am<br />

häufigsten Bezug nahm und die er auch oft an<strong>der</strong>en<br />

empfahl, wie man <strong>der</strong> englischen Übertragung <strong>der</strong><br />

Sanskrit-Ausgabe o<strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s den Büchern, die<br />

von se<strong>in</strong>en Unterweisungen handeln, entnehmen<br />

kann. In den Empfehlungen dieses Textes und dem<br />

Weitertragen <strong>der</strong> dar<strong>in</strong> enthaltenen, grundlegenden<br />

Aussagen wird immer wie<strong>der</strong> die Natur des Absoluten<br />

Selbst aufgezeigt, wie diese <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> so<br />

vollendet mit den Mitteln <strong>der</strong> gründlichen Negation<br />

und <strong>der</strong> gleichzeitigen Integration von allem erläutert<br />

wird.<br />

12


Die Methode <strong>der</strong> Negation und<br />

Integration <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong><br />

Für die Beschreibung des Selbst o<strong>der</strong> Brahman ist die<br />

Negation <strong>das</strong> hauptsächliche Mittel <strong>der</strong> Meditation<br />

und Enthüllung. Da <strong>das</strong> Selbst <strong>in</strong> den wahrgenommenen<br />

o<strong>der</strong> erkannten Objekten – seien dies nun Objekte<br />

<strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne o<strong>der</strong> des Denkens – niemals objektiviert<br />

werden könnte, ist es auch unmöglich zu sagen o<strong>der</strong><br />

auch nur zu denken, was <strong>das</strong> Selbst ist. Was auch immer<br />

als <strong>das</strong> Selbst bezeichnet würde – seien dies nun<br />

Konzepte weltlicher o<strong>der</strong> <strong>spirituelle</strong>r Art –, kann daher<br />

niemals <strong>das</strong> eigene, wahre Wesen se<strong>in</strong>. Das Se<strong>in</strong>,<br />

welches gleichzeitig die Natur des Bewusstse<strong>in</strong>s besitzt,<br />

ist <strong>der</strong> Kenner von allem, was wahrgenommen<br />

und gedacht wird, kann aber selber nicht als irgende<strong>in</strong><br />

Objekt <strong>der</strong> Wahrnehmung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Ideenbildung<br />

identifiziert werden. Die Unwissenheit besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Fehlidentifikation des Selbst mit dem, was nicht <strong>das</strong><br />

Selbst ist. Es handelt sich dabei um e<strong>in</strong>e Verwechslung<br />

des Se<strong>in</strong>s selbst mit dem, was tatsächlich nichtseiend<br />

ist – es ist e<strong>in</strong>e Verwechslung des Bewusstse<strong>in</strong>s<br />

selbst mit dem, was lediglich <strong>das</strong> Gekannte ist.<br />

In se<strong>in</strong>er mehr nach außen projizierten Form handelt<br />

es sich um e<strong>in</strong>e Verwechslung <strong>der</strong> Seligkeit dieses<br />

Se<strong>in</strong>-Bewusstse<strong>in</strong>s mit vergänglichen, externen Objekten,<br />

wobei <strong>das</strong> Ergebnis Anhaftung ist. E<strong>in</strong>e solche<br />

Fehlidentifikation und Anhaftung bildet die Grundbestandteile<br />

<strong>der</strong> Unwissenheit. Die B<strong>in</strong>dung besteht nur<br />

<strong>in</strong> dieser Unwissenheit und nur diese Unwissenheit<br />

13


ist die Ursache des Leidens. Wird während des Prozesses<br />

<strong>der</strong> Erforschung des Selbst die Negation, wie<br />

sie von <strong>Ribhu</strong> gebraucht wird, angewendet, zerstört<br />

dies die Unwissenheit. Die Zerstörung <strong>der</strong> Unwissenheit<br />

ist tatsächlich e<strong>in</strong>e „Zerstörung“ des Unwirklichen,<br />

denn Unwissenheit und die aus ihr folgenden Illusionen<br />

besitzen <strong>in</strong> Wahrheit überhaupt ke<strong>in</strong>erlei<br />

reale Substanz. Statt daher nach <strong>der</strong> Verdrängung <strong>der</strong><br />

alten Bestimmungen des Unwirklichen nun nach weiteren,<br />

neuen objektiven Def<strong>in</strong>itionen zu suchen, die<br />

notwendigerweise ebenso falsch se<strong>in</strong> müssen, wird<br />

<strong>der</strong> <strong>spirituelle</strong> Aspirant dazu angehalten, jedwede<br />

konzeptionelle Bestimmung, jede Fehlidentifikation<br />

und Anhaftung zu negieren, bis <strong>das</strong> eigene, wahre<br />

Se<strong>in</strong>, welches Bewusstse<strong>in</strong> selbst ist, als <strong>das</strong> verbleibt,<br />

was es ist – wie die Sonne, die nach dem Verschw<strong>in</strong>den<br />

<strong>der</strong> dunklen Wolken auftaucht, nicht neu erzeugt,<br />

son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>fach nur enthüllt wurde. Der Leser dieses<br />

<strong>spirituelle</strong>n Textes mag die Negation während des Lesens<br />

o<strong>der</strong> durch Reflektion darüber anwenden und so<br />

die Überlagerung des Negierten von <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />

des Selbst entfernen, wobei er so gründlich wie <strong>Ribhu</strong><br />

selbst vorgehen möge, <strong>in</strong>dem er per Negation jedwede<br />

Zuschreibung von Identität und Realität zu allem<br />

außer dem Selbst, welches formlos, ununterschieden,<br />

auf immer unkonditioniert, teilelos und nondual ist,<br />

aufgibt.<br />

In <strong>der</strong> Verwirklichung des unbeweglichen, mit<br />

nichts vermischten Se<strong>in</strong>s, des Selbst, wird erkannt,<br />

<strong>das</strong>s es ke<strong>in</strong>erlei Existenz e<strong>in</strong>es „an<strong>der</strong>en“ geben<br />

14


kann. Brahman ist <strong>das</strong> E<strong>in</strong>e ohne e<strong>in</strong> Zweites. Etwas<br />

an<strong>der</strong>es als dieses gibt es nicht – auch wenn man da<br />

etwas <strong>in</strong> ihm Wohnendes, zusammen mit ihm Auftretendes,<br />

aus ihm Heraustretendes, von ihm Erzeugtes<br />

o<strong>der</strong> <strong>in</strong> es Zurückkehrendes wahrnehmen mag. Die<br />

Erkenntnis ermöglicht e<strong>in</strong>em zu verstehen, <strong>das</strong>s zu allen<br />

Zeiten nur Brahman, <strong>das</strong> Selbst, und nichts an<strong>der</strong>es<br />

als Das existiert. Folgerichtig legt die <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> <strong>in</strong><br />

ihrer Enthüllung <strong>der</strong> Wirklichkeit außerdem noch die<br />

Integration von allem <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form e<strong>in</strong>er Inklusion<br />

nahe. Wie Adi Sankara <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Unterweisung zum<br />

re<strong>in</strong>en Advaita-Vedanta hervorgehoben hat, führt die<br />

Feststellung, <strong>das</strong>s „alles“ Brahman sei, ke<strong>in</strong>eswegs zu<br />

<strong>der</strong> Schlussfolgerung, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> „alles“ o<strong>der</strong> was man<br />

dafür halten mag, als solches e<strong>in</strong>e reale Existenz unterhalte,<br />

son<strong>der</strong>n es wird tatsächlich stets nur die<br />

Existenz des Brahman bestätigt. Die Unterweisung<br />

über die universale Natur des Brahman, wie sie <strong>in</strong><br />

Das Lied des <strong>Ribhu</strong> nie<strong>der</strong>gelegt ist, ist essenziell dadurch<br />

gekennzeichnet, alles im Lichte <strong>der</strong> zuvor ausgeführten<br />

Negation zu betrachten. Während <strong>der</strong> Aneignung<br />

<strong>der</strong> Unterweisung ist also <strong>der</strong> Schüler angehalten,<br />

Brahman, <strong>das</strong> Selbst, als die e<strong>in</strong>zig existierende<br />

Wirklichkeit zu verwirklichen und nicht erneut damit<br />

zu beg<strong>in</strong>nen, Ideen über all diese D<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>schließlich<br />

von belebten und unbelebten Objekten als<br />

<strong>in</strong> irgend e<strong>in</strong>er Weise existierend o<strong>der</strong> nicht existierend<br />

heraufzubeschwören. Das Selbst soll als so allesdurchdr<strong>in</strong>gend<br />

erkannt werden, <strong>das</strong>s sogar die Ideen<br />

von „durchdr<strong>in</strong>gend“ und „Durchdr<strong>in</strong>ger“ verschw<strong>in</strong>-<br />

15


den. Das Ergebnis besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong><br />

Realität, des Selbst, als etwas gänzlich Ununterschiedenem.<br />

Alles wird folglich als Das und Das alle<strong>in</strong> erkannt.<br />

Die Methode <strong>der</strong> Negation und <strong>der</strong> Integration von<br />

allem wird, wenn sie kraft <strong>der</strong> Erforschung <strong>der</strong> eigenen,<br />

wahren Natur richtig ausgeübt wurde, aufzeigen,<br />

<strong>das</strong>s beides e<strong>in</strong> und <strong>das</strong>selbe me<strong>in</strong>t und auf <strong>das</strong>selbe,<br />

ununterschiedene Se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> Bewusstse<strong>in</strong> verweist,<br />

welches als e<strong>in</strong>ziges die Wirklichkeit und wahre Natur<br />

des Selbst ist.<br />

16


Drei Geschichten zur Lehre <strong>der</strong> Selbst-<br />

Erkenntnis<br />

Im Kapitel 380 des Agni Purana tauchen zwei Geschichten<br />

auf, die <strong>Ribhu</strong> und se<strong>in</strong>e Lehren für Nidagha<br />

betreffen. Dieselben beiden Geschichten f<strong>in</strong>den<br />

sich fast identisch im Vishnu Purana, Teil 2, <strong>in</strong> den Abschnitten<br />

13-16. Im Agni Purana s<strong>in</strong>d die Geschichten<br />

über <strong>Ribhu</strong> <strong>in</strong> die Geschichte des Bharata e<strong>in</strong>gebettet,<br />

die dort <strong>der</strong> Feuergott erzählt, während die Geschichte<br />

über Bharata e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong>jenigen über <strong>Ribhu</strong><br />

im Vishnu Purana von Pasara berichtet wird. Auf e<strong>in</strong>e<br />

dieser Erwähnungen <strong>Ribhu</strong>s, und zwar diejenige <strong>der</strong><br />

zweiten Geschichte, wird, wie aus den heutigen Aufzeichnungen<br />

<strong>der</strong> Unterweisungen des Maharshi ersichtlich<br />

wird, von ihm Bezug genommen. In Maharshi's<br />

Gospel f<strong>in</strong>det sie sich so dargestellt, <strong>das</strong>s sie <strong>in</strong> ihrer<br />

