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Magazin Personalwirtschaft 01/2018

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<strong>Personalwirtschaft</strong><br />

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<strong>01</strong> 2<strong>01</strong>8<br />

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+++ Special: Compensation & Benefits +++ Interview: Adidas-Personalchefin Karen Parkin +++<br />

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EDITORIAL<br />

Vom Wachsen und Schrumpfen<br />

Eine einigermaßen lustige Eigenschaft des Kapitalismus<br />

ist, dass er immer zugleich wachsen und<br />

schrumpfen will. Dem ewigen Fortschrittsglauben<br />

des „Höher, schneller, weiter“ steht, klein<br />

und knauserig, das Gebot „Schlanker, straffer,<br />

zackiger“ entgegen. Nur zu wachsen, reicht eben<br />

nicht: Wer den Erlös maximieren will, muss<br />

parallel die Kosten drücken. Das sind BWL-<br />

Basics: Es geht um „Effizienz“, „Wirtschaftlichkeit“<br />

und „Optimierung“.<br />

Alles sinnvoll, solange es im Rahmen bleibt.<br />

Solange es mit Bedacht geschieht. Jeder Apfelbauer<br />

schneidet seine Bäume einmal im Jahr, weil sie<br />

dann mehr Ertrag abwerfen – hier steht Wachsen<br />

und Schrumpfen im gesunden Verhältnis.<br />

Genauso weiß aber jeder Hobbygärtner, der zu<br />

ambitioniert die Hecke geschnitten hat: Ein System,<br />

das einmal zu brutal gekürzt wurde, erholt<br />

sich nicht mehr von selbst.<br />

Nun hat eine Querschnittsabteilung wie HR, die<br />

keine direkten Umsätze erzielt, in Kostenrunden<br />

traditionell schlechte Argumente. Harte<br />

Kennzahlen zum Wirkungsgrad der eigenen<br />

Arbeit können da helfen. Doch nicht selten wird<br />

trotzdem die Rosskur verordnet: streichen, kürzen,<br />

auslagern, umschichten, günstiger werden.<br />

Und das alles am besten schnell und im laufenden<br />

Betrieb. Das hat mit „Lean Management“<br />

nicht viel zu tun. „Lean HR“ heißt nicht, blindwütig<br />

zu kürzen, sondern ist darauf bedacht,<br />

Verschwendung zu vermeiden.<br />

In unserem Schwerpunkt ab Seite 32 wird deutlich:<br />

Richtig verstanden, erlaubt Lean Management,<br />

Fragen zu stellen, die HR im Ganzen weiterbringen<br />

können. Was ist unser Auftrag im<br />

Unternehmen? Wofür wollen wir stehen? Welche<br />

unserer bisherigen Jobs machen wir weiter,<br />

was lassen wir künftig sein? Welche Allianzen<br />

schmieden wir dafür im Unternehmen und<br />

außerhalb?<br />

Doch Obacht: Vertiefen Sie sich nicht zu sehr –<br />

zum Schrumpfen bleibt in der Regel wenig Zeit.<br />

Wir müssen ja weiter wachsen.<br />

Cliff Lehnen<br />

Chefredakteur<br />

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INHALT<br />

PERSONALWIRTSCHAFT <strong>01</strong>_2<strong>01</strong>8<br />

3 EDITORIAL Vom Wachsen und Schrumpfen<br />

6 STILKRITIK Martin Schulz: Der Politiker von der traurigen Gestalt<br />

7 ZAHLEN, BITTE Die beliebtesten <strong>Personalwirtschaft</strong>-Beiträge des Jahres 2<strong>01</strong>7<br />

HR & ICH<br />

8 INTERVIEW Adidas-Personalvorstand Karen Parkin im Gespräch<br />

12 CASE STUDY Jotec: Schnelles Wachstum erfordert BGM-Strategie<br />

16 REPORT So macht HR Mitarbeiter zu Botschaftern<br />

20 IN AKTION Ein Tag mit Marion Rövekamp bei der DB Regio<br />

26 PRAXISTRANSFER Change-Kompetenz im mittleren Management<br />

28 PRAXISTRANSFER Recruiting von Fachkräften ohne Studium<br />

30 LEBENSLÄUFE Wolfgang Goebel im CV-Check<br />

TITEL: LEAN HR<br />

32 ANALYSE Simplify your Personalmanagement<br />

38 QUINTESSENZ So entrümpeln Sie HR erfolgreich<br />

SPECIAL: COMPENSATION & BENEFITS<br />

40 ROUND TABLE Die Kunst der richtigen Vergütung<br />

46 INTERVIEW Vom Team entwickeltes Vergütungssystem bei Elobau<br />

48 STUDIE Anforderungen der Generationen Y und Z an das Gehalt<br />

RECHT & POLITIK<br />

52 ANALYSE Arbeitsrechtliche Folgen der Insolvenz bei Air Berlin<br />

56 BAG & CO. Skurriles und Relevantes aus dem Gerichtssaal<br />

TECHNIK & TOOLS<br />

58 INTERVIEW Professor Dietmar Kilian über eine humanzentrierte Arbeitswelt 4.0<br />

60 CASE STUDY Der Rolling Forecast der Deutschen Bank<br />

63 UPDATE Software und Dienstleister für den Job HR<br />

FORSCHUNG & LEHRE<br />

64 STUDIE So messen Sie Führungsqualität mit nur einer Frage<br />

66 INTERNATIONAL Professor Karlheinz Schwuchow über aktuelle US-Forschung<br />

EVENT & SZENE<br />

68 TREFFPUNKT Learntec: Interview mit Keynote-Speaker Nikil Mukerji<br />

72 SESSELWECHSEL Stephan Grabmeier und Karl-Heinz Reitz im Interview<br />

74 BÜCHER Titel im Praxistest: „Innovationskultur der Zukunft“<br />

76 STELLENMARKT Aktuelle Jobs für Personalmanager<br />

80 HR BUZZWORD BINGO Warum mancher Manager einen Schatten hat<br />

81 VORSCHAU Was Sie in der Februar-Ausgabe erwartet<br />

81 IMPRESSUM<br />

82 BLICK VON AUSSEN Peter Kreuz über giftige Kennzahlen<br />

4<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


8<br />

16<br />

Foto: Adidas AG<br />

Foto: Maya Claussen<br />

20<br />

73<br />

Foto: Norbert Ittermann<br />

Foto: Computacenter AG & Co. oHG<br />

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STILKRITIK<br />

Von der traurigen Gestalt<br />

„Asozial“ und „verantwortungslos“ nennt es SPD-Chef Martin Schulz, wenn Siemens Milliardengewinne<br />

einfährt und zugleich Tausende Stellen abbaut. Damit hat er sich leider wieder einmal verrannt.<br />

VON CLIFF LEHNEN<br />

u Vielleicht wäre eine Biografie wie die des Josef Käser aus<br />

Arnsbruck im Bayerischen Wald ohne die SPD gar nicht möglich<br />

gewesen: Dass es der Arbeitersohn aus dem 2000-Seelen-<br />

Dorf in den Siebzigern an die Fachhochschule nach Regensburg<br />

schaffte, das war gelebte Bildungsgerechtigkeit. Dass er 1980<br />

bei Siemens ein- und dort aufsteigen konnte, den Konzern<br />

schon bald im Ausland repräsentieren durfte: ein Beispiel für-<br />

Chancengerechtigkeit. In den Neunzigern ging es für ihn im<br />

Auftrag des Unternehmens in die USA, und von dort kam er<br />

als gemachter Mann zurück: als „Joe Kaeser“ nämlich. Aus<br />

Josef war Joe geworden, ganz amtlich, ganz offiziell, und vor<br />

allem: ohne Umlaut. International ist das einfach<br />

praktischer. Und zielführender.<br />

Seit viereinhalb Jahren nun ist Joe Kaeser CEO<br />

von Siemens. Davor war er sieben Jahre Finanzvorstand.<br />

Er hat es ganz nach oben geschafft,<br />

weil er durch und durch Stratege ist. Und er<br />

ist bereit, einschneidende Entscheidungen zu<br />

treffen, wenn sie dem großen Ganzen dienen.<br />

So kühl wie er einst seinen Namen auf die<br />

wichtigsten Elemente reduzierte, so kündigte<br />

er auch jüngst an, in der Kraftwerks- und<br />

Antriebstechnik weltweit 6900 Stellen zu<br />

streichen.<br />

Welcher Aspekt dieser Stellenstreichung hat SPD-Schlachtross<br />

Martin Schulz wirklich auf die Palme gebracht, so sehr, dass er<br />

das Verhalten der Siemens-Oberen lautstark „verantwortungslos“<br />

und „asozial“ nannte? Waren es die Milliardengewinne, die<br />

Siemens gleichzeitig verbuchte? Waren es die Einzelschicksale<br />

der Arbeiter in Mülheim, Görlitz oder Berlin? Oder trieb ihn<br />

bloß die Hoffnung auf späte – zu späte – Gunst aus dem Volk?<br />

All das mag seinen Furor verstärkt haben, doch zuvorderst<br />

dürfte es die Kaeser’sche Kühle gewesen sein, an der er sich stieß.<br />

Schulz ist Bauchmensch, Gerechtigkeitsfanatiker, im Wahlkampf<br />

hat er die soziale Gerechtigkeit zu seinem Thema gemacht.<br />

Schulz wollte mehr Wärme. Dafür hat er sich aufgerieben,<br />

damit ist er böse auf die Nase gefallen.<br />

Und auch diesmal ging es schief. Kaesers Antwort fiel standesgemäß<br />

nüchtern aus: Siemens habe allein in den vergangenen<br />

fünf Jahren mehr als 20 Milliarden Euro an Steuern, Abgaben<br />

und Sozialversicherungsbeiträgen an den deutschen Staat überwiesen;<br />

in Deutschland gebe es wegen der Energiewende kaum<br />

mehr Nachfrage für Gas- und Kohlekraftwerke; und überhaupt<br />

solle sich Schulz „dabei auch überlegen, wer wirklich verantwortungslos<br />

handelt: diejenigen, die absehbare Strukturprobleme<br />

proaktiv angehen und nach langfristigen Lösungen suchen,<br />

oder diejenigen, die sich der Verantwortung und dem Dialog<br />

entziehen.“ Ein empfindlicher Wirkungstreffer für den Wahlverlierer<br />

und zunächst trotzigen GroKo-Verweigerer Schulz.<br />

Martin Schulz: Der Politiker von der traurigen Gestalt. Stets<br />

bemüht, stets emotional, doch nichts will ihm recht gelingen.<br />

Das lässt ihn verbissen wirken, manchmal auch verbittert.<br />

Dagegen wirkt Kaeser, der kühle Stratege, aufgeräumt und klar.<br />

Man würde denken, der neue Joe Kaeser –<br />

der erfolgreiche Mann von Welt – habe alle<br />

Verbindungen in die alte Heimat Niederbayern<br />

gekappt. Doch dem ist nicht so. Noch<br />

heute wohnt er dort, geht zum Gemeindefest,<br />

engagiert sich für die Freiwillige Feuerwehr.<br />

Alte Freunde rufen ihn „Sepp“, Executives<br />

nennen ihn „Joe“. Martin Schulz hingegen<br />

nennen alle bloß Martin. Oder „Machtin“, so<br />

klingt das im Rheinland. Martin, der Verwurzelte.<br />

Martin, der Hoffnungsträger. Martin,<br />

der gefallene Stern.<br />

Martin, der geprügelte Hund, dessen Bissigkeit erst wieder aufblitzte,<br />

als die Wahl vorbei war. Eine Langzeitreportage im<br />

„Spiegel“ zeigte kurz darauf, dass es Parteikollegen, Berater,<br />

Redenschreiber und andere vermeintliche Helfer waren, die ihn<br />

um ein besseres Ergebnis brachten – weil sie ihn Stück für<br />

Stück von seinen Ideen und Werten entfernten, ihn in ein schief<br />

sitzendes Kampagnenkorsett steckten. Die inhaltlichen Wurzeln<br />

waren längst gekappt. Was blieb, war die Wurzel Heimat:<br />

Würselen bei Aachen. Die Buchhandlung, das Bürgermeisteramt,<br />

die B-Jugend-Vizemeisterschaft – all diese lokalen Spezifika<br />

hat uns die Wahlkampagne so lange vorgebetet, bis wir sie<br />

auswendig konnten. Martin Schulz kann man gar nicht denken<br />

ohne die totale Verortung. So wurde in kaum einem Jahr<br />

aus Deutschlands profiliertestem Europapolitiker ein bräsiger<br />

Provinzler. Eine Abstiegsbiografie – auch diese übrigens ohne<br />

die SPD undenkbar.<br />

Martin, das Bauernopfer. Wieder einmal hat er sich verrannt.<br />

„Die Leute sind ja nett zu mir, aber sie sind es aus Mitleid“, meint<br />

Schulz an einer Stelle im Spiegel-Porträt. Leider hat er damit<br />

recht.<br />

p<br />

6<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


ZAHLEN, BITTE<br />

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sowie bei Facebook, Twitter und Xing am meisten interessiert?<br />

Alle Beiträge zum Nachlesen unter<br />

www.pwgo.de/best-of-2<strong>01</strong>7<br />

Recruiting<br />

• Special: Die wichtigsten Recruiting-KPIs<br />

• Bilderstrecke: Round Table Employer Branding<br />

• Deutscher <strong>Personalwirtschaft</strong>spreis: Die HR-Macher des Jahres<br />

• Studie: Azubi-Report 2<strong>01</strong>7<br />

• News: Ab 2<strong>01</strong>8 weniger Leiharbeiter<br />

• Studie: Die Recruiting-Trends von morgen<br />

• News: Active Sourcing – Direktansprache wird wichtiger<br />

• News: Recruiting-App Talentcube macht den Deal bei der „Höhle der Löwen“<br />

Quelle: Eigene Auswertung. Grundlage sind die Beiträge mit den meisten Klicks in den fünf am stärksten frequentierten HR-Themenbereichen auf www.personalwirtschaft.de.<br />

Außerdem wurden die über die Social-Media-Kanäle am stärksten frequentierten Beiträge in den fünf Themenbereichen berücksichtigt.<br />

HR-Organisation<br />

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Arbeitsrecht<br />

• Interview: Ärztin Dr. Mirriam Prieß über HR als Burn-out-Falle<br />

• News: Das sind „Deutschlands Beste Arbeitgeber 2<strong>01</strong>7“<br />

• Bilderstrecke: Der Status quo der Führungskräfteauswahl<br />

• Studie: Warum das Arbeitsklima der wichtigste Kündigungsgrund ist<br />

• Studie: Sozialkompetenzen der Führungskräfte entscheiden über Mitarbeiterbindung<br />

• News: Warum manche Unternehmen kein Homeoffice anbieten<br />

• Checkliste: Die sechs häufigsten Fehler bei der HR-Digitalisierung<br />

• Bilderstrecke: Sieben Schritte zur HR-Digitalisierung<br />

• Marktanalyse: Die 25 umsatzstärksten HR-Softwareanbieter in Deutschland<br />

• Special: Verdienen Sie genug? Der große HR-Gehältercheck<br />

• News: Die Viel- und Wenigverdiener 2<strong>01</strong>7<br />

• News: Die beliebtesten Firmenwagen 2<strong>01</strong>7<br />

• Interview: „Das neue Mutterschutzgesetz braucht kein Mensch“<br />

• Urteil: 40-Euro-Pauschalstrafen für Arbeitgeber bei verspäteter Lohnzahlung<br />

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<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 7


HR & ICH INTERVIEW<br />

Mit Herz und Hirn<br />

In Herzogenaurach bleibt kein Stein auf dem anderen. Mit einem ambitionierten Plan will sich<br />

Adidas dem Wettberwerber Nike weiter an die Fersen heften. Hierzu soll HR mit einem neuen<br />

Konzept entscheidend beitragen, wie Personalvorstand Karen Parkin im Gespräch erläutert.<br />

INTERVIEW: WINFRIED GERTZ<br />

Fotos: Adidas AG<br />

Zur Person:<br />

Nachdem sie bereits drei Jahre als weltweite Personalchefin des Sportartikelherstellers amtiert hatte, wurde die<br />

Britin Karen Parkin (52) am 12. Mai 2<strong>01</strong>7 zum Personalvorstand der Adidas AG in Herzogenaurach berufen.<br />

Parkin blickt auf eine rund zwanzigjährige Karriere bei Adidas zurück. Zehn Jahre nach dem Einstieg als Sales Director UK<br />

wechselte sie in die USA, wo sie in der Niederlassung in Portland, Oregon, mehrere Führungspositionen innehatte.<br />

Ehe sie HR-Verantwortung übernahm, war sie als Senior Vice President Supply Chain Management für die gesamte<br />

Wertschöpfungs- und Lieferkette vom Rohstofflieferanten bis zum Endkunden zuständig. Die studierte Pädagogin ist<br />

verheiratet und Mutter einer erwachsenen Tochter.<br />

8<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


u <strong>Personalwirtschaft</strong>: Frau Parkin, in Deutschland schreibt das<br />

Gesetz für den Aufsichtsrat eine Frauenquote vor. Womöglich<br />

wird sie bald auch für den Vorstand eingeführt. Wie steht es um<br />

die Frauenförderung bei Adidas?<br />

Karen Parkin: Die Vorgabe für den Aufsichtsrat haben wir längst<br />

erfüllt. Zudem sieht eine freiwillige Selbstverpflichtung vor, den<br />

Anteil von Frauen im Vorstand sowie auf den zwei Führungsebenen<br />

darunter deutlich zu erhöhen. Diese Ziele haben wir fast alle<br />

erreicht: Mit mir haben wir 2<strong>01</strong>7 die erste Frau in den Vorstand<br />

berufen. Auch den Frauenanteil der ersten Führungsebene unterhalb<br />

des Vorstands konnten wir wie geplant auf 18 Prozent erhöhen.<br />

Lediglich unser drittes Ziel, den Frauenanteil der zweiten Führungsebene<br />

unterhalb des Vorstands auf 30 Prozent zu heben,<br />

haben wir ganz knapp verfehlt. Ich habe immer gesagt, dass wir<br />

bei Frauen noch Nachholbedarf haben, bin aber sicher, dass wir<br />

bis 2020 den Frauenanteil in Führungspositionen weiter erhöhen<br />

werden.<br />

HR ist nach längerer Abwesenheit wieder im Vorstand vertreten.<br />

Schlüpfen Sie auch in die Rolle des Arbeitsdirektors, wie etwa Janina<br />

Kugel bei Siemens?<br />

Bisher oblag diese Rolle dem Finanzvorstand. Zwar bin ich mit der<br />

HR-Organisation für die Beziehungen zu den Betriebs- und Sozialpartnern<br />

zuständig. Dennoch belassen wir es bei der bisherigen Aufteilung.<br />

Ich bin Engländerin und spreche kein Deutsch – ein Grund,<br />

das bewährte Verfahren beizubehalten.<br />

Welchen Einfluss hatte Ihre Vorstandsberufung auf die HR-Organisation?<br />

Mit meiner Berufung haben wir die Aufstellung<br />

des Aufgabenbereichs grundlegend<br />

geändert. Seit Bekanntgabe der Zentralisierung<br />

der HR-Funktion im Juli<br />

berichten alle HR-Abteilungen nun direkt<br />

an mich als Executive Board Member HR.<br />

Mit der konsequenten Umstrukturierung<br />

verfolgen wir das Ziel, eine neue Unternehmenskultur<br />

zu entwickeln, um so<br />

Talente weltweit über ein konsistentes<br />

Angebot und Arbeitsumfeld gewinnen und an uns binden zu<br />

können. Ein weiterer Punkt auf unserer Agenda ist, die Unternehmensstrategie<br />

„Creating the New“ mit HR-Initiativen zu<br />

unterstützen. Dies ist ohne ein geeintes Team nicht möglich. Im<br />

Moment klären wir noch Details, wie neue Rollen und Verantwortlichkeiten.<br />

Doch unsere Agenda steht.<br />

Worauf legen Sie Ihr Augenmerk als Personalvorstand?<br />

Was ich beitragen kann, ist untrennbar mit meinem beruflichen Weg<br />

verknüpft. Ich komme aus dem Business und bin sozusagen keine<br />

Personalerin. Aufgabe von HR ist für mich, die richtigen Tools und<br />

Programme bereitzustellen, damit jeder sein Bestes geben und sich<br />

die neue Unternehmenskultur auch entfalten kann. Nur so können<br />

wir unseren ambitionierten Plan erfüllen. Dem werde ich mich mit<br />

Leidenschaft widmen.<br />

„Wenn die Mitarbeiterstrategie<br />

das Herz ist,<br />

ist HR der Kopf, der diese<br />

mit Leben erfüllt und die<br />

entsprechenden Werkzeuge<br />

und Programme bereitstellt.“<br />

Studien zeigen, dass Unternehmen oft ihre Kultur vernachlässigen.<br />

Sie wollen es besser machen, aber wie?<br />

Unsere Mitarbeiterstrategie ruht auf vier Säulen. Zunächst einmal<br />

geht es um Talente: Wir wollen die Besten gewinnen und ans Unternehmen<br />

binden. Ein weiteres Augenmerk legen wir auf die Führungskultur.<br />

Führungskräfte sollen Vorbilder sein und Mitarbeiter<br />

inspirieren, ihr Bestes zu geben. Drittens wollen wir das immense<br />

Potenzial erschließen, das im Facettenreichtum der Belegschaft<br />

steckt. Die vierte Säule ist ein kreatives und kollaboratives Arbeitsumfeld<br />

sowie die Unternehmenskultur. Sie ist geprägt von Selbstvertrauen,<br />

Zusammenarbeit und Kreativität.<br />

Wie sind Mitarbeiter- und HR-Strategie bei der strategischen Planung<br />

bis zum Jahr 2020 miteinander verzahnt?<br />

Wenn die Mitarbeiterstrategie das Herz ist, ist HR der Kopf, der die<br />

Mitarbeiterstrategie mit Leben erfüllt und die entsprechenden<br />

Werkzeuge und Programme bereitstellt. Dazu tragen Talent Management<br />

sowie Anreiz- und Entgeltsysteme ebenso bei wie Führung.<br />

Adidas will mehr Umsatz erzielen, den Gewinn erhöhen und mit<br />

der Konkurrenz gleichziehen. Gehen HR-Strategie und Geschäftsstrategie<br />

Hand in Hand?<br />

„Creating the New“ ist ein ehrgeiziger, aber realistischer Plan, der<br />

den Grundstein für das beschleunigte Umsatz- und Gewinnwachstum<br />

bis 2020 legt. Beispielweise wollen wir uns stärker auf Metropolen,<br />

den nordamerikanischen Markt und die Digitalisierung<br />

fokussieren. Um die Strategie erfolgreich umzusetzen, ist es Aufgabe<br />

von HR, den Mitarbeitern die entsprechenden Programme,<br />

Richtlinien, Tools und Dienstleistungen an die Hand zu geben.<br />

Sie sagten einmal, direkt zu kommunizieren<br />

würde dazu beitragen, das Tempo zu<br />

erhöhen. Wie stellen Sie sich die Zukunft<br />

der Arbeit bei Adidas vor?<br />

Ich bin überzeugt, dass die Arbeitsumgebung<br />

ständig verbessert werden kann. Unser<br />

agiles Arbeitsplatzkonzept „My Arena“<br />

ist auf die verschiedenen Aktivitäten der<br />

Mitarbeiter ausgerichtet und fördert Zusammenarbeit,<br />

Kreativität, Innovation und Produktivität. Die neuen<br />

Gebäude und die „World of Sports“ werden so konzipiert, dass es<br />

zahlreiche Treffpunkte zum zwanglosen Austausch geben wird.<br />

Immer mehr Beschäftigte sind doch gar nicht mehr im Büro.<br />

Richtig. Viele Mitarbeiter sind geschäftlich unterwegs oder arbeiten<br />

außerhalb des Campus. In einer zunehmend digitalisierten Welt<br />

sollten alle Mitarbeiter ihren Aufgaben flexibel nachgehen können.<br />

Dennoch ist unser Ziel, Mitarbeitern das bestmögliche Arbeitsumfeld<br />

zu bieten. Sie sollen gerne zur Arbeit gehen.<br />

Wie fördern Sie das?<br />

Mit tollen Büros, zahlreichen Sportplätzen und einem großen Fitnessstudio.<br />

Mit gesundem Essen im Mitarbeiterrestaurant und<br />

einem „Maker Lab“, wo Mitarbeiter ihre Kreativität ausleben kön-<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 9


HR & ICH INTERVIEW<br />

konnte ich mir selbst Wissen aneignen und Erfahrungen sammeln,<br />

um mich für meine aktuelle HR-Aufgabe zu empfehlen. Mit dem<br />

Programm „Talent Carousel“ ermöglichen wir jungen Talenten,<br />

einen funktionsübergreifenden, internationalen Karriereschritt zu<br />

machen. Alle Teilnehmer wechseln für 24 Monate in eine neue<br />

Funktion an einen anderen Standort. Wo man näher am Kunden<br />

ist, werden Entscheidungen anders getroffen als im Headquarter.<br />

Nicht nur Karen Parkin, sondern der gesamte Adidas-Vorstand gibt sich mitarbeiternah.<br />

Diese Kultur der Offenheit soll ins gesamte Unternehmen ausstrahlen.<br />

nen. Hier finden sie spezielle Werkzeuge wie<br />

Laserschneider oder 3D-Drucker vor und<br />

können auf das Know-how ihrer Kollegen<br />

zurückgreifen, um eigene Ideen in Form<br />

von Prototypen zu verwirklichen. Seine<br />

Wurzeln hat das Maker Lab im Hacker-<br />

Space-Konzept, das allen Mitarbeitern die<br />

Freiheit einräumt, ihre eigenen Ideen zum<br />

Leben zu erwecken.<br />

Ist es Teil der Markenbildung, dass der Campus in Herzogenaurach<br />

mit Nachdruck ausgebaut wird?<br />

Mit der Erweiterung unterstreichen wir einmal mehr unser Bekenntnis<br />

zum historischen Firmensitz. Aktuell errichten wir ein neues<br />

Gebäude für etwa 2000 Mitarbeiter, das die oben skizzierten kulturellen<br />

Prinzipien praktisch umsetzt und Anfang 2<strong>01</strong>9 bezogen wird.<br />

Ist der Vorstand in dieses Konzept einbezogen oder residieren Sie<br />

selbst noch in einem von Sekretärinnen abgeriegelten Büro?<br />

Die Zeiten sind vorbei. Alle Vorstandsmitglieder arbeiten gemeinsam<br />

in einer komplett verglasten, transparenten Umgebung. Von<br />

meinem Platz aus kann ich den Blick über den gesamten Campus<br />

schweifen lassen. Umgekehrt kann mich auch jeder sehen und<br />

beobachten. Wir sind ein sehr sichtbarer Vorstand. Diese Offenheit<br />

gilt für das ganze Unternehmen.<br />

Erfahrung sammeln zu können ist Bestandteil jedes ambitionierten<br />

Förderungsprogramms für den Führungskräftenachwuchs.<br />

Worauf legen Sie Wert?<br />

Mit einer funktionsübergreifenden Struktur und einer Vielzahl<br />

von Standorten bieten wir hierfür gute Voraussetzungen. Nur so<br />

„Alle Vorstandsmitglieder<br />

arbeiten gemeinsam<br />

in einer komplett verglasten,<br />

transparenten Umgebung.<br />

Wir sind ein sehr sichtbarer<br />

Vorstand.“<br />

Was bedeutet das für die junge Generation?<br />

Ihre Erwartung ist, sich ständig zu bewegen. Anders als bei traditionellen<br />

Karriereverläufen wollen junge Menschen auf dem Weg<br />

zur Führungskraft möglichst viel aus verschiedenen internationalen<br />

Aufgabenbereichen mitnehmen. Sie suchen gezielt Arbeitgeber<br />

aus, die ihnen solche gewissermaßen disruptiven Bedingungen<br />

eröffnen.<br />

Unterhält Adidas neben dem Führungsnachwuchsprogramm<br />

auch ein Nachfolgeprogramm für C-Level-Kandidaten?<br />

Definitiv, zumal wir solche Positionen bevorzugt mit Führungskräften<br />

aus eigenen Reihen besetzen. Auf eigene Führungskräfte mit breiter<br />

Erfahrung in verschiedensten Märkten und Funktionen zurückgreifen<br />

zu können, hilft uns enorm. Wir haben eine Core Leadership<br />

Group von etwa 25 internationalen Kandidaten,<br />

die eng mit dem Vorstand zusammenarbeitet.<br />

Einmal im Monat kommen<br />

wir mit ihnen zusammen und tauschen<br />

uns intensiv über verschiedene Themen<br />

aus.<br />

Waren Sie auch Teil dieses Programms?<br />

Wie wurden Sie auf Ihre neuen Aufgaben<br />

vorbereitet?<br />

Als ich vor drei Jahren die HR-Führung übernahm, gab es ein solches<br />

Programm noch nicht. Die Auswahl lief über einen Headhunter.<br />

Grundsätzlich geht es stets darum, den besten Kandidaten<br />

für jede Aufgabe zu finden.<br />

Wechseln wir die Perspektive vom Vorstand zum Nachwuchs,<br />

den Sie ja bei aller Zuwendung für Führungskräfte nicht vernachlässigen<br />

dürfen. Wie viele junge Leute bilden Sie aus, wie viele übernehmen<br />

Sie?<br />

Ende 2<strong>01</strong>6 befanden sich insgesamt 63 junge Leute in der Ausbildung<br />

– beispielsweise zum Fachinformatiker, Einzelhandelskaufmann<br />

oder Schuhtechniker. Gleichzeitig absolvierten 35 Talente<br />

duale Studienprogramme, etwa in den Bereichen Finanzdienstleistungen,<br />

Digitaler Handel oder International Business. Zu Beginn<br />

des neuen Ausbildungsjahres stießen 22 Azubis und 15 duale Studenten<br />

hinzu. Sofern die Leistung stimmt, bieten wir jedem eine<br />

Übernahmegarantie. Dabei dürfen wir die zahlreichen Praktikanten<br />

nicht aus dem Auge verlieren. Gut 600 Studenten haben im<br />

letzten Jahr für drei oder sechs Monate erste Erfahrungen bei uns<br />

gesammelt. Die jungen Menschen sind auch unsere Kunden und<br />

spiegeln somit unsere Zielgruppe wider. Eine ideale Konstellation:<br />

Man lernt voneinander, und viele kehren nach dem Schulabschluss<br />

10<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


oder dem Examen wieder zurück. Dies weiter auszubauen, ist ein<br />

wichtiger Teil der HR-Strategie.<br />

Bleiben wir beim dualen Studium. Solche Programme erfreuen<br />

sich zunehmender Nachfrage in der deutschen Wirtschaft. Was<br />

schätzen Sie daran?<br />

Der große Vorteil liegt darin, dass wir exakt jene Mitarbeiter<br />

ausbilden können, die wir benötigen. Durch Rotation innerhalb<br />

der Organisation sind sie sehr gut im Unternehmen vernetzt<br />

und – im Unterschied zu externen Talenten – bereits mit unseren<br />

Prozessen und der Kultur vertraut. Grundsätzlich haben diese<br />

Programme eine große Auswirkung auf das Lernen in der Organisation.<br />

Wir dürfen nicht aufhören zu lernen, nicht zuletzt von<br />

jenen, die mit frischen Ideen von den Hochschulen zu uns kommen.<br />

DIE WICHTIGSTEN<br />

ÄNDERUNGEN<br />

AUF EINEN BLICK!<br />

Welche Perspektiven eröffnen sich jungen Menschen, sobald sie<br />

nach Schule oder Studium einen Arbeitsvertrag unterschreiben?<br />

Wie schnell kommen diese auf der Karriereleiter voran?<br />

Sobald jemand einsteigt, wird er unabhängig von Qualifikation<br />

und Werdegang genauso wie alle anderen Kollegen behandelt<br />

und respektiert. Jeder erhält zahlreiche Chancen, schnell voranzukommen<br />

und sich weiterzuentwickeln. Auf diesem Weg erhält<br />

er regelmäßig Feedback und kann sich seinerseits auch stets zu<br />

seinen Wünschen und Zielen äußern. Gerade bei jungen Menschen,<br />

die erstmals im Berufsleben stehen und sich von Grund<br />

auf neu orientieren müssen, begleiten wir diese Entwicklung sehr<br />

achtsam.<br />

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Als Marke strahlt Adidas tief in die Welt von Sport, Lifestyle, Fitness<br />

und Gesundheit hinein. Wie wirkt sich das intern aus?<br />

Durch Sport, davon sind wir überzeugt, können wir Leben verändern.<br />

Sport hilft uns, zu wachsen und Leistung zu bringen. Vorausgesetzt,<br />

man ist gesund. Aber das Angebot muss auch angenommen<br />

werden. Zu informieren, wie es dem Einzelnen nützt, ist<br />

Aufgabe von HR. Wir helfen Mitarbeitern, sich gesund zu ernähren,<br />

und unterstützen sie, die richtige Balance bei der Arbeit zu finden<br />

und mit Stress umzugehen.<br />

Krankheitsbedingte Ausfälle sollen sich in Grenzen halten, lautet<br />

der Business Case. Will Adidas auf diesem Gebiet ein Vorbild<br />

für andere Unternehmen sein?<br />

Exakt. Mit Unterstützung eines Dienstleisters messen wir, wie gut<br />

sich unsere Mitarbeiter fühlen, und zwar in jeglicher Hinsicht: Puls,<br />

Atmung, Fitness oder Ernährung. Das nehmen wir sehr ernst.<br />

Schlägt sich der Fitnessgrad von Mitarbeitern und wie Führungskräfte<br />

auf deren Wohlbefinden eingehen in deren Einkommen nieder,<br />

etwa in Form von variabler Vergütung?<br />

Nein. Wer zu Adidas kommt, identifiziert sich mit der Kultur. Führungskräfte<br />

sollen in jeder Hinsicht Vorbild sein. Wer allerdings nicht<br />

davon überzeugt ist, dass Sport die Kraft besitzt, ein Leben zum<br />

Positiven zu verändern, würde sich auch nicht wohlfühlen. Das ist<br />

unsere DNA, daraus schöpfen wir die Kraft für den Erfolg. p<br />

DIESE ÄNDERUNGEN ZUM JAHRESWECHSEL<br />

MÜSSEN SIE KENNEN<br />

Mit der Broschüre Personalrecht 2<strong>01</strong>8 verschaffen Sie sich<br />

einen schnellen Überblick:<br />

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<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 11


HR & ICH BETRIEBLICHES GESUNDHEITSMANAGEMENT<br />

Wachstum darf nicht krank machen<br />

Durch ein rasantes Wachstum sah sich die Jotec GmbH plötzlich mit erhöhten Fehlzeiten<br />

konfrontiert. Mit viel Engagement und einem ausgeklügelten Gesundheitsmanagement ist es<br />

gelungen, das Arbeiten für die Mitarbeiter deutlich zu verbessern und die Produktivität zu steigern.<br />

CASE STUDY<br />

u Das Medical Valley liegt am Fuß der Schwäbischen Alb.<br />

Hier – in Hechingen und Umgebung – haben sich rund<br />

70 international vernetzte Unternehmen angesiedelt, die<br />

zur Speerspitze der innovativen Medizintechnik gehören.<br />

Die Jotec GmbH ist einer dieser stillen Global Player.<br />

Der Hersteller von Gefäßprothesen und endovaskulären<br />

Implantaten hat sich in wenigen Jahren vom Start-up zu<br />

einem Unternehmen entwickelt, das jährlich um gut 20<br />

Prozent wächst.<br />

Wachstum ist schön, aber Wachstum in einer so kurzen<br />

Zeit muss auch verdaut werden. So bedeutete die ständig<br />

steigende Nachfrage vor allem für die Mitarbeiter in<br />

der Produktion eine besondere Belastung. Damit ergaben<br />

sich Fehltage, was die Belastung der anderen nochmals<br />

erhöhte, da sie die Kapazität der Fehlenden zusätzlich<br />

übernehmen mussten. Als sich 2<strong>01</strong>1 eine klar<br />

erkennbare negative Tendenz bei den Fehlzeiten abzeichnete,<br />

beschloss man, ein Gesundheitsmanagement zu<br />

Jotec GmbH<br />

Die Jotec GmbH (Unternehmensschreibweise: JOTEC) entwickelt und produziert mit 375<br />

Mitarbeitern ein breit gefächertes Spektrum an Gefäßprothesen und endovaskulären Implantaten<br />

sowie Zubehör für Gefäß- und Herzchirurgen, interventionelle Radiologen und Kardiologen.<br />

Das Unternehmen wurde 2000 gegründet, 2<strong>01</strong>6 betrug der Umsatz rund 40 Millionen Euro.<br />

etablieren. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die junge Führungsmannschaft<br />

Gesundheitsangebote eher intuitiv<br />

organisiert. So gab es zum Beispiel Gymnastikpausen<br />

und einmal im Monat ein kostenloses Gesundheitsfrühstück.<br />

Zunächst wurde nun ein dreiköpfiges Projektteam BGM<br />

aufgestellt. Dort sind die beiden Unternehmensbereiche<br />

Administration und Produktion jeweils durch ihre<br />

Leitung vertreten. Zum Projektteam gehört außerdem die<br />

Leitung der Personalabteilung. Hier ist das BGM inzwischen<br />

angegliedert. Neben dem Kernteam wurde auch<br />

der Betriebsarzt Dr. Michael Brill voll eingebunden.<br />

Entscheidung für ein strukturiertes Vorgehen<br />

Schnell war klar, dass man als Erstes durch eine Befragung<br />

den genauen Ursachen für die Fehlzeiten auf die<br />

Spur kommen musste. „Die Durchführung einer solchen<br />

Befragung muss meiner Meinung nach immer mit<br />

einem unabhängigen Partner geschehen“, sagt Florian<br />

Tyrs, Leiter der Produktion bei Jotec. „Zum einen will<br />

man ja den Mitarbeitern das Gefühl geben, dass sie ehrlich<br />

antworten können, ohne irgendwelche negativen<br />

Dinge für sich befürchten zu müssen. Zum anderen sollte<br />

der Aufbau der Fragen, die Auswertung und auch die<br />

Zusammenfassung der Ergebnisse von Experten durch-<br />

12<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Produktivitätsverluste in der Produktion Abbildung 1<br />

in Tagen pro MA pro Jahr<br />

Stress 3,6<br />

7,1<br />

Rückenschmerzen 0,8<br />

4,5<br />

Depressive Verstimmungen 0,8<br />

4,1<br />

Andere Probleme 1,2<br />

2,5<br />

Schlafprobleme 2,0<br />

3,3<br />

Erkältung 0,2<br />

2,5<br />

Kopfschmerzen 1,8<br />

2,7<br />

Verdauungsprobleme 2,5<br />

3,3<br />

Allergien 0,3<br />

1,3<br />

Gelenkschmerzen 1,3<br />

2,4<br />

Grippe 1,6<br />

1,6<br />

Gesamtverlust 2<strong>01</strong>5: 17,0 Tage<br />

Gesamtverlust 2<strong>01</strong>2: 35,7 Tage<br />

Quelle: HDP Health Development Partners, 2<strong>01</strong>7<br />

Die Analyse bei Jotec zeigt<br />

eine eindeutige Abnahme<br />

der krankheitsbedingten<br />

Fehltage in der Produktion<br />

innerhalb von drei Jahren.<br />

geführt werden, die viel Erfahrung auf diesem Gebiet<br />

haben.“<br />

Für die Umsetzung der Erhebung wurde das Vital-<br />

Work-Programm des Königsteiner Unternehmens HDP<br />

Health Development Partners ausgewählt. Das Programm<br />

analysiert mit einer Befragung die Produktivitätsverluste<br />

durch gesundheitliche Probleme. Dabei<br />

werden nicht nur die Fehlzeiten erfasst, sondern auch<br />

die Produktivitätsverluste am Arbeitsplatz beziehungsweise<br />

der Präsentismus. Neben den gängigen Gesundheitsproblemen<br />

wie zum Beispiel Rückenschmerzen,<br />

Schlafstörungen und Stress (siehe Abbildung 1) können<br />

auch Themen ermittelt werden wie psychische Verfassung,<br />

Arbeitsfähigkeit, Burn-out oder der Einfluss<br />

von firmenspezifischen Arbeitsumgebungsfaktoren auf<br />

die Gesundheit.<br />

Mit der hohen Teilnahmequote von 72 Prozent war die<br />

Befragung 2<strong>01</strong>2 ein voller Erfolg. Dazu hat sicherlich<br />

beigetragen, dass die Abteilungsleiter gebrieft und eingebunden<br />

wurden. Wichtig war aber vor allem ein Schreiben,<br />

das die Mitarbeiter vorab über die Hintergründe der<br />

Befragung informierte und den Willen der Geschäftsführung<br />

zum Ausdruck brachte, etwas gegen die Probleme<br />

zu tun. Vital Work erhöht die Teilnahmequote außerdem<br />

durch Broschüren zu den 13 wichtigsten Gesundheitsproblemen,<br />

die als Anreiz zur Teilnahme direkt nach<br />

der Befragung erhältlich sind. Gleichzeitig bietet es eine<br />

erste Intervention im Bereich der genannten Gesundheitsthemen.<br />

Die Auswertung ergab gute und auch überraschende<br />

Erkenntnisse. Obwohl die Fehlzeiten in der Produktion<br />

bekannt waren, lagen die gesamten Produktivitätsverluste<br />

– also Fehlzeiten und Verluste am Arbeitsplatz – mit<br />

16,2 Prozent unerwartet hoch. Als wichtigste Auslöser<br />

wurden identifiziert: Stress, Depression, Schlafstörungen<br />

beziehungsweise Müdigkeit, Rücken- und Kopfschmerzen<br />

sowie Schwächen bei den Arbeitsumgebungsfaktoren.<br />

20 Prozent der Mitarbeiter generierten 70 Prozent<br />

der Verluste. Im Bereich der Administration lagen die Verluste<br />

dagegen mit 5,6 Prozent deutlich unter den üblichen<br />

Durchschnittswerten.<br />

Wo hat es im Projekt gehakt?<br />

STOLPERSTEINE<br />

• Fehlende Expertise: Man hatte erwogen, die Befragung selbst zu erstellen, entschied sich dann<br />

aber, die Erfahrung und Kompetenz eines externen Dienstleisters einzukaufen, der gleichzeitig<br />

Anonymität garantiert.<br />

• Maßnahmen werden nicht angenommen: Selbst wenn Mitarbeiter Maßnahmen selber vorgeschlagen<br />

haben, muss man bei der Implementierung nochmals informieren und auf die Vorteile<br />

hinweisen.<br />

• Problemlose Bereiche vernachlässigen: In der Befragung gut abschließende Bereiche muss<br />

man weiter im Auge behalten und regelmäßig prüfen, sonst drohen irgendwann Probleme.<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 13


HR & ICH BETRIEBLICHES GESUNDHEITSMANAGEMENT<br />

Quelle: HDP Health Development Partners, 2<strong>01</strong>7<br />

Gesamtverlust pro Mitarbeiter 2<strong>01</strong>2 und 2<strong>01</strong>5 Abbildung 2<br />

in Tagen pro MA pro Jahr<br />

25,2<br />

14,7<br />

10,5<br />

17,4<br />

11,8<br />

5,6<br />

2<strong>01</strong>2 2<strong>01</strong>5<br />

Gesamt<br />

Absentismus<br />

12,3<br />

9,5<br />

18,8<br />

13,6<br />

2,8 5,2<br />

2<strong>01</strong>2 2<strong>01</strong>5<br />

Administration<br />

Präsentismus<br />

35,7<br />

18,9<br />

16,8<br />

16,0<br />

9,3<br />

6,7<br />

2<strong>01</strong>2 2<strong>01</strong>5<br />

Produktion<br />

Die Ergebnisse der Befragung stellte der Betriebsarzt<br />

den Mitarbeitern im Rahmen der nächsten Mitarbeiterversammlung<br />

vor. Das war schon vor der Befragung<br />

angekündigt worden. Denn das Schlimmste, was man<br />

machen kann, so Florian Tyrs, ist, Mitarbeiter nicht über<br />

die Ergebnisse zu informieren und/oder keine entsprechenden<br />

Maßnahmen auf den Weg zu bringen.<br />

Für das Projektteam begann jetzt die eigentliche Arbeit.<br />

Ausgehend von der detaillierten Auswertung des Vital-<br />

Work-Programms galt es nun, passgenaue Maßnahmen<br />

zu definieren. Dazu wurden die einzelnen Abteilungen<br />

der Produktion eingeladen, auf freiwilliger Basis und<br />

unter Zusicherung der Anonymität mit dem Betriebsarzt<br />

über die Ergebnisse der Umfrage zu sprechen – ohne<br />

Beteiligung einer Führungskraft. Zur allgemeinen Überraschung<br />

nahmen 90 Prozent der Belegschaft dieses<br />

Angebot wahr. Aus den Gesprächen ergaben sich konkrete<br />

Ansatzpunkte und klare Aufgaben, die in zehn<br />

Kernthemen zusammengefasst und priorisiert wurden.<br />

Als Erstes wurden die großen Probleme bewältigt. So<br />

klagten viele der Mitarbeiter über Müdigkeit. Hierzu<br />

muss man wissen, dass die Produktion im Reinraum<br />

stattfindet. Ein Reinraum wird so konstruiert, dass die<br />

Anzahl luftgetragener Teilchen, die in den Raum eingebracht<br />

werden oder dort entstehen, so gering wie möglich<br />

ist. Einige Bereiche der Arbeitsplätze hatten zu wenig<br />

Tageslicht. Also stattete man diese mit tageslichtimitierenden<br />

Lampen aus. Die Lichtfarbe empfanden viele der<br />

Betroffenen zunächst jedoch als ungewohnt und damit<br />

als unangenehm. Als dann die Mitarbeiter aber nochmals<br />

aufgeklärt und informiert wurden, stellte sich heraus,<br />

dass plötzlich keiner mehr müde war.<br />

Florian Tyrs empfiehlt deshalb: „Beim Umsetzen von<br />

Maßnahmen ist eines der wichtigsten Dinge, darüber<br />

zu sprechen nach dem Motto ,Tue Gutes und rede darüber’.<br />

Denn der Mensch ist so ein Gewohnheitstier, dass<br />

er erst einmal mit allem Neuen Probleme hat.“<br />

Vermittler bei Problemen<br />

Den Mitarbeitern in der<br />

Administration sind keine BGM-<br />

Maßnahmen zuteil geworden.<br />

Die Folge: Der Krankenstand<br />

hat sich von 2<strong>01</strong>2 bis 2<strong>01</strong>5<br />

verschlechtert. Die Fehltage<br />

in der Produktion sind<br />

demgegenüber eindeutig<br />

zurückgegangen.<br />

UNTERM STRICH<br />

Individuelle Lösungen bringen Erfolg<br />

Was hat das Projekt gebracht?<br />

• Rückgang der Produktivitätsverluste im gewerblichen Bereich von 16,2 Prozent auf<br />

