Dietrich Klinge – Das Lächeln der Daphne

Alfred Meyerhuber
1
Das Lächeln der Daphne
Betrachtungen über eine Figur
Dietrich Klinges

2

Alfred Meyerhuber
Das Lächeln der Daphne
Betrachtungen über eine Figur
Dietrich Klinges

Il faut toujours travailler -
toujours travailler !
Auguste Rodin

Alfred Meyerhuber
Das Lächeln der Daphne
Betrachtungen über eine Figur
Dietrich Klinges

Apollon und Daphne, Flachglas, 16. Jahrhundert

‘Fer, pater,‘ inquit ‘opem! si flumina numen habetis
qua nimium placui, tellus, aut hisce, vel istam
quae facit, ut laedar, mutando perde figuram!‘
vix prece finita torpor gravis occupat artus,
mollia cinguntur tenui praecordia libro,
in frondem crines, in ramos bracchia crescunt,
pes modo tam velox pigris radicibus haeret,
ora cacumen habet: remanet nitor unus in illa.
Errette, Vater, mich, so rief sie,
wenn Macht euch Strömen ist gegeben,
denn allzusehr fand man an mir Gefallen.
Mutter, Göttin Erde, öffne dich und verschlinge mich
und das, was arg mich quält,
die Schönheit mein verderbe durch Verwandlung.
Kaum als sie dies erfleht,
erfasst Erstarrung machtvoll ihre Glieder
und die Brust verhüllt mit Bast, weich fließend,
sich zu Laub es wachsen ihr die Haare,
zu Ästen wachsen ihr die Arme,
der schnelle Fuß, soeben noch,
hängt fest in zähem Wurzelwerk
und doch ein Glanz, ganz einzig,
schwebt weiter über ihr.
Help, oh father, me, she cried,
if there is power in you, streams, to do so,
for all too appealing have I been found.
Open, Mother Earth, and swallow me,
and spoil this beauty of mine,
which so torments me, by transformation.
Scarcely has she made this plea,
than numbness grips her limbs
and her breast is veiled in bark;
gently flowing, her hair to leaves,
her arms to boughs do grow;
her feet, moments ago so fleet,
in knotty roots are bound,
and yet a radiance, all of its own,
remains about her.
Ovid, Metamorphoseon libri, Liber I, 10. Daphne 545 – 552

10

Inhalt
10
11
12
15
18
20
34
37
46
52
54
60
63
64
Daphne
Die Geschichte der Daphne
The story of Daphne
Die Geschichte des Apollon
The story of Apollo
Die Geschichte des Publius Ovidius Naso von Daphne und Apollon
The story of Daphne and Apollo by Publius Ovidius Naso
Dietrich Klinges Geschichte der Daphne
Dietrich Klinge’s story of Daphne
Exkurs: Torso
Digression: torso
Exkurs: Tangere
Digression: Tangere
Exkurs: Daphne als Modell
Digression: Daphne as a model
Das Lächeln der Daphne
Daphne’s smile
Exkurs: Das Transitorische als Problem der Darstellung
Digression: the transitory as a problem of representation
Exkurs: Roes X
Digression: Roes X
Schlusswort
Closing remarks
Biographie und Einzelausstellungen
Biography and solo exhibitions
Impressum
Imprint

Daphne
12
Daphne heißt Lorbeer.
Dieses Buch handelt von ihr, von Daphne,
und ihrer Verwandlung von einem Wesen aus
Fleisch und Blut in ein Wesen aus Holz und
Blatt, von der Frau zum Lorbeerbaum.
Und es handelt von Dietrich Klinge, der Daphne,
seine Daphne, eine ganz eigene Daphne,
geschaffen hat. Eine Daphne, die ihre mythische
Zwillingsschwester hinter sich lässt und
die ewige Frage nach der Möglichkeit einer Beziehung
zwischen Frau und Mann anders und
schier hoffnungsfroh beantwortet. Auch wenn
Daphnes Geschichte Jahrtausende alt ist, Dietrich
Klinge erzählt sie neu, im Hier und Jetzt,
mit Ansichten und Einsichten, die berühren.
Daphne means laurel.
This book is about her – about Daphne and her
transformation from a being of flesh and blood
into one of wood and leaf, from a woman into
a laurel tree.
And it is about Dietrich Klinge, who created
Daphne – his Daphne, a very distinct Daphne.
A Daphne who leaves her mythical twin sister
behind and answers the eternal question of the
possibility of a relationship between man and
woman differently and absolutely hopefully.
Even though the story of Daphne is thousands
of years old, Dietrich Klinge retells it, in the
here and now, with sentiments and insights
that move us.
Apollo und Daphne, Holzschnitt aus
„Les cent histoires de Troyes“, Paris,
Ende des 15. Jahrhunders

Die Geschichte der
Daphne
The story of Daphne
Daphne tritt recht eigentlich erst in das Licht
Daphne only really appears in the spotlight of
der Geschichte, besser des griechischen My-
the story, or rather the Greek myth, when she is
thos, als Apollon, liebestoll, ihr nachstellt. Der
pursued by the love-crazed Apollo. The river god
im Süden der Peloponnes beheimatete Fluss-
Ladon from Arcadia who lived in the south of the
gott Ladon aus Arkadien soll ihr Vater gewesen
Peloponnese is supposed to have been her father.
sein. Zur Auswahl steht aber auch der lakoni-
But the Laconian Amyklas from the same Greek
sche Amyklas, ebenfalls von der griechischen
peninsula is also a candidate.
Halbinsel stammend. Schließlich – und dies
Finally – and this is what we believe – the
glauben wir – soll der nahe am Olymp im grie-
Thessalian river god Peneus who lived near
chischen Norden lebende, thessalische Fluss-
Mount Olympus in the north of Greece is said
gott Peneios Vaterfreuden an Daphne gehabt
to have been Daphne’s proud father. Success has
haben. Der Erfolg hat viele Väter, nur die Mut-
many fathers, and only the mother is certain –
ter ist gewiss: mater semper certa est!
mater semper certa est!
Jedoch: über ihre Mutter schweigen die heutigen
Quellen! 1 Früher aber war es offenkundig,
dass Daphne nicht nur Priesterin der Terra
However: today’s sources make no mention
of her mother! It used to be well known that
Daphne was not only a priestess of Terra Mater,
Meister I. B. mit dem Vogel,
Apollo und Daphne, Holzschnitt,
16. Jahrhundert
13
Mater, der Gaia (römisch: tellus!) war, sondern
or Gaia (the Roman Tellus!), but her daughter.
deren Tochter 2 . Jungfräuliche Jägerin, wie Ar-
Virgin huntress, like Artemis, and mountain
temis zudem, und Bergnymphe und wunder-
nymph; outstandingly beautiful.
schön.
1
vgl. etwa Wikipedia: Daphne.
2
vgl. Meyers Konversations – Lexikon, 4. Bd., Leipzig
und Wien 1897, Daphne; Brockhaus' Konversations –
Lexikon, 4. Bd., Berlin und Wien, 1901, Daphne; vor
allem Johann Heinrich Zedler, Grosses vollständiges
Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste,
welche bißhero durch menschlichen Verstand und Witz
erfunden und verbessert worden,
7. Bd., Halle und Leipzig 1734, Sp.165

Die Geschichte des
Apollon
Vierzehn "Schwarze Gemälde", die "Pinturas
Negras" hat Francisco de Goya (1746 – 1828)
auf die Wand seines Landhauses "Quinta
del sordo" gemalt. Er war einsam, hatte sein
Gehör verloren, Kriege prägten sein Leben.
Eines der Gemälde heißt "Saturn verschlingt eines
seiner Kinder". Saturnus hat den Kopf des
Kindes abgerissen und den rechten Arm, frisst
The story of Apollo
Francisco de Goya (1746 – 1828) painted his
fourteen “Pinturas Negras” (Black Paintings)
on the walls of his country house Quinta del
Sordo. He was lonely; he had lost his hearing;
his life was marked by wars.
One of the paintings is entitled “Saturn
Devouring His Son”. Saturn has torn off the
child’s head and right arm; he is eating the left.
den linken.
14
Apollon vom Zeustempel in Olympia,
aus Friedrich Gerke „Griechische
Plastik“, Zürich 1938

Seine Hände umkrallen den Kindeskörper. Es
scheint so, als hätten sich seine Finger tief in
das Fleisch hineingebohrt. Ein Wahnsinniger?!
Vor dem Kindermord hat er bereits seinen Vater,
den Himmelsgott, gestürzt, überwältigt
His hands clench the child’s body. It appears as
if his fingers are digging deep into the flesh. A
madman?! Before committing this infanticide,
he had already deposed his father, the god of the
sky, overpowering and then castrating him.
und kastriert.
Und Saturn, der römische, ist gleich dem grie-
And Saturn, the Roman god, is the same figure
chischen Kronos, ist der jüngste Sohn der Gaia
as the Greek Cronus and the youngest son of
und des Uranos, er ist der Kinderfresser, der
Gaia and Uranus; he is the child-eater, the fa-
Vater des Zeus und Großvater des Apollon. Und
ther of Zeus and the grandfather of Apollo. And
seine Mutter war die Mutter der Daphne!
his mother was Daphne’s mother!
Die Geschwister des Zeus, die Kinder des Kro-
Zeus’ brothers and sisters, Cronus’ children,
nos, Hera, Hades, Hestia, Demeter und Posei-
Hera, Hades, Hestia, Demeter and Poseidon,
don waren von ihrem Vater also verschlungen
were duly devoured by their father, but instead
worden; an Stelle von Zeus aber ein in Windeln
of Zeus, he found a stone wrapped in swaddling
gewickelter Stein 1 . Groß und stark gewachsen,
clothes 1 . Having grown big and strong, Zeus
überlistete dieser seinen Vater mit Gewalt
(die Geschichte kommt uns bekannt vor!) und
dieser gab die lange vermissten, gefressenen
Geschwister, wie auch weiland der Böse Wolf
overpowered his father (this story seems familiar!)
and the latter regurgitated the long-lost,
devoured brothers and sisters - like the bad wolf
of old did with Little Red Riding Hood and her
Tetradrachmon, 165/140 v.Chr.
oben: Apollonkopf von Gryneion,
unten: Apollon von Gryneion mit
Girlanden geschmücktem Zweig und
Phiale
15
Rotkäppchen und Großmutter, wieder von sich,
grandmother – beginning with the Zeus stone 2
zuförderst den Zeus-Stein 2 , den dieser wieder-
which Zeus in turn immediately erected as a
um flugs in Delphi als Denkmal für sich selbst
monument to himself at Delphi (thus creating
aufstellte (und damit einen weiteren Nabel der
another hub of the universe!)
Welt schuf!)
And Apollo’s father was Zeus. His mother, how-
Und Zeus war der Vater des Apollon. Dessen
ever, was not Hera, Zeus’ wife and sister at the
Mutter war allerdings nicht Hera, Frau des Zeus
same time, but the goddess Leto.
und Schwester zugleich, sondern die Göttin
Hera therefore wanted to kill Leto with the aid
Leto. Hera wollte Leto deshalb töten, mit Hilfe
of the dragon Python. The plot failed and Python
1
Hesiod, Theogonie oder der Götter und Göttinnen Ge-
des Drachen Python. Es misslang und Python
was later punished and killed by Apollo.
schlecht, übersetzt von Johann Heinrich Voß, 453 – 489.
wurde später von Apollon dafür gestraft und
getötet. Dann sollte nach Heras Willen Leto auf
Hera then willed that Leto should not find any
place on earth in which to bear her children –
2
Hesiod, aaO, 490 – 406:
"Aus nun brach er zuerst den Stein, den zulezt er verschlungen.
Diesen befestigte Zeus auf dem weit um-
Erden keinen festen Platz zum Gebären ihrer
Kinder haben, keinen jedenfalls, der je von der
at least not one that had ever seen the light of
the sun. Inventive as ever, Zeus fastened the
wanderten Erdreich, in der geheiligten Pytho, am windenden
Hang des Parnasos, Zeichen zu sein forthin den
sterblichen Menschen ein Wunder".