Hervorhebung <strong>der</strong> Selbst-Erkenntnis klarer als im<br />

Agni Purana selbst wird. Im Vishnu Purana liest sich<br />

die Geschichte ganz ähnlich <strong>der</strong> vom Maharshi erzählten<br />

Form. Die Geschichten demonstrieren die e<strong>in</strong>zigartige<br />

Bedeutung <strong>der</strong> Erkenntnis des Selbst und for<strong>der</strong>n<br />

den Leser dazu auf, <strong>das</strong> „Ich“ <strong>in</strong> Wahrheit zu bestimmen<br />

und die wi<strong>der</strong>s<strong>in</strong>nige Natur aller konzeptionellen<br />

Differenzierung zu enthüllen.<br />

Es folgen nun die Geschichten, wie sie <strong>in</strong> den zuvor<br />

erwähnten Texten erzählt werden:<br />

17


Die Geschichte von <strong>der</strong> Sänfte und dem<br />

König<br />

(Der Feuergott bzw. Parasara sprach:) Ich werde nun<br />

die Erkenntnis des nondualen Brahman darlegen, wie<br />

diese von Bharata erläutert wurde. Bharata übte bei<br />

Salagrama Tapas (<strong>spirituelle</strong> Entsagungspraxis) und<br />

verehrte Vasudeva (Gott, wie er <strong>in</strong> allen Wesen<br />

wohnt). Er befand sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gesellschaft e<strong>in</strong>es Rehs<br />

und weil er am Ende se<strong>in</strong>es Lebens an <strong>das</strong> Reh dachte,<br />

wurde er als e<strong>in</strong> solches wie<strong>der</strong>geboren. Weil er<br />

trotz se<strong>in</strong>er Geburt als Reh jedoch die Er<strong>in</strong>nerungen<br />

an se<strong>in</strong>e frühere Geburt behalten hatte und sich zudem<br />

e<strong>in</strong>er Losgelöstheit gegenüber <strong>der</strong> Welt erfreute,<br />

gab er se<strong>in</strong> Leben mit <strong>der</strong> Hilfe von Yogatechniken auf<br />

und erhielt se<strong>in</strong> Selbst zurück. Nachdem er die Identität<br />

mit dem nondualen Brahman erlangt hatte, duchwan<strong>der</strong>te<br />

er die Welt – unangehaftet wie e<strong>in</strong> lebloses<br />

D<strong>in</strong>g. Ausgestattet mit echter Erkenntnis vermochte<br />

er <strong>das</strong> Selbst als frei von allen Manifestationen wahrzunehmen,<br />

während se<strong>in</strong>e Selbst-Erkenntnis ihn alle<br />

Wesen als e<strong>in</strong>s ansehen ließ.<br />

E<strong>in</strong> Diener des Königs Sauvira bedeutete ihm, dem<br />

König gegen Entgelt zu dienen und er führte ihn zum<br />

Lager des Königs. Der Weise, aufgefor<strong>der</strong>t durch die<br />

Worte des Dieners, akzeptierte se<strong>in</strong>e neue Position<br />

und kam ihr nach, <strong>in</strong>dem er für den König als Sänftenträger<br />

arbeitete. Se<strong>in</strong>e neue Tätigkeit betrachtete er<br />

dabei bloß als e<strong>in</strong>e weitere Gelegenheit zur Zerstörung<br />

se<strong>in</strong>es vergangenen Karmas (welches die gegen-<br />

18


wärtigen Ereignisse des Lebens bee<strong>in</strong>flusst), während<br />

er selbst <strong>in</strong> <strong>der</strong> universalen Erkenntnis verankert<br />

blieb. E<strong>in</strong>es Tages wünschte <strong>der</strong> König <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Sänfte<br />

zur E<strong>in</strong>siedelei des großen Weisen namens Kapila<br />

am Ufer des Ikshumati-Flusses zu reisen. Der Weise<br />

galt als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> erfahrensten <strong>Wissen</strong>den bezüglich<br />

<strong>der</strong> nötigen Mittel zur Befreiung – <strong>das</strong> wohl meistgesuchteste<br />

und wünschenswerteste D<strong>in</strong>g <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Welt<br />

voller Anhaftung und Sorgen. Bharata wurde vom<br />

Diener des Königs aufgefor<strong>der</strong>t, die Sänfte zu tragen.<br />

Während die an<strong>der</strong>en Sänftenträger sich rasch vorwärtsbewegten,<br />

blieb er jedoch stets etwas zurück.<br />

Da <strong>der</strong> König die an<strong>der</strong>en schnell ausschreiten und<br />

Bharata langsamer gehen sah, sagte er zu ihm: „Bist<br />

du müde? Du hast me<strong>in</strong>e Sänfte erst e<strong>in</strong>e kurze Wegstrecke<br />

getragen. Du wirkst ausdauernd und kräftig.<br />

Fällt es dir schwer, die Last ohne Ermüdung zu tragen?“<br />

Bharata erwi<strong>der</strong>te: „We<strong>der</strong> b<strong>in</strong> ich es, oh König, <strong>der</strong><br />

ausdauernd und kräftig ist noch b<strong>in</strong> ich <strong>der</strong> Träger<br />

de<strong>in</strong>er Sänfte. Auch habe ich de<strong>in</strong>e Sänfte nicht getragen.<br />

We<strong>der</strong> b<strong>in</strong> ich müde noch kann ich ermüdet werden.“<br />

Der König sprach: „Nun, ich sehe doch deutlich,<br />

<strong>das</strong>s du kräftig und stark bist und die Sänfte trägst.<br />

Außerdem weiß ich doch, wie schwer e<strong>in</strong>e Last für<br />

e<strong>in</strong>en Menschen se<strong>in</strong> kann.“<br />

Bharata erwi<strong>der</strong>te: „Sage mir bitte als erstes, was<br />

es ist, was du deutlich an mir wahrnimmst. Anschließend<br />

magst du me<strong>in</strong>e Eigenschaften daraufh<strong>in</strong> be-<br />

19


stimmen und unterscheiden, ob sie auf Stärke o<strong>der</strong><br />

Schwäche verweisen. Die Aussage, du würdest mich<br />

die Sänfte tragen o<strong>der</strong> diese auf mir ruhen sehen, ist<br />

nicht wahr. Das entspricht nicht <strong>der</strong> Wirklichkeit.<br />

Ebenso steht es mit <strong>der</strong> Idee, <strong>das</strong>s du die getragene<br />

Person seiest. Oh König! Höre, was ich dir dazu zu sagen<br />

habe.<br />

Die zwei Füße stehen auf dem Boden, die beiden<br />

Unterschenkel werden von den Füßen gestützt, die<br />

beiden Oberschenkel ruhen auf dem Paar Unterschenkel<br />

und <strong>der</strong> Unterleib wird von den Oberschenkeln<br />

getragen. Der Oberkörper, die beiden Arme und<br />

die Schultern wie<strong>der</strong>um ruhen auf dem Unterkörper.<br />

Diese Sänfte ruht auf den Schultern. Wie kann man<br />

dann davon sprechen, <strong>das</strong>s es sich dabei um me<strong>in</strong>e<br />

Last handele? Was hätte <strong>das</strong> Empf<strong>in</strong>den e<strong>in</strong>es 'me<strong>in</strong>'<br />

mit all dem hier zu tun? Dieser auf <strong>der</strong> Sänfte ruhende<br />

Körper wird wie<strong>der</strong>um als du selbst erachtet. Was<br />

an<strong>der</strong>swo als 'dies' bezeichnet wird, wird hier <strong>in</strong> 'du'<br />

und 'ich' unterschieden. Die Begriffe 'du' und 'ich'<br />

s<strong>in</strong>d jedoch bloß weltliche Konventionen.<br />

Höre, wie dieser Sachverhalt auf an<strong>der</strong>e Weise beschrieben<br />

wird, oh König. Ich, du und an<strong>der</strong>e s<strong>in</strong>d aus<br />

den Elementen zusammengesetzt. Die Elemente, bee<strong>in</strong>flusst<br />

von den Grundqualitäten (gunas), haben<br />

körperliche Gestalt angenommen. Dieses Konglomerat<br />

von Grundqualitäten hat sich nun mit dem Strom<br />

<strong>der</strong> Grundqualitäten vermischt und setzt se<strong>in</strong>e Bewegung<br />

fort. Die Grundqualitäten wie<strong>der</strong>um beruhen<br />

auf dem Karma, welches unter dem E<strong>in</strong>fluss <strong>der</strong> Un-<br />

20


wissenheit die Verfassung aller Wesen bee<strong>in</strong>flusst.<br />

Alle diese Grundqualitäten von 'gut', 'schlecht' und<br />

D<strong>in</strong>gen dieser Art s<strong>in</strong>d durch <strong>das</strong> Karma gebunden.<br />

Dieses Karma wird <strong>in</strong> sämtlichen Schöpfungsprozessen<br />

aufgrund von Unwissenheit erworben. Das Selbst<br />

ist re<strong>in</strong>, unver<strong>der</strong>bbar, friedvoll, frei von Eigenschaften,<br />

unterschieden von <strong>der</strong> Materie und steht über aller<br />

Manifestation (prakriti). We<strong>der</strong> nimmt es zu noch<br />

nimmt es ab. In allen Schöpfungen ist es dieses alle<strong>in</strong>,<br />

welches ke<strong>in</strong> Wachstum und ke<strong>in</strong>en Verfall kennt. Oh<br />

König, so wie <strong>das</strong> Selbst ke<strong>in</strong> Mehr kennt, kennt es<br />

auch ke<strong>in</strong> Weniger. Von all dem ist es völlig frei. Wie<br />

konnte es daher kommen, <strong>das</strong>s du sagtest: 'Du bist<br />

stark und kräftig'?<br />

Diese Sänfte ruht auf <strong>der</strong> Erde, den Füßen, den Unterschenkeln,<br />

Oberschenkeln, <strong>der</strong> Hüfte, dem Unterleib<br />

und den weiteren Teilen des Körpers. Me<strong>in</strong> Empf<strong>in</strong>den<br />

dieses Sachverhalts ist daher ganz <strong>das</strong>selbe<br />

wie <strong>das</strong> de<strong>in</strong>e. Wenn also die Sänfte vom Körper getragen<br />

wird, <strong>der</strong> Körper wie<strong>der</strong>um von den Füßen<br />

und die Füße auf <strong>der</strong> Erde stehen, dann wird diese<br />

Last ebenso von dir wie von mir getragen. Oh König,<br />

durch <strong>das</strong> Tragen dieser Sänfte unterscheide ich mich<br />

nicht von an<strong>der</strong>en Wesen, ob diese nun von den Bergen<br />

o<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Erde herstammen o<strong>der</strong> aus an<strong>der</strong>en<br />

Stoffen wie etwa denen e<strong>in</strong>es Hauses zusammengesetzt<br />

s<strong>in</strong>d. Und doch bleibt <strong>der</strong> Geist (purusha) von all<br />

diesen physischen Ursachen stets unterschieden. Wie<br />

könnte es daher e<strong>in</strong>e von mir getragene, schwere Last<br />

geben? Oh König, aus demselben Material, mit dem<br />

21


diese Sänfte erbaut wurde, wurden auch an<strong>der</strong>e weltliche<br />

D<strong>in</strong>ge erbaut. Das Material ist <strong>das</strong>selbe. In dieser<br />

H<strong>in</strong>sicht s<strong>in</strong>d du, ich und alle an<strong>der</strong>en gleich gebaut.<br />

