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Raus aufs Land – Leseprobe

Frische Eier, eingemachtes Obst und Gemüse, üppige Beete – Raus aufs Land zeigt, wie sich der Traum vom einfachen Leben in und mit der Natur verwirklichen lässt.

Frische Eier, eingemachtes Obst und Gemüse, üppige Beete – Raus aufs Land zeigt, wie sich der Traum vom einfachen Leben in und mit der Natur verwirklichen lässt.

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„Fast alle Bauern betreiben<br />

ihre Profession mit Leidenschaft<br />

und mit großem Respekt vor dem<br />

Kreislauf des Lebens.“<br />

Meine Reise in die Welt der Ernährung begann <strong>–</strong> wie so oft <strong>–</strong> in der<br />

eigenen Familie. Ich bin ein Arbeiterkind. Meine Eltern waren beide<br />

berufstätig. Als ich zehn war, sollte ich zum ersten Mal das Abendessen<br />

zubereiten. Im Küchenschrank fand ich jede Menge Fertigsoßen<br />

und Instantpulver <strong>–</strong> damals die topmoderne Lösung für eine<br />

ganze Generation vollzeitbeschäftigter Frauen und Männer. Meine<br />

Teenager-Mittagessen bestritt ich mit Fabrikweißbrot, Süßigkeiten,<br />

Schokolade und Limo. Die schönen Pausenbrote von zu Hause warf<br />

ich weg. Abends fühlte ich mich schlapp und hatte Kopfschmerzen.<br />

Ich hatte mich aus dem Nahrungszyklus komplett ausgeklinkt.<br />

So wie ich damals machen es auch heute noch viele Jugendliche.<br />

Wir wissen nicht, wo unser Essen herkommt, was es enthält und<br />

wie sich die Inhaltsstoffe auf unsere eigene Gesundheit und auf die<br />

unseres Planeten auswirken. Wir haben den Bezug zu unserer Nahrung<br />

und zu der damit verbundenen Zubereitungskultur verloren.<br />

Ich erinnere mich sehr gut an die Tage, die ich als Kind bei meiner<br />

Großmutter verbrachte. Wir blanchierten Kohlblätter und wickelten<br />

Hackfleisch darin ein: Kohlrouladen. Mein Leibgericht. Ich weiß auch<br />

noch genau, wie ich in unserer Familienhütte in den Bergen spät<br />

abends geweckt wurde, weil mein Onkel eine Bachforelle geangelt<br />

hatte, die dann <strong>–</strong> ganz schlicht zubereitet <strong>–</strong> auf dem Tisch stand.<br />

Ich habe an der <strong>Land</strong>wirtschaftshochschule Ökonomie und Ressourcenmanagement<br />

studiert. Durch Seminare über Ernährungskultur<br />

und einen Master-Studiengang in Lebensmittelkunde und<br />

ländlicher Entwicklung erfuhr ich mehr über die Warenkette in<br />

Norwegen. Ich jobbte außerdem in einem als Franchise betriebenen<br />

Convenience Store. Dort wurde ich ein Rädchen im Getriebe<br />

des zentral gesteuerten Eink<strong>aufs</strong>systems, das ganz Norwegen versorgt,<br />

und merkte, wie schwer es für Kleinerzeuger ist, mit nachhaltigen<br />

Produkten auf dem Markt Fuß zu fassen. Mir war nicht wohl<br />

dabei, Teil eines Systems zu sein, in dem in den Regalen kein Platz<br />

für unabhängige Food-Unternehmer ist, andererseits aber ihre Ideen<br />

geklaut werden, wenn sie in Gesprächen oder bei Produkt- Pitches<br />

ihre Erzeugnisse vorstellen. Preis und Menge haben Vorrang vor<br />

Qualität, Nährwert und dem Nutzen für die Gesundheit.<br />

Als ich mit 15 Jahren bei einer Fast-Food-Kette in den wohligen,<br />

aber unguten Geruch von Kartoffelpuffern und Chicken Nuggets<br />

eintauchte, ahnte ich nicht, dass ich auf meinem Ausbildungs- und<br />

Berufsweg immer mehr auf die Welt des Essens und der Kommunikation<br />

zusteuern würde. Je nachdenklicher ich wurde, umso mehr<br />

geriet ich in Opposition zum bestehenden System und umso zermürbender<br />

fand ich es, mit diesem System zu leben. Die ewigen<br />

Diskussionen über schnelle Profite, Größenvorteile und Hotdogs<br />

zehrten an meinen Kräften. Mein damaliger Chef und ich waren ein<br />

gutes Team, aber als er einmal länger krankgeschrieben war und ich<br />

einige seiner Aufgaben übernahm, wurde mir klar: So ging es nicht<br />

weiter. Um den Kopf frei zu bekommen, buchte ich erst einmal eine<br />

dreiwöchige Reise nach Buenos Aires.<br />

Ich wollte etwas Neues starten, hatte aber noch keine Idee,<br />

was das sein und wie ich es angehen könnte. Nach meiner Rückkehr<br />

baute ich mir ein Netzwerk auf und tat mich mit inspirierenden<br />

Menschen zusammen. Intensiv dachte ich darüber nach, was<br />

Nachhaltigkeit eigentlich konkret bedeutet. Am Ende hatte ich einen<br />

Businessplan für Food Studio und stellte einen Fördermittelantrag<br />

bei „Innovation Norway“. Wenig später war Food Studio meine Vollzeitbeschäftigung.<br />