16
Sonne beschienen wurde. Zeus, erfinderisch,
band die schwimmende, also nicht feste Insel
Delos, die er aus dem Meer auftauchen ließ,
zuvor noch nie von der Sonne beschienen, an
vier diamantene Säulen und hatte den Platz
an dem seine Kinder hätten geboren werden
können.
Der Göttin der Geburt wurde daraufhin jedoch
von Hera, die unbeirrbar ihr grausames Ziel
verfolgte, verboten, die Geburt der Kinder Letos
geschehen zu lassen. Die anderen Götter
wiederum bestachen ihre Kollegin der Geburt
mit einem allerfeinsten Collier, das Hephaistos
aus dem Mond geschmiedet hatte, der von
seiner Mutter, der Erde, verkauft worden war.
Es ging also drunter und drüber, aber Artemis
und Apollon, die Zwillinge, konnten geboren
werden.
Apollon, der gute Gott, der Gott des Lichts, der
Gott der sittlichen Mäßigung und Reinheit, der
Gott der Heilung, der Gott des Frühlings war
zugleich ein brutaler Zerstörer und Vernichter
und ein Lebegott. Er tötete den weissagenden
Python und häutete bei lebendigem Leibe den
flötenspielenden Satyr Marsyas. Lang ist die
Liste seiner weiblichen und männlichen Geliebten.
Orpheus ist einer seiner Nachkommen.
Apollon entstammt einer, man möchte sagen,
gewaltbereiten Familie!
floating island of Delos, that he had made to
rise out of the sea and that had therefore never
seen the light of the sun, to four diamond pillars,
thus providing a place in which his children
could be born.
However, the goddess of birth was forbidden by
Hera, who had not given up her cruel purpose,
to allow the birth of Leto’s children to take
place. The other gods in turn bribed their fellow
deity with a splendid necklace that Hephaestus
had wrought out of the moon, which had been
sold by his mother the Earth goddess. And so
there were frantic goings-on, but in the end the
twins Artemis and Apollo were born.
Apollo, the good god, the god of light, the god
of moderation and purity, the god of healing,
the god of spring, was at the same time a brutal
destroyer and wrecker and a rake. He killed the
prophetic Python and skinned the flute-playing
satyr Marsyas alive. The list of his female and
male lovers is long. Orpheus is one of his descendants.
Apollo comes from a family that one
might say is not averse to violence!

Die Geschichte von
Daphne und Apollon
Publius Ovidius Naso, genannt Ovid (43 v.u.Z.
– 17 n.u.Z.), berichtet uns ausführlich in den
‘Metaporphoseon libri‘, in den Büchern der
Verwandlungen, was mit Daphne und Apollon
geschah, besser nicht geschah!
Denn Ovids Daphne wehrt den mächtigen,
den kräftigen, den liebestollen Apollon auf
wundersame, jedoch schmerzvolle Weise ab.
Und das kam so: Apollon verspottet Eros (der
Römer Ovid nennt ihn Cupido), den Gott der
Liebe, Sohn des Ares und der Aphrodite, prahlt
mit seinen Ruhmestaten und belächelt Pfeil
und Bogen des Knaben 1 .
Mit zweien seiner Pfeile fügt der Kleine dem
vermeintlich Großen eine bittersüße (oder
doch saure?), jedenfalls empfindliche Niederlage
bei. Der Liebespfeil trifft Apollon ins
tiefste Mark. Er ist entfacht, er entflammt, er
entbrennt in übergroßer Liebe zu der schönen
Daphne.
In Daphne bohrt sich der zweite Pfeil des Eros,
dieser mit einer bleiernen Spitze versehen, die
Scheu, ja Abscheu gegenüber Apollon bewirkt.
Sie flieht, sie flieht wie das Lamm vor dem
Wolf, der Hirsch vor dem Löwen, die Taube vor
dem Adler 2 .
Der bedrängende Apollon verfolgt sie, die Atemlose,
"von den Fittichen Amors gefördert" 3 bis
zu ihrer Erschöpfung. Und "grünend erwachsen
zu Laub die Haare, zu Ästen die Arme" 4 .
The story of Daphne
and Apollo
In his “Metamorphoseon libri”, the books of
transformations, Publius Ovidius Naso, known
as Ovid (43 – 17 B.C.E.), tells us in detail of what
happened with Daphne and Apollo, or, rather,
what did not happen!
Because Ovid’s Daphne warded off the powerful,
strong and love-crazed Apollo in a wondrous,
albeit painful, manner. And this is how it happened:
Apollo taunts Cupid (Eros), the god of
love and son of Venus (Aphrodite) and Mars
(Ares), boasts of his glorious deeds and laughs
at the boy’s bow and arrow 1 .
With two of his arrows, little Cupid is able to
deal the supposed “great” one a bitter-sweet (or
perhaps sour?) and in any case painful defeat.
Cupid’s arrow burrows deep into Apollo’s core.
He is aroused, he is aflame, he is ablaze with excessive
love for the beautiful Daphne.
The second of Cupid’s arrows hits Daphne with
a lead tip, filling Daphne with shyness, even abhorrence,
towards Apollo. She flees, like the lamb
from the wolf, the deer from the lion, the dove
from the Eagle 2 .
In hot pursuit and “spurred on by the wings of
Cupid”, Apollo follows the breathless Daphne
until she is exhausted 3 . And “green grows her
hair to leaf, her arms to boughs” 4 .
The Apollo created by Gian Lorenzo Bernini
(1562 – 1629) at the age of only twenty-five embraces
Daphne with his left arm.
1
Joachim Richter-Reichheim, Apollo und Daphne, Ovids
Metamorphose und der fruchtbare Augenblick in der
Skulptur Berninis, Norderstedt 2013, S. 6.
2
Ovid Metamorphoseon libri, X.
Daphne (505 – 507): "sic agna lupum, sic cerva leonem,
sic aquilam penna fugiunt trepidante columbae, hostes
quaeque suos", 505.
3
Ovid, aaO, 540.
4
Ovid, aaO, 550.
17

Der Apollon des Gian Lorenzo Bernini
(1598 – 1680), den er als junger Mann von
kaum fünfundzwanzig Jahren schuf, umfasst
Daphne mit seiner Linken.
Mit Daumen und Zeigefinger berührt er noch
zarte Haut, die anderen Finger ertasten schon
His thumb and forefinger touch her tender skin;
the other fingers are already touching bark, as
Daphne is being transformed into a laurel tree.
Her imploring expression shows how desperately
she wishes to be delivered from her suffering
– and her beauty (!).
Rinde, der sich in den Lorbeerbaum verwandelnden
Daphne. Ihr flehender Blick zeigt, wie
sehnlich sie wünscht, von ihrem Leiden, ihrer
Schönheit (!) erlöst zu werden.
Gian Lorenzo Bernini, Apollon und
Daphne, 1622 – 1624
Und Bernini ist ein Beispiel jahrhundertelanger
"unaufhörlicher Verfeinerung, Komplizierung,
Versinnlichung, Verweltlichung und auch Veräußerlichung"
5 , die sich nach ihm noch fortsetzt
und steigert, bis abrupt zu Beginn des 20.
And Bernini is just one example of centuries-long
“ceaseless refinement, complication,
sensualisation, secularisation and externalisation”,
which continued after him and intensified
until abruptly, at the beginning of the
20th century, artists, partly and particularly
under the influence of what was then known as
primitive art, came up with new and different
answers 5 .
18
5
Fritz Baumgart, Geschichte der abendländischen
Plastik, Köln 1957, S. 33.
Jahrhunderts Künstler, auch und gerade unter
dem Einfluss damals noch so genannter primitiver
Kunst, neue und andere Antworten gaben.

19

Dietrich Klinges Geschichte
von Daphne
Dietrich Klinge’s
story of Daphne
Anders, ganz anders als Berninis ist Dietrich
Dietrich Klinge’s Daphne is different – quite
Klinges Daphne.
different – from Bernini’s.
Flüchtigen Laufes erschöpft fleht sie: "Vater,
Exhausted from fleeing fast ... she begs: “Fa-
ach hilf " 1 schreibt Ovid.
ther, help me..” 1 writes Ovid.
Klinges Daphne aber ist keineswegs erschöpft,
Klinge’s Daphne, however, is in no way ex-
ist nicht geflohen, nicht außer Atem. In Ruhe
hausted, has not fled and is not out of breath.
und Würde steht sie. Unbedrängt, aufrecht, al-
She stands there, calm and dignified. Unpres-
leine und für sich.
sured, upright, alone and independent.
Überlebensgroß, eine machtvolle Erscheinung.
Larger than life, a powerful presence. Her body
Ihr Leib zeigt eine junge Frau voll von Lebense-
shows a young woman full of zest and ten-
nergie und Spannung, zeigt Brüste in vollende-
sion, with perfectly formed breasts – an ideal
ter Form, ein Schönheitsideal. Und schön ist
of beauty. And this Daphne is beautiful to look
sie anzuschauen, Daphne, wie die Aphrodite
at, like Aphrodite of Milos, the Venus de Milo.
20
Aphrodite von Melos,
3./2. Jahrhundert v.Chr., Paris,
Reinhard Lullies „La Scultura
Greca“, Florenz 1956
von Melos, die Venus von Milo. Gleich ihr steht
Klinges Daphne mit bloßem Oberkörper und
verhülltem Unterleib. Die Arme fehlen. Aphrodite
ist durch die Zeiten zum Torso geworden,
Like her, Klinge’s Daphne stands bare-breasted
and only clothed below the waist. The arms
are missing. Aphrodite became a torso in the
course of time; Dietrich Klinge created his
1
Ovid , aaO, 543
Dietrich Klinge hat Daphne als Torso geschaffen.
Daphne as a torso.
Daphne, 2015, Bronze,
Höhe 255 cm, 6 Exemplare

