E_1938_Zeitung_Nr.085
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BERN, Freitag, 21. Oktober <strong>1938</strong><br />
Automobil-Revue - II. Blatt, Nr. 85.<br />
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Die Italiener<br />
Wir beginnen mit den Italienern, weil sie in anerkennenswerter<br />
Bescheidenheit zu den wenigen<br />
Nationen gehören, die nicht für sich die Ehre in<br />
Anspruch nehmen, das erste Automobil erfunden<br />
zu haben und dabei doch selbst die geborenen<br />
Automobilisten sind. Die Einstellung des Italieners<br />
zu seinem Wagen ist die einer leidenschaftlichen<br />
Liebe. «Nur mittelmäßige Leidenschaften leben lange,<br />
die allzugrossen ersticken in ihrer eigenen Fülle>,<br />
sagt Oscar Wilde irgendwo. Und als Zeichen einer<br />
allzu stürmischen Liebe gehen auch viele Wagen<br />
in Italien vorzeitig in die Brüche. Beileibe<br />
nicht etwa durch eine besonders hohe Zahl von<br />
Unfällen. Dazu fahren die Jungen dort unten viel<br />
zu gut, aber weil es auch dem besten Wagen auf<br />
die Dauer nicht gut tut, wenn man selbst auf der<br />
alltäglichen Fahrt ins Bureau nur mit Temperament,<br />
Vollgas und jaulenden Reifen um die Ecken schiebt<br />
und dabei träumt, man sei Nuvolari..,<br />
Die Deutschen<br />
Von allen unterhalten sie die korrektesten Beziehungen<br />
zu ihren Fahrzeugen. Die Betriebsvorschriften<br />
hat man gründlichst studiert, Oel wird<br />
auf den Kilometer genau erneuert und in der Garage<br />
geht alles, was mit der Pflege des Wagens<br />
zusammenhängt, pünktlich wie am Schnürchen. Erstens<br />
weil sich das so gehört, zweitens überhaupt<br />
und drittens schon aus Respekt vor dem Vermächtnis<br />
der beiden grossen deutschen Pioniere Gottlieb<br />
Daimler und Karl Benz, die bekanntlich...<br />
usw.<br />
In technischer Beziehung bildet der tHobby»<br />
des deutschen Konstrukteurs die «Strassenlage».<br />
Möglich, dass der Verfall des deutschen Strassennetzes<br />
in der unmittelbaren Nachkriegszeit ebenso<br />
wie übrigens in der Tschechoslowakei und in<br />
Oesterreich den Anlass gegeben hat, einen besonders<br />
grossen Teil der technischen Forschung auf<br />
das Gebiet der Federung und Bodenfestigkeit zu<br />
konzentrieren. Uebrigens mit vollem Erfolg I Die<br />
italienischen, französischen und viele der englischen<br />
Automobile sind zwar schneller und die<br />
Amerikaner beschleunigen besser, die Wagen<br />
aber, deren Reisedurchschnitt ihrer Spitzengeschwindigkeit<br />
am nächsten liegt, sind die Deutschen.<br />
StrassenlageI ... Auch im deutschen Strassenverkehr<br />
herrscht — vermöge eines engmaschigen<br />
Netzes von Vorschriften — Ordnung. Was<br />
aber nicht bewirkt, dass dort die Ratschläge:<br />
«doch mal lieber mit "nem Kinderwagen zu fahren><br />
seltener wären oder die Fahrzeuge weniger<br />
oft gegeneinandergeraten als anderwärts...<br />
Die Engländer<br />
Was beim Italiener Leidenschaft, beim Oesterreicher<br />
einen leichten Flirt und bei dem Deutschen<br />
eine Art «Dienstreglement» bedeutet, ist beim Engländer<br />
aufrichtige Kameradschaft. Britische Freundschaften<br />
werden nicht leicht geschlossen, aber<br />
sie halten lange. Auch was die Autos betrifft und<br />
im diametralischen Gegensatz zum Amerikaner,<br />
der jedes Jahr einen neuen Wagen haben muss,<br />
sieht man in England Leute, die sich jeden<br />
Tag einen solchen kaufen könnten, in ihren Rolls-<br />
Royce-Limousinen, Baujahr 1912, herumfahren.<br />
Denn man ist konservativ, man weiss, was man tut,<br />
und wenn die anderen sehen, dass man schon vor<br />
dem Krieg für sein Geld einen Wagen zu kaufen<br />
verstanden hat, der noch heute so verlässlich<br />