Insofern als die Natur <strong>der</strong> Menschen im Wesen o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Ursache nach unterschiedlich se<strong>in</strong> mag, kann man<br />

vielleicht sagen, <strong>das</strong>s ich Ermüdung erfahre. Der Stoff<br />

jedoch, aus dem die Sänfte gemacht ist, ist <strong>der</strong> eigentliche<br />

Stoff, aus dem du, ich und alle an<strong>der</strong>en bestehen.<br />

Betrachte dies als e<strong>in</strong>e Zusammenballung von Elementen.“<br />

Nachdem er so gesprochen hatte, wurde Bharata<br />

still und fuhr fort, die Sänfte zu tragen.<br />

Als er diese Worte Bharatas vernommen hatte,<br />

sprang <strong>der</strong> König geschw<strong>in</strong>d aus <strong>der</strong> Sänfte, ergriff<br />

Bharatas Füße und flehte ihn an, ihm zu vergeben. Er<br />

sprach: „Sei bitte so gut und lass diese Sänfte doch<br />

stehen und sprich lieber mit mir. Ich höre dir nun zu.<br />

Wer bist du? Aus welchem Grund bist du hier?“<br />

Bharata erwi<strong>der</strong>te: „Höre mich an. Es ist überhaupt<br />

nicht möglich zu sagen, wer ich b<strong>in</strong>. An allen Orten ist<br />

die Aktivität des Kommens und Gehens nur zu dem<br />

Zweck da, Erfahrung (wörtlich: Genuss) zu ermöglichen.<br />

Alle Wesen gelangen an ihren Geburtsort und<br />

mit ihrem jeweiligen Körper nur zu dem Zweck an,<br />

diejenigen Schmerzen und Freuden zu erfahren, wie<br />

diese sich aus dem aus <strong>der</strong> Vergangenheit herstammenden<br />

guten o<strong>der</strong> schlechten Karma ergeben.“<br />

Der König sagte: „Du me<strong>in</strong>test, man könne nichts<br />

darüber sagen, wer du seist. Ich wünsche mir von dir,<br />

<strong>das</strong>s du mir dies erklärst. Wie ist es möglich, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong><br />

22


Mann sich nicht zu dem bekennen kann, was er ist? Es<br />

kann ke<strong>in</strong> Schaden dar<strong>in</strong> bestehen, diesem <strong>das</strong> Wort<br />

'Ich' beizulegen. Oh Bharata, weshalb sollte es denn<br />

unmöglich se<strong>in</strong>, mich als diejenige Person anzusehen,<br />

die sich jetzt hier bef<strong>in</strong>det? Es kann doch nicht falsch<br />

se<strong>in</strong>, dieses Wort 'Ich' mit dem Selbst <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

zu br<strong>in</strong>gen.“<br />

Bharata sprach: „Es ist nicht falsch, <strong>das</strong> Wort 'Ich'<br />

zur Bezeichnung des Selbst zu verwenden, aber es ist<br />

fehlerhaft zu denken und zu sagen, <strong>das</strong>s e<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g, welches<br />

nicht <strong>das</strong> Selbst ist, <strong>das</strong> Selbst sei. 'Ich' ist richtig<br />

dann verwendet, wenn es ausschließlich nur <strong>das</strong><br />

Selbst bezeichnet. Es wäre jedoch unrichtig, etwas,<br />

was nicht <strong>das</strong> Selbst ist, als <strong>das</strong> Selbst zu bezeichnen.<br />

Wenn es da doch nur e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>ziges, im Tempel aller<br />

Körper wohnendes Selbst gibt, ist es bedeutungslos<br />

zu fragen, wer du seiest und wer ich sei. Der Körper<br />

e<strong>in</strong>er Person mit se<strong>in</strong>en Händen, Füßen und den weiteren<br />

Glie<strong>der</strong>n besteht aus verschiedenen Teilen. Welchem<br />

dieser Teil sollten wir wohl <strong>das</strong> Word 'Ich' beimessen?<br />

Wenn <strong>in</strong> diesem Körper etwas von mir gänzlich<br />

Unterschiedenes existieren sollte, mag man sagen:<br />

'Dies ist <strong>das</strong> Ich und <strong>das</strong> da ist <strong>das</strong> An<strong>der</strong>e'. Da<br />

<strong>das</strong>selbe Selbst <strong>in</strong> allen wohnt, s<strong>in</strong>d Fragen wie 'Wer<br />

b<strong>in</strong> ich? Wer bist du?' s<strong>in</strong>nlos.<br />

Oh König, diese Sänfte, diese Sänftenträger da und<br />

diese de<strong>in</strong>e Welt können nicht als e<strong>in</strong> Se<strong>in</strong> bezeichnet<br />

werden. Du bist <strong>der</strong> König, dies ist e<strong>in</strong>e Sänfte, dies<br />

s<strong>in</strong>d die Träger und jene dort bilden de<strong>in</strong>e Gefolgschaft<br />

– und doch ist all <strong>das</strong> nicht real und es ist kei-<br />

23


nesfalls wahr, <strong>das</strong>s diese hier die De<strong>in</strong>en seien.<br />

Das Holz, aus dem die Sänfte besteht, stammt von<br />

e<strong>in</strong>em Baum. Oh König, ist diese Sänfte, <strong>in</strong> <strong>der</strong> du<br />

ruhst, als Baum o<strong>der</strong> Holz konstruiert worden? E<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong>telligenter Mensch würde nicht sagen, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> König<br />

auf e<strong>in</strong>em Baum säße. Dementsprechend würde<br />

auch niemand, <strong>der</strong> dich auf e<strong>in</strong>em Holzstapel sitzen<br />

sähe, sagen, du säßest auf e<strong>in</strong>er Sänfte. Oh edler König,<br />

betrachte die Sänfte <strong>in</strong> ihrer spezifischen Gebrauchsgestalt<br />

und frage dich gleichzeitig selbst, ob<br />

sich die Sänfte wirklich von Holz unterscheidet. Denke<br />

an die Teile des Sonnenschirms <strong>in</strong> ihren jeweiligen<br />

Funktionen, Aus was besteht dann dieser Sonnenschirm<br />

wirklich? Wende dieses Verstehen auf 'du' und<br />

'ich' an.<br />

E<strong>in</strong> Mann, e<strong>in</strong>e Frau, e<strong>in</strong>e Kuh, e<strong>in</strong>e Ziege, e<strong>in</strong> Pferd,<br />

e<strong>in</strong> Elefant, e<strong>in</strong> Vogel, e<strong>in</strong> Baum und an<strong>der</strong>e D<strong>in</strong>ge dieser<br />

Art s<strong>in</strong>d bloße Namen und sollten als re<strong>in</strong> weltliche<br />

Konventionen zur Bezeichnung von Körperformen<br />

erkannt werden, die <strong>der</strong> Wirkung des Karma geschuldet<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Oh König, die Zunge, die Lippen und <strong>das</strong> Zäpfchen<br />

sagen 'Ich'. Sie s<strong>in</strong>d nicht 'Ich', weil sie nur Hilfsmittel<br />

zur Bildung e<strong>in</strong>es Lautes s<strong>in</strong>d. Aus welchem Grunde<br />

sollte die Sprache von sich selber sagen: 'Ich'? Auf<br />

dieselbe Weise ist es aber auch falsch und unrichtig<br />

zu sagen, <strong>das</strong>s die Sprache nicht 'Ich' sei.<br />

Oh König, wenn <strong>der</strong> Kopf, <strong>der</strong> Anus und an<strong>der</strong>e Teile<br />

des Menschen unterschieden vom Körper s<strong>in</strong>d (ke<strong>in</strong>er<br />

davon ist '<strong>der</strong> Körper' selbst), wie könnte ich sie<br />

24


dann als 'Ich' bezeichnen? Oh edler König, nur dann,<br />

wenn etwas von mir Unterschiedenes existierte,<br />

könnte man sagen: 'Dies b<strong>in</strong> ich und <strong>das</strong> ist etwas an<strong>der</strong>es'.<br />

Tatsächlich gibt es ke<strong>in</strong>e solchen Unterschiede wie<br />

etwa e<strong>in</strong> unbewegliches D<strong>in</strong>g, e<strong>in</strong> Tier, e<strong>in</strong> Baum o<strong>der</strong><br />

verschiedene Körper und an<strong>der</strong>e solche D<strong>in</strong>ge. All<br />

dies s<strong>in</strong>d lediglich Auswirkungen des Karmas. Oh König,<br />

e<strong>in</strong>e Person, die als König angesehen wird und<br />

diejenigen, die man die Soldaten des Königs nennt,<br />

s<strong>in</strong>d unwirklich. Das Selbst ist we<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Gott noch<br />

e<strong>in</strong> Mensch noch e<strong>in</strong> Tier o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Pflanze. Dies s<strong>in</strong>d<br />

lediglich die verschiedenen Formen, die aufgrund des<br />

Karmas entstanden s<strong>in</strong>d.<br />

Du hast verschiedene Namen, aber ke<strong>in</strong>er dieser<br />

Namen ist real. Sie s<strong>in</strong>d nichts als <strong>das</strong> Werk <strong>der</strong> E<strong>in</strong>bildung.<br />

Wird nicht alles <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt im Verlaufe se<strong>in</strong>es<br />

notwendigen Wandels schließlich jeweils mit unterschiedlichen<br />

Namen bezeichnet? Du bist für die<br />

Welt <strong>der</strong> König, für de<strong>in</strong>en Sohn <strong>das</strong> Vorbild, <strong>der</strong><br />

Fe<strong>in</strong>d de<strong>in</strong>es Fe<strong>in</strong>des, <strong>der</strong> Ehegemahl für de<strong>in</strong>e Frau<br />

und <strong>der</strong> Vater für de<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d. Oh König, wie soll ich<br />

dich also nennen?<br />

Was ist de<strong>in</strong>e wahre Gestalt? Bist du dieser Kopf<br />

o<strong>der</strong> etwa <strong>der</strong> Unterleib? Gehören Kopf und Unterleib<br />

aber etwa nicht zu dir? S<strong>in</strong>d die Füße und die an<strong>der</strong>en<br />

Teile de<strong>in</strong>es Körpers du? Gehören sie aber etwa nicht<br />

zu dir?<br />

Von de<strong>in</strong>er Natur her bist du unterschieden von all<br />

diesen Teilen, aus denen <strong>der</strong> Körper besteht. Oh Kö-<br />

25


nig, denke ernsthaft darüber nach, wer du bist.<br />

Erwäge wahrheitsgemäß, wer ich b<strong>in</strong>. Jetzt, nachdem<br />

die Wahrheit verwirklicht wurde – wie könnte es<br />

da noch möglich für mich se<strong>in</strong>, von e<strong>in</strong>er Unterschiedenheit<br />

<strong>der</strong> Individualität zu sprechen und dieser den<br />

Namen 'Ich' zuzuweisen?“<br />

Nachdem <strong>der</strong> König diese Erläuterung <strong>der</strong> wahren<br />