21

Exkurs: Torso
Digression: torso
Der Künstler zeigt uns, den Betrachtern, Daph-
The artist shows us, the viewers, Daphne as a
ne als Torso! Hat er Daphne irgendwann ganz
torso. Did he ever imagine her – feel her – whole?
gedacht, gefühlt? Waren ihre Arme im Flehen
Were her arms raised pleadingly? Was she fend-
erhoben? Wehrten sie Apollon, den distanzlos
ing off the obtrusive, insistent Apollo? Were her
Zudringlichen ab? Umschlangen sie im Verge-
arms wrapped around the imaginary image of
hen das imaginierte Bildnis ihres Flussgott-
her father, the river god? And were twigs grow-
Vaters? Und wuchsen, wie es Bernini darstellt,
ing out of Daphne’s fingers, as portrayed by
aus den Fingern der Daphne Zweige? Zweige,
Bernini. Twigs, leafy twigs!? In his preface to
belaubte Zweige!? Peter Bamm, schreibt in
a book about proud buildings that have become
seinem Vorwort zu einem Buch über zu Rui-
ruins, Peter Bamm writes:
nen gewordene stolze Bauwerke: "Aber das
“But the strange thing about every ruin is that
Merkwürdige an jeder Ruine ist ja, dass sie von
it has been contained in the building whose re-
Anfang an in dem Bau, dessen Rest sie dar-
mains it constitutes from the very beginning.” 2
stellt, enthalten gewesen ist." 2 Ebenso ist der
The torso likewise is a remnant that was con-
22
Aphrodite, Art des Praxiteles
340 v.Chr., Berlin
Aus Thassilo von Scheffer „Die Kultur
der Griechen“, Wien 1935
Torso ein Rest, der in dem Ganzen, sei es in der
ursprünglich vorhandenen Figur tatsächlich
oder in der bewusst unvollendet vollendeten
Figur angelegt und enthalten war.
ceived and contained, either actually in the
originally existing figure or in the deliberately
incomplete completed figure.
In Thomas Aquinas’ certainly outdated opinion,
Überwunden ist sicherlich die Auffassung des
beauty includes three necessary conditions, and
Thomas von Aquin, dass zur Schönheit drei
foremost among them is integrity, or perfection.
Dinge erforderlich seien und an erster Stelle
In his Summa Theologica, the Aquinate states:
die Unversehrtheit oder Vollendung stehe. Der
“Those things which are impaired are by the very
Aquinate sagt in seiner Summa Theologica:
fact ugly” 3 .
"Die Dinge nämlich, die verstümmelt sind, sind
Yet torso stands for victory! Damaged, ampu-
schon deshalb hässlich" 3 . Torso aber verheißt
tated, torn and crushed in the course of time,
Sieg! Lädiert, amputiert, zerrissen und zersto-
but still surviving! Testimony to past greatness,
ßen zwar durch die Zeiten, doch überlebend!
in the present. The torso is a promise to the per-
Zeugnis des vergangenen Großen, in der Ge-
son viewing it of a piece of eternity, an act of
2
Rose Macaulay und Roloff Deny, Zauber der Vergänglichkeit,
München, Zürich 1966.
3
Thomas von Aquin, Summa Theologica, I., q, 39, Art. 8:
genwart. Der Torso ist ein Versprechen, an den
betrachtenden Menschen auf ein Stück der
defiance against mortality, a “however”, a “nevertheless”.
That is one view.
"quae enim diminuta, sunt, hoc ipso, turpia, sunt."
Ewigkeit, ist ein Trotzen der Vergänglichkeit,

ein Dennoch, ein Trotzdem. So ist die eine Auffassung.
Gleichwohl sind diese Torsi Werke,
"die unter der Zeit gelitten haben, aber der Ein-
At the same time, these torsi are works “which
have suffered from time, but the encroachment
of time [had not been] included in the conception
griff der Zeit … nicht mit in die Konzeption der
of the works”. 4 ***
Werke hineingenommen" worden war. 4
***
The other view, however, represented above all
by Auguste Rodin (1840 – 1917), denied the
durability of the work of art and deliberately
incorporated this denial into the work of art 5 ,
creating the torso as a complete, finished work.
Die andere Auffassung aber, vor allem
vertreten durch Auguste Rodin (1840 – 1917),
leugnete die Dauerhaftigkeit des Kunstwerks
und wollte und hat gerade diese Leugnung in
das Kunstwerk aufgenommen 5 , schuf den Torso
als vollbrachtes, beendetes Werk.
***
***
Und Dietrich Klinge hat über beide Anschauun-
And Dietrich Klinge, departing from both of
gen hinaus, die sich nachvollziehbar in seinem
these views, which can be traceably found in his
Werk, in mannigfacher Weise in einzelnen,
oeuvre in a variety of ways and in individual,
konkretisierten Arbeiten niedergeschlagen
haben, einen dritten Weg betreten.
specific works, has chosen a third way.
He creates torsi as interpretative possibilities
Rodin, Die innere Stimme (vom Denkmal
für Victor Hugo), Leipzig 1913
23
Er schafft Torsi als Deutungsmöglichkeiten und
and thus creates interpretative scope for him-
bewirkt dadurch interpretatorischen Freiraum
self, but also for the viewer. The torso, therefore,
für sich selbst, aber auch für den Betrachter.
is the finished work, in Daphne’s case without
Der Torso ist also das fertige Werk gerade ohne
reference to destruction or destructibility, offer-
Hinweis auf Zerstörung oder Zerstörbarkeit im
ing the viewer the opportunity to add something
Falle der Daphne, sondern ist die eröffnete
to it. This torso of Daphne, in other words, has
Möglichkeit des Betrachters etwas hinzuzufü-
not lost anything, as can be seen from the sharp
gen. Diesem Torso Daphne ist also nichts verlo-
edges where Dietrich Klinge has cut through the
ren gegangen, was Dietrich Klinge auch durch
base of the arms, but, on the contrary, something
den scharfen Schnitt am Ansatz der Arme zeigt,
imaginary beyond the physical – something
sondern ist im Gegenteil über das Körperliche
better – has been added
4
Werner Schnell, Der Torso als Problem der modernen
hinaus etwas Gedankliches hinzugefügt wor-
***
Kunst, Berlin 1980, FN 21 zu S. 34.
den, besser hinzufügbar geworden.
5
Werner Schnell, aaO.
***

Torso im Belvedere des Vatikan,
Apollonius aus Athen, 1. Jahrhundert
v.Chr., Rom
Aus Griechische Bildwerke,
Königstein 1942
Tursus, das Wort der Römer, Thyrsos gleich
klingend, das der Griechen. Wir Heutigen sagen
Torso, italienisch, zu dem Stumpf, Rumpf,
Strunk eines Körpers der seine körperliche
Integrität, seine Ganzheit eingebüßt hat, sei
es nach Pharaonenwechseln in ägyptischer,
alter Zeit, nach der französischen Revolution,
gewaltsam vollzogen etwa an Statuen von konkurrierenden
Weltanschauungen der Vorherigen
6 als "damnatio memoriae" 7 , sei es durch
Zeitläufte, dramatische oder undramatische,
sei es durch Künstler.
Eine Wiedergeburt, genau das meint ja Renaissance,
erlebten die zu Grabe getragenen, in der
Erde Verborgenen und kamen an im Himmel
Tursus, the word used by the Romans; the
similar-sounding thyrsos was used by Greeks.
Today we use the Italian torso to describe the
stump, the rump of a body that has lost its
physical integrity, i.e. its completeness, be it
after a change of Pharaohs in ancient Egyptian
times, after the French Revolution, in an act of
violence upon statues of competing world views
of the predecessors 6 as “damnatio memoriae” 7 ,
be it with the passage of time, dramatic or undramatic,
be it by the agency of artists.
A rebirth, which is of course what is meant by
renaissance, is what was experienced by those
who were taken to their graves, buried in the
earth and went to Heaven in the art of the
24
der Kunst des Quattrocento und all der folgenden
Jahrhunderte. Die Wiederauferstehung war
ausgelöst worden durch den "Torso vom Belvedere"
des attischen Bildhauers Apollonius
in den vatikanischen Museen 8 , bis eben Augus
Quattrocento and all the centuries that followed.
The Renaissance was set in train by the
Belvedere Torso by the Athenian sculptor Apollonius
which stands in the Vatican Museums 8 ,
while, as already mentioned, Auguste Rodin
6
Werner Schnell aaO, S. 9 und insbesondere S. 162
(dort FN 8 mit weiteren Nachweisen).
7
Hans Bonnet, Reallexikon der ägyptischen Religionsgeschichte,
Berlin 1952, S. 120.
8
Wobei dieser Torso wohl eine Besonderheit darstellte
und darstellt, denn im Allgemeinen wurden die
antiken Torsi ergänzt, "ganz" gemacht also, Dieses
"Wunder der Kunst", der nie genug zu preisende
berühmte Torso, wie Johann Wolfgang von Goethe
in seiner italienischen Reise (S. 147) schrieb, war zu
einem "jederzeit zitierbaren Verabredungszeichen"
(Werner Schnell, aaO, S. 17) geworden.
9
vgl. Auguste Rodin, Torso der Adele 1882, Torso einer
jungen Frau 1909 uvam.
10
Susanne Foellmer, Am Rand der Körper: Inventur des
Unabgeschlossenen im zeitgenössischen Tanz, S 169.
te Rodin den Torso gar zu einer bewussten und
gewollten Schöpfung eines Künstlers machte 9 ,
zu einem autonomen Prinzip in der Kunst 10
erhob.
Die Abbildfunktion der Skulptur wurde nicht
mehr zentrales Anliegen, sondern eine Möglichkeit,
wie der Torso auch, der so als Teilstück,
als Rumpf in der abzubildenden Natur
eben nicht vorhanden war. Damit aber wurden
althergebrachte Kategorien der Ästhetik dramatisch
verändert. Das Kunstwerk war nicht
nur das, was man sehen konnte, sondern auch
zu einem wichtigen Teil das, was hinzugedacht
raised the torso to the status of a conscious and
intentional creation of the artist 9 and an autonomous
principle in art 10 .
The function of the sculpture as a likeness was
no longer the central intention, but a possibility,
like the torso too, which, as a part, or rump,
did not after all exist as a model in nature.
Thus, however, established categories in aesthetics
were dramatically changed. The work of
art was not only what could be seen, but also to
a great extent what had to be added in terms
of thoughts or feelings, and thus it demanded
a strong imagination on the part of the viewer.

und hinzugefühlt werden musste und so eine
starke Imaginationskraft des Betrachters
forderte. 11 Der erste Anblick des Torsos vom
Belvedere, der "einen verunstalteten Stein" 12
gewahr werden lässt, setzt aber dann eben
weiterhin eine "hohe Abstraktionsfähigkeit
beim Rezipienten" 13 voraus.
The first sight of the Belvedere Torso which is
seen as “a disfeatured stone” 12 then goes on to
require a “high ability of abstraction on the part
of the viewer“ 13 .
And in view of this torso and because of the destruction
of the complete body that he imagines,
Winckelmann exclaims: “Art weeps with me” 14 .
Und Winckelmann ruft angesichts dieses Torsos
wegen der Zerstörung des vollendet gedachten
Körpers aus: "Die Kunst weint zugleich
mit mir" 14 .
Daphne, therefore, is an ideal of beauty, like the
Venus de Milo, or the snake goddess of Knossos,
whom she resembles in her statuary pose. No
engaged leg and no free leg. Already rooted with
Ein Schönheitsideal, wie Aphrodite von Melos
both feet in the earth – no longer on the earth.
oder die Schlangengöttin von Knossos, ist Da-
Not yet does the “thin bark close about her rising
phne also, der sie in ihrer statuarischen Hal-
bosom” 15 , nor does her “bosom throb within the
tung ähnelt. Kein Standbein und kein Spiel-
sheltering bark” 16 . Daphne stands bare-breast-
bein. Mit beiden Beinen schon eingewurzelt in
der Erde, nicht mehr auf der Erde.
Nicht umzieht sich "mit geschmeidigem Bast
… der schwellende Busen" 15 , noch "bebt in
ed and free. Neither are her breasts the symbol
of motherhood, nor are they emphasised in a
sexually provocative manner. They are what
they are, perfectly formed. They are, although so
Schlangenpriesterin aus dem Palast
von Knosos, 17. Jahrhundert v.Chr.,
Heraklion aus Tassilo von Scheffer
„Die Kultur der Griechen“, Wien 1935
25
der bergenden Rinde der Busen" 16 , Daphne
eye-catching and – literally – graspable, more the
steht barbusig und frei. Weder sind ihre Brüste
idea of womanly breasts and – again literally –
Zeichen von Mutterschaft, noch sind sie geschlechtlich
aufreizend betont. Sie sind, was
untouchable.
The lower stomach is already wood – a tree trunk.
11
Astrid Fendt, Antikenverständnis und Präsentationskonzepte
im Berliner Alten Museum in: Charlotte
Schreidter, (Hg), Gipsabgüsse und antike Skulpturen:
sie sind, in vollendeter Form. Sind, obwohl so
prägnant und – im Wortsinne – greifbar, eher
The straight trunk of a massive cherry tree. The
bark is open at certain parts of Daphne’s body –
Präsentation und Kontext, Berlin 2012, S. 81 (mit
weiteren Nachweisen in FN 25 u. 26).
12
Johann Joachim Winckelmann und Hermann
die Idee einer weiblichen Brust und – wieder-
or rather, in the wood. Dietrich Klinge does not
Uhde-Bernays (Hg), J.J. Winckelmanns große Schriften
um im Wortsinne – unantastbar.
answer the pressing question as to whether the
und Briefe, Bd. 1, Leipzig 1925, S. 170.
Der Unterleib ist bereits Holz, ist Stamm. Der
Stamm eines mächtigen, gerade gewachsenen
bark is opening or closing. Dialectically, either
may be the case; either may be possible.
13
Irmela Marei Krüger-Führhoff, Der versehrte Körper,
Revisionen des klassischen Schönheitsideals, Göttingen
2003, S. 34
Kirschbaums. Die Rinde ist an einigen Körper-
The myth decides unambiguously: it is “shelter-
14
Winckelmann, aaO, S. 172.
stellen Daphnes, besser im Holze, offen. Die-
ing bark” 17 , that is, bark that envelops, closes,
15
Ovid, aaO, 549.
trich Klinge beantwortet die sich aufdrängende
covers her body like a cloak and shields the wood.
16
Ovid, aaO, 554. Ovid, aaO, 545.
Frage, ob sich diese Rinde gerade öffnet oder
The trunk itself does not show this.
17
Ovid, aaO, 554.

