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THE<br />

MA<br />

4<br />

INTERVIEW: GUDRUN GOLDMANN<br />

›Im Rahmen der<br />

Naturgesetze ist<br />

vieles möglich‹<br />

Arvid Leyh ist Wissenschaftsjournalist und hat die<br />

Internetseite ›dasgehirn.info‹ mitbegründet. Dort<br />

versuchen er und seine KollegInnen, den Kosmos im<br />

Kopf zu erklären und das Gewirr im Gehirn verständlich<br />

darzustellen. Gedächtnis, Wahrnehmung,<br />

Emotionen, freier Wille – das komplexeste Organ<br />

des Menschen fasziniert Experten wie Laien gleichermaßen.<br />

Während die einen davon ausgehen,<br />

dass es nur eine Frage der Zeit und der Methoden<br />

sei, bis die letzten Rätsel gelöst sind, meinen andere,<br />

dass sich eben nicht alles wissenschaftlich<br />

erklären ließe. Das grenzt manchmal an den Bereich<br />

des Esoterischen, doch die Grenze ist in Bewegung.<br />

Auch damit hat sich Leyh auseinandergesetzt.<br />

Herr Leyh, zur Esoterik zählte man vor nicht allzu langer<br />

Zeit auch Yoga, Meditation und Entspannungstechniken.<br />

Inzwischen hat sich das geändert. Warum?<br />

Meditationstechniken haben tatsächlich einen beeindruckenden<br />

Imagewandel erlebt – vom Voodoo zum wissenschaftlich<br />

abgesegneten Allheilmittel in nur 25 Jahren! Das hat meiner<br />

Ansicht nach zwei Gründe: Zum einen hatten Forscher wie<br />

Richard Davidson keine Angst, sich auf ihren Bauch zu verlassen,<br />

ihrem Herzen zu folgen und dabei ihren guten wissenschaftlichen<br />

Ruf zu riskieren. Davidson positionierte sich damals<br />

besonders gewagt, denn er arbeitete mit dem Dalai Lama –<br />

näher kam die Wissenschaft der Religion in den letzten 100<br />

Jahren nicht. Der zweite Grund sind wohl die immer genaueren,<br />

immer günstigeren Methoden, die uns seit zwei Jahrzehnten<br />

Einblicke in das Gehirn ermöglichen, wie es sie vorher schlicht<br />

nicht gab. Das sorgte für einen Boom in der Hirnforschung –<br />

eben auch in eher neuropsychologischen Ecken.<br />

Schwierig wird es in der Diskussion ja immer, wenn Menschen<br />

eigene Erlebnisse oder Erfahrungen vorweisen können, wie<br />

zum Beispiel bei Nahtod-Erfahrungen. Sei es bei einem Unfall<br />

oder im Krankenhaus, die Betroffenen berichten, dass sie die<br />

ganze Szenerie von oben betrachtet hätten – und sind oft<br />

nachhaltig erschüttert von diesem Erlebnis. Was passiert da<br />

im Kopf?<br />

Zuerst mal muss man sagen, dass gute Wissenschaft zu solchen<br />

Grenzerfahrungen nichts Belastbares sagen kann, denn als<br />

meta-physische Erfahrung verschließen sie sich der wissenschaftlichen<br />

Untersuchung. Diesseits von Hollywood mit seinem<br />

Film ›Flatliners‹ kämen entsprechende Studien nie durch die<br />

Ethikkommission.<br />

Doch Nahtod-Erfahrungen scheinen gar nicht so selten vorzukommen<br />

und immerhin gibt es Menschen, die man befragen<br />

kann. Laut einer belgischen Studie in Frontiers in Human<br />

Neuroscience von 2017 berichten sie von einem Gefühl des<br />

Friedens (80 %), dem Sehen eines hellen Lichtes (69 %), der<br />

Begegnung mit Leuten oder Wesenheiten (64 %), außerkörperlichen<br />

Erfahrungen (22 %) und einigem mehr – in wechselnder<br />

Reihenfolge.<br />

Das ist wenig erstaunlich – wer eine solche Erfahrung<br />

gemacht hat, für den ist sie emotional bedeutsam, denn<br />

Emotionen sind vor allem Bewertungen, daher vergessen wir<br />

nie unseren ersten Kuss. Am Rande des Todes zu stehen,<br />

diesen Terror, die Angst ums eigene Überleben zu fühlen, ist<br />

wohl noch bedeutsamer und brennt sich ins Gedächtnis. Die<br />

Hirnchemie überschlägt sich und Zeit verliert jede Dimension.<br />

Wesenheiten und außerkörperliche Erfahrungen –<br />

lässt sich das überhaupt naturwissenschaftlich erklären?<br />

Es gibt ausgebildete Wissenschaftler, die das versuchen. Am<br />

bekanntesten ist wohl der amerikanische Psychiater Raymond<br />

Moody, der schon in den 1970ern den Begriff Nahtod-Erfahrung<br />

geprägt hat. In jüngster Zeit war es der Neurochirurg<br />

Eben Alexander, der mit seinem Buch für Aufsehen sorgte und<br />

wissenschaftliche Beweise für ein Leben nach dem Tod<br />

versprach. Allerdings war der einzige Satz, der ansatzweise<br />

wissenschaftlich klang, ein Zitat von Moody.<br />

Gehen wir das mal anders an: Erinnern Sie sich noch an<br />

das letzte Mal, als Sie schwimmen waren? Stellen Sie sich<br />

die Situation genau vor. Wie sehen Sie sich? Wie der 2005<br />

verstorbene Hirnforscher Detlef Bernhard Linke schreibt,<br />

sehen sich die meisten Menschen von außen, sozusagen vom<br />

Rande des Pools. Nur wenige sehen das Wasser direkt vor der<br />

Nase. Womöglich sind unsere biographischen Erinnerungen<br />

tatsächlich eher in der dritten Person angelegt. Ähnliches<br />

könnte passieren, wenn wir am Rande des Todes stehen und<br />

später davon berichten. Zumal wir unbewusst viel mehr<br />

Informationen aufnehmen, als wir bewusst mitbekommen –<br />

Gespräche unter Ärzten, zum Bespiel.<br />

Ähnlich irdisch lassen sich auch Situationen denken, wenn<br />

das Leben kurz vor seinem möglichen Ende blitzartig an uns<br />

vorüberzieht. So etwas erleben selten die Menschen, die im<br />

Bett und absehbar sterben, sondern vielmehr Menschen in<br />

plötzlichen Gefahrensituationen. Womöglich durchsucht das<br />

Gehirn nur im Schnelldurchlauf seinen biographischen<br />

Erfahrungsschatz nach passenden Lösungen.<br />

Doch beide Erklärungsansätze folgen natürlich Ochkhams<br />

Rasiermesser: Sie suchen nach der naheliegendsten,

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