ÄRZTE OHNE GRENZEN Haben Sie niemals Angst, Frau Burtscher? INTER VIEW Die Vorarlbergerin Doris Burtscher macht gerade Urlaub in der Heimat. Die Ethnomedizinerin ist sonst oft im Ausland: in Afghanistan, im Libanon, im Kongo. Gerade erst war sie in Swasiland. Dort erforscht sie für Ärzte ohne Grenzen, welchen Stellenwert KrankheitundGesundheitinderjeweiligenRegionhaben.Nichtimmeristdasungefährlich. ••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••••• Als Ethnomedizinerin wird Doris Burtscher des Öfteren für eine Ärztin gehalten. Doch Burtscher praktiziert nicht, sieforscht. Wie sind Sie zum Thema Ethnomedizin gekommen? Mein Professor Armin Prinz hat mich überzeugt. Er hatschon in den 70er Jahren imKongo, demdamaligen Zaire, geforscht. Ich war dann bei einem Projekt im Senegal dabei, wo ich das erste Malmit Heilern gearbeitethabe. Wie haben Sie diese Arbeit erlebt? Heiler haben eine prominente Stellung im Dorf, das Dorfgefüge spielt eine große Rolle. Ist dieses System durch eine Krankheit gestört, versucht der Heiler, wieder Balance herzustellen. Wie macht der Heiler das? Durch ein sehr langes Gespräch mit den Patienten. Manche bleiben den ganzen Tag beim Heiler. Oft wird eine Krankheit auch als Strafe der Ahnen interpretiert. Diese Ahnen müssen dann besänftigt werden –etwa durch spezielle Riten. Auch Heilbäder, das Auftragen pflanzlicher Salben und Massagen können auf dem Therapieplan stehen. Was ist der markanteste Unterschied zwischen der westlichen Medizin und der anderer Weltgegenden? Es gibtein Begriffspaar: Krankheit und Kranksein. Die Krankheit ist der biomedizinische Aspekt. Das Kranksein aber ist das Befinden der Person. Etwas, das nicht mit Befunden zubelegen ist. Der Arzt kümmert sich um die Krankheit, der Heiler auch um das Kranksein. Das ist eine ganzheitliche Herangehensweise. Haben die Heiler im Senegal nun also das richtige System, um Krankheiten zu heilen oder braucht es da noch anderes? Mittlerweile arbeitenbeidemedizinischen Systeme gut zusammen. Beides erfüllt eine Aufgabe. Der Heiler übernimmt vieles, was bei uns ein Psychiater machenwürde. Was hat sich in den letzten Jahren verbessert? Gerade eben bin ich aus Swasiland zurückgekommen. Ich war schon zwei Mal davor dort. Eswar schön zu sehen, was sichdaschon alles in Sachen HIV/Aids verbessert hat. Viele Betroffene sind nun inBehandlung, es wird auch offener darüber gesprochen. Dort wirken die Sangomas, traditionelle Heilerinnen, die Diagnosen erstellen. Aus geworfenen Hölzchen lesen sie, woran die Person erkrankt ist. Wir wünschen uns eine Zusammenarbeit mit diesen Frauen. Mittlerweile gibt es orale Selbsttests für HIV. Die könnten die Heilerinnen verwenden. Daswürde in ihren Aufgabenbereich fallen –und sie behalten die wichtige Position, die sie in derGesellschafteinnehmen. Wie reagieren die Menschen vor Ort auf Sie? Viele sind erst einmal vorsichtig, wenn sie erfahren, dass ich von Ärzte ohne Grenzen bin. Erzähle ich aber von meinen Erfahrungen aus anderen Ländern, erwähne ich die traditionelle Medizin, werden die Menschen offener. Aber natürlich wird mir niemand etwas erzählen, wenn ich diese Methoden von Anfang an verurteile. Die meisten Heiler wissen auch wirklich genau, was sie tun. Schwierig wirdes, wennkeine erfahrenen Heiler mehr imLand sind –wie in Sierra Leone, wo viele praktizierende Heiler von Rebellen umgebracht worden sind. Da geht viel Wissen verloren. Männer und Frauen werden bei uns anders wahrgenommen und behandelt.Wie ist das im Rest der Welt? Das kommt darauf an. Frau- 6 s’Magazin
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