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

17
Ovid, aaO, 554.
aber schließt nicht. Dialektisch kann beides
der Fall sein, kann beides möglich sein.
Der Mythos trifft die Entscheidung eindeutig:
es ist "bergende Rinde" 17 , Rinde die umhüllt,
die sich schließt, wie ein Mantel den Körper
bedeckt, das Holz beschirmt. Der Stamm selbst
zeigt sich anders.
Digression: Tangere
The clothing of bark that once enveloped the
tree trunk has now burst open. Dietrich Klinge
showed the closedness – or even withdrawnness
– of this same piece of wood in his sculpture
“Tangere”.
36
Tangere, 2014, Bronze,
Höhe 185 cm, 6 Exemplare
18
vgl. Dietrich Klinge, Skulpturenmeile Ansbach, Orte,
S. 32 ff.
Exkurs: Tangere
Das ehemals den Stamm fest umhüllende Rindenkleid
ist nun geborsten. Die Geschlossenheit,
ja Verschlossenheit – an diesem gleichen
Stück Holz – zeigte Dietrich Klinge bei seiner
Skulptur "Tangere".
Aus einem Stück Kirschholzstamm schnitt der
Künstler die leidende und trauernde Maria von
Magdala, Maria Magdalena, formte sie ab und
goss sie in Bronze 18 . Was aber geschah danach
mit der hölzernen Skulptur, die von nicht Wenigen
als das eigentliche Original angesehen
wird? Denn die Hände des Künstlers formten
ganz unmittelbar das Material. Er schnitt tief
mit der Kettensäge, stemmte Holzteile weg,
gestaltete das Holz, ließ die hölzerne Figur
Gestalt annehmen. Und da stand sie dann,
"Tangere", in einem Stamm ehemals versteckt,
dann entdeckt, ins Leben gebracht und ist nach
des Künstlers Willen doch nur Vor-Form, nicht
die fertige Skulptur.
The artist cut the suffering and mourning Mary
Magdelene out of one piece of a cherry tree
trunk, took an impression of the figure and cast
it in bronze 18 . What happened to the wooden
sculpture that many would regard as the actual
original, after that? After all, the artist’s hands
directly shaped the material. He cut deep into
it with a chainsaw, prized pieces of wood away,
fashioned the wood and gradually gave the
wooden figure its shape. And finally, there she
stood, “Tangere”, once concealed in a tree trunk,
then discovered and brought to life, and yet, at
the artist’s will, is only a pre-form and not the
finished sculpture.
After “Tangere” had been cut out of the cherry
trunk and the figure cast in bronze, Dietrich
Klinge left the wooden model out in the open,
and the process of decomposition, to which
all living things are subject, began. Wind and
weather tore at the figure. The closed bark envelope
burst open like a gaping wound, revealing
the unprotected wood and showing its vulnerability.
“Tangere” as a finished sculpture was outwardly
whole in her coat of bark, but inwardly she

37

38
Tangere, 2014, Bronze,
Höhe 185 cm, 6 Exemplare
Nachdem "Tangere", aus dem Kirschenstamm
geschnitten und als Bronze fertig geworden
war, lagerte Dietrich Klinge das Holzmodell im
Freien und es begann der Prozess der Auflösung,
der allem Lebendigen eigen ist. Wind und
Wetter rissen an der Figur. Die geschlossene
Rindenumgürtung platzte auf, wie eine schwere
Wunde, ließ das ungeschützte Holz sehen, zeigte
Verwundbarkeit.
"Tangere" als fertige Skulptur war äußerlich heil
in ihrem Kleid aus Rinde, war aber verwundet,
im Inneren, zeigte es durch Gestus und Habitus,
war und ist leidtragend. Daphne sind Wunden
geschlagen, sichtbar und offen und doch
sind sie für diese aufrechte und starke Frau
ohne Bedeutung. Eher wirken die Aufbrechungen
der Rinde wie schmückende Narben aus
einem bestandenen Kampf ihres Lebens. Denn
ohne Zweifel hatte auch die Daphne Dietrich
Klinges einen Kampf zu bestehen, einen Kampf
auf Leben und Tod.
was wounded, showing this through her gesture
and bearing and was, and is, bereaved. Daphne
has suffered wounds which are visible and open,
and yet, for this upright, strong woman, they
are meaningless. Instead, the ruptures of the
bark seem like decorative scars from a struggle
she survived in her life. For, without a doubt,
Dietrich Klinge’s Daphne also had to survive a
struggle – a life-and-death struggle.

Exkurs: Daphne
als Modell
Als Daphne, wenige Tage nach ihrer hölzernen
Geburt, im Atelier des Künstlers erblickt werden
durfte, äußerte dieser, angesichts des
tiefen Eindrucks, den die (anscheinend) fertige
Arbeit auf den Betrachter machte: "Das hier ist
doch erst das Modell! Die Skulptur, das Werk,
ist noch gar nicht da!" Damit zeigte Dietrich
Klinge erneut auf, wie grundlegend in seinem
Denken und Fühlen die Transformation, besser
vielleicht Transmutation, des hölzernen Kunstwerks
in das Material Bronze ist. Erst wenn
das Holz abgeformt, eine Gussform daraus
entwickelt wurde und diese dann zerschlagen
ihr bronzenes Inneres freigibt, dann erst, dann
sieht Dietrich Klinge das vollendete Kunstwerk!
Digression: Daphne
as a model
When Daphne was first allowed to be seen in the
artist’s studio a few days after her wooden birth,
the deep impression that this (apparently) finished
work made on the viewer caused the artist
to exclaim: “This here is only the model! The
sculpture – the work – is yet to come!”
Thus Dietrich Klinge showed once again how
fundamental the transformation – or, better perhaps,
the transmutation – of the wooden work
into the material of bronze is in his thinking and
feeling.
Only once an impression has been taken of the
wood, a casting mould has been developed and in
turn broken to reveal its bronze contents – only
then does Dietrich Klinge see the finished work!
39
Und das Holz? In vielen Fällen wird dieses Werk
seiner Hände vom Künstler beseitigt, vernichtet,
verbrannt. Nicht aus Vernichtungseifer
oder Zerstörungswut, nein, sondern um dem
Betrachter zu sagen und zu zeigen: es gibt nur
ein Werk, das die Bezeichnung Original verdient,
den Guss aus Bronze! Dies ist verständlich
und nachvollziehbar!
Jede der Arbeiten Dietrich Klinges hat eine
Nachricht, eine Botschaft oft von tiefer und
schwerer Bedeutung. Durch die in und zu Bronze
transferierte und transformierte Figur fokussiert
und konzentriert sich das Werk wiederum
in besonderer Weise in seinem Gehalt.
And the wood? In many cases the artist disposes
of, destroys or burns this work of his hands.
Not out of vandalism or destructiveness, no, but
in order to say to the viewer and to show: there
is only one work that deserves to be described
as the original – the bronze cast! This is understandable
and reasonable.
Each of Dietrich Klinge’s works has a message –
one of often deep and serious meaning. Through
the transfer and transformation of the figure
into bronze, the work is focused and concentrated
in a particular way in its substance.
Daphne, 2015, Holzmodell,
Höhe 260 cm

40

41

42

Denn das Material ist vereinheitlicht, gleicher-
For the material is unified, being “from the same
maßen eben "aus einem Guss". Durch die Pati-
mould” throughout. By means of the patination
nierung des Werkes von der Hand des Künstlers
of the work by the artist’s hand, the artist em-
betont dieser noch, gewichtet, zeigt auf.
phasises, adds weight and points out.
Die hölzerne Figur ist anders! Dietrich Klinge
The wooden figure is different! Depending on
verwendet je nach Bedarf und vorhandenem
his requirements and the material available,
Material unterschiedlichste Hölzer, weich oder
Dietrich Klinge uses a variety of woods: soft or
hart, hell oder dunkel, frisch geschnitten oder
hard, light or dark, freshly cut or rotted. And he
verrottet. Und er appliziert Teile von Holz, Split-
applies pieces of wood, splinters, blocks, wedges
ter, Stücke, Klötze, Keile, appliziert Wachs, um
and wax in order to model it.
zu modellieren.
The first Daphne, for example, consists of red-
So besteht die Ur-Daphne aus rotem berindetem
barked cherry wood below the waist. Above the
Kirschholz im Bereich des Unterleibs. Der Ober-
waist, the body is made of light-coloured lime
körper, ohne jegliche Rindenanhaftung, ist aus
wood without any bark. The head, however, is
hellem Lindenholz. Der Kopf hinwiederum ist
from the trunk of a partly rotted apple tree out
der Strunk eines teils verrotteten Apfelbaums,
of which Dietrich Klinge has shaped Daphne’s
aus dem Dietrich Klinge das Antlitz der Daphne
herausgeformt und in den er es zugleich hineingeformt
und angeformt hat, mit Wachs. Das
face and which at the same time he has added
to and reshaped with wax. That means that an
unversed viewer – in other words almost anyone
Daphne, 2015, Holzmodell,
Höhe 260 cm
43
bedeutet, dass ein ungeübter Betrachter, also
apart from the artist – would not only perceive
nahezu jeder, außer dem Künstler, nicht nur
nuances of colour, but also violent jumps in col-
Farbnuancen, gedeckte Farbunterschiede wahr-
our that might interfere with a complete under-
nehmen würde, sondern krasse Farbsprünge,
standing of the work, or make that difficult, if
die das vollständige Auffassen des Werks stö-
not impossible.
ren, erschweren, ja gar verhindern könnten.
The old trunk shows the structure of the ageing
Der alte Strunk zeigt eben die Struktur seiner
process and incipient destruction; there is dirt
Alterung und beginnenden Zerstörung, Schmutz
attached to it. It is anything but “polished”. Nei-
haftet ihm an. Er ist alles andere, als auf "Hoch-
ther is the finished bronze, but the state of this
glanz gebürstet". Das ist zwar auch die spätere
rotting material may arouse aversion, resistance
Bronze nicht, aber dieser Zustand des verrotte-
or disgust in the viewer and thus make it diffi-
ten Materials kann beim Betrachter Abneigung
cult, or impossible, for him to engage with the
erwecken, Abwehr, Abscheu und somit wieder-
work.
um den Zugang zum Werk erschweren oder gar
blockieren.