Essenz des <strong>Wissen</strong>s angehört hatte, sprach er demütig<br />

zu Bharata, dem E<strong>in</strong>siedler-Weisen, <strong>der</strong> niemand<br />

an<strong>der</strong>es als Hari (Gott) war: „Oh Bharata, du sprichst<br />

unbezweifelbar die re<strong>in</strong>e Wahrheit. Me<strong>in</strong> Gemüt ist<br />

nun, da es aus de<strong>in</strong>em Munde die tiefe Wahrheit vernommen<br />

hat, begierig darauf, die Wirklichkeit, die<br />

heilige Wahrheit, kennenzulernen. E<strong>in</strong>mal strebte ich<br />

danach, von dem Weisen Kapila zu hören, was wohltätig<br />

für e<strong>in</strong>e Person ist und wor<strong>in</strong> <strong>das</strong> wichtigste und<br />

am meisten wünschenswerteste Ziel des Lebens besteht.<br />

Was du zu mir gesagt hast, hat me<strong>in</strong>em Gemüt<br />

gefallen. Du bist wie dieser Weise Kapila. Hier <strong>in</strong> dieser<br />

Welt schenkst du zum Nutzen aller die Erkenntnis.<br />

Du bist e<strong>in</strong> Ozean, überfließend von den Wassern<br />

<strong>der</strong> göttlichen Weisheit. Lass die Wellen <strong>der</strong> Erkenntnis<br />

immerfort aus dem Ozean <strong>der</strong> Weisheit emporschlagen.<br />

Erteile mir <strong>das</strong> <strong>Wissen</strong>, welches wohltätig<br />

für mich ist.“<br />

Bharata sagte: „Du fragst erneut nach dem, was<br />

wohltätig für dich sei. Du fragst jedoch nicht nach <strong>der</strong><br />

Wirklichkeit. Oh König, alle diese D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d wohltätig,<br />

aber unwirklich. Nachdem man die Götter erfreut<br />

hat, entsteht da <strong>der</strong> Wunsch nach großem Reichtum,<br />

26


nach Söhnen und e<strong>in</strong>em Königreich. Oh König, was<br />

wäre <strong>der</strong> Nutzen davon? Der Weise weiß, <strong>das</strong>s nur die<br />

Geme<strong>in</strong>schaft mit dem Höchsten Se<strong>in</strong> <strong>das</strong> e<strong>in</strong>zige<br />

Gute ist. Handlungen wie die Ausübung von Opferriten<br />

können diese Geme<strong>in</strong>schaft nicht herbeirufen.<br />

Umgekehrt erlangt man durch diese Geme<strong>in</strong>schaft<br />

ke<strong>in</strong>erlei weltlichen Gew<strong>in</strong>n. Die Geme<strong>in</strong>schaft des<br />

Selbst und des Absoluten Se<strong>in</strong>s wird daher als <strong>das</strong> Allerbeste<br />

erachtet. Das Selbst, <strong>das</strong> E<strong>in</strong>es ist, ist allesdurchdr<strong>in</strong>gend,<br />

vollkommen ruhig, re<strong>in</strong>, ohne Eigenschaften,<br />

sämtlicher Manifestation überlegen, frei von<br />

Geburt, Tod, Verfall usw. und als solches allgegenwärtig.<br />

Se<strong>in</strong>e Natur besteht gänzlich aus Höchster Erkenntnis.<br />

Gott ist niemals mit Eigenschaften, Formen<br />

und D<strong>in</strong>gen dieser Art behaftet.<br />

Als <strong>das</strong> große Ziel des Lebens bezeichnen die Weisen<br />

<strong>das</strong> Ewige. Es wäre vergänglich, wenn es durch<br />

vergängliche D<strong>in</strong>ge erlangt werden könnte. Auch<br />

wenn die Vere<strong>in</strong>igung des <strong>in</strong>dividuellen Selbst mit<br />

dem Höchsten Selbst als <strong>das</strong> erlesene Ziel des Lebens<br />

gilt, ist dies <strong>in</strong>sofern unrichtig, als etwas se<strong>in</strong>e eigene<br />

Natur niemals <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e än<strong>der</strong>n könnte. Höre<br />

von mir, oh König, vom wahren Ziel des Lebens. Es ist<br />

<strong>das</strong> Selbst, welches E<strong>in</strong>es ist, allesdurchdr<strong>in</strong>gend,<br />

überall <strong>das</strong>selbe, vollkommen, alle Materie transzendierend,<br />

frei von Geburt, Wachstum und Zerstörung,<br />

allgegenwärtig, ohne Tod, bestehend aus Wahrem<br />

<strong>Wissen</strong>, unabhängig von und nicht <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehend<br />

mit unwirklichen D<strong>in</strong>gen, namenlos, eigenschaftenlos<br />

und ohne die drei Zeiten <strong>der</strong> Vergangenheit,<br />

27


Gegenwart und Zukunft. Das Selbst, <strong>das</strong> E<strong>in</strong>e <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

selbst und <strong>in</strong> allen, ist die wahre Weisheit desjenigen,<br />

<strong>der</strong> die E<strong>in</strong>heit und die wahre Grundlage von allem<br />

kennt. Wie Luft, die über den Erdball verteilt ist,<br />

durch die Löcher <strong>der</strong> Flöte streicht und als die vielen<br />

musikalischen Noten unterschieden wird, so ist <strong>das</strong><br />

Wahre Wesen des großen Selbst E<strong>in</strong>es, obwohl es als<br />

Ergebnis des Karmas verschiedene Formen annimmt.<br />

Werden die verschiedenen Formen, wie zum Beispiel<br />

diejenige Gottes und <strong>der</strong> menschlichen Wesen, zerstört,<br />

dann hört die Verschiedenheit <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge auf.“<br />

Nachdem <strong>der</strong> König diese Worte Bharatas vernommen<br />

hatte, wurde er sprachlos und g<strong>in</strong>g <strong>in</strong> Meditation.<br />

Bharata sagte dann: „König, höre mich an! Ich<br />

werde dir jetzt vom Dialog zwischen <strong>Ribhu</strong> und Nidagha<br />

erzählen.“<br />

Die Geschichte von <strong>der</strong> Bewirtung<br />

<strong>Ribhu</strong>s<br />

<strong>Ribhu</strong> war <strong>der</strong> Sohn Brahmas und e<strong>in</strong> Weiser. Nidagha,<br />

<strong>der</strong> Sohn von Pulastya, war se<strong>in</strong> Schüler. Nachdem<br />

Nidagha von <strong>Ribhu</strong> die Unterweisung über Erkenntnis<br />

empfangen hatte, g<strong>in</strong>g er zur Stadt Viranagara, die<br />

sich am Ufer des Devika-Flusses bef<strong>in</strong>det, um dort zu<br />

leben. Er wohnte dort <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em herrlichen Ha<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Nähe des Flusses und begann damit, sich den sämtlichen<br />

Verehrungspraktiken zu widmen. Nachdem tausend<br />

himmlische Jahre vergangen waren, spazierte<br />

28


<strong>Ribhu</strong> am Ufer des Devika-Flusses entlang und betrat<br />

dabei auch die Stadt Viranagara, um Nidagha aufzusuchen<br />

und zu schauen, wie weit se<strong>in</strong> Schüler <strong>in</strong>zwischen<br />

gediehen war. Er betrat die Stadt aber <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Verkleidung.<br />

Als <strong>Ribhu</strong> e<strong>in</strong>traf, hatte Nidagha gerade die Vaisvadeva-Verehrung<br />

ausgeübt – e<strong>in</strong> Ritus zur Erbauung<br />

<strong>der</strong> Götter, <strong>der</strong> noch vor dem Essen ausgeführt wird.<br />

Er stand am Tor, führte <strong>Ribhu</strong> <strong>in</strong>s Haus und bot ihm<br />

Nahrung an. Nachdem <strong>Ribhu</strong>s Hände und Füße gewaschen<br />

waren und er Platz genommen hatte, bat Nidagha<br />

ihn ehrerbietig zu essen.<br />

<strong>Ribhu</strong> sprach zu Nidagha: „Oh bester unter den<br />

Brahmanen, sage mir, welche Nahrung du im Hause<br />

hast. Ich mag nur gutes Essen.“<br />

Nidagha erwi<strong>der</strong>te: „Es gibt Kuchen aus Reismehl,<br />

Graupen und L<strong>in</strong>sen. Oh Verehrungswürdiger, iss, was<br />

immer dir am besten gefällt.“<br />

<strong>Ribhu</strong> sagte: „Dieses Essen ist nicht gut. Gib mir<br />

süße D<strong>in</strong>ge. Gib mir Reis mit Zucker gekocht, Weizenkuchen<br />

und Milch mit Rahm und Sirup.“<br />

<strong>Ribhu</strong> rief se<strong>in</strong>e Frau herbei und trug ihr auf: „Bereite<br />

rasch <strong>das</strong> Beste und Süßeste <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Hause<br />

zu, damit er zufrieden ist.“<br />

Nidaghas Frau bereitete süße Gerichte zu und setzte<br />

sie <strong>Ribhu</strong> vor. Nachdem <strong>Ribhu</strong> gegessen hatte,<br />

nahm auch Nidagha etwas zu sich.<br />

Danach fragte Nidagha: „Du bist zu mir gekommen<br />

und hast gegessen. Wurdest du gesättigt und fühlst<br />

du dich nun wohl? Ist de<strong>in</strong> Wohlse<strong>in</strong> umfassend? Hat<br />

29


dich die Mahlzeit erfreut? Hat de<strong>in</strong> Gemüt Wohlse<strong>in</strong><br />

erlangt? Wo wohnst du, von wo bist du gekommen<br />

und woh<strong>in</strong> gehst du?“<br />

<strong>Ribhu</strong> erwi<strong>der</strong>te: „Oh Nidagha, e<strong>in</strong>e hungrige Person<br />

erlangt nach dem Essen von Nahrung Zufriedenheit.<br />

Ich hatte ke<strong>in</strong>en Hunger – weshalb fragst du<br />

mich also nach me<strong>in</strong>er Zufriedenheit? Oh Nidagha,<br />

Hunger und Durst s<strong>in</strong>d die Eigenschaften des Körpers<br />

und gehören daher nicht zu mir. Weshalb stellst du<br />

mir also müßige Fragen? Hunger entsteht, sobald <strong>das</strong><br />

Erdelement durch Hitze erschöpft o<strong>der</strong> aufgebraucht<br />

ist. Durst entsteht, sobald die Feuchtigkeit des Körpers<br />

durch die <strong>in</strong>nere Hitze ausgetrocknet wurde. All<br />

dies s<strong>in</strong>d Funktionen des Körpers, sie gehören nicht<br />

zu mir. Ich b<strong>in</strong> mit allem zufrieden, was diese Empf<strong>in</strong>dungen<br />

beseitigt.<br />

Vergnügen und Zufriedenheit s<strong>in</strong>d Aspekte des Gemüts.<br />

Frage diejenigen, die sich von diesen betroffen<br />

fühlen, wie es ihnen damit ergeht.<br />

Weil du mich gefragt hast, sage ich dir, <strong>das</strong>s ich<br />

stets zufrieden b<strong>in</strong>, da ich <strong>der</strong> Höchste Geist b<strong>in</strong> – allgegenwärtig<br />

und allesdurchdr<strong>in</strong>gend wie <strong>der</strong> Raum.<br />

Ich b<strong>in</strong> <strong>das</strong> <strong>in</strong>nere Selbst aller Wesen. Wie könnte ich<br />

also durch all <strong>das</strong> beschränkt werden? We<strong>der</strong> komme<br />

noch gehe ich – ich b<strong>in</strong> nicht auf irgende<strong>in</strong>en bestimmten<br />

