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E_1939_Zeitung_Nr.075

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UNTERHALTUNGS<br />

BERN, Dienstag 26. September <strong>1939</strong><br />

S E I T E N D E R A U T O M O B I L - R E V U E<br />

Automobil-Revue - II. Blatt, Nr. 75<br />

rückgerufen wird, was auch unfehlbar jedesmal<br />

geschieht, worauf der Handel dann jeweilen auf<br />

der Basis eines Kompromisses zustande kommt,<br />

das heisst die beiden Begegnen sich mit ihren Forderungen<br />

auf halbem Wege: der Käufer gibt<br />

einen Drittel zu und der Verkäufer reduziert sein<br />

Angebot um einen Drittel! Anders geht es nun einmal<br />

in Petticoat Lane nicht, gerade so wenig als<br />

in Bagdad oder Aleppo.<br />

Es geschieht, dass man vor einer der bescheidenen<br />

Buden eine prächtige Limousine halten<br />

sieht,, aus der Bude kommt der patriarchalisch<br />

aussehende alte Mann, und die dicke Frau mit den<br />

krummgetretenen Absätzen, aus dem Auto beugt<br />

sich ein eleganter, junger Mann, um die beiden<br />

ehrerbietig zu küssen, die alte und die neue Generation,<br />

jene hat gehungert, um dieser eine bessere<br />

Erziehung zuteil werden zu lassen. Hundert Jahre<br />

scheinen dazwischen zu liegen und manch eine<br />

Tragödie, denn des Sohnes Wege sind nicht mehr<br />

des Vaters Wege, zwischen ihnen hat sich eine<br />

fast unüberbrückbare Kluft aufgetan.<br />

So ist Petticoat Lane, das Ghetto Londons.<br />

Um aus dieser orientalischen Atmosphäre nach<br />

Old England zurückzufahren, sind Sie nicht auf<br />

den Orient-Express angewiesen, sondern Sie tun<br />

das am billigsten und schnellsten mit einem<br />

«pennyride».<br />

Sissy.<br />

Das Auto<br />

Der Heurige verspricht gut zu werden<br />

Jean Jacques war 22 Jahre alt. Welch ein Alterl<br />

Und dazu stelle man sich die glückliche Lage<br />

vor, in der er sich, befand.<br />

Jean Jacques hatte beim letzten Studentenball<br />

das grosse Los gezogen, was 3 Wochen Ferien an<br />

der C6te d'Azur bedeutete.<br />

Und nun sass er auf der Hotelterrasse des Bavaria-Hotels<br />

und hörte sich das Nachmittags-Konzert<br />

an.<br />

Aber Jean Jacques hatte wenig Interesse für<br />

Rapsodien und Potpourris. Und dies war verständlich,<br />

denn das Sujet, das seine Aufmerksamkeit in<br />

Anspruch nahm, hiess Vivian, was er allerdings<br />

nicht wusste, und war eine äusserst reizende<br />

junge Dame, die gerade Jean Jacques gegenüber<br />

sass.<br />

Seine etwas unsichern Blicke erzielten bei ihr<br />

leider nicht die geringste Wirkung, so dass er es<br />

denn auch gar nicht wagte, sie anzusprechen. Und<br />

Jean Jacques dachte resigniert, dass er auch wirklich<br />

nichts besass, womit er bei Vivian Eindruck<br />

machen könnte. Weder einen Rolls-Royce noch<br />

eine Yacht. An seine persönlichen Eigenschaften<br />

dachte er gar nicht.<br />

Als sein hübsches Gegenüber Anstalten machte,<br />

zu gehen, erhob sich auch Jean Jacques. Als er<br />

durch die Drehtüre trat, blickte er nochmals unauffällig<br />

zurück und sah, dass «sie» ebenfalls durch<br />

den Saal kam.<br />

Er stieg die breite Hoteltreppe hinunter und<br />