19
Dies zuzugestehen fällt dem
Verfasser schwer!
Schließlich ist Daphnes ernst-liebliches Gesicht
mit einem feinen Lächeln aus wenig ansehnlichem
Wachs (notwendigerweise) geformt.
Die Wertschätzung des Kunstbetrachters kann,
ohne dass ihm dies bewusst werden würde,
ohne dass er es ausformulieren könnte, sinken.
Und schließlich sind da noch die u-förmigen,
schweren Eisenklammern, die tief in den Holzkörper
eingeschlagen werden müssen, um
Stück für Stück die Figur aufzubauen und Stück
um Stück zusammenzuhalten.
Es ist demzufolge ein wohlüberlegter, künstlerisch
notwendiger Schritt, die Holzskulptur als Durchgangsstadium
zu betrachten und erst den Bronzeguss
als die Plastik, das fertige Kunstwerk. 19
Finally, Daphne’s serious, yet lovely, face, with
its delicate smile, has been shaped (necessarily)
out of not very attractive wax.
The appreciation of the viewer may decrease,
without his being aware of it or being able to
formulate the reason for it.
And then, last of all, there are the heavy,
U-shaped, iron brackets that have to be hammered
deep into the wooden body in order to
build up the figure piece by piece and hold it together
piece by piece.
Therefore, it is a well-considered, artistically
necessary step to view the wooden sculpture as
a transitional stage and only the bronze cast as
the real sculpture, the finished work of art. 19
44
Daphne, 2015, Holzmodell,
Höhe 260 cm

Und dieser Schritt ist nicht nur eine Transmutation
von Material, also von Holz zu Bronze,
sondern auch eine Transformation in der
Arbeitsweise. Das Modell entsteht als klassische
Skulptur durch Wegnehmen von Material,
dem Holz; die Plastik, erfährt ihre Vollendung
erst im modellierenden Wachs und dem, das
Wachsmodell vernichtenden Bronzeguss 20 .
***
Apollon wollte Daphne nehmen, schänden,
vergewaltigen. Er, der große, lichte Gott, missachtete
ihren erklärten Willen, ihre Flucht, ihr
Flehen. Allein sein Wille sollte Geltung haben!
Und er hätte mit aller bösen Macht, die ihm
zu Gebote stand, die Vernichtung Daphnes
bewerkstelligt. So, wie heute, barbarische
Männer, nicht selten in Rudeln, wie höllische
Raubtiere, Frauen versklaven, misshandeln,
an Körper und Seele vergewaltigen, ja töten.
Apollon, der Hochverehrte, war zu solchen
Taten, solchen Schand-Taten, fähig und zeigte
dies etwa als er Marsyas bei lebendigem Leibe
häutete oder intrigant seinen Nebenbuhler
Leukippos 21 durch aufgebrachte Nymphen zerreißen
ließ.
Dietrich Klinges Daphne ist kein Opfer, lässt
sich nicht in die Rolle der Willenlosen drängen.
Es ist unvorstellbar, dass sie, wie Ovids Daphne,
die Erde (tellus, also ihre Mutter!), deren
Priesterin sie war, angefleht hätte, sie möge
ihre schöne Gestalt, um deren Willen sie so leiden
müsse, verschlingen oder ihren Vater, den
Flussgott Peneios, er solle sie verwandeln, als
Frau vergehen lassen.
And this step is not only a transmutation of
material, i.e. from wood to bronze, but also a
transformation in terms of working method.
The model is created as a conventional sculpture
by removing material, the wood; the sculpture is
only completed as a wax model which in turn is
destroyed in the bronze casting process 20 .
***
Apollo wanted to take Daphne – to violate her, to
rape her. He, the great, luminous god, disregarded
her declared will, her flight and her pleading.
His will alone was to be done! And he would have
brought about Daphne’s destruction with all the
evil power at his disposal. Just like barbaric men
today, often in gangs, like hellish predators, enslave
and mistreat women, raping them physically
and psychologically – and even killing them.
Apollo, the highly-esteemed god, was capable
of such disgraceful deeds and showed this, for
example, when he flayed Marsyas alive or schemingly
caused the enraged nymphs to tear his rival
Leucippus 21 to pieces.
Dietrich Klinge’s Daphne is no victim; she does
not allow herself to be forced into a submissive
role. It is unimaginable that she, like Ovid’s
Daphne, would have begged the Earth goddess
(Tellus, i.e. her mother), whose priestess she was,
to swallow up her beautiful body on account of
which she had to suffer so greatly, or her father,
the river god Peneus, to transform her and end
her existence as a woman.
This Daphne is transformed because she wants
to be. And she does so, not beside herself with
20
vgl. Fritz Baumgart, aaO, S. 14.
21
Wilhelm Heinrich Roscher (Hg.) Ausführliches Lexikon
der griechischen und römischen Mythologie, 1. Bd.,
Leipzig 1884 – 1890,
Daphne: "Von der peloponnesischen Daphne wird
noch erzählt, dass Leukippos, Sohn des Oinomaos von
Pisa, sie liebte; um sich trotz ihrer Sprödigkeit ihr zu
nähern, kleidete er sich als Mädchen und gewann als
Jagdgenossin ihre Freundschaft; aber der eifersüchtige
Apollon regt Daphne an zu baden, wobei Leukippos
entlarvt und von den Mädchen mit ihren Jagdmessern
und Speeren getötet wird."
45

Diese Daphne verwandelt sich, weil sie es will.
Und sie tut es nicht außer sich und voll von Panik.
Sie steht aufrecht, nicht gejagt und lässt
die von ihr gewollte Umwandlung geschehen,
nur und deswegen, weil sie selbst es will.
Und Apollon ist einflusslos, besitzt keine
Macht, nicht über Körper und nicht über Geist,
weil sie es nicht will!
panic. She stands upright, not hunted, and
allows the transformation she desires to take
place purely and simply because she wants it to.
And Apollo is helpless; he has no power over her
body or her spirit, because she does not want
that!
The slight inclination of her head to the right
shows this. Daphne does not wear the roots of
46
Figur 2 73 / 275 ,
(Apoll und Daphne)
2015, Bronze, 26,2 x 29,8 x 22,1 cm, 9 Ex.

Der leicht nach rechts geneigte Kopf zeigt es.
Daphne trägt den Wurzelstrunk nicht als Strafe
und Ausdruck einer gewaltsamen, erzwungenen
Verwandlung; es ist keine Dornenkrone,
die ihr aufs blutige Haupt gepresst wurde. Sie
trägt das Wurzelwerk leicht, ohne Belastung,
wie die Krone einer Herrscherin, ohne Angst,
hoheitsvoll. Erfüllt von der Hoheit einer Herrscherin
aus sich heraus. Aus eigenem Wert und
nicht von Gottes Gnaden, des Gottes Apollon!
the tree as a punishment or the expression of a
violent, forced transformation; it is not a crown
of thorns that has been pressed onto her bloody
head. She wears the roots lightly, without strain,
like a ruler wearing a crown, without fear, but
with an air full of sovereignty – full of the
sovereignty of a ruler, of her own volition. Out of
a sense of her own worth and not by the grace of
the God Apollo!
47

Das Lächeln der
Daphne
Daphne’s smile
Und da ist noch ihr Lächeln: Es ist kein
And then there is her smile: It is not a painful,
schmerzvolles, grimmiges, kein sardonisches
grim, or sardonic smile, because she has been
Lächeln, weil sie von Apollon verfolgt wurde. Es
pursued by Apollo. It is certainly not inextin-
ist schon gar kein unauslöschliches Gelächter,
guishable laughter, not “ásbestos gélōs” 1 , the
kein "Gél o ¯s ásbestos" 1 , kein homerisches Göt-
Homeric laughter of the gods 2 . It is not a sign of
tergelächter 2 . Es ist kein Zeichen von Güte, wie
benevolence, such as the smile of Parmenides 3 .
das Lächeln des Parmenides 3 . Es ist kein eng-
It is not an angelic smile, like that of the angel
lisches Lächeln, wie das des Engels am Haupt-
on the north portal of Reims Cathedral; not a
portal der Kathedrale zu Reims, kein gotisches
Gothic smile that is rather other-worldly and
Lächeln, das eher diesseitsentrückt ist und fast
almost grinning. 4
grinst. 4 Es ist eher ein archaisches Lächeln 5 ,
It is more of an archaic smile 5 , like that of the
wie das der Kouroi und Koren, als Ausdruck von
kouroi and korai: an expression of transcend-
Erhabenheit über Schicksalsschläge, über un-
ence over great misfortunes, over inescapable
48
Stehende Göttin, Anfang 6. Jahrhundert
v.Chr., Berlin
Aus Thassilo von Scheffer „Die Kultur
der Griechen“, 1935
entrinnbare Ereignisse.
Es ist ein Lächeln zwischen dem leisen, verhaltenen,
nur angedeutetem Lächeln einer
überlegenen Frau, wie dasjenige der Uta von
events.
It is a smile somewhere between the quiet, reserved,
merely insinuated smile of a superior
woman, like that of Uta von Ballenstedt – to be
Ballenstedt, der Uta aus dem Westchor des
found in the west choir of Naumburg Cathedral
Naumburger Doms und dem offenen, zuge-
– and the open, approachable, sincere smile of
wandten, herzlichen Lächeln der Kaiserin
Empress Adelaide of Burgundy in Meissen
Adelheid von Burgund aus dem Meißener
Cathedral.
Dom. Dieser Exkurs in die Kunstgeschichte ist
This digression into art history is no intellec-
1
Paul Friedländer, Das Lachen und die Philosophie,
keine bildungsbürgerliche Eitelkeit, sondern
tual middle-class vanity; instead it is intended
Berlin 1969, S.21; vgl. auch Heinrich Furrer, Das Lächeln:
Ein Beitrag zur Theorie der Beziehung von Ausdruck und
Situation, 1978, passim.
soll schlaglichtartig beleuchten, wie tief Dietrich
Klinge Kunst der Vergangenheit in sein
to highlight the depth to which Dietrich Klinge
allows the art of the past to enter his work as
2
Homer, Ilias, 1599 f.
Werk als Grundlage eines ernsten Diskurses
the foundation of a serious discourse, without
3
Gyburg Radke, Das Lächeln des Parmenides, Berlin
einlässt, ohne jemals Nachahmer oder gar
ever being an imitator or, indeed, a plagiarist.
2006, S. 322.
Kopist zu sein. Dietrich Klinge hat sich mit der
Dietrich Klinge has engaged with the history
4
Stephan Albrecht, Das Portal als Ort der Transformation,
S. 280.
5
Helga Bumke, Statuarische Gruppen in der frühen grie-
Vergangenheit der bildenden Kunst in einer
Tiefe auseinandergesetzt, die wohl nur wenige
of graphic art at a depth that probably only few
can plumb or attain!
chischen Kunst, Berlin 2004, S.102.
ergründen und erreichen!

