Nordis-Magazin 2/2018
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Foto: © Weyler förlag<br />
Wo liegen die wirklich markanten Unterschiede<br />
beim Thema Bildung zwischen<br />
Deutschland und Schweden?<br />
Die Schwierigkeiten im Umgang mit der<br />
Bildung sind in allen Industriestaaten im<br />
Wesentlichen dieselben, mit Variationen.<br />
In Deutschland gibt es ja auch große Unterschiede<br />
im Schulwesen, mit Bremen<br />
oder Berlin auf der einen Seite, Bayern<br />
oder Sachsen auf der anderen. Vermutlich<br />
wird in Schweden mehr Gewicht auf die<br />
Selbstständigkeit der Schüler gelegt, als<br />
das in Deutschland der Fall wäre. Und<br />
dann gibt es Spezialitäten des Schulwesens,<br />
bei der Musikerziehung etwa, in<br />
denen Schweden sehr viel erfolgreicher<br />
ist, weil diese Ausbildung deutlich systematischer<br />
und allgemein angelegt ist. Auf<br />
der anderen Seite benutzt man zwar in<br />
Schweden das Lehnwort »bildning«,<br />
meint damit aber etwas, was in Deutschland<br />
nur noch historisch zu fassen ist: Bildung<br />
mehr oder minder im Sinne Wilhelm<br />
von Humboldts. Von daher kommt<br />
auch die Kopplung zwischen »bildning«<br />
und Oberschicht. In Deutschland wird<br />
das Wort in einem viel breiteren Sinn benutzt,<br />
wodurch es eigentlich schwieriger<br />
wird, damit umzugehen.<br />
Was sagt Ihr zum immer wieder thematisierten<br />
Bildungsmaßstab PISA?<br />
Die Unterwerfung des Schulwesens unter<br />
Kriterien, die letztlich ökonomischen Ursprungs<br />
sind, dürfte eine ziemlich problematische<br />
Angelegenheit sein. Dabei ist<br />
nicht zu verhehlen, dass der sogenannte<br />
Pisa-Schock in Deutschland nützlich war:<br />
Plötzlich stand allen vor Augen, dass es<br />
nach Abschluss der Grundschule bei viel<br />
zu vielen Schülern an elementaren Kenntnissen<br />
fehlte. In Schweden, wo man die<br />
ersten Evaluationen gut bestand und entsprechend<br />
gelassen damit umging, trat<br />
dieser Schock erst später ein. Das hängt<br />
mit dem Übergang des Schulwesens aus<br />
staatlicher in kommunale Trägerschaft zusammen,<br />
wodurch sich Unterschiede im<br />
Leistungsvermögen der Schüler deutlicher<br />
vergrößerten. Diese Umstrukturierung<br />
war wahrscheinlich ein Fehler, den<br />
man über Pisa bestätigt bekommt, der<br />
aber mit Pisa nicht zu beheben ist. Darüber<br />
hinaus ist es ja keineswegs so, dass<br />
mit den Pisa-Evaluationen ein Wissen geprüft<br />
würde, das unabhängig von diesen<br />
Evaluationen entstanden wäre. Je mehr<br />
Pisa-Prüfungen es gibt, desto mehr wird<br />
das Schulwesen darauf eingerichtet, sich<br />
bei diesen Prüfungen möglichst gut zu behaupten.<br />
Am Ende wird für die Evaluation<br />
gelernt, bis sich die Evaluation selber<br />
evaluiert. Das Wissen bleibt dann auf der<br />
Strecke.<br />
Was sollten wir alle für die Bildung tun?<br />
Erinnern wir uns doch an den Musiklehrer<br />
Wendell Kretzschmar in Thomas<br />
Manns »Doktor Faustus«? Er stottert,<br />
reißt aber seine Schüler durch schieren<br />
Enthusiasmus mit. Anderen mitteilen,<br />
wofür man sich selbst begeistern kann –<br />
das ist die beste und sicherste Art, etwas<br />
für die Bildung zu tun.<br />
•<br />
Foto: © Sofia Runarsdotter<br />
thomas Steinfeld,<br />
geboren 1954, war Feuilletonchef<br />
der Süddeutschen Zeitung, bis er im<br />
Jahr 2014 deren Kulturkorrespondent<br />
in Italien wurde. Daneben ist er<br />
Professor für Kulturwissenschaften an<br />
der Universität Luzern in der Schweiz.<br />
Er wohnt in Schweden und in Italien.<br />
Per Svensson,<br />
geboren 1956, ist politischer Redakteur<br />
der Stockholmer Tageszeitung<br />
Dagens Nyheter und verantwortet<br />
dort die Meinungsseite. Zuvor war<br />
er Kulturchef der Zeitung Expressen<br />
und Kolumnist der Zeitung Sydsvenska<br />
Dagbladet. Er ist Ehrendoktor der<br />
Universität Malmö.<br />
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