betrachtete dabei wehmütig die prächtigen Wagen,<br />

die vor dem Hotel parkierten.<br />

Da kam Jean Jacques ein Gedanke.<br />

Er schlenderte auf einen prächtigen Studebaker<br />

zu und stand lässig auf das Trittbrett. Darauf<br />

zündete er sich eine Zigarette an, und suchte<br />

gedankenverloren den Schlüssel zu «seinem» Wagen.<br />

Vivian kam eben die Hoteltreppe hinunter<br />

und musterte ihn mit einem erstaunten Blick. Jean<br />

Jacques sah es wohl und seine Brust dehnte sich<br />

vor Genugtuung. Er würde in der Achtung Vivians<br />

gewaltig steigen, und er sah sich schon mit ihr<br />

allein im Mondschein am Meeresstrande wandeln.<br />

Vivian ging an den vielen Autos vorbei und<br />

kam dann geradewegs auf Jean Jacques zu. Sie<br />

blieb vor ihm stehen und lächelte ihn freundlich<br />

an.<br />

Sein Herz schlug schneller.<br />

Dann entnahm Vivian ihrer Handtasche einen<br />

kleinen Schlüsselbund.<br />

Jean Jacques wurde unsicher.<br />

Aber Vivian lächelte noch immer und freundlich<br />

sagte sie zu ihm: «Gestatten Sie vielleicht...»<br />

Und sie trat auf den Wagen zu, öffnete ihn<br />

und Hess den Motor laufen. Darauf nickte sie<br />

Jean Jacques zu, steuerte elegant auf die Hauptstrasse<br />

und fuhr davon. Als der Wagen hinter den<br />

Villen verschwand, hupte sie noch dreimal laut.<br />

Dieses Hupen weckte Jean Jacques aus seiner<br />

Erstarrung. Sein Gesicht bekam langsam wieder<br />

Farbe. Er suchte sein Hotel auf und packte seine<br />

Koffern, ohne die drei letzten Ferientage zu ge~<br />

niessen. Denn er wäre lieber gestorben als Vivian<br />

nochmals unter die Augen zu treten.<br />

AI. Byland.<br />

Die Unterrockstrasse<br />

So kann nur eine verrufene Strasse heissen,<br />

denken Sie! Fehl geraten! Die Unterrockstrasse hat<br />

nichts Verrufenes, nichts Dekadentes an sich, im<br />

Gegenteil, es ist eine Strasse, die Charakter und<br />

Stil hat, vielleicht mehr als der Broadway in New<br />

York oder die viel gerühmte Diagonale von Barcelona.<br />

Allerdings, mit deren Glanz kann sie sich<br />

nicht messen, aber darin gleichen sich eben die<br />

Strossen den Menschen: ihr Charakter, ihre Bodenständigkeit<br />

und Anständigkeit hängt durchaus<br />

nicht von der äusseren Aufmachung ab, von Bügelfalten<br />

und auswattierten Achseln, von kostbaren<br />

Pelzhüllen und Juwelen, im vorliegenden Fall weder<br />

von tadellos nivellierten Asphaltflächen und<br />

verschwenderisch breiten Trottoirs, noch von der<br />

raffinierten Beleuchtungsanlage oder den blendenden<br />

Lichtreklamen. — Selbstverständlich kann es<br />

sich auch nicht um eine jener vornehmen aristokratischen<br />

Strossen handeln, wie die Rue de la<br />

Paix in Paris oder die Potsdamerstrasse in Berlin,<br />

denn wie käme sie dazu mit ihrem etwas lächerlichen<br />

Namen? So wenig als der biedere Herr<br />

Binggeli zu einem Peerage oder einer Grafenkrone.<br />

Und natürlich hat die Unterrockstrasse auch<br />

nichts Heldenhaftes im weiteren Sinne des Wortes<br />

an sich, zu der Via deH'Irnpero in Rom oder der<br />

Avenue des Champs Elysees in Paris verhält sie<br />

sich ungefähr wie Herr Binggeli zu Julius Cäsar<br />