7,3 Prozent. Durch die Reduktion der Fehlzeiten verringerte sich automatisch die Arbeitsbelastung<br />

aller Mitarbeiter.<br />

• Angenehmeres Arbeiten und damit gesteigerte Zufriedenheit der Mitarbeiter<br />

• Geringere Stressbelastung durch flexiblere Arbeitszeitmodelle<br />

• Etablierung eines Frühwarnsystems, das es ermöglicht, Probleme zeitnah zu identifizieren<br />

und schnell in den Griff zu bekommen<br />

Eher unkonventionell war eine andere Maßnahme: Im<br />

Reinraum besteht immer eine ideale Arbeitsumgebung<br />

mit perfekter Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Trotzdem<br />

hatten die Leute wohl aufgrund der hermetischen Atmosphäre<br />

immer das Gefühl, dass die Luft in ihrem Arbeitsbereich<br />

schlecht war. Die Intervention bestand darin, in<br />

jedem Produktionsbereich Anzeigen mit Angaben zur Luftqualität<br />

im Ampelmodus anzubringen – eine ganz simple<br />

Sache, die aber einen durchschlagenden Erfolg hatte.<br />

Eine dritte Intervention bestand darin, dass in der Produktion<br />

die Führungsebene des Teamleiters eingezogen<br />

wurde. Dazu wurden Mitarbeiter entsprechend ausgebildet.<br />

Sie fungieren als Sprachrohr und Vermittler bei<br />

Problemen in beiden Richtungen zwischen dem Abteilungsleiter,<br />

dessen Arbeitsplatz sich nicht im Reinraum<br />

befindet, und den Mitarbeitern in ihren Teams.<br />

Sobald die vorrangigen Probleme abgearbeitet waren,<br />

hieß es dranbleiben und weitermachen. BGM ist ein<br />

kontinuierlicher Prozess, so Florian Tyrs, der ständig<br />

weitergelebt werden muss – denn auf Dauer ergeben<br />

sich Erfolge aus der Summe vieler kleiner Dinge.<br />

Deutliche Verbesserungen, aber<br />

auch unerwartete Ergebnisse<br />

Die Befragung mit Vital Work wurde nach drei Jahren,<br />

also 2<strong>01</strong>5, wiederholt. Da in der Zeit zwischen erster<br />

und zweiter Umfrage in der Produktion viel verbessert<br />

und eingeführt wurde, sind die Produktivitätsverluste<br />

von 16,2 Prozent auf 7,3 Prozent zurückgegangen. In<br />

der Administration, die in den drei Jahren zeitversetzt<br />

deutlich gewachsen war, gab es keine BGM-Maßnahmen.<br />

Dort stiegen die Verluste von 5,6 auf 8,5 Prozent<br />

(siehe Abbildung 1 und 2). Besonders auffallend war,<br />

dass dort 40 Prozent der Befragten über eine schlechte<br />

Work-Life-Balance berichteten.<br />

Um diese Entwicklung abzufangen, wurden nun auch die<br />

Mitarbeiter der Administration zu Gesprächen mit zuge-<br />

14<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


sicherter Anonymität eingeladen. Als wichtigste Maßnahme<br />

ergab sich eine Veränderung der Arbeitszeitmodelle,<br />

die den Mitarbeitern eine flexiblere Gestaltung ihrer<br />

Arbeitszeit ermöglicht.<br />

„Als Erkenntnis aus der zweiten Befragung muss man<br />

ganz klar festhalten, dass es richtig ist, den Fokus auf ausgewiesene<br />

Optimierungspotenziale zu richten. Aber dabei<br />

darf man gerade in dynamischen Wachstumsphasen nicht<br />

vergessen, die bisher gut abschließenden Bereiche auch<br />

weiterhin im Auge zu behalten und regelmäßig zu prüfen,<br />

sonst wird irgendwann aus einem guten Bereich ein<br />

Problembereich“, erklärt Florian Tyrs. „Denn wer aufhört,<br />

besser zu werden, hört irgendwann auf gut zu sein.“<br />

Die Befragung ist mittlerweile bei Jotec ein wichtiges<br />

Tool, um Probleme zu identifizieren und entsprechend<br />

zu handeln. So kann man Verbesserungsmaßnahmen<br />

rechtzeitig einleiten und nicht erst, wenn es zu spät ist<br />

beziehungsweise ein großes Problem entstanden ist.<br />

Der Aufwand zahlt sich aus<br />

Hat sich der Aufwand gelohnt? Für Jotec besteht daran kein<br />

Zweifel. Die positiven Rückmeldungen, die Verbesserung<br />

der Mitarbeiterzufriedenheit und der Rückgang der Fehlzeiten<br />

rechtfertigen die eingesetzten Ressourcen auf jeden<br />

Fall. Dabei muss man aber ganz klar sehen, betont<br />

Florian Tyrs, dass die Erfolge nur aufgrund des strukturierten<br />

Vorgehens mit dem stufenweisen Aufbau zu erreichen<br />

waren – Hauruckaktionen hält er für deplatziert.<br />

Der erste Schritt sollte immer eine schriftliche Befragung<br />

sein, damit man ein Fundament hat, von dem aus man<br />

arbeiten kann. Im nächsten Schritt hat es sich bewährt,<br />

diese Erkenntnisse durch Gespräche mit Mitarbeitern mit<br />

Leben zu füllen. Erst dann sollte man mit der Planung und<br />

Implementierung von Maßnahmen anfangen.<br />

Bei Jotec ist man davon überzeugt, dass das Ziel auf keinen<br />

Fall sein darf, die Firma durch das BGM komplett<br />

umzukrempeln, um irgendwelche tollen Umfragewerte<br />

zu erreichen. Das Unternehmen soll und muss seine<br />

Identität bewahren. Den Verantwortlichen sollte außerdem<br />

klar sein, dass jede Firma für sich selbst den besten<br />

Weg finden muss – einen Königsweg gibt es leider<br />

nicht. Es ist nicht möglich, ein Konzept, das bei einer Firma<br />

gut funktioniert, einfach über eine andere zu stülpen<br />

und dann zu hoffen, dass damit alles gut wird. Wer dies<br />

tut, kann lange auf Erfolg warten.<br />

p<br />

AUTORINNEN<br />

Dr. Kerstin Ragnitz,<br />

Leitung Sales & Marketing,<br />

JOTEC GmbH, Hechingen,<br />

kerstin.ragnitz@jotec.com<br />

Monika Titze, Fachautorin<br />

für Gesundheitsthemen,<br />

freie Mitarbeiterin bei<br />

HDP Health Development Partners,<br />

info@vitalwork.de<br />

LEARNTEC 2<strong>01</strong>8 | 26. Internationale Fachmesse und Kongress<br />

Leitmesse für digitale Bildung<br />

Schule | Hochschule | Beruf


HR & ICH EMPLOYER BRANDING<br />

Mitarbeiter als Botschafter<br />

Authentizität und Transparenz lauten die Zauberworte für erfolgreiches Recruiting und<br />

Employer Branding. Immer mehr Unternehmen setzen Mitarbeiter als Testimonials ein.<br />

Ob internationaler Konzern oder Wohlfahrtsverband – das Konzept scheint aufzugehen.<br />

VON BARBARA SOMMERHOFF<br />

Diakonie Düsseldorf<br />

u Kündigt ein börsennotiertes Unternehmen an, die Zahl<br />

seiner Mitarbeiter zu reduzieren, steigt der Aktienkurs –<br />

Personal gilt bei Anteilseignern als Kostenblock. Strategisch<br />

ausgerichtete HR-Verantwortliche sehen die Sache differenzierter.<br />

Und entdecken den Wert der Mitarbeiter nicht<br />

nur mit Blick auf ihre Fachkompetenz, sondern darüber<br />

hinaus als Botschafter für ihr Unternehmen und dessen<br />

Marktpräsenz: Mitarbeiter als Testimonials im Employer<br />

Branding und in der internen Kommunikation, als Vermittler<br />

der Nachhaltigkeitsstrategie und als Akteure des Qualitätsmanagements<br />

– die folgenden Beispiele zeigen, was sie<br />

bewirken können.<br />

Diakonie Düsseldorf: „Mitreißend menschlich“<br />

Massiver Personalbedarf, eine heterogene Belegschaft und<br />

ein wenig prägnantes Arbeitgeberimage: Das war die Ausgangssituation<br />

für Katja Quakatz, als sie im vergangenen Jahr<br />

die Leitung Personal bei der Diakonie Düsseldorf über-<br />

Die Aufgabe:<br />

Employer-Branding-Kampagne, die von allen Teilen<br />

der Belegschaft entwickelt und mitgetragen wird<br />

Das Ziel:<br />

Diakonie als Arbeitgeber für sieben Arbeitsbereiche<br />

authentisch darzustellen<br />

Die Umsetzung:<br />

• interaktiv, demokratisch<br />

• mehrmonatiges Zeitbudget<br />

Katja Quakatz,<br />

• umfassende Befragung der Mitarbeiter<br />

Personalleiterin<br />

• Workshops mit Führungskräften und Mitarbeitern<br />

• kontinuierliche interne Kommunikation von Zwischenergebnissen<br />

• Produktion von Plakaten, Videos, Vernetzung von Kommunikationsmedien<br />

• Mitarbeiter gestalten ihre Rolle als Botschafter in Eigenregie<br />

Foto: Maya Claussen<br />

nahm. Das Qualifikationsspektrum der 2500 Mitarbeiter<br />

reicht vom Angelernten bis zum Akademiker, von der<br />

Pflegehilfskraft bis zum Arzt. Die gesellschaftliche Anerkennung<br />

für Menschen in sozialen Berufen ist sehr hoch,<br />

die Neigung, selbst einen solchen Beruf zu ergreifen, dagegen<br />

wenig ausgeprägt.<br />

Das zu ändern und die Attraktivität, Vielfalt und Chancen<br />

aufzuzeigen, die die Diakonie Düsseldorf als Arbeitgeber<br />

bietet, ist das Ziel von Katja Quakatz. Dazu hat sie mit<br />

ihrem Team, dem Referat Öffentlichkeitsarbeit und Marketing<br />

und externer Unterstützung eine Employer-Branding-<br />

Kampagne entwickelt und umgesetzt. „Botschafter dieser<br />

Kampagne ist zunächst HR. Aber der Prozess geht über auf<br />

unsere Mitarbeitenden, die in Schulen, auf Berufsorientierungsmessen,<br />

im Familien- und Freundeskreis und in sozialen<br />

Medien ihre Erfahrungen mit der Diakonie als Arbeitgeber<br />

schildern“, beschreibt Quakatz das Konzept.<br />

Die besondere Herausforderung liegt in den mannigfachen<br />

Arbeitsbereichen innerhalb der Diakonie. Betreut<br />

werden Menschen aller Altersstufen, aus unterschiedlichen<br />

sozialen und kulturellen Milieus, körperlich und psychisch<br />

Kranke, Menschen die nur vorübergehend Hilfe und Unterstützung<br />

benötigen, und solche, die dauerhaft betreut werden.<br />

„Diese Komplexität wollten wir für die Arbeitgeberkampagne<br />

so fokussieren, dass ein homogenes und<br />

authentisches Bild nach außen entsteht und zugleich die Vielfalt<br />

der Möglichkeiten nicht verloren geht“, so die Personalleiterin.<br />

Eine Mitarbeiterbefragung lieferte die Basisdaten für die<br />

Kampagne. In anschließenden Workshops diskutierte HR<br />

mit Führungskräften und Mitarbeitern aus allen Bereichen<br />

Ansätze für einen Hauptclaim, dem jeder Arbeitsbereich<br />

innerhalb der Diakonie Düsseldorf Subclaims hinzufügen<br />

sollte. „Das war ein mehrstufiger sehr interaktiver und<br />

demokratischer Prozess“, betont Quakatz.<br />

Als Ergebnis wurde „Mitreißend menschlich“ zum Hauptclaim<br />

erklärt. Als Subclaims entwickelten die Mitarbeiter<br />

für den Altenpflegebereich „Momentbewahrerin“, für den<br />

16<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


u Kündigt ein börsennotiertes Unternehmen an, die Zahl seiner Mitarbeiter<br />

zu reduzieren, steigt der Aktienkurs. Personal gilt bei Anteilseignern<br />

als Kostenblock. Strategisch ausgerichtete HR-Verantwortliche<br />

sehen die Sache differenzierter. Und entdecken den Wert der<br />

Mitarbeiter nicht nur mit Blick auf ihre Fachkompetenz, sondern<br />

darüber hinaus als Botschafter für ihr Unternehmen und dessen<br />

Marktpräsenz: Mitarbeiter als Testimonials im Employer Branding<br />

und in der internen Kommunikation, als Vermittler der Nachhaltigkeitsstrategie<br />

und als Akteure des Qualitätsmanagements – die<br />

folgenden Beispiele zeigen, was sie bewirken können. p<br />

Erzieherbereich „Farbkleckszauberer“, für den Gesundheitsbereich<br />

„Zukunftsentwickler“. „Diese augenzwinkernden<br />

und trotzdem tiefgründigen Botschaften passen gut zu<br />

der ernsten, aber auch sehr emotionalen Arbeit der Diakonie“,<br />

sagt Katja Quakatz.<br />

Die Resonanz innerhalb der Mitarbeiterschaft sei erfreulich<br />

positiv. Viele Kollegen lassen sich auf Postkarten, Infobroschüren<br />

und Plakaten abbilden und geben der Kampagne<br />

in Videos ihr Gesicht. Auf Messen, in Schulen und<br />

sozialen Medien berichten sie über die Arbeit bei der Diakonie.<br />

Die Vielzahl und Vernetzung der Medien und Kommunikationskanäle<br />

habe bereits nach kurzer Zeit eine starke<br />

Wirkung entfaltet. Geschult werden die Mitarbeiter<br />

dafür nicht. „In internen Diskussionen haben wir festgestellt,<br />

wie klar das Verständnis unserer Mitarbeitenden von<br />

ihrer Arbeit und von ihrem Arbeitgeber ist. Da muss man<br />

gar keine Vorgaben machen“, sagt Quakatz.<br />

Vodafone Deutschland: Offenheit<br />

kommt auch intern an<br />

Kommunikationsprofis wissen: Alles, was intern kommuniziert<br />

wird, geht auch nach draußen. Dass es ebenso umgekehrt<br />

funktioniert, hat Vodafone Deutschland erfahren. Das<br />

Telekommunikationsunternehmen und derzeit größter Fernsehanbieter<br />

Deutschlands mit 14 000 Mitarbeitern hatte vor<br />

drei Jahren seine Employer-Branding-Kampagne relauncht.<br />

Anstelle von Modellen wurden Mitarbeiter als Testimonials<br />

für Plakate und Videoclips ausgewählt – und das möglichst<br />

divers. „Uns ist wichtig, dass wir alle Facetten unserer Mitarbeiter<br />

darstellen. Alter, Geschlecht, Herkunft, Ausbildung“,<br />

sagt Employer-Brand-Managerin Anja Bank.<br />

Die Kampagne, die für den Außenauftritt und zur Unterstützung<br />

des Recruitments konzipiert worden war, beflügelt<br />

inzwischen auch die interne Kommunikation nachhaltig.<br />

Das spürt jeder Besucher, wenn er auf den Fluren,<br />

in Besprechungsräumen oder auf Videowänden die Abbildungen<br />

von Mitarbeitern sieht. „Jede Konferenz startet bei<br />

uns mit Bildern unserer Belegschaft“, sagt Pressesprecherin<br />

Tanja Vogt. Die Botschaft: Vodafone, das sind wir.<br />

Der Synergieeffekt für die interne Kommunikation ist nach<br />

Ansicht ihrer Kollegin Bank eingetreten, weil die Mitarbeiter<br />

mit der externen Kampagne positive Erfahrungen<br />

gemacht hatten. Ein Erfolg von HR und das Ergebnis solider<br />

Vorarbeiten. „Wir haben jeden Mitarbeiter, der sich als<br />

Testimonial zur Verfügung gestellt hat, gut auf seine Rolle<br />

vorbereitet“, so Bank.<br />

„Wer sich öffentlich über seinen Arbeitgeber äußert, wird<br />

vermutlich häufiger gegoogelt. Deshalb haben wir uns die<br />

Xing-, Linkedin-und Facebook-Auftritte dieser Mitarbeiter<br />

angeschaut und, falls nötig, Empfehlungen gegeben,<br />

wie sie diese optimieren können.“ Außerdem hat HR<br />

Social-Media-Trainings veranstaltet. „Wir haben Hinweise<br />

gegeben, wie man heikle Themen souverän umschifft,<br />

dass wir uns als Unternehmen zu Themen wie Religion<br />

und Politik nicht äußern und wie man mit Kritik umgeht.“<br />

Regieanweisungen für das, was jeder im Rahmen des Videoclips<br />

sagt, gab es aber nicht. Diese Offenheit hat sich unmittelbar<br />

auf die interne Kommunikation ausgewirkt, ist Tanja<br />

Vogt überzeugt. Über das soziale Netzwerk Yammer wird<br />

längst nicht nur an gemeinsamen Projekten gearbeitet.<br />

Vodafone Deutschland<br />

Die Aufgabe:<br />

Unterstützung für das Recruitment<br />

Das Ziel:<br />

Vitalisierung der internen und externen Kommunikation<br />

Die Umsetzung:<br />

• Videoclips mit Mitarbeitern als Testimonials<br />

• Medientraining<br />

• Diskussion über Werte des Unternehmens<br />

• Visualisierung der Belegschaft im gesamten Unternehmen<br />

• soziales Netzwerk Yammer für beruflichen und privaten Austausch<br />

Anja Bank,<br />

Employer-Brand-Managerin<br />

Foto: Daniel Koebe<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 17


HR & ICH EMPLOYER BRANDING<br />

Henkel<br />

Die Aufgabe:<br />

Das Thema Nachhaltigkeit im gesamten Konzern zu verankern<br />

Das Ziel:<br />

Jeden der weltweit 50 000 Mitarbeiter zum Botschafter<br />

für Nachhaltigkeit zu schulen<br />

Die Umsetzung:<br />

• Pilotprojekt mit Führungskräften<br />

• Ausweitung der Schulung konzernweit für alle Mitarbeiter<br />

• Entwicklung von Schulungsmaterial als E-Learning und für<br />

Schulungen vor Ort und Übersetzung in 30 Sprachen<br />

• transparente interne Kommunikation<br />

Auch der private Austausch ist rege, offen und transparent.<br />

„Unsere Mitarbeiter sind Botschafter nicht nur fürs<br />

Recruitment, sondern sie sind authentische Stimmen für<br />

alle Belange des Unternehmens.“ Das gelte auch für den<br />

Bereich der Pressearbeit, so Vogt. „Wenn ich Anfragen<br />

erhalte, suche ich Mitarbeiter, die das angefragte Thema<br />

anschaulich aus ihrer Perspektive und ihrem Erleben darstellen<br />

können.“<br />

Henkel: Nachhaltigkeit verankern<br />

Uwe Bergmann,<br />

Head of Sustainability<br />

Management<br />

Der Markenartikelhersteller Henkel gehört zu den ersten<br />

Großunternehmen, die kontinuierlich über Ressourcenverbrauch<br />

und Verantwortung für Mensch und Umwelt<br />

forschen und berichten. Aber nicht nur bei der Produktion<br />

von Klebstoffen, Wasch- und Reinigungsmitteln oder<br />

Kosmetika ist Nachhaltigkeit ein Thema. „Jeder unserer<br />

weltweit 50 000 Mitarbeiter in der Produktion, im Vertrieb,<br />

als tariflich Beschäftigter oder als Führungskraft kann<br />

zur Nachhaltigkeit beitragen und etwas zugunsten von<br />

Mensch und Umwelt tun“, sagt Uwe Bergmann, Leiter<br />

Nachhaltigkeitsmanagement.<br />

Aus dieser Erkenntnis haben Henkel-Mitarbeiter das „Nachhaltigkeits-Botschafter-Projekt“<br />

entwickelt, das als Pilot<br />

Ende 2<strong>01</strong>2 im Bereich Wasch- und Reinigungsmittel an<br />

den Start gegangen war. 500 Mitarbeiter hatten sich freiwillig<br />

gemeldet. Ende 2<strong>01</strong>6 waren es bereits 10 000, die an<br />

einer Schulung als Nachhaltigkeitsbotschafter teilgenommen<br />

haben. Die Teilnehmer diskutieren über die globalen<br />

Herausforderungen, denen sich das Unternehmen stellen<br />

muss; sie erörtern, wie Nachhaltigkeit entlang der Wertschöpfungskette<br />

umsetzbar ist und welchen Beitrag jeder<br />

Einzelne leisten kann. „Wir möchten alle Mitarbeiter trainieren<br />

und sie motivieren, sich noch intensiver mit diesem<br />

wichtigen Thema zu beschäftigen“, erklärt Bergmann.<br />

In der Pilotphase fanden die Trainings auf Englisch statt und<br />

waren an Führungskräfte adressiert. Mittlerweile wurde<br />

das Programm in 30 Sprachen übersetzt. „Zusätzlich zum<br />

Foto: privat<br />

Online-Angebot haben wir ein Schulungskonzept für ein<br />

eineinhalbstündiges Training entwickelt, das überall auf<br />

der Welt eingesetzt wird“, erläutert Bergmann. Weil nicht<br />

alle Mitarbeiter einfachen Zugriff auf E-Learnings haben,<br />

finden Trainings für angehende Botschafter auch vor Ort<br />

statt. „Wenn man eine solche Initiative in einem Konzern<br />

unserer Größenordnung umsetzen will, muss man klein<br />

anfangen, stetig nachjustieren und bereit sein, Dinge immer<br />

wieder auf den Prüfstand zu stellen“, so Bergmann.<br />

Kooperationen mit Schulen bilden einen Schwerpunkt des<br />

Programms. „Kinder in der dritten oder vierten Klasse<br />

sind offen und aufgeschlossen für das Thema. Ihnen machen<br />

die Diskussionen mit unseren Botschaftern Spaß“, so Bergmann.<br />

Das gilt auch umgekehrt. Gut gelaunt kämen die Botschafter<br />

nach den einstündigen Diskussionen mit den Schülern<br />

ins Unternehmen zurück und motivierten mit ihren<br />

Schilderungen Kollegen, sich ihrerseits an dem Programm<br />

zu beteiligen. „Dabei achten wir strikt darauf, nicht das<br />

Unternehmen in den Mittelpunkt zu stellen“, betont Bergmann.<br />

Alles andere würde die Glaubwürdigkeit untergraben<br />

und die Kooperation mit Schulen sofort beenden. Bis<br />

Ende 2<strong>01</strong>6 hat Henkel mehr als 84 000 Schulkinder in 47<br />

Ländern erreicht.<br />

Um alle Mitarbeiter weltweit mitzunehmen, hat das Unternehmen<br />

sogenannte „Champions“ benannt, die im Konzern<br />

für das Botschafterprogramm werben und für eine dichte<br />

Vernetzung sorgen. Bis zum Sommer hatten 30 000<br />

Mitarbeiter an einer Schulung teilgenommen. Das Ziel, bis<br />

zum Jahresende jeden der 50 000 Henkel-Mitarbeiter zum<br />

Botschafter für Nachhaltigkeit auszubilden, rückt in greifbare<br />

Nähe.<br />

Deutsche Bahn: dezentral und praxisnah<br />

Change-Projekte haben bei der Deutschen Bahn Konjunktur,<br />

was zu gewissen Ermüdungserscheinungen in der<br />

Belegschaft führen kann. Gerade die gilt es mit „Zukunft<br />

Bahn“ zu vermeiden. „Wir haben uns zum Ziel gesetzt, aus<br />

diesem Programm eine Bewegung zu machen und in jedem<br />

Mitarbeiter den Ansporn zu entfachen, selbst etwas Konkretes<br />

zu tun, um Verbesserungen in der Qualität, Pünktlichkeit<br />

und Verlässlichkeit unserer Leistungsversprechen<br />

für unsere Kunden zu erreichen“, sagt Per Wiek, Leiter<br />

Personalstrategie und Personalprozesse – angesichts der<br />

200 000 Mitarbeiter an mehr als 3500 Standorten in Deutschland<br />

keine Kleinigkeit.<br />

„Uns war klar, dass wir das Programm nicht auf einen<br />

Schlag im gesamten Konzern ausrollen können. Deshalb<br />

haben wir ein mehrstufiges Konzept entwickelt, vor Ort,<br />

basisnah und konkret“, so Wiek. Den Auftakt bildete im<br />

Frühjahr 2<strong>01</strong>6 der jährliche Konzerntreff mit dem Bahnvorstand<br />

und 3500 Führungskräften der obersten Ebene.<br />

Sie diskutierten die Grundzüge des Programms „Zukunft<br />

Bahn“.<br />

18<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Ein halbes Jahr später folgte ein „Befähigungsevent“, wie<br />

Wiek formuliert. Zielgruppe waren 1000 Mitarbeiter aus<br />

dem operativen Bereich, die als Multiplikatoren das Programm<br />

in alle Teile des Konzerns tragen und für seine konkrete<br />

Umsetzung sorgen sollen. „Wir hatten vor allem<br />

betriebliche Führungskräfte, Meister und Teamleiter nach<br />

Berlin eingeladen. Aufgrund ihrer Funktion nah an der<br />

Basis sind sie besonders gut in der Lage, eine Multiplikatorenrolle<br />

zu übernehmen“, erklärt Wiek. Die Botschafter<br />

erhielten Materialien, um sich im Team mit dem Programm<br />

„Zukunft Bahn“ auseinanderzusetzen und gemeinsam mit<br />

ihren Mitarbeitern vor Ort kreative Lösungen für Probleme<br />

zu entwickeln. Außerdem bekam jeder Botschafter ein<br />

Budget in Höhe von 500 Euro, um zum Beispiel Kosten für<br />

Workshops zu begleichen. Nach der Konferenz hatten die<br />

Multiplikatoren sechs Monate Zeit, konkrete Maßnahmen<br />

zu definieren, mit denen sie das Programm „Zukunft Bahn“<br />

in ihrem Betrieb oder in ihrer Abteilung umsetzen wollen.<br />

Inzwischen läuft die dritte Stufe des Programms: die sogenannten<br />

Aktionswerkstätten. Teilnehmer sind die Multiplikatoren<br />

der ersten Generation sowie von diesen neu<br />

gewonnene Multiplikatoren. An fünf Standorten der Bahn<br />

werden die konkreten Umsetzungen der Qualitätsinitiative<br />

diskutiert und Impulse für die weitere Arbeit als Multiplikator<br />

gegeben. „Ziel ist, dabei zu bleiben und den Schwung<br />

aus der Startphase zu erhalten“, sagt Wiek.<br />

HR ist dabei kompetenter Ansprechpartner und sorgt für<br />

Transparenz. Eine Hotline steht zur Verfügung, falls es Probleme<br />

gibt, und für die „Zukunft Bahn“-Multiplikatoren ist<br />

im Intranet eine eigene Seite eigerichtet. Dort stellt HR<br />

regelmäßig Arbeitsmaterialien ein, etwa für Schnittstellenanalysen<br />

und bereichsübergreifendes Arbeiten. „Wir stellen<br />

stetig Best Practice auf der Seite ein“, sagt Wiek. Das<br />

Deutsche Bahn<br />

Die Aufgabe:<br />

Das Programm „Zukunft Bahn“ im gesamten Konzern bekannt<br />

zu machen und die Umsetzung vor Ort zu gewährleisten<br />

Das Ziel:<br />

Multiplikatoren zu befähigen, selbstständig „Zukunft Bahn“ in<br />

den Arbeitsalltag zu übersetzen, Maßnahmen zu initiieren,<br />

bereichsübergreifend zu arbeiten und Erfolge unternehmensweit<br />

zu kommunizieren<br />

Die Umsetzung:<br />

• Top-down-Konferenz in Berlin<br />

• Befähigungsevents mit Trainings und Arbeitsmaterialien für<br />

die Multiplikatoren<br />

• Intranet-Seite mit Arbeitsmaterialien und Best Practice<br />

• Hotline für Problemsituationen<br />

• monatlicher Aktionsletter mit Tipps, Impulsen und aktuellen Informationen zum Programm<br />

• dezentrale Veranstaltungen mit Multiplikatoren und von diesen empfohlenen Mitarbeitern<br />

(„Bring your Friends“-Prinzip)<br />

• transparente interne Kommunikation<br />

erleichtere die Ideenfindung. „Wir haben im guten Sinn<br />

einen Wettbewerb unter den Mitarbeitern ausgelöst, indem<br />

wir zeigen, was Betriebe und Abteilungen vor Ort auf die<br />

Beine stellen.“ Auch die Multiplikatoren posten ihre Ideen<br />

und Erfahrungen.<br />

Eine Aktion erreichte unmittelbar nach einer Konferenz in<br />

Berlin sogar direkt die Bahn-Kunden: In einem ICE war<br />

wegen Krankheit des Personals das Bordbistro geschlossen.<br />

Als die Lautsprecherdurchsage kam, meldeten sich vier<br />

Konferenzteilnehmer, die mit dem Zug nach Hause fuhren,<br />

beim Zugpersonal und sagten: „Wir machen das Ding jetzt<br />

auf.“ Wieks Fazit: „Wir sind auf einem guten Weg.“ p<br />

Per Wiek,<br />

Leiter Personalstrategie<br />

und Personalprozesse<br />

Foto: Jet-Foto Kranert<br />

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HR & ICH IN AKTION<br />

Fotos: Gottfried Stoppel<br />

Die Erfrischende<br />

Egal, wo Marion Rövekamp in Deutschland ist: Sie begegnet ihren Mitarbeitern auf<br />

Schritt und Tritt. Als Personalvorstand der DB Regio laufen bei ihr die Fäden des bundesweit<br />

agierenden Unternehmens zusammen. Wir begleiteten sie einen Tag lang bei ihrer Arbeit.<br />

VON DAVID SCHAHINIAN<br />

20<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


u Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen<br />

und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert. Das Zitat von Albert<br />

Einstein hängt in einem Büro im fünften Stock des sogenannten Hindenburgbauses<br />

am Stuttgarter Hauptbahnhof. Der Sitz des Verkehrsbetriebs<br />

Baden-Württemberg ist lediglich für diesen Tag Marion<br />

Rövekamps Basisstation, und doch passt das Bonmot zu ihr, wie sich<br />

noch herausstellen wird. Als Personalvorstand des Mobilitätsdienstleisters<br />

DB Regio AG ist sie Reisen, zumal mit der Bahn, gewohnt. Die<br />

Unternehmenszentrale ist in Frankfurt am Main, am Wochenende fährt<br />

sie in ihre Heimat München.<br />

Rövekamp ist für sämtliche personalpolitischen Themen auf nationaler<br />

Ebene zuständig, trägt Verantwortung für rund 37 000 Mitarbeiter.<br />

Viele davon sind Lokführer, Zugbegleiter – oder Busfahrer.<br />

Die DB Regio ist nicht nur im Schienenverkehr aktiv, sondern auch<br />

größter Busbetreiber in Deutschland. Kerngeschäft ist der öffentliche<br />

Linienverkehr. Es sind aber derzeit vor allem Lokführer, die dringend<br />

gesucht werden: Auf dem Markt gibt es kaum ausgebildete Lokführer<br />

und die Arbeitszeiten sind regelmäßig unregelmäßig. Was die<br />

Arbeit nicht einfacher macht: Jeder fühlt sich beflissen, mitzureden,<br />

transportiert die DB Regio doch täglich rund sieben Millionen Menschen.<br />

Pünktlichkeit wird vorausgesetzt, bei Störungen im Betriebsablauf<br />

wird schnell Kritik laut. Mit dieser Anspruchshaltung muss man<br />

umgehen können und sie erfüllen wollen.<br />

Führungskräften zur Seite stehen<br />

Beim ersten Termin am Morgen hört die studierte Juristin zunächst<br />

einmal zu. Martina Kneuer, Regionalleiterin Personal Region Baden-<br />

Württemberg und S-Bahn Stuttgart und ihr Team von rund 20 Personalverantwortlichen<br />

berichten über den Status aktueller Projekte,<br />

aber auch über ihre Sorgen und Nöte. Die Diskussion ist überraschend<br />

offen und konstruktiv. „Die Zahlenhörigkeit wird immer größer“,<br />

kritisiert ein Mitarbeiter. Schnell wird das Gespräch ein grundsätzliches<br />

über Personalarbeit in den kommenden Jahren. Eine zentrale<br />

Aufgabe der Kollegen sieht Rövekamp in der Rekrutierung, Personalplanung<br />

und der Steuerung nach der Planung: „Das ist die Basis unseres<br />

Jobs – dafür zu sorgen, dass das Geschäft läuft und wir motivierte<br />

Mitarbeiter mit der richtigen Qualifikation am richtigen Platz<br />

haben.“ Das ist in Zeiten der digitalen Transformation und der demografischen<br />

Entwicklung in Deutschland aber harte Arbeit. Noch eine<br />

Aufgabe kommt hinzu: „Sie müssen den Führungskräften erklären,<br />

was wir machen, um sie zu unterstützen. Ihr Job ist es, neben ihnen<br />

zu stehen und ihnen zu helfen, ihren Job gut zu machen.“<br />

HR als strategischer Partner – das funktioniert nur, wenn man diese<br />

Rolle einfordert und gute Argumente auf seiner Seite hat. Ein Beispiel<br />

ist das Know-how, wie man Teams aufstellt und mit verschiedenen<br />

Menschentypen umgeht: „Wenn wir das gut machen, bekommen wir<br />

auch die Akzeptanz. Und die Zahlen müssen stimmen, daran werden<br />

wir gemessen“, schwört sie die Mitarbeiter auf ihren Kurs ein. Das<br />

ändert zwar zunächst wenig an den alltäglichen Problemen, die manch<br />

einen drücken: ein hoher Krankenstand etwa oder die Tatsache, dass<br />

1000 Lokführer gesucht werden. Sind sie aber adressiert und argumentativ<br />

unterfüttert, wird der Handlungsdruck auch bei den Entscheidern<br />

deutlicher.<br />

Wo Zukunft auf Eisenbahn-Romantik trifft<br />

Personaler zu sein, kann bedeuten, viel Zeit im Büro zu verbringen.<br />

Als Personalvorstand bei der DB Regio AG, einem der bundesweit<br />

dezentralisiertesten Unternehmen, ist das ein wenig anders. Patrick<br />

Schaber, stellvertretender Leiter Werkstätten Stuttgart, wartet schon:<br />

Gemeinsam stehen Besuche in den Werkstätten Stuttgart-Rosenstein<br />

und Stadtpark auf dem Programm. Auf der Fahrt dorthin verweist er<br />

auf die imposanten Baustellen, die einen Teil der Stadt durchziehen:<br />

Das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21, einst ein großer Aufreger, nimmt<br />

hier nun unverkennbar Formen an.<br />

Und es hat unmittelbar mit dem Ziel der Fahrt zu tun, denn es besiegelt<br />

sein Ende. Die Werkstatt Rosenstein, in der Lokomotiven gewartet,<br />

inspiziert und instand gesetzt werden, wurde 1919 gebaut. Schon<br />

der Papa manch eines Mitarbeiters hat in dem Werk gearbeitet. Ein<br />

Stück Eisenbahn-Romantik, das ebenso wie die zweite Werkstatt im<br />

Stadtpark aufgegeben wird, wenn bestehende Verträge auslaufen. Ob<br />

das nicht für Unruhe bei den Mitarbeitern sorgt? „Wir haben ja noch<br />

ein paar Jahre vor uns“, verneint Schaber. Zudem wird es eine Vielzahl<br />

an weiteren Einsatzmöglichkeiten für sie geben.<br />

Hoch hinaus geht es in den Führerstand einer E-Lokomotive, für<br />

Kenner: einer 147 008. Rövekamps zupackende Art zeigt sich auch<br />

hier, als es gilt, mit einigen kräftigen Klimmzügen ins Führerhaus zu<br />

klettern. Vor sich sieht sie lediglich einige Monitore, Hebel und Knöpfe.<br />

Wer manchmal am Bahnhof steht und die Lokführer beobachtet,<br />

sieht meist entspannt wirkende Menschen, die diese Regler bedienen.<br />

Was leicht aussieht, ist eine höchst anspruchsvolle Arbeit. Die Lokführer<br />

tragen große Verantwortung. „Wir schulen sie regelmäßig“,<br />

betont Schaber. Zusatzqualifikationen und regelmäßige Fortbildungen<br />

sind nur ein Teil des kontinuierlichen Schulungsbedarfs.<br />

Marion Rövekamp hört aufmerksam zu, spricht mit den Mitarbeitern<br />

und weiß auch mit Kritik an der Gesamtsituation umzugehen. Hier<br />

zeigt sich praktisch, was bereits in der morgendlichen Konferenz zur<br />

Fakten zum Personalmanagement bei der DB Regio<br />

Der Personalbestand bei der DB Regio gesamt lag im Dezember 2<strong>01</strong>6 bei 37 853<br />

Mitarbeitern. Die größte Berufsgruppe sind die Triebfahrzeugführer mit rund<br />

12 000 Mitarbeitern im Bereich Schiene und gut 7500 Busfahrern im Busbereich.<br />

Bei der Berufsgruppe der Triebfahrzeugführer herrscht die größte Not: Für das Jahr<br />

2<strong>01</strong>7 hatte die DB Regio einen Rekrutierungsbedarf von circa 1100 Mitarbeitern,<br />

davon wurden bis Ende September für bereits 940 Stellen die Verträge unterschrieben.<br />

In 2<strong>01</strong>8 gibt es einen erneuten Bedarf von knapp 1000 Triebfahrzeugführern.<br />

Derzeit befinden sich bei DB Regio fast 900 Auszubildende über alle Lehrjahre<br />

hinweg in Ausbildung. Zudem sind noch weitere 122 Nachwuchskräfte (wie duale<br />

Studenten, Praktikanten, Werkstudenten und Trainees) bei DB Regio beschäftigt.<br />

In 2<strong>01</strong>7 wurden 288 Azubis und dual Studierende übernommen.<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 21


HR & ICH IN AKTION<br />

„Je besser ich vorbereitet<br />

bin, desto besser ist es für<br />

die Kollegen. Auf meiner<br />

Ebene kann ich einiges<br />

abfedern.“<br />

Gemeinsam mit Patrick Schaber, stellvertretender Leiter Werkstätten Stuttgart, (Foto unten<br />

links) besucht Marion Rövekamp die Werkstätten in Stuttgart-Rosenstein und Stadtpark. Dort<br />

spricht sie mit den Mitarbeitern (Sven Gutzeit, oben rechts) und setzt sich auch schon mal in<br />

den Führerstand einer E-Lokomotive.<br />

Der Tag<br />

8.00<br />

Büro/Organisation<br />

9.00<br />

Gespräch mit Martina Kneuer,<br />

Regionalleiterin Personal<br />

Region BW und S-Bahn<br />

Stuttgart, und ihrem Team<br />

11.00<br />

Besuch Werkstätten Stuttgart-<br />

Rosenstein und Stadtpark mit<br />

Patrick Schaber, stellvertretender<br />

Werkstattleiter<br />

13.00<br />

Mittagessen mit<br />

Kollegen<br />

14.00<br />

S-Bahn-Fahrt zurück in den<br />

Stuttgarter Unternehmenssitz<br />

14.30<br />

Gespräch mit der<br />

Redaktion der<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong><br />

22<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Sprache kam: Qualifizierte Mitarbeiter sind gesucht, aber rar gesät. Der Personalvorstand<br />

kann auf Hilfe aus dem Konzern bauen: Die Deutsche Bahn AG holte<br />

jüngst mit ihrer Arbeitgeberkampagne „Willkommen, Du passt zu uns“ den<br />

Gesamtsieg des <strong>Personalwirtschaft</strong>spreises dieses <strong>Magazin</strong>s.<br />

Eingefahrenes überdenken<br />

Die Werkstatt Stadtpark wirkt heller und weitläufiger als Rosenstein. An der Wand<br />

neben den drei Instandhaltungsgleisen hängen Zettel, die eine kleine Revolution<br />

bedeuten und ins Mark des Personalmanagements treffen. Ihr Name: OPEX. Mit<br />

dem Programm Operative Exzellenz will die Deutsche Bahn schneller und effizienter<br />

werden und so in fünf Jahren mehr als eine Milliarde Euro bei Reparatur<br />

und Wartung von Netz und Loks einsparen. Die Medienberichte über das als<br />

intern klassifizierte Papier sorgten Ende des vergangenen Jahres für Verunsicherung<br />

in der Belegschaft. Mittlerweile ist wieder Ruhe eingekehrt.<br />

Unter anderem wurde die Zusammenarbeit auf neue Füße gestellt. Beispiel Fehlerkultur:<br />

Die Mitarbeiter sind dazu aufgefordert, bei Problemen mit ihren Chefs<br />

zu sprechen, sie auch auf Missstände hinzuweisen. Nicht sie, sondern der Kunde<br />

ist König, wie auch das große Mammutprogramm „Zukunft Bahn“ vermittelt.<br />

„Das erfordert Mut, das war man nicht überall gewohnt. Und es war auch emotional<br />

für viele kein einfacher Prozess“, so Rövekamp.<br />

Vor allem nicht dort, wo die Hierarchien noch in Stein gemeißelt waren. Ihre<br />

Aufgabe sieht sie an dieser Stelle unter anderem darin, die Teamleiter von bürokratischen<br />

Themen zu entlasten, damit sie sich auf ihre Kernaufgaben konzentrieren<br />

können. Eingefahrenes überdenken, darum geht es. Bereits 2<strong>01</strong>5 wurde<br />

die DB Regio Info-App eingeführt, um die interne Kommunikation zu verbessern.<br />

Sie liefert aktuelle Informationen zum Geschäftsfeld DB Regio sowie Neuigkeiten<br />

aus der Region. Und sie befähigt die Führungskräfte auch, auskunftsfähig<br />

zu sein. Große Veränderungen erfordern allerdings einen längeren Atem. Dass<br />

Rövekamp Marathonläuferin ist, schadet dabei sicher nicht. Ihre Bestzeit liegt bei<br />

beachtlichen vier Stunden und 26 Minuten.<br />

PERSONAL<br />

AKTEN<br />

EFFIZIENT<br />

MANAGEN<br />

Kein Kuschelkurs, aber ein offenes Ohr<br />

Nach dem Mittagessen – in Stuttgart geht es nicht ohne Maultaschen – bleibt ein<br />

wenig Zeit für ein persönliches Gespräch. Ihr sei relativ früh klar gewesen, dass<br />

sie im Personalbereich arbeiten will, erzählt die studierte Juristin. Für sie ist der<br />

Job eine perfekte Kombination aus betriebswirtschaftlicher Ausrichtung und der<br />

konkreten Arbeit mit Menschen. Zur Bahnfahrerin ist sie aus Überzeugung geworden.<br />

15 Jahre lang hat sie bei der Deutschen Telekom gearbeitet, 60 000 Kilometer<br />

im Jahr im Auto zurückgelegt. „Irgendwann wollte ich etwas Neues machen.“<br />

Sie machte sich 2005 selbstständig, verantwortete aber bereits seit 2009 interimsweise<br />

die Leitung des Change Managements im Programm „Zukunftsfähigkeit<br />

Regio“.<br />

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Telefonate<br />

15.15<br />

Webkonferenz zum Thema<br />

„Zukunft Personalarbeit“ mit<br />

Umsetzungsverantwortlichen<br />

des Projekts<br />

16.00<br />

Telefonkonferenz zu den<br />

Verhandlungen für die<br />

betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Tarifverträge<br />

17.00<br />

Fahrt ins Frankfurter<br />

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<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 23


