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Magazin für Stadtkultur Schlachthof / Lagerhaus GEIST ESOTERIK WISSEN
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GEIST ESOTERIK WISSEN
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Martin Steinert<br />
Die Welt unaufgeklärter<br />
machen, als sie ist<br />
Die Idee, es gäbe so etwas wie ein geheimes, den Eliten vorbehaltenes<br />
Wissen, hat ein großes reaktionäres Potenzial. Die Anfälligkeit des<br />
esoterischen Denkens für Antisemitismus und Verschwörungstheorie<br />
ist enorm.<br />
w<br />
ir leben in einer Demokratie, wir dürfen,<br />
bis auf Weiteres, machen, was wir wollen.<br />
Rauchen und Saufen beispielsweise, obwohl<br />
es schädlich ist, und solange wir nicht Auto fahren, ist das<br />
nicht untersagt und unsere Sache. Wer glauben möchte,<br />
dass ein Wasser, das vom TV-Pfarrer Jürgen Fliege gesegnet<br />
worden ist, es wert ist, dass man für eine Flasche einen<br />
höheren Preis zahlt als für ein Glas Mineralwasser im<br />
Restaurant – der darf das gerne glauben. Der Markt soll sich<br />
in einer Marktwirtschaft selbst regulieren.<br />
Um so wichtiger ist, sich klarzumachen, dass im nach wie<br />
vor boomenden Feld der Esoterik ein reaktionäres Potenzial<br />
steckt, das, wenn die Produkte und Ideen auch verschroben<br />
wirken, alles andere als lustig ist. Man muss es nicht über<br />
einen Kamm scheren; nicht jede gelegte Tarot-Karte ist<br />
Zeichen von Unheil, sie kann auch schlicht spielerisch-praktische<br />
Lebenshilfe sein. Waldorfpädagogik kennt einige schöne<br />
Ansätze, für die es die explizit rassistische Lehre Rudolf<br />
Steiners gar nicht braucht. Und es mag sogar Leute geben,<br />
denen wweine von Bert Hellingers Familienaufstellungen<br />
tatsächlich klarer geworden sind. Es empfiehlt sich also zu<br />
differenzieren zwischen dem individuellen Nutzen, den der<br />
Glaube an die Kraft bestimmter Objekte und Praktiken hat,<br />
und einem Grundproblem, das in das esoterische Denken<br />
generell eingelassen ist. Grundproblem meint hier: das<br />
Potenzial der Esoterik, die Welt zu einem unaufgeklärteren<br />
Ort zu machen.<br />
Es empfiehlt sich, von der basalen Definition der Esoterik<br />
auszugehen: religiöse, mystische oder philosophische Riten<br />
und Objekte, Ideen und Gebräuche, die nur Eingeweihten<br />
zugänglich sind. Jutta Ditfurth, Autorin des Standardwerks<br />
›Entspannt in die Barbarei. Esoterik, (Öko-)Faschismus und<br />
Biozentrismus‹ formuliert seit Jahren eine scharfe Kritik<br />
esoterischen Denkens. Dessen Kern liegt demnach zum<br />
einen in dem Glauben, dass man nicht nur Zugang zu einem<br />
geheimen Wissen, sondern mit diesem Wissen auch<br />
Anschluss an eine geheime Elite gefunden hätte. Zum<br />
anderen gibt es die Karma-Idee, die im Wesentlichen darauf<br />
hinausläuft, dass man an seinem Schicksal selbst schuld ist.<br />
Beides findet sich in Spuren auch noch im eher harmlosen<br />
Glauben an die Heilkraft von (im Zweifelsfall nicht<br />
billigen) Steinen. Wenn man von der Idee Geheimwissen und<br />
Karma ausgeht, kann man verstehen, warum das esoterische<br />
Denken so anfällig ist für Verschwörungstheorien und elitäre<br />
Ideologie. Die Dinge sind nicht, was sie scheinen, die Welt nämlich<br />
ist nach geheimen Gesetzen strukturiert, und wer das erkennt,<br />
gehört schon fast in den Kreis der Auserwählten oder steht<br />
zumindest in Verbindung mit ihnen. Ditfurth in einem Interview in<br />
der Talkshow von Markus Lanz: ›Die Oben-und-Unten-Ordnung<br />
bleibt erhalten, soziale Frage, Elend, Ausbeutung werden<br />
überhaupt nicht thematisiert. Es gibt den Guru da oben, das sind<br />
die Besonderen, und dann die Unteren.‹<br />
So sind die Denkstrukturen, die die Unterteilung der Menschheit<br />
in unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichem Wert eher<br />
nahelegen als verhindern, immer präsent und müssen nur noch<br />
entsprechend besetzt werden. Das kann man dann sehr konkret in<br />
Verbindung bringen mit gegenwärtigen politischen Bewegungen:<br />
›Wenn Sie Esoterik mit geheimem Wissen übersetzen, dann gibt<br />
es die Gemeinsamkeit zu den Reichsbürgern, aber auch zur<br />
rechtsextremistischen Szene, dass dort gedacht wird, es gibt eine<br />
historische Entwicklung, die hat nur ein bestimmtes Ziel‹, sagt<br />
Michael Hüllen, stellvertretender Referatsleiter für Öffentlichkeitsarbeit<br />
und Verfassungsschutz durch Aufklärung beim brandenburgischen<br />
Innenministerium im Interview mit dem Deutschlandfunk.<br />
Es sind empirisch große Überschneidungen zwischen rechtem und<br />
esoterischem Denken festzustellen (aber eben auch keine<br />
Zwangsläufigkeit). Wer das eine mit sich herumträgt, neigt oft<br />
auch zum anderen.<br />
So weit die Experten. Wer die These überprüfen will, kann in<br />
seinem eigenen Umfeld die Probe aufs Exempel machen. Und zum<br />
Beispiel jemanden im Bekannten- oder Freundeskreis, der gerne<br />
und in vollem Ernst mit Tarot-Karten und Heilwässerchen hantiert,<br />
fragen, was er zum Beispiel von Israel hält. Wo die Welt von<br />
geheimen Kräften regiert sein soll, ist der Antisemitismus nicht<br />
weit. Und ich werde nie vergessen, wie eine ansonsten gutartige<br />
Anthroposophin mir nach dem zweiten Glas Wein ohne Arg<br />
erklären wollte, dass die Juden selbst am Holocaust schuld seien.<br />
Schließlich passiere nichts auf der Welt beziehungsweise im<br />
Universum ohne Grund.<br />
Meine Vermutung: Wenn so viele Menschen ihr Leben als<br />
fremdbestimmt wahrnehmen, dann deswegen, weil das Leben im<br />
Spätkapitalismus tatsächlich fremdbestimmt ist. Nur dass die<br />
Kräfte, die hier wirken, durchaus rational beschreibbar sind. Und<br />
die Diagnose, die man dieser Welt stellt, ist argumentativ<br />
begründbar und damit auch diskutierbar. Das macht mehr Arbeit<br />
als der Glaube an Heilwässerchen oder Karma. Dafür kann es<br />
dazu beitragen, weniger ausbeutbar und untertanenhaft zu sein,<br />
als man es bislang war. Es ist die Anstrengung wert.<br />
Foto: MARINA LILIENTHAL