Ort zu begrenzen. Du bist we<strong>der</strong> verschieden<br />

von mir noch b<strong>in</strong> ich verschieden von de<strong>in</strong>em eigenen<br />

Selbst. Ist es demnach s<strong>in</strong>nvoll zu fragen, von<br />

woher ich komme, wo ich wohne und woh<strong>in</strong> ich zu<br />

gehen beabsichtige?<br />

30


Was die Menschen von dir sehen, bist nicht du. Was<br />

die Menschen von an<strong>der</strong>en sehen, s<strong>in</strong>d nicht sie. Was<br />

die Menschen von mir sehen, b<strong>in</strong> nicht ich.<br />

Vom Unterschied zwischen süßem und an<strong>der</strong>em<br />

Essen sprach ich nur deshalb, um de<strong>in</strong>e Me<strong>in</strong>ung darüber<br />

zu hören. Gibt es für denjenigen, <strong>der</strong> isst, wirklich<br />

so etwas wie Süßes o<strong>der</strong> Nicht-süßes? Was man<br />

zuvor als süß o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>es betrachtet hat, ist nicht<br />

mehr so, nachdem man sich satt gegessen hat, und<br />

was nicht süß o<strong>der</strong> gut ist, wird deshalb so, weil die<br />

Person es als solches ansieht. Welches Essen ist denn<br />

gleichermaßen erfreulich am Anfang, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Mitte und<br />

am Ende?<br />

So wie e<strong>in</strong> Haus aus Lehm fester wird, <strong>in</strong>dem es mit<br />

frischem Lehm beworfen wird, so wird auch dieser<br />

aus erdhaftem Material gefertigte Körper durch w<strong>in</strong>zige,<br />

unendlich kle<strong>in</strong>e Partikel aus Erde zusammengehalten<br />

und am Leben erhalten. Graupen, Weizen, L<strong>in</strong>sen,<br />

Öl, Milch, Rahm, Zucker, Früchte und all <strong>das</strong> bestehen<br />

aus Erde. Du hast nun erfahren, was 'süß' ist<br />

und was nicht. Handele nun so, <strong>das</strong>s die Erkenntnis<br />

<strong>der</strong> Identität <strong>in</strong> dich e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gt, denn dies führt zur Befreiung.“<br />

Nachdem er die Unterweisung, die den wahren<br />

Zweck des Lebens erläuterte, angehört hatte, verneigte<br />

Nidagha sich demutsvoll und sagte: „Bitte sei mir<br />

nicht böse. Du kamst zu me<strong>in</strong>em <strong>spirituelle</strong>n Nutzen<br />

hierher. Nachdem ich dich angehört habe, ist die<br />

Schwäche me<strong>in</strong>es Verstandes verschwunden. Teile<br />

mir bitte den Grund mit, aus dem du hierher gekom-<br />

31


men bist.“<br />

<strong>Ribhu</strong> sagte: „Oh Nidagha, ich b<strong>in</strong> <strong>Ribhu</strong>, de<strong>in</strong> Lehrer,<br />

und ich b<strong>in</strong> gekommen, um dir Weisheit und wahre<br />

Erkenntnis zu schenken. Ich kam hierher und werde<br />

jetzt, da du die höchste Wahrheit, den wahren S<strong>in</strong>n<br />

des Lebens, kennen gelernt hast, wie<strong>der</strong> gehen. Wisse,<br />

<strong>das</strong>s es nur E<strong>in</strong>es gibt und <strong>das</strong> gesamte Universum<br />

frei von Unterschiedenheit ist. All <strong>das</strong> s<strong>in</strong>d lediglich<br />

Manifestationen des Absoluten Se<strong>in</strong>s, welches man<br />

auch Vasudeva (Gott als <strong>das</strong> <strong>in</strong> allen Wesen wohnende<br />

Höchste Selbst) nennt. Betrachte dieses Universum<br />

als die e<strong>in</strong>e, ungeteilte Natur des Höchsten Geistes.“<br />

Nachdem er so gesprochen hatte, schied <strong>Ribhu</strong>.<br />

Die Geschichte vom Elefanten und dem<br />

König<br />

Obgleich <strong>Ribhu</strong> se<strong>in</strong>em Schüler die Höchste Wahrheit<br />

des Brahman, des E<strong>in</strong>en ohne e<strong>in</strong> Zweites, mitgeteilt<br />

hatte, konnte Nidagha trotz se<strong>in</strong>er Gelehrsamkeit und<br />

se<strong>in</strong>es Verständnisses nicht die nötige Überzeugung<br />

gew<strong>in</strong>nen, die nötig gewesen wäre, um dem Pfad des<br />

Jnana (Erkenntnis) zu folgen. Er ließ sich stattdessen<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Geburtsstadt nie<strong>der</strong>, um e<strong>in</strong> Leben <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

H<strong>in</strong>gabe an religiöse Riten zu führen.<br />

Der Weise <strong>Ribhu</strong> jedoch liebte se<strong>in</strong>en Schüler so<br />

tief, wie die dieser wie<strong>der</strong>um se<strong>in</strong>en Meister verehrte.<br />

Trotz se<strong>in</strong>es fortgeschrittenen Alters begab sich <strong>Ribhu</strong><br />

wie<strong>der</strong>um zu se<strong>in</strong>em Schüler an dessen Wohnort,<br />

32


um zu schauen, wie weit dieser dem Ritualismus entwachsen<br />

und gereift war. Kurz vor <strong>der</strong> Begegnung<br />

nahm <strong>Ribhu</strong> e<strong>in</strong>e Verkleidung an, um beobachten zu<br />

können, wie Nidagha sich ohne Kenntnis <strong>der</strong> Person<br />

des Meisters, die vor ihm stand, verhalten würde.<br />

Nachdem e<strong>in</strong>ige weitere tausend himmlische Jahre<br />

vergangen waren, erschien also <strong>Ribhu</strong> an dem Ort, an<br />

dem Nidagha lebte. Dort fand <strong>Ribhu</strong>, <strong>der</strong> sich die Maske<br />

e<strong>in</strong>es Bauern zugelegt hatte, Nidagha, wie dieser<br />

gerade darauf erpicht war, e<strong>in</strong>en königlichen Aufzug<br />

zu verfolgen. Unerkannt durch Nidagha fragte <strong>der</strong><br />

Bauern ihn, was <strong>der</strong> Grund für den Aufmarsch sei und<br />

erhielt die Antwort, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> König gerade vorbeiziehe.<br />

„Oh! Der König also! Er zieht hier vorbei. Wo aber<br />

ist er denn?“, fragte <strong>der</strong> Alte.<br />

„Dort, auf dem Elefanten“, erwi<strong>der</strong>te Nidagha.<br />

„Du sagst, <strong>der</strong> König sei auf dem Elefanten. Ja, ich<br />

sehe beide“, antwortete <strong>der</strong> Alte. „Welcher <strong>der</strong> beiden<br />

aber ist <strong>der</strong> König und welcher <strong>der</strong> Elefant?“<br />

„Wie?“, rief Nidagha aus. „Du siehst die beiden,<br />

weißt aber nicht, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> Mann oben <strong>der</strong> König und<br />

<strong>das</strong> Tier darunter <strong>der</strong> Elefant ist? Wieso sollte man<br />

mit e<strong>in</strong>em Menschen wir dir se<strong>in</strong>e Zeit verschwenden?“<br />

„Bitte sei nicht ungeduldig mit e<strong>in</strong>em dummen<br />

Menschen wie mir“, bettelte <strong>der</strong> Alte. „Du hast aber<br />

gesagt: 'oben' und 'unten'. Was bedeutet <strong>das</strong>?“<br />

Nidagha hielt nicht länger an sich und platzte heraus:<br />

„Du siehst den König und den Elefanten, den<br />

33


e<strong>in</strong>en oben und den an<strong>der</strong>en unten. Und doch möchtest<br />

du immer noch wissen, was mit 'oben' und 'unten'<br />

geme<strong>in</strong>t ist? Wenn die D<strong>in</strong>ge vor de<strong>in</strong>en Augen<br />

und die dir mitgeteilten Worte so wenig <strong>in</strong> dir bewirken,<br />

kann nur die Tat dich etwas lehren. Beuge dich<br />

vor – du wirst schon bald wissen, was ich me<strong>in</strong>e.“<br />

Der Alte tat, wie ihm geheißen wurde. Nidagha<br />

kletterte auf se<strong>in</strong>e Schultern und sagte: „Nun wirst du<br />

es wohl wissen. Ich b<strong>in</strong> oben als <strong>der</strong> König und du unten<br />

als <strong>der</strong> Elefant. Ist dies klar genug für dich?“<br />

„Nun, noch nicht ganz“, erwi<strong>der</strong>te <strong>der</strong> Alte ruhig.<br />

„Du sagtest, du seiest oben als <strong>der</strong> König und ich sei<br />

unten als <strong>der</strong> Elefant. 'König', 'Elefant', 'unten' und<br />

'oben' – so weit habe ich die Sache verstanden. Aber<br />

bitte sage mir doch, was du mit 'ich' und 'du' me<strong>in</strong>st?“<br />

Als Nidagha so plötzlich und unerwartet mit dem<br />

gewaltigen Problem <strong>der</strong> Bestimmung e<strong>in</strong>es 'du' getrennt<br />

von e<strong>in</strong>em 'ich' konfrontiert wurde, g<strong>in</strong>g ihm<br />

e<strong>in</strong> Licht auf. Er sprang sofort vom Rücken des Alten<br />

h<strong>in</strong>unter und fiel se<strong>in</strong>em Meister zu Füßen. Er sprach:<br />

„Wer an<strong>der</strong>es als me<strong>in</strong> verehrungswürdiger Meister<br />

<strong>Ribhu</strong> hätte me<strong>in</strong>en Verstand von den Oberflächlichkeiten<br />

<strong>der</strong> physischen Existenz befreien und ihn zum<br />

wahren Se<strong>in</strong> des Selbst h<strong>in</strong>leiten können? Oh heiliger<br />

Meister, ich erbitte de<strong>in</strong>en Segen!“<br />

<strong>Ribhu</strong> erwi<strong>der</strong>te: „Oh Nidagha, ich b<strong>in</strong> <strong>Ribhu</strong>. Da ich<br />

erfreut über de<strong>in</strong>e Fortschritte war, b<strong>in</strong> ich hierher<br />

gekommen, um dir, oh Hochges<strong>in</strong>nter, <strong>spirituelle</strong> Unterweisung<br />

zu erteilen. Hiermit habe ich dir <strong>in</strong> aller<br />

Kürze die göttliche Wahrheit, die Essenz <strong>der</strong> Nicht-<br />

34


Unterschiedenheit von allem, mitgeteilt.“<br />

Nidagha sagte: „Du und ke<strong>in</strong> an<strong>der</strong>er bist me<strong>in</strong> Lehrer.<br />

Durch niemanden sonst konnte me<strong>in</strong> Verstand<br />

frei von <strong>der</strong> dualistischen Zwiespältigkeit werden.“<br />

<strong>Ribhu</strong> fuhr fort: „Ich kam hierher, um dir die Erkenntnis<br />

des Brahman mitzuteilen. Ich habe dir die<br />

höchste Wahrheit aufgezeigt, die die wahre Essenz ist<br />

und auf Das, was <strong>das</strong> E<strong>in</strong>e ohne e<strong>in</strong> Zweites ist, verweist.“<br />