HR & ICH IN AKTION<br />

Die Vita<br />

bis 1990<br />

Studium der Rechtswissenschaften<br />

an der<br />

Universität Passau<br />

1990–2005<br />

Diverse Führungsfunktionen<br />

im HR-Bereich bei der<br />

Deutschen Telekom AG<br />

2005–2<strong>01</strong>1<br />

Geschäftsführerin Taxo<br />

Management Consulting<br />

GmbH<br />

seit 2<strong>01</strong>1<br />

Vorstand Personal bei der<br />

DB Regio AG und Leiterin<br />

Personal Personenverkehr<br />

bei der ehemaligen DB<br />

Mobility Logistics AG<br />

Offensichtlich zur Zufriedenheit ihrer Auftraggeber: 2<strong>01</strong>1<br />

gab sie ihre Tätigkeit als geschäftsführende Gesellschafterin<br />

der Taxo Management Consulting GmbH auf und wurde<br />

Vorstand Personal der DB Regio. Was die Mobilität<br />

betrifft: Als Vorständin bei der DB hat sie natürlich eine Bahncard<br />

100. Für den Reporter der <strong>Personalwirtschaft</strong> wird<br />

selbstverständlich eine S-Bahn-Fahrkarte am Automat gezogen,<br />

die an diesem Tag auf ihre Kosten geht. Rövekamp<br />

genießt den Luxus, während längerer Fahrten Zeitung lesen<br />

oder am stets griffbereiten Tablet arbeiten zu können.<br />

„Ich versuche, jede Region mindestens einmal im Jahr zu<br />

besuchen“, sagt sie, am Stuttgarter Hauptbahnhof auf Kollegin<br />

Kneuer wartend. Zusammen geht es per S-Bahn in eine<br />

Gastwirtschaft zwecks Mittagspause. 13 Regionen sind es im<br />

Schienen-, fünf beim Busverkehr. Jede davon hat eine Regionalleitung,<br />

die für das gesamte Geschäft an Ort und Stelle verantwortlich<br />

ist. Der persönliche Austausch mit ihnen ist ihr<br />

wichtig. „Je besser ich vorbereitet bin, desto besser ist es für<br />

die Kollegen. Auf meiner Ebene kann ich einiges abfedern.“<br />

Zudem seien die Mitarbeiter loyaler, wenn sie wüssten, dass<br />

man sich auf sie verlassen könne. Was sie gibt, fordert sie<br />

jedoch auch ein, von einem Kuschelkurs kann keine Rede sein:<br />

„Ich spreche Dinge deutlich an“, stellt Rövekamp klar.<br />

Auf die Frage nach ihrem Führungsstil antwortet sie schnell<br />

und mit einem Lächeln: „Erfrischend.“ Nach kurzem Überlegen<br />

ergänzt sie: „Und mitreißend.“ Zudem sei sie menschlich<br />

offen, aber sie habe auch eine große Erwartungshaltung.<br />

Sie schaue sich Dinge genau an, bevor sie Entscheidungen<br />

treffe, diskutiere auch gern kontrovers. In bestimmten Situationen,<br />

wenn die Diskussionen auszuufern drohen, treibt sie<br />

ihre Entscheidungen aber zielstrebig voran. „Ich weiß, was<br />

ich will und lasse es kalibrieren“, umschreibt sie ihr Vorgehen<br />

mit einem schönen Bild. Am Ende müsse klar sein,<br />

wohin die Reise geht – und diese angetreten werden: „Ich<br />

bin kein Mensch, der ewig auf einer Sache rumkaut.“<br />

Projekt „Zukunft der Personalarbeit“<br />

Einmal mehr betont sie, wie sehr sich die Personalarbeit im<br />

Wandel befindet. Eines ihrer Lieblingsthemen ist das Thema<br />

Rekrutierung und seine Transparenz in Daten und Fakten,<br />

um seine Komplexität besser in den Griff zu bekommen.<br />

„Ich muss wissen, was ein Krankenstand von sieben<br />

Prozent konkret bedeutet – und Lösungen umsetzen“, erklärt<br />

sie an einem Beispiel. Sie und alle Personalverantwortlichen<br />

müssten dafür sorgen, dass die Organisation arbeiten kann.<br />

Keine einfache Aufgabe, zumal, wenn man Schlagworte<br />

wie Digitalisierung, Qualifizierung, Mitarbeiterbindung<br />

berücksichtigen muss. Und Wettbewerb, mit dem sich der<br />

Konzern mehr denn je auseinandersetzen muss. Für den<br />

Betrieb des vor der Haustür liegenden, durch Stuttgart führenden<br />

Netzes hat die Tochter des britischen Unternehmens<br />

Go-Ahead den Zuschlag erhalten, 2<strong>01</strong>9 wird der<br />

Wechsel vollzogen.<br />

„Alle haben erst einmal Angst vor Veränderung“, weiß Rövekamp.<br />

Den Herausforderungen im HR-Bereich nimmt sich<br />

das Projekt „Zukunft der Personalarbeit“ an. Ziel ist es, eine<br />

zukunftsfähige Personalorganisation aufzubauen. Dazu war<br />

zunächst eine Neuaufstellung von HR notwendig: Sie unterstützt<br />

das Geschäft als strategischer Partner und Berater.<br />

Im Mittelpunkt steht die Stärkung der Führungsverantwortung,<br />

Effizienzsteigerung und die Qualität der HR-Produkte.<br />

Gleich beginnt eine Webko mit den beiden Umsetzungsverantwortlichen<br />

Stephanie Korn und Christian Lukaß.<br />

Wenn dieser Artikel erscheint, soll das brandneue Personalportal<br />

gerade online gegangen sein – nach vielen Monaten<br />

der Vorbereitung. Dabei handelt es sich um ein Dashboard,<br />

ein Steuerungsinstrument für Führungskräfte zum schnellen<br />

Überblick zu relevanten Personalkennzahlen.<br />

Handlungssicherheit durch Vernetzung<br />

Die Mitarbeiter berichten von dem Kommunikationskonzept,<br />

das sie für die Einführung entwickelt haben, denn<br />

auch innerhalb von Unternehmen wollen erst einmal Mehrheiten<br />

für sinnvolle Neuerungen organisiert werden. Personalverantwortliche<br />

konnten das Portal frühzeitig evaluieren,<br />

es wurden User-Experience-Workshops abgehalten.<br />

Zehn Prozent der gesamten Führungsmannschaft waren als<br />

Test-User in die Entwicklung eingebunden. Sie können<br />

und sollen später auch als Multiplikatoren fungieren. Die<br />

Projektverantwortlichen stellen Rövekamp den Kommunikationsplan<br />

auch deshalb sehr ausführlich vor, weil sie sich<br />

beim Rollout der vollen Unterstützung der Führungsmannschaft<br />

sicher sein wollen. „Prinzipiell fein“, urteilt sie zu<br />

diesem frühen Zeitpunkt, „aber mir fehlen noch deutlichere<br />

Hinweise, warum wir die neuen HR-Produkte einführen,<br />

welche Ziele wir damit verfolgen.“ Das Team verspricht,<br />

das zu berücksichtigen.<br />

„Die Vernetzung spielt eine große Rolle, das ist als sehr<br />

hilfreich wahrgenommen worden“, berichtet Korn weiter.<br />

Es folgt ein Blick darauf, wie das HR-Dashboard zum derzeitigen<br />

Planungsstand konkret aussieht. Ein Ziel, die Handlungssicherheit<br />

zu stärken, dürfte auf jeden Fall erreicht<br />

werden: Die Ansicht ist individuell konfigurierbar und<br />

zeigt auf Knopfdruck sämtliche Informationen an, die Personaler<br />

für ihre Arbeit brauchen: Durchschnittsalter von<br />

Abteilungen, Krankenstände, Grafiken, Vergleiche zum<br />

Vorjahr ... Geplant ist ein gestaffelter Rollout, damit das System<br />

performant bleibt – auch in anderen Bereichen wie<br />

der DB Netz AG soll es zum Einsatz kommen.<br />

Die Zeit fliegt: Um 16 Uhr beginnt bereits die nächste Telko.<br />

Davor ist es jedoch Zeit, sich zu verabschieden. Thema<br />

des folgenden Gesprächs sind die betriebsverfassungsrechtlichen<br />

Tarifverträge – nichts, was für die Öffentlichkeit<br />

bestimmt wäre. Eine Stunde später will Rövekamp die Fahrt<br />

zurück in ihr Frankfurter Büro antreten. Natürlich mit der<br />

Bahn.<br />

p<br />

24<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Fachkraft gefunden!<br />

Das Inklusionsbarometer Arbeit untersucht die Situation für<br />

Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt.<br />

Mehr erfahren Sie unter www.aktion-mensch.de/inklusionsbarometer.<br />

In Kooperation mit:<br />

Mehr unter www.aktion-mensch.de/inklusionsbarometer


HR & ICH PRAXISTRANSFER<br />

Mittelmanager im Zeitalter der Ambidextrie<br />

Eine Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der Change-Beratung<br />

Penning Consulting zeigt die veränderte Positionierung des mittleren Managements in<br />

deutschen Unternehmen auf. Die zentrale Herausforderung lautet Ambidextrie.<br />

Die Studie<br />

u Tagesgeschäft, Projekte, Innovation. Das ist der Dreiklang,<br />

aus dem heute die Arbeitswoche von Führungskräften<br />

auf der mittleren Ebene besteht. Wir beobachten:<br />

Einen Großteil der Arbeitszeit nehmen mittlerweile<br />

Veränderungsprojekte ein, gleichzeitig müssen Mittelmanager<br />

ihr Tagesgeschäft steuern. Diese Ambidextrie,<br />

also die Gleichzeitigkeit von Alltags- und Projektgeschäft,<br />

ist heute zum permanenten Standard in vielen<br />

Unternehmen geworden. Gemeinsam mit dem unabhängigen<br />

Markt- und Meinungsforschungsinstitut Forsa<br />

wollten wir verstehen: Wie stellt sich die Projektdichte<br />

in Unternehmen heute wirklich dar? Wie gehen<br />

insbesondere Mittelmanager damit um? Und inwieweit<br />

verändert dies ihre Rolle im Unternehmen – oder<br />

hat es das bereits getan?<br />

1. Permanente Veränderungsprojekte sind heute Realität<br />

und belasten das Mittelmanagement<br />

Fakt: 88 Prozent der durch Forsa befragten Unternehmen<br />

haben in den vergangenen drei Jahren mindestens<br />

ein größeres Transformations- beziehungsweise Veränderungsprojekt<br />

durchgeführt. 56 Prozent haben angegeben,<br />

mehr als sechs Projekte durchgeführt zu haben,<br />

Die hier präsentierten Zahlen stammen aus der Studie „Führungsbarometer 2<strong>01</strong>7: Die<br />

strategische Bedeutung des mittleren Managements“, die Forsa im Auftrag der Change-<br />

Beratung Penning Consulting durchgeführt hat. Dazu wurden 90 HR-Chefs aus Unternehmen<br />

unterschiedlicher Größe befragt. In den Folgemonaten werden weitere Zahlen veröffentlicht,<br />

unter anderem zu Führungszeit und -stil, Unternehmenskultur und zu strategischer Einbindung<br />

des mittleren Managements. Mehr dazu auf www.penning-consulting.com<br />

34 Prozent mehr als elf und acht Prozent sogar mehr<br />

als 51 Projekte. Die Projektedichte hat in den vergangenen<br />

Jahren damit deutlich zugenommen. Schwerpunkte<br />

bei laufenden Projekten bilden aktuell Prozessveränderungen<br />

(84 Prozent), Projekte im Kontext<br />

von Digitalisierung (81 Prozent) und Innovation (78 Prozent).<br />

An einer Veränderung von Geschäftsmodell<br />

(49 Prozent) oder Führung (40 Prozent) arbeiten derzeit<br />

weniger als die Hälfte der befragten Unternehmen.<br />

Während ein Teil der mittleren Manager mit dieser<br />

spürbaren Belastung adäquat umgehen kann, hat die<br />

Forsa-Untersuchung ergeben, dass insgesamt 44 Prozent<br />

der befragten HR-Chefs angegeben haben, dass<br />

ihre mittlere Führungsebene sich stark belastet fühle.<br />

Zehn Prozent halten die Belastungsgrenze für überschritten.<br />

Transfer: Die Realität der Transformation kann man<br />

nicht ausblenden. In Anbetracht der Belastungsgrenzen<br />

sollten die Unternehmen prüfen, wo genau die<br />

belastenden Faktoren für das Mittelmanagement liegen.<br />

Auch wir haben diese Frage in der Studie gestellt:<br />

Was unterscheidet nun die Gruppe der stärker Belasteten<br />

von den weniger Belasteten?<br />

2. Die Qualität von Führung ist ein entscheidender<br />

Belastungsfaktor<br />

Fakt: Betrachten wir zunächst die individuelle Ebene:<br />

Es ist auffällig, dass die sich weniger belastet fühlenden<br />

Manager 48 Prozent ihrer Führungszeit in gestaltende<br />

statt reagierende Führungsaufgaben investieren. Bei<br />

denjenigen, die sich höher belastet fühlen, sind dies<br />

nur 39 Prozent. Auch die Gesamtzeit für Führungsaufgaben<br />

liegt bei den weniger Belasteten rund zehn Pro-<br />

26<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


zent höher. Sie nutzen zudem mehr Zeit für menschenals<br />

für aufgabenbezogene Führung sowie zur Selbstführung.<br />

Laut den Forsa-Daten gelingt 86 Prozent der weniger<br />

belasteten Mittelmanager in den befragten Unternehmen<br />

der Einsatz von Mitarbeitern gemäß ihrer individuellen<br />

Stärken und Schwächen – das ist der beste<br />

erzielte Wert. Eine besondere Diskrepanz lässt sich auf<br />

kommunikativer Ebene feststellen: Nur 55 Prozent der<br />

Mittelmanager mit hoher Belastung gelingt es, ihren<br />

Mitarbeitern ihren Wertbeitrag zum großen Ganzen und<br />

damit den Sinn ihrer Arbeit adäquat zu vermitteln. Bei<br />

den weniger Belasteten ist das bei 76 Prozent der Fall.<br />

Transfer: Die weniger Belasteten entscheiden sich –<br />

bewusst – für einen Führungsansatz, der vor allem<br />

Coaching, individuelle Befähigung und Entwicklung von<br />

Mitarbeitern in den Mittelpunkt rückt und zugleich<br />

Zeiträume zur Selbstreflexion und Eigenentwicklung<br />

enthält. Hierauf sollten die Unternehmen in ihrer Führungskräfteentwicklung<br />

also achten. Im Alltagsgeschäft<br />

sollten Mittelmanager zudem individuell zugeschnittene<br />

Trainings- und Verbesserungsprogramme für einzelne<br />

Mitarbeiter ermöglichen.<br />

3. Mittelmanager brauchen Entscheidungskompetenzen<br />

und Freiheiten<br />

Fakt: Auffallend ist dabei, dass neun von zehn Unternehmen<br />

mit weniger belasteten Führungskräften angeben,<br />

dass sich ihre Mittelmanager heute vor allem als<br />

Berater und Entwickler sich selbst steuernder Teams verstehen,<br />

bei denen mit hoher Belastung sind es fast 30<br />

Prozent weniger. Ebenso haben die Mittelmanager in<br />

Unternehmen mit niedrigerer Belastung mehr Entscheidungskompetenzen<br />

erhalten, haben gleichzeitig<br />

mehr Entscheidungen auf die Mitarbeiterebene übertragen<br />

können.<br />

Transfer: Diese Ergebnisse zeigen, dass nicht allein die<br />

Anzahl an Projekten und damit die Arbeitsintensität<br />

darüber entscheiden, ob sich das mittlere Management<br />

überlastet fühlt. Sondern die Qualität von Führung ist<br />

ein zentraler Faktor für die gleichzeitige Bewältigung<br />

von Projekt- und Alltagsgeschäft. Es trägt die Mittelmanager<br />

aus der Kurve, wenn sie zu wenig Zeit in Führung<br />

und zu viel Zeit in operative Management- oder<br />

gar Fachaufgaben investieren. Denn nur eine Intensivierung<br />

und eine pro-aktive Ausgestaltung der Führungszeit<br />

ermöglicht eine adäquate Delegation von<br />

Aufgaben an die Mitarbeiterebene.<br />

Die Rollendefinition des mittleren Managements ist<br />

keine Aufgabe für den einzelnen Manager. Sie ist eine<br />

strukturelle Fragestellung, die zunächst einmal vom<br />

Topmanagement zu beantworten ist. Diese muss das<br />

ganz bewusst entscheiden, in den meisten Fällen muss<br />

dazu auch die oberste Führungsebene die eigene Positionierung<br />

neu denken. Um dem mittleren Management<br />

eine Rolle als Coach und Berater der Mitarbeiter<br />

zu ermöglichen, muss das Topmanagement dies gegenüber<br />

seinen Führungskräften selbst leben.<br />

4. Starke Mittelmanager wirken aktiv an der Unternehmensstrategie<br />

mit<br />

Fakt: Die weniger belasteten Manager schneiden in der<br />

Frage ihres Beitrags zur Unternehmensstrategie erneut<br />

durchweg besser ab als die stärker Belasteten.<br />

Transfer: Das bedeutet jedoch nicht, die Gesamtverantwortung<br />

für Veränderung einfach an die nachgelagerte<br />

Ebene abzugeben. Das Gegenteil ist der Fall:<br />

Vorstände und Geschäftsführung müssen in ihrer Verantwortung<br />

bleiben. Sie müssen die entsprechenden<br />

Prioritäten setzen und auch entscheiden, welches Projekt<br />

eine Chance auf Umsetzung hat – und welches nach<br />

hinten priorisiert oder gar eingestellt werden sollte. Wir<br />

erleben in unserer Beratungspraxis häufig eine Illusion,<br />

was die inhaltliche und quantitative Machbarkeit<br />

anbelangt, die sich aufgrund von sachlichen Notwendigkeiten<br />

ergibt. Diese Illusion gilt es für das Topmanagement<br />

auszuräumen und damit seinen Führungskräften<br />

eine effektive Lösung der wichtigen und<br />

zugleich realistisch umsetzbaren Projekte zu ermöglichen.<br />

Das Ressourcenmanagement gehört auf die<br />

Topebene. So schafft die Unternehmensführung den<br />

notwendigen Rahmen für die Umsetzung von Veränderungsprojekten.<br />

Das Topmanagement muss sich also als Sozialarchitekt<br />

der Organisation in Bezug auf ein professionelles<br />

Change-, Projekt- und Ressourcenmanagement sowie<br />

ein für die Mittelmanager umsetzbares Organisationsdesign<br />

verstehen.<br />

p<br />

Eine Bilderstrecke mit<br />

Grafiken und weiterführenden<br />

Infos finden Sie auf<br />

www.personalwirtschaft.de<br />

in der Rubrik „Führung“.<br />

AUTOR<br />

Stephan Penning, Geschäftsführer,<br />

Penning Consulting GmbH, Köln,<br />

s.penning@penning-consulting.com<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 27


HR & ICH PRAXISTRANSFER<br />

Sicherheit wichtiger als Karriere und Gehalt<br />

Eine aktuelle Studie von meinestadt.de zeigt, auf welche Aspekte Personaler verstärkt achten<br />

müssen, wenn sie Fachkräfte ohne Studium erreichen möchten. Ein zentrales Ergebnis:<br />

Fachkräfte mit Berufsausbildung verfolgen andere Arbeits- und Lebenskonzepte als Akademiker.<br />

Die Studie<br />

u Die deutsche Wirtschaft klagt über einen massiven<br />

Fachkräftemangel. Für knapp zwei Drittel der offenen<br />

Stellen werden Fachkräfte mit Berufsausbildung gesucht.<br />

Längst führen ausgeschriebene Stellen für Lokomotivführer,<br />

LKW-Fahrer und Altenpfleger das Negativ-Ranking<br />

der längsten Vakanzzeiten in Deutschland an – weit<br />

vor den akademischen Berufen. HR-Verantwortliche in<br />

Unternehmen sind häufig selbst Akademiker, denen<br />

die Lebens- und Gedankenwelt von Fachkräften in der<br />

Regel fremd ist. Somit scheinen sie Schwierigkeiten zu<br />

haben, sich in deren Wünsche und Bedürfnisse hineinzuversetzen.<br />

Unternehmen und Recruiter müssen<br />

umdenken. Nur wer sich flexibel zeigt, wird vakante Stellen<br />

für Fachkräfte effizient besetzen können.<br />

1. Zielgruppe der Fachkräfte kennen und verstehen<br />

Fakt: Für die Employer-Branding-Studie wurden 2042<br />

Fachkräfte befragt, welche Aspekte für sie über die<br />

Wahl eines neuen Arbeitgebers entscheiden. Die beiden<br />

wichtigsten Kriterien sind aus Fachkräftesicht die<br />

Sicherheit des Arbeitsplatzes (63,7 Prozent „sehr wichtig“-Nennung)<br />

und die pünktliche Gehaltszahlung (60,3<br />

Prozent). Nicht einmal jede fünfte Fachkraft legt Wert<br />

auf ein überdurchschnittliches Gehalt.<br />

Die Employer-Branding-Studie wurde von meinestadt.de im Sommer 2<strong>01</strong>7 durchgeführt.<br />

Für diese Pilotstudie wurden 2042 Fachkräfte mit Berufsausbildung befragt, welche Aspekte<br />

für sie über die Wahl eines Arbeitgebers entscheiden. Die meisten Befragten stammen aus den<br />

Branchen Logistik, Handwerk, Handel und Gesundheitswesen. Der Lehrstuhl von Professor<br />

Dr. Matthias Baum von der Technischen Universität Kaiserslautern hat die Ergebnisse der<br />

Umfrage wissenschaftlich ausgewertet.<br />

Transfer: Da Sicherheitsaspekte von der Mehrheit der<br />

Befragten unmissverständlich als am wichtigsten bewertet<br />

werden, muss dieses Thema auch in einer Stellenanzeige<br />

als Attraktivitätstreiber im Vordergrund stehen,<br />

um Interesse zu wecken. Für den Großteil der<br />

Akademiker eine Selbstverständlichkeit, wird von den<br />

Fachkräften neben dem sicheren Arbeitsplatz die Pünktlichkeit<br />

der Gehaltszahlung sehr hoch priorisiert. Für<br />

Fachkräfte ist es auch tendenziell wichtiger, ein Gehalt<br />

zu bekommen, von dem sie gut leben können, als überdurchschnittlich<br />

entlohnt zu werden. Das ging aus vielen<br />

Freitextfeldern hervor. Stattdessen ist ihnen die<br />

Work-Life-Balance wichtiger – darauf sollte stärker<br />

eingegangen werden.<br />

2. Relevante Inhalte kommunizieren<br />

Fakt: Auch das Arbeitsklima ist ein entscheidender<br />

Faktor: Neben einer guten Beziehung zu den Kollegen<br />

(43 Prozent „sehr wichtig“-Nennung) geben 48,7 Prozent<br />

an, dass ihnen eine gute Unternehmenskultur und<br />

gute Stimmung im Unternehmen sehr wichtig seien. 49,5<br />

Prozent finden die Anerkennung der Arbeit durch den<br />

Chef oder die Chefin „sehr wichtig“. Ein weiteres spannendes<br />

Ergebnis: Gute Arbeitswerkzeuge (38,1 Prozent<br />

„sehr wichtig“-Nennungen) und guter Arbeitsschutz<br />

(37,9 Prozent „sehr wichtig“-Nennungen) sind wichtiger<br />

als „spannende Arbeitsinhalte“. In vielen Stellenanzeigen<br />

und auf Karriereseiten wird das Thema Arbeitsschutz<br />

allerdings kaum oder gar nicht thematisiert.<br />

Transfer: HR-Verantwortliche müssen sich schon bei<br />

der Formulierung einer Stellenanzeige und anschließend<br />

auch im Bewerbungsprozess viel stärker in die tatsächliche<br />

Zielgruppe hineinversetzen. Die bei akademischen<br />

Zielgruppen seit Jahrzehnten eingesetzten Leis-<br />

28<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


tungsversprechen sowie Begriffe und Bilder für die<br />

Zielgruppe der Fachkräfte zu recyceln, bringt langfristig<br />

keinen Erfolg. Fachkräfte mit Berufsausbildung<br />

möchten sich und ihre Fähigkeiten einbringen. Dem<br />

Großteil der Kandidaten ist Wertschätzung und eine<br />

kollegiale Atmosphäre wichtig. Auch das Thema<br />

Arbeitssicherheit sollte in Stellenanzeigen berücksichtigt<br />

werden. Dies dürfte insbesondere für handwerkliche<br />

Berufe, Jobs im Gesundheitswesen und Stellen in<br />

der Produktion von großer Bedeutung sein.<br />

Für Erzieher ist es zum Beispiel wichtig zu wissen, wie<br />

groß die Gruppen im Kindergarten sind, ob die Einrichtung<br />

eine U3-Betreuung anbietet und wie groß der<br />

administrative Teil in Form von Lernberichten ist. Eine<br />

Pflegekraft möchte wissen, ob sie Mitspracherecht bei<br />

der Erstellung der Dienstpläne hat. All diese Spezifika<br />

der jeweiligen Branchen und Berufsfelder sollten beim<br />

Thema Employer Branding mehr Beachtung finden.<br />

Um ein realistisches Bild über die spezifischen Erwartungen<br />

und Bedürfnisse potenzieller Mitarbeiter zu<br />

bekommen, sollten am besten die eigenen Kollegen im<br />

Unternehmen befragt werden.<br />

3. Weg mit dem Karriere-Wording<br />

Fakt: Ein Großteil der Unternehmen setzt immer noch<br />

auf den klassischen Karrierebegriff, wenn es darum<br />

gehen soll, potenzielle Mitarbeiter anzulocken. Ein<br />

schwerer Fehler, wenn man sich die Ergebnisse der Studie<br />

vor Augen führt: Nur für 19,2 Prozent der Befragten<br />

spielen gute Aufstiegschancen innerhalb des Unternehmens<br />

eine wichtige Rolle.<br />

Transfer: In der gesamten HR-Kommunikation dreht<br />

sich alles um Karrieretage, Karriere-Websites und Karrierechancen.<br />

Viel wichtiger als Karriere sind Fachkräften<br />

die Unternehmenskultur, die Arbeitsatmosphäre<br />

sowie die Möglichkeit, ihre eigenen Fähigkeiten einbringen<br />

zu können. Deswegen kann beim Employer<br />

Branding und in der HR-Kommunikation mit nicht<br />

akademischen Fachkräften auf die klassischen Karrierebegrifflichkeiten<br />

zukünftig ganz verzichtet werden.<br />

4. Andere Kanäle verwenden<br />

Fakt: Für Akademiker mögen Karriere-Websites eines<br />

der wichtigsten Employer-Branding-Tools sein, für<br />

Fachkräfte sind sie es aber zweifelsfrei nicht. Nur 15,6<br />

Prozent gaben an, dass für sie Karriere-Websites<br />

sehr wichtig seien, um einen guten Arbeitgeber zu<br />

identifizieren. Am wichtigsten sind für mehr als zwei<br />

Drittel immer noch der persönliche Eindruck im<br />

Vorstellungsgespräch (68,8 Prozent) sowie Berichte<br />

und Empfehlungen aus dem persönlichen Netzwerk<br />

(58,4 Prozent). 29,1 Prozent stufen Arbeitgeber-<br />

Bewertungsplattformen bei der Identifikation eines<br />

guten Arbeitgebers als wichtig ein.<br />

Transfer: Bei der Rekrutierung von Fachkräften mit<br />

Berufsausbildung müssen Unternehmen andere Kanäle<br />

als Karriere-Websites verstärkt nutzen. Hier sind zum<br />

Beispiel mobile Wege eine gute Möglichkeit, Kandidaten<br />

direkt über das Smartphone zu erreichen und durch<br />

einfache Prozesse möglichst schnell in den entscheidenden<br />

persönlichen Kontakt zu kommen. Denn der persönliche<br />

Eindruck zählt, das gilt auch heute noch. Daher<br />

sollten Hürden für den Erstkontakt möglichst gering<br />

gehalten werden. Langfristige HR-Strategien müssen<br />

dafür sorgen, dass sich eine authentische, positive Unternehmenskultur<br />

auf Arbeitgeber-Bewertungsplattformen<br />

widerspiegelt. Ebenfalls wichtig ist in diesem Kontext<br />

Empfehlungsmarketing, denn die Meinung von<br />

Bekannten und der Familie sowie ein guter Ruf des<br />

Unternehmens motivieren Fachkräfte viel eher, sich<br />

auf eine Stelle zu bewerben.<br />

5. Fachkräfte regional ansprechen<br />

Fakt: Regionalität spielt besonders bei den nicht<br />

akademischen Fachkräften eine entscheidende Rolle.<br />

45,2 Prozent geben an, dass für sie die Nähe des Arbeitsplatzes<br />

zum Wohnort ein „sehr wichtiger“ Faktor bei<br />

der Arbeitgeberwahl ist, für weitere 43 Prozent ist der<br />

Aspekt „wichtig“.<br />

Transfer: Die Mobilität ist schon unter Akademikern<br />

nicht besonders groß – bei Fachkräften ist sie noch einmal<br />

deutlich geringer. Krankenpfleger, Busfahrer, Kassierer<br />

und Co. suchen in ihrer Region nach einem Job.<br />

Ein Umzug dagegen ist meistens nur durch private<br />

Gründe motiviert. Fachkräfte suchen lokal, also muss<br />

auch dort um sie geworben werden. Denn Fachkräfte<br />

haben heute in immer mehr Mangelberufen die Wahl<br />

direkt vor der eigenen Haustür.<br />

p<br />

Eine Bilderstrecke mit<br />

Grafiken und Infos zur<br />

Studie finden Sie auf<br />

www.personalwirtschaft.de<br />

in der Rubrik „Recruiting“.<br />

AUTOR<br />

Georg Konjovic, Geschäftsführer,<br />

meinestadt.de, Köln,<br />

georg.konjovic@meinestadt.de<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 29


HR & ICH LEBENSLÄUFE<br />

„Das war für mich absolutes Neuland“<br />

Wolfgang Goebel hat bei Mc Donald’s die komplette Karriereleiter erklommen –<br />

von „ganz unten“ bis zum Personalvorstand. Dann der Bruch: Studium in Münster,<br />

jetzt Franchisenehmer bei L’Osteria. Sein Lebenslauf im Check.<br />

LEBENSLAUF<br />

Wolfgang Goebel<br />

Ehemaliger Personalvorstand von Mc Donald’s Deutschland<br />

Personalien<br />

Geburtsdatum:<br />

Familienstand:<br />

31. Juli 1961 in Wiesbaden<br />

Verheiratet, 2 Kinder<br />

Ausbildung und Studium<br />

1981–1983 Deutsches Rotes Kreuz, Zivildienst<br />

1983–1985 Kaufhof AG, Verkäufer inklusive Prüfung zum<br />

Einzelhandelskaufmann & Handelsassistenten<br />

April 2<strong>01</strong>6–August 2<strong>01</strong>7 Westfälische Wilhelms-Universität Münster,<br />

Master-Studiengang „Nonprofit-Management and Governance“<br />

Beruflicher Werdegang<br />

Seit September 2<strong>01</strong>7 Training zum Franchise-Nehmer bei L’Osteria<br />

Mc Donald’s Deutschland Inc.<br />

Mai 2007–März 2<strong>01</strong>6 Vorstand Personal<br />

Januar 2006–April 2007 Vorstand Operations<br />

2002–2005 Regionaldirektor Nordrhein-Westfalen<br />

2000–20<strong>01</strong> Krankheitsbedingte Unterbrechung<br />

1999–2000 Regionaldirektor Hessen & Baden-Württemberg<br />

1995–1999 Regionaldirektor Berlin & neue Bundesländer<br />

1985–1995 Durchlaufen der klassischen Operationslaufbahn<br />

Ehrenämter<br />

2007–März 2<strong>01</strong>6<br />

2007–März 2<strong>01</strong>6<br />

2009–März 2<strong>01</strong>6<br />

Mitglied im Stiftungsrat der Mc Donald’s Kinderhilfe Stiftung<br />

Präsident Bundesverband der Systemgastronomie (BdS)<br />

Mitglied im Präsidium Bundesvereinigung der Deutschen<br />

Arbeitgeberverbände (BDA)<br />

30<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Sie haben sich nach Ihrer Zeit bei<br />

Mc Donald’s an der Uni Münster als<br />

ordentlicher Student eingeschrieben<br />

und auch Ihren Abschluss gemacht. Was<br />

hat Sie am Studiengang „Nonprofit-<br />

Management and Governance“ gereizt?<br />

Das Lernen und Leben als Student, das ich<br />

leider vorher nie genossen hatte. Ich habe<br />

viel über junge Menschen gelernt. Außerdem<br />

war es auch eine tolle Erdung: Meine Mitstudierenden<br />

haben mir schnell klargemacht:<br />

Du bist hier nur Kommilitone und eben<br />

nicht der Manager, der du früher warst.<br />

Zudem habe ich eine Menge über Prozesse<br />

und wissenschaftliches Arbeiten gelernt.<br />

Ist es für Sie ausgeschlossen, in Zukunft<br />

nochmals in einer ähnlich verantwortlichen<br />

HR-Position wie bei Mc Donald’s<br />

zu arbeiten?<br />

Das kann ich mir nicht vorstellen, weil ich<br />

ja jetzt den Schritt in die Selbstständigkeit<br />

gemacht habe und als Franchisenehmer<br />

von L‘Osteria in Mittelhessen tätig werde.<br />

Das Training war richtig hart: Ich habe am<br />

Pizzaofen gestanden, Schichten wie jeder<br />

andere Angestellte gemacht. Das hätte ich<br />

nicht machen müssen, aber ich fand es<br />

wichtig. So schließt sich für mich der Kreis.<br />

Beschreiben Sie Ihren Lebenslauf mit drei<br />

Adjektiven.<br />

Überraschend, zielstrebig und erfüllend.<br />

Gibt es Sackgassen, in die Sie geraten sind?<br />

Siehe die Frage nach besonderen Herausforderungen.<br />

Als ich zum Personalvorstand<br />

berufen wurde, musste ich mir erst vieles<br />

erarbeiten. Gleichzeitig war ich ja auch noch<br />

Präsident des Bundesverbandes der Systemgastronomie.<br />

Aber es gab einen Ausweg aus<br />

dieser Sackgasse: Ich habe mich ein halbes<br />

Jahr zurückgezogen und unter anderem bei<br />

der DGFP eine Seminarreihe für Führungskräfte<br />

im Personalbereich belegt. Sehr geholfen<br />

hat mir auch mein Coach und Mentor<br />

Dr. Walter Jochmann.<br />

Hand aufs Herz: Fehlt Ihnen Ihre alte Aufgabe<br />

manchmal?<br />

Nein. Am Anfang haben mir die Kollegen<br />

gefehlt, die mir besonders am Herzen<br />

gelegen haben. Aber ich habe gemerkt,<br />

dass mein Herz groß genug ist für neue<br />

Verbindungen.<br />

Was war in Ihrer beruflichen Laufbahn als<br />

Personaler Ihre größte Herausforderung?<br />

Die Tätigkeit als Personalvorstand zu<br />

übernehmen, ohne von Vornherein die<br />

nötige Fachkompetenz zu haben. Das war<br />

für mich schon absolutes Neuland.<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 31


TITEL LEAN HR<br />

32<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Simplify your<br />

Personalmanagement<br />

HR hat zuletzt viel Akzeptanz eingebüßt. Der Vorwurf der Kundschaft: Die Prozesse<br />

sind viel zu kompliziert, unsere Arbeit wird dadurch nicht erleichtert. Lean HR steht also<br />

auf dem Programm für 2<strong>01</strong>8. Gute Beispiele gibt es genug.<br />

VON WINFRIED GERTZ<br />

u Anfang November erhält Josef Wissinger, Geschäftsführer<br />

des Rationalisierungs- und Innovationszentrums der Deutschen<br />

Wirtschaft (RKW) in München, ungewöhnlich viel<br />

Post. Personalleiter aus rund 300 mittelständischen Betrieben<br />

teilen ihm mit, welche Themen ihnen besonders auf den<br />

Nägeln brennen. Diese „Shortlist“ fließt sukzessive in die<br />

Planung der Personalleitertreffen für das folgende Jahr ein,<br />

wo die HR-Experten ihr Wissen gezielt auffrischen und berufliche<br />

Erfahrungen austauschen. Die Agenda legen die Personalleiter<br />

selbst fest: Nach Big Data und Active Sourcing ist<br />

nun die Lean-HR-Administration auf Platz eins vorgerückt.<br />

Wissinger, der zahlreiche Personalleitertreffen selbst moderiert,<br />

kennt die Beweggründe seiner Klientel ziemlich genau.<br />

Ist von Lean Management die Rede, geht es gemeinhin um<br />

die Beschleunigung von Abläufen mit dem Ziel höherer Qualität,<br />

also um die Verbesserung von Effizienz. „Wertschöpfung<br />

rauf, Kosten runter“, lautet der Schlachtruf. Jede Form von<br />

Verschwendung, Fehlern und unnötigen Kosten gerät auf<br />

den Prüfstand. Dieses Instrument aus dem Managementbaukasten<br />

schlägt nun auf den Wirkungskreis von HR durch –<br />

auch in kleinen und mittleren Betrieben, wie Wissinger beobachtet.<br />

Dabei entfaltet die Digitalisierung ihre treibende Kraft:<br />

„Sie wirkt sich deutlich auf das Recruiting und vor allem die<br />

Administration aus.“<br />

Soweit die Ausgangslage. Der Knackpunkt: Zwar wollen Personalleiter<br />

ihre Prozesse verbessern, doch ihnen fehlt es an<br />

Wissen und Unterstützung. Auch an übertragbaren Best<br />

Practices mangelt es im Mittelstand. „Man könnte überspitzt<br />

sagen: Viele Personaler fühlen sich alleingelassen“, bringt<br />

Wissinger die Stimmungslage auf den Punkt. Wie Lean<br />

Management aufgesetzt wird und welche Methoden sich hierzu<br />

anbieten, dieses Know-how wollen sie sich unbedingt<br />

aneignen.<br />

Redundanzen mit Standardisierung begegnen<br />

Praxisbeispiel 1<br />

Mayser GmbH & Co. KG<br />

Foto: privat<br />

Standardisierung hat sich Personalleiter<br />

Winfried Wanka auf die Fahne<br />

geschrieben.<br />

>> Weiter auf Seite 34<br />

Umso wichtiger sind erfolgreiche Beispiele aus dem eigenen<br />

Netzwerk. Einen Schritt voraus ist zum Beispiel Winfried<br />

Wanka, vor wenigen Monaten in den RKW-Vorstand berufen<br />

und in der Geschäftsführung der Mayser GmbH & Co.<br />

KG für HR und Recht zuständig. Zu der Fusion zweier deutscher<br />

Standorte trägt auch HR sein Scherflein bei. Bei der<br />

Anpassung zentraler Prozesse zwischen Bewerberansprache,<br />

Einstellung und Onboarding favorisiert Wanka die „Standardisierung<br />

als eine wichtige Methode des Lean Managements“.<br />

Tatsächlich stieß Wanka bei der Analyse auf sehr viel Redundanz.<br />

War es mehreren Mitarbeitern nur unter hohem Zeitu<br />

Was im Jahr 1800 als<br />

„Hutmacherey“ begann,<br />

hat sich inzwischen zu<br />

einem Kfz-Zulieferer gemausert,<br />

der vor allem in<br />

Sicherheits- und Schaumstofftechnik<br />

von sich<br />

reden macht. Doch als<br />

stark wachsende Organisation<br />

muss Mayser zentrale<br />

Prozesse anpassen –<br />

etwa im Recruiting. Durch<br />

Standardisierung erzielt<br />

Personalleiter Winfried Wanka schnell die gewünschten<br />

Effekte. Nach Installation eines Bewerbermanagementsystems<br />

sinkt der Aufwand in nennenswertem Umfang. „Mit der<br />

Sichtung des Bewerbungseingangs ist künftig ein Mitarbeiter<br />

allein beschäftigt“, so Wankas Bilanz. Dank des gewonnenen<br />

Freiraums befassen sich die HR-Kollegen nun mit<br />

Aufgaben im Gesundheits- und Wissensmanagement. p<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 33