ist, wie mancher neue, so schadet's auch nichts!<br />
Selbst aktive Sportleute, die einen oder auch<br />
mehrere jener immer schneller und kleiner werdenden<br />
englischen Sportwagen besitzen, bei<br />
deren Anblick dem Geschwindigkeitsenthusiasten<br />
das Herz im Leibe lacht, haben daneben aus<br />
reiner Pietät oft noch ein etwas ältliches, befremdendes<br />
Fahrzeug, das aussieht, als habe damit<br />
Lord Nelson Lady Hamilton aus Gainsboroughs<br />
Atelier abgeholt. Auch an Höflichkeit ist der Engländer<br />
im Straisenverkehr unerreicht und die plötzlich<br />
an der Rückwand eines Wagens, dem man<br />
die Vorfahrt freigegeben, auftauchende Inschrift<br />
«Thank You» kann als Zubehörteil überhaupt nur<br />
im Bereich der britischen Inseln entstanden seinl<br />
Die Amerikaner<br />
Für sie ist noch ungleich mehr als für die Franzosen<br />
die mechanische Seite des Automobils zu<br />
einer Selbstverständlichkeit und dieses selbst aus<br />
einem Wertgegenstand zu einem Konsum- oder<br />
gar Modeartikel geworden. Auch auf einen Liter<br />
Mehrverbrauch kommt es im Lande des billigen<br />
Benzins nicht an, und dass feinere Unterschiede<br />
in der hohen Spitzenleistung der grossvolumigen,<br />
von der Industrie in USA mit unerschöpflichen<br />
Mitteln geschaffenen Motoren auf den Nordamerikanischen<br />
Strossen weitgehend uninteressant würden,<br />
dafür sorgt schon der wachsame «Cop» auf<br />
seinem schnellen, auf den Kriminalfilmen bekannten<br />
Motorrad...<br />
Seine Majestät der Käufer betritt die Showrooms<br />
einer prominenten Automarke im Zentrum<br />
New-Yorks. Es geht ihm dabei ähnlich, wie allen<br />
Souveränen seit Erschaffung der Welt. So wie<br />
sie den Ueberredungskünsten ihrer Untertanen —<br />
— meist heissen sie Minister — ausgeliefert sind,<br />
passiert es ihm mit jenen des schlichten Verkäufers.<br />
In diesem Fall — wie in USA selbstverständlich<br />
— ein besonders smarter junger Mann: «Kein<br />
Zweifel, Mister X., dass für eine Kundschaft wie<br />
Sie nur unser neue «Super-Tornado <strong>1938</strong>» mit Patent-«Elbow-Action»<br />
in Frage kommt. Gegenüber<br />
seinem von keiner Konkurrenz übertroffenen Vorgänger<br />
ist dieses neue Modell nachweislich um<br />
67%% besser und um 40%% billiger, wobei besonders<br />
zu bemerken wäre, dass schon beim alten<br />
Modell nicht mehr geschaltet zu werden brauchte,<br />
bei diesem aber noch um 11%% weniger oft!<br />
Yes, Sirl Ferner wird durch den letzten «Super-<br />
Tornado» eine ganz neue Note in das Automobiljtfesen<br />
gebracht: Statistisch wurde nachgewiesen,<br />
dass seit Einführung des New Deal ein amerikanischer<br />
Bürger sein Auto in höchstens 5 Jahren, 6<br />
Monaten, 4 Tagen, 8 Stunden, 52 Minuten amortisiert<br />
haben muss. Bis zu diesem Zeitpunkt garantiert<br />
die Tornado-Company, dass an dem Wagen<br />
nicht die geringsten mechanischen Anstände auftreten.<br />
Nach diesem Augenblick sind sämtliche<br />
Teile gleichzeitig restlos verbraucht, so dass der,<br />
der dann den Wagen auf dem Autofriedhof stehen<br />
lässt, dies nicht mehr mit dem bedrückenden<br />
Gefühl zu tun braucht, dass er einen Teil seines<br />
Geldes beispielsweise für eine noch zu verwendende<br />
Polsterung ausgegeben hat, die er jetzt,<br />
wegen Zusammenbruch des Restes, wegwerfen<br />
muss. Yes, Sirl Es ist das gleiche wie bei einem<br />
Paar Schuhe. Sind ihre Sohlen durch und Sie<br />
müssen daher Ihre Schuhe fortwerfen, obwohl das<br />
Oberleder noch wie neu ist, so haben Sie damiT<br />
Geld nutzlos vertan, denn nur in Europa wird,<br />
wie ich kürzlich gelesen habe, noch der lächerliche<br />
Versuch gemacht, derartige Erzeugungsfehler<br />