Bharata fuhr fort: „Nachdem er so gesprochen hatte,<br />

schied <strong>Ribhu</strong>. Auch Nidagha gelangte durch die Unterweisung<br />

<strong>Ribhu</strong>s schließlich zur Überzeugung von<br />

<strong>der</strong> Nondualität. Schließlich nahm er alle Wesen ohne<br />

jeden Unterschied als se<strong>in</strong> eigenes Selbst wahr. Durch<br />

<strong>das</strong> Mittel <strong>der</strong> Erkenntnis erlangte er die Befreiung.<br />

Betrachte daher, oh König, dich selbst als e<strong>in</strong>s mit<br />

allen Wesen und sieh alle, Freunde und Fe<strong>in</strong>de, mit<br />

dem Auge des Gleichmuts an. Du, ich und alle an<strong>der</strong>en<br />

Wesen s<strong>in</strong>d <strong>das</strong> allesdurchdr<strong>in</strong>gende E<strong>in</strong>e (Vishnu).<br />

So wie <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Himmel verschiedenfarbig o<strong>der</strong> unterschiedlich<br />

hell o<strong>der</strong> dunkel wahrgenommen wird,<br />

so wird auch <strong>das</strong> e<strong>in</strong>e Selbst aufgrund fehlerhafter<br />

Wahrnehmung als verschieden und getrennt wahrgenommen.<br />

Das, was im Universum existiert, ist <strong>das</strong><br />

dauernde, unver<strong>der</strong>bliche E<strong>in</strong>e (Acutya). Es existiert<br />

nichts davon Verschiedenes. Das b<strong>in</strong> ich. Das bist du.<br />

Das ist alles. All dies hier ist von <strong>der</strong> Natur von Dem.<br />

Gib daher die falschen Ideen über Verschiedenheit<br />

auf.“<br />

(Der Feuergott bzw. Parasara sprach:) Der König<br />

35


wurde des wahren S<strong>in</strong>nes des Lebens gewahr. Er entsagte<br />

sämtlichen Konzepten <strong>der</strong> Unterschiedenheit<br />

und Individualität. Der König erlangte schließlich<br />

durch <strong>das</strong> Mittel <strong>der</strong> Erkenntnis, wie sie von Bharata<br />

erteilt wurde, die Befreiung. Der Verstand <strong>der</strong>jenigen<br />

Person, die voller Glauben dieser Geschichte des Bharata<br />

lauscht, wird erleuchtet und begeht nicht wie<strong>der</strong><br />

den Fehler e<strong>in</strong>er Wahrnehmung von Verschiedenheit<br />

und Individualität. Meditiere über die Wahrheit des<br />

Brahman, denn sie ist <strong>der</strong> Zerstörer des Baumes <strong>der</strong><br />

Unwissenheit des Samsara (endlose Illusion, weltliche<br />

Existenz, Zyklus <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburt).<br />

36


Über die beste Art <strong>der</strong> Annäherung an<br />

die Selbst-Erkenntnis<br />

Die Ver<strong>in</strong>nerlichung des „ich“-losen „Ich“, des e<strong>in</strong>en<br />

Absoluten Selbst, welches immerwährend ist, ist essenziell<br />

für die Zerstörung <strong>der</strong> Unwissenheit, die alle<strong>in</strong><br />

die Ursache von B<strong>in</strong>dung und Illusion ist. Die Unterweisungen<br />

<strong>Ribhu</strong>s verstehen sich als e<strong>in</strong> Mittel zur<br />

Zerstörung <strong>der</strong> Unwissenheit und nur durch dieses<br />

Mittel können die Erkenntnis und die Enthüllung <strong>der</strong><br />

Wirklichkeit bewirkt werden. Das Selbst ist die e<strong>in</strong>e<br />

Realität. Verstanden wird dies von denjenigen, die<br />

ihre eigene Natur ergründen und sie als frei von den<br />

Begrenzungen erkennen, wie diese aufgrund von Fehlidentifikation<br />

jener überlagert werden. Der Text <strong>der</strong><br />

<strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> dient gleichzeitig <strong>der</strong> Beschreibung des<br />

Unbeschreibbaren und <strong>der</strong> detaillierten Erläuterung<br />

dessen, worüber im Verlaufe <strong>der</strong> Ergründung des eigenen<br />

Innern meditiert werden sollte, um <strong>das</strong> Selbst<br />

als <strong>das</strong>, was es ist, zu kennen.<br />

Der Text ist für die spirituell ges<strong>in</strong>nten Menschen<br />

gedacht, die sich die Grundlagen e<strong>in</strong>es Pfades angeeignet<br />

haben, <strong>der</strong> zur Selbst-Verwirklichung o<strong>der</strong> Befreiung<br />

führt (wie man <strong>in</strong> dem Fall sagt, wenn die Betonung<br />

auf die Freiheit von <strong>der</strong> B<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> Fehlidentfikation<br />

und Anhaftung gelegt wird). Er setzt voraus,<br />

<strong>das</strong>s verstanden worden ist, <strong>das</strong>s andauerndes<br />

Glück, Freiheit und Frieden nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> äußerlichen<br />

Welt zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d, da alle diese Objekte nur durch<br />

an<strong>der</strong>e Objekte o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Leute, Umstände, Ereig-<br />

37


nisse o<strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>en Gott, <strong>der</strong> als verschieden vom<br />

Selbst betrachtet wird, erlangt werden können. Wer<br />

dies versteht, hat die Methode <strong>der</strong> Nichtanhaftung an<br />

sämtliche D<strong>in</strong>ge ver<strong>in</strong>nerlicht. Der Text geht ferner<br />

davon aus, <strong>das</strong>s man verstanden hat, <strong>das</strong>s <strong>der</strong> Ausdruck<br />

„<strong>das</strong> Selbst“ <strong>das</strong> unpersönliche Absolute bezeichnet.<br />

Man möge verstehen, <strong>das</strong>s nur diese Selbst-<br />

Erkenntnis zu dieser Verwirklichung o<strong>der</strong> Befreiung<br />

führt, während die Ziele und Zwecke äußerer religiöser<br />

Praktiken und Zielsetzungen Dualismus und die<br />

Manipulation des Körpers, <strong>der</strong> S<strong>in</strong>ne, <strong>der</strong> subtilen Lebenskraft<br />

und <strong>der</strong> Gedankenprozesse be<strong>in</strong>halten und<br />

daher als Frucht nicht diese Verwirklichung abwerfen<br />

können. Der Text setzt voraus, <strong>das</strong>s man sich des außerordentlich<br />

hohen Wertes <strong>der</strong> Ergründung des eigenen<br />

Selbst bewusst geworden ist und versteht, <strong>das</strong>s<br />

die wirksame Kraft dieser Ergründung vom lebhaften<br />

Wunsch nach Befreiung gespeist wird. Für diejenige<br />

Person, die glühendes Verlangen danach hat, <strong>das</strong><br />

Selbst zu kennen, die die wahre Natur des Selbst unterscheiden<br />

zu lernen wünscht, die gänzlich frei von<br />

<strong>der</strong> Verwirrung betreffend <strong>das</strong> Wirkliche und <strong>das</strong> Unwirkliche,<br />

<strong>das</strong> Selbst und <strong>das</strong> Nicht-Selbst werden<br />

und wissen möchte, was Seligkeit und Leiden <strong>in</strong><br />

Wahrheit s<strong>in</strong>d, ist die <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> e<strong>in</strong> wahrer Segen.<br />

Wie oben schon festgestellt, ist die Selbst-Erkenntnis<br />

e<strong>in</strong> absolutes Erfor<strong>der</strong>nis des Verstehens. Die Erlangung<br />

dieser Erkenntnis hängt vor allem an<strong>der</strong>en<br />

von <strong>der</strong> Tiefe <strong>der</strong> Ergründung ab. Es ist die Selbst-Ergründung,<br />

die <strong>das</strong> kühne Gewahrse<strong>in</strong> <strong>der</strong> eigenen,<br />

38


wahren Identität, des Selbst, welches die Natur von<br />

Se<strong>in</strong>-Bewusstse<strong>in</strong>-Seligkeit besitzt, schafft. Wer dies<br />

als die Grundlage <strong>der</strong> hier enthaltenen, tiefgründigen<br />

Unterweisungen auffasst, für den wird <strong>das</strong> Studium<br />

und die Meditation <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> äußerst fruchtbar<br />

se<strong>in</strong>.<br />

Die weniger fruchtbaren Annäherungen an diese<br />

nonduale Schrift s<strong>in</strong>d affirmative Praktiken, die bloße<br />

Wie<strong>der</strong>holung und Rezitation <strong>der</strong> <strong>in</strong> diesem Text enthaltenen<br />

Worte und Sätze o<strong>der</strong> die Auffassung dieser<br />

Unterweisungen als e<strong>in</strong>e abgelegene, abstrakte und<br />

theoretische Spekulation fern je<strong>der</strong> eigenen Erfahrung.<br />

E<strong>in</strong>e Affirmationspraxis beruht auf dem dualistischen<br />

Glauben, <strong>das</strong>s Gedanken die eigene Natur<br />

o<strong>der</strong> die Realität bestimmen könnten. Die Freiheit<br />

von e<strong>in</strong>em solchen Glauben ist jedoch wesentlich dafür,<br />

<strong>das</strong> Selbst als <strong>das</strong> zu kennen, was es ist, nämlich<br />

frei von <strong>der</strong> B<strong>in</strong>dung an Gedanken. Die bloße Wie<strong>der</strong>holung<br />

von Wörtern und Sätzen bewirkt nicht die direkte<br />

Erfahrung <strong>der</strong> Selbst-Erkenntnis, die von den<br />

Weisen mit den Worten beschrieben wird: „Das, vor<br />

dem Worte und Gedanken zurückweichen – unfähig,<br />

es zu erreichen.“ E<strong>in</strong> Wort o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Gedanke kann niemals<br />

<strong>das</strong> Selbst o<strong>der</strong> Bewusstse<strong>in</strong> se<strong>in</strong>, denn die wahre<br />

Erkenntnis des Bewusstse<strong>in</strong>s ist notwendigerweise<br />

von <strong>der</strong>selben Natur wie Bewusstse<strong>in</strong> selbst. Die Betrachtung<br />

<strong>der</strong> Unterweisung wie<strong>der</strong>um als abgelegen<br />

und abstrakt ignoriert die Unmittelbarkeit des Selbst<br />

und die stets gegenwärtige Natur des Absoluten, denn<br />

niemand kann se<strong>in</strong>e eigene Existenz verleugnen. E<strong>in</strong>e<br />

39


Betrachtung des Absoluten als abgelegen o<strong>der</strong> an e<strong>in</strong>em<br />

bestimmten Ort bef<strong>in</strong>dlich wäre die Wahrnehmung<br />

e<strong>in</strong>er Begrenzung <strong>in</strong> ihm. Dieses Se<strong>in</strong> ist <strong>das</strong><br />

Selbst, <strong>das</strong> Absolute selbst, und <strong>der</strong> Zweck <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong><br />

<strong>Gita</strong> besteht dar<strong>in</strong>, die klare Erkenntnis dessen zu beför<strong>der</strong>n.<br />