TITEL LEAN HR<br />

Praxisbeispiel 2<br />

Alnatura Produktions- und<br />

Handels GmbH<br />

Foto: privat<br />

Auch wenn er dafür frühere Entscheidungen<br />

rückgängig machen muss: Personalleiter<br />

Joachim Schledt verbessert Prozesse<br />

ganz konsequent.<br />

u Weil die Auslagerung<br />

von zeitaufwendigen Abläufen<br />

nicht alternativlos<br />

sein muss, entschied<br />

sich die Biomarktkette<br />

Alnatura vor sieben<br />

Jahren, die Lohn- und<br />

Gehaltsabrechnung wieder<br />

zu re-integrieren.<br />

„Wir machen es günstiger,<br />

schneller und leaner<br />

als der Dienstleister“<br />

betont Personalleiter<br />

Joachim Schledt. Seither<br />

wird in HR konsequent nach weiteren Verbesserungen<br />

geforscht. Ergebnis Nummer eins: Seit Einführung des<br />

Bewerbermanagementsystems investiert man 60 Prozent<br />

weniger Zeit und Kosten ins Recruiting. Ergebnis Nummer<br />

zwei: Dank Umstieg auf die digitale Personalakte<br />

erzielt Schledt mit unverändertem Personaleinsatz „eine<br />

prozessuale Verbesserung von 30 Prozent“. Ähnliche<br />

Effekte sollen auch E-Learning-Systeme und ein Seminarverwaltungsprogramm<br />

zeitigen.<br />

p<br />

>> Fortsetzung von Seite 33<br />

aufwand möglich, die „E-Mail-Flut“ aus Bewerbungen zu<br />

beherrschen, zeigen sich nach Installation eines Bewerbermanagementsystems<br />

spürbare Effekte: „Dank des hohen<br />

Komforts der Lösung sinkt der Aufwand in nennenswertem<br />

Umfang“, bilanziert Wanka. „Mit der Sichtung des Bewerbungseingangs<br />

ist künftig ein Mitarbeiter allein beschäftigt.“<br />

Wer durch Automatisierung respektive Standardisierung Kosten<br />

sparen will, wird sich primär auf administrative Teilprozesse<br />

konzentrieren. Bisweilen ist sogar möglich, die Qualität<br />

zu erhöhen. „Exakt“, sagt Wanka, könne er noch nicht<br />

beziffern, wie der Umstieg auf das neue Verfahren sich<br />

betriebswirtschaftlich rechnet. Doch der positive Effekt auf<br />

den Personalbereich des stark wachsenden Unternehmens<br />

ist deutlich erkennbar: „Tatsächlich verschaffen wir uns<br />

beträchtliche Freiräume für wichtige Aufgaben wie etwa das<br />

Gesundheits- und Wissensmanagement“, hält Wanka fest.<br />

Und das bei gleichzeitiger Erhöhung der Candidate Experience,<br />

die sich „in schnellerem Response und höherer Prozessqualität“<br />

erweise.<br />

Die Qualität darf nicht abnehmen<br />

So sehr dieses Beispiel nun dazu veranlassen mag, sich dem<br />

Großreinemachen anzuschließen: Das Verschlanken von Prozessen<br />

darf keineswegs zu Qualitätseinbußen führen. Davor<br />

warnt Stephan Kaiser, Professor für Personalmanagement<br />

und Organisation an der Universität der Bundeswehr München<br />

(siehe auch Interview auf Seite 35). Als Beispiel zitiert<br />

er eine durch und durch administrative Aufgabe, die Auslagerung<br />

der Lohn- und Gehaltsabrechnung. Beim Outsourcing<br />

sei darauf zu achten, dass das Gehalt „auch weiterhin<br />

pünktlich überwiesen wird“. Warum absolute Präzision erforderlich<br />

ist, erklärt auch Rupert Felder, Personalchef der Heidelberger<br />

Druckmaschinen AG, mit drastischen Worten:<br />

„Wer besteigt schon ein Flugzeug, in dem es den Menschen<br />

erlaubt ist, Fehler zu machen?“<br />

Tatsächlich revidieren viele Unternehmen ihre einstige Entscheidung.<br />

Aufgrund enttäuschter Erfahrungen mit den jeweiligen<br />

Dienstleistern holen sie ausgelagerte Aufgaben zurück.<br />

Auch die Biomarktkette Alnatura rang sich vor sieben Jahren<br />

zum Insourcing durch, wie Personalleiter Joachim Schledt<br />

rekapituliert. „Wir machen es günstiger, schneller und damit<br />

sozusagen auch leaner als der Dienstleister.“<br />

Schledt ermuntert seine HR-Kollegen, konsequent durchzugreifen<br />

– nicht nur im Recruiting. Jeder Prozess wird geprüft,<br />

ob er effizient und schlank ist oder sich sogar erübrigt. Das<br />

macht auch vor Führungskräften nicht halt, sie wollen das Führen<br />

von kritischen Gesprächen oft auf HR abwälzen. „Das hat<br />

aber bei HR nichts zu suchen, das ist Aufgabe jeder Führungskraft“,<br />

grätscht Schledt dazwischen. Grundsätzlich sollten<br />

Personaler beim Lean Management unbedingt ihre individuellen<br />

Rahmenbedingungen beachten, schreibt ihnen<br />

Patrizia Stock, Leiterin des REFA-Instituts in Dortmund,<br />

ins Stammbuch. Es gebe keine Strategie, „die für alle Personalbereiche<br />

gleichermaßen gilt“. Beim Aufspüren von Optimierungspotenzial<br />

lohne der Blick darauf, so Stock, „wie<br />

Informationen verwaltet, Dokumente verarbeitet und Kommunikationswege<br />

angelegt werden“.<br />

Die Informationsfluten eindämmen<br />

Um Lean HR zum Erfolg zu verhelfen, spricht viel dafür, in<br />

der sehr dokumentenlastigen Personalverwaltung anzusetzen.<br />

Laut Ingenieurin Stock (siehe auch Interview auf Seite 37)<br />

kennt das Lean Management verschiedene Verschwendungsarten:<br />

Droht in der Produktion die Überproduktion, lauert<br />

in HR die Informationsflut: „Berichte etwa, die keiner liest.“<br />

Felder macht dafür das ausgeprägte Sicherheitsdenken von<br />

HR verantwortlich. „Bloß keine Fehler machen.“ Das Resultat<br />

sind auch zahllose Transaktionsprozesse inklusive Bescheinigungen:<br />

vom Eintritt neuer Mitarbeiter über ihre Beförderung<br />

und Versetzung bis zum Austritt. Bei der Bereinigung<br />

orientiert sich Felder am Kundennutzen und favorisiert das<br />

Pull-Prinzip: „Wer etwas braucht, kann es von HR aufberei-<br />

34<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


tet abrufen.“ Der stets lauernden Gefahr, dass Tools ihr Eigenleben<br />

entwickeln, ist sich auch Thomas Perlitz, Personalleiter<br />

der Gerresheimer AG in Düsseldorf, bewusst. Potenzial<br />

zur Entschlackung sei in allen HR-Prozessen zu finden, nicht<br />

nur in der Administration. Vor übereilten „Rosskuren“ sei<br />

jedoch gewarnt, wie das Beispiel der Zeugniserstellung zeigt.<br />

„Durch Automatisierung bis zur Unkenntlichkeit ist der Wert<br />

des Zeugnisses als wichtiges Dokument im Bewerbungsprozess<br />

tief gefallen“, ärgert sich Perlitz.<br />

Perlitz warnt seine HR-Mitstreiter zudem vor einer grundsätzlichen<br />

Falle. Prioritäten solle man nicht in Abhängigkeit von<br />

„Sinuskurven oder Modewellen“ definieren, sondern allein<br />

nach ihrem Wert fürs Unternehmen sowie für interne und<br />

externe Kunden bemessen. Das gelte auch für Lean HR, stimmt<br />

Hochschullehrer Kaiser ausdrücklich zu. Softwarelösungen aus<br />

dem Bereich People Analytics, wie etwa Matching-Algorithmen,<br />

oder Ansätze, die Stimmerkennung in die Eignungsdiagnostik<br />

einzubeziehen, zögen Personaler teilweise mehr als nötig in<br />

den Bann. „In nennenswertem Umfang eingesetzt werden solche<br />

Verfahren aber noch nicht.“ Patrizia Stock vom REFA-Institut<br />

schließt sich an. HR sollte nicht zu hohe Erwartungen in Algorithmen<br />

setzen. „Der Mensch lässt sich nicht auf einen Lebenslauf<br />

Praxisbeispiel 3<br />

Gerresheimer AG<br />

Foto: privat<br />

Thomas Perlitz setzt als Personalleiter<br />

immer mehr auf Apps, um Prozesse zu<br />

optimieren.<br />

u Lean HR, also die<br />

Suche nach Verbesserungen<br />

oder Kosteneinsparung,<br />

ist für Thomas Perlitz<br />

eine tägliche Aufgabe.<br />

Als Personalchef des börsennotierten<br />

Produzenten<br />

von Glasmaterialien<br />

für die Pharma- und Kosmetikindustrie<br />

mit weit<br />

über 10 000 Mitarbeitern<br />

sieht er vor allem in der<br />

konsequenten Ablösung<br />

schwerfälliger Systeme<br />

aus der einstigen Großrechnerwelt den entscheidenden<br />

Schritt. Sukzessive werden Altsysteme, die etwa bei Mitarbeitergesprächen<br />

oder im Recruiting zum Einsatz kommen,<br />

durch Apps ersetzt. „Sie erhöhen nicht nur die Zufriedenheit<br />

von Anwendern“, betont Perlitz. Dank ihrer<br />

Schnittstellenflexibilität ließen sie jederzeit verknüpfen<br />

oder auch austauschen. Anbieter wie SAP, erwartet Perlitz,<br />

„werden sich schwertun, damit Schritt zu halten“. p<br />

>> Weiter auf Seite 36<br />

Foto: privat<br />

Interview<br />

Prof. Dr. Stephan Kaiser,<br />

Personalmanagement und<br />

Organisation, Universität der<br />

Bundeswehr München<br />

„Man muss<br />

Jobalternativen anbieten“<br />

u Was veranlasst Personaler, sich mit Lean Management<br />

anzufreunden?<br />

Für viele Personaler klingt HR ohne Ressourcenverschwendung,<br />

also operative Exzellenz, zu handwerklich.<br />

Sie befassen sich lieber mit Talent Management oder<br />

Employer Branding. Dass sie nun ihre Prozesse auf<br />

Kosten und Effizienz trimmen wollen, deutet auf einen<br />

gewissen Stimmungswandel hin: Zwar brummt die<br />

Wirtschaft, aber die nächste Krise könnte bald folgen.<br />

Die Digitalisierung übt zusätzlich Druck aus. Welche<br />

Gefahr ist damit verknüpft?<br />

Womöglich trägt Lean HR, kombiniert mit beträchtlicher<br />

IT-Investition, zum Verlust von traditionellen HR-<br />

Aufgaben bei, die letztlich von IT-Dienstleistern übernommen<br />

werden. Während ein Teil intelligenter<br />

HR-Arbeit auf Softwareentwickler übertragen wird,<br />

muss sich HR im Gegenzug für Aufgaben anbieten,<br />

deren Wert in der Verknüpfung von Unternehmens- und<br />

HR-Strategien liegt. Ich glaube jedoch, dass entfallene<br />

Verwaltungsaufgaben nicht vollständig durch höherwertige<br />

Funktionen kompensiert werden können.<br />

Worauf ist besonders zu achten?<br />

Geht es um Personalabbau, muss man Jobalternativen<br />

anbieten oder zumindest ein überzeugendes<br />

Outplacement. Dazu zählt eine glaubwürdige Kommunikation<br />

gegenüber verbleibenden Mitarbeitern.<br />

Unternehmen müssen sicherstellen, dass ihre Leistungsträger<br />

nicht abspringen.<br />

p<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 35


TITEL LEAN HR<br />

Praxisbeispiel 4<br />

Heidelberger<br />

Druckmaschinen AG<br />

Senior Vice President Global HR Dr.<br />

Rupert Felder versucht, Mitarbeitern die<br />

Angst zu nehmen.<br />

Jenseits aller Zuversicht, das eigene Terrain für die Zukunft<br />

zu trimmen, lautet freilich die Gretchenfrage: Ziehen die<br />

Mitarbeiter mit? Im Endeffekt stehen sie mit ihren angestammten<br />

Aufgaben schließlich zur Disposition. Verträgt<br />

sich „lean“ mit der Unternehmenskultur? Ingenieurin Stock<br />

nimmt Personaler in die Pflicht, unbedingt den Rat von Mitu<br />

Infolge eines vom Vorstand<br />

angestoßenen Programms<br />

für Operational<br />

Excellence soll auch HR<br />

seine Prozesse verbessern.<br />

Eine Säule ist die<br />

Standardisierung auf<br />

SAP. Doch HR-Chef Felder<br />

muss auch Personal<br />

abbauen. „Würden wir<br />

etwa die Berufsausbildung<br />

schließen, könnten<br />

wir auf einen Schlag viel<br />

Geld sparen.“ Das könne<br />

Felder zufolge aber nicht im Interesse des Unternehmens<br />

sein. Damit Mitarbeiter Lean HR als Change-Projekt<br />

nicht torpedieren, müsse man ihnen die Angst vor<br />

Jobverlust nehmen. Sie sollten bereit sein, ihr Wissen<br />

einzubringen und nicht bloß zu bewahren. „Der permanenten<br />

Veränderung kann man sich einfach nicht wiedersetzen.“<br />

p<br />

>> Fortsetzung von Seite 35<br />

Foto: Ralf Kolb<br />

reduzieren.“ Ebenso wenig überzeugten Algorithmen Bewerber,<br />

dass es weit und breit keinen besseren Arbeitgeber gebe.<br />

Bei der Verbesserung oder Kosteneinsparung empfiehlt Perlitz,<br />

sich von „schwerfälligen Systemen“ zu verabschieden, wie sie<br />

etwa für Mitarbeitergespräche herangezogen werden. „Führungskräfte<br />

dürfen wir nicht mit Mainframe-Anwendungen behelligen,<br />

die Mitarbeitergespräche als komplizierte und zeitfressende<br />

Tortur erscheinen lassen.“ Was Perlitz beschreibt, kann sich<br />

in der Tat zu einem Bürokratiemonster ersten Grades auswachsen.<br />

Vor allem in Konzernen sind fürs Mitarbeitergespräch Formulare<br />

stattlichen Umfangs auszufüllen, die alle erdenklichen<br />

Beurteilungsdimensionen enthalten. Mit solchen Zeitfressern, garniert<br />

von wuchernden Feedback- und Kennzeichnungsschleifen,<br />

zerrt man bloß an den Nerven aller Beteiligten. Geschuldet sind<br />

solche Auswüchse nicht nur übertriebenem Perfektionismus<br />

und dem Wunsch nach Absicherung. Wer solche Formulare entwirft,<br />

ist auch von tiefem Misstrauen infiziert.<br />

Mehr Qualität verspricht sich Perlitz vom Einsatz kleiner flexibler<br />

Lösungen. Bei der Mitarbeiterempfehlung etwa hat<br />

sich die Automatisierung für Perlitz gelohnt. „Durch Übertragung<br />

der Prozessschritte auf eine App erleichtern wir den<br />

Beteiligten, neue Mitarbeiter anzuwerben. Damit gewährleisten<br />

wir schlanke, schnelle Prozesse sowie eine deutlich<br />

höhere User Experience.“<br />

Erst prüfen, dann digitalisieren<br />

Digitalisierung, moderne IT: Liegt hier der Schlüssel für reibungslose,<br />

entbürokratisierte Abläufe und womöglich auch<br />

für ein verbessertes Standing von HR? Felder zufolge fehlt vielen<br />

Personalern der Anschluss an IT. „Ihr Horizont reicht<br />

manchmal lediglich bis Excel.“ Für Roland Hehn ist die Frage<br />

nicht mit Ja oder Nein zu beantworten. „Digitalisiert man<br />

schlechte oder unnötige Prozesse, dann bleiben sie schlecht<br />

und unnötig“, sagt der Personalchef der Heraeus Holding<br />

GmbH, Hanau, der aktuell den HR-Bereich nach Antritt eines<br />

neuen CEO sukzessive auf Vordermann bringt.<br />

Bei seiner Mammutaufgabe stützt sich Hehn auf den Methodenreichtum<br />

von Lean Management. Statt einmaliger Kosmetik<br />

geht es um kontinuierliche Verbesserung. Zunächst<br />

rücken alle Prozesse auf den Prüfstand: „Warum sollte HR<br />

selbst Sprachtrainings managen und verwalten, wenn dies<br />

ein Master Vendor zusätzlich zu seinen Leistungen gratis<br />

oder deutlich besser übernimmt?“ fragt Hehn. „Wie sinnvoll<br />

sind etwa Exit-Interviews bei einer Fluktuationsquote von vier<br />

Prozent?“<br />

Kein Personaler, nennt Hehn ein weiteres Beispiel, müsse an<br />

einem Erstinterview teilnehmen, wo es allein um die Prüfung<br />

der fachlichen Qualifikation geht. Neben dem Aussortieren<br />

und Verschlanken geht es bei der systematischen Neuordnung<br />

von Prozessen um Standardisierung. „Wir vereinheitlichen Systeme<br />

und bündeln Synergien auch durch Zentralisierung“,<br />

umreißt Hehn die Strategie. So ist das Shared Service Center<br />

nicht mehr allein für Payroll zuständig, sondern darüber<br />

hinaus für weitere administrative HR-Aufgaben. Fazit: Etliche<br />

Prozesse wurden gestrichen oder dort neu aufgehängt, wo<br />

sie nichts oder weniger kosten – „bei gleicher oder besserer<br />

Qualität“, wie Hehn präzisiert.<br />

Auch Heidelberg unterhält zum Thema Payroll ein Shared Service<br />

Center, um Transaktionen unter Ausschöpfung von Skaleneffekten<br />

zu realisieren. Regelmäßig vergleicht Felder den<br />

internen Leistungs- und Kostenkatalog mit dem Angebot<br />

externer Dienstleister. „Als Personaler muss ich beziffern<br />

können, was interne Prozesse wie etwa Zeugniserstellung<br />

oder eine Versetzung kostet.“<br />

Von der Last zur Lust<br />

36<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


arbeitern einzuholen, zumal sie die Prozesse am besten kennen.<br />

„Kontinuierliche Verbesserung als Bestandteil von Lean<br />

Management kann nur unter Beteiligung der Mitarbeiter<br />

erfolgen.“ Damit sei jede Technologie überfordert, auch künstliche<br />

Intelligenz. Dies sei „elementar“ für die Unternehmenskultur.<br />

Ziehen wir ein Fazit: Dem entschlossenen Aufspüren von<br />

Zeitfressern, Kostentreibern und bürokratischem Ballast sollten<br />

sich mehr Personaler anschließen. Das Selbstverständnis<br />

der hier präsentierten Protagonisten kann vielen HR-Akteuren<br />

dabei als Vorbild dienen. „Wer Lean nicht in seiner DNA<br />

hat, ist falsch in seinem Job – nicht nur in HR“, redet Schledt<br />

der HR-Community ins Gewissen. „Wir müssen von der Last<br />

zur Lust kommen“, lautet Perlitz’ Devise. HR-Prozesse sollten<br />

nicht belastend, sondern unkompliziert sein. „So macht<br />

Führen wieder Spaß.“ Auch das etwas angegriffene HR-Image<br />

könnte profitieren. Genügend Diskussionsstoff für Josef Wissingers<br />

Personalleitertreffen nächstes Jahr bietet sich also<br />

allemal.<br />

p<br />

Dr.-Ing. Patrizia Stock, Leiterin REFA-Institut e. V., Dortmund<br />

Interview<br />

„Unternehmen sollten die<br />

Chancen betonen“<br />

Foto: Fotoart-Momentum<br />

Praxisbeispiel 5<br />

Heraeus Holding GmbH<br />

Foto: privat<br />

Prozesse, die mehr kosten<br />

als sie einbringen, schafft Personalleiter<br />

Roland Hehn einfach ab.<br />

u Nach der Entscheidung,<br />

den Technologiekonzern<br />

Heraeus komplett<br />

neu aufzustellen,<br />

muss auch HR sich reorganisieren.<br />

Die ambitionierte<br />

Vorgabe lautet,<br />

neue Themen mit unverändertem<br />

Headcount<br />

und Budget voranzubringen.<br />

Dabei verfolgt Personalleiter<br />

Roland Hehn<br />

ein dreiteiliges Lean-HR-<br />

Konzept: Prozesse, deren<br />

Kosten höher sind als ihr Mehrwert, werden abgeschafft.<br />

Ferner geraten unnötige Teilprozesse auf den Prüfstand.<br />

Für alle übrigen Prozesse gilt: Sie müssen schlanker werden.<br />

„Lean HR“, so Hehn, „ist quasi Voraussetzung, die<br />

Transformation erfolgreich zu gestalten.“ Neben dem Aussortieren<br />

und Verschlanken von Prozessen werden Systeme<br />

vereinheitlicht (Standardisierung) und Synergien gebündelt<br />

(Zentralisierung).<br />

p<br />

u Worauf sollten Unternehmen, die sich dem Lean<br />

Enterprise verschrieben haben, besonders achten?<br />

Es ist Aufgabe von HR, die Mitarbeiter mitzunehmen.<br />

Den Rahmen setzt eine wertschätzende Kultur.<br />

Ich plädiere dabei für die Kombination aus Können,<br />

Wollen und Dürfen. Können allein, wie vielfach praktiziert,<br />

reicht nicht aus.<br />

Das müssen Sie uns näher erklären.<br />

Werden Routineprozesse verschlankt, wachsen Mitarbeiter<br />

in neue und anspruchsvollere Aufgaben hinein.<br />

Statt Ängste zu schüren, sollten Unternehmen die<br />

Chancen betonen, die sich aus Veränderungen ergeben,<br />

wie sich historisch in industriellen Umbrüchen<br />

immer wieder gezeigt hat. HR muss dafür sorgen,<br />

dass Mitarbeiter bereit sind, zu lernen und sich optimistisch<br />

Veränderungen stellen. Eigentlich wird diese<br />

Aufgabe immer wichtiger.<br />

Wird Technik nicht überbewertet, wenn HR sich zu<br />

Lean bekennt?<br />

Technologie ist sicherlich ein gutes Hilfsmittel, um etwa<br />

Verwaltungsabläufe zu straffen. Sie ist aber nicht<br />

erfolgsentscheidend. Mit Technik allein lassen sich<br />

Lean-Prinzipien nicht realisieren. Um ihnen Gestalt<br />

zu verleihen, braucht man die Mitarbeiter sowie die<br />

passenden Methoden, allen voran Standardisierung<br />

und kontinuierliche Verbesserung. Ohne Mitarbeiterorientierung<br />

und eine tragfähige Unternehmenskultur<br />

funktioniert Lean nicht.<br />

p<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> 12 _ 2<strong>01</strong>7 37


TITEL LEAN HR<br />

Die Quintessenz: So entrümpeln Sie HR erfolgreich<br />

1 Überblick verschaffen<br />

Verschaffen Sie sich zunächst einen Überblick über die Prozesse in Ihrem Fachbereich: Welche fallen überhaupt an?<br />

Was wird intern gelöst, was extern?<br />

2 Notwendigkeit überprüfen<br />

Sind alle etablierten Prozesse vonnöten? Oder hat sich seit Verfestigung der Abläufe bereits so viel verändert,<br />

dass der eine oder andere hinfällig geworden ist?<br />

3 Effizienz checken<br />

Stellen Sie eine Kosten-Nutzen-Rechnung für jeden Prozess auf: Schafft er tatsächlich Mehrwert oder frisst er nur Nerven,<br />

Zeit und Geld?<br />

4 Zielgruppe einbinden<br />

Was sagen eigentlich die Kunden von HR zu Ihrer Performance? Wo hakt es in deren Augen? Was brauchen sie, was<br />

kann wegfallen? Nehmen Sie sie mit auf die Reise, lassen Sie sie Erkenntnisse und Erfahrungen beisteuern – und ersparen<br />

Sie ihnen Überraschungen.<br />

5 Zuständigkeit prüfen<br />

Gehört der Prozess überhaupt in die Personalabteilung? Oder wäre er in einem anderen Bereich womöglich besser aufgehoben?<br />

Wägen Sie ab und stellen Sie sich eventuell strategisch besser auf.<br />

6 Technische Möglichkeiten nutzen<br />

Technik soll uns dienen. Und das kann sie, wenn sie richtig eingesetzt wird. Welche Tools gibt es auf dem Markt, die Ihnen<br />

helfen könnten? Lassen Sie sich individuell beraten.<br />

7 Alle mitnehmen<br />

Veränderung löst Verunsicherung aus. Information hingegen schafft Vertrauen. Binden Sie die Mitarbeiter in den Prozess<br />

ein und kommunizieren Sie transparent.<br />

8 Flexibel bleiben<br />

Die Welt verändert sich schnell – und damit auch die Voraussetzungen für die Abläufe in Ihrer Abteilung. Was Sie vorgestern<br />

entschieden haben, mag gestern noch richtig gewesen sein. Aber heute? Trauen Sie sich, Ihre Entscheidungen in kurzen<br />

Zeitabständen zu überprüfen und auch mal wieder über den Haufen zu werfen.<br />

9 Personalplanung ankurbeln<br />

Welche Mitarbeiter wären von fälligen Veränderungen in welcher Form betroffen? Wem kann man wo Chancen eröffnen?<br />

Welche Mitarbeiter und welche Qualifikationen brauchen Sie im Zuge der Veränderung vielleicht in Kürze?<br />

0 Konsequent sein<br />

Zu umständlich, zu veraltet, zu langsam, zu teuer? Weg damit!<br />

(wj, cl)<br />

38<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


SPECIAL COMPENSATION & BENEFITS<br />

Die Kunst der<br />

richtigen Vergütung<br />

Marktgerecht, leistungsgerecht, einfach zu verwalten und zudem noch für die<br />

Arbeitswelt 4.0 geeignet – die Anforderungen an Vergütungsmodelle steigen.<br />

Das merken auch die Vergütungsberatungen. Ihr Rat ist gefragt.<br />

VON CHRISTIANE SIEMANN<br />

Christiane Siemann, freie<br />

Journalistin, und Erwin Stickling,<br />

Herausgeber der <strong>Personalwirtschaft</strong>,<br />

moderierten die Diskussion<br />

mit Vergütungsexperten.<br />

uAuch wenn der Dienstwagen oder das Firmenbike<br />

vor der Tür stehen und Besuche des Fitnesscenters<br />

oder die Mahlzeiten im Kantinenrestaurant kostenlos<br />

sind: Die Faktoren Gehaltshöhe und gerechte Bezahlung<br />

haben nichts an Stellenwert für Mitarbeiter verloren.<br />

Und wer meint, gute Rahmenbedingungen für<br />

eine Work-Life-Balance und ein Paket an Zusatzleistungen<br />

wie eine hauseigene Kindertagesbetreuung<br />

oder eine betriebliche Altersvorsorge könnten die Diskussionen<br />

um das individuell als richtig empfundene<br />

Gehalt zum Verstummen bringen, der irrt. Davon<br />

sind zumindest die vier Vergütungsexperten überzeugt,<br />

die auf Einladung der <strong>Personalwirtschaft</strong> über<br />

aktuelle Trends im Bereich Compensation & Benefits<br />

diskutierten.<br />

Es ist nicht einfach für Arbeitgeber, die Vergütungspakete<br />

über verschiedene Geschäftsbereiche so zu gestalten,<br />

dass – neben den wirtschaftlichen Spielräumen –<br />

Gehälter einerseits zu einer halbwegs einheitlichen Vergütungsstrategie<br />

passen und andererseits den unterschiedlichen<br />

Bedürfnissen der Mitarbeiter entgegenkommen.<br />

Die Beratungshäuser werden bei ihren Kunden<br />

mit vielen Fragen konfrontiert: Passt unser Stellenbewertungssystem<br />

noch? Können wir auf individuelle<br />

Boni verzichten? Wie setzen wir das Entgelttransparenzgesetz<br />

um? Mit welchem Vergütungspaket gewinne<br />

ich Talente, die im Zweifel eher zu einem Start-up<br />

gehen?<br />

Der große Irrtum mit dem Vorbild Start-up<br />

Fast reflexartig schauen Unternehmen ins Silicon Valley<br />

oder auf hiesige Start-ups. Doch sind sie ein gutes<br />

Vorbild in Sachen Vergütung? Eher nicht, dämpfen<br />

die Vergütungsberater die Hoffnungen. Der Blick auf<br />

Start-ups offenbare jedoch „eine Sehnsucht“, beschreibt<br />

Alexander Insam von KPMG Law das Phänomen.<br />

Nämlich die Sehnsucht „nach einem spielerischen Spirit<br />

bei der Arbeit“. Leider werde dabei vergessen, dass<br />

die Masse der Start-ups nie zum ROI komme, also<br />

nicht als Modell für die Corporate- und Bankenwelt<br />

taugt, fügt der Arbeitsrechtler an. Trotz allem möchten<br />

Unternehmen verstehen, „warum es so viele Hochqualifizierte<br />

in Start-ups zieht und diese dort bei aller<br />

Armut der Gehaltssysteme überaus engagiert und<br />

intrinsisch motiviert arbeiten“. Vorstände und Personaleiter<br />

wollen sich inspirieren lassen und „einen Teil<br />

des Spirits in ihre Umgebung übertragen“, so Insam.<br />

Das erfordere jedoch eine kulturelle Transformation,<br />

die nicht ad hoc umzusetzen sei. Doch nicht nur der<br />

kulturelle Change wirkt als Bremse. Unternehmen wird<br />

schnell deutlich, dass die Instrumente der Jungunternehmer<br />

oft nicht übertragbar sind, da sie zum Beispiel<br />

„in mitbestimmten Organisationen auch vor der<br />

Herausforderung stehen, den Betriebsrat überzeugen<br />

zu müssen“, ergänzt Neele Siemer, Beraterin bei Kienbaum.<br />

Sich Anregungen bei den Start-ups zu holen, sei<br />

aber durchaus nachvollziehbar und klug.<br />

40<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Die „große Karotte“ lockt<br />

Ein Blick auf empirische Befunde aus Deutschland zeigt:<br />

Eigenständige Start-Ups zahlen häufig nur eine Grundvergütung<br />

an ihre Mitarbeiter, denn sie haben limitierte<br />

finanzielle Mittel. Das fand die HKP-Group heraus, die<br />

eigenständige und konzerneigene Start-ups in Deutschland<br />

nach der Mitarbeitervergütung befragte. Für den<br />

Fall, dass sie profitabel werden oder der entscheidende<br />

Durchbruch kommt, erhalten die Mitarbeiter eine große<br />

Ausschüttung. Björn Hinderlich, HKP-Practice-Leader<br />

Executive Compensation, benutzt ein schönes Bild:<br />

„Den Mitarbeitern wird die große Karotte hingehalten.“<br />

Ähnlich verfahren auch Corporate Start-ups, die<br />

im Erfolgsfall ein großes Sonder-Incentive in Aussicht<br />

stellen. Die Mitarbeiter profitieren daneben sehr häufig<br />

noch von den Vergütungsstrukturen aus dem Konzern,<br />

die analog übernommen oder adaptiert werden.<br />

Das heißt, neben der Grundvergütung erhalten sie in<br />

der Regel noch einen jährlichen Bonus, häufig eine jährlich<br />

gewährte Langfristvergütung und betriebliche Altersversorgung.<br />

Das alles hindert Mitarbeiter nicht daran, wie gebannt<br />

auf die Arbeitsbedingungen in Start-ups zu schauen<br />

und falsche Vorstellungen zu entwickeln. Sie sehen nur<br />

den Kickertisch und assoziieren ihn mit Easy Working<br />

wie und wann es gefällt, möglichst an nicht mehr als vier<br />

Tagen in der Woche. Die Realität sieht anders aus. Vergütungsberater<br />

Ian Karcher, Aon Hewitt: „Die Startups,<br />

die ihr Geschäftsmodell wirklich ‚zum Fliegen‘<br />

brachten, hatten einen Sinn für Urgency, haben 80 Stunden<br />

in der Woche gearbeitet und viel Risikobereitschaft<br />

mitgebracht.“ Diese Mentalität sei in Corporate Startups<br />

oftmals nicht zu finden. Karcher, Director Rewards<br />

& Performance Central Europe, warnt im Übrigen<br />

Unternehmen davor, bei dem Kauf eines Start-ups ungeprüft<br />

deren Vergütungsmodell zu übernehmen. Häufig<br />

holten sie sich „immense Kosten ins Haus, ohne den entsprechenden<br />

Output zu erzielen“.<br />

Wann ist Vergütungsexpertise gefragt?<br />

Eines der Kerngeschäfte der Vergütungsberatungen liegt<br />

in Benchmarking-Projekten. Da frei zugängliche Gehaltsdatenbanken<br />

in der Regel keine belastbaren Informationen<br />

anbieten, können sie nicht als Spiegel der Marktvergütung<br />

gelten. Spätestens wenn HR mit der<br />

Geschäftsführung über Gehaltsbänder diskutiert, „werden<br />

die selbst recherchierte Daten in Frage gestellt und<br />

deren Validität angezweifelt“, begründet Kienbaum-<br />

Beraterin Siemer die Notwendigkeit einer fundierten<br />

Datenbasis. Ebenso kommen die Berater nach Mitarbeiterbefragungen,<br />

die zutage fördern, dass die Beschäftigten<br />

die Bezahlung als nicht fair erleben, zum Einsatz.<br />

In einer solchen Situation möchten Unternehmen<br />

wenigstens überprüfen, ob ein Nachsteuern nötig ist.<br />

Neben Benchmarking-Analysen erkunden Unternehmen<br />

bei den Vergütungsprofis auch die Gehälter spezieller<br />

Funktionen. Zwar haben Großunternehmen meistens<br />

akzeptable Daten vorliegen, aber bei sogenannten<br />

Hot Jobs wie Solutions Architects, Full Stack Developer<br />

oder Cyber-Security-Spezialisten oder bei Seniormanager-Positionen<br />

fehlt ihnen oftmals Erfahrung und<br />

ein Verständnis dafür, wie sich der Markt entwickelt, weiß<br />

Aon-Hewitt-Berater Karcher. Ein weiterer Grund, Compensation-Experten<br />

zu befragen, sei der Wunsch nach<br />

hoher Performance der Mitarbeiter. Mit richtigen Ansätzen<br />

könne beispielweise die Sales Force durch Operational-Excellence-Training<br />

wieder auf die Erfolgsspur<br />

gesetzt werden. Allerdings müsse das Unternehmen<br />

auch bereit sein, „seinen besten Performern auch die besten<br />

finanziellen Anreize zu bieten“.<br />

Wenn Recht und Gesetz bestimmen<br />

Wenn der Gesetzgeber in Vergütungsfragen eingreift,<br />

sei es bei den Vorschriften zur Entgelttransparenz oder<br />

der Bankenvergütung, sind Vergütungsfachleute besonders<br />

gefragt. Aktuell treibt das Entgelttransparenzgesetz<br />

die Unternehmen um; sie müssen sich mit ihrer Vergütungssystematik<br />

intensiv auseinandersetzen. Dabei<br />

stoßen die Berater auf Betriebe, in denen Stellenbewertungen<br />

fehlen. „Insbesondere wenn keine Systematiken<br />

vorhanden ist, sind die Unternehmen nun gefordert zu<br />

definieren, was in ihrer Organisation gleichwertige Tätigkeiten<br />

sind“, beschreibt Kienbaum-Beraterin Siemer die<br />

dringend zu lösenden Aufgaben des Gesetzes. Neben<br />

dieser Erhebung müssen Unternehmen sich auch damit<br />

befassen, ob und inwiefern bestehende Strukturen Frauen<br />

unter Umständen benachteiligen können. Dabei wird<br />

„Auch wenn Unternehmen die<br />

Abschaffung der individuellen<br />

Leistungskomponente im Bonus<br />

pressewirksam kommunizieren:<br />

Genauso viele haben ihre<br />

individuelle Differenzierung<br />

eher gestärkt.“<br />

Dr. Björn Hinderlich, Partner, Practice Leader<br />

Executive Compensation, hkp Group<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 41


SPECIAL COMPENSATION & BENEFITS<br />

„Am Ende des Tages zeichnet<br />

ein Grading-System auch eine<br />

Landkarte der Macht; eine<br />

Stellenneubewertung ist eine Art<br />

Restrukturierungsprozess, weil<br />

Vergütung die Personalkosten und<br />

-planung massiv beeinflusst.“<br />

Dr. Alexander Insam, Fachanwalt für Arbeitsrecht,<br />

Rechtsanwalt, Partner und CHRO, KPMG Law<br />

Geld oder Leben?<br />

Bei den klassischen Benefits präferieren die Mitarbeiter Firmenhandy (97 Prozent),<br />

Firmenwagen (93 Prozent), Homeoffice (90 Prozent) und betriebliche Altersvorsorge<br />

(90 Prozent). Mit Abstand folgen dann Zuschüsse zur Gesundheitsvorsorge (60 Prozent).<br />

Die Betriebs-Kita liegt auf dem letzten Platz mit 27 Prozent.<br />

Bei den innovativen Nebenleistungen rangieren temporäre Arbeitszeitregelungen<br />

(94 Prozent), anlassbezogene Freistellungen (83 Prozent) und kostenlose Snacks/Getränke/<br />

Abendessen (57 Prozent) auf den vorderen Plätzen. (Quelle: Kienbaum und Capital, Studie<br />

Innovative Benefits, 2<strong>01</strong>7)<br />

Arbeitgeber verstärken ihre Angebote der Nebenleistungen in Bezug auf die Flexibilisierung<br />

der Arbeitszeit, IT-Ausstattung, Work-Life-Balance und Wellness/Health. (Quelle: HKP-Group,<br />

Trendmonitor Nebenleistungen, 2<strong>01</strong>7)<br />

in der Regel nicht die unmittelbare Benachteiligung das<br />

Problem darstellen, sondern vielmehr die mittelbare<br />

Benachteiligung. Ihr dringender Rat: Vergütungsprozesse<br />

und Bewertungsverfahren müssen auf den Prüfstand.<br />

Die Banken haben bereits Erfahrungen mit einer neuen<br />

Regulation vor sieben Jahren gemacht, als sie in Reaktion<br />

auf die Finanzmarktkrise mit gesetzlichen Regeln<br />

der Institutsvergütungsverordnung konfrontiert wurden.<br />

Womit zunächst keiner rechnete: Es entstanden sinnvolle<br />

personalpolitische Impulse. Für viele Verantwortliche<br />

und Mitarbeiter war der Wegfall der diskretionären<br />

Boni und gleichzeitig die verzögerte Auszahlung<br />

von variabler Vergütung, das sogenannte Deferral,<br />

zunächst „eine Horrorvision“. Bankenberater und<br />

Arbeitsrechtler Alexander Insam von KPMG Law konnte<br />

„einen hohen Leidensdruck und große Abwehrbewegungen“<br />

beobachten. Wie sollte im Einzelfall weiterhin<br />

gerecht vergütet werden? In der Folge haben viele Institute<br />

die Regulierung allerdings als Chance begriffen,<br />

alte Strukturen aufzubrechen und „eine personalpolitisch<br />

sinnvolle Diskussion um Performance und Motivation<br />

zu führen“. Heute seien erste Vergütungssysteme<br />

entstanden, von denen das Business profitiere, „gerade<br />

weil das Thema Zielvereinbarungen aufgewertet wurde<br />

und konkrete, nachhaltige Zielvereinbarungen zu<br />

mehr unternehmerischem Denken bei Führungskräften<br />

und Mitarbeitern führen“.<br />

Spagat zwischen Zahlen und Kultur<br />

Ob interner oder externer Compensation- und Benefit-<br />

Berater – eine breite Expertise, Marktwissen und analytische<br />

Fähigkeit sind unabdingbare Voraussetzungen für<br />

sein Wirken. Doch Vergütung ist ein Aspekt, der sich<br />

nicht von der Unternehmenskultur trennen lässt. „Ein Stellenbewertungssystem<br />

ist keine rein technische Analyse“,<br />

betont Ian Karcher von Aon Hewitt. Oftmals sei es ein<br />

sehr politisches Thema, welcher Mitarbeiter welcher<br />

Klassifizierung zugeordnet wird. „Machtgefüge können<br />

sich verändern, da müssen wir sensibel vorgehen.“ Compensation<br />

& Benefits fängt für den Berater schon beim<br />

Hiring an. Was zahlt ein Arbeitgeber einem IT-Spezialisten?<br />

Wenn der Bewerber keinen Uni-Abschluss vorweisen<br />

kann, sieht der mit dem Pay-Band-System verlinkte<br />

Grade beispielweise nur ein Jahresgehalt 50 000<br />

Euro vor. Aber der Bewerber kann auf dem Arbeitsmarkt<br />

80 000 bis 100 000 Euro realisieren, wenn er über das<br />

Internet seine Skills transparent macht. Das setze Arbeitgeber<br />

unter Druck. „Hier fehlt es an Dynamik in deutschen<br />

Unternehmen, zudem der Betriebsrat eine solche<br />

Abweichung nach oben blockieren kann.“<br />

Auch wenn die Berater nicht in ein bestehendes Stellenbewertungssystem<br />

eingreifen, sondern ein Vergütungssystem<br />

neu designen beziehungsweise aufstellen, „sind<br />

sie immer gleichzeitig Kulturberater und Mediator, da<br />

Konflikte vorprogrammiert sind“, definiert Alexander<br />

Insam, KPMG Law, die Rolle. Denn: „Am Ende des Tages<br />

zeichnet ein Grading-System auch eine Landkarte der<br />

Macht.“ Mit zwei verschiedenen Schnittstellen: zum Vergütungssystem<br />

und zum Performance Management. Die<br />

Ursache: Die Bewertung einer Stelle tangiert immer den<br />

entsprechenden Stellenplan und wirft die Frage auf, wie<br />

viele Grades im Geschäftsbereich X sinnvoll und finanzierbar<br />

sind. Dies führt automatisch zum Faktor Arbeitsmenge<br />

und provoziert die Frage, wie viele Mitarbeiter für<br />

die Aufgabe Y notwendig sind, erläutert Arbeitsrechtler<br />

Isam. Daher greifen Vergütungsberater in den Status quo<br />

ein: In einem Unternehmen mit einer Stellenneubewertung<br />

erfolgt „eine Art Restrukturierungsprozess, weil<br />

Vergütung nicht nur die Personalkosten, sondern auch<br />

die Personalplanung massiv beeinflusst“.<br />

Also lieber die Finger davonlassen? Scheut HR das hochpolitische<br />

und konfliktbelastete Thema Stellenwertungssystem?<br />

Eher nicht, in den meisten Unternehmen treibt<br />

es HR voran. Grading ist zwar typischerweise immer<br />

verknüpft mit Vergütungsthemen, aber es geht um mehr.<br />

42<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


„Ob Titel, Benefits, Karrierepfade, Nachfolgeplanung:<br />

Ein Grading ist ein strategisches HR-Instrument, stellt<br />

Compensation-Beraterin Neele Siemer von Kienbaum<br />

klar. Deshalb treibt in der Regel HR die Implementierung<br />

eines Systems voran, weil es seine Arbeit erleichtert und<br />

alle Prozesse an einem solchen System ausgerichtet werden<br />

können. „Stellenbewertung ist ein mächtiges HR-<br />

Instrument für das ganze HR-Management.“<br />

Stellenbewertungssysteme: zu detailliert<br />

und zu starr?<br />

In der modernen Wirtschaft hat sich die Funktionsbewertung<br />

als Basis der Vergütungsgestaltung in vielen<br />

Bereichen etabliert. Wie wichtig sind die Systeme heutzutage<br />

noch, müssen sie grundlegend verändert werden?<br />

Bieten sie eine Antwort auf die Arbeitswelt 4.0?<br />

Kienbaum hat dazu Unternehmen befragt, ob Stellenbewertungssysteme<br />

tatsächlich noch der Arbeitswelt<br />

4.0 gerecht werden. Das Ergebnis lautet: Die Organisationen<br />

arbeiten aktuell damit und sehen in ihnen ein zentrales<br />

Instrument auch für die Zukunft. Gleichzeitig<br />

stellen die Befragten ebenso fest, dass sich ihre Systeme<br />

verändern müssen. Neele Siemer: „Noch sind sie<br />

häufig eine Blackbox, aber sie müssen transparenter<br />

und objektiver werden, auf Daten basieren und auch flexibel<br />

Rollen abbilden können.“ Viele Kunden wollten<br />

derzeit ihr altes System ablösen, da es zu komplex, wenig<br />

pragmatisch und nicht nachvollziehbar sei. „Letztlich<br />

ist es häufig nicht funktional, auch aufgrund zu vieler<br />

Kriterien, die Vorgesetzte und HR beurteilen müssen.“<br />

Ein weiteres Handicap verdeutlicht folgendes Beispiel:<br />

Ein Mitarbeiter besetzt eine Funktion, doch übernimmt<br />

er auch zeitweise die Rolle eines Projektleiters. In dieser<br />

Rolle hat er zusätzliche Aufgaben wie Koordination,<br />

fachliche Führung oder anderes. Wie lässt sich das<br />

im Stellenbewertungssystem abbilden? Notwendig sei,<br />

dass bei der Bewertung der Funktion deren Rollencharakter<br />

betrachtet werde.<br />

Generell sind es jedoch nicht die Grading-Systeme, die<br />

keine Spielräume lassen, sondern das starre Arbeitsrecht,<br />

betont Siemer. Denn es ist nicht ohne Weiteres<br />

möglich, einen Mitarbeiter zum Beispiel für zwölf Monate<br />

als Projektleiter zu entlohnen und nach dieser Zeit,<br />

wenn er diese Rolle nicht mehr ausübt, auf das alte<br />

Gehalt zurückzuführen.<br />

Pragmatische Lösungen<br />

Dax-Unternehmen arbeiten fast alle mit Stellenbewertungssystemen.<br />

Zu diesem Resultat kommt eine<br />

aktuelle HKP-Studie. Sie zeigt auch auf, dass im Mittelstand<br />

mehr als die Hälfte der Unternehmen über kein<br />

Grading-System verfügt. Vergütungsexperte Björn<br />

Hinderlich nennt die Gründe: die relativ hohe Komplexität<br />

und der hohe Aufwand vieler marktgängiger<br />

Systeme. Außerdem müssen Unternehmen, falls vorhanden,<br />

das System mit dem Betriebsrat abstimmen.<br />

Und zu guter Letzt: Die gängigen Methoden der Stellenbewertung<br />

basieren nicht selten auf jahrzehntealten<br />

Systemen. Auch große Konzerne suchen deshalb<br />

mittlerweile nach einfacheren und flexibleren Alternativen.<br />

Eine Möglichkeit, so Björn Hinderlich, liege<br />

darin, einen Rahmen an validierten Referenzpositionen<br />

zu setzen, die mit wenigen ganzheitlichen Kriterien<br />

eingestuft werden und als Orientierung für<br />

weitere zuzuordnende Positionen dienen. Das HKP-<br />

Modell arbeitet mit den vier Faktoren Einfluss, Komplexität,<br />

Kommunikation und Kenntnissen einer Funktion<br />

und verzichtet auf „unzählige Unterkriterien mit<br />

scheingenauen Quantifizierungen“. Ohne Abstriche<br />

bei der Einstufungsgenauigkeit könnten Verfahren<br />

pragmatisch und einfach sein.<br />

Es ist immer wieder der Detaillierungsgrad, der sich<br />

als Problem erweist. Den großen Wunsch der Unternehmen<br />

nach pragmatischen Systemen bestätigt auch Ian<br />

Karcher, Aon Hewitt. Sicherlich habe jeder Stellenbewertungsansatz<br />

seine eigene Systematik, aber letztlich<br />

weichten die Ergebnisse nur rund zehn Prozent voneinander<br />

ab. Aon Hewitt arbeite mit auf den jeweiligen<br />

Wirtschaftsbereich abgestimmten speziellen Systemen,<br />

ob für General Industry, die Finanzindustrie oder für<br />

Hightech. Hier werde das Radford-System verwendet,<br />

um relativ einfach auch IT-Funktionen effektiv einzuordnen.<br />

In Merger-&-Acquisition-Projekten beobachtet<br />

Ian Karcher häufig, dass oftmals keine verlässliche<br />

Stellenbewertung existiert. Ein Fehler, wie er betont.<br />

Unabhängig davon, was ein Unternehmen verwendet,<br />

„eine Systematik schafft immer einen großen Mehrwert<br />

für die Firma“.<br />

„Bei Zielvereinbarungen und<br />

-erfüllung konzentrieren sich<br />

Mitarbeiter oftmals nur auf<br />

sich selbst. Wichtiger ist eine<br />

andere Komponente: Wie hilft<br />

ein Mitarbeiter dem Team, bessere<br />

Ergebnisse zu liefern?“<br />

Ian Karcher, Director Rewards & Performance<br />

Central Europe, Aon Hewitt GmbH<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 43