oder Napoleon. (Freilich an unbekannten Alltagshelden<br />

fehlt es ihr nicht.) Viel eher Messe sich vielleicht<br />

eine Verwandtschaft feststellen mit der<br />

Kashba in Algier oder den Souks in Kairo. Entgegen<br />

Ihrer Annahme, befindet sich diese Strasse<br />

nicht im Hafenviertel St. Pauli von Hamburg, noch<br />

in Galatz oder Braila, sondern in der sehr prüden,<br />

sehr korrekten Stadt London, und deshalb heisst<br />

die Strasse auch genau genommen Petticoat Lane,<br />

was aber ein und dasselbe ist.<br />

Sie möchten ein Stück Orient sehen? Dann fahren<br />

Sie nach Whitechapel, dem Osten Londons<br />

und besuchen Sie Petticoat Lane, Sie können sich<br />

ein Billett nach Aegypten ersparen.<br />

Hier haben Sie den Orient ohne Lepra, ohne<br />

Pocken, ohne Fliegen und ohne die schlechten<br />

Wohlgerüche des Orients, sofern man den Knoblauchgeruch<br />

nicht dazu zählt. — Eigentlich ist<br />

Petticoat Lane nur ein schmaler Weg zwischen<br />

zwei Hecken aus bunten Waren, die die Strasse<br />

auf beiden Seiten einsäumen. Die Früchtehändler<br />

stellen hier ihre Pyramiden goldiger Orangen,<br />

Ananas und Datteln auf, der Schuhhändler bewacht<br />

seinen dunklen Berg von Schuhen aller<br />

Grossen und Farben und die Tuchhändler laufen<br />

hin und her mit bunten, glänzenden Stoffen, die<br />

sie malerisch über die Schulter geworfen haben,<br />

und unter ihnen allen wandeln jene im Orient so<br />

wohlbekannten Individuen, die durch eine Handvoll<br />

Gemüse oder drei unreife Orangen den Preis<br />

der regulären Verkäufer zu unterbieten suchen.<br />

Merkwürdige Speisen werden zum Verkauf angeboten:<br />

dieselben, die man in den Garküchen von<br />

Saloniki oder Port-Said zu sehen bekommt.<br />

Weit interessanter aber als die Waren sind die<br />

Menschen dieser Strasse. Die jungen Mädchen,<br />

vollschlank und graziös mit vollem, schwarzem<br />

Haar und dunklen, leidenschaftlichen Augen, die<br />

Frauen, dick und rund mit kurzen festen Füssen,<br />

die in noch kürzere Schuhe mit hohen krummgetretenen<br />

Absätzen gezwängt sind, und viele Ringe<br />

an kurzen, dicken Würstchenfingern, tragen. Die<br />

Männer mit olivenfarbenem Teint und dunklen Barten,<br />

die im Gegensatz zu den Engländern, die das<br />

sehr shocking finden, mit Vorliebe ihre Reden mit<br />

Gesten und gespreizten Fingern begleiten.<br />

Käufe werden hier nicht direkt getätigt wie in<br />

Oxfordstreet oder anderswo in London, sondern<br />

auf dem Umwege des Marktens. Auf die Frage:<br />

«Was kostet dies?» des Käufers folgt unweigerlich<br />

die Gegenfrage: «wie viel wollen Sie dafür<br />

geben?», worauf aas für uns so widrige, für den<br />

Orientalen aber durchaus als selbstverständlich<br />

empfundene Feilschen beginnt, wobei sich immer<br />

dasselbe Schauspiel wiederholt: Der Eingeweihte<br />

nennt einen unmöglich niedrigen Preis, der Verkäufer<br />

verdoppelt ihn und besteht anscheinend<br />

darauf. Der Käufer wiederum tut, als ob ihn dieser<br />

nicht im geringsten interessiere und geht weiter,<br />

er ist aber ganz sicher, dass er vom Verkäufer zu-<br />

Pause im Atelier

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