Klare Erkenntnis ist <strong>das</strong>selbe wie Selbst-Verwirklichung.<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus sollte festgehalten werden,<br />

<strong>das</strong>s obwohl Teile des Textes den Siva zugeschriebenen<br />

Symbolismus enthalten, die Betonung<br />

hier doch e<strong>in</strong>deutig auf <strong>der</strong> essenziellen Selbst-Erkenntnis<br />

liegt. Der Sucher ist daher gut beraten, stets<br />

<strong>der</strong> Letzteren zu folgen und sich nicht darum zu bekümmern,<br />

ob <strong>das</strong> Erstere im Kontext <strong>der</strong> eigenen <strong>spirituelle</strong>n<br />

Praxis vorkommt o<strong>der</strong> nicht. „Siva“ bedeutet<br />

wörtlich „<strong>das</strong> Gute“ o<strong>der</strong> „<strong>das</strong> Vorzügliche“. In <strong>der</strong><br />

exoterischen Tradition wird Siva als e<strong>in</strong>er <strong>der</strong> Götter<br />

aus <strong>der</strong> heiligen Tr<strong>in</strong>ität betrachtet, dessen beson<strong>der</strong>e<br />

Funktion <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zerstörung alles Geschaffenen gesehen<br />

wird. Er wird auch als <strong>der</strong> Gott für alle angesehen.<br />

Esoterisch gesprochen mag Siva als Bewusstse<strong>in</strong><br />

selbst verstanden werden, dem die Macht zur Auflösung<br />

aller Täuschung und allen Irrtums e<strong>in</strong>geboren<br />

ist und welches selbst für immer ewiges, unteilbares<br />

und formloses Se<strong>in</strong> ist.<br />

Erkenntnis wird durch Selbst-Ergründung enthüllt.<br />

Wie <strong>der</strong> Maharshi hervorgehoben hat, „ist Selbst-Ergründung<br />

<strong>das</strong> e<strong>in</strong>e, unfehlbare Mittel, <strong>das</strong> e<strong>in</strong>zige direkte,<br />

welches <strong>das</strong> unbed<strong>in</strong>gte, Absolute Se<strong>in</strong> verwirklicht,<br />

<strong>das</strong> du <strong>in</strong> Wahrheit bist.“ Er sagte auch:<br />

„Wenn de<strong>in</strong>e eigene <strong>spirituelle</strong> Praxis selbst von <strong>der</strong><br />

40


Existenz von Begrenzungen ausgeht – wie kann sie<br />

dir dann dabei helfen, diese loszuwerden?“ Und: „Der<br />

e<strong>in</strong>zige Weg, den Kummer loszuwerden, besteht dar<strong>in</strong>,<br />

<strong>das</strong> Selbst zu kennen und zu se<strong>in</strong>.“ Die Entfernung<br />

des Illusorischen und nicht die Erzeugung o<strong>der</strong> Schaffung<br />

von etwas an<strong>der</strong>em führt zu dem, was immerwährend<br />

ist.<br />

Die Selbst-Ergründung unterliegt nicht den vier<br />

dualistischen Gesichtspunkten <strong>der</strong> Praxis und Verwirklichung.<br />

Diese vier Gesichtspunkte bestehen <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Auffassung von Praxis und Verwirklichung <strong>in</strong><br />

Begriffen <strong>der</strong> Erzeugung, Umwandlung, Re<strong>in</strong>igung<br />

und dem Erwerb von etwas. Das Selbst ist durch<br />

nichts erzeugt o<strong>der</strong> geschaffen; <strong>das</strong> Charakteristische<br />

<strong>der</strong> Realität besteht dar<strong>in</strong>, <strong>das</strong>s sie immer ist. Die Verwirklichung<br />

des Selbst ist ke<strong>in</strong>e Umwandlung, weil es<br />

unmöglich ist, <strong>das</strong>s etwas wie <strong>das</strong> Ego, welches als<br />

von <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en Natur seiend verstanden wird, <strong>in</strong> etwas<br />

verwandelt werden könnte, was se<strong>in</strong>er Natur nach<br />

an<strong>der</strong>s und außerdem (wie <strong>das</strong> Selbst) von höherer<br />

Art ist. Wirklichkeit ist <strong>das</strong>, was sie immer ist, ohne<br />

sich zu verän<strong>der</strong>n. Dementsprechend ist <strong>das</strong> Selbst<br />

auf immer re<strong>in</strong> und mit nichts vermischt. Ke<strong>in</strong>e Re<strong>in</strong>igung<br />

gleich welchen Umfangs könnte daher etwas,<br />

was nicht <strong>das</strong> Selbst ist, <strong>in</strong> <strong>das</strong> Selbst verwandeln.<br />

Ferner ist <strong>das</strong> Selbst immer gegenwärtig und darüber<br />

h<strong>in</strong>aus <strong>das</strong> Selbst von allen, <strong>das</strong> eigene, wahre Wesen.<br />

Es kann nicht als etwas getrennt von mir Existierendes<br />

erlangt o<strong>der</strong> erworben werden. Der richtige,<br />

fruchtbare Weg zur Annäherung besteht daher dar<strong>in</strong>,<br />

41


<strong>das</strong> Selbst zu ergründen, welches man <strong>in</strong> Wahrheit<br />

immer ist. Wer dies unternimmt, erwacht von <strong>der</strong> Illusion<br />

<strong>der</strong> Verschiedenheit und erlangt Befreiung von<br />

allen e<strong>in</strong>gebildeten B<strong>in</strong>dungen.<br />

42


Wie man mit diesem Text arbeiten<br />

sollte<br />

Wie <strong>der</strong> Maharshi sagte, lässt sich dieser Text für den<br />

Zweck <strong>der</strong> Ergründung „Wer b<strong>in</strong> ich?“ verwenden. Er<br />

hilft bei <strong>der</strong> Entfernung <strong>der</strong> Fehlidentifikation und<br />

<strong>der</strong> falschen, dem Selbst durch Täuschung zugeschriebenen<br />

Attributierungen und unterstützt dabei,<br />

sie als solche zu erkennen.<br />

Man kann diesen Text dazu verwenden, e<strong>in</strong>e feste<br />

Überzeugung bezüglich des Selbst zu gew<strong>in</strong>nen. Diese<br />

Überzeugung besteht <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em empirisch begründeten,<br />

gefestigten Verständnis <strong>der</strong> eigenen, wirklichen<br />

Identität.<br />

Ferner mag man diesen Text auch dazu benutzen,<br />

<strong>das</strong> Ich-Gefühl nach <strong>in</strong>nen <strong>in</strong> Richtung des Selbst zu<br />

lenken. Indem man se<strong>in</strong>er eigenen Identität auf diese<br />

Weise nachspürt, erlangt man schließlich die Befähigung,<br />

als Das <strong>in</strong> Dem zu verbleiben, was nach Aussage<br />

dieser Schrift selbstbeweisend ist.<br />

Man kann den Text auch so lesen, <strong>das</strong>s man Zeile<br />

für Zeile o<strong>der</strong> Strophe für Strophe über se<strong>in</strong>e Bedeutung<br />

meditiert. Bei dieser Vorgehensweise wird man<br />

feststellen, <strong>das</strong>s die wichtigsten Themen, über die<br />

meditiert wird, knapp und bündig im Schlussvers jedes<br />

Kapitels zusammengefasst werden. E<strong>in</strong>gebettet<br />

s<strong>in</strong>d diese Zusammenfassungen <strong>in</strong> den tiefgründigen,<br />

reichen Symbolismus des Nataraja („König des Tanzes“,<br />

e<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ungsform des Gottes Shiva).<br />

Mit <strong>der</strong> Hilfe dieses Textes vermag man vollständi-<br />

43


ge Nichtanhaftung zu erlangen, die wie<strong>der</strong>um notwendig<br />

zur Verwirklichung <strong>der</strong> vollkommenen Fülle<br />

des Selbst o<strong>der</strong> Brahman dazugehört. Die Passagen<br />

über die Negation lassen sich dazu verwenden, sich<br />

selbst vollständig von allem, was negiert wird, zu lösen,<br />

während wie<strong>der</strong>um die Passagen betreffend die<br />

Integration zur Auslöschung <strong>der</strong> Neigung, sich an irgende<strong>in</strong><br />

D<strong>in</strong>g zu b<strong>in</strong>den, dienen. Die sich daraus ergebende<br />

Erfahrung besteht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Unabhängigkeit gegenüber<br />

allem und jedem, denn <strong>das</strong> Selbst wird von<br />

nichts gestützt – se<strong>in</strong>e Seligkeit hängt von nichts, was<br />

immer es auch sei, ab.<br />

Der Text hilft dabei, sich selbst von allen Arten von<br />

Konzepten zu befreien. In <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> f<strong>in</strong>det man<br />

die Elim<strong>in</strong>ierung bzw. Negation <strong>der</strong> Konzepte von allem<br />

nur Denkbaren, sei dieses weltlicher o<strong>der</strong> <strong>spirituelle</strong>r<br />

Natur o<strong>der</strong> wirklich bzw. unwirklich. Sämtliche<br />

Konzepte über die Welt, <strong>das</strong> Individuum und <strong>das</strong> Absolute<br />

werden negiert. Dementsprechend werden<br />

auch sämtliche Konzepte über <strong>das</strong> Bekannte, <strong>das</strong> Kennen<br />

und den Kenner elim<strong>in</strong>iert. Die Negation <strong>der</strong> Realität<br />

führt schließlich zur sich selbst enthüllenden<br />

Realität, denn diese als <strong>das</strong> Selbst ist ke<strong>in</strong> Konzept.<br />

Sie ist <strong>das</strong> E<strong>in</strong>e, welches niemals wahrgenommen<br />

werden könnte, aber gleichwohl <strong>in</strong> <strong>der</strong> Selbst-Erkenntnis<br />

verwirklicht wird. Die Elim<strong>in</strong>ierung <strong>der</strong><br />

Konzepte wirkt gleichzeitig als e<strong>in</strong>e Vertiefung des<br />

Verständnisses betreffend <strong>das</strong> Selbst.<br />

Der Text ist ferner nützlich für die Meditation über<br />

die Identität mit dem Se<strong>in</strong>-Bewusstse<strong>in</strong>, welches die<br />

44


<strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> als <strong>das</strong> Selbst, Brahman bzw. <strong>das</strong> „Ich“ erklärt.<br />

Die Identifikation mit dem Se<strong>in</strong>-Bewusstse<strong>in</strong><br />

statt mit irgendetwas an<strong>der</strong>em, sei dies nun <strong>der</strong> Körper,<br />

die S<strong>in</strong>ne, <strong>der</strong> Verstand o<strong>der</strong> <strong>das</strong> Ego, bedeutet<br />

<strong>das</strong> Verbleiben <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erkenntnis, <strong>in</strong> welcher se<strong>in</strong> und<br />

Kennen dieses Se<strong>in</strong>s e<strong>in</strong> und <strong>das</strong>selbe s<strong>in</strong>d.<br />

Man verwende diesen Text dazu, über die gänzliche<br />

Unwirklichkeit von allem Negierten zu meditieren,<br />

zum Gewahrse<strong>in</strong> des wahren Se<strong>in</strong>s zu gelangen und<br />

so die allgegenwärtige, allesdurchdr<strong>in</strong>gende und unterschiedslose<br />