SPECIAL COMPENSATION & BENEFITS<br />

„Viele Unternehmen wollen ihr altes<br />

Stellenbewertungssystem ablösen, da<br />

es zu komplex, wenig pragmatisch,<br />

nicht nachvollziehbar und häufig<br />

nicht funktional ist, auch aufgrund<br />

zu vieler Kriterien, die Vorgesetzte<br />

und HR beurteilen müssen.“<br />

Dr. Neele Siemer, Projektleiterin Compensation &<br />

Performance, Kienbaum Consultants International<br />

GmbH<br />

Arbeitswelt 4.0 und Zielvereinbarung<br />

Heutzutage haben sich namhafte Konzerne wie Bosch<br />

oder die Deutsche Bahn von klassischen Zielvereinbarungen<br />

und variabler Vergütung verabschiedet. Die<br />

Mehrheit der Unternehmen arbeitet noch damit. Was<br />

ist sinnvoll? Was fördert das Ziel der Zusammenarbeit<br />

in der Arbeitswelt 4.0?<br />

Zielvereinbarungen haben immer zwei Funktionen. Zum<br />

einen implizieren sie ein variables Gehalt, dessen Höhe<br />

in Abhängigkeit von erreichten Zielen mit einem Bonus<br />

oder Tantiemen variiert. Eine Zielvereinbarung kann aber<br />

auch die Funktion einer Klarstellung haben, sodass Mitarbeiter<br />

wissen, wie sie ihre Tätigkeiten priorisieren müssen.<br />

Die Bankenwelt hat es vorgemacht, zeigt Alexander<br />

Insam von KPMG Law auf: Per Regulatorik müssen Zielvereinbarungen<br />

eine unternehmens- und bereichsspezifische<br />

sowie eine individuelle Komponente beinhalten. Die<br />

Dreiteilung soll Anreize für die variable Vergütung setzen,<br />

Teamwork honorieren und nachhaltige Ziele fördern,<br />

sodass nicht zu viele kurzfristige Risiken eingegangen<br />

werden. Bei KPMG selbst hat man sich beispielsweise<br />

dazu entschlossen, die Beurteilung von Leistung personalpolitisch<br />

zu trennen von Lernen und Entwickeln. „Herkömmliche<br />

Systeme erlauben das nicht“, stellt Alexander<br />

Insam klar, der als Partner auch die Rolle des Personalleiters<br />

(CHRO) ausfüllt. „Wenn Entwicklung nichts mit<br />

der Vergütung zu tun hat, darf der Mitarbeiter auch Fehler<br />

machen und an ihnen lernen, ohne dass er finanziell<br />

bestraft wird. So wird Eigenverantwortlichkeit gestärkt,<br />

Lernen gefördert und Fehlertoleranz erhöht, kurz gesagt,<br />

agile Personalpolitik 4.0 gelebt.“<br />

Keinesfalls sollte man sich blenden lassen, wenn namhafte<br />

Konzerne sich von Zielvereinbarungen verabschieden.<br />

So ist es zum Beispiel in einem „Sales-getriebenen<br />

Unternehmen kontraproduktiv, individuelle<br />

Belohnungen abzuschaffen“, merkt Kienbaum-Beraterin<br />

Neele Siemer an. Wer Verhalten steuern wolle, müsse<br />

zunächst die Frage der Unternehmensstrategie beantworten<br />

und dann die Vergütungsinstrumente wählen.<br />

„Wenn die individuelle Zielvereinbarung das richtige<br />

Instrument ist, sollte man nicht dem Trend in einigen<br />

Unternehmen folgen, die sie abgeschafft haben.“<br />

Balance zwischen Ich und Wir<br />

Doch der Trend im Markt, individuelle Ziele zugunsten<br />

von Teamzielen aufzugeben, ist zweifelsfrei vorhanden.<br />

Aon-Hewitt-Berater Ian Karcher: „Bei Zielvereinbarungen<br />

und Zielerfüllung konzentrieren sich die<br />

Mitarbeiter oftmals nur auf sich selbst. Entscheidend ist<br />

aber die Frage: Wie hilft ein Mitarbeiter dem Team,<br />

bessere Ergebnisse zu liefern? Das ist die richtige Philosophie<br />

und nicht die Selbstoptimierung.“ Allerdings<br />

schränkt er ebenso wie seine Kollegen ein: Nur weil<br />

sich namhafte Unternehmen wie Microsoft vom klassischen<br />

Performance-Management-System verabschiedet<br />

haben, müsse dies nicht blind kopiert werden. Nicht<br />

alles passe auf unsere Kultur, aber „wir können einiges<br />

von den Vergütungsstrukturen amerikanischer Unternehmen<br />

und ihrer finanziellen und operativen Effektivität<br />

lernen“.<br />

Was gegen einen eindeutigen Trend von der Bewertung<br />

der Einzelleistung spricht, ist auch die Tatsache,<br />

dass die Abschaffung der individuellen Leistungskomponente<br />

im Bonus pressewirksam publiziert wird, aber<br />

„genauso viele Unternehmen ihre individuelle Differenzierung<br />

eher gestärkt haben“, bekräftigt Björn Hinderlich<br />

von HKP. Ein Blick hinter die Kulissen zeige<br />

darüber hinaus auch, dass diejenigen Unternehmen,<br />

die auf eine individuelle Leistungsbelohnung verzichten,<br />

zwar nicht mehr im Bonus differenzieren, aber<br />

stattdessen in ihren Vergütungsrunden bei den Entgeltsteigerungen<br />

oder bei der Zuteilung von Langfristvergütungen.<br />

Der Grund: „Nur auf Teamanreize zu<br />

setzen, führt zwangsläufig zum Mittelmaß und die Topleister<br />

finden sich nicht wieder.“<br />

Zur Frage, wie hoch die Einzelleistung bewertet werden<br />

soll und wie hoch die Teamleistung, gibt es kein fertiges<br />

Rezept. Keine Differenzierungen vorzunehmen, ist<br />

nicht Erfolg versprechend, ein Zuviel davon allerdings<br />

auch nicht. Vergütungsberater Alexander Insam: „Die<br />

Kunst liegt in der Balance, wie beim Surfen auf einer<br />

Welle.“<br />

Unternehmen müssen sich nun individuell überlegen,<br />

welcher Mix für sie der richtige ist. Die Herausforderung<br />

steigt durch die Komplexität und wird durch die<br />

Arbeitswelt 4.0 nicht weniger. Und die Zufriedenheit der<br />

Mitarbeiter hängt nicht unerheblich an einer als gerecht<br />

empfundenen Vergütung.<br />

p<br />

44<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


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Foto: Tom Maurer<br />

Foto: privat<br />

Silke Sulzer, Gruppenleiterin Maschinensicherheit<br />

Norbert Christlbauer, Leiter Personal<br />

„Es war beeindruckend zu sehen,<br />

wie jeder im Laufe des Projekts gewachsen ist“<br />

Die Beschäftigten der Produktion von Elobau haben eigenständig ihr neues Vergütungssystem<br />

entwickelt. Das Projekt schaffte es unter die drei Besten in der Kategorie Leadership des<br />

Deutschen <strong>Personalwirtschaft</strong>spreises 2<strong>01</strong>7. Aber es wurde noch viel mehr erreicht.<br />

INTERVIEW: CHRISTIANE SIEMANN<br />

u<strong>Personalwirtschaft</strong>: Herr Christlbauer, normalerweise<br />

wird ein Entgeltsystem durch die Personalabteilung, die<br />

Geschäftsführung und – falls vorhanden – den Betriebsrat<br />

entwickelt. Bei Elobau haben die Mitarbeiter das Heft<br />

in die Hand genommen. Wie kam es zu dieser ungewöhnlichen<br />

Vorgehensweise?<br />

Norbert Christlbauer: In den regelmäßigen Mitarbeiterbefragungen<br />

konnten wir eine große Unzufriedenheit mit<br />

dem bestehenden Vergütungssystem feststellen, das in der<br />

Produktion unverändert seit rund 30 Jahren bestand. Es handelte<br />

sich um ein Prämien-Akkord-System nach dem Motto<br />

„Arbeite schneller, dann bekommst du mehr“. Die Grundvergütung<br />

wurde als Stundenlohn gezahlt, der durch eine<br />

individuelle Akkordprämie um bis zu 26 Prozent gesteigert<br />

werden konnte. Das Modell war aus Sicht der betroffenen<br />

Mitarbeitenden intransparent, unfair und belastend. Darüber<br />

hinaus bildete es in keinster Weise die Anforderungen<br />

an moderne Produktionsprozesse ab. Daher haben wir uns<br />

entschieden, das Entgeltsystem neu zu gestalten und externe<br />

Entgeltspezialisten angesprochen. Schnell wurde uns<br />

klar, dass dieser Weg für uns nicht erfolgsversprechend<br />

sein konnte. Insbesondere unsere Geschäftsleitung hatte<br />

von Anfang an den Wunsch, dass es kein System von der<br />

Stange sein darf. Warum also nicht die betroffenen Mitar-<br />

beiter direkt einbeziehen? Da dies aus unserer Sicht aber<br />

nicht ohne externe Unterstützung realisiert werden konnte,<br />

haben wir uns Experten für Kultur- und Organisationsentwicklung<br />

ins Boot geholt. Unser Ziel: Die größtmögliche<br />

Zustimmung zu einem Vergütungsmodell aus der<br />

Belegschaft für die Belegschaft zu bekommen und dabei<br />

marktspezifische Differenzierungskriterien wie beispielsweise<br />

Qualität und Innovation zu stärken.<br />

Frau Sulzer, wie haben Sie und die Kollegen reagiert, als<br />

Sie hörten, dass Sie beim neuen Entgeltsystem mitreden<br />

und dieses entwickeln dürfen beziehungsweise sollen?<br />

Silke Sulzer: Ich habe es in der Mitarbeiterzeitung gelesen<br />

und mich als eine der ersten drei Kolleginnen für das Projekt<br />

gemeldet. Erst nachdem wir in Tandems – eine Führungskraft<br />

und eine Kollegin aus der Produktion – einen<br />

Tag lang durch die Fertigung gelaufen sind und für unser<br />

Projekt geworben haben, konnten wir 56 Freiwillige gewinnen,<br />

die bereit waren, sich ins Projekt einzubringen. Es gab<br />

auch kritische Stimmen meiner Kollegen. Sie gingen in die<br />

Richtung, dass das Ganze nur eine „Show“ sei und „die<br />

Lösung bestimmt schon in der Schublade liege“. Wir haben<br />

daher von Anfang an massiv in Vertrauensaufbau investiert.<br />

Der Schlüssel dazu war größtmögliche Transparenz. Wir<br />

46<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


haben unsere Projektbesprechungen mitten in der Fertigung<br />

durchgeführt sowie Hospitanzplätze, ein Feedback-Gremium<br />

und eine eigens installierte Webplattform mit Blog-<br />

Funktion geschaffen, um zusätzliche Transparenz und<br />

Kommunikationsmöglichkeiten zu schaffen. Auch für uns<br />

im Projektkernteam war es am Anfang sehr ungewohnt, in<br />

dieser neuen Art und Weise zusammenzuarbeiten. Aber<br />

nach den ersten acht Projekttagen, die sich überwiegend um<br />

das Thema Teamfindung drehten, waren wir richtig gut<br />

arbeitsfähig.<br />

Wie ging es weiter?<br />

Christlbauer: Der wichtigste Punkt zu Beginn lag darin,<br />

eine entsprechende Grundlage in der Zusammenarbeit zu<br />

schaffen. Also eine Arbeitskultur herzustellen, in der eine<br />

Mitarbeiterin aus der Produktion mit dem Geschäftsführer<br />

hierarchiefrei die wichtigen Themen besprechen kann.<br />

Systemerwünschtes Verhalten ist hier kein guter Treiber. Wir<br />

haben uns dem Thema zunächst sehr klassisch über Teamspiele<br />

genähert. Viel wichtiger war aber, dass die beteiligten<br />

Führungskräfte bestehende Glaubenssätze bewusst beiseitegelegt<br />

und das Team durch unerwartet offenes Verhalten<br />

ebenfalls zur Offenheit ermutigt haben. Im nächsten Schritt<br />

wurde das Know-how für Vergütungssysteme im Projektteam<br />

aufgebaut, unter anderem durch Exkursionen zu<br />

anderen Firmen, in denen wir uns verschiedene Systeme<br />

anschauen konnten. In der anschließenden Modellentwicklung<br />

mit agilen Projektmethoden haben wir in mehreren<br />

Sprints verschiedene Modelle entwickelt, die wir<br />

direkt vor Ort in der Belegschaft erprobt haben. Dank des<br />

prompten Feedbacks konnten wir schnell die Ideen aussortieren,<br />

die nicht im Sinne der Mitarbeiter waren. Den finalen<br />

Schritt der Implementierung haben wir mit einer Großveranstaltung<br />

gestartet, bei der das Projektteam zusammen<br />

die Modellvorstellung übernommen hat. Nach dem<br />

Abschluss des Projekts im Dezember 2<strong>01</strong>6 hat sich die Projektgruppe<br />

nicht aufgelöst. Bis zu viermal im Jahr finden<br />

regelmäßige Reviews statt.<br />

Wie haben Sie sich in das Thema eingearbeitet und wie<br />

konnten Sie das mit der Arbeitszeit vereinbaren?<br />

Sulzer: Wir, die Mitglieder des Projektkernteams, wurden<br />

für die Dauer des Projekts mit rund 20 Prozent unserer<br />

Arbeitszeit freigestellt. Wir konnten selbst Vorschläge<br />

einbringen, wie und wo wir unser Know-how aufbauen<br />

wollen. Hilfreich war der fachliche Input unterschiedlicher<br />

Firmen. Jeder von uns konnte auch direkt seine<br />

Erfahrungen einbringen, die er aus seinem Umfeld mitbrachte.<br />

Das Unternehmen<br />

Die Elobau GmbH & Co. KG in Leutkirch im Allgäu, ein weltweit agierendes, familiengeführtes<br />

Stiftungsunternehmen, entwickelt und fertigt Sensorik und Bediensysteme für den Maschinenbau<br />

und die Nutzfahrzeugbranche. Das Unternehmen beschäftigt rund 750 Mitarbeiter.<br />

Der Projektaufwand war nicht gering. Sind Sie zufrieden<br />

mit dem Ergebnis?<br />

Christlbauer: Das neue Vergütungssystem wurde am<br />

1. Januar 2<strong>01</strong>7 mit mehr als 96 Prozent Zustimmung eingeführt.<br />

Vom Modell profitieren nun alle rund 750 Mitarbeiter,<br />

da bei Erreichen der Liefertreue und Qualitätsziele<br />

alle Mitarbeitenden die gleiche Prämie erhalten. Aus unserer<br />

Sicht haben wir einen mehrfachen Nutzen erzielt. Zum<br />

einen hat Elobau ein neues Vergütungssystem für seine<br />

Produktionsmitarbeiter, welches zeitgemäß, transparent<br />

und fair ist. Darüber hinaus ist das Vergütungssystem<br />

marktfähig und versetzt uns somit in die Lage, weiterhin<br />

unser Wachstum zu ermöglichen.<br />

Was war für Sie das Wichtigste dabei?<br />

Christlbauer: Für mich persönlich ist am wichtigsten, dass<br />

unser Vorgehen für jedes einzelne Projektteammitglied<br />

eine tiefgreifende Personalentwicklungsmaßnahme war.<br />

Es war beeindruckend zu sehen, wie jeder von uns im Laufe<br />

des Projekts gewachsen ist und wir Dinge erreicht haben,<br />

die für mich im Vorfeld in dieser Form nicht absehbar<br />

waren. Wir alle haben erfahren und erleben dürfen, dass<br />

bei Elobau nicht nur im Unternehmen gearbeitet wird,<br />

sondern vor allem die Arbeit am Unternehmen wertvoll und<br />

machbar ist. Mit den Beiträgen aller Beteiligten haben wir<br />

wesentliche Teile unseres Geschäftsmodells gestaltet und<br />

somit gelebte Unternehmenskultur erfahren. Mit dieser<br />

Erfahrung sind wir in die Lage, zukünftig jegliche Herausforderungen<br />

auf eine gleiche oder ähnliche Art anzugehen.<br />

Wir können sagen: Es ist eine neue Form der Zusammenarbeit<br />

im Unternehmen entstanden.<br />

Sulzer: Für uns als Mitarbeitende in der Produktion war<br />

es am Anfang nicht einfach, mit unseren Chefs auf Augenhöhe<br />

zu sprechen. Es hat ein paar Wochen gedauert, bis meine<br />

Kollegen und ich das Vertrauen gewonnen haben. Wir<br />

haben viele Eindrücke gewonnen und sind der Meinung,<br />

dass sich die Zusammenarbeit bei uns in der Produktion<br />

spürbar verändert hat. Das Gesamte im Blick zu haben, ist<br />

mittlerweile das A und O, und wir arbeiten viel mehr abteilungsübergreifend.<br />

Ich konnte für mich persönlich viel mitnehmen,<br />

besonders die Erfahrung, was alles möglich ist,<br />

wenn man Vertrauen und Unterstützung genießt.<br />

Was sind die wichtigsten Learnings aus Ihrem HR-<br />

Projekt?<br />

Christlbauer: Veränderungsprozesse brauchen Mut und<br />

Offenheit. „Fail and Learn“ sind zwei wesentliche Begleiter.<br />

Sie bringen uns weiter. Und: Der Erfolg eines Projekts<br />

ist abhängig von einem positiven Menschbild und einer<br />

menschenliebenden Haltung. Unsere Organisation kann<br />

Dinge bewegen, die wir nie für möglich gehalten hätten.<br />

Voraussetzung ist, dass wir unseren Mitarbeitenden die<br />

Chance bieten, in die Verantwortung zu kommen. p<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 47


TITEL SPECIAL NAME COMPENSATION DES BEITRAGS& BENEFITS<br />

Millennials und Digital Natives<br />

gerecht werden<br />

Die Generationen Y und Z haben ihre eigenen Vorstellungen von Jobs, Gehaltsmodellen<br />

und Benefits. Mit einem flexiblen System für Vergütung und Nebenleistungen erreichen Arbeitgeber<br />

alle Mitarbeitergenerationen. Was dabei zu beachten ist.<br />

u „Was verdienst du eigentlich?“ Unter deutschen Arbeitnehmern<br />

ist diese Frage nicht selbstverständlich, bei der<br />

älteren Generation gewöhnlich noch immer verpönt. Jüngere<br />

Arbeitnehmer sehen das wesentlich entspannter. Die<br />

Frage „Was bietet dir deine Firma für deine Arbeit?“ muss<br />

meist gar nicht erst gestellt werden, denn der Firmenwagen,<br />

das gesponserte Smartphone und das genehmigte<br />

Sabbatical sind nach außen hin sichtbar. Der Vergleich mit<br />

anderen, also Transparenz hinsichtlich Gehältern, Boni<br />

und Benefits, ist für die Millennials und Digital Natives<br />

– auch Generation Y und Z genannt –, andere als ein<br />

Tabu. Kein Wunder, sie sind mit dem World Wide Web<br />

aufgewachsen, in dem sich heute alles miteinander vergleichen<br />

lässt.<br />

Die Welt der Arbeit verändert sich, wird zunehmend<br />

flexibler, orts- und zeitunabhängiger sowie digitaler.<br />

Und mit den jungen Mitarbeitergenerationen Y und Z<br />

wird sie auch individueller. Heute fragen und fordern<br />

Mitarbeiter mehr als je zuvor, mal offensiv, mal zurückhaltend.<br />

Was sich nicht ändert: Personalverantwortliche müssen<br />

die besten Mitarbeiter finden, halten und entwickeln. Mit<br />

Blick auf die neuen Generationen von Talenten wird das<br />

allerdings zunehmend schwieriger: Viele der etablierten<br />

Strukturen, Prozesse und Angebote für Mitarbeiter sind<br />

auf ältere Generationen zugeschnitten. Doch welche<br />

Gehaltsmodelle und Benefits sind es, die Millenials und<br />

Digital Natives begeistern können? Was müssen Arbeitgeber<br />

bei der Kommunikation rund um die Vergütung und<br />

Nebenleistungen beachten?<br />

Neue Generationen, neue Anforderungen<br />

Bei der Generation Y stehen Karriereopportunitäten und<br />

kompetitive Gehälter sowie Boni meistens an erster Stelle.<br />

Die Generation Z hingegen nennt die monetären Anreize<br />

bei Umfragen meist nicht innerhalb der Top-Fünf-Gründe<br />

für die Attraktivität von Arbeit und Arbeitgeber. Sie<br />

erwartet eher eine gute, ausgeglichene Work-Life-Balance,<br />

intellektuelle Herausforderung und Jobsicherheit.<br />

In Bezug auf die Benefits zeigen sich ebenfalls Unterschiede<br />

zwischen den beiden Generationen. So hat die<br />

Generation Y die ersten Berufsjahre hinter sich, Erfahrung<br />

gesammelt und fragt nun stärker danach, was sie eigentlich<br />

persönlich für ihre Leistung erhält. Mitarbeiter der<br />

Generation Z zeigen in dieser Hinsicht mehr Zurückhaltung.<br />

Sie möchten vom Arbeitgeber noch an die Hand<br />

genommen werden und sich nicht selbst um diese Dinge<br />

kümmern müssen. Andererseits erwarten sie aber, dass<br />

der Arbeitgeber ihre persönlichen Belange wahrnimmt.<br />

Auch wenn die Ansprüche in mancherlei Hinsicht auseinander<br />

gehen und in vielen Unternehmen zudem auf<br />

etablierte, teils festgefahrene Strukturen treffen, lassen<br />

sich dennoch Vergütungssysteme implementieren, die<br />

gleichzeitig innovativ und praktikabel sind – wenn man<br />

ein paar Aspekte beachtet:<br />

48<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


1 Einfache und transparente Gestaltung der Vergütung<br />

Die Schlüssel zu einem Vergütungssystem, das von den<br />

Mitarbeitern akzeptiert wird, sind Einfachheit und Transparenz.<br />

Das gilt insbesondere für die Generationen Y und<br />

Z, die es dank Google und Wikipedia gewohnt sind, an<br />

alle Antworten schnell und unkompliziert zu gelangen.<br />

Wenn Mitarbeiter zügig erfassen können, wie sich ihre Vergütung<br />

genau zusammensetzt, und wenn die dahinter<br />

stehenden Richtlinien, Grundsätze und Prozesse transparent<br />

und nachvollziehbar sind, werden sie diese leichter<br />

akzeptieren.<br />

2 Lohngerechtigkeit als Voraussetzung<br />

Gerechte Löhne sind keine Option, sondern ein Muss.<br />

Dabei sollte der Fokus aber nicht nur auf der Bezahlung<br />

von Frauen und Männern liegen, sondern auf einer fairen<br />

Vergütung, die sich an den Rollen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten<br />

orientiert. Insbesondere die Digital<br />

Natives sehen dabei im Gegensatz zu den vorhergehenden<br />

Generationen die Themen Wettbewerb und variable<br />

Vergütung kritisch. Sie bevorzugen Fixgehälter – und im<br />

Zweifel sollen lieber alle Teammitglieder dasselbe verdienen,<br />

bevor es zu Ungleichheit kommt.<br />

3 Etablierung einer umfassenden Employee Value<br />

Proposition<br />

Die Gesamtvergütung ist Teil einer umfassenden Employee<br />

Value Proposition (EVP), die eine Vielzahl von Faktoren<br />

beinhaltet: die Gestaltung des Arbeitsplatzes, Freizeitangebote<br />

für Mitarbeiter, verschiedene Benefits wie Rabatte<br />

und Essenszuschüsse, flexible Arbeitsmodelle und<br />

Angebote wie Sabbaticals. HR-Verantwortliche sollten<br />

die EVP danach ausrichten, was ihre Mitarbeiter wirklich<br />

wollen und wertschätzen. Das reine Gehalt tritt bei jungen<br />

Mitarbeitern mitunter in den Hintergrund, während<br />

Themen wie Work-Life-Balance oder Weiterbildung wichtiger<br />

werden.<br />

4 Flexible Benefits anbieten<br />

E-Bike oder Jobticket? Sabbatical oder Kinderbetreuung?<br />

Unfallversicherung oder Aktienpaket? Mitarbeiter schätzen<br />

eine breite Palette flexibler Nebenleistungen (siehe<br />

Abbildung 1 auf Seite 50), die sie individuell zusammenstellen<br />

können. Da die Wünsche und Schwerpunkte je<br />

nach Alter und Lebensphase unterschiedlich sind, lässt sich<br />

über ein Cafeteria-System, bei dem die Beschäftigten aus<br />

verschiedenen Benefits wählen können, die gesamte Belegschaft<br />

erreichen. Vor allem jüngere Mitarbeiter wollen<br />

KIENBAUM BENEFITS FORUM 2<strong>01</strong>8<br />

Das Event zu Benefits und Zusatzleistungen in Köln.<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Das <br />

am


SPECIAL COMPENSATION & BENEFITS<br />

Pakete schnüren: Zusatzleistungen sind für Mitarbeiter attraktiv Abbildung 1<br />

Viele Benefits werden in<br />

Deutschland steuerlich<br />

begünstigt (pinke Schrift in der<br />

Abbildung). Allen voran<br />

Leistungen aus den Bereichen<br />

Verpflegung, Mobilität und<br />

Gesundheits- und Altersvorsorge.<br />

Quelle: Mercer Deutschland GmbH, 2<strong>01</strong>7<br />

AUTOREN<br />

Rolf Misterek, Principal,<br />

Mercer Deutschland GmbH,<br />

Frankfurt,<br />

rolf.misterek@mercer.com<br />

Stephan Pieronczyk, Principal,<br />

Mercer Deutschland GmbH,<br />

Frankfurt,<br />

stephan.pieronczyk@mercer.com<br />

aber keine Formulare ausdrucken und an die HR-Abteilung<br />

schicken. Das System sollte ebenso flexibel und einfach<br />

strukturiert sein wie die Benefits selbst – die Gewohnheiten<br />

aus dem Online-Shopping lassen grüßen. Dabei<br />

müssen nicht alle Nebenleistungen frei wählbar sein. Personaler<br />

können die Hemmschwelle, sich mit dem Thema<br />

auseinanderzusetzen, verringern, indem sie ein festes<br />

Paket schnüren, das um individuelle Komponenten ergänzt<br />

werden kann. So überfordern sie ihre Mitarbeiter nicht.<br />

5 Durchführung einer modernen Segmentierung<br />

Um die richtigen Benefits und Modelle anbieten zu können,<br />

müssen Personaler ihre Mitarbeiter richtig verstehen.<br />

Einen Anfang machen sie, indem sie die Belegschaft in Segmente<br />

einteilen, um die unterschiedlichen Wünsche und<br />

Präferenzen herausarbeiten zu können. Dabei können<br />

beispielsweise Personae zur Bestimmung von Mitarbeitertypen<br />

mit ähnlichen Eigenschaften und Einstellungen<br />

helfen, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Durch<br />

die Analyse von Mitarbeiterdaten, beispielsweise zum<br />

Wahlverhalten bei flexiblen Benefits, kann die Strategie<br />

validiert und weiter optimiert werden.<br />

Während man den Trend zur Individualisierung im<br />

Bereich betriebliche Nebenleistungen schon in vielen<br />

Branchen sieht, ist dieser Aspekt in Bezug auf die Vergütung<br />

in Deutschland noch recht neu. Aber die klare<br />

Tendenz in Richtung Arbeitnehmermarkt und neue<br />

Anforderungen, die Millennials und Digital Natives an<br />

Arbeitgeber stellen, setzt auch hier eine Entwicklung in<br />

Gang: weg von „one size fits all“ zu einer segmentierten<br />

beziehungsweise personalisierten Vergütung (siehe<br />

Abbildung 2).<br />

6 Richtige Kommunikation<br />

Den tatsächlichen Wert ihrer Gesamtvergütung erkennen<br />

Mitarbeiter erst, wenn er entsprechend kommuniziert<br />

wird. Je nach Zielgruppe bieten sich verschiedene Formate,<br />

Detailstufen und Kanäle an. Wichtig mit Blick auf die<br />

Generationen Y und Z ist die Art der Kommunikation:<br />

Mobile Anwendungen und Apps helfen dabei, junge Mitarbeiter<br />

direkt zu erreichen. Eine einfache, klare und<br />

ansprechende Struktur sowie die Begrenzung der Informationen<br />

auf das Wesentliche sorgen dafür, dass die richtigen<br />

Botschaften gesendet werden. Wichtig ist auch, dass<br />

der Prozess reibungslos abläuft und vom Mitarbeiter intuitiv<br />

durchlaufen werden kann – von der Teilnahme an den<br />

Benefits über die Auswahl von Benefits und Gehaltbausteinen<br />

bis hin zur Beschaffung.<br />

50<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Vergütung der Zukunft: von Standardisierung zu Individualisierung Abbildung 2<br />

Heute<br />

Morgen<br />

Mitarbeiter als<br />

Ziel von Vergütungsstrategien<br />

Eigenschaften<br />

Tools<br />

One size fits all<br />

Vermögenswerte<br />

Mitarbeiter anziehen, binden und<br />

motivieren<br />

• Vereinfacht und auf Manager fokussiert<br />

• Standardisiert und levelorientiert<br />

• Auf externen Faktoren basierend<br />

• Konsolidierte globale Pläne<br />

• Grading und Level<br />

• Betriebliche Rahmenbedingungen<br />

Segmentierte, flexible Vergütung<br />

Partner<br />

Bedürfnissen und Anforderungen gerecht<br />

werden<br />

• Mitarbeitergruppenorientiert<br />

• Fokus auf Mitarbeiterservice<br />

• Cluster-Analysen<br />

• Angebote und Kommunikation je nach<br />

Segment<br />

• Do-it-yourself-Bereiche bei den Benefits<br />

Personalisierte Vergütung<br />

Freiwillige<br />

Gesundheit, Wohlstand und<br />

Karriere fördern<br />

• Individuell an die Lebensentwürfe der<br />

Mitarbeiter angepasst<br />

• HR mit beratender Unterstützung zu<br />

Gesundheit, Wohlstand und Karriere<br />

• Do it yourself flexible Vergütungspakete<br />

• Bei Bedarf HR-Beratungsgespräche für<br />

die Mitarbeiter<br />

Quelle: Mercer Deutschland GmbH, 2<strong>01</strong>7<br />

7 Sofortige Anerkennung guter Leistungen<br />

Junge Mitarbeiter sind mit der Spontanität und schnellen<br />

Reaktionsfähigkeit in den sozialen Medien aufgewachsen.<br />

Direktes Feedback und die sofortige Anerkennung<br />

von guten Leistungen sind deshalb geeignete Maßnahmen,<br />

mit denen HR-Verantwortliche und Führungskräfte den<br />

Generationen Y und Z Wertschätzung zeigen können.<br />

Damit einhergehend sollten sie Benefits, die außerhalb typischer<br />

Zyklen oder halbjährlich gewährt werden können,<br />

stärker als Vergütungsinstrument nutzen. p<br />

Die Strategien entwickeln<br />

sich vom One-size-fits-all-<br />

Ansatz hin zu personalisierten<br />

Vergütungspaketen, bei denen<br />

die Bedürfnisse der Mitarbeiter<br />

viel stärker berücksichtigt<br />

werden.<br />

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RECHT & POLITIK UNTERNEHMENSINSOLVENZEN<br />

Harte Landung<br />

Mit Air Berlin hat im August 2<strong>01</strong>7 die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Insolvenz angemeldet.<br />

Ende Oktober stellte die Gesellschaft den Flugbetrieb ein, am 1. November wurde das Insolvenzverfahren<br />

eröffnet. Daraufhin entbrannte ein Streit zwischen Arbeitgeber und -nehmern, der es in sich hatte.<br />

52<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


u Unmittelbar vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens<br />

hatte die Arbeitnehmervertretung der Flugbegleiter<br />

nämlich den Versuch unternommen, zumindest einige<br />

der Maßnahmen aufzuhalten oder wenigstens mehr<br />

Informationen über das geplante weitere Vorgehen des<br />

Insolvenzverwalters zu erhalten. Vor dem Arbeitsgericht<br />

Berlin forderten die Flugbegleiter, dem Unternehmen<br />

im Einstweiligen Rechtschutz die Einstellung des Flugbetriebs<br />

sowie den Ausspruch von Kündigungen zu<br />

untersagen und der Arbeitnehmervertretung Informationen<br />

über Angebote zur möglichen Übernahme oder<br />

Fortführung von Unternehmensteilen zu gewähren.<br />

Obwohl Restrukturierungen gelegentlich von kollektivrechtlichen<br />

Streitigkeiten begleitet werden, unterscheidet<br />

sich das vorliegende Verfahren in zweierlei Weise<br />

von üblichen Umstrukturierungen.<br />

Personalvertretungen<br />

bei Luftfahrtunternehmen<br />

Die erste Besonderheit liegt im anwendbaren Recht:<br />

Bei Luftfahrtunternehmen wie Air Berlin gilt das<br />

Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) lediglich für das<br />

Bodenpersonal. Dementsprechend sind bei Air Berlin<br />

für Arbeitnehmer der Landbetriebe auch Betriebsräte<br />

nach dem BetrVG gewählt, nicht jedoch bei der hier<br />

aktiv gewordenen Kabinenbesatzung.<br />

Eine direkte Anwendung des Gesetzes für das Flugpersonal<br />

kommt daher nicht in Betracht. Für die Bordbesatzungen<br />

können Arbeitnehmervertretungen<br />

lediglich durch<br />

Tarifvertrag errichtet werden, was<br />

bei Air Berlin jedoch geschehen ist.<br />

Sowohl für das Cockpit- als auch für<br />

das Kabinenpersonal hat Air Berlin<br />

jeweils Haustarifverträge mit<br />

den verschiedenen Gewerkschaften geschlossen, die<br />

die Errichtung sogenannter Personalvertretungen regeln.<br />

Die beiden Tarifverträge regeln neben den Wahlmodalitäten<br />

zudem die Rechte und Pflichten von Personalvertretungen<br />

und Arbeitgeber, wobei sich die Tarifverträge<br />

unter Berücksichtigung unternehmensspezifischer<br />

Besonderheiten an das BetrVG anlehnen. Insbesondere<br />

ist in den §§ 80ff. der beiden Tarifverträge die Zusammenarbeit<br />

zwischen Arbeitgeber und Personalvertretung<br />

bei Betriebsänderungen vergleichbar den Vorgaben<br />

der §§ 111 ff. BetrVG vereinbart. Schließlich soll in<br />

strittigen Fragen die höchstrichterliche Rechtsprechung<br />

Das Verfahren<br />

unterscheidet sich<br />

von üblichen<br />

Umstrukturierungen.<br />

zum Betriebsverfassungsgesetz beachtet werden. Mit<br />

Ausnahme der Anspruchsgrundlage (Haustarifvertrag<br />

statt Betriebsverfassungsgesetz) ergeben sich daher<br />

nach dem Wortlaut kaum Unterschiede bei der Beteiligung<br />

der Arbeitnehmervertretung an geplanten<br />

Betriebsänderungen.<br />

Betriebsänderungen und Interessenausgleich<br />

§ 111 BetrVG sieht vor, dass der Betriebsrat in Betrieben<br />

mit mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern<br />

über geplante Betriebsänderungen zu informieren<br />

ist und diese Betriebsänderungen mit ihm zu beraten<br />

sind. Die Stilllegung des ganzen Betriebs oder von<br />

Betriebsteilen, die Spaltung von Betrieben sowie die<br />

grundlegende Änderung der Betriebsorganisation<br />

stellen derartige Betriebsänderungen dar. All das sind<br />

Maßnahmen, die typischerweise auch in einem Insolvenzverfahren<br />

geschehen können: Die bisherige unternehmerische<br />

Tätigkeit wird ganz oder vollständig eingestellt,<br />

das Unternehmen (teilweise) zerschlagen und<br />

gegebenenfalls für einzelne Unternehmensteile eine<br />

neue Bestimmung gefunden.<br />

Lediglich bei einer vollständigen Übertragung des bisherigen<br />

Betriebs auf einen Erwerber mit allenfalls<br />

geringfügigen Änderungen der Betriebsorganisation<br />

läge keine Betriebsänderung vor. Derartige Fälle sind<br />

jedoch in Insolvenzverfahren eher selten und entstehen<br />

etwa, wenn ein im Übrigen funktionierendes Unternehmen<br />

aufgrund erheblicher<br />

Ansprüche eines einzigen Gläubigers<br />

„über Nacht“ zahlungsunfähig<br />

wird und durch Befreiung von<br />

dieser Verbindlichkeit weiter existieren<br />

kann, insbesondere bei einem<br />

Verstoß gegen besondere Rechte<br />

dieses Dritten (gewerbliche Schutzrechte wie Patente,<br />

Vertragsstrafen et cetera).<br />

Die Zielrichtung des Gesetzgebers geht dahin, das Ob<br />

und Wie von Betriebsänderungen (also die Art und<br />

Weise sowie den Zeitpunkt) zwischen den Betriebspartnern<br />

zu verhandeln und möglichst vereinbaren zu<br />

lassen. Erst wenn der Abschluss eines Interessenausgleichs<br />

über die Betriebsänderung selbst noch in einer<br />

Einigungsstelle scheitert, kann der Arbeitgeber die<br />

geplanten Betriebsänderungen ohne Zustimmung der<br />

Arbeitnehmervertretung umsetzen. Derartige Verhandlungen<br />

können allerdings mehrere Monate in Anspruch<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 53


RECHT & POLITIK UNTERNEHMENSINSOLVENZEN<br />

Die zweite Besonderheit im Vergleich zu sonstigen<br />

Umstrukturierungen ergibt sich aus dem Umstand,<br />

dass über das Vermögen der Air Berlin das Insolvenznehmen.<br />

Daneben und grundsätzlich losgelöst von den<br />

Interessenausgleichsverhandlungen kann ein Sozialplan<br />

verhandelt werden, der eine Milderung der den<br />

betroffenen Arbeitnehmern durch die Betriebsänderung<br />

entstehenden Nachteile bezweckt. Das Ergebnis<br />

der Sozialplanverhandlungen – insbesondere deren<br />

Abschluss – ist für die Umsetzung der Betriebsänderung<br />

dagegen unerheblich.<br />

Einstweiliger Rechtschutz<br />

Den Anspruch auf Beteiligung, also auf Unterrichtung<br />

und Beratung zur Betriebsänderung, kann der Betriebsrat<br />

im einstweiligen Rechtschutz gegen den Arbeitgeber<br />

sicherstellen. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers<br />

maßgeblich sind die Information des Gremiums<br />

und die Beratung vor der Durchführung<br />

der Betriebsänderung. Damit gibt<br />

es für einen Eilrechtsschutz zwei<br />

Ansatzpunkte: den Anspruch auf<br />

Erteilung der Informationen und<br />

das vorübergehende Untersagen<br />

der Vornahme geplanter Maßnahmen.<br />

Beide Ansprüche hat die<br />

Arbeitnehmervertretung der Air<br />

Berlin geltend gemacht. Die Personalvertretung forderte<br />

sowohl eine Untersagung der Einstellung des<br />

Flugbetriebs und des Ausspruchs von Kündigungen<br />

sowie die Erteilung weitergehender Informationen über<br />

die Angebote von Kaufinteressenten für Teile des Unternehmens.<br />

Problematisch wäre es, wenn bereits die Einstellung des<br />

Flugbetriebs von einer Einigung zwischen Arbeitgeber<br />

und Arbeitnehmervertretung abhängen würde. Dann<br />

müsste selbst ein verlustreiches Unternehmen zunächst<br />

fortgeführt werden und dabei neue, gegebenenfalls<br />

absehbar verlustbringende Verbindlichkeiten eingehen.<br />

Insbesondere in einer Insolvenzsituation wäre das kaum<br />

nachvollziehbar. Hier hilft das Bundesarbeitsgericht<br />

einem Arbeitgeber beziehungsweise Insolvenzverwalter,<br />

da es die Stilllegung des Betriebs erst in der Aufgabe<br />

des Betriebszwecks unter gleichzeitiger Auflösung der<br />

Betriebsorganisation für eine unbestimmte, nicht nur<br />

vorübergehende Zeit sieht. Maßnahmen zur Umsetzung<br />

dieser Betriebsänderung liegen danach erst vor,<br />

wenn unumkehrbare Schritte zur Auflösung der betrieblichen<br />

Organisation ergriffen und damit schließlich<br />

vollendete Tatsachen geschaffen werden. Das ist jedenfalls<br />

beim Ausspruch von Kündigungen zum Zwecke der<br />

Betriebsstilllegung oder der aktiven Weggabe unternehmenswichtiger<br />

Vermögensgegenstände der Fall.<br />

Die bloße tatsächliche Einstellung der betrieblichen<br />

Tätigkeiten stellt dagegen ebenso wenig eine Maßnahme<br />

zur Betriebsstilllegung dar wie eine lediglich wider-<br />

Für die Bordbesatzungen<br />

können Arbeitnehmervertretungen<br />

lediglich<br />

durch Tarifvertrag<br />

errichtet werden.<br />

rufliche Freistellung von Arbeitnehmern. Damit wäre<br />

jedenfalls eine lediglich vorübergehende Einstellung<br />

des Flugbetriebs noch keine Betriebsänderung, die das<br />

Arbeitsgericht untersagen könnte. Zudem hat das Unternehmen<br />

nicht zu erkennen gegeben, dass es betriebsbedingte<br />

Kündigungen vor Abschluss der Interessenausgleichsverhandlungen<br />

aussprechen würde. Damit<br />

drohte keine Beeinträchtigung der Beteiligungsrechte<br />

der Arbeitnehmervertretung, sodass auch kein Grund<br />

für den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur vorläufigen<br />

Untersagung bestimmter Maßnahmen bestand.<br />

Damit bleiben die Ansprüche der Arbeitnehmervertretung<br />

auf Information und Beratung, die ebenfalls<br />

im Eilrechtsschutz durchgesetzt werden können. Dabei<br />

besteht eine erste Schwierigkeit darin, dass einstweiliger<br />

Rechtschutz lediglich eine vorübergehende Regelung<br />

treffen, eine Entscheidung in der Hauptsache<br />

jedoch nicht vorwegnehmen soll.<br />

Dem trägt eine vorübergehende<br />

Untersagung der Durchführung<br />

einer Betriebsänderung Rechnung,<br />

während eine Anordnung zur Erteilung<br />

von Informationen an den<br />

Betriebsrat einer dauerhaften Regelung<br />

gleichkommt. Daher werden<br />

hohe Anforderungen an die Glaubhaftmachung von<br />

Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund gestellt –<br />

dass also überhaupt ein Anspruch der Arbeitnehmervertretung<br />

auf Übermittlung der konkret begehrten<br />

Informationen besteht und dass die ausstehende Übermittlung<br />

zum aktuellen Zeitpunkt einen gravierenden<br />

Nachteil darstellt. Zudem ist wegen der lediglich vorübergehenden<br />

Regelung eine Folgenabschätzung vorzunehmen:<br />

Ist der derzeitige Nachteil und die Verpflichtung<br />

zu einer Herausgabe der begehrten Informationen<br />

wichtiger als die Nachteile, die sich ergeben können,<br />

wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass die<br />

Informationen nicht herauszugeben waren?<br />

Ein solcher gravierender Nachteil fehlt regelmäßig,<br />

wenn schon keine Schritte zur einseitigen, vorzeitigen<br />

Umsetzung der Betriebsänderung durch das Unternehmen<br />

drohen, der Arbeitgeber also durch unzureichende<br />

Informationen das Beteiligungsverfahren der<br />

Arbeitnehmervertretung nur selbst verzögert. Da im Fall<br />

von Air Berlin der Informationsanspruch der Personalvertretung<br />

nicht abschließend gefährdet war, bestand<br />

schon kein Grund, den Arbeitgeber zur Erteilung<br />

bestimmter Informationen zu verpflichten.<br />

Vereinfachungen im Insolvenzverfahren<br />

54<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


verfahren eröffnet wurde. Das langwierige Verfahren<br />

zum Versuch eines Interessenausgleichs wird dadurch<br />

vereinfacht, dass der Insolvenzverwalter stattdessen<br />

beziehungsweise parallel dazu die<br />

arbeitsgerichtliche Zustimmung zur<br />

Durchführung einer Betriebsänderung<br />

einholen kann. Voraussetzung dafür<br />

ist, dass innerhalb von drei Wochen<br />

nach Verhandlungsbeginn ein Interessenausgleich<br />

zwischen Betriebsrat und<br />

Insolvenzverwalter nicht zustande kam,<br />

obwohl der Insolvenzverwalter den<br />

Betriebsrat rechtzeitig und umfassend über die geplante<br />

Betriebsänderung informiert hat. Das Arbeitsgericht<br />

erteilt dann auf Antrag des Verwalters die Zustimmung<br />

nach Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens<br />

unter Berücksichtigung der sozialen Belange<br />

der Arbeitnehmer.<br />

Im Ergebnis kann dieses Verfahren zu einer Disziplinierung<br />

der Betriebsparteien führen: Während allein<br />

nach dem BetrVG ein Spiel auf Zeit möglich ist, drohen<br />

im Insolvenzverfahren nach ausreichender Information<br />

des Betriebsrates die möglichen Beratungen<br />

irrelevant zu werden, wenn sie zu lange andauern. Ein<br />

längeres Hinauszögern der Beratungen ist dem Betriebsrat<br />

dadurch nicht möglich.<br />

Für das Bodenpersonal von Air Berlin und die dort gebildeten<br />

Betriebsräte sind diese Modifizierungen durch die<br />

Insolvenzordnung direkt anwendbar. Offen ist dagegen,<br />

ob die Vereinfachung für den Insolvenzverwalter vor<br />

Problematisch wäre<br />

es, wenn bereits die<br />

Einstellung des<br />

Flugbetriebs von<br />

einer Einigung<br />

abhängen würde.<br />

Durchführung von Betriebsänderungen auch für das<br />

Flugpersonal und die dort gebildeten Personalvertretungen<br />

gilt. Gegen eine vergleichbare Geltung spricht, dass<br />

die Insolvenzordnung ausdrücklich auf<br />

Betriebsräte und einen Interessenausgleich<br />

nach dem BetrVG verweist,<br />

obwohl bei Aufnahme dieser Regelung<br />

in die Insolvenzordnung die Bereichsausnahme<br />

für den Flugverkehr im<br />

BetrVG bereits galt. Es war also absehbar,<br />

dass auch tarifvertragliche Regelungen<br />

einen Interessenausgleich vorsehen<br />

könnten, ohne dass die Insolvenzordnung darauf<br />

eingeht. Für einen Vorrang der Insolvenzordnung und<br />

damit eine analoge Anwendung sprechen die vergleichbare<br />

Interessenlage bei Luft- und Bodenpersonal, der<br />

fehlende Grund für eine unterschiedliche Behandlung<br />

sowie die abschließend spezialgesetzliche Regelung in der<br />

Insolvenzordnung. Eine abschließende gerichtliche Entscheidung<br />

hierzu steht jedoch noch aus.<br />

Verwalter wird sich durchsetzen<br />

Im Ergebnis hat das Arbeitsgericht Berlin die Anträge der<br />

Arbeitnehmervertretung nachvollziehbar zurückgewiesen.<br />

Es ist zu erwarten, dass sich auch im weiteren<br />

Insolvenzverfahren der Verwalter durchsetzen<br />

wird und die Arbeitnehmervertretung die Zerschlagung<br />

weder verhindern noch nennenswert verzögern<br />

wird.<br />

p<br />

AUTOR<br />

Alexander von Chrzanowski,<br />

Fachanwalt für Arbeitsrecht und<br />

IT-Recht, Rödl & Partner, Jena,<br />

alexander.chrzanowski@roedl.com<br />

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RECHT & POLITIK AUS DEM GERICHTSSAAL<br />

