21.07.2018 Aufrufe

Textauszüge aus: Robert Hunger-Bühler. Den Menschen spielen

Robert Hunger-Bühler ist einer der ganz grossen Schauspieler der Gegenwart, der mit allen wichtigen Regisseuren zusammengearbeitet hat, mit Christoph Marthaler, Frank Castorf, Barbara Frey, Peter Stein, Milo Rau u. a. Dieses Buch ist ein vielschichtiges Porträt des Menschen und Künstlers. Es zeichnet den Weg Hunger-Bühlers nach, der in Sommeri am Bodensee geboren ist, die Kindheit in Aarau verbracht hat, ins Theater und in die Welt aufgebrochen und über Wien, Bonn, Freiburg und Berlin wieder nach Zürich zurückgekommen ist, wo er ein Mitglied des Ensembles am Schauspielhaus ist. Neben Notaten, Haikus und Zeichnungen von Robert Hunger-Bühler enthält das Buch Gespräche und Texte über Herkunft, Fussball, Schauspiel, Bob Dylan oder Klaus-Michael Grüber, über Hunger-Bühlers Werdegang und seine Arbeiten auf der Bühne, in Film und Performance. Längere und kürzere Würdigungen von Peter von Matt bis Milo Rau erweisen dem grossen Schweizer Schauspieler persönliche Reverenz.

Robert Hunger-Bühler ist einer der ganz grossen Schauspieler der Gegenwart, der mit allen wichtigen Regisseuren zusammengearbeitet hat, mit Christoph Marthaler, Frank Castorf, Barbara Frey, Peter Stein, Milo Rau u. a.

Dieses Buch ist ein vielschichtiges Porträt des Menschen und Künstlers. Es zeichnet den Weg Hunger-Bühlers nach, der in Sommeri am Bodensee geboren ist, die Kindheit in Aarau verbracht hat, ins Theater und in die Welt aufgebrochen und über Wien, Bonn, Freiburg und Berlin wieder nach Zürich zurückgekommen ist, wo er ein Mitglied des Ensembles am Schauspielhaus ist. Neben Notaten, Haikus und Zeichnungen von Robert Hunger-Bühler enthält das Buch Gespräche und Texte über Herkunft, Fussball, Schauspiel, Bob Dylan oder Klaus-Michael Grüber, über Hunger-Bühlers Werdegang und seine Arbeiten auf der Bühne, in Film und Performance. Längere und kürzere Würdigungen von Peter von Matt bis Milo Rau erweisen dem grossen Schweizer Schauspieler persönliche Reverenz.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

träumen sie nicht mal. Unser Dialekt klingt wie gar nichts, als hätte man uns die<br />

Münder mit Seife <strong>aus</strong>gewaschen, er zeugt von unserer völligen Nutzlosigkeit in<br />

den Augen der Spezies und der Weltgeschichte. Niemand weiß deshalb so genau<br />

wie wir Ostschweizer, was es heißt, Kleinbürger zu sein: in Luxus zu leben seit<br />

Generationen und keine Geschichte zu haben.<br />

Theater aber ist eine Ethnologie der Nähe. Theatermacher zu sein, das<br />

heißt, zu durchschauen, was einen geprägt hat: Mensch unter <strong>Menschen</strong>. Es geht<br />

darum, wirklich anzunehmen, wer man ist – nicht nur als Individuum, sondern<br />

als Typus, als Sozialtypus. Als Mann, als Schweizer, als Ostschweizer, als Wesen<br />

des <strong>aus</strong>gehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts und so weiter. Und<br />

das war wohl unser tiefes Einverständnis im Kunsth<strong>aus</strong>café neben dem Sch<strong>aus</strong>pielh<strong>aus</strong>,<br />

das wie gesagt den lächerlichen Namen «Pfauen» trägt. Ja, Don <strong>Robert</strong>o<br />

verstand sofort, ohne dass wir drüber sprachen, dass es in unserer Salò-Version<br />

darum gehen würde, diesen Typus, zu dem wir beide gehören, zu analysieren.<br />

Und ihn, während er zur totalen Darstellung kommt, zu überschreiten. Ihn zu<br />

vernichten, während wir ihn bei seiner eigentlichen Beschäftigung zeigen: der<br />

Vernichtung der anderen, des anderen, des Lebens.<br />

Der sozialdemokratische Realismus und die Zärtlichkeit<br />

Ich glaube, Don <strong>Robert</strong>o wusste von Anfang an, was er haben wollte von der Salò-<br />

Adaption, und er nahm es sich. Er ist kein besonders kollegialer Sch<strong>aus</strong>pieler,<br />

denn Don <strong>Robert</strong>o ist wie das Theater selbst: Er ist da, wenn er da ist, rücksichtslos.<br />

Und dann auf einmal sagt er Auf Wiedersehen und ist wieder weg. Er ist kein<br />

besonders hölicher oder geduldiger Mensch, außer man hat das Glück, sein Freund<br />

zu sein – dann ist er von einer Zugewandtheit, die mich jedes Mal neu anrührt<br />

und die, wage ich zu sagen, der Quell seiner zutiefst menschlichen, ja kindlichen<br />

Konzeption von Theater ist.<br />

Womit Don <strong>Robert</strong>o deshalb absolut keine Geduld hat, ist der Ungeist<br />

unserer Zeit. <strong>Den</strong>n es gibt, wie wir alle wissen, nur eine Sache, die schlimmer ist<br />

als der sozialistische Realismus: der sozialdemokratische Realismus. Ich halte die<br />

Sozialdemokratie politisch für einen völlig vertretbaren (und vielleicht den einzig<br />

vertretbaren) Weg, mit der Boshaftigkeit, der Gier, der Geschichtsvergessenheit<br />

und der seelischen Beschränktheit großer Teile der westeuropäischen Wohnbevölkerung<br />

fertigzuwerden. In der Kunst aber sind es genau diese Negativtugenden,<br />

die wie Dünger die schönsten Blumen sprießen lassen, und Don <strong>Robert</strong>o, der<br />

das natürlich weiß, verachtet deshalb jeden Anlug der Einhegung und Lüge. Er<br />

verachtet alles, was sich der Wahrheit und der voll entfalteten Menschlichkeit und<br />

damit der Schönheit in den Weg stellt. Er verachtet dummes Gerede, er verachtet<br />

13

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!