Doch zurück also zum Lächeln der Daphne:
denn "die Klugheit lächelt und die Dummheit,
der Stolz und die Bescheidenheit, die Überlegenheit
und die Verlegenheit. Wir kennen
das freundliche, das abweisende und das
zurückhaltende, das spottende und das mitleidige,
das verzeihende und das verachtende
Lächeln". 6
Und demzufolge ist "auch die Kulturbedeutung
ambivalent" 7 . Wir müssen also erforschen,
welche Bedeutung Dietrich Klinge diesem Lächeln
gab.
Grenzen wir es ab: nicht verlegen, nicht mädchenhaft
scheu, nicht schuldvoll, aber auch
nicht huldvoll, nicht betroffen, nicht getroffen,
nicht überheblich stolz, nicht abweisend, nicht
bitter und (von besonderer Bedeutung!) nicht
nach außen gemeint!
Sondern dieses Lächeln ist: überlegen, fraulich
reif, versonnen, mit sich im Reinen, angemessen
und (von besonderer Bedeutung!)
49
nach innen gerichtet. Es ist aber auch offen, es
ist eine Möglichkeit und wir wissen nicht wie
sich dieses Lächeln entwickeln wird.
So ist das Lächeln der Daphne! Es ist ein Augenblick
der Ewigkeit, der alles in sich birgt.
Lachen hat ein Gegenüber, über das gelacht
wird.
Lächeln kann ein Gegenüber haben. Es antwortet
in einer Situation und auf eine Situation
mit einem Anderen, einem Du. Das seltene,
das "Große Lächeln" ist dasjenige, das nur
dem Lächelnden selbst gilt. Es ist kein erzwungenes
Fotolächeln für beliebige Andere. Dieses
But back to Daphne’s smile: because “wisdom
smiles – and so do stupidity, pride, modesty,
superiority and abashment. We recognise the
friendly, the dismissive and the reserved, the
sneering and the pitying, the forgiving and the
scornful smile.” 6
And consequently, “cultural significance [is] also
ambivalent” 7 ; therefore, we have to investigate
the meaning Dietrich Klinge has bestowed upon
this smile.
Let us narrow it down: not abashed, not girlishly
shy, not guilty, not benign, not afflicted and not
affected, not overbearingly proud, not dismissive,
not bitter and – particularly significantly! –
not outwardly directed!
No, this smile is: superior, womanly mature,
pensive, at peace with itself, reasonable and –
particularly significantly! – inwardly directed. It
is also open, however; it is a possibility, and we
do not know how this smile will develop.
That is Daphne’s smile! It is a moment in eternity
that holds everything in it.
Laughter has a counterpart that is being
laughed at.
A smile can have a counterpart. It answers in a
situation and in response to a situation with another
– a “you”. That rare thing, the “big smile”
is the one that is only meant for the person smiling.
It is not a forced photo smile for each and
everyone. This smile originates in the very core,
from where it emerges – it is a mirror of the person
and that person’s attitude.
This is Daphne’s smile. It is a wise smile, a
smile that knows about becoming and passing,
Apoll von Tenea, um 600 v.Chr.,
Aus Thassilo von Scheffer „Die Kultur
der Griechen“, 1935
6
Helmuth Plessner, Das Lächeln in: pro regno, pro
sanctuario, Festschrift für G. van der Leeuw, 1950 in GS
VII. S. 419 – 434, hier 421.
7
Karl-Siegbert Rehberg, Die Angst vor dem Glück,
Anthropologische Motive in Alfred Bellebaum,
Robert Hettlage (Hg), Glück hat viele Gesichter, Wiesbaden
2010, S. 101.

50
Lächeln entsteht im Innersten und kommt aus
ihm, ist ein Spiegel der Person und ihrer Haltung.
Dies ist das Lächeln der Daphne. Es ist ein weises
Lächeln, es ist ein Lächeln im Wissen um
Werden und Vergehen, im Verstehen von Werden
und Vergehen und im Annehmen – und
das ist das Größte – von Werden und Vergehen.
Und dieses Lächeln erzählt die ganze Geschichte
Daphnes, Dietrich Klinges Daphne:
Und diese Geschichte kennt keinen gierigen
Verfolger, der die Verfolgte in eine ausweglose
Lage bringt, so dass sie Vater und Mutter um
Hilfe anflehen muss. Der Apollon der Klingeschen
Geschichte der Daphne hat weder physische
noch psychische Macht, die Frau, die er
begehrt, zum willenlosen Werkzeug machen zu
können, sie also zu missbrauchen!
Er kann seine Vorstellung, wie Ovid sie beschreibt,
Daphne mit Gewalt zu nehmen nicht,
nicht einmal ansatzweise verwirklichen. Die
scheinbare, göttlich-männliche Überlegenheit
dieses Apollon ist so wenig feststellbar, dass er
für die von Dietrich Klinge erzählte Geschichte
entbehrlich ist.
Apollon ist nicht der Grund und der Zwang zur
Veränderung dieser Frau. Ja, es gibt einen Anlass
zur Verwandlung. Jedoch beruht dieser auf
einer freien Entscheidung von Daphne. Und sie
entzieht sich jeglichem Übergriff, dem würdelosen
Betasten, Begrapschen, den geschlechtlichen
Nötigungen, die von Apollon gewollt und
geplant waren, dadurch dass sie eine andere,
nicht antastbare Gestalt annimmt.
that understands becoming and passing and –
most remarkably of all – accepts becoming and
passing. And this smile tells the whole story of
Daphne – Dietrich Klinge’s Daphne:
And this story knows no rapacious pursuer who
corners his quarry, so that she is forced to beg
her father and mother for help. The Apollo of
Dietrich Klinge’s story of Daphne has neither
the psychological nor physical power to make
the woman he covets a weak-willed instrument
and therefore to abuse her!
He cannot even begin to realise his idea of taking
Daphne by force, as described by Ovid. The
apparent godly and manly superiority of this
Apollo is so indiscernible as to be superfluous to
the story told by Dietrich Klinge.
Apollo is not the reason and the compulsion for
this woman to change. Yes, there is cause for
her metamorphosis. However, it is based upon
Daphne’s own free will. And she evades each
and every encroachment, the undignified touching
and groping, the sexual assaults that Apollo
wanted and planned, by taking on a different,
inviolable form.
This is the reason she smiles this pensive smile
from the right corner of her mouth. The left
corner of her mouth is more markedly curved,
almost sardonically raised, as if Daphne wishes
to demonstrate how satisfied she is to have met
a man-god’s intolerable fantasies of omnipotence
with her successful, womanly resistance.
This without suffering, without surrendering
herself, without breaking!

Deswegen lächelt sie dieses versonnene Lä-
Because this Daphne is at peace with herself.
cheln ihres rechten Mundwinkels. Der linke
She is able to decide and she has decided. She is
Mundwinkel zeigt sich deutlicher gebogen, fast
like a person who is leaving her beloved home-
ein wenig süffisant gehoben, als ob Daphne
land, but not because of need, fear or force, but
damit zeigen wollte, wie zufrieden sie ist, den
because she so desires. Because she is searching
unerträglichen Allmachtsphantastereien eines
for the new, the other, and therefore chooses to
Mannes – Gottes ihren erfolgreichen, frauli-
leave the old behind her.
chen Widerstand entgegengesetzt zu haben.
There is no sadness apparent in Daphne’s loss
Dies, ohne selbst zu leiden, ohne sich selbst
of her human form. Because for her this trans-
aufzugeben, ohne zu zerbrechen!
formation does not mean she is lost; she is not
Denn diese Daphne ruht in sich. Sie kann ent-
saying goodbye forever. In short, this Daphne is
scheiden und hat entschieden. Sie ist wie ein
not mourning; she is not weeping over her own
Mensch, der seine geliebte Heimat verlässt,
end, her death as a human being. This woman is
jedoch nicht aus Not, Furcht oder Zwang, son-
going happily to take on a new, self-chosen task.
dern weil er will. Weil er das Neue, das Andere
She will be a partner if and when she so wishes; a
sucht und damit freiwillig das Alte hinter sich
lover if and when she so wishes; a mother if and
lässt.
In Daphne ist keine Trauer zu spüren über den
when she so wishes!
And that will be the moment at which a new
Daphne, 2015, Bronze,
Höhe 255 cm, 6 Exemplare
51
Verlust ihrer menschlichen Gestalt. Denn für
transformation takes place: the transformation
sie ist dieser Gestaltwandel kein Verlorenge-
of a tree of trunk and leaf into a woman of flesh
hen, kein Abschied nehmen für immer. Kurz,
and blood.
diese Daphne ist keine Trauernde, die ihr ei-
And that is why Daphne is smiling. It is a vic-
genes Ende, den Tod als Menschen, beweint.
torious smile – not a laugh, because in contrast
Diese Frau geht freudig, einer neuen, selbst-
to the Daphne of Markus Lüpertz, this Daphne
gewählten Aufgabe entgegen. Sie ist Partnerin
did not wish to kill. As Friedrich Nietzsche says
dann, wenn sie es will, sie ist Geliebte dann,
in Zarathusthra (The Feast of the Ass): “Not by
wenn sie es will, sie wird Mutter dann, wenn
wrath does one kill, but by laughter.” No, Diet-
sie es will!
rich Klinge’s Daphne smiles without wrath.
Und in diesem Augenblick wird dann erneut
This image of a woman by Dietrich Klinge is full
eine Verwandlung einsetzen, die Verwand-
of hope. Even in these times of darkness, he illus-
lung des Baumes aus Blatt und Stamm in eine
trates how people, how man and woman, can be
Frau aus Fleisch und Blut. Und deshalb lächelt
in order to live a life in dignity and with respect
Daphne. Es ist ein siegreiches Lächeln, kein
for one another. In a world such as this there is no
Lachen, denn Daphne wollte anders, als die
place for the dark side of Apollo.

52

53

54
Daphne von Markus Lüpertz etwa, nicht töten.
Friedrich Nietzsche sagt es im Zarathusthra
(Eselsfest): "Nicht durch Zorn, sondern durch
Lachen tötet man." Nein, Dietrich Klinges Daphne
lächelt ohne Zorn. Dieses Bild einer Frau,
das Dietrich Klinge zeigt, ist voll von Hoffnung.
Er zeigt auch in diesen Zeiten voller Düsternis
auf, wie Menschen, wie Mann und Frau sein
können, um ein Leben in Würde und Respekt
miteinander zu führen.
In einer solchen Welt ist kein Platz für die dunkle
Seite des Apollon.
Exkurs: Das Transitorische
als Problem
der Darstellung
Verfolgung, Verwandlung, Errettung, sind zentrale
Worte im Daphne-Mythos. Es sind kontinuative
Begriffe und meinen nicht einen Moment,
sondern ein Geschehen. Sicherlich jeder
Skulptur, jede Malerei, noch deutlicher jeder
Fotografie haftet ein Zeitmoment an. Sie stellen
stets einen Ausschnitt von Zeit dar.
Nun kann sich dieser Augen-Blick, je nach Art
der Darstellung und des Dargestellten dehnen
und fast dehnend Ewigkeitswert erhalten,
etwa bei Herrscherbüsten. Durch Materialwahl
(Stein, Bronze), durch Erhabenheit im Ausdruck,
durch Ornat soll die Dauerhaftigkeit des
von Gott (= Ewigkeit) Gesandten und Begnadeten
manifestiert werden. Die Zeit wird zum Stillstand
gebracht, die Ewigkeit hält in dieser Dar-
Digression: the transitory
as a problem of
representation
Pursuit, transformation and salvation are key
words in the Daphne myth. They are continuative
terms and do not refer to a moment, but
to an event. Certainly, every sculpture, every
painting and – even more so – every photograph
captures a precise moment. They always represent
a snippet of time.
Depending on the type of representation
and the subject matter, this moment can be
stretched, thus gaining almost eternal value, as
is the case with the bust of a ruler, for example.
Choice of material (stone, bronze), grandeur of
expression, and regalia are to manifest the permanence
of the god-sent (= eternal) and blessed
one. Time is brought to a halt and eternity
finds its way into this representation. This, of
course, also applies to representations of Daphne
and Apollo by previous artists, for this event
also has to be halted, so to speak. Artistic representations
in the late Middle Ages and the
Early Modern Age were more statuary than
transitory. A state – usually the final result
(complete or partial) – of the metamorphosis
was depicted 1 . A way out of this dilemma was
sought in particular by Upper Italian artists
in cassone painting by illustrating different
stages next to one another – a simultaneous
passage of time, in other words. The central
aspect of Daphne is her transformation. This

