E_1940_Zeitung_Nr.005
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BERN, Dienstag, 30. Januar <strong>1940</strong><br />
Automobil-Revue - II. Blatt, Nr. 5<br />
römische Kolonie soll er im Jahre 542 vor Christi<br />
in Gallien eingeführt worden sein. Dort entdeckte<br />
man auch sehr früh schon, dass die Reben durch<br />
Aufpfropfen fremder Schösslinge verändert und<br />
der Ertrag veredelt werden könne. In der Folge<br />
war besonders auch Karl der Grosse ein eifriger<br />
Förderer des Weinbaues, der ihm an den Ufern<br />
des Rheins und der Mosel Heimatrecht erwarb.<br />
Durch die Kreuzzüge kamen schliesslich vielerlei<br />
fremde Weinsorten aus dem Orient nach den<br />
europäischen Ländern, die nach und nach im vorhandenen<br />
Rebbestand aufgingen und immer neue<br />
Varietäten hervorbrachten.<br />
Wohlauf noch getrunken<br />
Die Geschichte des Weinbaues und der Weinkultur<br />
ist einer der wichtigsten und nachhaltig<br />
wirkendsten Faktoren in der Geschichte der<br />
menschlichen Kultur, Zivilisation und Geselligkeit,<br />
der weder fibersehen noch verkleinert werden darf.<br />
Wenn Escoffier, der grosse Theoretiker der<br />
Gastronomie und Altmeister lukullischer Genüsse,<br />
davon spricht, dass die Geschichte der Küche<br />
auch die Geschichte der Kultur und der<br />
Zivilisation sei, so darf man in noch viel positiverem<br />
Sinn von der Kulturmission des Weines<br />
sprechen, und man könnte dafür das Zeugnis der<br />
grössten Denker und Dichter seit den Zeiten<br />
Anakreons bis auf den heutigen Tag anrufen ...<br />
Goethe sagt, dass die Liebe und der Wein die<br />
beiden göttlichen Segnungen und Beseligungen der<br />
Menschheit seien. Ohne sie wären wir, aus Dadalos<br />
rastlosem Geschlecht, Enterbte und Erdgebundene;<br />
denn alles, was an Kunst und Kultur geschaffen<br />
wurde, hat seinen Urgrund in Eros und<br />
Bacchus. *<br />
Die Dichter, welche mit hohem Herzschlag die<br />
Liebe besangen, brauchten seit den Zeiten Anakreons,<br />
des goldlockigen Dichterjünglings und<br />
Bacchussängers aus Theos, dem Lande der Ionier,<br />
neben dem Brot auch den mit Traubenglut gefüllten<br />
Becher:<br />
Aus ihm erblühte ihnen der Rausch der ergriffenen<br />
Worte und die Musik der herzbetörenden<br />
Rhythmen.<br />
•<br />
Wie der Kulturhistoriker glaubt beweisen zu<br />
können, würde die Rebe, die vitis vinifera der<br />
Römer von Asien her, und zwar aus dem Zweiströmeland<br />
zwischen Euphrat und Tigris, und aus<br />
Eine Plauderei über den Wein. Von Johannes Vincent Venner<br />
Aegypten, über Griechenland und Italien nach<br />
Frankreich, Deutschland und der Schweiz gebracht.<br />
In Palästina kannte man den Wein schon zu<br />
Abrahams Zeiten; heisst er doch im Alten Testamen:<br />
«Der Wein erfreut des Menschen Herz!» Ein<br />
moderner Kultur- und Weinphilosoph hat in launiger<br />
Weise die Bibel auf ihre Stellungnahme zum<br />
Wein hin untersucht und ungezählte Sentenzen gefunden,<br />
die den Weinfreund ermuntern und den<br />
Süffel warnen. Mögen ein paar besonders träfe hier<br />
aufgefrischt werden:<br />
Der Prediger Salomo fragt im 2. Kapitel, Vers<br />
24: «Ist es nun nicht besser dem Menschen essen<br />
und trinken, und seine Seele guter Dinge sein in<br />
seiner Arbeit? Aber solches sähe ich auch, dass<br />
es von Gottes Hand kommt.» Salomo ist ein lebensfroher,<br />
Prediger; denn neben guten Manieren<br />
empfiehlt er uns den Lebensgenuss recht eindringlich:<br />
«So gehe hin und iss dein Brot mit Freuden,<br />
trink deinen Wein mit gutem Mut; denn dein<br />
Werk gefällt Gott.<br />
Lass deine Kleider immer weiss sein, und lass<br />
feinem Haupte Salbe nicht mangeln. Brauche des<br />
Lebens mit deinem Weibe, das du lieb hast, so<br />
lange du das eitle Leben hast, das dir Gott unter<br />
der Sonne gegeben hat, so lange dein eitles Leben<br />
währet; denn das ist dein Teil im Leben und in<br />
deiner Arbeit, die du. tust unter der Sonne.<br />
Alles, was dir vorhanden kommt zu tun, das tue<br />
frisch; denn in der Hölle, da du hinfährest, ist weder<br />
Werk, Kunst, Vernunft, noch Weisheit.»<br />
Und Jesajas will.den Most in der Traube nicht<br />
verderben lassen; denn es ist ein Segen darin, aber<br />