dadurch zu korrigieren, dass man gebrauchte<br />
Schuhe neu besohlen lässt. Ich erzähle Ihnen dasalles<br />
nur zur Illustration für die Leistung der Tornado-Co.,<br />
denn für einen Mann wie Sie ist es selbstverständlich,<br />
dass er seinen Wagen jedes Jahr gegen<br />
das neue Modell eintauscht. Darum sind wir<br />
auch von dem gleichfalls in Europa entstandenen<br />
Irrtum abgekommen, die Kühlerform als Kennzeichen<br />
der Marke zu betrachten. Vielmehr ist es<br />
jene des Erzeugungsjahres und bei allen Firmen in<br />
USA immer die gleiche! Jedermann sieht dann auf<br />
den ersten Blick, dass Sie immer schon die neueste<br />
Type besitzen, während Ihre Konkurrenten Smith<br />
und Jones noch mit den lächerlichen veralteten<br />
Modellen des Vorjahres herumfahren. Das sind<br />
Sie Ihrem Kredit schuldig. Von besonderen ausschliesslichen<br />
Neuheiten am Super-Tornado erwähne<br />
ich nur ein Radio, das beim Erklingen eines<br />
Tangos im Wagen automatisch eine stimmungsvolle<br />
rote Beleuchtung einschaltet, ferner einen<br />
Mechanismus, der die Schuhe der Fahrgäste in<br />
zweieinhalb Sekunden reinigt, wo diese beim Einsteigen<br />
die Füsse auf das Trittbrett setzen. Weiter<br />
wollen Sie hier bitte die beiden Scheiben beachten,<br />
von denen die eine die Namen verschiedener<br />
Orte in der Welt, die andere die der zwölf Monate<br />
trägt. Stellen Sie nun die eine Scheibe auf<br />
Palermo und die andere auf Januar, so haben Sie<br />
in dem hermetisch verschliessbaren Wagen in<br />
in einer Minute genau das Klima Siziliens im Winter.<br />
Das ist die höchste Stufe des «Air-Conditioning>l><br />
Und während sich das blanke Vorführungsmodell<br />
im Glänze vielfarbigen Lichtes plötzlich<br />
um seine Längsachse zu drehen beginnt, tanzen<br />
die unerwartet ous einer Versenkung aufgetauchten<br />
Tornado-Girls ein Ballett zu den Klängen des<br />
neuesten Tornado-Schlagers: «Motoring made<br />
easy>...<br />
Die Franzosen<br />
Vielleicht würden sie ihren Wagen mit dem<br />
gleichen Enthusiasmus gegenüberstehen wie die<br />
Italiener, wenn für sie das Automobil und seine<br />
Benützung nicht schon zu einer so absoluten<br />
Selbstverständlichkeit geworden wäre. Man vergesse<br />
nicht, dass bereits im Jahre 1862 der geniale<br />
Lenoir, die künftige Entwicklung vorausahnend,<br />
mit einem von ihm gebauten Automobil,<br />
das, allerdings nicht mit Benzin, sondern mit Gas<br />
betrieben wurde, von Paris nach Joinville fuhr:<br />
Gewohnheit stumpft ab... Gemeinsam mit den<br />
ihnen stammverwandten Italienern ist den Franzosen<br />
das hohe Niveau der Fahrkunst und des mechanischen<br />
Verständnisses. Nach Italien ist Frankreich<br />
zweifellos das Land, dessen Bewohner im<br />
Durchschnitt am besten fahren. Mit den Oesterreichern<br />
verbindet sie ihr ästhetischer Sinn. Ein Wagen<br />
für den französischen Käufer darf mitunter<br />
etwas extravagant sein, aber niemals hässjich.<br />
Auch mit ihren nordwestlichen Nachbarn, den<br />
Engländern, haben die Franzosen etwas Gemeinsames,<br />
die Höflichkeit im Strassenverkehr. Wenigstens<br />
was die Herrenfahrer betrifft. Geraten im<br />
Pariser Verkehrsgewimmel, in dem die Verkehrspolizei<br />
der Initiative und Fghrkunst der Lenker<br />
einen Spielraum lässt, wie sonst kaum irgendwo<br />
in der Welt, einmal zwei Automobilisten zum<br />
Schaden ihrer Kotflügel aneinander, so hört man<br />
deshalb nur selten ein Streitwort: Zwei Visitkarten<br />
flattern, «Pardon, Monsieur», — wozu ist man<br />
schliesslich versichert? — und bevor ein Polizist<br />
den Vorfall auch nur wahrgenommen hat, sind<br />
beide im Strom des Verkehrs untergetaucht.<br />
Victor E. de Strasser-Silton.