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Magazin für Stadtkultur Schlachthof / Lagerhaus GEIST ESOTERIK WISSEN

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7<br />

Martin Steinert<br />

Die Welt unaufgeklärter<br />

machen, als sie ist<br />

Die Idee, es gäbe so etwas wie ein geheimes, den Eliten vorbehaltenes<br />

Wissen, hat ein großes reaktionäres Potenzial. Die Anfälligkeit des<br />

esoterischen Denkens für Antisemitismus und Verschwörungstheorie<br />

ist enorm.<br />

w<br />

ir leben in einer Demokratie, wir dürfen,<br />

bis auf Weiteres, machen, was wir wollen.<br />

Rauchen und Saufen beispielsweise, obwohl<br />

es schädlich ist, und solange wir nicht Auto fahren, ist das<br />

nicht untersagt und unsere Sache. Wer glauben möchte,<br />

dass ein Wasser, das vom TV-Pfarrer Jürgen Fliege gesegnet<br />

worden ist, es wert ist, dass man für eine Flasche einen<br />

höheren Preis zahlt als für ein Glas Mineralwasser im<br />

Restaurant – der darf das gerne glauben. Der Markt soll sich<br />

in einer Marktwirtschaft selbst regulieren.<br />

Um so wichtiger ist, sich klarzumachen, dass im nach wie<br />

vor boomenden Feld der Esoterik ein reaktionäres Potenzial<br />

steckt, das, wenn die Produkte und Ideen auch verschroben<br />

wirken, alles andere als lustig ist. Man muss es nicht über<br />

einen Kamm scheren; nicht jede gelegte Tarot-Karte ist<br />

Zeichen von Unheil, sie kann auch schlicht spielerisch-praktische<br />

Lebenshilfe sein. Waldorfpädagogik kennt einige schöne<br />

Ansätze, für die es die explizit rassistische Lehre Rudolf<br />

Steiners gar nicht braucht. Und es mag sogar Leute geben,<br />

denen wweine von Bert Hellingers Familienaufstellungen<br />

tatsächlich klarer geworden sind. Es empfiehlt sich also zu<br />

differenzieren zwischen dem individuellen Nutzen, den der<br />

Glaube an die Kraft bestimmter Objekte und Praktiken hat,<br />

und einem Grundproblem, das in das esoterische Denken<br />

generell eingelassen ist. Grundproblem meint hier: das<br />

Potenzial der Esoterik, die Welt zu einem unaufgeklärteren<br />

Ort zu machen.<br />

Es empfiehlt sich, von der basalen Definition der Esoterik<br />

auszugehen: religiöse, mystische oder philosophische Riten<br />

und Objekte, Ideen und Gebräuche, die nur Eingeweihten<br />

zugänglich sind. Jutta Ditfurth, Autorin des Standardwerks<br />

›Entspannt in die Barbarei. Esoterik, (Öko-)Faschismus und<br />

Biozentrismus‹ formuliert seit Jahren eine scharfe Kritik<br />

esoterischen Denkens. Dessen Kern liegt demnach zum<br />

einen in dem Glauben, dass man nicht nur Zugang zu einem<br />

geheimen Wissen, sondern mit diesem Wissen auch<br />

Anschluss an eine geheime Elite gefunden hätte. Zum<br />

anderen gibt es die Karma-Idee, die im Wesentlichen darauf<br />

hinausläuft, dass man an seinem Schicksal selbst schuld ist.<br />

Beides findet sich in Spuren auch noch im eher harmlosen<br />

Glauben an die Heilkraft von (im Zweifelsfall nicht<br />

billigen) Steinen. Wenn man von der Idee Geheimwissen und<br />

Karma ausgeht, kann man verstehen, warum das esoterische<br />

Denken so anfällig ist für Verschwörungstheorien und elitäre<br />

Ideologie. Die Dinge sind nicht, was sie scheinen, die Welt nämlich<br />

ist nach geheimen Gesetzen strukturiert, und wer das erkennt,<br />

gehört schon fast in den Kreis der Auserwählten oder steht<br />

zumindest in Verbindung mit ihnen. Ditfurth in einem Interview in<br />

der Talkshow von Markus Lanz: ›Die Oben-und-Unten-Ordnung<br />

bleibt erhalten, soziale Frage, Elend, Ausbeutung werden<br />

überhaupt nicht thematisiert. Es gibt den Guru da oben, das sind<br />

die Besonderen, und dann die Unteren.‹<br />

So sind die Denkstrukturen, die die Unterteilung der Menschheit<br />

in unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichem Wert eher<br />

nahelegen als verhindern, immer präsent und müssen nur noch<br />

entsprechend besetzt werden. Das kann man dann sehr konkret in<br />

Verbindung bringen mit gegenwärtigen politischen Bewegungen:<br />

›Wenn Sie Esoterik mit geheimem Wissen übersetzen, dann gibt<br />

es die Gemeinsamkeit zu den Reichsbürgern, aber auch zur<br />

rechtsextremistischen Szene, dass dort gedacht wird, es gibt eine<br />

historische Entwicklung, die hat nur ein bestimmtes Ziel‹, sagt<br />

Michael Hüllen, stellvertretender Referatsleiter für Öffentlichkeitsarbeit<br />

und Verfassungsschutz durch Aufklärung beim brandenburgischen<br />

Innenministerium im Interview mit dem Deutschlandfunk.<br />

Es sind empirisch große Überschneidungen zwischen rechtem und<br />

esoterischem Denken festzustellen (aber eben auch keine<br />

Zwangsläufigkeit). Wer das eine mit sich herumträgt, neigt oft<br />

auch zum anderen.<br />

So weit die Experten. Wer die These überprüfen will, kann in<br />

seinem eigenen Umfeld die Probe aufs Exempel machen. Und zum<br />

Beispiel jemanden im Bekannten- oder Freundeskreis, der gerne<br />

und in vollem Ernst mit Tarot-Karten und Heilwässerchen hantiert,<br />

fragen, was er zum Beispiel von Israel hält. Wo die Welt von<br />

geheimen Kräften regiert sein soll, ist der Antisemitismus nicht<br />

weit. Und ich werde nie vergessen, wie eine ansonsten gutartige<br />

Anthroposophin mir nach dem zweiten Glas Wein ohne Arg<br />

erklären wollte, dass die Juden selbst am Holocaust schuld seien.<br />

Schließlich passiere nichts auf der Welt beziehungsweise im<br />

Universum ohne Grund.<br />

Meine Vermutung: Wenn so viele Menschen ihr Leben als<br />

fremdbestimmt wahrnehmen, dann deswegen, weil das Leben im<br />

Spätkapitalismus tatsächlich fremdbestimmt ist. Nur dass die<br />

Kräfte, die hier wirken, durchaus rational beschreibbar sind. Und<br />

die Diagnose, die man dieser Welt stellt, ist argumentativ<br />

begründbar und damit auch diskutierbar. Das macht mehr Arbeit<br />

als der Glaube an Heilwässerchen oder Karma. Dafür kann es<br />

dazu beitragen, weniger ausbeutbar und untertanenhaft zu sein,<br />

als man es bislang war. Es ist die Anstrengung wert.<br />

Foto: MARINA LILIENTHAL

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