Natur dieses Se<strong>in</strong>s zu schauen.<br />

Während <strong>der</strong> Meditation und <strong>der</strong> Arbeit mit diesem<br />

Text wird <strong>der</strong> Aspirant sehen, <strong>das</strong>s es bezüglich <strong>der</strong><br />

Erfahrung damit o<strong>der</strong> dem Fortschritt dieser Tätigkeit<br />

ke<strong>in</strong>erlei Zeitfaktor gibt. Jede e<strong>in</strong>zelne Strophe<br />

kann zu e<strong>in</strong>er kont<strong>in</strong>uierlichen Meditation o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er<br />

plötzlichen Enthüllung führen. Die Erkenntnis selbst<br />

hat mit Dem zu tun, was we<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Wesenheit e<strong>in</strong>es<br />

Grades nach o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Art von Bewegung, son<strong>der</strong>n<br />

immer gegenwärtig ist. Der schiere Umfang <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong><br />

<strong>Gita</strong> bewirkt ganz von selbst e<strong>in</strong>e fortschreitende,<br />

tiefer und tiefer verlaufende Meditation und <strong>spirituelle</strong><br />

Erfahrung.<br />

Die <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> verlangt Eifer und Beharrlichkeit gepaart<br />

mit e<strong>in</strong>er Intensität des Verstehens, selbstkritischer<br />

Überprüfung und <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Selbst-Ergründung.<br />

Je<strong>der</strong> muss für sich selber herausf<strong>in</strong>den, auf<br />

welche Weise er die Unwissenheit immer wie<strong>der</strong> aufs<br />

Neue heraufbeschwört und falschen Ideen anhängt.<br />

Schließlich sollte man methodisch die Grundsätze <strong>der</strong><br />

45


Ergründung auf sich selbst anwenden, sämtliche Fehlidentifikationen<br />

mit ihrer Hilfe beseitigen und als <strong>das</strong><br />

wahre Selbst verbleiben. So umfangreich und erschöpfend<br />

die <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> auch ist, so kann sie doch<br />

nur e<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Anleitung bieten, die auf die eigene,<br />

unmittelbare Erfahrung angewandt werden sollte.<br />

E<strong>in</strong>e solche Anwendung ist wesentlich für e<strong>in</strong>e erfolgreiche,<br />

<strong>spirituelle</strong> Praxis.<br />

Viele Passagen <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> ersche<strong>in</strong>en auf den<br />

ersten Blick paradox – entwe<strong>der</strong> <strong>in</strong>nerhalb von sich<br />

selbst o<strong>der</strong> <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit an<strong>der</strong>en Strophen des<br />

Textes. Das sche<strong>in</strong>bare Paradox besteht jedoch nur so<br />

lange, wie man den Text auf <strong>der</strong> Basis e<strong>in</strong>es konzeptuellen<br />

Prozesses zu <strong>in</strong>terpretieren versucht, <strong>der</strong> von<br />

<strong>der</strong> Existenz e<strong>in</strong>er Ego-Wesenheit ausgeht. Wenn<br />

dann durch Ergründung die Nicht-Existenz des Egos<br />

und <strong>der</strong> auf ihm gründenden Konzepte erkannt wird,<br />

fällt <strong>das</strong> Paradox fort, denn <strong>der</strong> Weg für die Erkenntnis<br />

des ungeteilten Se<strong>in</strong>s ist frei geworden.<br />

<strong>Ribhu</strong> verwendet zur Enthüllung <strong>der</strong> nondualen<br />

Wahrheit die Negation für beide Seiten <strong>der</strong> dualen<br />

Gegensatzpaare. Im Verlaufe dessen negiert er oft etwas,<br />

was kurz zuvor aber noch jemandem nahegelegt<br />

o<strong>der</strong> gepriesen worden ist. Die Unterweisung ist jedoch<br />

nicht wi<strong>der</strong>sprüchlich, son<strong>der</strong>n repräsentiert lediglich<br />

verschiedene Annäherungen an den Ausdruck<br />

e<strong>in</strong> und <strong>der</strong>selben ungeteilten Wahrheit. Aus diesem<br />

Grund preist er an manchen Stellen e<strong>in</strong>mal die Befreiung<br />

und ermahnt zur ihrer Verwirklichung, während<br />

er sie an an<strong>der</strong>en Stellen wie<strong>der</strong>um negiert und sagt,<br />

46


<strong>das</strong>s es we<strong>der</strong> Befreiung noch B<strong>in</strong>dung gäbe. Im letzteren<br />

Fall wird enthüllt, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Selbst jede Konzeption<br />

e<strong>in</strong>es Zustands o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er Bed<strong>in</strong>gtheit übersteige<br />

und daher <strong>in</strong> <strong>der</strong> Abwesenheit e<strong>in</strong>er B<strong>in</strong>dung e<strong>in</strong> getrennt<br />

von e<strong>in</strong>em selbst existieren<strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Befreiung<br />

nicht länger möglich sei. Dementsprechend<br />

<strong>in</strong>struiert er über die Erkenntnis, negiert sie aber<br />

gleichzeitig, <strong>in</strong>dem er feststellt, <strong>das</strong>s es we<strong>der</strong> Unwissenheit<br />

noch Erkenntnis gibt. Geme<strong>in</strong>t ist damit, <strong>das</strong>s<br />

<strong>der</strong> Unwissende zwar nach Erkenntnis sucht, die verwirklichte<br />

Erkenntnis jedoch we<strong>der</strong> e<strong>in</strong> getrennter<br />

Zustand o<strong>der</strong> e<strong>in</strong> Besitz, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>em unterstellten Individuum<br />

gehört, sei. Sie ist vielmehr nichts als Bewusstse<strong>in</strong>,<br />

<strong>das</strong> ohne Zustände, Bed<strong>in</strong>gtheiten, Wandel<br />

o<strong>der</strong> Modi, immer es selbst und auf immer unverdunkelt<br />

(leuchtend) ist. Man verwirklicht so die Unwirklichkeit<br />

<strong>der</strong> Unwissenheit, während die Erkenntnis als<br />

identisch mit Bewusstse<strong>in</strong>, dem eigenen, wahren Wesen,<br />

realisiert wird. Gibt es ke<strong>in</strong>e Unwissenheit, kann<br />

man auch nicht länger von e<strong>in</strong>er getrennten Erkenntnis<br />

sprechen. Auf diese Weise sollte man an <strong>das</strong> Verstehen<br />

<strong>der</strong> Unterweisungen dieses tiefgründigen Textes<br />

herangehen, <strong>in</strong> dem die undenkbare Wirklichkeit,<br />

<strong>das</strong> Selbst, frei von aller Dualität, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige Fokus<br />

ist.<br />

47


48


Schlusswort<br />

<strong>Ribhu</strong> hat großzügigerweise diese Enthüllung <strong>der</strong><br />

wun<strong>der</strong>samen Erkenntnis des Brahman, die wun<strong>der</strong>same<br />

Kenntnis des Selbst, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form dieser zeitlosen,<br />

klaren Lehre ewiger Wahrheit auf uns kommen<br />

lassen. Diejenigen, die sich angehalten gefühlt haben,<br />

sie im Laufe <strong>der</strong> Zeit immer wie<strong>der</strong> abzuschreiben<br />

und weiterzugeben, waren sich ihres unschätzbaren<br />

Wertes, dieses unvergleichlichen Schatzes <strong>der</strong> Selbst-<br />

Erkenntnis, zweifellos bewusst. Ulaganatha Swamigal<br />

hat diesen uralten Text aus <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> Sanskrit-<br />

Sprache <strong>in</strong>s Tamilische übertragen, überarbeitet und<br />

ihn neu auf klare und kluge Art angeordnet, um diejenigen,<br />

die nach Selbst-Verwirklichung streben, bei <strong>der</strong><br />

Erlangung <strong>der</strong> wesentlichen Erkenntnis zu unterstützen.<br />

Preis sei Sri Ramana Maharshi, <strong>der</strong> diesen Befreiungstext<br />

bekannt gemacht und <strong>in</strong> lebendiger Sprache<br />

nicht nur die Bedeutung des Textes, son<strong>der</strong>n auch die<br />

essenzielle Praxis <strong>der</strong> Selbst-Ergründung und <strong>der</strong><br />

schlussendlichen Erkenntnis des Selbst enthüllt hat!<br />

Der Zweck dieser Ausgabe <strong>der</strong> <strong>Ribhu</strong> <strong>Gita</strong> (Das Lied<br />

des <strong>Ribhu</strong>) besteht dar<strong>in</strong> sicherzustellen, <strong>das</strong>s diese<br />

Art <strong>der</strong> Selbst-Erkenntnis und diese Art <strong>der</strong> Ergründung<br />

zur Verwirklichung <strong>der</strong> Absoluten Wahrheit<br />

dem Sucher unserer Tage wie<strong>der</strong> zur Verfügung steht.<br />

Möge dieses Werk daher durch die <strong>spirituelle</strong> Praxis<br />

und Verwirklichung des Lesers Bestätigung f<strong>in</strong>den!<br />

Diese <strong>E<strong>in</strong>führung</strong> spricht lediglich <strong>in</strong> zusammengefas-<br />

49


ster Form und knappen Begriffen von <strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong><br />

Nondualität, <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Selbst-Ergründung, den<br />

verschiedenen, mit dieser Lehre verbundenen Anwendungen<br />

<strong>der</strong> Meditation und <strong>der</strong> essenziellen, direkten<br />

Erfahrung <strong>der</strong> Selbst-Erkenntnis. Die Society<br />

of Abidance <strong>in</strong> Truth bietet zur Vertiefung <strong>der</strong> Praxis<br />

<strong>der</strong> Selbst-Ergründung und zu ähnlichen re<strong>in</strong>en Unterweisungen<br />

<strong>der</strong> Nondualität weitere Hilfestellung<br />

an.<br />

Die Wahrheit und ihre Erkenntnis hängen von ke<strong>in</strong>er<br />

Form und nichts, was immer es auch sei, ab.<br />

Wahrheit ist auf immer unteilbar und kann niemals<br />

von e<strong>in</strong>em selbst getrennt werden. Die erhabene, alle<strong>in</strong>existierende<br />

Wirklichkeit ist <strong>der</strong> e<strong>in</strong>zige Gegenstand<br />

aller <strong>in</strong> diesem Text enthaltenen Verlautbarungen.<br />

In <strong>der</strong> Wahrheit kann es ke<strong>in</strong>e Schöpfung o<strong>der</strong> Zerstörung,<br />

ke<strong>in</strong>en Lehrer und ke<strong>in</strong>en Schüler, ke<strong>in</strong>e B<strong>in</strong>dung<br />

und ke<strong>in</strong>e Befreiung geben. Es gibt ke<strong>in</strong>en Gebundenen<br />

o<strong>der</strong> nach Befreiung Strebenden und ke<strong>in</strong>en<br />

Befreiten. Es gibt ke<strong>in</strong>e Dualität o<strong>der</strong> Unwirklichkeit<br />

und ke<strong>in</strong>e Zerstörung <strong>der</strong> Unwirklichkeit. Wahrheit<br />

alle<strong>in</strong> ist – <strong>das</strong> Selbst alle<strong>in</strong> existiert.<br />

* * *<br />

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