Der skurrile Fall des Monats<br />

Kein Berufsverbot<br />

für Spanner-Zahnarzt<br />

VON DAVID SCHAHINIAN<br />

Urteil des LSG Thüringen<br />

vom 20. November 2<strong>01</strong>7<br />

(Az.: L 11 KA 807/16)<br />

Vorinstanz: Urteil des SG<br />

Gotha vom 23. März 2<strong>01</strong>6<br />

(Az.: S 7 KA 2580/15)<br />

u Der Fall: Er hat überhaupt nicht gebohrt – sondern<br />

etwas viel Verwerflicheres gemacht. 2<strong>01</strong>2 flog auf, dass<br />

im Umkleideraum der Praxis eines in Thüringen zu- und<br />

niedergelassenen Vertragszahnarztes eine versteckte<br />

Kamera installiert war. Ohne das Wissen der bei ihm<br />

beschäftigten Zahnarzthelferinnen hatte er damit Filmaufnahmen<br />

von ihnen angefertigt. In einschlägigen<br />

Medien brachte ihm das schnell den zweifelhaften<br />

Namen „Geraer Spanner-Zahnarzt“ ein.<br />

Das dortige Amtsgericht verurteilte ihn zu zwei Jahren<br />

und vier Monaten Gefängnis. Nicht nur, dass er in 211<br />

Fällen schuldig gesprochen wurde. Der Richter rügte<br />

den Dentisten auch, dass er „ziemlich skrupellos“ vorgegangen<br />

sei und kein Mitgefühl für<br />

die Opfer gezeigt habe. Auf eine Entschuldigung<br />

warteten die acht betroffenen<br />

Frauen im Prozess vergeblich.<br />

Auf den Datenträgern konnten die<br />

Ermittler knapp 7500 Dateien aus<br />

den heimlichen Aufnahmen finden<br />

oder wiederherstellen. Sie reichten bis ins Jahr 2007<br />

zurück. Die Frauen waren leicht bekleidet oder sogar<br />

nackt zu sehen. Ans Licht kam die Sache durch einen<br />

Zufall: Beim Saubermachen hatten die Zahnarzthelferinnen<br />

einen Schlüssel für ein Zimmer gefunden, zu dem<br />

kein Zutritt gestattet war. Als sie trotzdem hineingingen,<br />

trauten sie ihren Augen kaum: Vor ihnen stand eine<br />

„hochtechnisierte Überwachungsanlage“, berichtete<br />

der MDR. Das war Hausfriedensbruch, argumentierte<br />

die Verteidigung des Zahnarztes, und verlangte, dass die<br />

Videos nicht vor Gericht verwertet werden dürfen –<br />

jedoch ohne Erfolg.<br />

Die Haft musste der Arzt jedoch nicht antreten. Er ging<br />

in Berufung und leistete Geldzahlungen an die Betroffenen,<br />

die ihre Strafanzeigen daraufhin zurücknahmen.<br />

Dem Landgericht Gera blieb aufgrund der seinerzeit<br />

noch geltenden, mittlerweile geänderten Rechtslage<br />

nichts anderes übrig, als das Verfahren mit Beschluss<br />

vom 2. Mai 2<strong>01</strong>4 einzustellen. Mehrere Arbeitsgerichtsverfahren<br />

waren nach Zahlung eines Schmerzensgeldes<br />

einvernehmlich beendet worden.<br />

Weiterhin stand aber die berufliche Zukunft des Arztes<br />

auf dem Spiel. Auf Antrag der kassenzahnärztlichen<br />

Vereinigung wurde ein Verfahren eingeleitet, um<br />

ihm die Zulassung zu entziehen: Er sei für die ver-<br />

Auf eine Entschuldigung<br />

warteten die acht<br />

betroffenen Frauen im<br />

Prozess vergeblich.<br />

tragszahnärztliche Tätigkeit ungeeignet. Ein entsprechender<br />

Beschluss folgte am 28. Januar 2<strong>01</strong>5.<br />

Kampf um die Zulassung<br />

Dagegen klagte er. Der Umstand, dass sich das ihm<br />

vorgeworfene Verhalten in den Personalräumen seiner<br />

Praxis abgespielt habe, reiche seiner Meinung<br />

nach für eine drohende Gefährdung der Patienten<br />

nicht aus. Der Fall landete am 23. März 2<strong>01</strong>6 vor dem<br />

Sozialgericht Gotha – und im Zahnärzteblatt Sachsen.<br />

Das Gericht „entschied, dass das Verhalten, welches<br />

die grobe Pflichtverletzung begründet, nicht<br />

unmittelbar mit der vertragszahnärztlichen<br />

Tätigkeit in Zusammenhang<br />

stehen muss“, heißt es darin.<br />

Die Richter folgten damit der Rechtsprechung<br />

des Bundessozialgerichts<br />

(BSG). Indem er die Angestellten<br />

jahrelang „in ihrer Intimsphäre<br />

visuell ausspionierte“, habe er den höchstpersönlichen<br />

und gesetzlich geschützten Lebensbereich dieser<br />

Frauen verletzt, schreibt das Fachorgan weiter.<br />

Das jüngste, aber wohl nicht letzte Kapitel der nunmehr<br />

fünf Jahre andauernden Rechtsstreitigkeiten<br />

wurde am 20. November 2<strong>01</strong>7 geschrieben. Das Thüringer<br />

Landessozialgericht wies die Berufung des<br />

Zahnarztes gegen das Gothaer Urteil zurück. Die<br />

Richter teilten die Einschätzung, dass der Kläger aufgrund<br />

einer „gröblichen Verletzung“ seiner Pflichten<br />

ungeeignet für die Tätigkeit als Vertragszahnarzt<br />

sei. Sein Vorgehen sei von der Schwere genauso zu<br />

werten wie eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz.<br />

Die Revision zum BSG aber wurde zugelassen, da<br />

bislang keine Rechtsprechung zu der Frage existiere,<br />

unter welchen Voraussetzungen die Verletzung<br />

des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung<br />

als gröbliche Pflichtverletzung anzusehen ist.<br />

Die Klage des Arztes hat bis zu einer Entscheidung<br />

in letzter Instanz aufschiebende Wirkung, schreibt die<br />

Ostthüringer Zeitung. Das heißt, der Entzug der Kassenzulassung<br />

werde nicht sofort vollzogen: „Der<br />

Mediziner kann also weiterhin als Zahnarzt tätig sein<br />

und Kassenpatienten behandeln.“<br />

p<br />

56<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Europäischer Gerichtshof<br />

Urlaubsanspruch<br />

für Selbstständige<br />

VON SVEN FROST<br />

u Der Fall: Selbstständige, die im Nachhinein von den<br />

Gerichten als Arbeitnehmer eingestuft werden, haben<br />

grundsätzlich einen Bezahlungsanspruch für nicht<br />

genommenen Urlaub. Dies hat der<br />

Europäische Gerichtshof (EuGH)<br />

in einem Verfahren aus Großbritannien<br />

entschieden. Im vorliegenden<br />

Fall arbeitete Conley King von<br />

1999 bis zu seinem Eintritt in den<br />

Ruhestand im Jahr 2<strong>01</strong>2 für The<br />

Sash Window Workshop (SWWL)<br />

auf der Basis eines „Selbstständigen-Vertrags<br />

ausschließlich gegen<br />

Provision“. Gemäß diesem Vertrag erhielt King ausschließlich<br />

Provisionen. Wenn er Jahresurlaub nahm,<br />

wurde dieser nicht bezahlt.<br />

Bei Beendigung seines Arbeitsverhältnisses verlangte<br />

King von seinem Arbeitgeber die Zahlung einer Vergütung<br />

sowohl für genommenen, aber nicht bezahlten,<br />

als auch für nicht genommenen Jahresurlaub für<br />

den gesamten Zeitraum seiner Beschäftigung. SWWL<br />

wies die Forderung zurück. Conley King erhob daraufhin<br />

Klage. Am Ende dieses Verfahrens stellte das sogenannte<br />

Employment Tribunal fest, dass King „Arbeitnehmer“<br />

im Sinne der britischen Rechtsvorschriften<br />

sei, mit denen die Arbeitszeitrichtlinie1 umgesetzt wurde,<br />

und einen Anspruch auf Vergütung für bezahlten<br />

Jahresurlaub habe.<br />

Mit dem Unionsrecht vereinbar?<br />

Der in der Rechtsmittelinstanz mit der Sache befasste<br />

Court of Appeal (Berufungsgericht von England und<br />

Wales, Vereinigtes Königreich) hat dem Gerichtshof<br />

mehrere Fragen zur Auslegung dieser Richtlinie vorgelegt.<br />

Insbesondere möchte er wissen, ob es im Fall einer<br />

Streitigkeit zwischen einem Arbeitnehmer und seinem<br />

Arbeitgeber über die Frage, ob der Arbeitnehmer<br />

Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub hat, mit dem Unionsrecht<br />

vereinbar ist, wenn der Arbeitnehmer zunächst<br />

Urlaub nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er<br />

Anspruch auf Bezahlung für diesen Urlaub hat.<br />

In seinem jetzigen Urteil weist der Gerichtshof darauf<br />

hin, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als<br />

ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts<br />

In seinem Urteil weist der<br />

Gerichtshof darauf hin, dass<br />

der Anspruch auf bezahlten<br />

Jahresurlaub ausdrücklich in<br />

der Charta der Grundrechte<br />

der Europäischen Union<br />

verankert ist.<br />

der Union anzusehen und ausdrücklich in der Charta<br />

der Grundrechte der Europäischen Union verankert<br />

ist. Ein Arbeitnehmer, der mit „Umständen konfrontiert<br />

ist, die geeignet sind, während<br />

seines Jahresurlaubs Unsicherheit in<br />

Bezug auf das ihm geschuldete Entgelt<br />

auszulösen, ist jedoch nicht in<br />

der Lage, diesen Urlaub voll und<br />

ganz zu genießen“, heißt es in der<br />

Urteilsbegründung. Insoweit stellt<br />

der Gerichtshof fest, dass jede Praxis<br />

oder Unterlassung eines Arbeitgebers,<br />

die eine derartige abschreckende<br />

Wirkung haben kann, gegen das mit dem Recht<br />

auf Jahresurlaub verfolgte Ziel verstößt.<br />

Anspruch auf finanzielle Vergütung<br />

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass das Unionsrecht<br />

einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten<br />

entgegensteht, nach denen es einem Arbeitnehmer<br />

verwehrt ist, Ansprüche auf bezahlten<br />

Jahresurlaub, die in mehreren aufeinanderfolgenden<br />

Bezugszeiträumen wegen der Weigerung des Arbeitgebers,<br />

diese Urlaubszeiten zu vergüten, nicht ausgeübt<br />

worden sind, bis zum Zeitpunkt der Beendigung seines<br />

Arbeitsverhältnisses zu übertragen und gegebenenfalls<br />

anzusammeln. Der Gerichtshof weist insoweit<br />

auf seine Rechtsprechung hin, wonach ein Arbeitnehmer,<br />

der aus von seinem Willen unabhängigen Gründen<br />

nicht in der Lage war, seinen Anspruch auf bezahlten<br />

Jahresurlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses<br />

auszuüben, Anspruch auf eine finanzielle Vergütung<br />

hat. In den dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden<br />

Rechtssachen waren die betreffenden Arbeitnehmer<br />

wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten an der Ausübung<br />

dieses Anspruchs gehindert.<br />

Was bedeutet das für Personaler: Für Deutschland fallen<br />

Scheinselbstständige unter das Bundesurlaubsgesetz,<br />

insofern ist die Entscheidung hier allerdings nur für<br />

Ausnahmefälle relevant. In Großbritannien agierende<br />

Unternehmen sind hiervon natürlich unmittelbar betroffen<br />

und müssen die Entscheidung entsprechend berücksichtigen.<br />

p<br />

Europäischer Gerichtshof,<br />

Urteil in der<br />

Rechtssache C-214/16<br />

Conley King / The Sash Window<br />

Workshop Ltd und Richard Dollar<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 57


TECHNIK & TOOLS INTERVIEW<br />

„Der Mensch muss<br />

sich weiterentwickeln“<br />

Die Digitalisierung macht vielen Mitarbeitern Sorgen: Was passiert mit mir und meinem<br />

Arbeitsplatz? Professor Dietmar Kilian sieht den Menschen jedoch auch zukünftig als Dreh- und<br />

Angelpunkt der Arbeitswelt. Gleichzeitig ergeben sich neue Aufgaben für HR.<br />

INTERVIEW: CHRISTOPH BERTRAM<br />

u <strong>Personalwirtschaft</strong>: Herr Kilian, Sie sprechen oft von<br />

einer humanzentrierten Arbeitswelt 4.0. Aber gehört<br />

die Zukunft nicht eher den Robotern und Algorithmen?<br />

Dietmar Kilian: Es ist ein Irrglaube, dass der Mensch<br />

durch die Maschinen, künstliche Intelligenz oder die<br />

Digitalisierung weniger wichtig wird. Sicherlich werden<br />

Routinetätigkeiten, die früher Menschen erledigt<br />

haben, künftig noch stärker automatisiert und mittlerweile<br />

eigenständig von technischen Systemen übernommen.<br />

Im Gegenzug benötigen wir aber dringend<br />

Menschen, die diese Systeme bedienen, programmieren,<br />

vernetzen und kontextbedingt anwenden können.<br />

Die Verbindung, Vernetzung, Zusammenarbeit und<br />

der Austausch zwischen Maschine und Mensch sind einfach<br />

unabdingbar. Aber Fragen zur Ethik, etwa bei der<br />

Nutzung von Daten, müssen vom Menschen klar definiert<br />

werden.<br />

An welcher Stelle im Gefüge aus vernetzten Dingen,<br />

Softwaretools und Robotern als Kollegen oder gar<br />

Chefs findet der Mensch künftig seinen Platz?<br />

Der Mensch muss sich weiterentwickeln. Mit den richtigen<br />

Fähigkeiten sitzt er im Zentrum des beschriebenen<br />

Gefüges. Er plant, setzt um, managt und kontrolliert.<br />

Vor allem sind es Menschen, die auch in Zukunft<br />

die Gesamtkonzepte erstellen und Innovationen vorantreiben.<br />

Wie verändern sich die Anforderungen an die Mitarbeiter,<br />

insbesondere was die Soft Skills angeht?<br />

Neben technischen Kompetenzen, etwa im Bereich Cloud,<br />

Datensicherheit, Programmierung, Big Data et cetera, sind<br />

es eben die Soft Skills, die sich ändern. Dazu zählt zunächst<br />

die Fähigkeit zu Kollaboration und Kommunikation.<br />

Mitarbeiter müssen mehr denn je mit den unterschiedlichsten<br />

Zielgruppen kooperieren, und das unternehmens-<br />

und länderübergreifend. Und sie müssen fähig sein,<br />

Foto: PDA Group<br />

Zur Person:<br />

Dietmar Kilian ist Professor und Fachbereichsleiter „Geschäftsprozess und Unternehmensnetzwerk“<br />

am Management Center Innsbruck (MCI). Über 20 Jahre war er bei Unternehmen<br />

wie Nixdorf, Digital Equipment und SAP in Management- und Führungspositionen tätig,<br />

bevor er 2002 als Experte für Prozess-, Projekt- und Informationsmanagement ans Management<br />

Center Innsbruck wechselte. Kilian ist Managing Partner der PDA Group GmbH, Vorsitzender<br />

des Aufsichtsrats der Academy Cube gGmbH sowie als Beirat und Advisor bei IT-Unternehmen<br />

und als Vorstand der Projekt Management Austria (PMA) aktiv.<br />

58<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


in Netzwerken zu denken. Sicherlich werden auch kritisches<br />

Denken, Kreativität und die Eigenschaft, flexibel<br />

auf sich schnell ändernde Herausforderungen und Dynamiken<br />

reagieren zu können, immer wichtiger. Das macht<br />

vielen Menschen Angst.<br />

Und wie sehen die Anforderungen an das Personalmanagement<br />

aus?<br />

Genau hier muss das Personalmanagement ansetzen<br />

und die Mitarbeiter mitnehmen. Der Personalmanager<br />

wird zum Coach, der langfristig strategisch planen<br />

muss, um die Zukunft des Unternehmens zu sichern.<br />

Die digitale Personalakte etwa, die leider in vielen Unternehmen<br />

noch nicht im Einsatz ist, bietet hier ganz neue<br />

Möglichkeiten. So sieht die HR-Abteilung, welche Qualifikationen<br />

fehlen, und sie kann Mitarbeitern Zugang<br />

zu Trainings geben, die abgestimmt sind auf ihre jeweiligen<br />

Vorkenntnisse. Curricula und Lernrouten, die<br />

von intelligenten Algorithmen erstellt werden, ergänzen<br />

dies und holen die Mitarbeiter da ab, wo sie stehen.<br />

In diesem Umfeld muss das Personalmanagement zum<br />

wirklichen Business Partner werden und somit Fachabteilungen<br />

unterstützen und die Entwicklungs- und<br />

Weiterbildungsplanung in Abstimmung mit der Unternehmensstrategie<br />

realisieren. Damit dies möglich ist,<br />

benötigt ein Unternehmen IT-Tools zur Big-Data-Analyse<br />

der Personalinformationen.<br />

Was kann ich als HR-Manager tun, um mich im Unternehmen<br />

neu zu positionieren?<br />

Die Rolle des HR-Managers muss noch strategischer<br />

werden. Ein paar Unternehmen haben das schon<br />

erkannt, aber noch zu wenige. Routinetätigkeiten und<br />

Personalverwaltung werden stärker automatisiert, damit<br />

sich die HR-Abteilung auf die strategische Weiterentwicklung<br />

der Mitarbeiter und das Recruiting konzentrieren<br />

kann und zum Treiber der digitalen Transformation<br />

wird. Die technischen Möglichkeiten gibt es. Es<br />

gilt, sie auch zu ergreifen. Denn der Begriff des Business<br />

Partners muss mit Leben gefüllt werden und nicht<br />

zur leeren Worthülse verkommen.<br />

Wie gut muss sich ein Personaler mit der Technik auskennen?<br />

Gerade als Führungskraft muss ich die Digitalisierung<br />

der eigenen Abteilung aktiv vorantreiben. Das geht<br />

ohne ein technisches Verständnis nicht. Es wird künftig<br />

in den HR-Abteilungen noch mehr Spezialisten<br />

geben, die einen technischen Hintergrund haben, um<br />

die gestiegenen Anforderungen abzudecken. Dennoch<br />

kann ich als HR-Manager nur die richtigen Rahmenbedingungen<br />

und Strategien aufsetzen, wenn ich weiß,<br />

was bei automatisierten Prozessen im Hintergrund passiert.<br />

Und natürlich kann ich auch nur dann Verantwor-<br />

tung übernehmen, wenn einmal etwas nicht glattläuft.<br />

Das Verstehen von Algorithmen ist Führungsaufgabe,<br />

wie es kürzlich Ursula von der Leyen ausgedrückt hat.<br />

Sind Daten der Schlüssel zum Personalmanagement<br />

der Zukunft?<br />

Ja, aber nicht ausschließlich. People Analytics werden<br />

seit einigen Jahren breit diskutiert und gerade in<br />

den USA gibt es beeindruckende Fallbeispiele. Daten<br />

schaffen Transparenz. HR-Manager werden deshalb<br />

auf einen ethischen Umgang mit Daten setzen und<br />

das gezielt nach innen und außen kommunizieren.<br />

Die Transparenz bringt eine Menge Vorteile, auch<br />

für den Mitarbeiter. So können Führungsfehler oder<br />

unbewusste Diskriminierungen, etwa bei Stellenausschreibungen<br />

oder Gehaltserhöhungen, durch Datenanalysen<br />

aufgedeckt werden. Des Weiteren unterstützen<br />

Informationen zu bestehenden Skills im<br />

Zusammenhang mit den Anforderungen der Zukunft<br />

maßgeblich Entscheidungen zur Weiterbildungsplanung<br />

und Umsetzung.<br />

Sie kennen sowohl die deutsche als auch die österreichische<br />

Perspektive. Sind die Unternehmen beziehungsweise<br />

die HR-Bereiche in beiden Ländern in<br />

Sachen Digitalisierung unterschiedlich unterwegs<br />

oder treibt beide dasselbe um?<br />

Als Nachbarn sind wir uns in vielen Dingen ähnlich. Die<br />

Bildungssysteme unterscheiden sich, doch leider gibt es<br />

sowohl in Deutschland als auch in Österreich noch einen<br />

zu geringen Fokus auf die digitale Bildung, speziell in der<br />

schulischen Bildung. Das merken am deutlichsten die<br />

Personalverantwortlichen – in beiden Ländern.<br />

Die digitale Transformation ist ein Langzeitunterfangen.<br />

Aber wie können konkrete schnelle Erfolge für<br />

HR aussehen?<br />

Ein erster Schritt ist aus meiner Sicht die Digitalisierung<br />

der Personalakten, um Datenanalysen standortübergreifend<br />

durchführen zu können und die Kompetenzen<br />

der eigenen Mitarbeiter zu erkennen. Es<br />

gibt Lösungen, die einen raschen Übertrag ermöglichen,<br />

intuitiv sind und mit denen die neuen Compliance-Anforderungen<br />

erfüllt werden können. So lassen<br />

sich viele Routinetätigkeiten automatisieren,<br />

Weiterbildungsprogramme an die Kenntnisse einzelner<br />

Mitarbeiter anpassen und entsprechend der Unternehmensstrategie<br />

entwickeln. Unterstützende Digitalisierungstrainings<br />

sind dann unternehmensweit<br />

umsetzbar. Zusätzlich ist wichtig, dass die Business<br />

Partner das Unternehmen als Gesamtes in den Innovationsvorhaben<br />

mit Know-how unterstützen. Die<br />

Digitalisierung von HR kann jedes Unternehmen<br />

bewältigen. Es muss nur damit anfangen! p<br />

BÜCHER ZUM THEMA<br />

Kai Anderson, Bettina Volkens:<br />

Digital Human. Der Mensch<br />

im Mittelpunkt der<br />

Digitalisierung, Campus 2<strong>01</strong>7,<br />

248 Seiten, 39,95 Euro<br />

Harald Welzer: Die smarte<br />

Diktatur: Der Angriff<br />

auf unsere Freiheit,<br />

Fischer Taschenbuch 2<strong>01</strong>7,<br />

320 Seiten, 10,99 Euro<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 59


TECHNIK & TOOLS STRATEGISCHE PERSONALPLANUNG<br />

Headcount und Personalkosten<br />

einen Schritt voraus<br />

Kein Plan überlebt langfristig den Kontakt mit der Realität, hat man bei der Deutschen Bank<br />

festgestellt. Dennoch bedarf es unbedingt der exakten Planung von Personalbestand und Personalkosten.<br />

Der Rolling Forecast als Lösungsmöglichkeit.<br />

u Einer der größten Kostenblöcke im Bankenwesen<br />

sind die Personalkosten. Die Planung und anschließende<br />

Kontrolle des zukünftigen Personalbestands und<br />

der damit verbundenen Personalkosten ist daher von<br />

entscheidender Bedeutung. Aufgrund der langen Planungsphase<br />

von bis zu einem halben Jahr sind Annahmen<br />

aber oftmals schon überholt, bevor die Planung<br />

überhaupt fertiggestellt ist. In der Praxis führt dies dazu,<br />

dass bei Veränderungen der Marktsituation oder des<br />

regulatorischen Umfelds verspätet reagiert wird und<br />

es zu signifikanten Abweichungen zwischen der geplanten<br />

und der tatsächlichen Entwicklung des Personalbestands<br />

und der Personalkosten kommen kann.<br />

Die Deutsche Bank hat die wachsende Bedeutung eines<br />

realistischen Ausblicks auf die zukünftige Entwicklung<br />

der Mitarbeiterkapazität sowie der Personalkosten<br />

erkannt und daher in die Entwicklung eines „Forecast-<br />

Modells“ investiert. Dabei greift sie auf die im Vertrieb<br />

bereits nicht mehr wegzudenkende Methodik der rollierenden<br />

Planung zurück und überträgt den Ansatz auf<br />

60<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


den Personalbereich. Die Personalabteilung wird damit<br />

zum innovativen und strategischen Berater für zukunftsgerichtete<br />

Personalentscheidungen.<br />

Der Rolling Forecast der Deutschen Bank ist ein dynamischer<br />

Prognoseprozess. Ziel dabei ist es, die Entwicklung<br />

des Personalbestands und der Personalkosten<br />

auf Konzern- und Bereichsebene mit dem<br />

Prognoseziel einer Abweichung zwischen Ist und Forecast<br />

von maximal einem Prozent zu berechnen. Der<br />

Begriff „Rolling“ drückt dabei aus, dass der Forecast<br />

monatlich mit den neuesten Daten aktualisiert wird, um<br />

eine aktuelle Prognose für die nächsten vier Quartale<br />

zu erstellen. Durch einen quartalsweisen Abgleich der<br />

geplanten und prognostizierten Entwicklung gelingt es<br />

der Deutschen Bank, etwaige Abweichungen in den<br />

größten 25 Divisionen und fünf Regionen frühzeitig zu<br />

erkennen sowie Transparenz bezüglich Veränderungen<br />

im Personalbestand und resultierende Kosteneffekte<br />

zu schaffen. Auf diese Weise können Maßnahmen<br />

frühzeitig initiiert werden, sodass unerwünschte<br />

Abweichungen in den Mitarbeiterkapazitäten abgeschwächt<br />

werden können.<br />

Rolling Forecast – der Blick in die Zukunft<br />

Der Rolling Forecast soll den jährlichen Planungsvorgang<br />

nicht ersetzen, sondern ihn um eine Dimension<br />

erweitern. Die jährliche Planung stellt verbindliche<br />

Vorgaben beziehungsweise einen von der Deutschen<br />

Bank gewünschten Zielzustand; der Rolling Forecast<br />

prognostiziert, mit welchen Werten aufgrund der aktuellen<br />

Situation in der Zukunft gerechnet werden sollte.<br />

Um das realitätsnah zu erreichen, wird jeden Monat<br />

ein neues Update des Rolling Forecasts erstellt. Damit<br />

werden die aktuellen Geschehnisse des vergangenen<br />

Monats in den Berechnungen berücksichtigt. Der kürzere<br />

Betrachtungszeitraum sowie die häufigere Durchführung<br />

im Vergleich zur jährlichen Planung führen zu<br />

einer deutlich erhöhten Prognosequalität der Mitarbeiterkapazitäten<br />

und -kosten. Das erleichtert die Steuerung<br />

der Zielerreichung maßgeblich.<br />

Die Methodik für die Erstellung des Rolling Forecasts<br />

ist dabei für den gesamten Konzern vereinheitlicht und<br />

standardisiert worden. Dies ermöglicht einen zentralen,<br />

aggregierten Blick auf Kostentreiber und schafft<br />

die Voraussetzung für ein zentrales Reporting und weitreichende<br />

Szenario-Analysen.<br />

Die Einführung des Rolling Forecasts macht den Einfluss<br />

von Kapazitätsschwankungen und Strukturveränderungen<br />

auf die dazugehörigen Personalkosten für<br />

Deutsche Bank<br />

Die Deutsche Bank bietet Finanzdienstleistungen an, vom<br />

Zahlungsverkehr und dem Kreditgeschäft über die Vermögensverwaltung<br />

bis hin zum Kapitalmarktgeschäft und dem Beratungsund<br />

Finanzierungsgeschäft für Unternehmen. Ihre Kunden sind<br />

Privatkunden, mittelständische Unternehmen, Konzerne, die<br />

öffentliche Hand und institutionelle Anleger. Die Universalbank<br />

ist das nach Bilanzsumme und Mitarbeiterzahl größte deutsche<br />

Kreditinstitut. Sie hat in Europa eine starke Marktposition und ist<br />

in Amerika und der Region Asien-Pazifik maßgeblich vertreten.<br />

2<strong>01</strong>7 beschäftigt die Bank rund 97 000 Mitarbeiter weiltweit.<br />

Wo hat es im Projektverlauf gehakt, was hätte besser laufen können?<br />

Bereichsverantwortliche transparenter. Abteilungsverantwortliche<br />

können so beispielsweise die Auswirkungen<br />

einer erhöhten Abwanderungsquote in ihrem<br />

Bereich quantifizieren und in der Folge datengestützte<br />

Entscheidungen treffen. Die Personalabteilung sorgt<br />

mithilfe des Rolling Forecasts für ein erhöhtes Bewusstsein<br />

über den Einfluss von Personalentscheidungen auf<br />

die Finanz- und Kostenplanungen in anderen Abteilungen.<br />

Dies intensiviert die Zusammenarbeit von Personalbereich<br />

und den Geschäftsbereichen und unterstützt<br />

eine klare Festlegung von Verantwortung und Zuständigkeiten.<br />

90 Prozent Statistik, zehn Prozent Intuition<br />

Um die zu erwartenden Mitarbeiterkapazitäten für die<br />

nächsten vier Quartale zu berechnen, bezieht der Rolling<br />

Forecast Daten von Mitarbeiteraufbau und -abgängen<br />

der vergangenen drei Jahre mit ein.<br />

CASE STUDY<br />

SACKGASSEN<br />

• Komplexität durch Divisionsstruktur und Detaillierungsgrad: Divisionsstruktur und<br />

Detaillierungsgrad sollten gut durchdacht, vorher bekannt und nicht zu komplex gewählt sein,<br />

um das Modell für die Anwender beherrschbar zu lassen.<br />

• Unvorhersehbar hohe IT-Kosten: Es ist entscheidend, sich frühzeitig für ein adäquates IT-Tool zu<br />

entscheiden, um die Implementierung möglichst kostengünstig durchzuführen und IT-Budgets<br />

einzuhalten.<br />

• Hoher Aufwand und damit verbundene Personalkosten: Die Planung und Implementierung<br />

eines solchen Projekts bringt hohe Anforderungen an die Projektsteuerung mit sich. Unbedingt<br />

erforderlich ist daher ein strukturiertes und zielgerichtetes Vorgehen, um den Aufwand für die<br />

Projektmitarbeiter möglichst gering zu halten.<br />

• Kulturwandel erforderlich: Innovationen wie die Einführung eines Rolling Forecasts im<br />

Personalbereich erfordern ein Umdenken und die Bereitschaft zur Veränderung. Die erhöhte<br />

Transparenz muss gewollt und akzeptiert werden.<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 61


TECHNIK & TOOLS STRATEGISCHE PERSONALPLANUNG<br />

UNTERM STRICH<br />

Welche Ergebnisse hat das Projekt gebracht?<br />

• Einführung eines global konsistenten Modells zur Prognose des Personalbestands und der<br />

Personalkosten<br />

• Datengestützte Entscheidungen zur Optimierung des Personalbestands<br />

• Identifikation von Kostentreibern im Rahmen des Workforce Managements<br />

• Aktive Einbindung der Geschäfts- und Infrastrukturbereiche in die Gestaltung des<br />

Prognoseprozesses mit klarer Verantwortungsregelung<br />

zwischen dem jeweiligen Geschäftsbereich, dem Personalbereich<br />

sowie der Finanzabteilung erörtert, sodass<br />

über mögliche Gegenmaßnahmen diskutiert und entschieden<br />

werden kann. Später werden die Werte des<br />

Forecasts mit der tatsächlich eingetroffenen Mitarbeiterentwicklung<br />

sowie den tatsächlich eingetroffenen<br />

Personalkosten verglichen, um gegebenenfalls<br />

Anpassungen in der Prognosemethodik vorzunehmen.<br />

Im Verlauf dieses kontinuierlichen Lernprozesses<br />

wurde die Prognosequalität des Trend Forecasts von<br />

anfänglich drei Prozent auf unter ein Prozent Abweichung<br />

auf Gruppenebene verbessert.<br />

AUTOREN<br />

Rainer Braun, Head of Workforce<br />

Planning, Deutsche Bank,<br />

Frankfurt, rainer.braun@db.com<br />

Christian Baier, Partner, 4C GROUP<br />

AG, Düsseldorf,<br />

christian.baier@4cgroup.com<br />

Im ersten Schritt der Erstellung des Rolling Forecasts<br />

werden die aktuellen Beschäftigungszahlen aus dem<br />

Personalsystem der Deutschen Bank in das Excel-Tool<br />

importiert. Einige weitere für die Berechnung des<br />

Forecasts wichtige Daten müssen zuvor einmal jährlich<br />

berechnet werden, wie beispielsweise das durchschnittliche<br />

Fixgehalt pro Corporate Title, in den<br />

Regionen und in den Divisionen.<br />

Je nach aktueller Marksituation<br />

werden die einzelnen Jahre dabei<br />

anhand von unterschiedlichen<br />

Trends gewichtet. Auf Grundlage<br />

dieser Daten berechnet das System<br />

pro Quartal einen Trend Forecast,<br />

der die prognostizierten Beschäftigungszahlen<br />

sowie die damit verbundenen Personalkosten widerspiegelt.<br />

Durch die Berücksichtigung der durchschnittlichen<br />

Personalbewegung derselben Monate in den<br />

Vorjahren wird der Einfluss saisonaler Schwankungen<br />

transparent, zum Beispiel Einstellungstermine von<br />

Hochschulabsolventen. Für die Prognose der Personalkosten<br />

werden fixe Gehaltsbestandteile und Sozialleistungen<br />

pro Division, Region und Corporate<br />

Title verwendet.<br />

Ein wichtiger Aspekt bei der Erstellung des Trend<br />

Forecasts ist – neben der Nutzung von statistischen<br />

Instrumenten – die Berücksichtigung der Strategie<br />

und Marktsituation einer Division. Auf diese Weise<br />

werden auch zukünftige Trendänderungen entsprechend<br />

berücksichtigt, zum Beispiel Wachstums- oder<br />

Konsolidierungsphasen.<br />

Um weitere strategische Aspekte und Informationen<br />

mit einfließen zu lassen, kann der Trend Forecast von<br />

den Verantwortlichen der jeweiligen Geschäftsbereiche<br />

ergänzt werden. Anschließend wird der Forecast<br />

dann den Verantwortlichen der Divisionen sowie Personal-<br />

und Finanzabteilung zur Verfügung gestellt.<br />

Über ein Informationsmodul können die prognostizierten<br />

Werte aus dem Forecast mit den Planzahlen verglichen<br />

werden. Kommt es zu signifikanten Abweichungen,<br />

werden die Gründe für die Abweichung<br />

Prognose und tatsächlich<br />

eingetretene Werte<br />

weichen nur geringfügig<br />

voneinander ab.<br />

Von der Umsetzung zur Planung und<br />

zurück<br />

Das Projekt startete mit dem Entwurf eines Prototyps<br />

in Excel, welcher über die Zeit bis zur Fertigstellung<br />

kontinuierlich weiterentwickelt wurde. Im Laufe des<br />

Projekts gab es auch Überlegungen, das Excel-Tool<br />

durch eine andere Software abzulösen.<br />

Dafür wurden der Prozess<br />

sowie die fachlichen und systemseitigen<br />

Anforderungen in einem<br />

sogenannten Business Requirement<br />

Document definiert. Die<br />

bei der Dokumentation gewonnenen<br />

Erkenntnisse konnten genutzt werden, um eine<br />

verbesserte Version des Rolling Forecasts in Excel zu<br />

entwickeln. Die durchgeführten Anpassungen ermöglichen<br />

es jetzt, unterschiedliche Trends in der Prognose<br />

zu berücksichtigen. Von der ersten Idee bis zur<br />

finalen Umsetzung und Implementierung des Rolling<br />

Forecasts vergingen knapp zwei Jahre.<br />

Der Personalbereich als Business Partner<br />

für Headcount- und Kostenplanung<br />

Der Rolling Forecast der Deutschen Bank hat sich<br />

bereits in seiner Pilotphase als großer Mehrwert für<br />

die Bank erwiesen. Eingebettet in eine einfach zu nutzende<br />

Plattform, die allen Stakeholdern zugänglich ist,<br />

ermöglicht er, zukünftige Über- oder Unterdeckungen<br />

des Personalbestands frühzeitig zu erkennen. Ein<br />

Vergleich der Prognose mit den tatsächlich eingetretenen<br />

Werten zeigt, dass diese nur geringfügig voneinander<br />

abweichen. Den gestiegenen Anforderungen<br />

an Prognose und Planung des Umfangs der Mitarbeiterschaft<br />

wird die Deutsche Bank damit gerecht und<br />

schafft eine sehr hohe Transparenz. Maßgeblich für<br />

den Erfolg des Rolling Forecasts war dabei die enge<br />

Kooperation der Personal- mit der Finanzabteilung<br />

sowie mit den jeweiligen Geschäfts-und Infrastrukturbereichen.<br />

p<br />

62<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


TECHNIK & TOOLS UPDATE<br />

Software und Dienstleister für den Job HR<br />

Der Marktplatz für Technik, Tools und Arbeitshilfen.<br />

Hier stellen wir neue Softwarelösungen, Anbieter und Dienstleister für HR vor.<br />

Performance Monitoring<br />

Speziell für KMU entwickelt<br />

Personalentwicklung<br />

Digitale Assistenten für Führung<br />

und Entwicklung<br />

Die LS-S Leadership Support GmbH digitalisiert<br />

Workflows für Führung, Personal- und Organisationsentwicklung.<br />

Die Apps und webbasierten Lösungen<br />

unterstützen Personalentwickler, Trainer und<br />

Führungskräfte. Dazu gehören digitalisierte Micro-,<br />

360-Grad- und Mitarbeiterfeedback-Umfragen.<br />

Indicator-Apps wiederum dienen der KPI-Messung<br />

für HR und Change Management und der gleichzeitigen<br />

Umsetzung. Action-Extracts-Apps stellen digitale<br />

Handouts für Seminare zur Verfügung, die im Anschluss<br />

in der täglichen Arbeit weitergenutzt werden können.<br />

www.ls-s.com<br />

Kleine und mittelständische Unternehmen haben spezielle IT-Bedarfe,<br />

auch beim Performance Monitoring. Dem kommt die Coffeecup GmbH<br />

nun mit einer Business-Intelligence-Software nach, die sich besonders<br />

für Unternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern eignet, die projektbasiert<br />

arbeiten. Die Software entwickelt aus Arbeitszeiten, Personal- und Projektdaten<br />

Analysen und individualisierte Reports. Zentrale Funktionen:<br />

Monitoring, Reporting inklusive digitaler Personalakte, Zeiterfassung<br />

und Abwesenheitsverwaltung. Die Betaversion kann bereits kostenlos<br />

getestet werden, die Vollversion wird im Januar 2<strong>01</strong>8 erhältlich sein.<br />

https://coffeecupapp.com/kostenlos-testen/<br />

Barrierefreiheit<br />

E-Learning für alle<br />

Im öffentlichen Dienst ist die Gewährleistung von Chancengleichheit bei<br />

der Nutzung von IT-basierten Informationsangeboten für Menschen mit<br />

Behinderung per Gesetz verpflichtend. Der Corporate-Learning-Anbieter<br />

Skillsoft will nun in Kooperation mit The Paciello Group (TPG), einem<br />

Beratungsunternehmen für Barrierefreiheit, allen Mitarbeitern von Unternehmen<br />

barrierefreien Zugang zu E-Lernmaterialien ermöglichen. Im<br />

„Access for All“-Programm wird Skillsoft mehr als 500 000 E-Books,<br />

Videos und Micro-Learning-Inhalte und Technologien barrierefrei umrüsten.<br />

Dabei sollen die aktuellen globalen Standards für Barrierefreiheit,<br />

wie die Web Content Accessibility Guidelines 2.0 (WCAG) und die Sektion<br />

508 des US Rehabilitation Acts, eingehalten und übertroffen werden.<br />

www.skillsoft.de<br />

Managementtools<br />

Lotse durch Projektgewässer<br />

Aus der Kooperation des Neuronprocessing Instituts und<br />

der Nudge GmbH ist ein erstes digitales Managementtool<br />

hervorgegangen. Outpace soll Führungskräfte<br />

sowie Projekt- und Teamleiter darin unterstützen, die<br />

Erfahrungen und das Wissen der Teammitglieder in<br />

die Planung mit einzubeziehen. Das Tool analysiert<br />

die aktuelle Situation und führt das Team durch alle<br />

Projektphasen. Es erkennt und analysiert Konflikte und<br />

kritische Erfolgsfaktoren. Darüber hinaus unterstützt<br />

Outpace die Personalentwicklung.<br />

https://outpace.nudge.media/<br />

Internationale Personalprozesse<br />

Cherwell HR Case Management in neuer Version<br />

Die Software HR Case Management 2.0 von Cherwell dient der Automatisierung<br />

länderübergreifender HR-Prozesse. Darüber hinaus soll die<br />

Beschleunigung von Standardaufgaben HR entlasten, etwa durch die<br />

Abwicklung von gängigen Fragen im Selfservice-Portal. Die neue<br />

Version ist komplett in die Cherwell-Service-Management-Plattform<br />

integrierbar und bietet neue Funktionen, darunter: länderbasierte<br />

Kategorisierung und Verwaltung von HR-Fällen, standortspezifische<br />

Optionen und Informationen für HR-Mitarbeiter sowie die automatische<br />

Bereitstellung von Daten und Formularen in einer der unterstützten<br />

Sprachen – abhängig von Standort und Profil des Nutzers.<br />

https://www.cherwell.com/products/enterprise-service-management/hr-case-management<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 63


FORSCHUNG & LEHRE STUDIE<br />

Führungsqualität mit nur einer Frage messen<br />

Stampfen Sie Ihre aufwendigen Umfragen ein: Ab jetzt brauchen Sie nur noch eine Frage,<br />

um die Qualität von Führung zu messen! Klingt nach einer Marketingphrase? Ist es auch.<br />