stellung Einzug. Dies geschieht freilich auch,
bei der Darstellung von Daphne und Apollon,
bei der Darstellung von Vorgängen also. Denn
auch das Ereignis muss gleichsam angehalten
werden. Die künstlerischen Darstellungen im
ausgehenden Mittelalter, der beginnenden
Neuzeit waren eher statuarisch, denn transitorisch.
Ein Zustand, meist das Ergebnis (ganz
oder teilweise) der Verwandlung wurde dargestellt
1 . Einen Ausweg aus dem Dilemma suchten
insbesondere oberitalienische Künstler in
Cassonemalereien, indem sie verschiedene
Stadien nebeneinander, also einen Zeitablauf
zeitgleich, darstellten. Der zentrale Aspekt der
Daphne ist der ihrer Verwandlung. Diese Verwandlung
ist aber auch Bewegung. Sie hält,
bei Ovid, bei nahezu allen Künstlern mitten im
Fliehen, im Laufen, an, wird angehalten, durch
ihre Baumwerdung. Betont wird also "die Darstellung
des sich Verwandelns, nicht des Verwandeltseins"
2 .
Die Verwandlung geschieht aber in der ablaufenden
und vergehenden Zeit und doch muss
für sie ein Moment gefunden werden.
Gotthold Ephraim Lessing (1729 – 1781) hat in
seiner Schrift "Laocoon oder über die Grenzen
der Mahlerey und Poesie" (1766) den "fruchtbaren
Augenblick" der Laokoon Gruppe gewürdigt,
in dem die dramatische Geschichte des
Priesters Laokoon und seiner Söhne in einem
einzigen Moment zusammengefasst wurde.
Ein Werk von hoher transitorischer Spannung.
Ein Künstler also muss aus den aufeinanderfolgenden
Augenblicken einer Handlung "den
transformation is also movement, however. In
Ovid and in almost all artists’ works, Daphne
stops in mid-stride, while fleeing; she is halted
by her transformation into a tree. The emphasis
here is on “the representation of the process of
transformation, not of the end result” 2 .
However, her transformation takes place during
an elapsing and passing time, and yet a moment
has to be found for it.
In his book “Laocoön: An Essay on the Limits of
Painting and Poetry” (1766). Gotthold Ephraim
Lessing (1729 – 1781) paid homage to the “terrible
moment” of the Laocoön Group, in which
the dramatic story of the priest Laocoön and his
sons is encapsulated in one single moment. It
is a work of high transitory tension. An artist
therefore has to select from a sequence of moments
in an event “the most trenchant one, from
which what preceded and what followed can best
be understood”.
The course of a past and a future occurrence is
therefore concentrated and made concrete in the
one moment that the artist shows us.
The moment that Dietrich Klinge has chosen,
without Apollo, shows us that what happened
before is no longer of importance, or was of no
importance from the outset, and that no drama
is held in the future either.
Dietrich Klinge has created a work that makes
us forget the transitory element in the Daphne
myth – a work against time and for the eternal
value of a moment.
1
vgl. zu allem Wolfgang Stechow, Apollo und Daphne,
Göttingen, 1932, Nachdruck 1965, passim.
2
Wolfgang Stechow, aaO, S. 11.
55

56
Roes X, 2014, Bronze,
Höhe 144 cm, 6 Exemplare
prägnantesten wählen, aus welchem das Vorhergehende
und Folgende am begreiflichsten
wird". Der Verlauf eines vergangenen und eines
künftigen Geschehens also wird konzentriert
und konkretisiert in dem einen Moment, den
uns der Künstler zeigt. Dieser Augenblick, den
Dietrich Klinge gewählt hat, ohne Apollon, zeigt
dass das Geschehen zuvor nicht mehr oder von
Anfang an nicht von Bedeutung war und dass
auch die Zukunft kein Drama bereithalten wird.
Dietrich Klinge ist ein Werk gelungen, das das
Transitorische des Daphne-Mythos vergessen
macht, ein Werk gegen die Zeit und für den
Ewigkeitswert eines Augenblicks.
Exkurs: Roes X
Angekündigt hatte sich die Idee einer jungen
und schönen und starken Frau, also eine Daphne
Klingescher Art in der Skulptur Roes X.
Wie Handlungsstränge in einem erzählerischen
Werk, laufen getroffene skulpturale Aussagen
Dietrich Klinges, also fertige Werke, wie unwiderrufbare
Vorhersagen auf künftige Werke zu.
So war es bei Tangere. So war es bei Roes X.
Sie waren wie Verkündigungen von Daphne.
Roes, der Name, ist wie bei Dietrich Klinge
häufig, verrätselt, anagrammiert. Offenkundig
sind zwei andere Worte in dem Skulpturentitel
enthalten, die auch inhaltliche Bedeutung
erlangt haben: Rose und Eros! Also das Wachsen,
Blühen und Vergehen metaphernhaft im
Digression: Roes X
The idea for a young, beautiful and strong woman
– in other words a Daphne in the style of Dietrich
Klinge – was heralded with the sculpture
Roes X.
Like storylines in a narrative, like irrevocable
prophecies, Dietrich Klinge’s past sculptural
statements, his finished works, point the way
towards future works. That is how it was with
Tangere. That is how it was with Roes X.
They were like annunciations of Daphne.
As is often the case with Dietrich Klinge, the
name Roes is enigmatic, anagrammed. There
are two other words clearly contained in the
sculpture’s title that are also meaningful: rose
and Eros!
In other words, growth, blossoming and withering
in terms of botanical and specifically of
human life and experience. Roes X is the torso of
a woman, seemingly young and seemingly beautiful.
It is, however, precisely not a perfect bust.
For this female torso is not rising out of this
negative tree trunk which seems charged with
ugliness, nonetheless revealing perfect breasts,
but is instead being incorporated into it. Roes
X, therefore, is actually the opposite of Daphne.
She is not a transformation from one life form
into another. Instead, this torso demonstrates
the temporal limitation of all living things, of
all that is beautiful, of all that is subject to decay.
Flourishing female life becomes dead wood,
not living wood – as is the case with Daphne.

57

58

pflanzlichen und konkretisiert im menschli-
The artist reveals this memento mori equally
chen Leben und Erleben. Roes X ist der Torso
clearly in other aspects of the sculpture. It is a
einer Frau, scheinbar jung, scheinbar schön.
torso, in a way only a fragment of a body that
Es ist jedoch gerade keine Idealbüste. Denn
has become what we see before us. It is a frag-
dieser Frauentorso entsteigt nicht diesem ne-
ment without a head, without arms, without
gativ und wie mit Hässlichkeit aufgeladenen
legs, robbed of any possibility to make contact
Stamm und zeigt dennoch makellose Brüste,
with other people, despite the beauty of the
sondern wird einverleibt. Damit ist Roes X das
torso. The torso has to suffer, has to passively
eigentliche Gegenteil der Daphne. Sie ist kein
allow itself to be observed; it cannot conduct a
Wechsel nur von einer Lebensform zur ande-
dialogue. Dietrich Klinge has mounted Roes X
ren. Dieser Torso zeigt vielmehr die zeitliche
on a pedestal, raising her up, making her more
Begrenzung alles Lebenden, alles Schönen,
significant, more sovereign. At the same time he
das dem Vergehen unterworfen ist. Das blü-
shows – dialectically, as so often – the opposite.
hende, weibliche Leben wird zu totem Holz,
The pedestal is not a fine, shapely block with a
nicht zu lebendigem, wie bei Daphne. Dieses
well-designed plinth and cover plate, but a box,
memento mori, zeigt der Künstler in anderen
roughly knocked together, that contradicts and
Bezügen der Skulptur ebenso deutlich. Es ist
ein Torso, eher ein Fragment eines Körpers,
questions the theme of superiority over others.
Furthermore, this massive trunk that forms the
Roes X, 2014, Bronze,
Höhe 144 cm, 6 Exemplare
59
der so geworden ist, wie er vor uns steht. Es
body of Roes X is not at all securely mounted and
ist ein Fragment ohne Kopf, ohne Arme, ohne
is not evenly anchored on its pedestal. A wedge
Beine, beraubt aller Möglichkeiten, trotz der
beneath the trunk decides whether this monu-
Schönheit des Oberkörpers, mit anderen Men-
ment to beauty stands or falls, whether beauty
schen in Kontakt zu treten. Der Rumpf muss
remains or passes. And the toppling of images of
erleiden, muss passiv geschehen lassen, be-
the powerful and beautiful from pedestals that
trachtet zu werden, kann keinen Dialog führen.
mostly they themselves had ordered to be erected
Dietrich Klinge sockelt die Arbeit Roes X und
are familiar enough in the history of humankind.
hebt sie damit hervor, erhebt sie, macht sie
And, finally, we see youth and old age, becoming
bedeutender, herrscherlicher. Zugleich zeigt
and passing, Eros and Thanatos, in the two as-
er – dialektisch, wie so häufig – das Gegen-
pects of the sculpture, the front and the rear, for
teil. Der Sockel ist kein wohlgeformter feiner
the youthful, full breasts are juxtaposed with an
Block mit gestalteter Plinthe und Deckplatte,
old, hunched back. Two ages of life in one and the
sondern eine roh zusammengezimmerte Kis-
same figure!
te, die das Thema der Erhebung über Andere
Thus, in this work Dietrich Klinge illustrates
konterkariert und in Frage stellt. Zum anderen
the balance between illusion and reality, the

60
Fig. 256 (Modell Roes X,)
2014, Bronze, Höhe 144 cm, 6 Exemplare
ist dieser massige Stamm, der den Körper von
Roes X darstellt, keineswegs sicher gegründet
und nicht wohl ausgewogen auf seinem Podest
verankert. Ein Keil unter dem Stamm entscheidet,
ob das Denkmal der Schönheit steht oder
stürzt, ob die Schönheit bleibt oder vergeht.
Und das Stürzen von Bildern der Mächtigen
und Schönen, von ihren meist auf eigenes Geheiß
errichteten Sockeln, kennt die Geschichte
der Menschheit gut genug.
Und zum Letzten sehen wir Jugend und Alter,
Werden und Vergehen, Eros und Thanatos in
den zwei Ansichten der Plastik, der vorderen
und der rückwärtigen, denn die jugendlich
prallen Brüste konterkariert ein gebeugter, alter
Rücken. Zwei Lebensalter in dieser einen
Figur!
So zeigt Dietrich Klinge in diesem Werk die Balance
zwischen Schein und Sein, die Zerbrechlichkeit
und Vergänglichkeit des Schönen, ja
des Seins schlechthin. Und er verweist auf Daphne,
den schier hoffnungsfrohen Gegenentwurf
zu Roes X.
fragility and transience of beauty – and of
existence itself. And he points towards
Daphne – the absolutely hopeful antithesis to
Roes X.