«Wehe denen, die des Morgens frühe auf sind, des<br />
Saufens sich befleissigen, und sitzen bis in die<br />
Nacht, dass sie der Wein erhitzet...» Fast modern<br />
mutet uns ein Spruch Jesus Sirachs, des antiken<br />
Sittenlehrers an, der sagt: «Ein neuer Freund ist<br />
ein neuer Wein, lass ihn alt werden, so wird er dir<br />
wohlschmecken.» Und in einem andern Kapitel<br />
seiner «Meschalim», seiner Gnomen oder Sittensprüche<br />
lesen wir: «Der Wein erquickt den Menschen<br />
und das Leben, so man ihn massig trinkt.<br />
Was ist das Leben, da kein Wein ist? Der Wein<br />
ist geschaffen, dass er den Menschen soll fröhlich<br />
machen. Schilt deinen Nächsten nicht beim Wein<br />
und schmähe ihn nicht in seiner Freude.» Und beschliessen<br />
wollen wir diese kräftigen Sittensprüche<br />
mit der folgenden Weisheit: «Der Wein massig genossen,<br />
erfreut Leib und Seele. Aber so man zuviel<br />
trinkt, bringt er Herzeleid, dieweil man sich<br />
reizt und widereinander streitet. Ein Arbeiter, der<br />
sich gern vollsäuft, wird nicht reich. Sei nicht ein<br />
Weinsäufer, mahnt er daher eindringlich, denn der<br />
Wein bringt viele Leute um, und die Trunksucht<br />
macht einen tollen Narren viel toller.»<br />
Wir wissen, dass der Wein in Palästina allgemein<br />
verbreitet war. Um Jericho und Hebron waren<br />
an den Berghängen terrassenförmige Rebkulturen<br />
und in gut bewässerten Ebenen, von Hecken<br />
und Mauern umfriedet, Weingärten angelegt, in<br />
denen turmähnliche Wächter- und Kelterhäuschen<br />
standen.<br />
Auch in Aegypten baute man viel Wein, und<br />
Osiris war der Gott dieses Herbstsegens, während<br />
er in Griechenland als ein Geschenk des Dionysos<br />
galt. Schon Homer rühmt alte, gepflegte Weine<br />
als den würdigsten und schönsten Vorrat eines<br />
fürstlichen Haushaltes.<br />
In Italien machte sich besonders Cato um die<br />
Ausbreitung des Weinbaues verdient Durch eine<br />
Im Mittelalter machte die Weinkultur wesentliche<br />
Fortschritte. Die ^Vorzüge und Charaktere<br />
der einzelnen Sorten wurden nach und nach erkannt<br />
und gewürdigt.<br />
Ein Kurier des Bischofs Johann von Fugger<br />
musste diesem auf einer Romfahrt vorausreisen,<br />
um ausfindig zu machen, wo die besten Weine<br />
ausgeschenkt wurden. Dort machte der weinselige<br />
Prälat jeweils Halt.<br />
Als er in das Gebiet der würzigen Montefiascone<br />
kam, die ihm am köstlichsten mundeten, Hess<br />
er sich dort solange nieder, bis ihm eines Tages<br />
Gevatter Mors sachte den Pokal entwand.<br />
Und Kaiser Wenzel war es, der als erster die<br />
Vortrefflichkeit der bisher w,enig bekannten Weine<br />
aus der Champagne entdeckte. Er kam 1397 nach<br />
Reims, um mit Karl VI. von Frankreich einen Vertrag<br />
abzuschliessen. Als er den dortigen Wein gekostet<br />
hatte, fand er ihn so herrlich, dass er die<br />
Verhandlungen über den Vertrag immer länger<br />
hinauszog und nach dessen Abschluss sich ein<br />
weiteres Jahr im- gastlichen Reims seinen Champagnerstudien<br />
widmete, so dass die darüber ergrimmten<br />
deutschen Fürsten seine Absetzung beschlossen.<br />
Beim Abschied vertraute er dem Dau-<<br />
phin von Frankreich an, was ihn so lange in Reims<br />
gefesselt hatte, wodurch der Weltruf der Weine<br />
aus der Champagne begründet wurde.<br />
Aehnlich ging es den Weinen von Bordeaux,<br />
die in Paris, das damals schon in Frankreich und<br />
dem grössten Teil des Abendlandes tonangebend<br />
war, erst geschätzt wurden, als Ludwig XV. vernahm,<br />
dass ein gascognischer Edelmann sich von<br />
Bordeaux nach Paris Weine schicken liess. Nachdem<br />
er sie gekostet hatte, war er für sie begeistert.<br />
Welche Liebe und welches Verständnis dazu<br />
gehören, gute Weine auszuwählen und sie richtig<br />
zu behandeln, weiss jeder Weinbauer und jeder<br />
Weinfreund überhaupt. Ein Keller verlangt volle<br />
Hingabe und Verantwortung, auch wenn er nicht<br />
so viele Sorten enthält, wie der des Marcus Aenilius,<br />
eines reichen Freundes von Cicero, dessen<br />
Weinkantinen die berühmtesten des Mittelalters<br />
waren. Nicht weniger als 300 000 Amphoren. Wein<br />
von 195 verschiedenen Sorten will der römische<br />
Staatsmann und Orator dort gezählt haben:<br />
Se non e vero, e ben trovato... I