Aber eine mit Hand und Fuß.<br />

Mehr zum Thema Net Promoter<br />

Score: Frederick Reichheld:<br />

The one number you need to<br />

grow, in: Harvard Business<br />

Review, 81(12), 2003, S. 46-55<br />

u Seit vielen Jahren steht ein Thema immer wieder auf der<br />

Liste der dringlichsten Probleme von Personalabteilungen:<br />

Führungsqualität. In nahezu jeder Umfrage unter Angestellten<br />

wird die Führungsleistung durch den direkten Vorgesetzten<br />

wie auch die Leitungsebene als solche nachdrücklich<br />

beanstandet. Nicht selten taucht dieser Aspekt noch vor<br />

der Zufriedenheit mit der Vergütung auf.<br />

Viele Organisationen haben sich deshalb in den vergangenen<br />

Jahren professionalisiert. Die Messung von Führungsleistung<br />

ist – ab einer gewissen Unternehmensgröße –<br />

inzwischen fast zur Regel geworden, sei es mittels Feedback<br />

durch Vorgesetzte oder komplexerer Modelle (Beispiel 360-<br />

Grad-Feedback: Hier wird auch das Feedback von Mitarbeitern,<br />

Kollegen, Kunden und anderen Stakeholdern einbezogen).<br />

Gleichzeitig stellen viele Akteure fest, dass solche Systeme<br />

nicht leicht aufzusetzen sind: Datensammlung, -aufbereitung<br />

und -interpretation binden erhebliche finanzielle und<br />

personelle Ressourcen, in HR wie auch in den teilnehmenden<br />

Funktionsbereichen. Hinzu kommt der Umstand, dass<br />

es vielen Menschen grundsätzlich nicht geheuer ist, bewertet<br />

zu werden. Kurz: Die zahlreichen Feedbacksysteme<br />

rufen nicht eben Begeisterungsstürme hervor. Also entscheidet<br />

sich das Gros der Unternehmen für seltene Messungen.<br />

Die meisten Unternehmen erfassen die Führungsqualität<br />

offiziell nicht häufiger als einmal pro Jahr – oft ist<br />

der Abstand noch länger.<br />

Dieses Vorgehen birgt allerdings Risiken, denn gute Führung<br />

ist schwierig. Innerhalb eines Jahres kann eine ungeschickt<br />

agierende Führungskraft viel Aufbauarbeit in Recruiting<br />

und Personalentwicklung zunichtemachen, Mitarbeiter<br />

demotivieren und in die Arme des Wettbewerbs treiben.<br />

Wir sollten daher häufiger fragen, welche Aspekte<br />

guter und schlechter Führung wirklich beim Mitarbeiter<br />

ankommen.<br />

Führungsfeedback, schnell und regelmäßig<br />

Wer sich beim Lebenspartner nur einmal im Jahr nach der<br />

Befindlichkeit erkundigt, hat wohl bald keinen mehr. Auch<br />

ihre Kunden befragen Unternehmen in der Regel deutlich<br />

häufiger nach der Zufriedenheit. Wieso wird dem vermeintlich<br />

„wichtigsten Gut des Unternehmens“, dem Mitarbeiter,<br />

so selten Gehör verschafft? Ein Grund ist die bereits<br />

erwähnte Komplexität der Feedbacksysteme. Hierzu möchte<br />

ich einen Vorschlag unterbreiten, der geeignet ist, lange<br />

Fragebogen-Batterien und aufwendige Datensammlungen<br />

zu entschlacken. Er bietet die Chance, deutlich häufiger<br />

entsprechende Rückmeldungen einzuholen.<br />

Tatsächlich handelt es sich um einen Zufallsbefund.<br />

Gemeinsam mit Professor Michael F. Steger von der<br />

Colorado State University habe ich 586 deutsche Arbeitnehmer<br />

online zur Wahrnehmung ihrer direkten Führungskraft<br />

befragt (siehe „Studie kompakt“). Im Rahmen<br />

dieser Studie über Führungsqualität wurde deutlich, dass<br />

eine konkrete Frage zur Führungsqualität die gleiche Aussagekraft<br />

haben kann wie eine deutlich längere multidimensionale<br />

Befragung.<br />

64<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Zum Einsatz kam ein Instrument, welches mittels 24 Fragen<br />

den sogenannten KAARMA-Index der Führungskraft<br />

misst. Das Instrument wurde für die Studie neu entwickelt.<br />

Der von Michael Steger entwickelte KAARMA-Index erhebt<br />

unter anderem, inwieweit die Führungskraft als authentisch<br />

und respektvoll wahrgenommen wird oder ob sie dem Mitarbeiter<br />

genügend Autonomie bei Entscheidungen lässt.<br />

Diese Daten wurden mit verschiedenen Zielvariablen verknüpft<br />

– beispielsweise mit der Jobzufriedenheit, dem Engagement<br />

oder der aktuellen Wechselabsicht. Zusätzlich<br />

stellten wir folgende Frage:<br />

Wie wahrscheinlich ist es, dass Sie Ihre Führungskraft<br />

einem Freund oder Kollegen weiterempfehlen werden?<br />

(Skala: 0–10, wobei 10 für „äußerst wahrscheinlich“ steht)<br />

Diese Frage hat Methode – und sie hat es in sich. Sie zwingt<br />

uns, aus dem Bauch heraus eine gesamthafte Bewertung vorzunehmen.<br />

Der Fokus auf Freunde und Kollegen drängt uns<br />

außerdem in Richtung einer konservativen Entscheidung.<br />

Wer möchte schon Menschen, die man mag, etwas empfehlen,<br />

von dem man selbst nicht zu 100 Prozent überzeugt<br />

ist? Ergo: Wer hier besonders hohe Werte zugesprochen<br />

bekommt, muss einiges richtig gemacht haben, über längere<br />

Zeit.<br />

Die Frage folgt einem Muster, das zur Messung von Kundenzufriedenheit<br />

zu Anfang des Jahrtausends unter dem<br />

Begriff Net Promoter Score (NPS) popularisiert wurde.<br />

Entwickelt wurde die Methode vom ehemaligen Bain-Berater<br />

Frederick Reichheld. Dieser trat mit dem bewusst überspitzten<br />

Appell an, der auch den Vorspann dieses Beitrags<br />

ziert: „Stampft eure aufwendigen Kundenzufriedenheitsbefragungen<br />

ein. Ab jetzt braucht ihr nur noch eine<br />

Frage!“ (siehe „Mehr zum Thema“, Seite 64).<br />

Quintessenz: Reichheld wies nach, dass Unternehmen,<br />

deren Kunden bei der Weiterempfehlungsbereitschaft für<br />

ein Unternehmen besonders häufig den Wert 9 oder 10<br />

vergaben (relativ zu durchschnittlichen und schlechten<br />

Bewertungen), ein starkes Marktwachstum verzeichneten.<br />

Statt vieler kundenbezogener Performance-Indikatoren<br />

nur noch einen einzigen beobachten? Das erschien vielen<br />

Managern hoch attraktiv. Selbstredend wurde das NPS-<br />

System seit seiner Vorstellung eingehend untersucht und<br />

auch heftig kritisiert. Dennoch erfreut es sich nach wie vor<br />

großer Beliebtheit in Marketing- und Vertriebsabteilungen.<br />

Führungsqualität, über kurz oder lang<br />

Studie kompakt<br />

Forschungsfrage: Welche konkreten Verhaltensweisen in der Führung sind geeignet, das<br />

Sinn-Erleben der Mitarbeiter direkt positiv zu beeinflussen?<br />

Forschungsansatz: Der vorliegende Artikel basiert auf einer umfassenden Erhebung zum<br />

KAARMA-Index, die der Autor gemeinsam mit Prof. Dr. Michael F. Steger von der Colorado<br />

State University vorgenommen und in der Zeitschrift „Organisationsentwicklung“ (04/2<strong>01</strong>7)<br />

vorgestellt hat. Der KAARMA-Index soll einen Beitrag zur sinnvollen Messung von Führungsqualität<br />

leisten. Grundlage der Studie ist eine Online-Befragung. Der Fragebogen wurde<br />

unter anderem auf Netzwerken wie Xing und Linkedin gestreut. Insgesamt 586 Menschen<br />

hinterließen verwertbare Antworten. Die meisten Teilnehmer hatten mindestens einen<br />

Bachelorabschluss und sind im Management tätig, etwa 40 Prozent selbst als Führungskraft.<br />

Forschungsergebnisse: Aus Perspektive der Mitarbeiter kann mittels weniger gezielter<br />

Fragen deutlich zwischen schwachen, durchschnittlichen und erstklassigen Führungskräften<br />

unterschieden werden. Diese Unterschiede in der Führungsqualität sorgen dafür, dass einige<br />

Menschen hoch motiviert und sinnerfüllt bei der Sache sind und für andere das Gegenteil<br />

gilt. Zwischen der Bereitschaft zur Weiterempfehlung der Führungskraft an einen Freund<br />

oder Kollegen und der wahrgenommenen Qualität der Führungskraft anhand des 24 Fragen<br />

umfassenden KAARMA-Indexes besteht eine besonders hohe Korrelation.<br />

Der springende Punkt: Wir ermittelten für die Stichprobe<br />

den statistischen Zusammenhang (Korrelationskoeffizient)<br />

zwischen der Bereitschaft zur Weiterempfehlung der Führungskraft<br />

einerseits – und der wahrgenommenen Qualität<br />

der Führungskraft anhand des 24 Fragen umfassenden<br />

KAARMA-Indexes andererseits. Überraschenderweise<br />

beläuft sich dieser auf 0.83. Zur Erläuterung: eine Korrelation<br />

kann Werte zwischen -1.0 und +1.0 annehmen. Werte<br />

nahe -1.0 bezeichnen einen dezidiert negativen Zusammenhang<br />

(je höher ein Wert, desto niedriger der andere);<br />

ein Wert um 0 spricht für einen Nicht-Zusammenhang.<br />

Werte nahe 1.0 bedeuten, dass die Datenreihen unmissverständlich<br />

miteinander verknüpft sind, und zwar in positiver<br />

Richtung: je höher der eine Wert, desto höher auch der<br />

andere.<br />

Das bedeutet im Klartext: Die singulären Antworten auf die<br />

oben beschriebene Frage zur Weiterempfehlung und der<br />

aufwendige 24-teilige Index zeigen ein außerordentlich<br />

hohes Maß an Übereinstimmung. Anders ausgedrückt:<br />

Beide Verfahren erfassen – annähernd – das gleiche Merkmal.<br />

Somit sind sie substituierbar: Man kann die eine oder<br />

die andere Methode nutzen, um ähnlich wertvolle Informationen<br />

zu erhalten. Ergo: Möchten Sie künftig möglichst<br />

ressourcensparend die Führungsqualität messen, so können<br />

Sie auch schlicht auf die Weiterempfehlungsrate zurückgreifen.<br />

Freilich ist die Aussagekraft beider Methoden nicht identisch.<br />

Nur weil man weiß, dass eine Führungskraft (nicht)<br />

weiterempfohlen wird, versteht man nicht im Detail, warum<br />

dies der Fall ist. Für ein nachhaltiges Management der Führungsqualität<br />

ist es demnach opportun, Verfahren zu kombinieren.<br />

Die Weiterempfehlungsrate kann in kurzen Abständen<br />

erhoben werden, um Handlungsbedarfe frühzeitig zu<br />

erkennen – was aufgrund der Schlichtheit problemlos möglich<br />

ist. Die bislang eingesetzten umfangreicheren Methoden<br />

können in größeren Abständen ergänzend genutzt<br />

werden, um ein tiefenscharfes Bild zu erhalten.<br />

In Summe kann diese Methodenkombination dabei helfen,<br />

einem der dringlichsten Ziele der Personalarbeit Herr zu<br />

werden: unseren Mitarbeitern jene Art von gelungener<br />

Führung angedeihen zu lassen, die sie verdienen. p<br />

AUTOR<br />

Dr. Nico Rose, Forscher und<br />

Berater zu den Themen Positive<br />

Psychologie und Führung,<br />

Hamm/Westfalen,<br />

hello@nicorose.de<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 65


FORSCHUNG & LEHRE INTERNATIONAL<br />

Frauenförderung statt Frauenquote<br />

Die Frauenquote ist ein Flop – sie kaschiert Defizite, ändert aber nichts an den Ursachen. Wie<br />

sehen wirksame Lösungen aus? Managementprofessor Karlheinz Schwuchow präsentiert die Ergebnisse<br />

einer weltweiten Studie und erläutert, was männliche und weibliche Superbosse auszeichnet.<br />

Das Working Paper<br />

„Is Gender Diversity<br />

Profitable? Evidence<br />

from a Global Survey“<br />

wurde vom Peterson Institute<br />

for International Economics<br />

veröffentlicht und steht<br />

auf dessen Website zum<br />

Download bereit:<br />

https://piie.com/publications/working-papers/<br />

gender-diversity-profitableevidence-global-survey<br />

u Von der Politik für Aufsichtsräte in börsennotierten<br />

deutschen Unternehmen bereits verordnet, sorgt die<br />

gesetzliche Frauenquote nicht nur in der Wirtschaft<br />

nach wie vor für kontroverse Diskussionen. Während<br />

Sinn und Nutzen umstritten sind, schafft eine breit<br />

angelegte empirische Erhebung des renommierten amerikanischen<br />

Peterson Institute for International Economics<br />

nun wissenschaftliche Evidenz.<br />

Die Forscher Marcel Noland, Tyler Moran und Barbara<br />

Kotschwar betrachteten insgesamt 21 980 Unternehmen<br />

in 91 Ländern, um herauszufinden, wie sich die<br />

Präsenz von Frauen in Top-Führungspositionen auf<br />

den Unternehmenserfolg auswirkt. 60 Prozent der<br />

erfassten Unternehmen haben keine weiblichen Aufsichtsräte,<br />

54 Prozent keine weiblichen Vorstände und<br />

weniger als fünf Prozent – 945 Unternehmen – eine<br />

weibliche Vorstandsvorsitzende.<br />

Insgesamt liegt die Frauenquote<br />

im Topmanagement bei 14 Prozent,<br />

bei den Aufsichtsräten beträgt<br />

sie elf Prozent. Dabei sind<br />

die Unterschiede bezogen auf Länder<br />

und Branchen in hohem Maße<br />

signifikant. So beträgt der Anteil<br />

weiblicher Top-Führungskräfte in Japan 2,5 Prozent,<br />

während er in Schweden bei 21 Prozent liegt. In Deutschland<br />

sind es 14 Prozent.<br />

Die meisten weiblichen Führungskräfte finden sich mit<br />

Werten zwischen 16 und 18 Prozent im Finanz-, Telekommunikations-<br />

und Gesundheitssektor, während<br />

sich Technologie- und Industrieunternehmen mit zehn<br />

bis zwölf Prozent als wenig frauenfreundlich erweisen.<br />

Allerdings zeigt sich auch, dass zum Beispiel in der<br />

Finanzbranche die Zahlen der männlichen und weiblichen<br />

Berufseinsteiger nahezu gleich sind, sich der<br />

Frauenanteil bis zum Erreichen einer Position im mittleren<br />

Management jedoch halbiert.<br />

Der weibliche Aufstieg beginnt<br />

mit Kita und PISA<br />

Jenseits gesetzlicher Quoten konstatieren die Forscher<br />

einen positiven Zusammenhang zwischen dem Anteil<br />

von Frauen in Führungspositionen<br />

und länderspezifischen<br />

Aspekten, vor allem den PISA-<br />

Ergebnissen von Schülerinnen,<br />

der Möglichkeit der Elternzeit<br />

für Väter, bezahlbaren Kinderbetreuungseinrichtungen<br />

sowie<br />

der gesellschaftlichen Einstellung<br />

gegenüber weiblichen Führungskräften. Dabei<br />

sind die PISA-Ergebnisse – insbesondere die mathematischen<br />

und naturwissenschaftlichen Kompetenzen –<br />

Die Politik ist gefordert,<br />

gesellschaftlich induzierte<br />

Aufstiegsbarrieren für<br />

Frauen zu beseitigen.<br />

66<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


von besonderer Bedeutung, wenn es um den Anteil<br />

von Frauen in Managementpositionen geht.<br />

Während weibliche Aufsichtsräte und Vorstandsvorsitzende<br />

keinen signifikanten Einfluss auf das finanzielle<br />

Ergebnis eines Unternehmens haben, ist der Anteil<br />

der Frauen im Topmanagement<br />

ein nachhaltiger Erfolgsfaktor. Ein<br />

Unternehmen mit 30 Prozent<br />

weiblichen Führungskräften kann<br />

gegenüber einer ansonsten gleichartigen,<br />

aber „frauenlosen“ Firma<br />

eine Gewinnsteigerung um einen Prozentpunkt und<br />

damit eine Verbesserung des Nettoergebnisses um 15<br />

Prozent verbuchen.<br />

Dies unterstreicht die Notwendigkeit einer entsprechenden<br />

Talent-Pipeline. Eine gesetzliche Quote zeigt hier<br />

keine Wirkung. Sie behebt nicht die Ursachen, sondern<br />

verdeckt die Auswirkungen mangelnder Frauenförderung<br />

– beginnend in Schule und Ausbildung – und unzureichender<br />

öffentlicher Rahmenbedingungen im Hinblick<br />

auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie.<br />

Darüber hinaus weisen Noland, Moran und Kotschwar<br />

auf die Tatsache hin, dass es grundsätzlich die Vielfalt<br />

an Fähigkeiten ist, die sich positiv auswirkt – neben<br />

Diversität, auch im Hinblick auf Alter und nationale<br />

Herkunft, spielt der Mix funktionaler Fähigkeiten im<br />

Management ebenso eine Rolle wie die damit verbundenen<br />

gruppendynamischen Prozesse.<br />

Eine Frauenquote für Aufsichtsräte ist, so die Autoren,<br />

nicht nur wirkungslos. Sie kann auch kontraproduktiv<br />

sein. Aufgrund personeller Knappheit besteht – wie am<br />

Beispiel der Quote für weibliche Aufsichtsräte in Norwegen<br />

empirisch belegt ist – die Gefahr negativer Konsequenzen<br />

durch gering qualifizierte Aufsichtsräte oder<br />

wenig engagierte Multi-Aufsichtsräte. Folglich ist die<br />

Politik gefordert, gesellschaftlich induzierte Aufstiegsbarrieren<br />

für Frauen zu beseitigen und diese nicht durch<br />

verpflichtende Quoten zu kaschieren.<br />

Fazit: Ein methodisch anspruchsvolles Working Paper,<br />

das auf breiter Basis vielfältige Impulse vermittelt und<br />

die empirischen Ergebnisse im Kontext einer umfassenden<br />

Literaturanalyse präsentiert.<br />

Die Führungskraft als Talentmagnet<br />

Sydney Finkelstein, Professor an der Tuck School of<br />

Business und Direktor des dortigen Center for Lea -<br />

dership, zählt zu den Thinkers 50, den weltweit führenden<br />

Vordenkern im Management. Nachdem er in seinem<br />

2003 erschienenen Buch „Why Smart Executives<br />

Fail“ in umfassender Weise das Führungsversagen untersucht<br />

hat, betrachtet er nun die andere Seite der Medaille:<br />

„Superbosses“ ist das Ergebnis eines zehnjährigen Forschungsprojektes.<br />

In nahezu jeder Branche<br />

haben viele Superbosse die<br />

gleichen Wurzeln.<br />

Am Anfang stand für Finkelstein die Erkenntnis, dass<br />

in nahezu jeder Branche viele Top-Führungskräfte die<br />

gleichen beruflichen Wurzeln haben. So verließen zwischen<br />

1994 und 2004 neun von elf Topmanagern aus<br />

dem Umfeld des Oracle-Gründers Larry Ellison das<br />

Unternehmen, um eine Vorstandsposition<br />

in einer anderen Firma<br />

zu übernehmen. Auf der Suche<br />

nach den Geheimnissen dieser<br />

menschlichen Inkubatoren führte<br />

Finkelstein 200 Interviews und<br />

identifizierte 18 dieser Superbosse. Dabei erstreckt sich<br />

das Spektrum vom Modeschöpfer Ralph Lauren über<br />

den Star-Wars-Regisseur George Lucas bis zum Intel-<br />

Mitgründer Robert Noyce und zur Kosmetikunternehmerin<br />

Mary Kay Ash.<br />

Finkelstein stellt fest, dass alle Ausgewählten fünf Eigenschaften<br />

gemeinsam haben: starke Zuversicht, Leistungsorientierung,<br />

visionäres Denken, Integrität und Authentizität.<br />

Ähnlichkeiten entdeckte der Tuck-Professor auch<br />

bei den Personalpraktiken, insbesondere bei der Mitarbeiterauswahl<br />

und -entwicklung. Superbosse suchen die<br />

Besten und setzen auf Intelligenz, Kreativität und Flexibilität.<br />

Es geht ihnen nicht um formale Abschlüsse, sie<br />

vertrauen ihrer Intuition – und umgehen dabei regelmäßig<br />

formale Personalprozesse. Ihre Erwartungen an Mitarbeiter<br />

sind hoch, auch sind sie sehr effektiv im Delegieren<br />

und sehen sich als Mitarbeiterentwickler im<br />

klassischen Sinne einer Meister-Auszubildender-Beziehung.<br />

Sie gewähren große Freiräume und fördern gute<br />

Mitarbeiter jenseits klassischer Kompetenzpfade. Gleichzeitig<br />

akzeptieren es Superbosse, wenn talentierte Mitarbeiter<br />

das Unternehmen verlassen, und pflegen dieses<br />

Alumni-Netzwerk.<br />

In seiner weiteren Forschung gelingt es Finkelstein,<br />

drei Cluster zu identifizieren, die jeweils unterschiedliche<br />

Verhaltensweisen und Führungsstile beschreiben.<br />

Da sind die „idealistischen Bilderstürmer“, von ihrer<br />

Vision getriebene kreative Genies, beispielsweise George<br />

Lucas, Ralph Lauren oder Robert Noyce. Daneben gibt<br />

es die „altruistischen Entwickler“, die sich in nahezu<br />

selbstloser Weise als Mentor und Coach sehen und ihre<br />

Mitarbeiter aktiv zu Höchstleistungen führen. Hier ist<br />

zum Beispiel Mary Kay Ash zu nennen. Die letzte Gruppe<br />

bilden die „eigennützigen Egoisten“ wie Larry<br />

Ellison von Oracle. Ihnen geht es um den eigenen Erfolg<br />

und sie wissen, dass sie hierfür die besten Mitarbeiter<br />

benötigen, und fördern diese entsprechend.<br />

Finkelstein vermittelt vielfältige Impulse und konkrete<br />

Handlungshilfen, wie jede Führungskraft ihre Rolle<br />

als Talentmanager neu definieren kann. Trotz seiner<br />

US-amerikanischen Ausrichtung ist das Buch lesenswert<br />

und verbindet solide Forschung mit praktischer<br />

Relevanz.<br />

p<br />

Sydney Finkelstein:<br />

Superbosses – How Exceptional<br />

Leaders Manage the Flow of<br />

Talent, Penguin Random<br />

House 2<strong>01</strong>7, 272 Seiten,<br />

10,49 Euro<br />

Ein Interview des Harvard<br />

Business Review mit Sydney<br />

Finkelstein zum Thema „What it<br />

takes to be a Superboss“ ist unter<br />

https://hbr.org/video/4767335<br />

5160<strong>01</strong>/what-it-takes-to-be-asuperboss<br />

verfügbar. Auf der<br />

Website http://www.superbosses.com<br />

finden sich ergänzende<br />

Materialien zum Buch sowie<br />

zu den Arbeiten von Sydney<br />

Finkelstein.<br />

AUTOR<br />

Prof. Dr. Karlheinz Schwuchow,<br />

CIMS Center for International<br />

Management Studies,<br />

Hochschule Bremen,<br />

karlheinz.schwuchow@<br />

hs-bremen.de<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 67


TREFFPUNKT LEARNTEC 2<strong>01</strong>8<br />

„Man sollte Lernmethoden<br />

kritisch überprüfen“<br />

Unternehmensberater, Philosoph, Skeptiker – Nikil Mukerji zieht so ziemlich alles in Zweifel, was<br />

nicht mit wissenschaftlicher Methodik beweisbar ist. Auf der Learntec 2<strong>01</strong>8 hält er eine Keynote zu<br />

seinen zehn Geboten des gesunden Menschenverstands, die auch als Buch erschienen sind.<br />

INTERVIEW: KIRSTEN SEEGMÜLLER<br />

„Lernen mit gesundem<br />

Menschenverstand“<br />

Public Keynote von<br />

Nikil Mukerji<br />

Donnerstag, 1. Februar 2<strong>01</strong>8<br />

13.15 bis 14.15 Uhr<br />

Learntec, Halle 2<br />

u <strong>Personalwirtschaft</strong>: Herr Mukerji, in Ihrer Keynote<br />

auf der Learntec sprechen Sie von „Lernen mit gesundem<br />

Menschenverstand“. Was verstehen Sie darunter?<br />

Nikil Mukerji: Darunter fällt Verschiedenes. Wer mit gesundem<br />

Menschenverstand lernt, verlässt sich zum Beispiel<br />

nicht auf Mythen, die in Lehrerkreisen und Weiterbildungsorganisationen<br />

populär sind – etwa Edu-Kinestetik/Brain-<br />

Gym oder dass wir nur zehn Prozent unseres Gehirns nutzen.<br />

Vieles davon hat keine wissenschaftliche Grundlage –<br />

ebenso wenig wie die Existenz von Lerntypen.<br />

Sie glauben also nicht, dass Menschen unterschiedlich<br />

lernen?<br />

Doch. Manche lernen schneller, andere langsamer. Und<br />

wer bereits Vorkenntnisse in einem Bereich besitzt,<br />

erwirbt weitere Kenntnisse vermutlich leichter. Die Theorie<br />

der Lerntypen besagt aber, dass manche Menschen<br />

besser lernen, wenn sie hören, sehen, anfassen oder ein<br />

Thema abstrakt und intellektuell angehen. Doch wurde<br />

diese Hypothese jemals wissenschaftlich<br />

überprüft? Ein Forscherteam<br />

um den amerikanischen<br />

Psychologen Harold<br />

Pashler hat herausgefunden,<br />

dass die existierenden Studien<br />

zu Lerntypen praktisch ohne<br />

Aussagekraft sind oder sogar<br />

negative Befunde liefern. Wie man am besten lernt, hängt<br />

nicht vom Lernenden ab, sondern von der Sache. Radfahren<br />

lernt man nicht abstrakt, Mathematik nicht haptisch.<br />

Trotzdem hält sich die Lerntypen-Theorie hartnäckig.<br />

Wie sollte man in Unternehmen unterschiedliche Themen<br />

vermitteln?<br />

„Wissen und Fähigkeiten<br />

sind unterschiedliche<br />

Dinge. Ich kann etwas<br />

wissen, ohne es zu<br />

können – und umgekehrt.“<br />

Ein entscheidender Faktor ist aus meiner Sicht die Motivation.<br />

Man muss verstehen, warum ein Thema wichtig ist.<br />

Dann will man sich damit auch befassen. Denn Menschen<br />

folgen grundsätzlich Anreizen. Allerdings kann das auch<br />

nach hinten losgehen. Bei intrinsisch motivierten Mitarbeitern<br />

können Anreize den Lernerfolg sogar mindern,<br />

denn wenn sie wegfallen, ändert sich das Verhalten in eine<br />

problematische Richtung.<br />

Aber wie mache ich langweilige Pflichtübungen wie etwa<br />

Compliance-Schulungen zu meinem Eigeninteresse?<br />

Diese Schulungen sichern den Arbeitsplatz. Deswegen<br />

haben Mitarbeiter, die in relevanten Bereichen arbeiten,<br />

automatisch ein Eigeninteresse daran. Allerdings sollte man<br />

auch die intrinsische Motivation einbinden. Das tut man<br />

am besten, indem man von vornherein die richtigen Mitarbeiter<br />

auf die richtigen Stellen setzt. Wer sich für seine<br />

berufliche Tätigkeit wirklich interessiert, wird auch unterstützende<br />

Schulungen motivierter angehen.<br />

Wie lernt man auf kluge Weise?<br />

Indem man Methoden verwendet,<br />

die erwiesenermaßen funktionieren,<br />

und keine Zeit mit Dingen verschwendet,<br />

die vermutlich nicht<br />

funktionieren.<br />

Das ist eine Binsenweisheit. Könnten Sie bitte konkreter<br />

werden?<br />

Das dritte Gebot in meinem Buch besagt, dass man von<br />

glaubwürdigen Annahmen ausgehen soll (siehe Kasten,<br />

Seite 70). Wer sich auf die Lerntypen-Theorie stützt, verletzt<br />

dieses Gebot. Entsprechend ist die Annahme, dass<br />

man Lernen optimieren kann, indem man nach Lerntypen<br />

unterscheidet, unglaubwürdig.<br />

68<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Foto: Jan Greune<br />

Zur Person:<br />

Dr. Nikil Mukerji studierte Philosophie sowie Wirtschaftswissenschaften<br />

und promovierte in Philosophie. Er ist Geschäftsführer des<br />

Executive-Studiengangs Philosophie Politik Wirtschaft (PPW) an<br />

der LMU München und als selbstständiger Berater für das Institut<br />

für Argumentation (München) tätig. Er ist außerdem engagiertes<br />

Mitglied der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von<br />

Parawissenschaften e. V.<br />

Apropos „Gebot“. Ist das nicht ziemlich anmaßend?<br />

Hätten nicht auch „Regeln“ gereicht?<br />

Das habe ich bewusst provokant formuliert. Man kann sie<br />

nennen, wie man will – „Regeln“, „Prinzipien“ oder Ähnliches.<br />

In meinen Augen vermittelt jedoch das Wort „Gebot“<br />

den Verbindlichkeitscharakter besser: Jeder vernünftige<br />

Mensch muss sich daran halten. Sie können das selbst nachvollziehen,<br />

indem Sie Ihre eigene Vernunft befragen und<br />

versuchen, eine plausible Alterative zu einem der Gebote<br />

zu finden. Statt dem ersten Gebot könnten Sie sagen: „Denken<br />

Sie chaotisch.“ Statt dem zweiten Gebot: „Überspringen<br />

Sie wichtige Schritte in Ihrem Denken.“ Wenn Sie das<br />

versuchen, werden Sie sehen, dass die zehn Gebote des<br />

gesunden Menschenverstands unkontrovers sind.<br />

Welche „unklugen“ Lernmethoden sind Ihnen schon<br />

begegnet – und warum sind sie unklug?<br />

Problematisch ist es, wenn sich Menschen bereits mit den<br />

eigenen Ansichten verheiratet haben. Das stellen wir in<br />

vielen Bereichen fest, etwa wenn es um Gender-Themen,<br />

Alternativmedizin, Politik oder Ähnliches geht. Sie sind<br />

mit Herzblut bei der Sache und bleiben bei ihrer Überzeugung,<br />

auch wenn man sie auf Fakten hinweist, die sie widerlegen.<br />

Das kann man sogar bei hochgebildeten, intelligenten<br />

Menschen feststellen.<br />

Wo ziehen Sie die Grenzen zwischen Intelligenz, Bildung<br />

und gesundem Menschenverstand?<br />

Man unterscheidet kristalline und fluide Intelligenz.<br />

Letztere besteht beispielsweise in der Fähigkeit, Muster<br />

zu erkennen, räumlich zu denken, Mathematikaufgaben<br />

zu lösen oder Progressionsreihen weiterzuführen.<br />

Intelligenz in diesem Sinne ist quasi die Rechenleistung<br />

des Gehirns. Wer einen hohen IQ hat, lernt<br />

schnell und merkt sich das meiste leichter. Die kristalline<br />

Intelligenz ist das, was nach der Denkleistung übrig bleibt.<br />

Menschen, die viel gelernt und verstanden haben, verfügen<br />

über viel Wissen. Das wird oft mit Bildung gleichgesetzt.<br />

Aber es gibt auch substanziellere Bildungsbegriffe,<br />

die Aspekte wie Persönlichkeit, Charakter und<br />

Urteilskraft einschließen. Ein solches breites Bildungsverständnis<br />

überlappt mit dem, was ich „gesunden Menschenverstand“<br />

nenne.<br />

Lernen wird oft als Aneignung von Wissen und Können<br />

definiert. Wie lautet Ihre Definition?<br />

Im Duden gibt es verschiedene Definitionen, beispielsweise<br />

die Aneignung von Wissen – wobei „Wissen“ ein technischer<br />

Ausdruck ist. Wer Wissen in diesem Sinne erwer-<br />

Fast Facts zur Kongressmesse Learntec 2<strong>01</strong>8<br />

Termin: 30. Januar bis 1. Februar 2<strong>01</strong>8<br />

Ort: Messe Karlsruhe, Halle 1 und 2<br />

Mehr als 280 Aussteller aus 13 Nationen präsentieren ihre neuesten Anwendungen<br />

und Programme für das Lernen mit IT. Neben Hard- und Software werden auch Konzepte<br />

und Services vorgestellt – etwa Lernportale, virtuelle Klassenzimmer, Talent Management<br />

oder Performance Support. Erwartet werden rund 7500 Fachbesucher aus 25 Ländern.<br />

Wegen der wachsenden Aussteller- und Besucherzahlen findet die Learntec 2<strong>01</strong>8 erstmals<br />

in zwei Hallen statt.<br />

Begleitet wird die dreitägige Messe von einem Kongress, der sich diesmal mit<br />

„Bildung als Motor der Digitalisierung“ befasst. Zu den Schwerpunktthemen gehören<br />

selbstorganisiertes und informelles Lernen, VR- und 3D-Lernwelten, Big Data, Learning<br />

Analytics, Adaptive Learning und vieles mehr. In Vorträgen und Diskussionsrunden<br />

vermitteln mehr als 120 Referenten ihr Wissen an die Kongressteilnehmer. In Workshops<br />

können die Besucher eigene Lösungen entwickeln.<br />

Preise:<br />

Tageskarte Messe: 45 Euro, Dauerkarte Messe: 72 Euro<br />

Tageskarte Kongress: 410 Euro, Dauerkarte Kongress: 665 Euro (jeweils inklusive Messe)<br />

Branchenabend am 30. Januar 2<strong>01</strong>8: 39 Euro (begrenztes Kontingent)<br />

Weitere Informationen, Programme und Tickets unter: www.learntec.de<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 69


TREFFPUNKT LEARNTEC 2<strong>01</strong>8<br />

BUCH ZUM THEMA<br />

Nikil Mukerji:<br />

Die 10 Gebote<br />

des gesunden<br />

Menschenverstands,<br />

Springer 2<strong>01</strong>6<br />

ben will, muss einiges leisten: Er muss etwas verstanden<br />

haben, es glauben, eine Rechtfertigung haben und es muss<br />

wahr sein. Ein alternativer Begriff des Lernens bezieht sich<br />

auf die Aneignung von Fähigkeiten. Wissen und Fähigkeiten<br />

sind unterschiedliche Dinge. Ich kann etwas wissen, ohne<br />

es zu können – und umgekehrt.<br />

Was haben Ihre Gebote mit E-Learning zu tun?<br />

Man sollte Lernmethoden kritisch überprüfen und sich<br />

dabei nicht auf Dogmen verlassen. Heute gibt es die Überzeugung,<br />

Digital Natives seien besonders gut im Multitasking,<br />

weil sie verschiedene Kanäle nutzen – hören, sehen,<br />

schreiben und chatten. Nach allem, was wir wissen, reduziert<br />

Multitasking jedoch die kognitive Leistungsfähigkeit.<br />

Das gilt auch im Bereich des Lernens.<br />

Denn wir können nicht<br />

wirklich zwei Dinge parallel tun.<br />

Das funktioniert nur bei automatischen<br />

Prozessen. Man kann<br />

zum Beispiel spazieren gehen<br />

und sich dabei unterhalten, denn das sind eine unbewusste<br />

und eine bewusste Handlung. Man kann aber nicht<br />

gleichzeitig ein Bild malen und eine Rechenaufgabe lösen,<br />

denn das sind zwei bewusste Handlungen. Wenn Jugendliche<br />

mit dem Smartphone lernen, springen sie schnell zwischen<br />

zwei kognitiven Aufgaben hin und her. Das ist schädlich<br />

für den Lernprozess.<br />

Die 10 Gebote des gesunden Menschenverstands<br />

Erstes Gebot: Bringen Sie Ordnung in Ihr Denken.<br />

Zweites Gebot: Denken Sie lückenlos.<br />

Drittes Gebot: Treffen Sie glaubwürdige Annahmen.<br />

Viertes Gebot: Fragen Sie nach der Beweislast.<br />

Fünftes Gebot: Denken Sie klar und präzise.<br />

Sechstes Gebot: Bleiben Sie logisch sauber.<br />

Siebtes Gebot: Tappen Sie nicht in die Sprachfalle.<br />

Achtes Gebot: Seien Sie schlauer als ein junger Jagdhund.<br />

Neuntes Gebot: Schauen Sie mit beiden Augen hin (wenn Sie müssen).<br />

Zehntes Gebot: Lassen Sie sich keinen Bären aufbinden.<br />

„Wie man am besten lernt,<br />

hängt nicht vom Lernenden<br />

ab, sondern von der Sache.“<br />

Das erste Gebot lautet: „Bringen Sie Ordnung in Ihr<br />

Denken.“ Wie schafft man das bei all den vielen Ablenkungen<br />

wie Internet, Werbung, Smartphone-Apps,<br />

Spiele, Fernsehen et cetera?<br />

Die Antwort steckt schon in der Frage. Es gibt zahlreiche<br />

Ablenkungen: Man macht den Computer an, will eine<br />

bestimmte Sache erledigen, schaut aber zunächst nach den<br />

Mails, nach den neuesten Posts auf Facebook, dann springen<br />

Fenster mit Werbung auf und so weiter. Das Grundübel<br />

ist, dass man diese Ablenkungen zulässt. Man sollte<br />

sein Umfeld so einrichten, dass man nicht abgelenkt wird.<br />

Chefs oder Chefinnen werden oft von Mitarbeitern unterbrochen,<br />

die dringend etwas brauchen. Diese Unterbrechungen<br />

kann man reduzieren, indem man beispielsweise<br />

montags um acht Uhr ins Büro kommt. Dann hat man<br />

in der Regel seine Ruhe und kann einiges wegarbeiten.<br />

Dann stellt man das Smartphone auf lautlos, schaltet das<br />

Mailprogramm aus, macht sich einen Tagesplan und hält<br />

sich strikt daran. Außer natürlich, es passiert etwas Unvorhergesehenes.<br />

Wenn etwa der Computer streikt, muss man<br />

sich natürlich sofort darum kümmern.<br />

Wie sollte ein solcher Tagesplan aussehen?<br />

Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine, die ich favorisiere,<br />

ist die Pomodoro-Technik: Man teilt seinen Tag in<br />

Blöcke ein und konzentriert sich in jedem Block nur auf<br />

eine Aufgabe beziehungsweise<br />

eine Art von Aufgabe. Ein Block<br />

dauert 25 Minuten. Nach jedem<br />

Block gibt es fünf Minuten Pause.<br />

Nach vier Blöcken gibt es eine<br />

längere Pause von 30 Minuten.<br />

Hören Sie eine Sekunde vor 25 Minuten auf, dürfen Sie<br />

sich diesen Block nicht anrechnen. Das ist gut für die Selbstdisziplin.<br />

Täglich sollte man mindestens zwölf Einheiten<br />

schaffen, dann arbeitet man wirklich produktiv. Für die<br />

Selbstorganisation gibt es noch weitere hilfreiche Methoden.<br />

Aufgaben, die weniger als zwei Minuten in Anspruch<br />

nehmen, sollten Sie nicht aufschieben, sondern immer<br />

gleich erledigen, und im Mittagstief sollten Sie Ihre Mails<br />

beantworten, weil Sie dazu normalerweise nicht besonders<br />

fit sein müssen. Außerdem gilt: 98 Prozent aller E-Mails kann<br />

man ein paar Stunden verschieben. Wenn man für Mails<br />

ständig seine Arbeit unterbricht, erhöht man die Rüstkosten.<br />

Denn wenn man unterbrochen wird, muss man bereits<br />

geschriebene Absätze neu lesen, bevor man weiterarbeiten<br />

kann.<br />

Als Hundehalterin interessiere ich mich natürlich für<br />

Ihr achtes Gebot. Wie ist man schlauer als ein junger<br />

Jagdhund?<br />

Das ist nur eine Metapher. Jungen Jagdhunden sagt man<br />

nach, sie ließen sich leicht von der Fährte abbringen, weil<br />

sie allen möglichen Gerüchen nachjagen, die sie auf dem<br />

Weg antreffen. Die Buddhisten kennen dieses Phänomen<br />

schon lange und sprechen in diesem Zusammenhang vom<br />

„monkey mind“. Ihre Empfehlung: Meditationsübungen.<br />

Es gibt mittlerweile neurowissenschaftliche Befunde, die<br />

nahelegen, dass Meditation unsere Konzentrationsfähigkeit<br />

verbessern kann. Allerdings reicht das nicht. Sie müssen<br />

außerdem in der Lage sein, zu erkennen, was eine Ablenkung<br />

darstellt, wann Sie von der Fährte abkommen. Um<br />

das zu tun, müssen Sie wiederum eine klare Fragestellung<br />

haben, die Ihr Denken reguliert. Die bekommen sie nicht<br />

von Ihrem Zen-Lehrer. Dafür braucht es gesunden Menschenverstand.<br />

70<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Aber wie ist man nun schlauer als ein junger Jagdhund?<br />

Diese Frage haben Sie sich gerade selbst beantwortet.<br />

Inwiefern?<br />

Na, Sie haben gerade gezeigt, wie man vermeidet, von der<br />

Fragestellung abgelenkt zu werden. Sie haben daran erinnert, was<br />

Ihre Frage war und noch einmal bekräftigt, dass Sie gerne eine<br />

Antwort darauf hätten. Das ist der erste und wichtigste Schritt,<br />

den Sie tun müssen, um schlauer zu sein als ein junger Jagdhund.<br />

Wie sehen die weiteren Schritte aus?<br />

Sie sollten sich mit typischen Beispielen abschweifenden Denkens<br />

vertraut machen, damit Sie diese in Ihrer Praxis zuverlässig<br />

erkennen. Nehmen wir an, wir diskutieren über eine<br />

Frage. Sie bringen Ihre Argumente vor, ich bringe meine Argumente<br />

vor. Nehmen wir an, Sie haben bessere Argumente als<br />

ich und bringen mich ein wenig in die Bredouille. Deswegen<br />

setze ich zum Gegenangriff an und sage plötzlich: „Woher wollen<br />

Sie das denn wissen? Sie haben doch gar nicht die Qualifikation,<br />

um das beurteilen zu können!“ Wenn Sie auf diesen<br />

rhetorischen Trick hereinfallen und beginnen, mir Ihre Qualifikationen<br />

zu schildern, verhalten Sie sich wie ein junger Jagdhund.<br />

Sie folgen einer falschen Fährte und beginnen, mit mir<br />

über eine Frage zu diskutieren, um die es gar nicht ging – nämlich<br />

die Frage nach Ihrer Qualifikation. Diese Frage müssen Sie<br />

aber gar nicht beantworten, solange Ihre Argumente transparent<br />

und stichhaltig sind.<br />

Kann man gesunden Menschenverstand lernen oder ist<br />

er angeboren?<br />

Angeboren ist die Fähigkeit, aber man muss sie entwickeln,<br />

wenn sie einem wichtig ist. In dieser Hinsicht ist der gesunde<br />

Menschenverstand genau wie jede andere Fähigkeit auch. Wer<br />

etwa kein körperliches Handicap hat, besitzt die Fähigkeit zu<br />

laufen. Aber manche können schneller laufen als andere, weil<br />

sie es trainiert haben.<br />

Hat seit der Aufklärung der gesunde Menschenverstand<br />

eher zu- oder abgenommen?<br />

Das lässt sich pauschal nicht beantworten, aber generell bin<br />

ich optimistisch. Allerdings gibt es temporäre Rückschläge.<br />

Immer wenn wir es mit emotional aufgeladenen Debatten zu<br />

tun haben, steigt die Gefahr, dass die Menschen unvernünftig<br />

werden und beginnen, allen möglichen Unsinn zu glauben.<br />

Das konnte man zuletzt bei den US-amerikanischen Präsidentschaftswahlen<br />

und der Debatte um den Brexit beobachten. p<br />

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EVENT & SZENE SESSELWECHSEL<br />

Kienbaum holt Transformations- und Innovationsexperten<br />

Vom Evangelisten zum Officer<br />

Stephan Grabmeier wechselt zum 1. Januar 2<strong>01</strong>8 von der Haufe<br />

Gruppe zum Beratungsunternehmen Kienbaum. Als Chief<br />

Innovation Officer wird er dort die Digitalisierung vorantreiben.<br />

Foto: Haufe<br />

u <strong>Personalwirtschaft</strong>: Wir waren überrascht über die Meldung zu<br />

Ihrem bevorstehenden Wechsel. Nach drei Jahren als Chief Innovation<br />

Evangelist bei Haufe nun der Wechsel zu Kienbaum. Was reizt<br />

Sie an der neuen Ausgabe?<br />

Stephan Grabmeier: Mich reizt das breite Beratungsportfolio bei<br />

Kienbaum, was auf einer sehr starken Marke aufbaut. Zudem befindet<br />

sich Kienbaum in einem starken Wandel und hat mit Fabian<br />

Kienbaum einen überzeugenden Generationenwechsel eingeleitet.<br />

Innovation und Digitalisierung sind Themen, die Fabian Kienbaum<br />

bewusst für das Unternehmen voranbringen will. Diesen Weg kann<br />

ich mit meinen Kompetenzen begleiten.<br />

Ist Ihnen nach drei Jahren bei Haufe langweilig geworden?<br />

Nein, dazu ist auch bei Haufe viel in Bewegung. Wir haben Haufe-<br />

Umantis von einer Software- zu einer Transformationsfirma umgebaut.<br />

Dennoch liegt der Fokus dort auf Software, nicht auf HR-Beratung<br />

oder der Organisationsentwicklung. Da es meine Leidenschaft<br />

ist, die Innovationsthemen breiter zu betrachten, bietet Kienbaum<br />

für mich die spannendere Aufgabe und ein breiteres Portfolio, um für<br />

Kunden Lösungen zu designen.<br />

Wie sind Sie an den neuen Job gekommen?<br />

Kienbaum ist im Geschäftsfeld Executive Search sehr erfolgreich. Jetzt<br />

hat es gepasst.<br />

Sie waren bei Haufe Chief Innovation Evangelist, im neuen Jahr nennen<br />

Sie sich Chief Innovation Officer. Drückt das auch eine Veränderung<br />

der Job-Description aus?<br />

Der Begriff Evangelist ist über die letzten zehn Jahre sicherlich zu<br />

einem Markenzeichen von mir geworden. Die Zeiten des Evangelisierens<br />

sind aber vorbei, da die Wirtschaft mittlerweile einen gewissen<br />

digitalen Reifegrad erreicht hat. Jetzt wird gezielter investiert und<br />

umgesetzt. Ein weiteres Argument: Der Begriff Evangelist löst immer<br />

noch Irritationen aus. Er ist zwar vor über 20 Jahren im Tech-Umfeld<br />

entstanden, aber in der HR-Szene hat er sich nicht etabliert. Innovation<br />

Officer passt mittlerweile einfach besser.<br />

Konnten Sie diese Bezeichnung selber bestimmen?<br />

Das haben wir gemeinsam gemacht. Die Rolle ist neu geschaffen worden,<br />

weil es ein klares Commitment bei Kienbaum dazu gibt, in Innovationen<br />

zu investieren und so das Unternehmen noch erfolgreicher<br />

zu machen.<br />

Was werden Sie konkret tun?<br />

Ich habe zwei Aufgabenbereiche. Zum einen werde ich in die Innovationen<br />

des bestehenden Kienbaum-Portfolios eingebunden, um sie<br />

kontinuierlich zu verbessern. Das ist also die Innovationsrolle nach<br />

innen. Die Rolle nach außen besteht unter anderem darin, neue<br />

Geschäftsmodelle und Services zu entwickeln. Aber auch neue Partnerschaften<br />

und Beteiligungen wie auch ein Technologie-Scouting<br />

aufzubauen. Ich bin ebenfalls für die Investments in HR-Start-ups<br />

verantwortlich. Über die externen Innovationseinflüsse werde ich in<br />

einer Art Innovationsgarage die Kienbaum-Beratungsteams unterstützen,<br />

sich weiterzuentwickeln.<br />

Stichwort Kooperation. In der Pressemeldung stand, dass Kienbaum<br />

mit Haufe kooperiert. Sie werden also wieder mit Ihren alten<br />

Kollegen zusammenarbeiten können.<br />

Die Kooperation gab es vorher schon umgekehrt. Da wir komplementäre<br />

Portfolios haben, können wir die Kooperation sicherlich noch intensivieren.<br />