61

Schlusswort
Closing remarks
62
1
Im Triclinium der Casa dei Vettii.
2
Corpus Speculorum Etruscorum, Deutsches Archäologisches
Institut (Hg), München, 1995, Band 4, S. 80, 81.
3
Museum zu Sorrent, nach: Archäologische Zeitung,
Eduard Gerhard (Hg.), 1. Jahrgang, Berlin 1843, S. XXX
und Eugen von Mercklin, Antike Figuralkapitelle, Berlin
1962, S. 189.
4
Wolfgang Stechow, aaO, S. 1, Albrecht von Halberstadt,
1210.
5
Wolfgang Stechow, aaO, S. 2.
6
Wolfgang Stechow, aaO, S. 4, 5, 67.
Die Ovidsche Metamorphose der Daphne ist
durch die Zeiten gegangen. Einige Beispiele:
Als Wandmalerei in Pompeji 1 ist sie erhalten
geblieben, auf einem etruskischen Spiegel 2 ,
als hellenistische Statuette 3 .
Im hohen Mittelalter, als der Mythos erstmals
in die deutsche Sprache 4 übersetzt wurde, war
er von Anfang an christlich moralisierend gebunden,
wie jegliche künstlerische Äußerung
dieser Zeiten. Zuvor war Daphne selten allegorisch
oder moralisch gedeutet worden, allenfalls
als Sinnbild von Tugend, oder als Zeichen
der Machtlosigkeit, selbst eines Gottes. "Die
ethische Überwindung des Angreifers durch
die keusche Jungfrau" 5 fehlte völlig.
Doch die Rollen änderten sich im Laufe der
Jahrhunderte: Daphne stand für die "heilige
Jungfrau Maria, die Jesus-Apollo, lumiere dou
monde" anhimmelte (sic!). Der Lorbeer wurde
mit dem Kreuz Christi assoziiert, Daphne war
die "reine Seele". Apollon aber mutierte zum
Teufel 6 .
Die bildende Kunst beginnend mit Buchmalereien
im 14. Jahrhundert, über Cassonebemalungen
(also Truhen) des 15. Jahrhunderts, zu
Nicolas Poussins vielbevölkerten Szenen, griff
den Mythos ebenfalls deutlich sich verändernd
auf. Skurrile Darstellungen, die eine schreitende
oder stehende Daphne von den Füßen
bis zur Leiste als Frau, darüber hinaus als verzweigten
Lorbeerbaum zeigten, wurden abgelöst
durch von Apollon umschlungene Bäume.
Ovid’s Metamorphosis of Daphne has travelled
through the ages. Some examples:
It has been preserved as a mural in Pompeii 1 , on
an Etruscan mirror 2 , as a Hellenic statuette 3 .
When the myth was first translated into German
4 in the High Middle Ages, it was tied from
the outset to Christian morality, as was every
artistic statement of the time. Before that,
Daphne was seldom given an allegorical or
moral interpretation; at most she was a symbol
of virtue, or of powerlessness – even of a deity.
“The ethical overcoming of the assailant by the
chaste virgin” 5 was completely absent.
But over the centuries the roles changed:
Daphne stood for “the Blessed Virgin Mary,
who [adored] Jesus-Apollo, lumiere dou monde”
(sic!). The laurel was associated with the cross
of Christ; Daphne was the “chaste soul”. Apollo,
on the other hand, mutated into the devil 6 .
The visual arts, beginning with book illuminations
in the 14th century, through decorations
on cassoni (marriage chests) of the 15th century,
to Nicolas Poussin’s heavily populated
scenes, also took up the myth in starkly changing
guises. Whimsical interpretations that had
a striding or standing Daphne as a woman
from the feet to the waist and from there up as a
many-branched laurel were superseded by trees
embraced by Apollo. A human face is hidden in
the branches.
The cast in the depictions grew beyond Daphne
and Apollo to include her father Peneus lying at

Im Geäst ein menschliches Gesicht versteckt.
her feet, and Cupid, the bringer of disaster.
Das Personal der Darstellungen erweiterte sich
Sculptures, on the other hand, remained rather
über Daphne und Apollon hinaus, um Vater Pe-
rare. Very few works have been passed down to
neios, zu ihren Füßen gelagert und um Amor,
us from Hellenic or Roman times.
den Unheilbringer.
The Nuremberg goldsmiths, Wenzel Jamnitzer 7
In der Bildhauerei blieben Werke eher rar. Aus
and his son Abraham 8 , created silver Daphnes
der Zeit des Hellenismus oder aus römischer
as artistic table decorations whose transformed
Zeit sind kaum Zeugnisse auf uns gekommen.
hands and hair were little red coral trees.
Wenzel Jamnitzer 7 und sein Sohn Abraham 8 ,
The group of sculptures created by Gian Lorenzo
Goldschmiede in Nürnberg schufen silberne
Bernini 9 between 1622 and 1624 was seeming-
Daphnen als kunstvolle Tafelaufsätze deren
ly a new beginning for the Daphne/Apollo story
verwandelte Hände und Haare rote Korallen-
and yet, at the same time, a single, transitory
bäumchen waren. Die Gruppe, die Gian Loren-
high point.
zo Bernini 9 in den Jahren 1622 – 1624 schuf
On a medallion from 1838, Bertel Thorvaldsen 10
war wie ein Neuanfang der Daphne-und-Apol-
depicts the scene in statuary and narrative form,
lon-Erzählung und zugleich ein transitorischer,
with Daphne almost completely transformed
einsamer Höhepunkt.
Statuarisch und erzählerisch schildert Bertel
Thorvaldsen 10 im Jahr 1838 in einem Medaillon
into a laurel tree, and showing the familiar cast
from the paintings, i.e. Peneus and Cupid. Apollo
is playing the lyre.
Apoll und Daphne,
Umkreis Peter Flötner, um 1550,
Nürnberg GNM
63
die Szene mit der nahezu vollständig in den
In 1918, Wilhelm Lehmbruck 11 created an im-
Lorbeer verwandelten Daphne und zeigt das
pressive torso: a woman’s body as the stump of
aus der Malerei bekannte Personal, nämlich
a burgeoning tree, seemingly lashed by the wind.
Peneios und Amor. Apollon spielt die Lyra.
Renée Sintenis 12 shows a dancing Daphne
Wilhelm Lehmbruck 11 schafft im Jahr 1918 ei-
(1930), whose raised hands and hair are trans-
nen eindrucksvollen Torso, einen wie im Wind
forming into vegetation.
gepeitschten Frauenleib als Strunk eines sich
During the war, in 1943, Arno Breker 13 had the
bildenden Baumes.
heroes Apollo and Daphne in utterly unbearable
Renée Sintenis 12 zeigt eine tänzerische Daph-
poses, meaninglessly striding into nowhere.
ne (1930), deren erhobene Hände und Haare
Ernst Fuchs 14 sees Daphne in coquettish pose
7
Wenzel Jamnitzer, 1507 – 1585
sich vegetabil verwandeln.
(1973), like once Josephine Baker in her legend-
8
Abraham Jamnitzer 1555 – 1600
Im Kriegsjahr 1943 laufen die von Arno Breker 13
ary banana skirt in the Folies Bergère produc-
9
Gian Lorenzo Bernini , 1562 – 1629
10
Bertel Thorvaldsen, 1770 – 1844
geschaffenen Heroen, Apollon und Daphne, in
tion “Un vent de folie”. And Paul Wunderlich’s
11
Wilhelm Lehmbruck , 1881 – 1919
schier unerträglichen Posen, sinnentleert in
Daphne (1993) is a high priestess from a sci-
12
Renée Sintenis, 1888 – 1965
13
Arno Breker, 1900 – 1991
ein Nirgendwo.
ence-fiction film, wrapped to the waist in bark.
14
Ernst Fuchs, 1930 – 2015

64
Fig. 275 (Modell Daphne)
2015, Bronze, 37,5 x 9,5 x 8 cm, 6 Exemplare
14
Ernst Fuchs, 1930 – 2015
15
Paul Wunderlich, 1927 – 2010
16
Markus Lüpertz – Durst Grünbein: Daphne Metamorphose
einer Figur, Köln, 2005, passim.
Ernst Fuchs 14 will 1973 Daphne neckisch sehen,
wie einst Josephine Baker im legendären Bananenröckchen
aus der Folies Bergère Produktion
"Un vent de folie".
Und bei Paul Wunderlich 15 ist die bis zur Taille
umrindete Daphne (1993) eine Hohe Priesterin
aus einem Sience-Fiction-Film.
Markus Lüpertz, besungen in der Nachfolge
Ovids von Durs Grünbein 16 , sieht in Daphne
(2003) eine wilde Kämpferin, eine Amazone,
die Apollon köpfte! Das appollinische Haupt
liegt körperlos vor ihr auf dem Boden, der linke
Fuß spielerisch, als wäre der Kopf ein Ball,
darauf gesetzt.
Und Dietrich Klinge hat eine Daphne (2015) geschaffen,
die so noch nicht gesehen und noch
nicht gespürt wurde.
Eine Daphne, der unsere ungeteilte Achtung
und Hochachtung gebührt.
Und: da ist noch das Lächeln, dieses Lächeln
der Daphne!
Markus Lüpertz, to whom Durs Grünbein refers
in the tradition of Ovid, sees in Daphne
(2003) a wild warrioress – an Amazon who beheads
Apollo! Apollo’s head lies bodiless on the
ground before her, her foot playfully resting on
it, as if it were a ball.
And Dietrich Klinge has created a Daphne
(2015) that has never before been seen or felt.
A Daphne that deserves our undivided attention
and respect.
And then there is that smile – Daphne’s smile!
***
***

Biografie
1954 geboren in Heiligenstadt/Eichsfeld
1973 – 1980 Studium der Freien Grafik, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (Peter Grau, Gunther
Böhmer, Rudolf Schoofs)
1980 – 1984 Studium der Bildhauerei, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart (Herbert Baumann,
Alfred Hrdlicka)
1994 Felix-Hollenberg-Preis für Radierung
Lebt und arbeitet in Weidelbach, Mittelfranken.
Einzelausstellungen
2016 · Bode Galerie und Edition, Daegu, Südkorea · Galerie Schloss Mochental · Galerie Schloss Mochental Art Karlsruhe · 2015
· Skulpturenmeile Ansbach · Bode Galerie, Nürnberg · Galerie Weise Chemnitz mit Harry Meyer · Skulpturen in St.Sebald und
St.Egidien, Nürnberg · 2014 · Galerie im Venet-Haus, Neu Ulm · Projectspace Daegu, Bode Galerie, Daegu, Südkorea · Zamek
Slavkov - Austerlitz, Tschechien · Angela Berney Fine Arts, Basel, Schweiz · Kreuzgang des Basler Münsters, Basel · Kulturzentrum
Englische Kirche Bad Homburg v.d.H., Magistrat der Stadt Bad Homburg und Galerie Scheffel · Städt. Galerie Tuttlingen · 2013 ·
Ateliergalerie Oberländer, Augsburg · Galerie Schloss Mochental mit Christopher Lehmpfuhl · Kloster Eberbach, Blickachsen 9
· Bode Galerie, Nürnberg · 2012 · Sebastianskapelle Ulm · 2011 · Ga lerie Schloss Mochental · Mochental bei Ehingen/Donau ·
Städtische Galerie Tettnang mit Raimund Wäschle · 2010 · Jardins du Manoir d‘Eyringnac, Perigord, Frankreich · Château de Biron,
Perigord, Frankreich · Galerie Terminus, München mit Eckhard Kremers · Es Baluard Museu d‘Art Modern i Contemporani de
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München · Städtische Galerie Albstadt · Galerie Brusberg Berlin, Berlin · 1993 · Ateliergalerie Oberländer, Augsburg ·
1992 · Sammlung Dahlström, Weinheim · Galerie im Heppächer, Esslingen · Galerie Brusberg Berlin, Berlin · 1990 · Galerie im
Heppächer, Esslingen · Galerie Fahlbusch, Mannheim · 1989 · Ateliergemeinschaft Wilhelmstraße 16 e.V., Stuttgart
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Impressum
© Freshup Publishing, Martin Frischauf, Alfred Meyerhuber, Dietrich Klinge
Abbildungsnachweis
Abb. S.6 mit freundlicher Genehmigung von Nagel Auktionen GmbH und Co. KG Stuttgart, 2016
Abb. S.13 mit freundlicher Genehmigung von Münzzentrum Rheinland Heinz-W. Müller, Solingen-Ohligs, 2016
Abb. S.17 Bildarchiv Foto Marburg, Philipps-Universität Marburg, 2016
Bei den Abbildungen aus Büchern wurde das verwendete Buch an der jeweiligen Stelle genannt
Alle Werkfotografien sowie das Foto von Apollon und Daphne aus dem Umkreis von Peter Flötner von D. Klinge
Redaktion
Christina Luff
Übersetzung
Xchange Language Services Gmbh & Co KG, Fürth
Typographie, Gestaltung, Reproduktion
Dietrich Klinge, Mark Mulfinger, Stefan Munz, Rica Bock, Stephanie Hofer, Schwabenrepro GmbH
Druck
Wenng Druck GmbH, Dinkelsbühl
ISBN 978-3-943800-13-5
BODE
Galerie & Edition
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90402 Nürnberg
Deutschland/Germany
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