Die Samenkörnchen, die ich in Buenos Aires gesät<br />

hatte, begannen aufzublühen.<br />

Food Studio<br />

Schon bald versammelte sich um mich ein Team aus Foto grafen,<br />

Autoren, Designern, Künstlern und interdisziplinär denkenden<br />

Akademikern. Auf der Suche nach einer prägnanten Formulierung<br />

für unsere Vision kam die Wortschöpfung „Food Empathy“ auf, die<br />

wir mehr und mehr als die treffendste Beschreibung für Food Studio<br />

empfanden. Unter „Food Empathy“ verstehen wir ein grundlegendes<br />

Wissen darüber, was Nahrungsmittel sind, wo sie herkommen,<br />

Unten <strong>–</strong> Das Gewächshaus haben Schülerinnen und Schüler gebaut. Wie vieles<br />

andere auf dem Hof muss es in Schuss gehalten werden. Im nächsten Frühjahr<br />

will das Food-Studio-Team das Gewächshaus wieder instand setzen.<br />

welchen Weg sie zurücklegen, welche Ressourcen in Form von<br />

Sonne, Boden und Gras in sie eingegangen sind. Dazu gehört auch<br />

das Bewusstsein, dass sie den Körper bereichern <strong>–</strong> schließlich sind<br />

es ja die Nahrungsmittel, die uns nähren, aus denen wir bestehen<br />

und die wieder zu Natur werden, wenn wir sie weg werfen oder verdauen.<br />

„Food Empathy“ entwickelt sich, wenn intensive sensorische<br />

Erfahrungen und der eigene natürliche Reifeprozess ineinandergreifen.<br />

Nur wenn wir anhand von Erfahrungen lernen, können wir<br />

unser Wissen zu einem Ganzen verbinden. Wenn wir etwas mit allen<br />

Sinnen wahrnehmen, entstehen Zusammenhänge, die ansonsten<br />

verloren gehen.<br />

Bei Food Studio ermöglichen wir Erfahrungen für Körper und<br />

Geist. Dazu bringen wir passionierte <strong>Land</strong>wirte, Köche, Forscher,<br />

Aktivisten oder Amateure mit Leuten aus allen Lebensbereichen zusammen<br />

<strong>–</strong> in Form von Vorträgen und Diskussionen oder beim Ernten,<br />

beim Sammeln oder beim Wandern in der Natur, jedenfalls immer<br />

in Gemeinschaft. Wir kochen gemeinsame Mahlzeiten, bei denen wir<br />

im wahrsten Sinne des Wortes verinnerlichen und „verdauen“, was<br />

wir gelernt haben. Unser Journalisten- und Forschernetzwerk dokumentiert<br />

unsere Aktionen in Artikeln, Filmen und Fotos, damit sie<br />

Oben <strong>–</strong> Food-Studio-Gründerin Cecilie Dawes im Wildgarten der Hegli Farm.<br />

Unten <strong>–</strong> Herbsternte: Grünkohl, Zucchini, Schnittlauch und Runkelrüben.<br />

öffentlich wahrgenommen werden. Unser Team verändert sich ständig,<br />

ist nicht ortsgebunden und arbeitet projektbasiert.<br />

Von Anfang an arbeiteten wir mit <strong>Land</strong>wirten aus der Umgebung,<br />

aber auch mit Bauern aus anderen Teilen der Welt zusammen.<br />

Sie alle kämpfen gegen das konventionelle Agrarsystem und<br />

gegen die Behörden an <strong>–</strong> und vor allem gegen die ungleiche Machtverteilung<br />

in diesem System. Zum Glück formiert sich gerade eine<br />

neue Ge neration von <strong>Land</strong>wirten zu einer Bewegung, die ihre eigenen<br />

Netzwerke aufbaut und parallel zu den bestehenden Systemen<br />

anders und auf neuen Vertriebswegen kooperiert. Alternative<br />

Plattformen wie Community Shared Agriculture (CSA) wollen den<br />

Bauernhof wieder zu einem Ort gemeinschaftlichen Lebens machen<br />

und nicht nur über Produkte, sondern auch durch kollektives Arbeiten<br />

und Lernen einen Mehrwert schaffen. Sie entwickeln neue Erzeugnisse<br />

und Vertriebskonzepte für den Einzelhandel, wie etwa die<br />

Hauslieferung. Sie sind motiviert und mit ihrem Qualitätsverständnis<br />

bei Profiköchen, die Kooperationen mit Bauernhöfen anstreben,<br />

zunehmend gefragt.<br />

Fast alle Bauern betreiben ihre Profession mit Leidenschaft und<br />

großem Respekt vor dem Kreislauf des Lebens. Je mehr wir darüber<br />

wissen, wie schwer es ist, als <strong>Land</strong>wirt sein Auskommen zu haben,<br />

umso mehr Respekt entwickeln wir für alle, denen das gelingt<br />

und die dabei auch noch die Balance halten. Wer über Lebensmittelpreise<br />

nachdenkt, sollte sich von der Dankbarkeit leiten lassen, die<br />

wir eben „Food Empathy“ nennen. Je mehr man sich bewusst macht,<br />

4 Vorwort<br />

5

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