Haufe hat die Softwarekompetenz im Bereich Talent Management,<br />

Kienbaum hat die Beratungsexpertise.<br />

Wie groß ist die Freude, wieder ins Rheinland zu kommen?<br />

Ich freue mich sehr darauf, privat wieder nach Bonn zu ziehen. In dieser<br />

Stadt habe ich bereits während meiner Telekom-Zeit sechs Jahre<br />

gelebt. Und ich freue mich auch auf das Kölner Büro. Hier, wie auch<br />

an den meisten anderen Standorten, hat Kienbaum sein New-Work-<br />

Konzept überzeugend umgesetzt.<br />

Haben Sie ein Team, das Sie unterstützt?<br />

Ich übernehme das Kienbaum-Digital-Team und werde es um einige<br />

Mitarbeiter und Skills erweitern.<br />

Der Blick auf Ihren Lebenslauf zeigt, dass Sie in unterschiedlichen<br />

Rollen unterwegs waren: als Unternehmer, Berater, Angestellter. Ist<br />

das typisch für einen New Worker?<br />

Ich bin ein Mensch, der sehr viele Freiheiten braucht und in Anspruch<br />

nimmt. Und grundsätzlich ist mir im Job die Aufgabe wichtiger als<br />

der Vertrag. Glücklicherweise habe ich bislang immer die dazu passenden<br />

Arbeitsformen gefunden. Die Erfahrungen bei der Telekom<br />

oder bei Haufe zeigen: Auch als Angestellter konnte ich meine Rebellen-<br />

und Evangelistenrolle ausleben. Und ich bin mir sicher, dass ich<br />

bei Kienbaum den gewünschten Freiraum erhalte, um innovativ für<br />

das Unternehmen und Kunden wirken zu können. (sti) p<br />

72<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Von Unitymedia zu Computacenter<br />

„Wir müssen unsere Kollegen<br />

auf unserem Weg mitnehmen“<br />

Seit einem Vierteljahr ist Karl-Heinz Reitz Geschäftsführer und<br />

Director Human Resources bei Computacenter in Deutschland. Wir<br />

haben nachgefragt, welche Schwerpunkte seine Personalarbeit dort hat.<br />

Foto: Computacenter AG & Co. oHG<br />

u <strong>Personalwirtschaft</strong>: Herr Reitz, warum<br />

sind Sie zu Computacenter gewechselt? Was<br />

hat Sie dort in den ersten Wochen erwartet?<br />

Karl-Heinz Reitz: Computacenter ist einer der<br />

führenden IT-Dienstleister in Europa. Zudem<br />

sind wir ein Hidden Champion unter den<br />

Arbeitgebern. Das Unternehmen wächst seit<br />

Jahren und bietet seinen Mitarbeitern Perspektiven<br />

und Spielraum, Neues zu gestalten.<br />

Besonders beeindruckt haben mich aber<br />

die Willkommenkultur und die tolle Aufnahme<br />

durch meine Kollegen.<br />

Welche Schwerpunkte sehen Sie bezüglich<br />

der Personalarbeit bei Computacenter in<br />

den kommenden Monaten?<br />

Ich gehe offen in den Austausch mit meinem<br />

Team und den Kollegen aus den Businessbereichen.<br />

Dabei lerne ich jeden Tag dazu, was<br />

es braucht, um unser Geschäft weiterhin<br />

nachhaltig für unsere Kunden zu optimieren.<br />

Der Fachkräftemangel geht auch nicht an<br />

der IT-Branche vorbei. Um weiterhin wachsen<br />

zu können, benötigen wir Mitarbeiter in<br />

den unterschiedlichsten Bereichen. Diese für<br />

uns zu gewinnen und Talente auf Dauer zu<br />

binden, wird eine unserer wichtigsten Aufgaben<br />

sein – auch auf lange Sicht. Dazu suche<br />

ich eine enge Zusammenarbeit mit unseren<br />

Sozialpartnern und beschäftige mich intensiv<br />

mit den Themen Leadership und Kultur.<br />

Als eines Ihrer wichtigsten Ziele nennen Sie<br />

auch die Förderung von Diversität. Warum,<br />

und wie wollen Sie dies angehen?<br />

Eingebettet in eine Kultur von Respekt und<br />

Vertrauen kann Unterschiedlichkeit zu besseren<br />

und kreativeren Lösungen führen. Dazu<br />

gehören eine grundsätzliche Offenheit für<br />

neue Ideen und der Mut zum Dialog auf<br />

Augenhöhe. Das ist weder einfach noch konfliktfrei.<br />

Wenn wir aber Diversität und Inklusion<br />

nicht aktiv fördern, verschenken wir<br />

Potenziale. Die Kernfrage lautet: Wie können<br />

wir unsere offene Kultur weiter entwickeln<br />

und noch mehr nach außen tragen?<br />

Veränderungen setzen sich in der IT-Branche<br />

meist besonders schnell durch, werden<br />

oft sogar von ihr angestoßen. Welche besonderen<br />

Herausforderungen stellt das an die<br />

Personalarbeit in einem IT-Unternehmen?<br />

Auch in der IT-Branche gilt: Wir arbeiten<br />

mit Menschen. Selbst wenn eine hohe Technologie-Affinität<br />

gegeben ist, müssen wir<br />

unsere Kollegen auf unserem Weg mitnehmen.<br />

Dazu gehört nicht nur, ihnen Hintergründe<br />

und Entscheidungen zu erklären und<br />

ihr Feedback ernst zu nehmen. Sondern auch,<br />

früher in den Dialog einzusteigen und sie an<br />

der Gestaltung unserer Zukunft zu beteiligen.<br />

Damit geht ein Verständnis von Wandel einher,<br />

der nicht mehr top-down geplant funktioniert.<br />

Daher liegt mein Fokus auf der Arbeit<br />

mit meinem Team. Wir müssen uns fit<br />

machen, damit wir im Unternehmen die richtigen<br />

Lösungen unterstützen können und<br />

unser eigenes Wirken den agilen Prämissen<br />

folgen kann. (ds)<br />

p<br />

Das ausführliche Interview mit Karl-Heinz Reitz<br />

lesen Sie auf www.personalwirtschaft.de<br />

in der Rubrik „Der Job HR>Szene“.<br />

Erstmals unter den 40 führenden HR-Köpfen: <strong>Personalwirtschaft</strong>-Fachbeirätin<br />

Ursula Schütze-Kreilkamp<br />

40 führende HR-Köpfe ausgezeichnet<br />

Antreiber der Personalfunktion<br />

u Bereits zum achten Mal hat das „Personalmagazin“<br />

die „40 führenden Köpfe des<br />

Personalwesens“ gekürt – eine Auszeichnung,<br />

die alle zwei Jahre für Aufsehen in<br />

der Szene sorgt. HR-Manager, -Wissenschaftler<br />

und -Berater werden von der<br />

Redaktion nach ihrem Wirkungsgrad,<br />

ihrer Präsenz und Innovationskraft beurteilt:<br />

ein subjektives „Who’s hot, who’s not?“<br />

der HR-Landschaft.<br />

Besonders unter den Managerinnen gab es<br />

seit 2<strong>01</strong>5 Bewegung. So rückte etwa Contentinal-Vorständin<br />

Ariane Reinhart ins<br />

Tableau; wenige Tage später wurde sie<br />

zudem zur Vorstandsvorsitzenden der<br />

DGFP gewählt. Sie geht nun mit deutlich<br />

veränderter Strahlkraft ins Jahr 2<strong>01</strong>8. Auch<br />

Zalando-Personalchefin Frauke von Polier,<br />

2<strong>01</strong>7 auffällig präsent in Medien und auf<br />

Veranstaltungen, krönt das Jahr mit dem<br />

Einzug in die Top 40. Dort repräsentiert<br />

sie die Fraktion der Start-ups und Digitalunternehmen.<br />

Für die Redaktion der „<strong>Personalwirtschaft</strong>“<br />

besonders erfreulich: Unsere Beirätin Dr.<br />

Ursula Schütze-Kreilkamp, Leiterin Führungskräfteentwicklung<br />

bei der Deutschen<br />

Bahn, findet sich nun ebenfalls unter den<br />

„40 Köpfen“. Seit vielen Jahren ist sie eine<br />

wichtige Stimme in HR, seit zwei Jahren<br />

auch in unserem Fachbeirat (siehe Impressum,<br />

Seite 81). Damit sind alle unserer<br />

neun Beiratsmitglieder im Laufe ihrer Karriere<br />

unter die „40 führenden Köpfe des<br />

Personalwesens“ gewählt worden. Ein Ausweis<br />

der Expertise – von Fachredaktion<br />

zu Fachredaktion. Wir gratulieren allen<br />

Ausgezeichneten! (cl)<br />

p<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 73


EVENT & SZENE BÜCHER IM PRAXISTEST<br />

Innovationskultur der Zukunft<br />

Theoretische Ansätze werden praxisnah<br />

Florian Rustler vertritt in seinem Buch die Ansicht, dass die Digitalisierung agile Strukturen<br />

in Unternehmen erfordert. Ob das Buch auch an Agilität interessierten HR-Praktikern aus größeren<br />

Unternehmen helfen kann, hat Signe Wüstefeld von der DB Vertrieb für uns getestet.<br />

Florian Rustler:<br />

Innovationskultur der Zukunft:<br />

Wie selbstorganisierte<br />

agile Unternehmen die<br />

Digitalisierung meistern,<br />

Midas Management 2<strong>01</strong>7,<br />

288 Seiten, 29,90 Euro<br />

Macht das Buch mit seiner Aufmachung, Haptik<br />

und visuellen Gestaltung Spaß?<br />

Das Buch ist schlicht gestaltet und klar strukturiert.<br />

Durch Schaubilder werden Inhalte und Zusammenhänge<br />

gut visualisiert. Das Format und die Qualität des<br />

Papiers sind angenehm. Besonders praktisch fand ich,<br />

dass in der Kopfzeile der Titel des jeweiligen Abschnittes<br />

vermerkt ist, was mir insbesondere nach Lesepausen<br />

geholfen hat, den roten Faden zu behalten. Kurz:<br />

Die Gestaltung ist ansprechend.<br />

Ist die Gliederung schlüssig?<br />

Ich empfand die Gliederung, den Aufbau des Buches<br />

als sehr logisch. Der Autor verschafft zunächst einen<br />

theoretischen Überblick über die Entwicklung menschlicher<br />

Organisationsformen, die Prinzipien von Selbstorganisation<br />

und Aspekte von Innovation, um diese<br />

dann anhand von Fallstudien zu verdeutlichen. Auf<br />

Basis der Erkenntnisse aus den Fallstudien zeigt er dann<br />

auf, wie ein Transformationsprozess begleitet werden<br />

kann, und nennt konkrete Werkzeuge selbstorganisierter<br />

Unternehmen.<br />

man ein Grundverständnis von agilen Organisationen<br />

und Modellen wie Holacracy und Sociocracy mitbringt.<br />

Die zwölf Fallstudien legen ihren Schwerpunkt jeweils<br />

auf unterschiedliche Aspekte der Selbstorganisation.<br />

Hier kann sich der Leser auf Basis der Gliederung leicht<br />

einzelne Fallstudien herauspicken.<br />

Ist das Buch gut verständlich und haben Sie es<br />

gerne gelesen?<br />

Der Autor nimmt Bezug auf einige Standardwerke<br />

wie „Reinventing Organizations“ von Laloux (2<strong>01</strong>5)<br />

oder „Holacracy“ von Robertson (2<strong>01</strong>5) und geht hier<br />

durchaus in einen theoretischen Diskurs. Wer diese<br />

Werke nicht gelesen hat, oder sich nicht intensiver<br />

mit den Theorien rund um agile Organisationsformen<br />

befasst hat, wird den ersten Teil des Buches möglicherweise<br />

nicht ganz so flüssig lesen. Der Autor<br />

unterstützt aber auch gerade hier durch eine klare<br />

Struktur, die einem die Einordnung in den Gesamtkontext<br />

erleichtert. Gut verständlich sind die prägnant<br />

beschriebenen Kriterien und Werkzeuge im letzten<br />

Teil des Buches.<br />

Ist es möglich, mittendrin einzusteigen und gegebenenfalls<br />

einzelne Aspekte herauszuziehen, oder<br />

muss man das Buch von vorne bis hinten lesen, um<br />

etwas damit anfangen zu können?<br />

Wenngleich die einzelnen Abschnitte aufeinander aufbauen,<br />

ist es durchaus möglich, sich auf einzelne Teile<br />

zu konzentrieren. Voraussetzung ist sicherlich, dass<br />

Welche Elemente haben das Buch praxisorientiert<br />

gemacht? Hat Ihnen etwas gefehlt?<br />

Durch die vielen konkreten Beispiele und Fallstudien<br />

werden die theoretischen Ansätze verdeutlicht und operationalisiert.<br />

Geholfen hat mir, dass der Autor Hindernisse,<br />

Risiken und Misserfolge konkret benennt. So<br />

bekommt man als Leser ein klares Bild, welche Ansätze<br />

74<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


BUCH-TIPPS<br />

HR-Trends 2<strong>01</strong>8<br />

Seit 1990 bringt das Herausgeber-<br />

Duo Schwuchow und Gutmann<br />

ein jährliches Kompendium über<br />

Zukunftsstrategien in HR auf den<br />

Markt. In 39 Best-Practice-Beiträgen<br />

von Vordenkern aus Wissenschaft<br />

und Unternehmen werden<br />

Trends praxisnah vorgestellt.<br />

Neben diesen liefert das über 450 Seiten starke<br />

Werk Literaturtipps, Internetlinks und weiterführende<br />

Studien, die der Leser downloaden kann. Ein<br />

Standardwerk für Personaler – beim Preis gilt es, ein<br />

Auge zuzudrücken.<br />

Karlheinz Schwuchow/Joachim Gutmann (Hrsg.): HR-Trends 2<strong>01</strong>8.<br />

Strategie, Kultur, Innovation. Konzepte, Haufe 2<strong>01</strong>7, 99 Euro<br />

Foto: privat<br />

GASTREZENSENTIN<br />

Signe Wüstefeld ist HR Business Partner Regionalvertrieb<br />

(Agile HR Vertrieb) bei der DB Vertrieb GmbH.<br />

in welchem Kontext überhaupt Erfolg versprechend sein können. Ich persönlich<br />

hätte mir noch ein paar mehr Werkzeuge und Tipps für den Transformationsprozess<br />

hin zur Selbstorganisation gewünscht.<br />

In welchen Bereichen Ihrer täglichen Arbeit kann Ihnen das Buch<br />

ganz konkret nutzen?<br />

Das Buch legt den Schwerpunkt auf den Aspekt der Selbstorganisation in Unternehmen<br />

mit agilen Strukturen. Da ich mich derzeit in meinem beruflichen Kontext<br />

intensiv mit agilen Methoden wie Scrum oder Kanban beschäftige, war das<br />

Buch eine wertvolle Ergänzung. Insbesondere die Inhalte zu den Bewusstseinsleveln<br />

haben mir einen Impuls gegeben und meinen Blickwinkel erweitert.<br />

Fühlen Sie sich nach der Lektüre des Buches gut genug informiert,<br />

um sich des Themas anzunehmen?<br />

Das Buch beschreibt die Grundzüge agiler Organisationen und schafft eine Sensibilität<br />

für die erforderliche Haltung und die notwendigen Voraussetzungen,<br />

um erfolgreich in einer solchen Struktur arbeiten zu können. Darauf aufbauend<br />

braucht es aus meiner Sicht eine intensivere Betrachtung möglicher Methoden,<br />

um einen Transformationsprozess einzuleiten und zu begleiten. Insbesondere<br />

die Frage, wie ein größeres, derzeit noch klassisch hierarchisch<br />

organisiertes Unternehmen in einen solchen Prozess einsteigen kann, kommt<br />

mir persönlich zu kurz.<br />

Abschließendes Fazit: Löst das Buch sein Nutzenversprechen, zu zeigen,<br />

„was Entscheider und Praktiker in Organisationen aller Größen und Branchen<br />

lernen können“ aus dem Klappentext ein und würden Sie es weiterempfehlen?<br />

Das Buch beschreibt eindrucksvoll das Prinzip der Selbstorganisation und<br />

verdeutlicht die Möglichkeiten seiner Anwendung anhand von konkreten Fallstudien.<br />

Mir hat es damit wertvolle Impulse gegeben, von denen ich sicherlich<br />

einige in meine tägliche Arbeit mitnehmen werde.<br />

Trust-based Leadership – Führen durch Vertrauen<br />

Der Trainer und Coach Martin<br />

Schmiedel bricht hier eine Lanze<br />

für die wichtigste Grundlage in<br />

der Beziehung zwischen Führungskraft<br />

und Mitarbeiter: das<br />

Vertrauen. Eigentlich selbstverständlich,<br />

doch zeigt die Realität<br />

häufig ein anderes Bild und deshalb<br />

ist das Thema so wichtig.<br />

Wissenschaftlich fundiert, mit<br />

zahlreichen Grafiken, Checklisten und Beispielen<br />

aus der Praxis ist es ein Buch für jede Führungskraft,<br />

die sich tief in das Thema einlesen und ein<br />

vertrauensvolles Miteinander aufbauen möchte.<br />

Martin Schmiedel: Trust-based Leadership – Führen durch Vertrauen.<br />

Erfolgreiche und leidenschaftliche Mitarbeiter durch Integrität und<br />

Wertschätzung, Springer Gabler 2<strong>01</strong>7, 29,99 Euro<br />

Das Peripetie-Prinzip<br />

Ein Manager, ein Regisseur und<br />

ein Konzerthausintendant – das<br />

sind die Autoren. Nebenbei sind<br />

sie auch noch Brüder. Das an sich<br />

macht das Buch schon interessant.<br />

Hinzu kommt der nicht wirklich<br />

gängige Begriff „Peripetie“ im<br />

Titel, der aus der Theaterwelt<br />

stammt und einen plötzlichen Wandel beschreibt.<br />

Auf das Business bezogen bedeutet das, eine<br />

Führungskraft möchte und sollte etwas bewegen.<br />

Das Autorenteam zeigt anhand von Methoden aus<br />

Theater, Musik und Management kurzweilig, worauf<br />

die Kunst der wirksamen Führung beruht.<br />

Raphael von Hoensbroech/Severin von Hoensbroech/Alexis von<br />

Hoensbroech: Das Peripetie-Prinzip. Die Kunst wirksamer Führung,<br />

Murmann 2<strong>01</strong>7, 24,90 Euro<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 75


STELLENMARKT<br />

76<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 77


STELLENMARKT<br />

78<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Vertrauen ist gut. Anwalt ist besser.<br />

3. Deutscher Arbeitsrechtstag<br />

Transparente Unternehmen, transparente Belegschaften<br />

– Möglichkeiten und Grenzen des betrieblichen Compliance-<br />

Managements<br />

vom 17. bis 19. Januar 2<strong>01</strong>8 im Maritim Hotel<br />

Diskussionsforum<br />

Dieser Kongress richtet sich an alle im Arbeitsrecht Tätigen, insbesondere Rechtsanwälte, Richter, Parlamentarier,<br />

Vertreter der Ministerien, Hochschullehrer, Unternehmens- und Verbandsjuristen, sowie – aufgrund<br />

der behandelten Schnittstellen – auch an alle mit Datenschutz, Compliance oder Internal Investigations<br />

befassten Personen ohne genuin arbeitsrechtlichen Schwerpunkt.<br />

Mittwoch, 17. Januar 2<strong>01</strong>8<br />

Termin Mittwoch, 17. Januar 2<strong>01</strong>8, 19.30<br />

Uhr bis Freitag, 19. Januar 2<strong>01</strong>8, 13.30 Uhr<br />

(insgesamt 11,25 Vortragsstunden)<br />

FAO-Bescheinigung gem. § 15 FAO über<br />

11,25 Stunden wird erteilt!<br />

Tagungsort<br />

Maritim Hotel Berlin<br />

Stauffenbergstraße 26<br />

10785 Berlin<br />

Gebühr<br />

395,- EUR Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />

Arbeitsrecht/FORUM Junge<br />

Anwaltschaft<br />

495,- EUR Mitglieder DAV<br />

595,- EUR Nichtmitglieder<br />

USt. frei nach § 4 Nr. 22 a) UStG<br />

Rahmenprogramm<br />

Begrüßungsempfang im Hotel Maritim<br />

Berlin (17. Januar 2<strong>01</strong>8)<br />

25,- EUR inkl. 19 % MwSt. pro Person<br />

(inkl. Getränke)<br />

Abendveranstaltung im Hotel Maritim Berlin<br />

(18. Januar 2<strong>01</strong>8)<br />

75,- EUR inkl. 19 % MwSt. pro Person (inkl.<br />

Getränke)<br />

mM<br />

NZA<br />

Neue Zeitschrift für<br />

Arbeitsrecht<br />

19.30 Uhr Begrüßungsempfang zum 3. Deutschen Arbeitsrechtstag im Tagungshotel<br />

DAV-Vizepräsident Dr. Friedwald Lübbert<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Stefan Lunk, Vorsitzender des Arbeitsrechtsausschusses des DAV<br />

Donnerstag, 18. Januar 2<strong>01</strong>8<br />

09.15 Uhr Eröffnung<br />

Rechtsanwalt Dr. Johannes Schipp, Vorsitzender des Geschäftsführenden Ausschusses der<br />

Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht im DAV<br />

09.30 Uhr Grußwort aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales<br />

Annette Kramme, Parlamentarische Staatssekretärin, MdB<br />

09.45 Uhr Eröffnungsvortrag<br />

Prof. Dr. Claudia Schubert, Ruhr-Universität Bochum<br />

10.15 Uhr Vorstellung der Panels<br />

Prof. Dr. Martin Henssler, Universität zu Köln<br />

10.30 Uhr Panel I: Informationsbedarf vs. Persönlichkeitsschutz<br />

• Impulsreferate: Dr. Ruth Schorn, Head of Corporate Compliance, KION Group;<br />

Prof. Dr. Peter Wedde, Universität Frankfurt am Main<br />

• Diskussionsbeiträge: Stephanie Rachor, Richterin am Bundesarbeitsgericht;<br />

Dr. Barbara Reinhard, Rechtsanwältin, KLIEMT.Arbeitsrecht;<br />

n.n., Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales<br />

• Moderation: Prof. Dr. Björn Gaul, Rechtsanwalt, CMS Hasche Sigle<br />

11.30 Uhr Kaffeepause<br />

12.00 Uhr Diskussion Panel I<br />

14.00 Uhr Mittagspause<br />

15.00 Uhr Panel II: Internal Investigations<br />

• Impulsreferate: Hanns W. Feigen, Rechtsanwalt, Feigen Graf;<br />

Dr. Katrin Haußmann, Rechtsanwältin, Gleiss Lutz<br />

• Diskussionsbeiträge: Michael Bartl, Betriebsrat Konzernleitung Deutsche Bahn AG;<br />

Dr. Elke Eller, Vorstand Bundesverband der Personalmanager; Christoph Tillmanns,<br />

Vorsitzender des Bundes der Richterinnen und Richter der Arbeitsgerichtsbarkeit<br />

• Moderation: Prof. Dr. Stefan Lunk, Rechtsanwalt, Latham & Watkins LLP<br />

16.00 Uhr Kaffeepause<br />

16.30 Uhr Diskussion Panel II<br />

18.30 Uhr Ende des ersten Veranstaltungstages<br />

19.30 Uhr Abendveranstaltung im Tagungshotel<br />

Dinnerspeech: Prof. Klaus Bepler, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht a.D.<br />

Freitag, 19. Januar 2<strong>01</strong>8<br />

09.00 Uhr Panel III: Arbeitsrechtliche Gestaltungsinstrumente<br />

• Impulsreferate: Holger Dahl, roland lukas Konfl iktlösungen;<br />

Helga Nielebock, Leiterin der Abteilung Recht, DGB<br />

• Diskussionsbeiträge: Dr. Boris Dzida, Rechtsanwalt, Freshfi elds Bruckhaus Deringer;<br />

Dr. Helmut Nause, Präsident des Arbeitsgerichtsverbandes;<br />

Dr. Jyn Schultze-Melling, Rechtsanwalt, Ernst & Young Law;<br />

• Moderation: Dr. Doris-Maria Schuster, Rechtsanwältin, Gleiss Lutz<br />

10.00 Uhr Kaffeepause<br />

10.30 Uhr Diskussion Panel III<br />

12.30 Uhr Gesamtberichterstattung<br />

Prof. Dr. Martin Henssler, Universität zu Köln<br />

13.30 Uhr Ende der Veranstaltung<br />

Information und Anmeldung:<br />

Philipp Arndt<br />

arndt@anwaltakademie.de<br />

Fon 030 / 726153-181<br />

Anwalt der Anwälte<br />

Die Onlineanmeldung fi nden Sie unter:<br />

https://www.anwaltakademie.de/anmeldung/3-deutscher-arbeitsrechtstag<br />

Unter Mitwirkung des<br />

Bundesministeriums<br />

für Arbeit und Soziales


HR BUZZWORD BINGO<br />

Der Spion, der aus HR kam<br />

Hat Ihr Vorstand einen Schatten? Dann treiben Sie in HR wohl auch doppeltes Spiel. Wie die<br />

unauffälligste Abteilung des Unternehmens zum Secret Service wurde: ein Exklusivbericht zur<br />

Geheimoperation „Shadowing“.<br />

VON WIEBKE JOESTER (nach Diktat verreist)<br />

u Psst …! Nicht weitersagen. Und nur im Flüsterton lesen, bitte.<br />

Denn heute berichten wir exklusiv und hochbrisant von einem<br />

Top-Secret-Projekt der weltweiten HR-Gemeinde. Natürlich sind<br />

wir sehr stolz darauf, unseren Lesern dieses unerhörte Material<br />

anbieten zu können. Und das noch vor dem umtriebigen Rechercheverbund<br />

von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung!<br />

Die Rede ist von ausgefuchsten Spionagetätigkeiten. Oftmals unter<br />

den Codenamen „Job Shadowing“ oder „Work Shadowing“ schleust<br />

HR seine Spitzel weltweit in die oberen Etagen ein. Getarnt ist diese<br />

internationale Beschattungsaktion als<br />

Weiterbildungs- oder Coachingmaßnahme.<br />

Hatte der einfache Bürger die Hoffnung<br />

bereits aufgegeben, dass unlautere Machenschaften<br />

in Unternehmen jemals aufgedeckt<br />

werden, korrupten Managern und maßlosen<br />

Vorstandsmitgliedern das Handwerk<br />

gelegt und Wahrheit und Gerechtigkeit Genüge<br />

getan wird, ist HR nun also angetreten,<br />

um solcherart Schattenmoral ans gleißende<br />

Licht der Leuchtstoffröhren zu zerren. Der<br />

Zeitpunkt dafür scheint wohlgewählt, die<br />

Gesellschaft reif für die Mission. Das zeigt<br />

nicht zuletzt der seltene Publikumserfolg<br />

eines Dokumentarstreifens. „Stromberg –<br />

Der Film“ beleuchtete aufrüttelnd die Abgründe<br />

des Vorstands einer großen Versicherungsgesellschaft und<br />

spielte damit zweistellige Millionenbeträge ein. Wer hätte gedacht,<br />

dass es dieses Thema einmal auf die große Leinwand schaffen würde?<br />

Und eben offensichtlich auch auf die 27-Zoll-Bildschirme des Personalwesens.<br />

Ob es sich um eine konzertierte Geheimoperation<br />

von HR-, Marketing- und Compliance-Abteilungen handelt, lässt<br />

sich zum aktuellen Stand der Nachforschungen noch nicht sagen.<br />

Aber die Raffinesse, mit der Personalabteilungen weltweit verdeckt<br />

zu Werke gehen, ist verblüffend. Denn wofür Robert Redford<br />

alias Condor noch drei volle Tage brauchte, das erreichen die<br />

HR-Agenten in einem einzelnen Arbeitstag.<br />

Die Legenden der Spione ähneln sich: Meist weisen sie sich als interessierter<br />

Nachwuchs aus, der sich ein Bild vom Arbeitsalltag der Vor-<br />

stände oder anderer höher positionierter Mitarbeiter machen möchte,<br />

um von diesen zu lernen und sich motivieren zu lassen, in die großen<br />

Fußstapfen zu treten. Laut unseren Informationen funktioniert<br />

das einwandfrei: Die Zielpersonen stellen nicht infrage, warum ein<br />

Mensch einen Tag lang ein Schatten ihrer selbst sein sollte.<br />

Bei der Recherche stießen wir auf weitere Konstellationen. So hieß<br />

es aus gut informierten Kreisen, auch externe Agenten würden in<br />

Unternehmen eingeschleust – dann in der Tarnung als sogenannter<br />

„Coach“. Bisweilen sollen zudem gestandene Mitarbeiter auf<br />

junge Kollegen angesetzt werden, um diese<br />

bei der Arbeit zu überwachen. Die Losung<br />

hier: „Erfahrungen weitergeben“. Noch ist<br />

jedoch nicht abschließend zu beurteilen,<br />

ob es sich dabei um gezielte Irreführungen<br />

handelt, die von der eigentlichen Opera -<br />

tion Shadowing ablenken sollen.<br />

Diese wiederum gilt als hocheffizient. Schon<br />

so manchem Goldlangfinger und Dr. No-<br />

Go sei der Zugang zum vermeintlichen<br />

Casino Royale der Firmengelder endgültig<br />

versperrt worden, wissen wir aus sicheren<br />

Quellen – die verständlicherweise anonym<br />

bleiben wollen. Die meisten dieser Insider<br />

sind Aussteiger im Zeugenschutz, getarnt als<br />

Fachkräfte. Und hier zeigt sich die doppelbödige<br />

zentrale Intelligenz dieser HR-Operation: Indem sie High<br />

Potentials als Special Agent anheuern, tragen die Personaler dem<br />

Wunsch der jungen Bewerbergenerationen nach Compliance,<br />

Gerechtigkeit und moralischem Unternehmertum Rechnung. Die<br />

sie dann durch das Zeugenschutzprogramm mit einer Übernahmequote<br />

von nahezu 100 Prozent langfristig ans Unternehmen binden<br />

– ein brillanter Recruiting-Coup! Die wenigen Abtrünnigen werden<br />

als Mitwisser eliminiert. Damit stehen sie dem Unternehmen<br />

zwar nicht mehr zur Verfügung, können aber auch nicht zur Konkurrenz<br />

abwandern.<br />

Ach ja, eliminieren. Sie haben diesen Beitrag bis zu Ende verfolgt?<br />

Dann gehören Sie jetzt leider ebenfalls zum gefährdeten Personenkreis.<br />

Zu Ihrem eigenen Schutz sollten Sie diese Seite unverzüglich<br />

herausreißen und aufessen. Sicher ist sicher.<br />

p<br />

80<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


VORSCHAU<br />

IMPRESSUM<br />

VERLAG UND REDAKTION<br />

Wolters Kluwer Deutschland GmbH, Luxemburger Straße 449, 50939<br />

Köln, Telefon: 0221/94373-7311, Fax: 0221/94373-7292, E-Mail:<br />

personalwirtschaft@wolterskluwer.com, www.personalwirtschaft.de<br />

HERAUSGEBER<br />

Jürgen Scholl, Erwin Stickling (sti)<br />

CHEFREDAKTEUR<br />

Cliff Lehnen (cl)<br />

REDAKTION<br />

Christoph Bertram (cb), Sven Frost (sff), Elke Schwuchow (es)<br />

KORREKTORAT UND SCHLUSSREDAKTION<br />

Harriet Gehring, Konstantin Schnettler<br />

FREIE MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />

Kai Felmy, Winfried Gertz, Wiebke Joester (wj), Ulli Pesch (up),<br />

David Schahinian (ds), Christiane Siemann (cs), Barbara Sommerhoff<br />

BEIRAT<br />

Roland Hehn, Heraeus; Professor Dr. Wolfgang Jäger, Hochschule<br />

RheinMain; Rudolf Kast, Die Personalmanufaktur; Isabell Krone,<br />

i-Restart; Professor Dr. Gunther Olesch, Phoenix Contact; Thomas<br />

Sattelberger, Publizist und Politiker; Professor Dr. Christian Scholz,<br />

Universität Saarbrücken; Dr. Ursula Schütze-Kreilkamp, DB Mobility<br />

Logistics; Professor Dr. Dirk Sliwka, Universität zu Köln<br />

ABONNEMENT UND EINZELVERKAUF<br />

Wolters Kluwer Deutschland GmbH, Postfach 2352, 56513 Neuwied<br />

Telefon: 02631/8<strong>01</strong>-2222, Fax: 02631/8<strong>01</strong>-2223<br />

E-Mail: info-personalwirtschaft@wolterskluwer.com<br />

Erscheinungsweise: 12-mal jährlich, 44. Jahrgang 2<strong>01</strong>7<br />

Bezugspreis: Standard-Abo jährlich 189,90 €, Halbjahres-Abo 99,80 €,<br />

Einzelpreis 17,50 €. Für Studierende und Auszubildende jährlich 49,95 €.<br />

Alle Preise zzgl. Versand. Auslandsabonnement auf Anfrage.<br />

ARCHIV<br />

Fachbeiträge aus bereits erschienenen Ausgaben sind verfügbar unter<br />

www.personalwirtschaft.de<br />

ANZEIGEN<br />

Karin Kamphausen (Verkaufsleitung), Telefon: 0221/94373-7324<br />

E-Mail: karin.kamphausen@wolterskluwer.com<br />

Jörg Walter (Anzeigenverkauf), Telefon: 0931/35951566<br />

E-Mail: joerg.walter@wanema.de<br />

Ulrike Dany (Anzeigendisposition), Telefon: 0221/94373-7425<br />

E-Mail: anzeigen-personalwirtschaft@wolterskluwer.com<br />

HERSTELLUNG: Nicole Holubicka<br />

GESTALTUNG: www.auhage-schwarz.de<br />

BILDNACHWEIS: i-stock/gettyimages<br />

TITELFOTO: i-stock/gettyimages<br />

ISSN: 0341-4698<br />

DRUCKEREI: Williams Lea & Tag GmbH, München<br />

COPYRIGHT: Luchterhand, eine Marke der Wolters Kluwer Deutschland GmbH.<br />

© 2<strong>01</strong>8 Wolters Kluwer Deutschland GmbH, Köln.<br />

Mit Namen gekennzeichnete Beiträge stellen nicht unbedingt die<br />

Meinung der Redaktion oder des Verlages dar. Für unverlangt<br />

eingesandte Manuskripte übernehmen wir keine Haftung. Mit der<br />

Annahme zur Veröffentlichung erwirbt der Verlag vom Verfasser alle<br />

Rechte, einschließlich der weiteren Vervielfältigung zu gewerblichen<br />

Zwecken. Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen Beiträge und<br />

Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung<br />

außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne<br />

Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere<br />

für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und<br />

die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.<br />

WOLTERS KLUWER DEUTSCHLAND GMBH<br />

Sitz der Gesellschaft: Luxemburger Straße 449, 50939 Köln<br />

Telefon +49 (0) 221 94373-7000, Fax +49 (0) 221 94373-72<strong>01</strong><br />

E-Mail: info-wkd@wolterskluwer.com<br />

Geschäftsführer: Martina Bruder, Michael Gloss, Christian Lindemann,<br />

Adrianus Gerardus Verhoef, Ralph Vonderstein, Stephanie Walter<br />

Handelsregister beim Amtsgericht Köln: HRB 58843<br />

Umsatzsteuer-ID-Nummer: DE 188836808<br />

Zur außergerichtlichen Beilegung von verbraucherrechtlichen<br />

Streitigkeiten hat die Europäische Union eine Online-Plattform<br />

(„OS-Plattform“) eingerichtet, die Sie unter<br />

ec.europa.eu/consumers/odr/ erreichen.<br />

BEILAGENHINWEIS<br />

Mit dieser Ausgabe verteilen wir Beilagen der Haufe Akademie und der<br />

DAPR GmbH. Wir bitten freundlich um Beachtung.<br />

PERSONALWIRTSCHAFT 02_2<strong>01</strong>8<br />

Unsere Topthemen im Februar<br />

TITEL Jobausflüge<br />

Lasst die Talente frei<br />

Konfuzius sagt: „Was du liebst, lass frei. Kommt es zurück, gehört es dir –<br />

für immer.“ Wir wollen mal nicht zu pathetisch sein, dennoch tun Unternehmen<br />

gut daran, Mitarbeitern die Möglichkeit zu bieten auch mal<br />

woanders zu schnuppern. Auch auf die Gefahr hin, dass sie dann gehen.<br />

Was bringen Jobbaticals, Jobswaps, Social Sabbaticals und ähnliche Jobausflüge<br />

dem Unternehmen?<br />

SPECIAL HR Analytics<br />

Daten, die begeistern<br />

Immer mehr HR-Abteilungen beschäftigen sich mit der strukturierten<br />

Erfassung und Aufbereitung von Personal- und Kandidatendaten. Das<br />

Potenzial eines datenbasierten HR-Managements ist immens. Doch<br />

der Weg zu einem schicken Dashboard ist im Zweifel kürzer als der zu<br />

aussagekräftigen Datensätzen. Wir sprechen mit Datenexperten und<br />

stellen Lösungen von Unternehmen vor, die bereits erfolgreich auf People<br />

Analytics setzen.<br />

RECHT & POLITIK<br />

28-Stunden-Woche<br />

Arbeitsmarktpolitische Zäsur?<br />

Die IG Metall fordert neben 6 Prozent mehr Lohn auch die Einführung<br />

der 28-Stunden-Woche. Wie reagieren Personaler auf diesen Vorstoß:<br />

Erkennen sie darin einen innovativen Impuls für mehr Flexibilität im<br />

Interesse der Beschäftigten? Oder sehen sich veranlasst, die gewerkschaftliche<br />

Zuspitzung mit der Androhung von Streiks zum Anlass zu nehmen,<br />

ihre Unternehmen zur Tarifflucht aufzufordern?<br />

Die nächste Ausgabe der <strong>Personalwirtschaft</strong><br />

erscheint am 31. Januar 2<strong>01</strong>8.<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8 81


BLICK VON AUSSEN<br />

Kennzahlen wie giftige Pilze<br />

Niemand wird ernsthaft bestreiten, dass HR-Kennzahlen hilfreich sein können.<br />

Aber Personaler dürfen sich nicht hinter den Zahlen verstecken.<br />

VON PETER KREUZ<br />

u „Miss es oder vergiss es!“, sagt der Meister zum<br />

Lehrling. „Was du nicht messen kannst, kannst<br />

du nicht lenken“, sagt Management-Guru Peter<br />

Drucker. „Was man messen kann, das existiert“,<br />

sagt Max Planck.<br />

Also wird in Unternehmen gemessen, was messbar<br />

ist – und was nicht messbar ist, wird messbar<br />

gemacht. Wie giftige Pilze überwuchern die Kennzahlen<br />

jeden Winkel des Unternehmens und<br />

erzeugen die Illusion der Kontrolle. Im Personalwesen<br />

beispielsweise werden Kennzahlen erdacht<br />

wie die Know-how-Träger-Quote, die Quote der<br />

Mitarbeiterentwicklungsvereinbarungen, die<br />

Anzahl der eingereichten Verbesserungsvorschläge<br />

je Mitarbeiter, die Entsendungs- und<br />

Rückkehrquote oder die Fluktuationsrate.<br />

Man kann all das bis zur letzten Kommastelle rechnen, in mannigfaltigen<br />

Korrelationen, Medianen oder Standardabweichungen<br />

abbilden und tagesaktuell aufbereiten. Nur: Was sagt es dann<br />

aus? Ein Beispiel: Was bedeutet der Faktor „Fluktuationsquote“?<br />

Dass die Mitarbeiter zufrieden sind? Unzufrieden sind? Dass<br />

sie keine Alternativen haben? Dass die Klugen gehen und die<br />

Schwachköpfe bleiben? Oder umgekehrt? Dass die Mitarbeiter<br />

nicht mobil sind? Dass dem Unternehmen frisches Blut fehlt?<br />

Was soll man jetzt mit den Messdaten, Quoten, Kennzahlen<br />

anfangen? Sind sie Entscheidungsgrundlage? Sind sie entscheidungsrelevant?<br />

Welche Antworten haben Sie damit bekommen?<br />

Und welche eben nicht? Und: Welche Frage haben Sie damit gar<br />

nicht erst gestellt?<br />

Die Praxis des Messens geht von der Objektivität von Zahlen aus.<br />

Doch das ist Unfug. Denn Zahlen sprechen nicht zu uns – wir müssen<br />

sie interpretieren. Es sind also vielmehr wir, die zu den Zahlen<br />

sprechen. Freud soll gesagt haben: „Wer nach dem Sinn fragt,<br />

ist krank.“ Aus der Sicht eines zahlenfixierten Personalwesens ist<br />

das genauso. Denn letztlich besteht der „Sinn“ des ganzen Messens<br />

darin, täglich Zahlenberge zu produzieren. So wird das Messen<br />

zum Selbstzweck, der enorme Ressourcen verschlingt und<br />

alle nicht messbaren Aspekte in den Hintergrund drängt.<br />

Foto: Sebastian Weindel<br />

„Initiative durch<br />

Kennzahlen?<br />

Leidenschaft durch<br />

finanzielle Zielgrößen?<br />

Ein Witz!“<br />

Gefährlich ist auch die Überzeugung, man könne<br />

Menschen mit Zahlen motivieren. Da wird<br />

dann als Ziel eine prozentuale Quote aufgerufen,<br />

woran wiederum Belohnungs- und Anreizsysteme<br />

gekoppelt werden, damit die zu erreichenden<br />

Zahlen in Fleisch und Blut übergehen<br />

und jede Minute des Arbeitslebens darauf ausgerichtet<br />

ist. Das bedeutet nichts anderes, als Menschen<br />

zu konditionieren, nur noch die Dinge zu<br />

tun, die messbar und planbar sind und belohnt<br />

werden können. Wer wird dann noch kreativ<br />

und innovativ sein? Originell und experimentierfreudig?<br />

Agil und risikobereit?<br />

Hinzu kommt, dass die Dinge, die in der Zukunft<br />

– die heute schon begonnen hat – zum entscheidenden<br />

Wettbewerbsvorteil werden, nur schwer<br />

oder gar nicht messbar sind! Wie wollen Sie beispielsweise<br />

messen, wie kreativ und originell die von einem Mitarbeiter<br />

gewählte Problemlösung ist? Durch ein innerbetriebliches<br />

Komitee? Durch eine Casting-Jury? Durch einen standardisierten<br />

Fragebogen? Durch eine datenbasierte Analyse via Stochastiksoftware?<br />

Die Tagesleistung in Form von Stückzahlen des<br />

Akkordarbeiters ist leicht messbar; Kreativität, Engagement und<br />

Leidenschaft sind es nicht. Letztere sind aber genau die Dinge, die<br />

dazu beitragen, dass Ihr Unternehmen auch in Zukunft noch im<br />

Markt mitspielen kann.<br />

Die besten Talente stellen sich auf der Suche nach einem Job, der<br />

sie begeistert, völlig andere Fragen: Gibt es in diesem Unternehmen<br />

überhaupt Ziele außerhalb des Erreichens der Zahlen? Will<br />

ich in einem solchen Unternehmen arbeiten? Und: Habe ich dort<br />

die Chance, mit meiner Arbeit einen Unterschied zu machen?<br />

Beginnen Sie also nicht damit, Dinge zu messen, die es gar nicht<br />

wert sind, gemessen zu werden. Fragen Sie sich lieber, welche Dinge<br />

es überhaupt wert sind, getan zu werden.<br />

p<br />

DR. PETER KREUZ unterstützt Führungskräfte dabei, in einem Umfeld von Digitalisierung,<br />

Disruption und Komplexität erfolgreich zu navigieren. Er hält weltweit Vorträge, ist<br />

Sparringspartner für CEOs und unterstützt Start-ups.<br />

82<br />

<strong>Personalwirtschaft</strong> <strong>01</strong>_ 2<strong>01</strong>8


Didaktik [die] wirkt.<br />

> Meet us @ LEARNTEC 2<strong>01</strong>8


“Inspiring Recruiting Professionals!”<br />

EXPOFESTIVAL für<br />

Lösungen im Recruiting,<br />

Talentmanagement &<br />

Employer Branding<br />

22. März 2<strong>01</strong>8<br />

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